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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62015CJ0058

    Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 23. Dezember 2015.
    Firma Theodor Pfister gegen Landkreis Main-Spessart.
    Vorabentscheidungsersuchen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft – Hygieneuntersuchungen – Amtliche Kontrollen von Lebens- und Futtermitteln – Finanzierung der Kontrollen – Kosten für Untersuchungen im Zusammenhang mit Schlachttätigkeiten – Verordnung (EG) Nr. 882/2004 – Richtlinie 85/73/EWG – Möglichkeit der Erhebung eines Betrags, der die tatsächlichen Kosten der Untersuchungen deckt und höher ist als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Gebühren.
    Rechtssache C-58/15.

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2015:849

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

    23. Dezember 2015(*)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft – Hygieneuntersuchungen – Amtliche Kontrollen von Lebens- und Futtermitteln – Finanzierung der Kontrollen – Kosten für Untersuchungen im Zusammenhang mit Schlachttätigkeiten – Verordnung (EG) Nr. 882/2004 – Richtlinie 85/73/EWG – Möglichkeit der Erhebung eines Betrags, der die tatsächlichen Kosten der Untersuchungen deckt und höher ist als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Gebühren“

    In der Rechtssache C‑58/15

    betreffend ein Ersuchen um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. Januar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Februar 2015, in dem Verfahren

    Firma Theodor Pfister

    gegen

    Landkreis Main-Spessart

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) und S. Rodin,

    Generalanwalt: H. S. Øe,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    –        der Firma Theodor Pfister, vertreten durch Rechtsanwalt M. Stephani,

    –        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. von Rintelen und D. Bianchi als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. L 165, S. 1, berichtigt im ABl. L 191, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 882/2004).

    2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Firma Theodor Pfister (im Folgenden: Pfister) und dem Landkreis Main-Spessart über Gebühren, die der Landkreis für Hygieneuntersuchungen erhoben hat, die von ihm im Jahr 2007 in der Metzgerei von Pfister durchgeführt wurden.

     Rechtlicher Rahmen

     Unionsrecht

     Richtlinie 85/73

    3        Art. 1 der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen nach den Richtlinien 89/662/EWG, 90/425/EWG, 90/675/EWG und 91/496/EWG (ABl. L 32, S. 14) in der durch die Richtlinie 97/79/EG des Rates vom 18. Dezember 1997 (ABl. 1998, L 24, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 85/73) lautet:

    „Die Mitgliedstaaten tragen nach Maßgabe des Anhangs A dafür Sorge, dass für die Kosten, die durch die Untersuchungen und Kontrollen der Erzeugnisse im Sinne des vorgenannten Anhangs einschließlich derjenigen zur Gewährleistung des Schutzes der Tiere in den Schlachthöfen im Einklang mit den Anforderungen der Richtlinie 93/119/EWG entstehen, eine Gemeinschaftsgebühr erhoben wird.“

    4        Art. 2 der Richtlinie 85/73 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten tragen nach Maßgabe des Anhangs B dafür Sorge, dass für die Kosten, die durch die Untersuchungen und Kontrollen im Sinne der Richtlinie 96/23/EG entstehen, eine Gemeinschaftsgebühr erhoben wird.“

    5        Art. 3 dieser Richtlinie sieht vor:

    „Die Mitgliedstaaten tragen nach Maßgabe des Anhangs C dafür Sorge, dass für die Kosten, die durch die Untersuchungen und Kontrollen von lebenden Tieren im Sinne des vorgenannten Anhangs entstehen, eine Gemeinschaftsgebühr erhoben wird.“

    6        In Art. 5 der Richtlinie heißt es:

    „(1)      Die Gemeinschaftsgebühren werden in der Weise festgelegt, dass sie folgende Kosten decken, die die zuständige Behörde bei der Durchführung der Kontrollen und Untersuchungen im Sinne der Artikel 1, 2 und 3 zu tragen hat:

    –        Löhne und Sozialabgaben der Untersuchungsstelle;

    –        durch die Durchführung der Untersuchungen und Kontrollen entstehende Verwaltungskosten, denen noch die Kosten der Fortbildung des Untersuchungspersonals hinzugerechnet werden können.

