Wählen Sie die experimentellen Funktionen, die Sie testen möchten.

Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62017CJ0572

    Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 19. Dezember 2018.
    Strafverfahren gegen Imran Syed.
    Vorabentscheidungsersuchen des Högsta domstol.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 4 Abs. 1 – Verbreitungsrecht – Verletzung – Zum Verkauf bestimmte Waren mit einem urheberrechtlich geschützten Motiv – Lagerung zu kommerziellen Zwecken – Vom Verkaufsort getrenntes Lager.
    Rechtssache C-572/17.

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2018:1033

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    19. Dezember 2018 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 4 Abs. 1 – Verbreitungsrecht – Verletzung – Zum Verkauf bestimmte Waren mit einem urheberrechtlich geschützten Motiv – Lagerung zu kommerziellen Zwecken – Vom Verkaufsort getrenntes Lager“

    In der Rechtssache C‑572/17

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) mit Entscheidung vom 21. September 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. September 2017, in dem Strafverfahren gegen

    Imran Syed

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,

    Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    des Riksåklagare, vertreten durch M. Hedström und K. Skarp als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda und K. Simonsson als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Oktober 2018

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines vom Riksåklagare (Generalstaatsanwalt, Schweden) gegen Herrn Imran Syed wegen Verstößen gegen das Markenrecht und das Eigentum an literarischen und künstlerischen Werken eingeleiteten Strafverfahrens.

    Rechtlicher Rahmen

    Völkerrecht

    3

    Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) nahm am 20. Dezember 1996 in Genf den WIPO-Urheberrechtsvertrag (im Folgenden: WCT) an, der mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. 2000, L 89, S. 6) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde und am 14. März 2010 für die Europäische Union in Kraft trat (ABl. 2010, L 32, S. 1).

    4

    Art. 6 („Verbreitungsrecht“) Abs. 1 des WCT bestimmt:

    „Die Urheber von Werken der Literatur und Kunst haben das ausschließliche Recht zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder sonstige Eigentumsübertragung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“

    Unionsrecht

    5

    Art. 4 („Verbreitungsrecht“) Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.“

    Schwedisches Recht

    6

    Das Lag (1960:729) om upphovsrätt till litterära och konstnärliga verk (Gesetz [1960:729] über das Urheberrecht an literarischen und künstlerischen Werken, im Folgenden: Gesetz [1960:729]) setzt die Richtlinie 2001/29 in schwedisches Recht um.

    7

    § 53 dieses Gesetzes lautet:

    „Mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren wird bestraft, wer in Bezug auf ein literarisches oder künstlerisches Werk vorsätzlich oder grob fahrlässig Handlungen vornimmt, die das gemäß den Kapiteln 1 und 2 dieses Gesetzes an dem Werk bestehende Urheberrecht verletzen oder gegen eine in § 41 Abs. 2 oder § 50 vorgesehene Bestimmung verstoßen.“

    8

    Nach § 2 des Gesetzes kann eine solche Handlung u. a. darin bestehen, dass ein Werk ohne Zustimmung des Urhebers verwertet wird, indem es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Gemäß Abs. 3 Nr. 4 dieses Artikels wird ein Werk u. a. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn Exemplare des Werks zum Verkauf, zur Vermietung oder zum Verleih angeboten oder auf andere Weise in der Öffentlichkeit verbreitet werden.

    9

    Das Gesetz enthält kein ausdrückliches Verbot, zum Verkauf bestimmte geschützte Waren zu lagern.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    10

    Herr Syed betrieb in Stockholm (Schweden) ein Einzelhandelsgeschäft, in dem er Kleider und Accessoires mit Rockmusikmotiven verkaufte. Zusätzlich zu den dort zum Verkauf angebotenen Teilen lagerte er solche Waren in einem diesem Ladenlokal angeschlossenen Lagerraum und in einem Lager in Bandhagen (Schweden), einem Stadtteil von Stockholm. Das Ladenlokal von Herrn Syed wurde unstreitig in regelmäßigen Abständen mit Waren aus diesen Lagern beliefert.

    11

    Es wurde festgestellt, dass der Verkauf mehrerer dieser Waren gegen das Markenrecht und das Urheberrecht verstieß. Daraufhin wurde gegen Herrn Syed vor dem Tingsrätt (Gericht erster Instanz, Schweden) ein Strafverfahren wegen Markenverletzung und Verstoßes gegen das Gesetz (1960:729) eröffnet. Der Åklagare (Staatsanwaltschaft, Schweden) vertrat die Auffassung, dass Herr Syed gegen das Urheberrecht der Nebenkläger verstoßen habe, indem er widerrechtlich Kleider und Stoffe, die mit urheberrechtlich geschützten Motiven versehen gewesen seien, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe. Alle mit solchen Motiven versehenen Waren, die sich in dem Ladenlokal und den Lagern befänden, seien zum Verkauf angeboten oder an die Öffentlichkeit verbreitet worden, weshalb diese Handlungen gegen das Gesetz (1960:729) verstießen.

