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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62015CO0035

    Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 23. April 2015.
    Europäische Kommission gegen Vanbreda Risk & Benefits.
    Rechtsmittel – Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Ausschreibung über die Erbringung von Dienstleistungen in der Personen- und Sachversicherung – Ablehnung des Angebots eines Bieters und Entscheidung, den Auftrag an einen anderen Bieter zu vergeben – Antrag auf Aussetzung des Vollzugs – Besonders ernsthafter fumus boni iuris – Dringlichkeit – Schwerer Schaden – Nicht wiedergutzumachender Schaden – Fehlen – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Richtlinie 89/665/EWG – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Stillhaltefrist vor Vertragsschluss – Zugang zu Informationen zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vergabeentscheidung.
    Rechtssache C-35/15 P(R).

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2015:275

    Parteien
    Entscheidungsgründe
    Tenor

    Parteien

    In der Rechtssache C‑35/15 P(R)

    betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 29. Januar 2015,

    Europäische Kommission, vertreten durch S. Delaude und L. Cappelletti als Bevollmächtigte,

    Rechtsmittelführerin,

    andere Partei des Verfahrens:

    Vanbreda Risk & Benefits, Prozessbevollmächtigte: P. Teerlinck, P. de Bandt und M. Gherghinaru, avocats,

    Klägerin im ersten Rechtszug,

    erlässt

    DER VIZEPRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

    nach Anhörung des Ersten Generalanwalts M. Wathelet

    folgenden

    Beschluss

    Entscheidungsgründe

    1. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission die Aufhebung des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts der Europäischen Union Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R, EU:T:2014:1024, im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem der Präsident des Gerichts dem Antrag von Vanbreda Risk & Benefits (im Folgenden: Vanbreda) auf Aussetzung des Vollzugs stattgegeben hat.

    Rechtlicher Rahmen

    2. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665) lautet wie folgt:

    „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

    a) so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören auch Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Durchführung jeder sonstigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen;

    b) die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

    c) denjenigen, die durch den Verstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.“

    3. Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 2 der Richtlinie lautet wie folgt:

    „Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 5, Absatz 3 des vorliegenden Artikels oder den Artikeln 2a bis 2f die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.“

    4. Art. 2a dieser Richtlinie sieht eine Stillhaltefrist von zehn Tagen ab der Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag vor oder von 15 Tagen, wenn ein anderes Kommunikationsmittel als ein Fax oder der elektronische Weg genutzt wird, während deren der Vertragsschluss im Anschluss an diese Entscheidung nicht erfolgen darf (im Folgenden: Stillhaltefrist von zehn Tagen). Diese Bestimmung sieht vor:

    „(1) Die Mitgliedstaaten legen nach Maßgabe der Mindestbedingungen in Absatz 2 und in Artikel 2c Fristen fest, die sicherstellen, dass die [an einem Auftrag interessierten Personen] gegen Zuschlagsentscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksame Nachprüfungsverfahren anstrengen können.

    (2) Der Vertragsschluss im Anschluss an die Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag, der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114)] fällt, darf nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen erfolgen, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber abgesendet wurde, falls sie per Fax oder auf elektronischem Weg abgesendet wird, oder, falls andere Kommunikationsmittel verwendet werden, nicht vor Ablauf einer Frist von entweder mindestens 15 Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber abgesendet wurde, oder mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang der Zuschlagsentscheidung.

    Bieter gelten als betroffen, wenn sie noch nicht endgültig ausgeschlossen wurden. Ein Ausschluss ist endgültig, wenn er den betroffenen Bietern mitgeteilt wurde und entweder von einer unabhängigen Nachprüfungsstelle als rechtmäßig anerkannt wurde oder keinem Nachprüfungsverfahren mehr unterzogen werden kann.

    Bewerber gelten als betroffen, wenn der öffentliche Auftraggeber ihnen keine Informationen über die Ablehnung ihrer Bewerbung zur Verfügung gestellt hat, bevor die Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter ergangen ist.

    Der Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an jeden betroffenen Bieter und Bewerber wird Folgendes beigefügt:

    – vorbehaltlich des Artikels 41 Absatz 2 der Richtlinie [2004/18] eine Zusammenfassung der einschlägigen Gründe gemäß Artikel 41 Absatz 3 der genannten Richtlinie und

    – eine genaue Angabe der konkreten Stillhaltefrist, die gemäß den einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieses Absatzes anzuwenden ist.“

    5. Art. 1 Abs. 5 und Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 regeln die Stillhaltefrist von zehn Tagen für besondere Umstände. Die Art. 2b bis 2f dieser Richtlinie vervollständigen das von dieser Richtlinie erstellte Nachprüfungssystem, das auf der Beachtung der in Art. 2a geregelten Stillhaltefrist beruht.

    6. Art. 171 Abs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. Oktober 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union (ABl. L 362, S. 1) lautet:

    „Der öffentliche Auftraggeber unterzeichnet einen unter die Richtlinie [2004/18] fallenden Vertrag oder Rahmenvertrag mit einem erfolgreichen Bieter erst nach 14 Kalendertagen.

    Diese Frist läuft ab einem der folgenden Zeitpunkte:

    a) ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Benachrichtigungen an die abgelehnten und die erfolgreichen Bieter zeitgleich übermittelt wurden;

    b) wenn es sich um einen Vertrag oder Rahmenvertrag handelt, der im Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb vergeben wurde, ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Bekanntmachung der Zuschlagserteilung gemäß Artikel 123 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde. …

    Erfolgt die Benachrichtigung nach Unterabsatz 2 Buchstabe a per Telefax oder elektronisch, so beträgt die Stillhaltezeit 10 Kalendertage.

    Erforderlichenfalls kann der öffentliche Auftraggeber die Vertragsunterzeichnung zwecks ergänzender Prüfung aussetzen, wenn die von den abgelehnten oder beschwerten Bietern oder Bewerbern übermittelten Anträge und Bemerkungen oder anderweitig erhaltene stichhaltige Informationen dies rechtfertigen. Die Anträge, Bemerkungen und Informationen müssen binnen der Frist nach Unterabsatz 1 eingehen. Wird die Unterzeichnung ausgesetzt, werden sämtliche Bewerber oder Bieter binnen drei Arbeitstagen nach dem Aussetzungsbeschluss davon unterrichtet.

    …“

    Vorgeschichte des Rechtsstreits, Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

    7. Am 10. August 2013 veröffentlichte die Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union eine Ausschreibung mit der Referenznummer OIB.DR.2/PO/2013/062/591 betreffend einen in vier Lose unterteilten Auftrag für Personen- und Sachversicherungen. Los 1 bezog sich auf den Versicherungsschutz – ab dem 1. März 2014 – für Gebäude und deren Inventar, wobei der Vertrag von der Kommission im eigenen Namen und im Namen der folgenden öffentlichen Auftraggeber geschlossen werden sollte: Rat der Europäischen Union, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Ausschuss der Regionen der Europäischen Union, Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrats, Exekutivagentur für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, Exekutivagentur für die Forschung, Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur sowie Exekutivagentur für Innovation und Netze.

    8. Diese Ausschreibung sollte den zu diesem Zeitpunkt geltenden Vertrag mit einem Konsortium ersetzen, dessen Maklerin Vanbreda war und der am 28. Februar 2014 auslief.

    9. Am 7. September 2013 wurde im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. S 174) eine Berichtigung veröffentlicht, mit der die Frist für die Einreichung der Angebote bis zum 25. Oktober 2013 verlängert und der Zeitpunkt für die öffentliche Sitzung zur Öffnung der Angebote auf den 31. Oktober 2013 verschoben wurde. In dieser Sitzung bestätigte der Eröffnungsausschuss den Eingang von zwei Angeboten für das Los 1, die zum einen von der Versicherungsmaklerin Marsh SA (im Folgenden: Marsh) und zum anderen von Vanbreda abgegeben worden waren.

    10. Am 30. Januar 2014 unterrichtete die Kommission Marsh, dass ihr der Zuschlag für Los 1 erteilt worden sei, und Vanbreda, dass ihr Angebot für dieses Los nicht ausgewählt worden sei, da sie nicht den niedrigsten Preis geboten habe (im Folgenden: streitige Entscheidung). Das Schreiben, mit dem die Kommission Vanbreda die streitige Entscheidung mitteilte, wurde dieser durch DHL und per E‑Mail übermittelt.

    11. Der Dienstleistungsvertrag zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen wurde am 27. Februar 2014 unterzeichnet und am 1. März 2014 wirksam.

    12. Mit separaten Schriftsätzen vom 28. März 2014 reichte Vanbreda bei der Kanzlei des Gerichts zum einen eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Aufhebung der streitigen Entscheidung sowie eine Schadensersatzklage nach den Art. 268 AEUV und 340 AEUV auf Verurteilung der Kommission zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von einer Million Euro ein und zum anderen einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, mit dem sie den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter im Wesentlichen nach Art. 105 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ersuchte, den Vollzug der streitigen Entscheidung bis zur Verkündung des Beschlusses im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Gericht auszusetzen und den Vollzug der streitigen Entscheidung bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache auszusetzen.