    (3)      Die Mitgliedstaaten können einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet.

    …“

    7        Anhang A Kapitel I Nr. 4 der Richtlinie sieht vor:

    „Die Mitgliedstaaten können zur Deckung höherer Kosten

    a)      die unter Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe a) vorgesehenen Pauschalbeträge für bestimmte Betriebe anheben …

    b)      oder eine Gebühr erheben, die die tatsächlichen Kosten deckt.“

     Verordnung Nr. 882/2004

    8        Im 32. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 882/2004 heißt es:

    „Für die Durchführung amtlicher Kontrollen sollten ausreichende Finanzmittel bereitgestellt werden. Daher sollten die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Gebühren oder Kostenbeiträge zur Deckung der Kosten erheben können, die durch die amtlichen Kontrollen entstehen. Dabei steht es den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten frei, die Gebühren und Kostenbeiträge auf der Grundlage der entstandenen Kosten und unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten als Pauschalbeträge festzulegen. …“

    9        Art. 26 („Allgemeiner Grundsatz“) dieser Verordnung lautet:

    „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass angemessene finanzielle Mittel für die amtlichen Kontrollen verfügbar sind, und zwar aus beliebigen Mitteln, die sie für angemessen halten, einschließlich einer allgemeinen Besteuerung oder der Einführung von Gebühren oder Kostenbeiträgen, damit die erforderlichen personellen und sonstigen Mittel bereitgestellt werden können.“

    10      In Art. 27 Abs. 1 und 3 der Verordnung heißt es:

    „(1)      Die Mitgliedstaaten können Gebühren oder Kostenbeiträge zur Deckung der Kosten erheben, die durch die amtlichen Kontrollen entstehen.

    (3)      Unbeschadet der Absätze 4 und 6 dürfen die Gebühren, die in Verbindung mit den in Anhang IV Abschnitt A und Anhang V Abschnitt A genannten konkreten Tätigkeiten erhoben werden, nicht niedriger sein als die in Anhang IV Abschnitt B und Anhang V Abschnitt B angegebenen Mindestbeträge. Während eines Übergangszeitraums bis zum 1. Januar 2008 können die Mitgliedstaaten bezüglich der in Anhang IV Abschnitt A genannten Tätigkeiten jedoch weiterhin die nach der Richtlinie 85/73/EWG geltenden Beträge erheben.

    …“

    11      Art. 67 der Verordnung Nr. 882/2004 bestimmt:

    „Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

    Sie gilt ab dem 1. Januar 2006.

    Die Artikel 27 und 28 gelten jedoch erst ab dem 1. Januar 2007.“

     Deutsches Recht

    12      § 24 des Fleischhygienegesetzes (FlHG), aufgehoben mit Wirkung vom 7. September 2005, bestimmt:

    „(1)      Für die Amtshandlungen nach diesem Gesetz und den zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften werden kostendeckende Gebühren und Auslagen erhoben. Dies gilt auch für Amtshandlungen nach unmittelbar geltenden Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich dieses Gesetzes.

    (2)      Die nach Absatz 1 kostenpflichtigen Tatbestände werden durch Landesrecht bestimmt. Die Gebühren werden nach Maßgabe der von der Europäischen Gemeinschaft erlassenen Rechtsakte über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von Fleisch bemessen. …“

    13      Art. 3 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Fleischhygienegesetzes, das bis 31. Dezember 2007 galt, bestimmt:

    „(1)      Die Landkreise, kreisfreien Gemeinden und kreisangehörigen Gemeinden tragen die Aufwendungen, die in Erfüllung der Aufgaben anfallen, die ihnen durch eine Verordnung auf Grund von Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 übertragen wurden.

