Wählen Sie die experimentellen Funktionen, die Sie testen möchten.

Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62015CC0280

    Schlussanträge des Generalanwalts M. Wathelet vom 21. April 2016.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2016:293

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MELCHIOR WATHELET

    vom 21. April 2016 ( 1 )

    Rechtssache C‑280/15

    Irina Nikolajeva

    gegen

    OÜ Multi Protect

    (Vorabentscheidungsersuchen des Harju Maakohus [Gericht erster Instanz von Harju, Estland])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Gemeinschaftsmarke — Verordnung (EG) Nr. 207/2009 — Art. 9 Abs. 3 und Art. 102 Abs. 1 — Rechte aus der Marke — Rechtsstreit bei Verletzung — Pflicht der Gemeinschaftsmarkengerichte, eine Anordnung zu treffen, mit der die Fortsetzung von Verletzungshandlungen verboten wird — Fehlen eines Antrags auf eine solche Anordnung — Begriff ‚angemessene Entschädigung‘ für Handlungen, die nach der Veröffentlichung einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung und vor der Veröffentlichung der Eintragung einer solchen Marke vorgenommen werden“

    I – Einleitung

    1.

    Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen vom 2. Juni 2015, das vom Harju Maakohus (Gericht erster Instanz von Harju) am 10. Juni 2015 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingereicht worden ist, betrifft die Auslegung der Art. 9 Abs. 3 und 102 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke ( 2 ).

    2.

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Nikolajeva und der OÜ Multi Protect (im Folgenden: Multi Protect). Frau Nikolajeva beantragte beim vorlegenden Gericht, festzustellen, dass die Benutzung ihrer Marke HolzProf (Gemeinschaftsmarke Nr. 009053811) durch Multi Protect rechtswidrig sei, und Letztere zur Zahlung einer Entschädigung an sie zu verurteilen.

    II – Rechtlicher Rahmen

    A – Unionsrecht

    1. Verordnung Nr. 207/2009

    3.

    Art. 8 („Relative Eintragungshindernisse“) dieser Verordnung sieht vor:

    „(1)   Auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke ist die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen,

    a)

    wenn sie mit der älteren Marke identisch ist und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet worden ist, mit den Waren oder Dienstleistungen identisch sind, für die die ältere Marke Schutz genießt;

    b)

    wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

    …“

    4.

    Art. 9 („Recht aus der Gemeinschaftsmarke“) dieser Verordnung bestimmt:

    „(1)   Die Gemeinschaftsmarke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

    a)

    ein mit der Gemeinschaftsmarke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;

    b)

    ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der Gemeinschaftsmarke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Gemeinschaftsmarke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

    (2)   Sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,

    a)

    das Zeichen auf Waren oder deren Aufmachung anzubringen;

    b)

    unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

    c)

    Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;

    d)

    das Zeichen in den Geschäftspapieren und in der Werbung zu benutzen.

    (3)   Das Recht aus der Gemeinschaftsmarke kann Dritten erst nach der Veröffentlichung der Eintragung der Marke entgegengehalten werden. Jedoch kann eine angemessene Entschädigung für Handlungen verlangt werden, die nach Veröffentlichung der Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke vorgenommen werden und die nach Veröffentlichung der Eintragung aufgrund der Gemeinschaftsmarke verboten wären. Das angerufene Gericht darf bis zur Veröffentlichung der Eintragung keine Entscheidung in der Hauptsache treffen.“

    5.

    Art. 14 der Verordnung Nr. 207/2009 („Ergänzende Anwendung des einzelstaatlichen Rechts bei Verletzung“) lautet:

    „(1)   Die Wirkung der Gemeinschaftsmarke bestimmt sich ausschließlich nach dieser Verordnung. Im Übrigen unterliegt die Verletzung einer Gemeinschaftsmarke dem für die Verletzung nationaler Marken geltenden Recht gemäß den Bestimmungen des Titels X.

    (2)   Diese Verordnung lässt das Recht unberührt, Klagen betreffend eine Gemeinschaftsmarke auf innerstaatliche Rechtsvorschriften insbesondere über die zivilrechtliche Haftung und den unlauteren Wettbewerb zu stützen.

    (3)   Das anzuwendende Verfahrensrecht bestimmt sich nach den Vorschriften des Titels X.“

    6.

    Art. 41 („Widerspruch“) der Verordnung Nr. 207/2009 sieht vor:

    „(1)   Innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Veröffentlichung der Anmeldung der Gemeinschaftsmarke kann gegen die Eintragung der Gemeinschaftsmarke Widerspruch mit der Begründung erhoben werden, dass die Marke nach Artikel 8 von der Eintragung auszuschließen ist;

    …“

    7.

    Art. 101 („Anwendbares Recht“) der Verordnung lautet:

    „(1)   Die Gemeinschaftsmarkengerichte wenden die Vorschriften dieser Verordnung an.

    (2)   In allen Fragen, die nicht durch diese Verordnung erfasst werden, wenden die Gemeinschaftsmarkengerichte ihr nationales Recht einschließlich ihres internationalen Privatrechts an.

    (3)   Soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, wendet das Gemeinschaftsmarkengericht die Verfahrensvorschriften an, die in dem Mitgliedstaat, in dem es seinen Sitz hat, auf gleichartige Verfahren betreffend nationale Marken anwendbar sind.“

    8.