    12

    Das Tingsrätt (Gericht erster Instanz) verurteilte Herrn Syed in Bezug auf alle erfassten Waren wegen Markenverletzung. Zudem verurteilte es ihn wegen Verstoßes gegen das Gesetz (1960:729) in Bezug auf die mit einem urheberrechtlich geschützten Motiv versehenen Waren, die sich in dem von ihm betriebenen Ladenlokal befanden, sowie die Waren in den beiden Lagern, soweit sie mit den im Ladenlokal verkauften Waren identisch waren. Das Gericht verurteilte Herrn Syed auch wegen dieser gelagerten Waren, weil es der Ansicht war, dass der Begriff des „Anbietens“ von das Urheberrecht der Nebenkläger verletzenden Waren „zum Verkauf“ nicht nur die Waren erfasse, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in dem Ladenlokal von Herrn Syed befänden, sondern auch die identischen Waren in den Lagerräumen. Dagegen könnten die übrigen Waren in diesen Lagern nicht als zum Verkauf angeboten angesehen werden. Herr Syed wurde für alle diese Verstöße zu einer Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, und zu einer Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen verurteilt.

    13

    Das mit der Berufung befasste Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht Stockholm, Rechtsmittelgericht in Patent- und Markensachen, Schweden) befand, dass Herr Syed nur in Bezug auf die Waren in seinem Ladenlokal, nicht aber in Bezug auf die Waren in den Lagerräumen gegen das Gesetz (1960:729) verstoßen habe. Herr Syed habe diese Waren zwar zu dem Zweck gelagert, sie zu verkaufen. Jedoch könne nicht angenommen werden, dass sie zum Verkauf angeboten oder an die Öffentlichkeit verbreitet worden seien. Auch handele es sich bei der Aufbewahrung der Waren in den Lagern nicht um einen Versuch der Begehung oder die Vorbereitung eines Verstoßes gegen das Gesetz (1960:729). Die gegen Herrn Syed verhängte Strafe wurde auf eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen herabgesetzt.

    14

    Der Riksåklagare (Generalstaatsanwalt) beantragte vor dem Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden), dem vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache, Herrn Syed in Bezug auf dieselben Waren, hinsichtlich deren das Tingsrätt (Gericht erster Instanz) einen Verstoß gegen das Gesetz (1960:729) festgestellt hatte, zu verurteilen. Ferner beantragte er, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zur Vorabentscheidung vorzulegen.

    15

    Herr Syed machte vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass eine Verletzung des Verbreitungsrechts eines Urheberrechtsinhabers durch ein Verkaufsangebot nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ein aktives Tätigwerden gegenüber der Öffentlichkeit voraussetze, das auf die Übereignung jedes einzelnen Gegenstands gerichtet sein müsse. Der Einkauf und die Lagerung von Waren könne nicht als ein solches aktives Tätigwerden angesehen werden. Eine gegenteilige Auslegung würde den Bereich der strafrechtlichen Verantwortung unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit ausweiten.

    16

    Das vorlegende Gericht stellt fest, dass weder das Gesetz (1960:729) noch die Richtlinie 2001/29 ein ausdrückliches Verbot enthielten, mit einem urheberrechtlich geschützten Motiv versehene Waren, die zum Verkauf bestimmt seien, zu lagern. Ferner gehe aus dem Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca (C‑516/13, EU:C:2015:315), hervor, dass das in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 verankerte Verbreitungsrecht bereits durch dem Abschluss des Kaufvertrags vorausgehende Geschäfte oder Handlungen verletzt sein könne. Es stelle sich jedoch die Frage, ob jemand, der mit einem geschützten Motiv versehene Waren in einem Lager aufbewahre, diese zum Verkauf anbiete, wenn er in seinem Einzelhandelsgeschäft identische Waren zum Verkauf anbiete.

    17

    Unter diesen Umständen hat der Högsta domstol (Oberster Gerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Kann, wenn in einem Ladenlokal Waren mit geschützten Motiven rechtswidrig zum Verkauf angeboten werden, ein Verstoß gegen das ausschließliche Recht des Urhebers gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, die Verbreitung dieser Waren zu erlauben oder zu verbieten, auch in Bezug auf solche Waren mit identischen Motiven vorliegen, die sich in einem Lager der diese Waren anbietenden Person befinden?

    2.

    Kommt es dabei darauf an, ob die Waren in einem an das Ladenlokal angeschlossenen Lagerraum oder an einem anderen Ort gelagert werden?