    13. Mit dem Beschluss Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R) vom 3. April 2014 ordnete der Präsident des Gerichts zum einen die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidung und des zwischen der Kommission, Marsh und dem (den) betreffenden Versicherer(n) geschlossenen Dienstleistungsvertrags bis zur Verkündung des Beschlusses zur Beendigung des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes sowie zum anderen die Vorlage bestimmter von Vanbreda angegebener Dokumente an.

    14. Am 8. April 2014 stellte die Kommission einen Antrag auf unverzügliche, rückwirkende und vollständige Aufhebung von Nr. 1 des Tenors des Beschlusses Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R) vom 3. April 2014 durch den Präsidenten des Gerichts. Auf der Grundlage der ihm in diesem Antrag zur Kenntnis gebrachten Tatsachen erließ der Präsident des Gerichts am 10. April 2014 einen neuen Beschluss Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R), mit dem er dem Antrag der Kommission stattgab. Am 25. April 2014 reichte die Kommission ihre Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ein.

    15. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 4. Dezember 2014 ordnete der Präsident des Gerichts die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidung an. Nachdem er in Rn. 136 dieses Beschlusses ausgeführt hatte, dass die Voraussetzung des fumus boni iuris erfüllt sei, und in den Rn. 142 bis 145, dass der angeführte Schaden schwer sei, befand er in den Rn. 148 bis 165, dass angesichts der Besonderheiten der Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz im Bereich des öffentlichen Auftragswesens sowie des im vorliegenden Fall nachgewiesenen besonders ernsthaften fumus boni iuris die Bedingung hinsichtlich der Eilbedürftigkeit ungeachtet des Fehlens eines nicht wiedergutzumachenden Schadens ebenfalls erfüllt sei. Zur Begründung dieses Ergebnisses stützte er sich insbesondere auf einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus dem im Bereich des öffentlichen Auftragswesens sicherzustellenden effektiven vorläufigen Rechtsschutz ergebe, den er vorab in den Rn. 16 bis 20 des angefochtenen Beschlusses beschrieben hatte.

    16. Der Tenor des angefochtenen Beschlusses lautet:

    „1. Die [streitige] Entscheidung …, mit der [die Kommission] das von Vanbreda … im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens für einen Auftrag für die Personen- und Sachversicherung eingereichte Angebot zurückgewiesen hat und dieser Auftrag an eine andere Gesellschaft vergeben wurde, wird ausgesetzt, was den Zuschlag von Los 1 angeht.

    2. Die Wirkungen der [vorgenannten] Entscheidung … werden bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen den vorliegenden Beschluss aufrechterhalten.

    3. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.“

    Anträge der Parteien

    17. Die Europäische Kommission beantragt,

    – die Nrn. 1 und 2 des Tenors des angefochtenen Beschlusses aufzuheben;

    – den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen und

    – Vanbreda die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen.

    18. Vanbreda beantragt,

    – das Rechtsmittel insgesamt abzuweisen;

    – den Tenor des angefochtenen Beschlusses sowie die erlassene einstweilige Anordnung zu bestätigen und

    – der Kommission die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen.

    Zum Rechtsmittel

    19. Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt die Kommission vier Gründe an, und zwar einen Rechtsfehler bei der Anwendung der Voraussetzung der Dringlichkeit hinsichtlich der Folgen des Fehlens eines nicht wiedergutzumachenden Schadens, Rechtsfehler bei der Anwendung dieser Voraussetzung hinsichtlich eines behaupteten schweren Schadens, der nicht bei Vanbreda entstanden sei, einen Rechtsfehler bei der Interessenabwägung hinsichtlich des bei der Bewertung der Interessen von Vanbreda anzuwendenden Rahmens und einen Rechtsfehler bei dieser Interessenabwägung wegen der unterbliebenen Berücksichtigung von Interessen Dritter.

    Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    20. Im Rahmen ihres ersten Rechtsmittelgrundes macht die Kommission im Wesentlichen geltend, der Präsident des Gerichts habe einen Rechtsfehler begangen, indem er angesichts des behaupteten Vorliegens eines besonders ernsthaften fumus boni iuris entschieden habe, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzung der Dringlichkeit erfüllt sei, ungeachtet der Tatsache, dass Vanbreda nicht dargetan habe, dass die Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz drohe, ihr einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen. Insbesondere sei die vom Präsidenten des Gerichts angeführte Richtlinie 89/665 nicht auf die Organe der Europäischen Union anzuwenden und lege nicht die auf die Anordnung der Aussetzung des Vollzugs anwendbaren Bedingungen fest. Außerdem bestehe nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes darin, die volle Wirksamkeit der Hauptsachenentscheidung sicherzustellen, und nicht darin, endgültig eine Rechtswidrigkeit zu beseitigen.

    21. Vanbreda erwidert insbesondere, angesichts der Besonderheiten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes im Bereich des öffentlichen Auftragswesens und unter Beachtung der hohen Priorität des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in solchen Angelegenheiten nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) habe das Gericht in dem angefochtenen Beschluss den für Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz geltenden rechtlichen Rahmen korrekt angewandt.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    22. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen müssen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann somit die Aussetzung des Vollzugs anordnen und einstweilige Anordnungen treffen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass diese Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht notwendig (fumus boni iuris) und dringlich in dem Sinne sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache zu erlassen und wirksam werden zu lassen. Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen ist, sofern es an einer von ihnen fehlt (Beschluss SCK und FNK/Kommission, C‑268/96 P[R], EU:C:1996:381, Rn. 30).

    23. Es ist festzustellen, dass die in dem angefochtenen Beschluss dargelegte Begründung, nach der die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall ungeachtet des Fehlens eines nicht wiedergutzumachenden Schadens erfüllt sei, von der ständigen Rechtsprechung des Unionsrichters abweicht, soweit diese Voraussetzung betroffen ist, und zwar insbesondere bezüglich der Ersatzfähigkeit des finanziellen Schadens, den ein abgelehnter Bieter im Bereich des öffentlichen Auftragswesens erlitten hat.

    24. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts ist ein finanzieller Schaden nämlich – abgesehen von außergewöhnlichen Situationen – nicht als irreparabel anzusehen, da in der Regel ein Ersatz in Geld den Geschädigten wieder in die Lage versetzen kann, in der er sich vor Eintritt des Schadens befand. Für einen solchen Schaden könnte insbesondere im Rahmen einer Schadensersatzklage gemäß den Art. 268 AEUV und 340 AEUV Ersatz erlangt werden (Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs, Kommission/Pilkington Group, C‑278/13 P[R], EU:C:2013:558, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch im Bereich des öffentlichen Auftragswesens Beschluss des Präsidenten des Gerichts, Communicaid Group/Kommission, T‑4/13 R, EU:T:2013:121, Rn. 22, 28 bis 30, 33, 34 und 37). Wie der Präsident des Gerichts in den Rn. 154 und 156 des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, ist der im vorliegenden Fall behauptete Schaden nach dieser Rechtsprechung nicht irreparabel.

    25. Soweit jedoch der Präsident des Gerichts seine Schlussfolgerung, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall erfüllt sei, mit einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts begründet, der auf dem in Art. 47 der Charta festgeschriebenen Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf beruhe, ist das Bestehen und die Tragweite dieses Grundsatzes zu prüfen.

    26. Insoweit ist festzustellen, dass die Richtlinie 89/665, aus welcher der Präsident des Gerichts das Bestehen eines solchen Grundsatzes ableitet, sich an die Mitgliedstaaten richtet und somit nicht ohne Weiteres die Organe der Union verpflichtet.

    27. Allerdings hat der Gerichtshof entschieden, dass ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts durch eine Richtlinie konkretisiert werden kann (Urteil Kücükdeveci, C‑555/07, EU:C:2010:21, Rn. 20 und 21 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    28. Es ist festzustellen, dass die Richtlinie 89/665 den allgemeinen Grundsatz des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf im besonderen Bereich des öffentlichen Auftragswesens konkretisiert und es daher erforderlich ist, bei von der Union selbst erteilten Aufträgen den in den Regelungen dieser Richtlinie enthaltenen Ausdruck dieses allgemeinen Grundsatzes zu berücksichtigen, wie der Präsident des Gerichts in Rn. 20 des angefochtenen Beschlusses entschieden hat.

    29. Entsprechend dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta hat der Gerichtshof auf der Grundlage der Regelungen in der Richtlinie 89/665 entschieden, dass ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz verlangt, dass die Beteiligten über die Zuschlagsentscheidung für einen öffentlichen Auftrag eine gewisse Zeit vor dem Vertragsschluss informiert werden, damit sie über eine tatsächliche Möglichkeit verfügen, einen Rechtsbehelf, insbesondere einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen bis zum Vertragsschluss, einzulegen (Urteil Fastweb, C‑19/13, EU:C:2014:2194, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    30. Unter diesen Umständen hat der Präsident des Gerichts zu Recht in Rn. 158 des angefochtenen Beschlusses entschieden, dass die undifferenzierte Anwendung einer, wenn auch ständigen, Rechtsprechung, die es einem abgelehnten Bieter praktisch unmöglich mache, die Aussetzung des Vollzugs einer Zuschlagsentscheidung für den Auftrag eines Organs oder einer anderen Einrichtung der Union zu erreichen, mit der Begründung, dass der möglicherweise eintretende Schaden finanzieller Art und daher nicht irreparabel sei, unvereinbar sei mit den Erfordernissen, die sich aus dem effektiven vorläufigen Schutz ergeben, der im Bereich des öffentlichen Auftragswesens gemäß der Richtlinie 89/665 sicherzustellen ist.