    (2)      In den Fällen des Absatzes 1 bestimmen die Landkreise, kreisfreien Gemeinden und kreisangehörigen Gemeinden durch Satzung für ihr Gebiet einheitlich die kostenpflichtigen Tatbestände für Amtshandlungen im Sinn von § 24 Abs. 1 FlHG sowie für ihr Gebiet einheitlich und gesondert von den Gebühren für die Schlachthofbenutzung und die Tierkörperbeseitigung die Gebühren gemäß § 24 Abs. 2 FlHG nach Maßgabe der Richtlinie 85/73/EWG. Dabei

    a)      ist für Untersuchungen im Zusammenhang mit Schlachttätigkeiten abweichend von den in Anhang A Kapitel I Ziffer 1 genannten Pauschalbeträgen eine kostendeckende Gebühr nach Maßgabe des Anhangs A Kapitel I festzusetzen;

    b)      ist für Untersuchungen und Kontrollen im Zusammenhang mit der Zerlegung eine zeitbezogene Gebühr nach Maßgabe des Anhangs A Kapitel I Ziffer 2 Buchst. b der Richtlinie 85/73/EWG festzusetzen;

    c)      ist für Rückstandsuntersuchungen zusätzlich eine Gebühr nach Maßgabe des Anhangs B Ziffer 1 Buchst. a der Richtlinie 85/73/EWG festzusetzen.

    Soweit die Richtlinie 85/73/EWG für kostenpflichtige Tatbestände keine Gemeinschaftsgebühr festlegt, sind kostendeckende Gebühren festzusetzen. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kostengesetzes mit Ausnahme der Art. 1, 3 bis 6 und 20 gelten entsprechend, soweit sich aus der Richtlinie 85/73/EWG nichts anderes ergibt.“

    14      § 1 („Kostenpflichtige Tatbestände“) der Satzung des Landkreises Main-Spessart über die Erhebung von Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen im Vollzug fleischhygienerechtlicher Vorschriften vom 10. Oktober 2005 sieht vor:

    „(1)      Für die Amtshandlungen nach dem Fleischhygienegesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) nach dieser Satzung erhoben.

    (2)      Eine Gebührenpflicht besteht für

    a)      die Durchführung der amtlichen Untersuchungen (…, Fleischuntersuchungen …);

    b)      die Kontrollen in Zerlegungs‑, Fleischverarbeitungs‑, Hackfleisch‑, Fleischzubereitungs- und Umpackbetrieben …;

    (3)      Die Höhe der Gebühren aus den in Abs. 2 genannten Tatbeständen ergibt sich aus den §§ 2 bis 9, aus § 11 Abs. 1 und aus den Anlagen, die Bestandteil der Satzung sind.“

    15      § 2 („Gebühr für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung“) dieser Satzung bestimmt:

    „Die Gebühren in Schlachtbetrieben für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung … sind nach Anhang A Kapitel I Nr. 4b der Richtlinie 85/73/EWG … kostendeckend zu erheben.“

     Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    16      Der Landkreis Main-Spessart führte im Jahr 2007 in der Metzgerei von Pfister monatliche Untersuchungen durch. Für diese Untersuchungen, die sich auf Fleisch bezogen, wurden Pfister vom Landkreis mit mehreren Bescheiden Gebühren in Höhe von insgesamt 6 756,60 Euro auferlegt.

    17      Nachdem die von Pfister gegen diese Bescheide eingelegten Widersprüche von der Regierung von Unterfranken mit Entscheidung vom 6. Februar 2009 zurückgewiesen worden waren, erhob dieses Unternehmen beim Verwaltungsgericht Würzburg Anfechtungsklage.

    18      Das Verwaltungsgericht Würzburg wies die Klage von Pfister mit Urteil vom 18. Januar 2010 ab, woraufhin Pfister beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Berufung einlegte.

    19      Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weist darauf hin, dass das Verwaltungsgericht Trier in einer vergleichbaren Rechtssache am 10. Dezember 2009 ein Urteil erlassen habe, das die Auffassung von Pfister bestätige, wonach die Erhebung von Gebühren, die die tatsächlichen Kosten der im Jahr 2007 durchgeführten Hygieneuntersuchungen deckten, gegen die Verordnung Nr. 882/2004 verstoße. In diesem Urteil werde ausgeführt, dass der Wortlaut der deutschen Sprachfassung von Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004 es erlaube, für Hygieneuntersuchungen die „nach der Richtlinie 85/73 … geltenden Beträge“ zu erheben. Diese Formulierung umfasse nur die unmittelbar in dieser Richtlinie festgelegten Pauschalbeträge. Dagegen hänge die Inanspruchnahme der in Anhang A Kapitel I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit, Gebühren zu erheben, die die tatsächlichen Kosten einer Untersuchung deckten, von den Rechtsvorschriften ab, die die Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Bestimmung erließen. Diese Auslegung werde überdies durch den Wortlaut von Anhang IV Abschnitt A Nr. 1 der Verordnung Nr. 882/2004 bestätigt, wo der Unionsgesetzgeber unter Verwendung des Ausdrucks „Gebühren gemäß der Richtlinie 85/73“ auf sämtliche auf der Grundlage dieser Richtlinie erhobenen Gebühren Bezug nehme.