    Art. 102 („Sanktionen“) dieser Verordnung sieht vor:

    „(1)   Stellt ein Gemeinschaftsmarkengericht fest, dass der Beklagte eine Gemeinschaftsmarke verletzt hat oder zu verletzen droht, so verbietet es dem Beklagten, die Handlungen, die die Gemeinschaftsmarke verletzen oder zu verletzen drohen, fortzusetzen, sofern dem nicht besondere Gründe entgegenstehen. Es trifft ferner nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass dieses Verbot befolgt wird.

    (2)   In Bezug auf alle anderen Fragen wendet das Gemeinschaftsmarkengericht das Recht des Mitgliedstaats, einschließlich dessen internationalen Privatrechts, an, in dem die Verletzungshandlungen begangen worden sind oder drohen.“

    2. Richtlinie 2004/48/EG

    9.

    Art. 13 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. L 157, S. 45, und Berichtigung ABl. 2004, L 195, S. 16) bestimmt unter der Überschrift „Schadensersatz“:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat.

    Bei der Festsetzung des Schadensersatzes verfahren die Gerichte wie folgt:

    a)

    Sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber,

    oder

    b)

    sie können stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte.

    (2)   Für Fälle, in denen der Verletzer eine Verletzungshandlung vorgenommen hat, ohne dass er dies wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, können die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehen, dass die Gerichte die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung von Schadensersatz anordnen, dessen Höhe im Voraus festgesetzt werden kann.“

    B – Estnisches Recht

    10.

    § 8 Abs. 2 des Markengesetzes (kaubamärgiseadus) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Markengesetz) bestimmt:

    „Der rechtliche Schutz einer eingetragenen Marke beginnt mit dem Tag der Einreichung der Anmeldung der Marke … und besteht ab dem Tag der Eintragung für zehn Jahre. …“

    III – Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

    11.

    Am 24. April 2010 meldete Frau Nikolajeva beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an. Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das Wortzeichen „HolzProf“. Die Anmeldung wurde am 31. Mai 2010 veröffentlicht. Am 14. September 2010 wurde die Marke HolzProf eingetragen, und diese Eintragung wurde am 16. September 2010 veröffentlicht.

    12.

    Am 24. April 2010 schloss Frau Nikolajeva einen Lizenzvertrag, mit dem sie der OÜ Holz Prof das Nutzungsrecht an ihrer Marke einräumte. Die Höhe der monatlichen Gebühr wurde auf 1278 Euro festgelegt.

    13.

    Am 18. Juni 2013 erhob Frau Nikolajeva beim vorlegenden Gericht eine Klage gegen Multi Protect und stellte drei Anträge.

    14.

    Erstens stellte Frau Nikolajeva beim vorlegenden Gericht den Antrag, festzustellen, dass Multi Protect ihre Marke rechtswidrig benutzt habe. Multi Protect habe gegen Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 207/2009 verstoßen, weil sie ein mit ihrer Marke identisches Zeichen auf einer im Internet zugänglichen Website als sogenanntes verdecktes Schlagwort benutzt habe. Multi Protect habe das durch die Marke gewährte ausschließliche Recht im Zeitraum vom 3. Mai 2010 bis zum 28. Oktober 2011, also einem Zeitraum von 17 Monaten und 25 Tagen, verletzt.

    15.

    Zweitens forderte Frau Nikolajeva von Multi Protect nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung die Zahlung eines Betrags von 22791 Euro. Diese Summe wurde auf der Grundlage der im Lizenzvertrag mit der OÜ Holz Prof festgelegten Gebühr für die Dauer der behaupteten Verletzung berechnet ( 3 ).

    16.

    Drittens begehrte Frau Nikolajeva den Ersatz des immateriellen Schadens. Das wegen derselben Umstände durchgeführte Strafverfahren und die Anrufung des Gerichts hätten ihr psychische Beschwerden verursacht. Das Verhalten von Multi Protect habe eine Verschlechterung ihrer Gesundheit verursacht, mehrere Geschäftspartner hätten sich an sie gewandt, und mit dem Streit sei eine negative Aufmerksamkeit einhergegangen.

    17.

    Das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, ob es, wenn es entsprechend dem ersten Antrag von Frau Nikolajeva eine rechtswidrige Benutzung der in Rede stehenden Marke feststellen sollte, gemäß Art. 102 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 die Handlungen, die die Marke verletzten, verbieten müsste, obwohl Frau Nikolajeva dies nicht beantragt habe.

    18.

    Das vorlegende Gericht hat auch Zweifel, wann der von der Gemeinschaftsmarke gewährte Schutz wirksam wird. Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung Nr. 207/2009 könne das Recht aus der Gemeinschaftsmarke Dritten erst nach der Veröffentlichung der Eintragung der Marke entgegengehalten werden. Diese Bestimmung eröffne die Möglichkeit, eine angemessene Entschädigung für nach der Veröffentlichung der Gemeinschaftsmarkenanmeldung vorgenommene Handlungen zu verlangen, die nach Veröffentlichung der Eintragung aufgrund der Gemeinschaftsmarke verboten wären. Insoweit ist sich das vorlegende Gericht unsicher, ob nach den Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und 101 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 davon ausgegangen werden kann, dass die mit der Marke der Klägerin des Ausgangsverfahrens verbundenen Rechte in dem in § 8 Abs. 2 Satz 1 des Markengesetzes vorgesehenen Zeitpunkt, also mit der Einreichung der Markenanmeldung, wirksam werden.