    31. Wenn er die Bestimmungen einer Richtlinie bedenkt, die einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts konkretisieren, kann der Unionsrichter jedoch den Inhalt dieser Bestimmungen nicht unberücksichtigt lassen, ungeachtet der Tatsache, dass sie als solche nicht auf den betreffenden Fall anzuwenden sind. Insbesondere soweit aus einer solchen Richtlinie hervorgeht, dass der Unionsgesetzgeber einen Ausgleich zwischen den verschiedenen beteiligten Interessen schaffen wollte, muss der Unionsrichter diesen Ausgleich bei der Anwendung des auf diese Weise konkretisierten allgemeinen Grundsatzes berücksichtigen.

    32. Im vorliegenden Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorsieht, in ihrem nationalen Recht drei Arten von Maßnahmen vorzusehen, die es den im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge geschädigten Personen ermöglichen, beim zuständigen Richter erstens zu beantragen, dass „vorläufige Maßnahmen ergriffen werden …, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören auch Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Durchführung jeder sonstigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen“, sowie zweitens die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen und drittens Schadensersatz.

    33. Jedoch bestimmt Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 2 der Richtlinie 89/665: „Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 5, Absatz 3 des vorliegenden Artikels oder den Artikeln 2a bis 2f die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.“

    34. Wie der Gerichtshof in den Rn. 62 und 63 des Urteils Fastweb (C‑19/13, EU:C:2014:2194) entschied, wollte der Unionsgesetzgeber durch die Bestimmungen der Richtlinie 89/665 die Interessen des abgelehnten Bieters mit denen des öffentlichen Auftraggebers und des Auftragnehmers in Einklang bringen, indem er das Recht zur Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes, das die Mitgliedstaaten einem solchen Bieter zu eröffnen verpflichtet sind, auf den vorvertraglichen Zeitraum beschränkte; nach Ablauf dieses Zeitraums steht dem Bieter zwingend nur eine Schadensersatzklage nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 89/665 offen (vgl. auch in diesem Sinne Urteil Alcatel Austria u. a., C‑81/98, EU:C:1999:534, Rn. 37).

    35. Somit ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, in ihrem nationalen Recht für Personen, die durch eine nach einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags getroffene Entscheidung geschädigt wurden, die Möglichkeit zur Beantragung vorläufiger Maßnahmen gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 vorzusehen, auf den Zeitraum zwischen der Annahme der Entscheidung und dem Vertragsschluss beschränkt.

    36. Nach Art. 1 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 und den Art. 2a bis 2f dieser Richtlinie darf der Vertragsschluss jedoch nicht vor Ablauf der Stillhaltefrist von zehn Tagen erfolgen.

    37. Wie der Gerichtshof in Rn. 61 des Fastweb-Urteils entschied (C‑19/13, EU:C:2014:2194), soll die Stillhaltefrist von zehn Tagen die Beteiligten in die Lage versetzen, die Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag gerichtlich anzufechten, bevor der Vertrag geschlossen wird.

    38. Nach alledem hat der Präsident des Gerichts in Rn. 20 des angefochtenen Beschlusses zu Unrecht das Bestehen eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts festgestellt, der in den Bereich des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz falle, aufgrund dessen ein abgelehnter Bieter die Möglichkeit haben müsse, nicht nur Schadensersatz zu erlangen, sondern auch vorläufige Maßnahmen, ohne diese Feststellung auf den Zeitraum vor dem Vertragsschluss zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Auftragnehmer zu beschränken.

    39. Nach Ablauf der in der Richtlinie 89/665 geregelten Stillhaltefrist von zehn Tagen vor dem Vertragsschluss kann aus dieser Richtlinie nämlich nicht geschlossen werden, der Umstand, dass einem abgelehnten Bieter nur die Forderung von Schadensersatz vor dem Richter möglich ist, stelle einen Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts betreffend das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf dar. Für Aufträge der öffentlichen Auftraggeber der Union ist nach Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 dieselbe Stillhaltefrist anzuwenden. Diese Frist beträgt ebenfalls zehn Kalendertage, wenn ein elektronisches Kommunikationsmittel benutzt wird, um den Beteiligten die Zuschlagsentscheidung für den Auftrag mitzuteilen.

    40. Nunmehr ist zu prüfen, ob angesichts des Vorstehenden die vom Präsidenten des Gerichts in Rn. 164 des angefochtenen Beschlusses gezogene Schlussfolgerung, die Voraussetzung der Dringlichkeit sei erfüllt, obwohl der behauptete Schaden zwar schwer, jedoch nicht irreparabel sei, rechtsfehlerhaft ist.

    41. Angesichts der zwingenden Erfordernisse, die sich aus dem effektiven Schutz ergeben, der im Bereich des öffentlichen Auftragswesens sichergestellt werden muss, ist festzustellen, wie es der Präsident des Gerichts in Rn. 162 des angefochtenen Beschlusses getan hat, dass, wenn der abgelehnte Bieter das Vorliegen eines besonders ernsthaften fumus boni iuris beweisen kann, von ihm nicht der Nachweis verlangt werden kann, dass die Zurückweisung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ihm einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen würde, da sonst ein unverhältnismäßiger und ungerechtfertigter Eingriff in den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz vorliegt, den er gemäß Art. 47 der Charta genießt.

    42. Wie jedoch in Rn. 38 des vorliegenden Beschlusses entschieden wurde, ist diese Abmilderung der für die Prüfung des Vorliegens einer Dringlichkeit anwendbaren Voraussetzungen, die durch das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gerechtfertigt ist, nur während der vorvertraglichen Phase anzuwenden, wenn die in Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 geregelte Stillhaltefrist eingehalten wird. Wenn der öffentliche Auftraggeber nach Ablauf dieser Frist und vor der Einreichung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz den Vertrag mit dem Auftragnehmer geschlossen hat, ist die oben erwähnte Abmilderung nicht mehr gerechtfertigt.

    43. Hinsichtlich der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall geht aus Rn. 4 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die Kommission am 30. Januar 2014 die Auftragnehmerin darüber informierte, dass ihr der Zuschlag für Los 1 erteilt worden sei, und Vanbreda darüber, dass ihr Angebot für dieses Los nicht ausgewählt worden sei, da sie nicht den niedrigsten Preis geboten habe. Außerdem wird in Rn. 5 des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts vom 10. April 2014, Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R) hervorgehoben, dass der Dienstleistungsvertrag zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014 unterzeichnet und am 1. März 2014 wirksam wurde.

    44. Da die streitige Entscheidung Vanbreda mit elektronisch übermitteltem Schreiben vom 30. Januar 2014 mitgeteilt wurde, wurde die Stillhaltefrist von zehn Tagen nach Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 im vorliegenden Fall eingehalten. Tatsächlich lief nach dieser Bestimmung die Frist ab dem 31. Januar 2014, also 28 Tage vor Vertragsschluss.

    45. Außerdem geht aus Rn. 5 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass Vanbreda den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz am 28. März 2014 einreichte. Somit erfolgte der Vertragsschluss zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014 vor der Einreichung dieses Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz.

    46. Unter diesen Umständen ist gemäß den Feststellungen in Rn. 42 des vorliegenden Beschlusses die Abmilderung betreffend die Voraussetzung der Dringlichkeit grundsätzlich nicht gerechtfertigt.

    47. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass die Stillhaltefrist von zehn Tagen die Beteiligten nur dann in die Lage versetzt, die Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag vor Abschluss des Vertrags gerichtlich anzufechten, wenn die Beteiligten über ausreichende Informationen verfügen, um das Vorliegen einer eventuellen Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung zu ermitteln.

    48. Die Annahme, dass die Stillhaltefrist von zehn Tagen eingehalten wurde, wenn keine tatsächliche Möglichkeit bestand, vor Vertragsschluss einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen einzureichen, weil der abgelehnte Bieter in diesem Zeitraum nicht über ausreichende Informationen verfügte, um einen solchen Antrag einzureichen, würde gegen den Grundsatz des Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf verstoßen.

    49. Angesichts der Anforderungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit muss diese Ausnahme von der rein mechanischen Anwendung der Stillhaltefrist von zehn Tagen jedoch für außergewöhnliche Fälle vorbehalten werden, in denen der abgelehnte Bieter keinen Anlass hatte, vor dem Vertragsschluss mit dem Auftragnehmer eine Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung für den Auftrag anzunehmen.

    50. Im Hinblick auf die im angefochtenen Beschluss vorgenommenen Sachverhaltsfeststellungen ist daher zu prüfen, ob Vanbreda über ausreichende Informationen verfügte, um während der Stillhaltefrist von zehn Tagen vor dem Vertragsschluss zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014 einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen zu stellen.

