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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62014CJ0383

    Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 3. September 2015.
    Etablissement national des produits de l'agriculture et de la mer (FranceAgriMer) gegen Société Sodiaal International SA.
    Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d'État (Frankreich).
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz der finanziellen Interessen der Union – Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 – Art. 3 – Rückforderung einer Gemeinschaftsbeihilfe – Verwaltungsrechtliche Sanktion – Verwaltungsrechtliche Maßnahme – Verjährungsfrist.
    Rechtssache C-383/14.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2015:541

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

    3. September 2015 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Schutz der finanziellen Interessen der Union — Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 — Art. 3 — Rückforderung einer Gemeinschaftsbeihilfe — Verwaltungsrechtliche Sanktion — Verwaltungsrechtliche Maßnahme — Verjährungsfrist“

    In der Rechtssache C‑383/14

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Frankreich) mit Entscheidung vom 28. Mai 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 11. August 2014, in dem Verfahren

    Établissement national des produits de l’agriculture et de la mer (FranceAgriMer)

    gegen

    Sodiaal International SA

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin, des Richters E. Levits (Berichterstatter) und der Richterin M. Berger,

    Generalanwältin: E. Sharpston,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Sodiaal International SA, vertreten durch F. Plottin und J.‑C. Cavaillé, avocats,

    der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,

    der griechischen Regierung, vertreten durch I. Chalkias und A. Vasilopoulou als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Sauka und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1).

    2

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Établissement national des produits de l’agriculture et de la mer (FranceAgriMer) und der Sodiaal International SA (im Folgenden: Sodiaal International) über eine Gemeinschaftsbeihilfe, die Sodiaal International für die Herstellung von Kaseinaten rechtswidrig erhalten hat.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Der dritte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2988/95 lautet:

    „Die Einzelheiten dieser dezentralen Verwaltung und der Kontrollsysteme werden in ausführlichen Vorschriften geregelt, die sich je nach Bereich der Gemeinschaftspolitik unterscheiden. Es ist jedoch wichtig, in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu bekämpfen.“

    4

    Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 bestimmt:

    „(1)   Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.

    (2)   Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“

    5

    Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 sieht vor:

    „(1)   Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.

    Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. Bei den mehrjährigen Programmen läuft die Verjährungsfrist auf jeden Fall bis zum endgültigen Abschluss des Programms.

    Die Verfolgungsverjährung wird durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde unterbrochen. Nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung beginnt die Verjährungsfrist von neuem.

    Die Verjährung tritt jedoch spätestens zu dem Zeitpunkt ein, zu dem eine Frist, die doppelt so lang ist wie die Verjährungsfrist, abläuft, ohne dass die zuständige Behörde eine Sanktion verhängt hat; ausgenommen sind die Fälle, in denen das Verwaltungsverfahren gemäß Artikel 6 Absatz 1 ausgesetzt worden ist.

    (3)   Die Mitgliedstaaten behalten die Möglichkeit, eine längere Frist als die in Absatz 1 bzw. Absatz 2 vorgesehene Frist anzuwenden.“

    6

    Art. 4 dieser Verordnung sieht vor:

    „(1)   Jede Unregelmäßigkeit bewirkt in der Regel den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils

    durch Verpflichtung zur Zahlung des geschuldeten oder Rückerstattung des rechtswidrig erhaltenen Geldbetrags;

    (2)   Die Anwendung der Maßnahmen nach Absatz 1 beschränkt sich auf den Entzug des erlangten Vorteils, zuzüglich – falls dies vorgesehen ist – der Zinsen, die pauschal festgelegt werden können.