    19.

    Darüber hinaus fragt sich das vorlegende Gericht, wie die Worte „angemessene Entschädigung“ in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009 auszulegen sind.

    20.

    Unter diesen Umständen hat der Harju Maakohus (Gericht erster Instanz von Harju) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Hat ein Gemeinschaftsmarkengericht die in Art. 102 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehene Anordnung auch dann zu treffen, wenn der Kläger dies mit seinen Ansprüchen nicht beantragt und die Parteien nicht behaupten, dass der Beklagte eine Gemeinschaftsmarke nach einem bestimmten Tag in der Vergangenheit verletzt hat oder zu verletzen droht, oder stellt es einen „besonderen Grund“ im Sinne von Satz 1 dieser Vorschrift dar, wenn ein Anspruch mit dem entsprechenden Inhalt nicht geltend gemacht und dieser Umstand nicht vorgetragen wird?

    2.

    Ist Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke von einem Dritten für die Benutzung eines mit der Marke identischen Zeichens in der Zeit von der Veröffentlichung der Anmeldung der Marke bis zur Veröffentlichung der Eintragung der Marke nur eine angemessene Entschädigung auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009 verlangen kann, nicht aber Ersatz für den gewöhnlichen Wert des durch die Verletzung Erlangten und den Schaden, und für die Zeit bis zur Veröffentlichung der Anmeldung der Marke auch kein Anspruch auf eine angemessene Entschädigung besteht?

    3.

    Welche Arten von Kosten und anderen Entschädigungen umfasst die angemessene Entschädigung auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009, und kann davon u. a. – und unter welchen Umständen – ein Ersatz des immateriellen Schadens des Markeninhabers umfasst werden?

    IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

    21.

    Multi Protect, die estnische und die griechische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass er ausreichend unterrichtet ist, um gemäß Art. 76 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

    V – Würdigung

    A – Vorbemerkungen

    22.

    Entsprechend der Bitte des Gerichtshofs sind die vorliegenden Schlussanträge auf die zweite und die dritte Vorlagefrage gerichtet. Ich halte es für zweckmäßig, diese beiden Fragen zusammen zu prüfen.

    B – Zur zweiten und zur dritten Vorlagefrage

    1. Die Schutzdauer

    23.

    Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wirft Frau Nikolajeva Multi Protect vor, während dreier Zeiträume das ausschließliche Recht aus ihrer Marke HolzProf verletzt zu haben.

    24.

    Der erste Zeitraum umfasse weniger als einen Monat. Er habe am 3. Mai 2010, also nach dem Tag der Markenanmeldung, begonnen, und bis zum 31. Mai 2010, also dem Tag der Veröffentlichung dieser Anmeldung, gedauert. Der zweite Zeitraum habe ungefähr dreieinhalb Monate umfasst und habe sich vom 1. Juni 2010 bis zum 16. September 2010, also von der Veröffentlichung der Markenanmeldung bis zur Veröffentlichung der Eintragung, erstreckt. Der dritte Zeitraum schließlich, der knapp über ein Jahr betrage, habe am 17. September 2010, im Anschluss an die Veröffentlichung der Eintragung der Marke, begonnen und am 28. Oktober 2011 geendet.

    25.

    Das vorlegende Gericht befragt den Gerichtshof zu dem Schutz, den eine Gemeinschaftsmarke ihrem Inhaber während der ersten beiden Zeiträume gewährt.

    26.

    Das Recht aus der Gemeinschaftsmarke ist in Art. 9 der Verordnung Nr. 207/2009 geregelt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift gewährt die Gemeinschaftsmarke ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Außerdem ist in Abs. 3 dieser Vorschrift unzweideutig vorgesehen, dass das Recht aus der Gemeinschaftsmarke Dritten erst nach der Veröffentlichung der Eintragung der Marke entgegengehalten werden kann.

    27.

    Daher kann eine Gemeinschaftsmarke wie HolzProf Dritten im ersten und im zweiten im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum nicht entgegengehalten werden. Außerdem kommen die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten ( 4 ) nach Art. 102 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen Sanktionen während dieser Zeiträume nicht zur Anwendung ( 5 ). Die fraglichen Sanktionen sind nämlich ausschließlich ab der Veröffentlichung der Eintragung der Gemeinschaftsmarke anzuwenden.

    28.

    Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 auch eine spezielle Regelung für den Schutz einer Gemeinschaftsmarke während des Zeitraums zwischen der Veröffentlichung der Anmeldung der Marke und der Veröffentlichung ihrer Eintragung vorsieht. Im Anschluss an die Veröffentlichung der Eintragung einer Gemeinschaftsmarke kann ein Gericht nämlich eine angemessene Entschädigung für Handlungen gewähren, die nach der Veröffentlichung der Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke vorgenommen wurden und die nach der Veröffentlichung der Eintragung aufgrund der Gemeinschaftsmarke verboten ( 6 ) wären.

    29.

    Daraus folgt, dass für den zweiten im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum eine angemessene Entschädigung verlangt werden kann, wenn während dieses Zeitraums ein Dritter ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr ein mit der Gemeinschaftsmarke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen benutzt, die mit denjenigen identisch sind, für die die Gemeinschaftsmarke eingetragen ist, oder ein Zeichen benutzt, bei dem wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der Gemeinschaftsmarke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Gemeinschaftsmarke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht ( 7 ).