    51. Diesbezüglich hat der Präsident des Gerichts in den Rn. 38 bis 43 des angefochtenen Beschlusses die Kontakte analysiert, die zwischen der Kommission und Vanbreda vor dem Vertragsschluss stattfanden, um die Zulässigkeit eines neuen Klagegrundes zu prüfen. In Rn. 45 des angefochtenen Beschlusses hat er entschieden, dass Vanbreda nach Einreichung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz am 28. März 2014, also nach dem Vertragsschluss am 27. Februar 2014, entdeckte, dass Marsh ihr Angebot für Los 1 nicht gemeinsam mit den Versicherungsunternehmen eingereicht hatte, sondern als einzelne Bieterin. Nach Ansicht des Präsidenten des Gerichts ist daher ein auf diesen Umstand gestützter Klagegrund zulässig, auch wenn er erst nach Einreichung des ursprünglichen Antrags vorgebracht wird.

    52. Jedoch geht aus den Sachverhaltsfeststellungen des Präsidenten des Gerichts im angefochtenen Beschluss hervor, dass Vanbreda weit vor Vertragsschluss zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014 Gründe hatte, an der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung zu zweifeln.

    53. Aus Rn. 37 des angefochtenen Beschlusses geht nämlich hervor, dass Vanbreda die Kommission bereits am 8. November 2013 über ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Angebots von Marsh und insbesondere an der Einhaltung der Bedingung hinsichtlich der geforderten gesamtschuldnerischen Haftung bei einem Angebot mit mehreren Versicherungsunternehmen informierte. Außerdem ergibt sich aus den Rn. 38 bis 40 des angefochtenen Beschlusses, dass Vanbreda mit E-Mails vom 31. Januar und 4. Februar 2014 sowie mit Einschreiben vom 3. und 7. Februar 2014 diese Zweifel wiederholte und die Vorlage bestimmter Dokumente zu diesem Thema von der Kommission forderte. Schließlich erklärte die Kommission Vanbreda mit Schreiben vom 7. Februar 2014, das in Rn. 41 des angefochtenen Beschlusses geprüft wurde, dass Marsh als Zuschlagsempfänger für den Vertrag betreffend Los 1 bestimmt worden sei, weil sie ein konformes Angebot zum niedrigsten Preis unterbreitet habe. Aus Rn. 43 des angefochtenen Beschlusses geht hervor, dass Vanbreda am 11. Februar 2014 in Beantwortung dieses Schreibens ihre Forderung nach Übermittlung der in ihren vorherigen Schreiben aufgeführten Informationen und Dokumente wiederholte.

    54. Aus den im angefochtenen Beschluss vorgenommenen Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich somit, dass in den Tagen nach Mitteilung der streitigen Entscheidung an Vanbreda, und spätestens am 11. Februar 2014, diese in der Lage war, spezifizierte Kritik an der streitigen Entscheidung zu äußern. Daher ist davon auszugehen, dass die Stillhaltefrist von zehn Tagen spätestens am 11. Februar 2014 zu laufen begann, also 16 Kalendertage vor Vertragsschluss zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014.

    55. Der vom Präsidenten des Gerichts festgestellte Umstand, dass Vanbreda am 11. Februar 2014 keine Kenntnis davon hatte, dass Marsh ihr Angebot für Los 1 nicht gemeinsam mit den Versicherungsunternehmen eingereicht hatte, sondern als einzelne Bieterin, nahm Vanbreda nicht die Möglichkeit, innerhalb der Stillhaltefrist von zehn Tagen einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen einzureichen. Wie nämlich bereits in Rn. 51 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, hat der Präsident des Gerichts in Rn. 45 des angefochtenen Beschlusses auch festgestellt, dass Vanbreda diesen Umstand noch immer nicht kannte, als sie am 28. März 2014 tatsächlich ihre Nichtigkeitsklage und ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Gericht einreichte.

    56. Daraus folgt, dass die in Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 geregelte Stillhaltefrist von zehn Tagen im vorliegenden Fall vollständig eingehalten wurde.

    57. Nach alledem hat der Präsident des Gerichts, auch wenn er zu Recht entschieden hat, dass im Hinblick auf das Bestehen eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts, der sich aus dem Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf ergibt, die in der Rechtsprechung aufgestellte Voraussetzung hinsichtlich der Dringlichkeit im öffentlichen Auftragswesen abzumildern ist, in dem Sinne, dass ein schwerer, aber nicht irreparabler Schaden für deren Nachweis ausreichen kann, wenn der nachgewiesene fumus boni iuris besonders ernsthaft ist, in dem angefochtenen Beschluss einen Rechtsfehler begangen, indem er entschieden hat, dass diese Abmilderung ohne zeitliche Beschränkung anwendbar sei. Diese Abmilderung hinsichtlich der Voraussetzung der Dringlichkeit im öffentlichen Auftragswesen findet nämlich nur dann Anwendung, wenn der Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen vom abgelehnten Bieter vor dem Vertragsschluss mit dem Auftragnehmer beim Unionsrichter im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eingereicht wird. Außerdem unterliegt diese zeitliche Beschränkung selbst zwei Bedingungen, und zwar erstens, dass die Stillhaltefrist nach Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 vor dem Vertragsschluss beachtet wurde, und zweitens, dass der abgelehnte Bieter über ausreichende Informationen verfügte, um sein Recht auf Einreichung eines Antrags auf Erlass vorläufiger Maßnahmen innerhalb dieser Frist wahrzunehmen.

    58. Daher findet die Abmilderung der Voraussetzung der Dringlichkeit im öffentlichen Auftragswesen im vorliegenden Fall keine Anwendung. Daraus folgt, dass die Nrn. 1 und 2 des Tenors des angefochtenen Beschlusses entsprechend den Anträgen der Kommission ohne Prüfung der anderen Rechtsmittelgründe aufzuheben sind.

    Zum Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen

    59. Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen. Die genannte Bestimmung gilt auch für Rechtsmittel, die nach Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs eingelegt worden sind (vgl. Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs EDF/Kommission, C‑551/12 P[R], EU:C:2013:157, Rn. 36 und 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    60. Da der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist, ist über den Antrag von Vanbreda auf Erlass vorläufiger Maßnahmen zu entscheiden.

    61. Diesbezüglich ist festzustellen, dass die im vorliegenden Beschluss für die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses dargelegten Gründe auch die Zurückweisung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz rechtfertigen.

    62. Wie nämlich in Rn. 38 des vorliegenden Beschlusses befunden wurde, muss der in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags auf Unionsebene geschädigte Bieter die Möglichkeit haben, vorläufige Maßnahmen vor Vertragsschluss zwischen dem ausgewählten Auftragnehmer und dem öffentlichen Auftraggeber zu erlangen, ungeachtet der Tatsache, dass er nicht das Vorliegen eines nicht wiedergutzumachenden Schadens nachweisen kann, um die Voraussetzung der Dringlichkeit zu erfüllen. Wie dagegen in Rn. 42 des vorliegenden Beschlusses festgestellt wurde, besteht nach Abschluss dieses Vertrags, wenn die Stillhaltefrist von zehn Tagen eingehalten wurde, kein Anlass für eine Abmilderung der Anwendung der Voraussetzung der Dringlichkeit, und zwar auch dann nicht, wenn ein besonders ernsthafter fumus boni iuris nachgewiesen wurde.

    63. Wie in Rn. 56 des vorliegenden Beschlusses festgestellt, wurde die Stillhaltefrist von zehn Tagen vor dem Vertragsschluss der Kommission mit Marsh und den Versicherungsunternehmen hier eingehalten.

    64. Im Übrigen war der Vertragsschluss am 27. Februar 2014 längst erfolgt, als Vanbreda am 28. März 2014 ihre Nichtigkeitsklage und ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz einreichte.

    65. Unter diesen Bedingungen ist entsprechend der in Rn. 24 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung weder der von Vanbreda behauptete finanzielle noch der damit verbundene immaterielle Schaden als nicht wiedergutzumachender Schaden anzusehen, so dass die Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfüllt ist.

    66. Aus der in Rn. 22 des vorliegenden Beschlusses angeführten ständigen Rechtsprechung geht sodann hervor, dass die Voraussetzungen des fumus boni iuris und der Dringlichkeit kumulativ sind.

    67. Somit ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen, ohne dass es erforderlich ist, das Vorliegen eines fumus boni iuris zu prüfen oder eine Interessenabwägung vorzunehmen.

    Kosten

    68. Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

    69. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

    70. Da im vorliegenden Fall Vanbreda im Rechtsmittelverfahren mit ihren Forderungen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten dieses Verfahrens aufzuerlegen.

    Tenor

    Aus diesen Gründen hat der Vizepräsident des Gerichtshofs beschlossen:

    1. Die Nrn. 1 und 2 des Tenors des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts der Europäischen Union Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R, EU:T:2014:1024) werden aufgehoben.

    2. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.

