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Dokument 62013CJ0315

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 3. Dezember 2014.
Edgard Jan De Clercq u. a.
Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank van eerste aanleg te Mechelen.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Dienstleistungsverkehr – Art. 56 AEUV und 57 AEUV – Richtlinie 96/71/EG – Art. 3 Abs. 1 und 10 – Richtlinie 2006/123/EG – Art. 19 – Nationale Regelung, wonach die Person, bei der durch entsandte Arbeitnehmer oder Praktikanten Arbeiten durchgeführt werden, diejenigen Arbeitnehmer melden muss, die nicht die Empfangsbestätigung für die Meldung vorlegen können, die ihr in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Arbeitgeber beim Aufnahmemitgliedstaat hätte abgeben müssen – Strafrechtliche Sanktion.
Rechtssache C‑315/13.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2014:2408

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

3. Dezember 2014 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Freier Dienstleistungsverkehr — Art. 56 AEUV und 57 AEUV — Richtlinie 96/71/EG — Art. 3 Abs. 1 und 10 — Richtlinie 2006/123/EG — Art. 19 — Nationale Regelung, wonach die Person, bei der durch entsandte Arbeitnehmer oder Praktikanten Arbeiten durchgeführt werden, diejenigen Arbeitnehmer melden muss, die nicht die Empfangsbestätigung für die Meldung vorlegen können, die ihr in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Arbeitgeber beim Aufnahmemitgliedstaat hätte abgeben müssen — Strafrechtliche Sanktion“

In der Rechtssache C‑315/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank van eerste aanleg te Mechelen (Belgien) mit Entscheidung vom 28. November 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juni 2013, in dem Strafverfahren gegen

Edgard Jan De Clercq,

Emiel Amede Rosa De Clercq,

Nancy Genevieve Wilhelmina Rottiers,

Ermelinda Jozef Martha Tampère,

Thermotec NV

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Edgard De Clercq, Emiel De Clercq und N. Rottiers, vertreten durch S. Bouzoumita, advocaat,

der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von S. Rodrigues und I. Majumdar, avocats,

der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning und M. Wolff als Bevollmächtigte,

der französischen Regierung, vertreten durch R. Coesme und D. Colas als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Wilman, J. Enegren und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 AEUV und 57 AEUV, von Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) und von Art. 19 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Edgard De Clercq, Emiel De Clercq, N. Rottiers und E. Tampère, die alle die belgische Staatsangehörigkeit besitzen, und gegen die Thermotec NV, eine Gesellschaft belgischen Rechts (alle im Folgenden zusammen: Angeklagte), in dem ihnen insbesondere vorgeworfen wird, in der Zeit vom 1. April 2007 bis 18. November 2008 wiederholt gegen eine nach dem nationalen Recht vorgesehene Meldepflicht in Bezug auf entsandte Arbeitnehmer verstoßen zu haben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 96/71

3

Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 96/71 bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Absatz 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden.

(3)   Diese Richtlinie findet Anwendung, soweit die in Absatz 1 genannten Unternehmen eine der folgenden länderübergreifenden Maßnahmen treffen:

a)

einen Arbeitnehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder

b)

einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder

…“

4

Art. 3 („Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen“) der Richtlinie 96/71 lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,

durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder

durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Abs. 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen [d. h., alle Bauarbeiten, die der Errichtung, der Instandsetzung, der Instandhaltung, dem Umbau oder dem Abriss von Bauwerken dienen],

festgelegt sind:

a)

Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten;

b)

bezahlter Mindestjahresurlaub;

c)

Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; …

d)

Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen;

e)

Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz;

f)

Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen;

g)

Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen.

(10)   Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung des Vertrags für inländische und ausländische Unternehmen in gleicher Weise

Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für andere als die in Absatz 1 Unterabsatz 1 aufgeführten Aspekte, soweit es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt,

Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die in Tarifverträgen oder Schiedssprüchen nach Absatz 8 festgelegt sind und andere als im Anhang genannte Tätigkeit betreffen, vorzuschreiben.“

5

Art. 5 („Maßnahmen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vor.