    30.

    Aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 geht unzweideutig hervor, dass die nach dieser Bestimmung vorgesehene angemessene Entschädigung nicht auf Handlungen zur Anwendung kommt, die sich zwischen der Gemeinschaftsmarkenanmeldung ( 8 ) und der Veröffentlichung dieser Anmeldung, also während des ersten im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraums, ereignet haben.

    31.

    Diese Beurteilung wird meines Erachtens durch die Art. 14 Abs. 1 und 101 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 nicht in Frage gestellt.

    32.

    Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 sieht zwar vor, dass „die Verletzung einer Gemeinschaftsmarke dem für die Verletzung nationaler Marken geltenden Recht [unterliegt]“, bestimmt jedoch auch, dass sich die Wirkung der Gemeinschaftsmarke ausschließlich nach dieser Verordnung bestimmt. Die „Wirkung“ einer Marke ist nun aber untrennbar mit ihrer Schutzdauer verbunden.

    33.

    Insoweit ergibt sich aus Art. 9 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009, dass der EU-Gesetzgeber die Möglichkeit, eine Gemeinschaftsmarke einem Dritten vor der Veröffentlichung der Eintragung der Marke entgegenzuhalten, und den Anspruch auf eine angemessene Entschädigung vor der Veröffentlichung der Markenanmeldung bewusst ausgeschlossen hat.

    34.

    Da im Übrigen das Recht aus der Gemeinschaftsmarke, einschließlich seiner Schutzdauer, durch Art. 9 der Verordnung Nr. 207/2009 abschließend geregelt wird, gehören dieses Recht und seine Dauer nicht zu den Bereichen, auf die das innerstaatliche Recht gemäß Art. 101 Abs. 2 dieser Verordnung Anwendung findet, der nur für die Bereiche Vorsorge trifft, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 207/2009 fallen.

    35.

    Daher stehen Art. 9 Abs. 1 und 3, Art. 14 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 einer innerstaatlichen Bestimmung wie § 8 Abs. 2 des Markengesetzes, nach der „der rechtliche Schutz einer eingetragenen Marke … mit dem Tag der Einreichung der Anmeldung der Marke [beginnt]“, entgegen. Das in Anwendung dieser Bestimmung durch die Gemeinschaftsmarke gewährte Recht ginge nämlich über das hinaus, was nach der Verordnung Nr. 207/2009 zulässig ist.

    36.

    Die in Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehene angemessene Entschädigung kann nur für Handlungen verlangt werden, die nach der Veröffentlichung einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung vorgenommen werden.

    2. Angemessene Entschädigung

    37.

    Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof nach dem in Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 enthaltenen Begriff „angemessene Entschädigung“ ( 9 ). Diese Verordnung definiert die „angemessene Entschädigung“ nicht und legt die Modalitäten ihrer Berechnung nicht fest.

    38.

    Die Möglichkeit, nach der Veröffentlichung einer Anmeldung eine „angemessene Entschädigung“ zu verlangen, besteht auch auf dem Gebiet der Patente.

    39.

    Art. 67 Abs. 2 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen), unterzeichnet in München am 5. Oktober 1973, sieht nämlich vor, dass „[j]eder Vertragsstaat … vorsehen [kann], dass die europäische Patentanmeldung nicht den Schutz nach Artikel 64 gewährt. Der Schutz, der mit der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung verbunden ist, darf jedoch nicht geringer sein als der Schutz, der sich aufgrund des Rechts des betreffenden Staats aus der zwingend vorgeschriebenen Veröffentlichung der ungeprüften nationalen Patentanmeldungen ergibt. Zumindest hat jeder Vertragsstaat vorzusehen, dass der Anmelder für die Zeit von der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung an von demjenigen, der die Erfindung in diesem Vertragsstaat unter Voraussetzungen benutzt hat, die nach dem nationalen Recht im Fall der Verletzung eines nationalen Patents sein Verschulden begründen würden, eine den Umständen nach angemessene Entschädigung verlangen kann“ ( 10 ). Die Worte „angemessene Entschädigung“ werden auch dort nicht definiert ( 11 ).

    40.

    Außerdem sieht Art. 95 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. L 227, S. 1) vor, dass „[d]er Inhaber [eines gemeinschaftlichen Sortenschutzrechts] … von demjenigen, der in der Zeit zwischen der Bekanntmachung des Antrags auf gemeinschaftlichen Sortenschutz und dessen Erteilung eine Handlung vorgenommen hatte, die ihm nach diesem Zeitraum aufgrund des gemeinschaftlichen Sortenschutzes verboten wäre, eine angemessene Vergütung verlangen [kann]“ ( 12 ). Die Worte „angemessene Vergütung“ werden von der Verordnung Nr. 2100/94 ebenso wenig definiert ( 13 ).

    41.

    Im Übrigen verweist Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 im Gegensatz zu Art. 102 Abs. 2 dieser Verordnung, der die Verhängung von Sanktionen im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften ( 14 ) vorsieht, wenn der Beklagte eine Gemeinschaftsmarke verletzt hat oder zu verletzen droht, zur Ermittlung seines Inhalts und seines Umfangs nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten.

    42.

    Daher ergibt sich sowohl aus den Anforderungen an eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts als auch aus dem Gleichheitsgrundsatz, dass die Worte „angemessene Entschädigung“ in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung verfolgten Zwecks zu ermitteln ist ( 15 ).