    3. Vanbreda Risk & Benefits trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

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    BESCHLUSS DES VIZEPRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

    23. April 2015 ( *1 )

    „Rechtsmittel — Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes — Öffentliche Dienstleistungsaufträge — Ausschreibung über die Erbringung von Dienstleistungen in der Personen- und Sachversicherung — Ablehnung des Angebots eines Bieters und Entscheidung, den Auftrag an einen anderen Bieter zu vergeben — Antrag auf Aussetzung des Vollzugs — Besonders ernsthafter fumus boni iuris — Dringlichkeit — Schwerer Schaden — Nicht wiedergutzumachender Schaden — Fehlen — Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf — Richtlinie 89/665/EWG — Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Stillhaltefrist vor Vertragsschluss — Zugang zu Informationen zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vergabeentscheidung“

    In der Rechtssache C‑35/15 P(R)

    betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 29. Januar 2015,

    Europäische Kommission, vertreten durch S. Delaude und L. Cappelletti als Bevollmächtigte,

    Rechtsmittelführerin,

    andere Partei des Verfahrens:

    Vanbreda Risk & Benefits, Prozessbevollmächtigte: P. Teerlinck, P. de Bandt und M. Gherghinaru, avocats,

    Klägerin im ersten Rechtszug,

    erlässt

    DER VIZEPRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

    nach Anhörung des Ersten Generalanwalts M. Wathelet

    folgenden

    Beschluss

    1

    Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission die Aufhebung des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts der Europäischen Union Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R, EU:T:2014:1024, im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem der Präsident des Gerichts dem Antrag von Vanbreda Risk & Benefits (im Folgenden: Vanbreda) auf Aussetzung des Vollzugs stattgegeben hat.

    Rechtlicher Rahmen

    2

    Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665) lautet wie folgt:

    „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

    a)

    so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören auch Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Durchführung jeder sonstigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen;

    b)

    die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

    c)

    denjenigen, die durch den Verstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.“

    3

    Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 2 der Richtlinie lautet wie folgt:

    „Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 5, Absatz 3 des vorliegenden Artikels oder den Artikeln 2a bis 2f die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.“

    4

    Art. 2a dieser Richtlinie sieht eine Stillhaltefrist von zehn Tagen ab der Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag vor oder von 15 Tagen, wenn ein anderes Kommunikationsmittel als ein Fax oder der elektronische Weg genutzt wird, während deren der Vertragsschluss im Anschluss an diese Entscheidung nicht erfolgen darf (im Folgenden: Stillhaltefrist von zehn Tagen). Diese Bestimmung sieht vor:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten legen nach Maßgabe der Mindestbedingungen in Absatz 2 und in Artikel 2c Fristen fest, die sicherstellen, dass die [an einem Auftrag interessierten Personen] gegen Zuschlagsentscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksame Nachprüfungsverfahren anstrengen können.

    (2)   Der Vertragsschluss im Anschluss an die Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag, der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114)] fällt, darf nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen erfolgen, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber abgesendet wurde, falls sie per Fax oder auf elektronischem Weg abgesendet wird, oder, falls andere Kommunikationsmittel verwendet werden, nicht vor Ablauf einer Frist von entweder mindestens 15 Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber abgesendet wurde, oder mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang der Zuschlagsentscheidung.

    Bieter gelten als betroffen, wenn sie noch nicht endgültig ausgeschlossen wurden. Ein Ausschluss ist endgültig, wenn er den betroffenen Bietern mitgeteilt wurde und entweder von einer unabhängigen Nachprüfungsstelle als rechtmäßig anerkannt wurde oder keinem Nachprüfungsverfahren mehr unterzogen werden kann.

    Bewerber gelten als betroffen, wenn der öffentliche Auftraggeber ihnen keine Informationen über die Ablehnung ihrer Bewerbung zur Verfügung gestellt hat, bevor die Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter ergangen ist.

    Der Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an jeden betroffenen Bieter und Bewerber wird Folgendes beigefügt:

    vorbehaltlich des Artikels 41 Absatz 2 der Richtlinie [2004/18] eine Zusammenfassung der einschlägigen Gründe gemäß Artikel 41 Absatz 3 der genannten Richtlinie und

    eine genaue Angabe der konkreten Stillhaltefrist, die gemäß den einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieses Absatzes anzuwenden ist.“

    5

    Art. 1 Abs. 5 und Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 regeln die Stillhaltefrist von zehn Tagen für besondere Umstände. Die Art. 2b bis 2f dieser Richtlinie vervollständigen das von dieser Richtlinie erstellte Nachprüfungssystem, das auf der Beachtung der in Art. 2a geregelten Stillhaltefrist beruht.

    6

    Art. 171 Abs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. Oktober 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union (ABl. L 362, S. 1) lautet:

    „Der öffentliche Auftraggeber unterzeichnet einen unter die Richtlinie [2004/18] fallenden Vertrag oder Rahmenvertrag mit einem erfolgreichen Bieter erst nach 14 Kalendertagen.

    Diese Frist läuft ab einem der folgenden Zeitpunkte:

    a)

    ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Benachrichtigungen an die abgelehnten und die erfolgreichen Bieter zeitgleich übermittelt wurden;

    b)

    wenn es sich um einen Vertrag oder Rahmenvertrag handelt, der im Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb vergeben wurde, ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Bekanntmachung der Zuschlagserteilung gemäß Artikel 123 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde. …

    Erfolgt die Benachrichtigung nach Unterabsatz 2 Buchstabe a per Telefax oder elektronisch, so beträgt die Stillhaltezeit 10 Kalendertage.

    Erforderlichenfalls kann der öffentliche Auftraggeber die Vertragsunterzeichnung zwecks ergänzender Prüfung aussetzen, wenn die von den abgelehnten oder beschwerten Bietern oder Bewerbern übermittelten Anträge und Bemerkungen oder anderweitig erhaltene stichhaltige Informationen dies rechtfertigen. Die Anträge, Bemerkungen und Informationen müssen binnen der Frist nach Unterabsatz 1 eingehen. Wird die Unterzeichnung ausgesetzt, werden sämtliche Bewerber oder Bieter binnen drei Arbeitstagen nach dem Aussetzungsbeschluss davon unterrichtet.

    …“

    Vorgeschichte des Rechtsstreits, Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

    7

    Am 10. August 2013 veröffentlichte die Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union eine Ausschreibung mit der Referenznummer OIB.DR.2/PO/2013/062/591 betreffend einen in vier Lose unterteilten Auftrag für Personen- und Sachversicherungen. Los 1 bezog sich auf den Versicherungsschutz – ab dem 1. März 2014 – für Gebäude und deren Inventar, wobei der Vertrag von der Kommission im eigenen Namen und im Namen der folgenden öffentlichen Auftraggeber geschlossen werden sollte: Rat der Europäischen Union, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Ausschuss der Regionen der Europäischen Union, Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrats, Exekutivagentur für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, Exekutivagentur für die Forschung, Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur sowie Exekutivagentur für Innovation und Netze.

    8

    Diese Ausschreibung sollte den zu diesem Zeitpunkt geltenden Vertrag mit einem Konsortium ersetzen, dessen Maklerin Vanbreda war und der am 28. Februar 2014 auslief.

    9

    Am 7. September 2013 wurde im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. S 174) eine Berichtigung veröffentlicht, mit der die Frist für die Einreichung der Angebote bis zum 25. Oktober 2013 verlängert und der Zeitpunkt für die öffentliche Sitzung zur Öffnung der Angebote auf den 31. Oktober 2013 verschoben wurde. In dieser Sitzung bestätigte der Eröffnungsausschuss den Eingang von zwei Angeboten für das Los 1, die zum einen von der Versicherungsmaklerin Marsh SA (im Folgenden: Marsh) und zum anderen von Vanbreda abgegeben worden waren.

    10

    Am 30. Januar 2014 unterrichtete die Kommission Marsh, dass ihr der Zuschlag für Los 1 erteilt worden sei, und Vanbreda, dass ihr Angebot für dieses Los nicht ausgewählt worden sei, da sie nicht den niedrigsten Preis geboten habe (im Folgenden: streitige Entscheidung). Das Schreiben, mit dem die Kommission Vanbreda die streitige Entscheidung mitteilte, wurde dieser durch DHL und per E‑Mail übermittelt.

    11

    Der Dienstleistungsvertrag zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen wurde am 27. Februar 2014 unterzeichnet und am 1. März 2014 wirksam.

    12

    Mit separaten Schriftsätzen vom 28. März 2014 reichte Vanbreda bei der Kanzlei des Gerichts zum einen eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Aufhebung der streitigen Entscheidung sowie eine Schadensersatzklage nach den Art. 268 AEUV und 340 AEUV auf Verurteilung der Kommission zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von einer Million Euro ein und zum anderen einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, mit dem sie den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter im Wesentlichen nach Art. 105 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ersuchte, den Vollzug der streitigen Entscheidung bis zur Verkündung des Beschlusses im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Gericht auszusetzen und den Vollzug der streitigen Entscheidung bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache auszusetzen.