    20      Das Verwaltungsgericht Würzburg in dem von Pfister angefochtenen Urteil und der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in einem Beschluss vom 14. März 2008 hätten die gegenteilige Auslegung von Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004 vertreten. Nach ihrer Ansicht betreffe diese Bestimmung sämtliche auf der Grundlage der Richtlinie 85/73 erhobenen Gebühren, einschließlich der gemäß Anhang A Kapitel I Nr. 4 Buchst. b dieser Richtlinie festgelegten. Diese Auslegung ergebe sich u. a. aus der englischen Sprachfassung von Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004. Bestätigt werde sie dadurch, dass das Finanzierungssystem der Richtlinie 85/73 durch diese Verordnung nicht geändert werde. Die genannte Bestimmung erlaube daher die Erhebung höherer Gebühren als der Pauschalbeträge, um die tatsächlichen Kosten der Untersuchungen zu decken, wie es die alte Fassung der Richtlinie 85/73 vorgesehen habe. Es sei nicht denkbar, dass im Übergangszeitraum ein anderes System anzuwenden gewesen wäre.

    21      Das vorlegende Gericht möchte insoweit der Argumentation des Verwaltungsgerichts Würzburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg folgen. Die von Pfister vertretene gegenteilige Lösung beruhe auf einer formalistischen Argumentation, die den in der vorstehenden Randnummer beschriebenen rechtlichen Kontext außer Acht lasse. Vor dem Hintergrund der Divergenzen in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte zur Auslegung von Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004 könne diese Bestimmung jedoch nicht als „acte clair“ im Sinne des Urteils Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335) angesehen werden.

    22      Unter diesen Umständen hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Erlaubt Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004 für den Übergangszeitraum des Jahres 2007 die Erhebung von kostendeckenden Fleischhygienegebühren nach altem Recht (Richtlinie 85/73)?

     Zur Vorlagefrage

    23      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004 dahin auszulegen ist, dass er es für den Übergangszeitraum des Jahres 2007 gestattet, für die Kosten, die durch die Untersuchungen und Kontrollen auf dem Gebiet der Fleischhygiene entstehen, Gebühren im Sinne der Richtlinie 85/73 zu erheben, die die von der zuständigen Behörde zu tragenden Kosten decken.

    24      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004 in Verbindung mit deren Art. 67 den Mitgliedstaaten während eines Übergangszeitraums vom 1. Januar 2007 bis zum 1. Januar 2008 erlaubt, weiterhin „die nach der Richtlinie 85/73 … geltenden Beträge“ zu erheben.

    25      Hinsichtlich der Auslegung der Wendung „die nach der Richtlinie 85/73 … geltenden Beträge“ ist darauf hinzuweisen, dass die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts es nach ständiger Rechtsprechung erfordert, dass diese Bestimmung, wenn ihre verschiedenen Sprachfassungen voneinander abweichen, anhand des Kontexts und der Zielsetzung der Regelung ausgelegt wird, zu der sie gehört (Urteil Nike European Operations Netherlands, C‑310/14, EU:C:2015:690, Rn. 17). Die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts erfordert zudem einen Vergleich ihrer Sprachfassungen (Urteile Cilfit u. a., 283/81, EU:C:1982:335, Rn. 18, und Hotel Sava Rogaška, C‑207/14, EU:C:2015:414, Rn. 26).