    (4)   Die in diesem Artikel vorgesehenen Maßnahmen stellen keine Sanktionen dar.“

    7

    In Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 heißt es:

    „Unregelmäßigkeiten, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht werden, können zu folgenden verwaltungsrechtlichen Sanktionen führen:

    a)

    Zahlung einer Geldbuße;

    b)

    Zahlung eines Betrags, der den rechtswidrig erhaltenen oder hinterzogenen Betrag, gegebenenfalls zuzüglich der Zinsen, übersteigt …

    c)

    vollständiger oder teilweiser Entzug eines nach Gemeinschaftsrecht gewährten Vorteils …

    d)

    Ausschluss von einem Vorteil oder Entzug eines Vorteils für einen Zeitraum, der nach dem Zeitraum der Unregelmäßigkeit liegt;

    e)

    vorübergehender Entzug einer Genehmigung oder einer Anerkennung, die für die Teilnahme an einem gemeinschaftlichen Beihilfesystem erforderlich ist;

    f)

    Verlust einer Sicherheit oder einer Garantie, die zur Gewährleistung der Erfüllung der Bedingungen einer Regelung geleistet wurde, oder Rückzahlung des Betrags einer ungerechtfertigterweise freigegebenen Sicherheit;

    g)

    weitere ausschließlich wirtschaftliche Sanktionen gleichwertiger Art und Tragweite, wie sie in de[n] vom Rat nach Maßgabe der sektorrelevanten Erfordernisse erlassenen sektorbezogenen Regelungen vorgesehen sind …“

    Französisches Recht

    8

    Art. 2262 des Code civil bestimmt:

    „Alle Ansprüche, dingliche wie schuldrechtliche, verjähren in 30 Jahren.“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    9

    Die Sodiaal Industrie SA erhielt 1998 nach Maßgabe der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 2921/90 der Kommission vom 10. Oktober 1990 über die Gewährung von Beihilfen für die zur Herstellung von Kasein und Kaseinaten bestimmte Magermilch (ABl. L 279, S. 22) eine Gemeinschaftsbeihilfe.

    10

    Im Jahr 2001 wurde von Bediensteten der Agence centrale des organismes d’intervention dans le secteur agricole (ACOFA) eine Kontrolle durchgeführt, bei der festgestellt wurde, dass die Menge der von der Sodiaal Industrie SA im Laufe des Sommers 1998 hergestellten Kaseinate geringer war als die Menge, für die ihr die Beihilfe gewährt worden war.

    11

    Mit Bescheid vom 11. Juli 2007 verlangte das Office national interprofessionnel de l’élevage et de ses productions von der Sodiaal Industrie SA die Rückzahlung eines Betrags von 288051,14 Euro, der dem Betrag der rechtswidrig erhaltenen Beihilfe entsprach.

    12

    Am 30. Juni 2008 ging die Sodiaal Industrie SA in Sodiaal International auf.

    13

    Mit Urteil vom 11. Februar 2010 gab das Tribunal administratif de Paris der Klage von Sodiaal International, Rechtsnachfolgerin der Sodiaal Industrie SA, auf Aufhebung dieses Bescheids statt.

    14

    Die Berufung von FranceAgriMer, Rechtsnachfolger des Office national interprofessionnel de l’élevage et de ses productions, gegen dieses Urteil wurde von der Cour administrative d’appel de Paris mit Urteil vom 29. Mai 2012 zurückgewiesen.

    15

    FranceAgriMer legte beim Conseil d’État Kassationsbeschwerde ein.

    16

    Zur Stützung seines Rechtsmittels trug FranceAgriMer u. a. vor, dass die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Verordnung Nr. 2988/95 vorgesehene Verjährungsfrist nicht für den streitigen Bescheid gelte, da er keine verwaltungsrechtliche Sanktion, sondern eine verwaltungsrechtliche Maßnahme betreffe.

    17

    Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Verordnung Nr. 2988/95 gelte ausschließlich in dem Fall, dass die zuständige Behörde bei Ablauf einer Frist, die doppelt so lang sei wie die Verjährungsfrist, keine verwaltungsrechtliche Sanktion im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung verhängt habe. Seien innerhalb dieser Frist keine verwaltungsrechtlichen Maßnahmen im Sinne von Art. 4 der Verordnung getroffen worden, sei diese Bestimmung nicht anwendbar. Daher hätte die – durch Richterrecht verkürzte – dreißigjährige Frist des Art. 2262 Code civil gelten müssen.