    13

    Mit dem Beschluss Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R) vom 3. April 2014 ordnete der Präsident des Gerichts zum einen die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidung und des zwischen der Kommission, Marsh und dem (den) betreffenden Versicherer(n) geschlossenen Dienstleistungsvertrags bis zur Verkündung des Beschlusses zur Beendigung des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes sowie zum anderen die Vorlage bestimmter von Vanbreda angegebener Dokumente an.

    14

    Am 8. April 2014 stellte die Kommission einen Antrag auf unverzügliche, rückwirkende und vollständige Aufhebung von Nr. 1 des Tenors des Beschlusses Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R) vom 3. April 2014 durch den Präsidenten des Gerichts. Auf der Grundlage der ihm in diesem Antrag zur Kenntnis gebrachten Tatsachen erließ der Präsident des Gerichts am 10. April 2014 einen neuen Beschluss Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R), mit dem er dem Antrag der Kommission stattgab. Am 25. April 2014 reichte die Kommission ihre Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ein.

    15

    Mit dem angefochtenen Beschluss vom 4. Dezember 2014 ordnete der Präsident des Gerichts die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidung an. Nachdem er in Rn. 136 dieses Beschlusses ausgeführt hatte, dass die Voraussetzung des fumus boni iuris erfüllt sei, und in den Rn. 142 bis 145, dass der angeführte Schaden schwer sei, befand er in den Rn. 148 bis 165, dass angesichts der Besonderheiten der Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz im Bereich des öffentlichen Auftragswesens sowie des im vorliegenden Fall nachgewiesenen besonders ernsthaften fumus boni iuris die Bedingung hinsichtlich der Eilbedürftigkeit ungeachtet des Fehlens eines nicht wiedergutzumachenden Schadens ebenfalls erfüllt sei. Zur Begründung dieses Ergebnisses stützte er sich insbesondere auf einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus dem im Bereich des öffentlichen Auftragswesens sicherzustellenden effektiven vorläufigen Rechtsschutz ergebe, den er vorab in den Rn. 16 bis 20 des angefochtenen Beschlusses beschrieben hatte.

    16

    Der Tenor des angefochtenen Beschlusses lautet:

    „1.

    Die [streitige] Entscheidung …, mit der [die Kommission] das von Vanbreda … im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens für einen Auftrag für die Personen- und Sachversicherung eingereichte Angebot zurückgewiesen hat und dieser Auftrag an eine andere Gesellschaft vergeben wurde, wird ausgesetzt, was den Zuschlag von Los 1 angeht.

    2.

    Die Wirkungen der [vorgenannten] Entscheidung … werden bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen den vorliegenden Beschluss aufrechterhalten.

    3.

    Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.“

    Anträge der Parteien

    17

    Die Europäische Kommission beantragt,

    die Nrn. 1 und 2 des Tenors des angefochtenen Beschlusses aufzuheben;

    den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen und

    Vanbreda die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen.

    18

    Vanbreda beantragt,

    das Rechtsmittel insgesamt abzuweisen;

    den Tenor des angefochtenen Beschlusses sowie die erlassene einstweilige Anordnung zu bestätigen und

    der Kommission die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen.

    Zum Rechtsmittel

    19

    Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt die Kommission vier Gründe an, und zwar einen Rechtsfehler bei der Anwendung der Voraussetzung der Dringlichkeit hinsichtlich der Folgen des Fehlens eines nicht wiedergutzumachenden Schadens, Rechtsfehler bei der Anwendung dieser Voraussetzung hinsichtlich eines behaupteten schweren Schadens, der nicht bei Vanbreda entstanden sei, einen Rechtsfehler bei der Interessenabwägung hinsichtlich des bei der Bewertung der Interessen von Vanbreda anzuwendenden Rahmens und einen Rechtsfehler bei dieser Interessenabwägung wegen der unterbliebenen Berücksichtigung von Interessen Dritter.

    Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    20

    Im Rahmen ihres ersten Rechtsmittelgrundes macht die Kommission im Wesentlichen geltend, der Präsident des Gerichts habe einen Rechtsfehler begangen, indem er angesichts des behaupteten Vorliegens eines besonders ernsthaften fumus boni iuris entschieden habe, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzung der Dringlichkeit erfüllt sei, ungeachtet der Tatsache, dass Vanbreda nicht dargetan habe, dass die Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz drohe, ihr einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen. Insbesondere sei die vom Präsidenten des Gerichts angeführte Richtlinie 89/665 nicht auf die Organe der Europäischen Union anzuwenden und lege nicht die auf die Anordnung der Aussetzung des Vollzugs anwendbaren Bedingungen fest. Außerdem bestehe nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes darin, die volle Wirksamkeit der Hauptsachenentscheidung sicherzustellen, und nicht darin, endgültig eine Rechtswidrigkeit zu beseitigen.

    21

    Vanbreda erwidert insbesondere, angesichts der Besonderheiten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes im Bereich des öffentlichen Auftragswesens und unter Beachtung der hohen Priorität des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in solchen Angelegenheiten nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) habe das Gericht in dem angefochtenen Beschluss den für Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz geltenden rechtlichen Rahmen korrekt angewandt.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    22

    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen müssen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann somit die Aussetzung des Vollzugs anordnen und einstweilige Anordnungen treffen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass diese Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht notwendig (fumus boni iuris) und dringlich in dem Sinne sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache zu erlassen und wirksam werden zu lassen. Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen ist, sofern es an einer von ihnen fehlt (Beschluss SCK und FNK/Kommission, C‑268/96 P[R], EU:C:1996:381, Rn. 30).

    23

    Es ist festzustellen, dass die in dem angefochtenen Beschluss dargelegte Begründung, nach der die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall ungeachtet des Fehlens eines nicht wiedergutzumachenden Schadens erfüllt sei, von der ständigen Rechtsprechung des Unionsrichters abweicht, soweit diese Voraussetzung betroffen ist, und zwar insbesondere bezüglich der Ersatzfähigkeit des finanziellen Schadens, den ein abgelehnter Bieter im Bereich des öffentlichen Auftragswesens erlitten hat.

    24

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts ist ein finanzieller Schaden nämlich – abgesehen von außergewöhnlichen Situationen – nicht als irreparabel anzusehen, da in der Regel ein Ersatz in Geld den Geschädigten wieder in die Lage versetzen kann, in der er sich vor Eintritt des Schadens befand. Für einen solchen Schaden könnte insbesondere im Rahmen einer Schadensersatzklage gemäß den Art. 268 AEUV und 340 AEUV Ersatz erlangt werden (Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs, Kommission/Pilkington Group, C‑278/13 P[R], EU:C:2013:558, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch im Bereich des öffentlichen Auftragswesens Beschluss des Präsidenten des Gerichts, Communicaid Group/Kommission, T‑4/13 R, EU:T:2013:121, Rn. 22, 28 bis 30, 33, 34 und 37). Wie der Präsident des Gerichts in den Rn. 154 und 156 des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, ist der im vorliegenden Fall behauptete Schaden nach dieser Rechtsprechung nicht irreparabel.

    25

    Soweit jedoch der Präsident des Gerichts seine Schlussfolgerung, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall erfüllt sei, mit einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts begründet, der auf dem in Art. 47 der Charta festgeschriebenen Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf beruhe, ist das Bestehen und die Tragweite dieses Grundsatzes zu prüfen.

    26

    Insoweit ist festzustellen, dass die Richtlinie 89/665, aus welcher der Präsident des Gerichts das Bestehen eines solchen Grundsatzes ableitet, sich an die Mitgliedstaaten richtet und somit nicht ohne Weiteres die Organe der Union verpflichtet.

    27

    Allerdings hat der Gerichtshof entschieden, dass ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts durch eine Richtlinie konkretisiert werden kann (Urteil Kücükdeveci, C‑555/07, EU:C:2010:21, Rn. 20 und 21 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    28

    Es ist festzustellen, dass die Richtlinie 89/665 den allgemeinen Grundsatz des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf im besonderen Bereich des öffentlichen Auftragswesens konkretisiert und es daher erforderlich ist, bei von der Union selbst erteilten Aufträgen den in den Regelungen dieser Richtlinie enthaltenen Ausdruck dieses allgemeinen Grundsatzes zu berücksichtigen, wie der Präsident des Gerichts in Rn. 20 des angefochtenen Beschlusses entschieden hat.

    29

    Entsprechend dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta hat der Gerichtshof auf der Grundlage der Regelungen in der Richtlinie 89/665 entschieden, dass ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz verlangt, dass die Beteiligten über die Zuschlagsentscheidung für einen öffentlichen Auftrag eine gewisse Zeit vor dem Vertragsschluss informiert werden, damit sie über eine tatsächliche Möglichkeit verfügen, einen Rechtsbehelf, insbesondere einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen bis zum Vertragsschluss, einzulegen (Urteil Fastweb, C‑19/13, EU:C:2014:2194, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    30

    Unter diesen Umständen hat der Präsident des Gerichts zu Recht in Rn. 158 des angefochtenen Beschlusses entschieden, dass die undifferenzierte Anwendung einer, wenn auch ständigen, Rechtsprechung, die es einem abgelehnten Bieter praktisch unmöglich mache, die Aussetzung des Vollzugs einer Zuschlagsentscheidung für den Auftrag eines Organs oder einer anderen Einrichtung der Union zu erreichen, mit der Begründung, dass der möglicherweise eintretende Schaden finanzieller Art und daher nicht irreparabel sei, unvereinbar sei mit den Erfordernissen, die sich aus dem effektiven vorläufigen Schutz ergeben, der im Bereich des öffentlichen Auftragswesens gemäß der Richtlinie 89/665 sicherzustellen ist.