    43.

    Aus Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 ergibt sich, dass eine Gemeinschaftsmarke einem Dritten zwar vor der Veröffentlichung ihrer Eintragung nicht entgegengehalten werden kann, dass sie aber trotz ihrer unvollkommenen Natur für den Zeitraum zwischen der Veröffentlichung ihrer Anmeldung und der Veröffentlichung ihrer Eintragung rechtlich geschützt ist ( 16 ). Aus der Wahl des Wortes „Entschädigung“ ist notwendigerweise zu schließen, dass es sich um eine finanzielle Entschädigung handeln muss. Somit sind andere Maßnahmen oder Verfahren wegen Verletzung des Rechts des geistigen Eigentums wie Anordnungen, der Rückruf aus den Vertriebswegen oder die Zerstörung von Waren, durch die das Recht verletzt wird, ausgeschlossen. Außerdem impliziert die Verwendung des Adjektivs „angemessen“, dass die geforderte finanzielle Entschädigung ausgewogen und verhältnismäßig sein muss, um das richtige Gleichgewicht zwischen den Rechten des Inhabers der entstehenden Gemeinschaftsmarke und denen ihres Benutzers zu wahren.

    44.

    Der Anspruch auf eine „angemessene Entschädigung“, der erst nach der Veröffentlichung der Eintragung einer Gemeinschaftsmarke geltend gemacht werden kann, gilt folglich für Gemeinschaftsmarken, die im Entstehen begriffen sind. Dieser Anspruch spiegelt die Tatsache wider, dass nach Ansicht des Unionsgesetzgebers mit der Veröffentlichung der Anmeldung ein Anwartschaftsrecht auf die Gemeinschaftsmarke entsteht und diese bereits ab diesem Zeitpunkt schützenswert ist.

    45.

    Hierzu sei darauf hingewiesen, dass nach Art. 39 der Verordnung Nr. 207/2009 die Veröffentlichung der Eintragung einer Gemeinschaftsmarke voraussetzt, dass alle in dieser Verordnung und in der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke ( 17 ) für eine Markenanmeldung vorgesehenen Formvorschriften eingehalten wurden und dass dieser Marke keine absoluten Eintragungshindernisse nach Art. 7 der Verordnung Nr. 207/2009 entgegenstehen ( 18 ). Außerdem wird gemäß Art. 45 der Verordnung Nr. 207/2009 ( 19 ) eine Marke nach der Veröffentlichung einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung zwangsläufig eingetragen und die Eintragung veröffentlicht, sofern nicht im Wege eines Widerspruchs relative Eintragungshindernisse im Sinne von Art. 8 dieser Verordnung geltend gemacht werden ( 20 ).

    46.

    Aus alledem ergibt sich, dass zwischen den Anforderungen, die vor der Veröffentlichung einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung und denen, die vor der Veröffentlichung der Eintragung der Marke erfüllt sein müssen, große Übereinstimmungen bestehen. Folglich weist der Anspruch auf eine „angemessene Entschädigung“, der dem Inhaber einer Gemeinschaftsmarke zwischen der Veröffentlichung seiner Markenanmeldung und der Veröffentlichung der Eintragung dieser Marke zusteht, große Ähnlichkeit mit dem Anspruch auf, der ihm mit der Veröffentlichung der Eintragung der Marke gewährt werden wird ( 21 ), mag er auch von geringerem Umfang sein ( 22 ). Daraus folgt, dass, um den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht zu werden, die finanzielle Entschädigung oder die „angemessene Entschädigung“ weniger belastend oder hart sein muss als die, die im Fall einer Verletzung einer Gemeinschaftsmarke nach der Veröffentlichung der Eintragung der Marke gewährt wird ( 23 ) ( 24 ).

    47.

    Art. 13 der Richtlinie 2004/48 schreibt Mindestentschädigungszahlungen vor, die im innerstaatlichen Recht für den Fall einer Verletzung von in gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und/oder dem innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Rechten des geistigen Eigentums vorzusehen sind. Zwar finden die gemäß der Richtlinie 2004/48 harmonisierten Vorschriften des innerstaatlichen Rechts nur auf Verletzungen einer Gemeinschaftsmarke Anwendung, die nach der Veröffentlichung der Eintragung der Marke, also während des dritten im Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraums, erfolgen; Art. 13 dieser Richtlinie könnte allerdings einige nützliche Hinweise für die Definition der Worte „angemessene Entschädigung“ liefern.

    48.

    Hierzu unterscheidet dieser Artikel klar zwischen vorsätzlichen und nicht vorsätzlichen Rechtsverletzungen und verlangt, dass für vorsätzliche Verletzungshandlungen schwerwiegendere finanzielle Entschädigungen vorgesehen werden. Wird die Verletzung als vorsätzlich angesehen, hat der Rechtsverletzer dem Rechtsinhaber angemessenen Ersatz des Schadens zu leisten, den dieser wegen der Rechtsverletzung tatsächlich erlitten hat ( 25 ). Diese Bestimmung setzt eine vollumfängliche Entschädigung jedes verursachten Schadens voraus, was meines Erachtens einen immateriellen Schaden einschließt, sofern dieser bewiesen ist ( 26 ).

    49.

    Wird der Schaden hingegen nicht als vorsätzlich angesehen, können die Gerichte nur die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung von Schadensersatz anordnen, dessen Höhe im Voraus festgesetzt werden kann ( 27 ).