    18

    Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Gilt Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Verordnung Nr. 2988/95, wonach die Verjährung vorbehaltlich einer Aussetzung des Verwaltungsverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung spätestens zu dem Zeitpunkt eintritt, zu dem eine Frist, die doppelt so lang ist wie die Verjährungsfrist, abläuft, ohne dass die zuständige Behörde eine Sanktion verhängt hat, nur in dem Fall, dass die zuständige Behörde bei Ablauf einer Frist, die doppelt so lang ist wie die Verjährungsfrist, keine Sanktion im Sinne von Art. 5 der Verordnung verhängt hat, oder auch in dem Fall, dass innerhalb dieser Frist keine verwaltungsrechtliche Maßnahme im Sinne von Art. 4 der Verordnung getroffen wurde?

    Zur Vorlagefrage

    19

    Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Verordnung Nr. 2988/95 dahin auszulegen ist, dass die darin vorgesehene Verjährung nicht nur für die Verfolgung von Unregelmäßigkeiten gilt, die zur Verhängung verwaltungsrechtlicher Sanktionen im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung führen, sondern auch für Verfolgungsmaßnahmen, die zum Erlass verwaltungsrechtlicher Maßnahmen im Sinne von Art. 4 der Verordnung führen.

    20

    Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteile Yaesu Europe, C‑433/08, EU:C:2009:750, Rn. 13, ebookers.com Deutschland, C‑112/11, EU:C:2012:487, Rn. 12, Brain Products, C‑219/11, EU:C:2012:742, Rn. 13, und Utopia, C‑40/14, EU:C:2014:2389, Rn. 27).

    21

    Daher ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 eine „Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das [Unions]recht“ einführt, und dies, wie sich aus dem dritten Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, um „in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der [Union] zu bekämpfen“.

    22

    Darüber hinaus legt Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 für die Verfolgung eine Verjährungsfrist fest, die ab Begehung der Unregelmäßigkeit läuft, deren Tatbestand gemäß Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung „bei jedem Verstoß gegen eine [Unions]bestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben [ist], die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der [Union] … bewirkt hat bzw. haben würde“.

    23

    Insoweit ist festzustellen, dass nach dem Wortlaut dieses Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 auf die Verhängung einer „Sanktion“ abgezielt wird, was darauf hinweisen könnte, dass dieser Unterabsatz nur für die Verfolgung von Unregelmäßigkeiten gilt, die zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung führen.

    24

    Diese grammatikalische Auslegung ist jedoch nicht abschließend. Denn als Zweites ist eine systematische Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung geboten.

    25

    Daher ist zunächst festzustellen, dass eine solche systematische Betrachtung des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 zu der Feststellung führt, dass die Unterabsätze eine Gesamtheit darstellen, deren Bestimmungen nicht isoliert betrachtet werden können. Unterabs. 4 dieser Bestimmung legt nämlich eine „letzte“ Verjährungsfrist für die Verjährungsfrist von vier Jahren fest, die ab Begehung der Unregelmäßigkeit läuft und im ersten Unterabsatz dieser Bestimmung vorgesehen ist. Diesen Unterabsätzen verschiedene Anwendungsbereiche zuzuschreiben, verstieße gegen die Systematik der in diesem Artikel aufgestellten Verjährungsregelung. Damit verstieße ein solcher Ansatz gegen das mit der Verordnung Nr. 2988/95 verfolgte Ziel, dieser Regelung einen kohärenten Rahmen zu geben.

    26

    Eine systematische und teleologische Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung verlangt daher, dass für verwaltungsrechtliche Maßnahmen die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 dieser Verordnung vorgesehene „letzte“ Frist gilt.