    31

    Wenn er die Bestimmungen einer Richtlinie bedenkt, die einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts konkretisieren, kann der Unionsrichter jedoch den Inhalt dieser Bestimmungen nicht unberücksichtigt lassen, ungeachtet der Tatsache, dass sie als solche nicht auf den betreffenden Fall anzuwenden sind. Insbesondere soweit aus einer solchen Richtlinie hervorgeht, dass der Unionsgesetzgeber einen Ausgleich zwischen den verschiedenen beteiligten Interessen schaffen wollte, muss der Unionsrichter diesen Ausgleich bei der Anwendung des auf diese Weise konkretisierten allgemeinen Grundsatzes berücksichtigen.

    32

    Im vorliegenden Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorsieht, in ihrem nationalen Recht drei Arten von Maßnahmen vorzusehen, die es den im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge geschädigten Personen ermöglichen, beim zuständigen Richter erstens zu beantragen, dass „vorläufige Maßnahmen ergriffen werden …, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören auch Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Durchführung jeder sonstigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen“, sowie zweitens die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen und drittens Schadensersatz.

    33

    Jedoch bestimmt Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 2 der Richtlinie 89/665: „Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 5, Absatz 3 des vorliegenden Artikels oder den Artikeln 2a bis 2f die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.“

    34

    Wie der Gerichtshof in den Rn. 62 und 63 des Urteils Fastweb (C‑19/13, EU:C:2014:2194) entschied, wollte der Unionsgesetzgeber durch die Bestimmungen der Richtlinie 89/665 die Interessen des abgelehnten Bieters mit denen des öffentlichen Auftraggebers und des Auftragnehmers in Einklang bringen, indem er das Recht zur Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes, das die Mitgliedstaaten einem solchen Bieter zu eröffnen verpflichtet sind, auf den vorvertraglichen Zeitraum beschränkte; nach Ablauf dieses Zeitraums steht dem Bieter zwingend nur eine Schadensersatzklage nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 89/665 offen (vgl. auch in diesem Sinne Urteil Alcatel Austria u. a., C‑81/98, EU:C:1999:534, Rn. 37).

    35

    Somit ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, in ihrem nationalen Recht für Personen, die durch eine nach einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags getroffene Entscheidung geschädigt wurden, die Möglichkeit zur Beantragung vorläufiger Maßnahmen gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 vorzusehen, auf den Zeitraum zwischen der Annahme der Entscheidung und dem Vertragsschluss beschränkt.

    36

    Nach Art. 1 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 und den Art. 2a bis 2f dieser Richtlinie darf der Vertragsschluss jedoch nicht vor Ablauf der Stillhaltefrist von zehn Tagen erfolgen.

    37

    Wie der Gerichtshof in Rn. 61 des Fastweb-Urteils entschied (C‑19/13, EU:C:2014:2194), soll die Stillhaltefrist von zehn Tagen die Beteiligten in die Lage versetzen, die Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag gerichtlich anzufechten, bevor der Vertrag geschlossen wird.

    38

    Nach alledem hat der Präsident des Gerichts in Rn. 20 des angefochtenen Beschlusses zu Unrecht das Bestehen eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts festgestellt, der in den Bereich des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz falle, aufgrund dessen ein abgelehnter Bieter die Möglichkeit haben müsse, nicht nur Schadensersatz zu erlangen, sondern auch vorläufige Maßnahmen, ohne diese Feststellung auf den Zeitraum vor dem Vertragsschluss zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Auftragnehmer zu beschränken.

    39

    Nach Ablauf der in der Richtlinie 89/665 geregelten Stillhaltefrist von zehn Tagen vor dem Vertragsschluss kann aus dieser Richtlinie nämlich nicht geschlossen werden, der Umstand, dass einem abgelehnten Bieter nur die Forderung von Schadensersatz vor dem Richter möglich ist, stelle einen Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts betreffend das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf dar. Für Aufträge der öffentlichen Auftraggeber der Union ist nach Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 dieselbe Stillhaltefrist anzuwenden. Diese Frist beträgt ebenfalls zehn Kalendertage, wenn ein elektronisches Kommunikationsmittel benutzt wird, um den Beteiligten die Zuschlagsentscheidung für den Auftrag mitzuteilen.

    40

    Nunmehr ist zu prüfen, ob angesichts des Vorstehenden die vom Präsidenten des Gerichts in Rn. 164 des angefochtenen Beschlusses gezogene Schlussfolgerung, die Voraussetzung der Dringlichkeit sei erfüllt, obwohl der behauptete Schaden zwar schwer, jedoch nicht irreparabel sei, rechtsfehlerhaft ist.

    41

    Angesichts der zwingenden Erfordernisse, die sich aus dem effektiven Schutz ergeben, der im Bereich des öffentlichen Auftragswesens sichergestellt werden muss, ist festzustellen, wie es der Präsident des Gerichts in Rn. 162 des angefochtenen Beschlusses getan hat, dass, wenn der abgelehnte Bieter das Vorliegen eines besonders ernsthaften fumus boni iuris beweisen kann, von ihm nicht der Nachweis verlangt werden kann, dass die Zurückweisung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ihm einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen würde, da sonst ein unverhältnismäßiger und ungerechtfertigter Eingriff in den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz vorliegt, den er gemäß Art. 47 der Charta genießt.

    42

    Wie jedoch in Rn. 38 des vorliegenden Beschlusses entschieden wurde, ist diese Abmilderung der für die Prüfung des Vorliegens einer Dringlichkeit anwendbaren Voraussetzungen, die durch das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gerechtfertigt ist, nur während der vorvertraglichen Phase anzuwenden, wenn die in Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 geregelte Stillhaltefrist eingehalten wird. Wenn der öffentliche Auftraggeber nach Ablauf dieser Frist und vor der Einreichung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz den Vertrag mit dem Auftragnehmer geschlossen hat, ist die oben erwähnte Abmilderung nicht mehr gerechtfertigt.

    43

    Hinsichtlich der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall geht aus Rn. 4 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die Kommission am 30. Januar 2014 die Auftragnehmerin darüber informierte, dass ihr der Zuschlag für Los 1 erteilt worden sei, und Vanbreda darüber, dass ihr Angebot für dieses Los nicht ausgewählt worden sei, da sie nicht den niedrigsten Preis geboten habe. Außerdem wird in Rn. 5 des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts vom 10. April 2014, Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R) hervorgehoben, dass der Dienstleistungsvertrag zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014 unterzeichnet und am 1. März 2014 wirksam wurde.

    44

    Da die streitige Entscheidung Vanbreda mit elektronisch übermitteltem Schreiben vom 30. Januar 2014 mitgeteilt wurde, wurde die Stillhaltefrist von zehn Tagen nach Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 im vorliegenden Fall eingehalten. Tatsächlich lief nach dieser Bestimmung die Frist ab dem 31. Januar 2014, also 28 Tage vor Vertragsschluss.

    45

    Außerdem geht aus Rn. 5 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass Vanbreda den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz am 28. März 2014 einreichte. Somit erfolgte der Vertragsschluss zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014 vor der Einreichung dieses Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz.

    46

    Unter diesen Umständen ist gemäß den Feststellungen in Rn. 42 des vorliegenden Beschlusses die Abmilderung betreffend die Voraussetzung der Dringlichkeit grundsätzlich nicht gerechtfertigt.

    47

    Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass die Stillhaltefrist von zehn Tagen die Beteiligten nur dann in die Lage versetzt, die Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag vor Abschluss des Vertrags gerichtlich anzufechten, wenn die Beteiligten über ausreichende Informationen verfügen, um das Vorliegen einer eventuellen Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung zu ermitteln.

    48

    Die Annahme, dass die Stillhaltefrist von zehn Tagen eingehalten wurde, wenn keine tatsächliche Möglichkeit bestand, vor Vertragsschluss einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen einzureichen, weil der abgelehnte Bieter in diesem Zeitraum nicht über ausreichende Informationen verfügte, um einen solchen Antrag einzureichen, würde gegen den Grundsatz des Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf verstoßen.

    49

    Angesichts der Anforderungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit muss diese Ausnahme von der rein mechanischen Anwendung der Stillhaltefrist von zehn Tagen jedoch für außergewöhnliche Fälle vorbehalten werden, in denen der abgelehnte Bieter keinen Anlass hatte, vor dem Vertragsschluss mit dem Auftragnehmer eine Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung für den Auftrag anzunehmen.

    50

    Im Hinblick auf die im angefochtenen Beschluss vorgenommenen Sachverhaltsfeststellungen ist daher zu prüfen, ob Vanbreda über ausreichende Informationen verfügte, um während der Stillhaltefrist von zehn Tagen vor dem Vertragsschluss zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014 einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen zu stellen.