    26      Insoweit geht aus der großen Mehrzahl der Sprachfassungen von Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004 klar hervor, dass sich diese Bestimmung auf sämtliche Gebühren bezieht, die die Mitgliedstaaten zu Beginn des Übergangszeitraums für die gemäß der Richtlinie 85/73 durchgeführten Untersuchungen und Kontrollen erhoben. Die deutsche Sprachfassung dieser Bestimmung, die auf die „nach der Richtlinie 85/73 … geltenden Beträge“ Bezug nimmt, ist hiervon keine Ausnahme.

    27      Diese Auslegung ergibt sich überdies bereits aus dem in der Richtlinie 85/73 vorgesehenen System zur Finanzierung der Untersuchungen und Kontrollen, das auf dem Grundsatz beruht, dass die Gebühren es ermöglichen müssen, die tatsächlichen Kosten der Untersuchungen und Kontrollen zu decken.

    28      Aus den Art. 1 bis 3 der Richtlinie 85/73 ergibt sich nämlich, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass für die Kosten, die durch die dort genannten Untersuchungen und Kontrollen entstehen, eine Gemeinschaftsgebühr erhoben wird. In Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie wurde diese Gebühr vom Gemeinschaftsgesetzgeber in der Weise festgelegt, dass sie die von der zuständigen Behörde zu tragenden Kosten deckt. Sind die tatsächlich zu tragenden Kosten höher als die Pauschalbeträge, sind die Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie befugt, Gebühren zu erheben, die die tatsächlichen Kosten decken.

    29      In Bezug auf die Kosten für Untersuchungen und Kontrollen, die insbesondere mit Schlacht- und Zerlegungstätigkeiten in Zusammenhang stehen, bestätigt Anhang A Kapitel I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie 85/73, dass die Mitgliedstaaten eine Gebühr erheben können, die die tatsächlichen Kosten deckt.

    30      Folglich umfassen die nach der Richtlinie 85/73 geltenden Beträge sowohl die in dieser Richtlinie festgelegten Pauschalbeträge als auch die gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten zur Deckung der tatsächlichen Kosten der Untersuchungen und Kontrollen erhobenen höheren Beträge.

    31      Desgleichen ergibt sich aus dem 32. Erwägungsgrund und aus Art. 26 der Verordnung Nr. 882/2004, dass das in dieser Verordnung vorgesehene Finanzierungssystem auf dem Grundsatz beruht, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten in der Lage sein sollten, Gebühren oder Kostenbeiträge zur Deckung der Kosten zu erheben, die durch die amtlichen Kontrollen entstehen. Im Einklang mit diesem Grundsatz sieht Art. 27 der Verordnung Nr. 882/2004 eine Pflicht zur Erhebung von Mindestgebühren sowie die Möglichkeit vor, diese an die höheren tatsächlichen Kosten anzupassen.

    32      Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004 kann demnach nicht dahin ausgelegt werden, dass er eine Ausnahme von dem dieser Verordnung und der Richtlinie 85/73 gemeinsamen Grundsatz des Systems zur Finanzierung der Untersuchungen und Kontrollen vorsieht. Vielmehr ist diese Übergangsbestimmung, die zudem nur für das Jahr 2007 gilt, so zu verstehen, dass sie die Ablösung der Richtlinie 85/73 durch die Verordnung Nr. 882/2004 erleichtern soll.

    33      Nach alledem ist Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 882/2004 dahin auszulegen, dass er es für den Übergangszeitraum des Jahres 2007 gestattet, für die Kosten, die durch die Untersuchungen und Kontrollen auf dem Gebiet der Fleischhygiene entstehen, Gebühren im Sinne der Richtlinie 85/73 zu erheben, die die von der zuständigen Behörde zu tragenden Kosten decken.

     Kosten

    34      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

    Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es für den Übergangszeitraum des Jahres 2007 gestattet, für die Kosten, die durch die Untersuchungen und Kontrollen auf dem Gebiet der Fleischhygiene entstehen, Gebühren im Sinne der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen nach den Richtlinien 89/662/EWG, 90/425/EWG, 90/675/EWG und 91/496/EWG in der durch die Richtlinie 97/79/EG des Rates vom 18. Dezember 1997 geänderten Fassung zu erheben, die die von der zuständigen Behörde zu tragenden Kosten decken.

    Unterschriften


    * Verfahrenssprache: Deutsch.

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