Sie stellen insbesondere sicher, dass den Arbeitnehmern und/oder ihren Vertretern für die Durchsetzung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen geeignete Verfahren zur Verfügung stehen.“

Richtlinie 2006/123

6

Art. 16 („Dienstleistungsfreiheit“) Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten dürfen die Dienstleistungsfreiheit eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers nicht einschränken, indem sie diesen einer der folgenden Anforderungen unterwerfen:

g)

den in Artikel 19 genannten Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs.“

7

Art. 19 („Unzulässige Beschränkungen“) der Richtlinie 2006/123 steht in deren Kapitel IV („Freier Dienstleistungsverkehr“) Abschnitt 2 („Rechte der Dienstleistungsempfänger“) und lautet:

„Die Mitgliedstaaten dürfen an den Dienstleistungsempfänger keine Anforderungen stellen, die die Inanspruchnahme einer Dienstleistung beschränken, die von einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten wird; dies gilt insbesondere für folgende Anforderungen:

a)

die Pflicht, bei den zuständigen Behörden eine Genehmigung einzuholen oder diesen gegenüber eine Erklärung abzugeben;

…“

8

Gemäß Art. 44 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, die erforderlich waren, um dieser Richtlinie bis spätestens ab dem 28. Dezember 2009 nachzukommen.

Belgisches Recht

Gesetz zur wirtschaftlichen Neuorientierung vom 4. August 1978

9

Art. 69 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Neuorientierung vom 4. August 1978 (Belgisches Staatsblatt vom 17. August 1978, S. 9106) bestimmt:

„§ 1   Jede Person, bei der oder für die Arbeitnehmer von Dritten Arbeiten durchführen, für die weiterhin die Sozialrechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats … als Belgien gelten, hat der Sozialaufsichtsbehörde des Ministerie van Sociale Voorzorg (Ministerium für soziale Angelegenheiten) am ersten Tag der Anwesenheit dieser Arbeitnehmer die Namen derjenigen mitzuteilen, die nicht durch Vorlage der Entsendebescheinigung gemäß Art. 11 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 74, S. 1) nachweisen können, dass sie den genannten Sozialrechtsvorschriften unterliegen, sowie den Namen oder die Bezeichnung und die Anschrift ihres Arbeitgebers.

§ 2   …

Wer gegen § 1 verstößt, unterliegt den Strafbestimmungen der Art. 35 bis 39 [des Gesetzes vom 27. Juni 1969 zur Überarbeitung des Erlassgesetzes vom 28. Dezember 1944 über die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer].“

10

Dieser Art. 69 wurde durch Art. 149 der loi-programme (I) (Programmgesetz [I]) vom 27. Dezember 2006 (Belgisches Staatsblatt vom 28. Dezember 2006, S. 75178, im Folgenden: Programmgesetz) aufgehoben.

Programmgesetz

11

In Abschnitt 1 des Titels IV Kapitel VIII des Programmgesetzes, der die Art. 137 und 138 dieses Gesetzes enthält, sind der Anwendungsbereich dieses Kapitels und einige Begriffsbestimmungen festgelegt. Art. 137 des Programmgesetzes bestimmt:

„Für die Anwendung des vorliegenden Kapitels und seiner Ausführungserlasse versteht man unter:

1.

Arbeitnehmern: die Personen, die unter der Autorität einer anderen Person gegen Entlohnung Arbeitsleistungen erbringen,

2.

entsandten Arbeitnehmern: die in Nr. 1 erwähnten Personen, die vorübergehend oder teilweise eine Arbeitsleistung in Belgien erbringen und die:

a)

entweder gewöhnlich auf dem Staatsgebiet eines oder mehrerer anderer Länder als Belgien arbeiten

b)

oder in einem anderen Land als Belgien eingestellt worden sind,

3.

Arbeitgebern: die natürlichen oder juristischen Personen, die die in Nr. 2 erwähnten Arbeitnehmer beschäftigen,

4.