    50.

    Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 unterscheidet nicht zwischen vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Rechtsverletzungen ( 28 ), sondern beruht auf der Grundidee, dass die Veröffentlichung der Gemeinschaftsmarkenanmeldung der Öffentlichkeit zur Kenntnis bringt, dass die Eintragung der Anmeldemarke unmittelbar bevorstehen und eine angemessene Entschädigung für die Benutzung der noch nicht eingetragenen Marke anfallen kann.

    51.

    Da die „angemessene Entschädigung“ nach Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 eine weniger belastende oder harte finanzielle Entschädigung darstellen sollte als die, die im Fall einer Verletzung einer eingetragenen Marke verhängt wird, ist meines Erachtens die Angemessenheit der nach Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 für nicht vorsätzliche Verletzungshandlungen vorgesehenen finanziellen Entschädigungen zu prüfen.

    52.

    Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 sieht für Verletzungshandlungen zwei Arten von finanziellen Entschädigungen vor, nämlich „die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung von Schadensersatz …, dessen Höhe im Voraus festgesetzt werden kann“.

    53.

    Eine finanzielle Entschädigung, die die „Zahlung von Schadensersatz [vorsieht], dessen Höhe im Voraus festgesetzt werden kann“, bedarf einer Konkretisierung seitens des nationalen Gesetzgebers und wäre daher im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Worte „angemessene Entschädigung“ autonom und einheitlich auszulegen, ungeeignet.

    54.

    Die in Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 vorgesehene „Herausgabe der Gewinne“ hingegen ist meines Erachtens eine einheitliche und vorhersehbare finanzielle Entschädigung, die den Besonderheiten jedes Falles Rechnung trägt. Außerdem wäre diese finanzielle Entschädigung meiner Ansicht nach angemessen, weil sie darauf abzielt, den nach der Veröffentlichung der Markenanmeldung erlangten ungerechtfertigten Vorteil ( 29 ) abzuschöpfen. Eine solche finanzielle Entschädigung, die den vom fraglichen Benutzer zu Unrecht erzielten Gewinnen entspricht, wäre daher im Verhältnis zur Verletzung der (im Entstehen befindlichen) Marke angemessen und könnte auch von anderen ähnlichen Verletzungen abhalten ( 30 ).

    55.

    Im Gegensatz zu Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 sieht Art. 2 dieses Artikels nicht den Ersatz des immateriellen Schadens vor. Ich habe den Eindruck, dass diese Auslassung vom europäischen Gesetzgeber gewollt war, und sie spiegelt den Umstand wider, dass sich Art. 13 Abs. 2 dieser Richtlinie auf weniger vorwerfbare Verletzungshandlungen bezieht, für die diese Richtlinie keine vollumfängliche Entschädigung vorschreibt. Es sei darauf hingewiesen, dass Frau Nikolajeva mit ihrem dritten Antrag den Ersatz des nicht vermögenswerten Schadens, also eine Entschädigung für den immateriellen Schaden, begehrt. Meiner Ansicht nach umfasst eine „angemessene Entschädigung“ diese Art von Schaden nicht. Eine solche Entschädigung wäre in einem Zeitpunkt, in dem sich die Gemeinschaftsmarke noch im Stadium des Erwerbs befindet, unverhältnismäßig.

    VI – Ergebnis

    56.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite und die dritte der vom Harju Maakohus (Gericht erster Instanz von Harju) vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

    1.

    Art. 9 Abs. 1 und 3, Art. 14 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke stehen einer nationalen Regelung entgegen, nach der eine eingetragene Marke ab dem Tag der Einreichung der Anmeldung rechtlich geschützt ist.

    2.

    Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 ist dahin auszulegen, dass nach dieser Bestimmung eine angemessene Entschädigung nicht für Handlungen verlangt werden kann, die vor Veröffentlichung der Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke vorgenommen werden.

    3.

    Die in Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 enthaltene Wendung „angemessene Entschädigung“ ist dahin auszulegen, dass die Herausgabe der Gewinne für Handlungen verlangt werden kann, die nach Veröffentlichung der Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke vorgenommen werden und die nach der Veröffentlichung der Eintragung der Marke aufgrund der Gemeinschaftsmarke verboten wären. Die Wendung „angemessene Entschädigung“ schließt den immateriellen Schaden aus.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) ABl. L 78, S. 1.

    ( 3 ) Nämlich 22791 Euro (17 Monate × 1278 + 25 Tage × [1278 : 30]).

    ( 4 ) Mit der Richtlinie 2004/48 werden die im nationalen Recht in Fällen von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums anwendbaren Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe harmonisiert. Gemäß dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 „sollen [die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in diesem Bereich] einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt“ zu gewährleisten. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 sieht vor, dass „[u]nbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten, die für die Rechtsinhaber günstiger sind, … die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe … auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die im Gemeinschaftsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung [finden]“. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht darauf abzielen, alle Aspekte im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums zu regeln, sondern nur diejenigen, die zum einen eng mit der Durchsetzung dieser Rechte verbunden sind und zum anderen Verletzungen dieser Rechte betreffen, indem sie das Vorhandensein wirksamer Rechtsbehelfe vorschreiben, die dazu bestimmt sind, jede Verletzung eines bestehenden Rechts des geistigen Eigentums zu verhüten, abzustellen oder zu beheben (vgl. Urteil Diageo Brands, C‑681/13, EU:C:2015:471, Rn. 73). Daraus folgt, dass diese Richtlinie zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Unterschiede im Hinblick auf die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe in Fällen von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums fortbestehen lässt (vgl. beispielsweise Art. 13 der Richtlinie 2004/48, der eine ganze Bandbreite finanzieller Entschädigungen vorsieht, die von den Mitgliedstaaten gewählt werden können).