    Zu den Vorlagefragen

    18

    Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Lagerung von Waren, die mit einem im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Lagerung urheberrechtlich geschützten Motiv versehen sind, durch einen Händler eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts des Urheberrechtsinhabers im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn dieser Händler in einem Ladenlokal ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers Waren zum Verkauf anbietet, die mit den ohne Zustimmung dieses Rechtsinhabers gelagerten Waren identisch sind. Das vorlegende Gericht möchte auch wissen, ob insoweit die Entfernung zwischen Lager- und Verkaufsort zu berücksichtigen ist.

    19

    Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 sehen die Mitgliedstaaten vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.

    20

    Es ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Verbreitung“ in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, da diese Richtlinie dazu dient, Verpflichtungen nachzukommen, die der Union u. a. nach dem WCT obliegen, und da nach ständiger Rechtsprechung Bestimmungen des Unionsrechts nach Möglichkeit im Licht des Völkerrechts auszulegen sind, insbesondere wenn mit ihnen ein von der Union geschlossener völkerrechtlicher Vertrag durchgeführt werden soll, im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 des WCT auszulegen ist (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    21

    Die Wendung „Verbreitung an die Öffentlichkeit … durch Verkauf“ in Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie ist daher gleichbedeutend mit der Formulierung „durch Verkauf … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ in Art. 6 Abs. 1 des WCT (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    22

    Unter Berücksichtigung dessen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Verbreitung an die Öffentlichkeit durch eine Reihe von Handlungen gekennzeichnet ist, die zumindest vom Abschluss eines Kaufvertrags bis zu dessen Erfüllung durch die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit reicht. Ein Händler ist daher für jede von ihm selbst oder für seine Rechnung vorgenommene Handlung verantwortlich, die zu einer Verbreitung an die Öffentlichkeit in einem Mitgliedstaat führt, in dem die in Verkehr gebrachten Waren urheberrechtlich geschützt sind (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    23

    Aus dieser Rechtsprechung und insbesondere aus dem vom Gerichtshof verwendeten Begriff „zumindest“ ergibt sich, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass dem Abschluss des Kaufvertrags vorangehende Geschäfte oder Handlungen ebenfalls unter den Begriff „Verbreitung“ fallen und ausschließlich den Inhabern des Urheberrechts vorbehalten sind (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 26).

    24

    Insoweit steht fest, dass eine Verbreitung an die Öffentlichkeit im Fall des Abschlusses einer Verkaufs- und Versendungsvereinbarung als gegeben anzunehmen ist. Dies gilt auch im Fall eines den Erklärenden bindenden Angebots zum Abschluss eines Kaufvertrags, da ein solches Angebot seinem Wesen nach eine dem Zustandekommen des Kaufgeschäfts vorgelagerte Handlung darstellt (Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 27).

    25

    Der Gerichtshof hat im Wesentlichen auch entschieden, das eine solche Handlung selbst dann eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellen kann, wenn auf diese Handlung nicht der Übergang des Eigentums an dem geschützten Werk oder seinen Vervielfältigungstücken folgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 32).

    26

    So kann eine dem Zustandekommen des Kaufgeschäfts über ein urheberrechtlich geschütztes Werk oder seine Vervielfältigungsstücke vorgelagerte Handlung, die ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers erfolgt und diesen Verkauf zustande bringen soll, eine Verletzung des Verbreitungsrechts im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 28).

    27

    Auch wenn eine Verletzung des Verbreitungsrechts nicht zwangsläufig das Zustandekommen des Kaufgeschäfts voraussetzt, ist insoweit doch nachzuweisen, dass die betreffenden Waren tatsächlich dazu bestimmt sind, ohne Zustimmung des Rechtsinhabers an die Öffentlichkeit verbreitet zu werden, und zwar insbesondere durch ein Verkaufsangebot in einem Mitgliedstaat, in dem das in Rede stehende Werk geschützt ist (vgl. entsprechend Urteil vom 13. Mai 2015, Dimensione Direct Sales und Labianca, C‑516/13, EU:C:2015:315, Rn. 29 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    28

    Im Ausgangsfall lagerte Herr Syed Waren mit urheberrechtlich geschützten Motiven und verkaufte in einem Ladenlokal identische Waren ohne Zustimmung der Urheberrechtsinhaber.

    29

    Es ist zu prüfen, ob eine solche Lagerung als eine dem Zustandekommen des Kaufgeschäfts vorgelagerte Handlung angesehen werden kann, die eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellen kann.

    30

    Hierzu ist festzustellen, dass die Lagerung von Waren mit urheberrechtlich geschützten Motiven als eine solche Handlung angesehen werden kann, wenn nachgewiesen wird, dass diese Waren tatsächlich dazu bestimmt sind, ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers an die Öffentlichkeit verkauft zu werden.