Praktikanten: die Personen, die im Rahmen eines Lehrplans oder einer Berufsausbildung ein obligatorisches oder freiwilliges Praktikum absolvieren, um das Diplom oder Zeugnis zu erhalten oder um praktische Erfahrung zu erwerben,

5.

entsandten Praktikanten: die in Nr. 4 erwähnten Personen, die im Rahmen eines ausländischen Lehrplans oder einer ausländischen Berufsausbildung ein Praktikum oder einen Teil eines Praktikums auf belgischem Staatsgebiet absolvieren,

6.

Einrichtung, wo der Praktikant sein Studium oder seine Berufsausbildung absolviert: das Unternehmen, die private oder öffentliche Unterrichtsanstalt oder jede andere Einheit, für die das Praktikum absolviert wird,

…“

12

Art. 138 des Programmgesetzes bestimmt:

„Dieses Kapitel findet Anwendung auf:

die entsandten Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber;

die entsandten Praktikanten und gegebenenfalls die Einrichtungen, wo sie ihr Studium oder ihre Berufsausbildung absolvieren;

…“

13

Kapitel VIII des Titels IV des Programmgesetzes steht unter der Überschrift „Vorhergehende Meldung für entsandte Arbeitnehmer und Selbständige“. Dieses am 1. April 2007 in Kraft getretene Kapitel führt für entsandte Arbeitnehmer und Selbständige eine Regelung, das sogenannte „Limosa-Meldesystem“, ein, mit der eine Pflicht zur vorherigen Meldung im Rahmen eines umfassenderen Projekts, des sogenannten „Limosa“-Systems, (Limosa steht für „Landenoverschrijdend Informatiesysteem ten behoeve van Migratieonderzoek bij de Sociale Administratie“ – Länderübergreifendes Informationssystem für Migrationsuntersuchung im Bereich der Sozialen Administration) angeordnet worden ist.

14

Abschnitt 2 („Vorhergehende Meldung für entsandte Arbeitnehmer“) des Kapitels VIII umfasst die Art. 139 bis 152 des Programmgesetzes. Art. 139 des Programmgesetzes bestimmte in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung:

„Vor der Beschäftigung eines entsandten Arbeitnehmers auf belgischem Staatsgebiet muss sein Arbeitgeber oder ein Angestellter oder Beauftragter des Arbeitgebers beim Landesamt für soziale Sicherheit eine gemäß Artikel 140 erstellte elektronische Meldung nach den vom König festgelegten Modalitäten machen.

Bevor der entsandte ausländische Praktikant sein Praktikum auf belgischem Staatsgebiet beginnt, muss er die Einrichtung, wo er sein Studium oder seine Berufsausbildung absolviert, beim Landesamt für soziale Sicherheit eine gemäß Artikel 140 erstellte elektronische Meldung nach den vom König festgelegten Modalitäten machen.

Sobald die in den vorangehenden Absätzen erwähnte Meldung erfolgt ist, erhält der Meldende eine Empfangsbestätigung…

…“

15

Nach Art. 140 des Programmgesetzes bestimmt „[d]er König … die Datengruppen, die in der in Artikel 139 erwähnten vorhergehenden Meldung aufgenommen werden müssen“, und „[d]as Landesamt für soziale Sicherheit bestimmt den Inhalt dieser Datengruppen“.

16

Art. 141 des Programmgesetzes, der in Titel IV Kapitel VIII Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Programmgesetzes steht, regelt die Verpflichtung der Endnutzer oder Auftraggeber der entsandten Arbeitnehmer wie folgt:

„Jede Person, bei der oder für die in Artikel 137 Nrn. 2 und 5 erwähnte Personen unmittelbar oder über einen Subunternehmer Arbeiten durchführen, muss vor Beginn der Beschäftigung dieser Personen dem Landesamt für soziale Sicherheit die Identifizierungsdaten der Personen, die die gemäß Artikel 139 Absatz 4 des vorliegenden Kapitels ausgestellte Empfangsbestätigung nicht vorlegen können, gemäß den vom König festgelegten Modalitäten elektronisch übermitteln.