    ( 5 ) Daher sind meiner Ansicht nach die von der Richtlinie 2004/48 vorgesehenen Abhilfemaßnahmen (Art. 10), gerichtlichen Anordnungen (Art. 11) und der Schadensersatz (Art. 13) vor der Veröffentlichung der Eintragung der Marke nicht anwendbar.

    ( 6 ) Zu einer nicht abschließenden Liste von Verboten vgl. Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009.

    ( 7 ) Vgl. in diesem Sinne Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 207/2009.

    ( 8 ) Der Tag der Einreichung der Gemeinschaftsmarkenanmeldung ist allerdings nicht unerheblich. Er ist sogar von größter Bedeutung für die Anwendung der Vorschriften über die Priorität der Marken. Vgl. insbesondere Titel III Abschnitt 2 („Priorität“) der Verordnung Nr. 207/2009.

    ( 9 ) Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach seinem nationalen Recht der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke „von einem Dritten, der das in Art. 9 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 207/2009 beschriebene ausschließliche Recht verletzt, zumindest für die Zeit ab der Veröffentlichung der Eintragung der Marke Ersatz des Vermögensschadens, darunter Ersatz des entgangenen Gewinns, sowie Ersatz des immateriellen Schadens, aber auch Herausgabe des gewöhnlichen Wertes des durch die Verletzung Erlangten und unter bestimmten Umständen des Gewinns aus dem mit der Verletzung Erlangten fordern [kann]. [Außerdem] obliegt dem Verletzer, der nicht wusste oder hätte wissen müssen, dass er nicht berechtigt war, die Verpflichtung zum Ersatz des rechtsgrundlos Erlangten insoweit nicht, als er zu der Zeit, in der er von dem gegen ihn erhobenen Anspruch Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, nicht mehr im Umfang des Wertes des durch die Verletzung Erlangten bereichert ist.“ Das vorlegende Gericht „hält eine Auslegung dahin gehend für möglich, dass die angemessene Entschädigung im Sinne von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009 entsprechend der Logik der Verordnung geringere Ansprüche umfasst als der bei einer späteren Verletzung der Abs. 1 und 2 desselben Artikels vorgesehene rechtliche Schutz“.

    ( 10 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 11 ) Vgl. entsprechend auch Art. 32 Abs. 1 Buchst. f des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (ABl. 2013, C 175, S. 1), wonach das mit dem Übereinkommen geschaffene Einheitliche Patentgericht die ausschließliche Zuständigkeit für „Klagen auf Schadenersatz oder auf Entschädigung aufgrund des vorläufigen Schutzes, den eine veröffentlichte Anmeldung eines europäischen Patents gewährt“, besitzt.

    ( 12 ) Hervorhebung nur hier. Es sei darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof die in den Art. 14 und 94 der Verordnung Nr. 2100/94 verwendete Wendung „angemessene Vergütung“ im Urteil Geistbeck (C‑509/10, EU:C:2012:416) ausgelegt hat. Allerdings lässt sich diese Auslegung in Anbetracht der Tatsache, dass der Gerichtshof den Begriff „angemessene Vergütung“ im Fall der ungerechtfertigten Nutzung einer geschützten Sorte ausgelegt hat, meines Erachtens nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, weil Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 Fallkonstellationen, in denen es zu einer Rechtsverletzung kommt, nicht betrifft.

    ( 13 ) In Anbetracht des Umstands, dass die Worte „angemessene Entschädigung“ und andere vergleichbare Wendungen in mehreren Texten mit Bezug zum geistigen Eigentum verwendet werden, könnte die Entscheidung des Gerichtshofs in der vorliegenden Rechtssache Folgen haben, die über ihre Grenzen hinausgehen werden.

    ( 14 ) Insoweit bin ich der Ansicht, dass das nationale Recht dem in der Richtlinie Nr. 2004/48 vorgesehenen Mindestschutzniveau genügen muss. Außerdem ist daran zu erinnern, dass den Rechtsinhabern gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie nach dem innerstaatlichen Recht „Instrumente“ zur Verfügung stehen können, die für sie günstiger sind als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe.

    ( 15 ) Vgl. Urteil Nokia (C‑316/05, EU:C:2006:789, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 16 ) Vgl. Urteil Imagination Technologies/HABM (C‑542/07 P, EU:C:2009:362, Rn. 57).

    ( 17 ) ABl. L 303, S. 1.

    ( 18 ) Art. 7 der Verordnung Nr. 207/2009 enthält eine lange Liste absoluter Eintragungshindernisse. So kann etwa eine Marke nicht eingetragen werden, wenn sie keine Unterscheidungskraft hat, wenn sie gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstößt oder wenn sie geeignet ist, das Publikum zu täuschen.