    31

    Insoweit kann der Umstand, dass jemand, der Waren mit urheberrechtlich geschützten Motiven ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in einem Ladenlokal verkauft, identische Waren lagert, ein Indiz dafür darstellen, dass die gelagerten Waren ebenfalls in diesem Ladenlokal verkauft werden sollen und diese Lagerung damit eine dem Zustandekommen des Kaufgeschäfts vorgelagerte Handlung darstellen kann, die das Verbreitungsrecht des Urheberrechtsinhabers verletzen kann.

    32

    Jedoch lässt sich allein daraus, dass die gelagerten Waren und die im Ladenlokal des Betroffenen verkauften Waren identisch sind, nicht schließen, dass die Lagerung eine Handlung darstellt, mit der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem diese Waren urheberrechtlich geschützt sind, ein Verkauf zustande gebracht werden soll.

    33

    Es lässt sich nicht ausschließen, dass alle oder ein Teil der unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens gelagerten Waren nicht zum Verkauf im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bestimmt sind, in dem das auf diesen Waren angebrachte Werk geschützt wird, auch wenn diese Waren mit denjenigen identisch sind, die in dem Ladenlokal des Händlers zum Verkauf angeboten werden.

    34

    In einem solchen Fall würde eine Herangehensweise, wie sie oben in Rn. 32 dargelegt ist, dazu führen, dass die tatsächliche Bestimmung der betroffenen Waren nicht berücksichtigt wird und dass alle gelagerten Waren gleich behandelt werden, obwohl sie grundsätzlich verschiedene Bestimmungen haben können.

    35

    Eine solche Herangehensweise würde daher darauf hinauslaufen, den durch das ausschließliche Verbreitungsrecht verliehenen Schutz über den vom Unionsgesetzgeber festgelegten Rahmen hinaus auszuweiten.

    36

    Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, im Licht der ihm vorliegenden Beweismittel zu prüfen, ob alle oder nur ein Teil der Waren, die mit den in dem fraglichen Ladenlokal verkauften Waren identisch sind, in diesem Ladenlokal vertrieben werden sollten.

    37

    Insoweit hält es der Gerichtshof für sachdienlich, die folgenden Hinweise zu geben.

    38

    Was die Feststellung der Bestimmung der fraglichen Waren betrifft, sind alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die dem Nachweis dienen können, dass diese Waren gelagert werden, um sie dann ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in dem Mitgliedstaat zu verkaufen, in dessen Hoheitsgebiet die auf den Waren angebrachten Motive urheberrechtlich geschützt sind.

    39

    Unter diesen Gesichtspunkten kann die Entfernung zwischen Lager- und Verkaufsort zwar ein Indiz dafür darstellen, dass die betreffenden Waren an diesem Verkaufsort verkauft werden sollen; dieses Indiz kann jedoch für sich allein nicht ausschlaggebend sein. Es kann allerdings im Rahmen einer konkreten Prüfung aller möglicherweise erheblichen Gesichtspunkte – wie z. B. die regelmäßige Belieferung des Ladenlokals mit Waren aus den in Rede stehenden Lagerstätten, Buchhaltungsbelege, das Umsatz- und Bestellvolumen im Verhältnis zum Volumen der gelagerten Waren und die laufenden Verkaufsverträge – berücksichtigt werden.

    40

    Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Lagerung von Waren, die mit einem im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Lagerung urheberrechtlich geschützten Motiv versehen sind, durch einen Händler eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn dieser Händler in einem Ladenlokal ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers Waren, die mit den gelagerten Waren identisch sind, zum Verkauf anbietet, sofern die gelagerten Waren tatsächlich zum Verkauf im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bestimmt sind, in dem dieses Motiv geschützt ist. Die Entfernung zwischen Lager- und Verkaufsort kann für die Feststellung, ob die gelagerten Waren zum Verkauf im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats bestimmt sind, für sich allein nicht ausschlaggebend sein.

    Kosten

    41

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die Lagerung von Waren, die mit einem im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Lagerung urheberrechtlich geschützten Motiv versehen sind, durch einen Händler eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn dieser Händler in einem Ladenlokal ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers Waren, die mit den gelagerten Waren identisch sind, zum Verkauf anbietet, sofern die gelagerten Waren tatsächlich zum Verkauf im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bestimmt sind, in dem dieses Motiv geschützt ist. Die Entfernung zwischen Lager- und Verkaufsort kann für die Feststellung, ob die gelagerten Waren zum Verkauf im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats bestimmt sind, für sich allein nicht ausschlaggebend sein.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Schwedisch.

    nach oben