Sobald die im vorstehenden Absatz erwähnte Meldung erfolgt ist, erhält der Meldende eine Empfangsbestätigung …

…“

17

In Kapitel VIII Abschnitt 4 („Überwachung und Sanktionen“) sah Art. 157 für die nach Art. 139 des Programmgesetzes bestehende Meldepflicht eine Sanktion vor. Art. 158 des Programmgesetzes im selben Abschnitt bezog sich u. a. auf die in Art. 141 dieses Gesetzes vorgesehene Meldung und lautete:

„Unbeschadet der Artikel 269 bis 274 des Strafgesetzbuchs wird jede Person, die die Bestimmungen [des Artikels] 141 … nicht eingehalten hat, mit einer Geldbuße von 250 bis zu 2500 Euro bestraft; die Geldbuße wird so oft angewandt, wie es entsandte Arbeitnehmer oder Selbständige gibt, gegenüber denen ein Verstoß begangen worden ist, ohne dass der Gesamtbetrag der Geldbußen jedoch 125000 Euro überschreiten darf.“

Sozialstrafgesetzbuch und Strafgesetzbuch

18

Das Sozialstrafgesetzbuch wurde durch Art. 2 des am 1. Juli 2011 in Kraft getretenen Gesetzes vom 6. Juni 2010 (Belgisches Staatsblatt vom 1. Juli 2010, S. 43712) eingeführt. Durch Art. 109 Nr. 55 dieses Gesetzes wurde u. a. Art. 158 des Programmgesetzes aufgehoben.

19

Art. 183 („Verpflichtungen der Endnutzer oder Auftraggeber“) des Sozialstrafgesetzbuchs bestimmt:

„Mit einer Sanktion der Stufe 3 wird bestraft

1. jede Person, bei der oder für die entsandte Arbeitnehmer und entsandte Praktikanten unmittelbar oder über einen Subunternehmer beschäftigt sind und die unter Verstoß gegen Titel IV Kapitel VIII des Programmgesetzes … und seine Ausführungserlasse vor Beginn der Beschäftigung dieser Personen dem Landesamt für soziale Sicherheit die Identifizierungsdaten der Personen, die keine Empfangsbestätigung vorlegen können, nicht gemäß den vom König festgelegten Modalitäten elektronisch übermittelt hat.

Für die in Absatz 1 erwähnten Verstöße wird die Geldbuße mit der Anzahl der betreffenden Arbeitnehmer, Praktikanten, Selbständigen oder selbständigen Praktikanten multipliziert.“

20

Nach Art. 101 des Sozialstrafgesetzbuchs besteht „[d]ie Sanktion der Stufe 3 … entweder aus einer strafrechtlichen Geldbuße in Höhe von 100 bis zu 1000 Euro oder aus einer administrativen Geldbuße von 50 bis zu 500 Euro“. Art. 102 des Sozialstrafgesetzbuchs sieht vor, dass die Zuschlagzehntel, die in Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 5. März 1952 über Zuschlagzehntel auf strafrechtliche Geldbußen (Belgisches Staatsblatt vom 3. April 1952, S. 2606) in der durch das Gesetz vom 28. Dezember 2011 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen im Bereich der Justiz (II) geänderten Fassung (Belgisches Staatsblatt vom 30. Dezember 2011, S. 81669) erwähnt sind, sowohl auf die strafrechtlichen Geldbußen als auch auf die administrativen Geldbußen anwendbar sind. Die Anwendung dieser Zehntel führt dazu, dass sich die Höhe der genannten Geldbußen versechsfacht.

21

Art. 2 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs bestimmt: „Wenn eine zum Zeitpunkt des Urteils angedrohte Strafe sich von der zum Zeitpunkt der Straftat angedrohten Strafe unterscheidet, wird die mildeste Strafe angewandt.“

Königlicher Erlass

22

Kapitel VIII des Titels IV des Programmgesetzes wurde durch den Königlichen Erlass vom 20. März 2007 zur Ausführung dieses Kapitels (Belgisches Staatsblatt vom 28. März 2007, S. 16975) in der durch den Königlichen Erlass vom 31. August 2007 (Belgisches Staatsblatt vom 13. September 2007, S. 48537) geänderten Fassung (im Folgenden: Königlicher Erlass) ergänzt.