    ( 19 ) Art. 45 der Verordnung Nr. 207/2009 sieht vor, dass, wenn „die Anmeldung den Vorschriften dieser Verordnung [entspricht] und … innerhalb der Frist [von drei Monaten nach der Veröffentlichung der Anmeldung der Gemeinschaftsmarke] kein Widerspruch erhoben oder … ein Widerspruch rechtskräftig zurückgewiesen [wurde], … die Marke als Gemeinschaftsmarke eingetragen [wird]“. Vgl. auch Regel 23 („Eintragung der Marke“) der Verordnung Nr. 2868/95, nach der die Anmeldemarke im Register für Gemeinschaftsmarken eingetragen wird, wenn „kein Widerspruch erhoben worden [ist] oder … sich ein erhobener Widerspruch durch Zurücknahme, Zurückweisung oder auf andere Weise endgültig erledigt [hat]“. Der zweite im Ausgangsverfahren maßgebliche Zeitraum betrug ungefähr drei Monate. Außerdem enthält die dem Gerichtshof vorliegende Akte keine Anhaltspunkte dafür, dass gegen die Marke HolzProf Widerspruch eingelegt worden wäre.

    ( 20 ) Art. 8 der Verordnung Nr. 207/2009 sieht vor: „Auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke ist die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen, … wenn sie mit der älteren Marke identisch ist und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet worden ist, mit den Waren oder Dienstleistungen identisch sind, für die die ältere Marke Schutz genießt; … wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird“. Es sei darauf hingewiesen, dass gemäß Art. 8 und 41 der Verordnung Nr. 207/2009 das Recht zum Widerspruch gegen die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke nur den Inhabern von Marken und den von den Markeninhabern ermächtigten Lizenznehmern offensteht.

    ( 21 ) Zumal die von Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 genannten Handlungen die gleichen sind, die nach der Veröffentlichung der Eintragung verboten sind.

    ( 22 ) Vgl. im Gegenteil dazu Art. 67 Abs. 1 des Europäischen Patentübereinkommens, wonach „[d]ie europäische Patentanmeldung … dem Anmelder vom Tag ihrer Veröffentlichung an in den benannten Vertragsstaaten einstweilen den Schutz nach Artikel 64 [gewährt]“, d. h. dieselben Rechte, die ihm ein in diesem Staat erteiltes nationales Patent gewährt.

    ( 23 ) Dies ist auch der Standpunkt von Multi Protect, der Republik Estland und der Hellenischen Republik, die der Ansicht sind, dass der Begriff „angemessene Entschädigung“ in Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 ein eingeschränkteres Spektrum von Ansprüchen umfassen müsse als der rechtliche Schutz, der für den Fall einer Verletzung bereits eingetragener Marken vorgesehen ist. Sie meinen auch, dass der Ersatz des immateriellen Schadens nicht unter diese Bestimmung falle. Multi Protect zufolge „sind zur Bestimmung der genauen Reichweite der angemessenen Entschädigung die folgenden Gesichtspunkte zu prüfen und einander gegenüberzustellen: a) Welchen vermögenswerten Vorteil hat der Urheber der Verletzungshandlungen erlangt? … b) Welche vergleichbaren Lizenzverträge werden üblicherweise auf dem Markt benutzt? c) Wie hoch wären die ‚Kosten‘ für den Urheber der Verletzungshandlungen für eine Lösung, die es ihm ermöglicht hätte, das gewünschte Ergebnis zu erzielen, ohne das mit der Anmeldemarke identische oder ähnliche Zeichen zu benutzen?“.

    ( 24 ) Die Kommission hingegen ist der Ansicht, dass „es im Fall einer von Art. 9 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 erfassten Verletzung nicht als gerechtfertigt angesehen werden kann, wenn der Schutz schwächer wäre als im Fall einer der von den Abs. 1 und 2 erfassten späteren Verletzungshandlungen. Die Auswirkung, die die Verletzung auf den Inhaber hat, ist dieselbe, ob sie nun zwischen der Veröffentlichung des Antrags auf Eintragung oder nach der Veröffentlichung der Eintragung erfolgt. Es besteht kein Grund dafür, warum ein Verletzer während des der Eintragung vorangehenden Zeitraums besser gestellt sein sollte.“ Ich teile diese Auffassung nicht, denn wieso sollte Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 dann zwischen den beiden Zeiträumen unterscheiden?

    ( 25 ) Vgl. Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie.

    ( 26 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Liffers (C‑99/15, EU:C:2015:768, Nr. 28).

    ( 27 ) Vgl. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48.

    ( 28 ) Diese Bestimmung schreibt meines Erachtens die Zahlung einer angemessenen Entschädigung selbst für den Fall einer Verletzung einer Gemeinschaftsmarke in Unkenntnis des Bestehens der Veröffentlichung einer Markenanmeldung vor.

    ( 29 ) Durch den Benutzer der angemeldeten, aber noch nicht eingetragenen Marke.

    ( 30 ) Ich halte es selbst im Fall einer Unkenntnis von der Veröffentlichung der Markenanmeldung (einer nicht vorsätzlichen Verletzung) nicht für unverhältnismäßig, gemäß Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 die Rückzahlung der Gewinne anzuordnen, weil jede andere Maßnahme oder jedes andere Verfahren für den Fall einer Verletzung des Rechts des geistigen Eigentums nach Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 ausgeschlossen ist (keine Möglichkeit, die Marke vor der Veröffentlichung der Eintragung Dritten entgegenzuhalten). Vgl. auch Nr. 43 der vorliegenden Schlussanträge.

    nach oben