    51

    Diesbezüglich hat der Präsident des Gerichts in den Rn. 38 bis 43 des angefochtenen Beschlusses die Kontakte analysiert, die zwischen der Kommission und Vanbreda vor dem Vertragsschluss stattfanden, um die Zulässigkeit eines neuen Klagegrundes zu prüfen. In Rn. 45 des angefochtenen Beschlusses hat er entschieden, dass Vanbreda nach Einreichung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz am 28. März 2014, also nach dem Vertragsschluss am 27. Februar 2014, entdeckte, dass Marsh ihr Angebot für Los 1 nicht gemeinsam mit den Versicherungsunternehmen eingereicht hatte, sondern als einzelne Bieterin. Nach Ansicht des Präsidenten des Gerichts ist daher ein auf diesen Umstand gestützter Klagegrund zulässig, auch wenn er erst nach Einreichung des ursprünglichen Antrags vorgebracht wird.

    52

    Jedoch geht aus den Sachverhaltsfeststellungen des Präsidenten des Gerichts im angefochtenen Beschluss hervor, dass Vanbreda weit vor Vertragsschluss zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014 Gründe hatte, an der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung zu zweifeln.

    53

    Aus Rn. 37 des angefochtenen Beschlusses geht nämlich hervor, dass Vanbreda die Kommission bereits am 8. November 2013 über ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Angebots von Marsh und insbesondere an der Einhaltung der Bedingung hinsichtlich der geforderten gesamtschuldnerischen Haftung bei einem Angebot mit mehreren Versicherungsunternehmen informierte. Außerdem ergibt sich aus den Rn. 38 bis 40 des angefochtenen Beschlusses, dass Vanbreda mit E-Mails vom 31. Januar und 4. Februar 2014 sowie mit Einschreiben vom 3. und 7. Februar 2014 diese Zweifel wiederholte und die Vorlage bestimmter Dokumente zu diesem Thema von der Kommission forderte. Schließlich erklärte die Kommission Vanbreda mit Schreiben vom 7. Februar 2014, das in Rn. 41 des angefochtenen Beschlusses geprüft wurde, dass Marsh als Zuschlagsempfänger für den Vertrag betreffend Los 1 bestimmt worden sei, weil sie ein konformes Angebot zum niedrigsten Preis unterbreitet habe. Aus Rn. 43 des angefochtenen Beschlusses geht hervor, dass Vanbreda am 11. Februar 2014 in Beantwortung dieses Schreibens ihre Forderung nach Übermittlung der in ihren vorherigen Schreiben aufgeführten Informationen und Dokumente wiederholte.

    54

    Aus den im angefochtenen Beschluss vorgenommenen Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich somit, dass in den Tagen nach Mitteilung der streitigen Entscheidung an Vanbreda, und spätestens am 11. Februar 2014, diese in der Lage war, spezifizierte Kritik an der streitigen Entscheidung zu äußern. Daher ist davon auszugehen, dass die Stillhaltefrist von zehn Tagen spätestens am 11. Februar 2014 zu laufen begann, also 16 Kalendertage vor Vertragsschluss zwischen der Kommission, Marsh und den Versicherungsunternehmen am 27. Februar 2014.

    55

    Der vom Präsidenten des Gerichts festgestellte Umstand, dass Vanbreda am 11. Februar 2014 keine Kenntnis davon hatte, dass Marsh ihr Angebot für Los 1 nicht gemeinsam mit den Versicherungsunternehmen eingereicht hatte, sondern als einzelne Bieterin, nahm Vanbreda nicht die Möglichkeit, innerhalb der Stillhaltefrist von zehn Tagen einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen einzureichen. Wie nämlich bereits in Rn. 51 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, hat der Präsident des Gerichts in Rn. 45 des angefochtenen Beschlusses auch festgestellt, dass Vanbreda diesen Umstand noch immer nicht kannte, als sie am 28. März 2014 tatsächlich ihre Nichtigkeitsklage und ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Gericht einreichte.

    56

    Daraus folgt, dass die in Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 geregelte Stillhaltefrist von zehn Tagen im vorliegenden Fall vollständig eingehalten wurde.

    57

    Nach alledem hat der Präsident des Gerichts, auch wenn er zu Recht entschieden hat, dass im Hinblick auf das Bestehen eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts, der sich aus dem Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf ergibt, die in der Rechtsprechung aufgestellte Voraussetzung hinsichtlich der Dringlichkeit im öffentlichen Auftragswesen abzumildern ist, in dem Sinne, dass ein schwerer, aber nicht irreparabler Schaden für deren Nachweis ausreichen kann, wenn der nachgewiesene fumus boni iuris besonders ernsthaft ist, in dem angefochtenen Beschluss einen Rechtsfehler begangen, indem er entschieden hat, dass diese Abmilderung ohne zeitliche Beschränkung anwendbar sei. Diese Abmilderung hinsichtlich der Voraussetzung der Dringlichkeit im öffentlichen Auftragswesen findet nämlich nur dann Anwendung, wenn der Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen vom abgelehnten Bieter vor dem Vertragsschluss mit dem Auftragnehmer beim Unionsrichter im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eingereicht wird. Außerdem unterliegt diese zeitliche Beschränkung selbst zwei Bedingungen, und zwar erstens, dass die Stillhaltefrist nach Art. 171 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012 vor dem Vertragsschluss beachtet wurde, und zweitens, dass der abgelehnte Bieter über ausreichende Informationen verfügte, um sein Recht auf Einreichung eines Antrags auf Erlass vorläufiger Maßnahmen innerhalb dieser Frist wahrzunehmen.

    58

    Daher findet die Abmilderung der Voraussetzung der Dringlichkeit im öffentlichen Auftragswesen im vorliegenden Fall keine Anwendung. Daraus folgt, dass die Nrn. 1 und 2 des Tenors des angefochtenen Beschlusses entsprechend den Anträgen der Kommission ohne Prüfung der anderen Rechtsmittelgründe aufzuheben sind.

    Zum Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen

    59

    Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen. Die genannte Bestimmung gilt auch für Rechtsmittel, die nach Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs eingelegt worden sind (vgl. Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs EDF/Kommission, C‑551/12 P[R], EU:C:2013:157, Rn. 36 und 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    60

    Da der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist, ist über den Antrag von Vanbreda auf Erlass vorläufiger Maßnahmen zu entscheiden.

    61

    Diesbezüglich ist festzustellen, dass die im vorliegenden Beschluss für die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses dargelegten Gründe auch die Zurückweisung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz rechtfertigen.

    62

    Wie nämlich in Rn. 38 des vorliegenden Beschlusses befunden wurde, muss der in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags auf Unionsebene geschädigte Bieter die Möglichkeit haben, vorläufige Maßnahmen vor Vertragsschluss zwischen dem ausgewählten Auftragnehmer und dem öffentlichen Auftraggeber zu erlangen, ungeachtet der Tatsache, dass er nicht das Vorliegen eines nicht wiedergutzumachenden Schadens nachweisen kann, um die Voraussetzung der Dringlichkeit zu erfüllen. Wie dagegen in Rn. 42 des vorliegenden Beschlusses festgestellt wurde, besteht nach Abschluss dieses Vertrags, wenn die Stillhaltefrist von zehn Tagen eingehalten wurde, kein Anlass für eine Abmilderung der Anwendung der Voraussetzung der Dringlichkeit, und zwar auch dann nicht, wenn ein besonders ernsthafter fumus boni iuris nachgewiesen wurde.

    63

    Wie in Rn. 56 des vorliegenden Beschlusses festgestellt, wurde die Stillhaltefrist von zehn Tagen vor dem Vertragsschluss der Kommission mit Marsh und den Versicherungsunternehmen hier eingehalten.

    64

    Im Übrigen war der Vertragsschluss am 27. Februar 2014 längst erfolgt, als Vanbreda am 28. März 2014 ihre Nichtigkeitsklage und ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz einreichte.

    65

    Unter diesen Bedingungen ist entsprechend der in Rn. 24 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung weder der von Vanbreda behauptete finanzielle noch der damit verbundene immaterielle Schaden als nicht wiedergutzumachender Schaden anzusehen, so dass die Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfüllt ist.

    66

    Aus der in Rn. 22 des vorliegenden Beschlusses angeführten ständigen Rechtsprechung geht sodann hervor, dass die Voraussetzungen des fumus boni iuris und der Dringlichkeit kumulativ sind.

    67

    Somit ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen, ohne dass es erforderlich ist, das Vorliegen eines fumus boni iuris zu prüfen oder eine Interessenabwägung vorzunehmen.

    Kosten

    68

    Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

    69

    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

    70

    Da im vorliegenden Fall Vanbreda im Rechtsmittelverfahren mit ihren Forderungen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten dieses Verfahrens aufzuerlegen.

     

    Aus diesen Gründen hat der Vizepräsident des Gerichtshofs beschlossen:

     

    1.

    Die Nrn. 1 und 2 des Tenors des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts der Europäischen Union Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R, EU:T:2014:1024) werden aufgehoben.

     

    2.

    Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.

     

    3.

    Vanbreda Risk & Benefits trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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