    27

    Sodann ist festzustellen, dass diese Betrachtungsweise der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs entspricht, die im Urteil Pfeifer & Langen (C‑52/14, EU:C:2015:381) bestätigt worden ist. Nach dieser Rechtsprechung ist bei der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 nicht zwischen einer verwaltungsrechtlichen Sanktion und einer verwaltungsrechtlichen Maßnahme zu unterscheiden. Der Gerichtshof hat klar entschieden, dass diese Bestimmung sowohl für die Unregelmäßigkeiten gilt, die zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung führen, als auch für diejenigen, die Gegenstand einer verwaltungsrechtlichen Maßnahme im Sinne von Art. 4 der Verordnung sind, einer Maßnahme, die den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils bezweckt, aber keinen Sanktionscharakter hat (vgl. in diesem Sinne Urteile Handlbauer, C‑278/02, EU:C:2004:388, Rn. 33 und 34, Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a., C‑278/07 bis C‑280/07, EU:C:2009:38, Rn. 22, Cruz & Companhia, C‑341/13, EU:C:2014:2230, Rn. 45, sowie Pfeifer & Langen, C‑52/14, EU:C:2015:381, Rn. 23).

    28

    Der Gerichtshof hat nämlich bereits hervorgehoben, dass Unregelmäßigkeiten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die das Ergreifen verwaltungsrechtlicher Maßnahmen im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 2988/95 nach sich ziehen, als in vier Jahren ab ihrem Begehungszeitpunkt verjährt anzusehen sind, wobei die die Verjährung unterbrechenden Handlungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung zu berücksichtigen sind und die in Unterabs. 4 dieses Absatzes festgelegte zeitliche Obergrenze zu wahren ist (Urteil Cruz & Companhia, C‑341/13, EU:C:2014:2230, Rn. 64).

    29

    Der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich daher eindeutig entnehmen, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 so auszulegen ist, dass er sowohl für eine Sanktion als auch für eine verwaltungsrechtliche Maßnahme gilt (Urteil Pfeifer & Langen, C‑52/14, EU:C:2015:381, Rn. 40, 43 und 47).

    30

    Schließlich ist auf die mit Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 verfolgten Ziele hinzuweisen. Insoweit ist festzustellen, dass die in dieser Bestimmung genannte Frist für die Wirtschaftsteilnehmer Rechtssicherheit gewährleisten soll (vgl. in diesem Sinne Urteile Handlbauer, C‑278/02, EU:C:2004:388, Rn. 40, sowie SGS Belgium u. a., C‑367/09, EU:C:2010:648, Rn. 68). Diese müssen nämlich bestimmen können, welche ihrer Geschäfte endgültig abgeschlossen sind und welche noch zu Verfolgungsmaßnahmen führen können (Urteil Pfeifer & Langen, C‑52/14, EU:C:2015:381, Rn. 24 und 64).

    31

    Nach alledem kann die in der vorstehenden Randnummer angeführte Rechtsprechung weder dahin verstanden werden, dass sie sich auf die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 beschränkt, noch dahin, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 einzig und allein auf die in Art. 5 dieser Verordnung vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Sanktionen verweist.

    32

    Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass diese Auslegung unbeschadet der Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 gilt, wonach die Mitgliedstaaten die Möglichkeit behalten, eine längere Frist als die in Abs. 1 bzw. Abs. 2 dieses Art. 3 vorgesehene Frist anzuwenden (vgl. in diesem Sinne Urteile Cruz & Companhia, C‑341/13, EU:C:2014:2230, Rn. 54, sowie Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading, C‑201/10 und C‑202/10, EU:C:2011:282, Rn. 25).

    33

    Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Verordnung Nr. 2988/95 dahin auszulegen ist, dass die darin vorgesehene Verjährung nicht nur für die Verfolgung von Unregelmäßigkeiten gilt, die zur Verhängung verwaltungsrechtlicher Sanktionen im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung führen, sondern auch für Verfolgungsmaßnahmen, die zum Erlass verwaltungsrechtlicher Maßnahmen im Sinne von Art. 4 der Verordnung führen.

    Kosten

    34

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ist dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene Verjährung nicht nur für die Verfolgung von Unregelmäßigkeiten gilt, die zur Verhängung verwaltungsrechtlicher Sanktionen im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung führen, sondern auch für Verfolgungsmaßnahmen, die zum Erlass verwaltungsrechtlicher Maßnahmen im Sinne von Art. 4 der Verordnung führen.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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