23

Art. 7 des Königlichen Erlasses bestimmt:

„Die Meldung nach Art. 141 … des Programmgesetzes … umfasst folgende Daten:

1.

Identifizierungsdaten des Meldenden. Falls dieser bereits über eine Unternehmensnummer oder Identifizierungsnummer der sozialen Sicherheit verfügt und sofern es sich um eine natürliche Person handelt, die nicht die Eigenschaft eines Unternehmens im Sinne des vorerwähnten Gesetzes vom 16. Januar 2003 hat, genügt diese Nummer.

2.

Identifizierungsdaten des entsandten Arbeitnehmers … oder Praktikanten. Falls dieser bereits über eine Identifizierungsnummer des Nationalregisters oder eine Identifizierungsnummer der Zentralen Datenbank im Sinne von Artikel 8 des vorerwähnten Gesetzes vom 15. Januar 1990 verfügt, genügt diese Nummer.

3.

Identifizierungsdaten in Bezug auf den Arbeitgeber des entsandten Arbeitnehmers oder die Einrichtung, bei der der Praktikant sein Praktikum oder seine Berufsausbildung absolviert. Falls diese bereits eine Unternehmensnummer oder Identifizierungsnummer der sozialen Sicherheit besitzen und sofern es sich um eine natürliche Person handelt, die nicht die Eigenschaft eines Unternehmens im Sinne des vorerwähnten Gesetzes vom 16. Januar 2003 hat, genügt diese Nummer.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

24

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass die Thermotec NV eine Gesellschaft belgischen Rechts ist, die industrielle Kühlsysteme herstellt. Die vier im Ausgangsverfahren verfolgten Personen sind oder waren Mitglieder des Verwaltungsrats dieser Gesellschaft. Eine Schwesterfirma, die Thermotec sp. z o.o., wurde in Polen gegründet. Deren Geschäftstätigkeit ist die gleiche wie die der Thermotec NV.

25

Anlässlich einer am 5. Mai 2008 von den sozialen Aufsichtsdiensten am Sitz der Thermotec NV durchgeführten Kontrolle wurden vier polnische Arbeitnehmer bei der Durchführung von Arbeiten angetroffen; drei von ihnen waren bei der Thermotec sp. z o.o. beschäftigt. Für diese Arbeitnehmer konnte kein E 101-Formular vorgelegt werden. Die Thermotec sp. z o.o. konnte auch nicht die nach Art. 139 des Programmgesetzes vorgesehene Empfangsbestätigung vorlegen, die nach der vor Entsendung erfolgenden Meldung ausgestellt wird (im Folgenden: Empfangsbestätigung), und die Thermotec NV, die Endnutzerin der Dienste, hatte der zuständigen belgischen Stelle nicht die Identifizierungsdaten der entsandten Arbeitnehmer übermittelt, die nicht in der Lage waren, die Empfangsbestätigung vorzulegen.

26

Bei einer Überprüfung stellte sich heraus, dass die Thermotec sp. z o.o. auch für frühere Beschäftigungszeiten polnischer Arbeitnehmer oder Praktikanten kein E 101-Formular beantragt hatte. Darüber hinaus hatten die Angeklagten in der Zeit vor dem 1. April 2007 der Stelle für soziale Aufsicht nicht am ersten Tag der Beschäftigung den Namen dieser Arbeitnehmer mitgeteilt und auch nicht den Namen und die Anschrift ihrer Arbeitgeber. In der Zeit nach dem 1. April 2007 wurden die Identifizierungsdaten der Personen, die keine Empfangsbestätigung hatten vorlegen können, nicht mitgeteilt.

27

Am 3. Oktober 2008 leitete der Arbeidsauditeur (Arbeitsauditor) eine gerichtliche Untersuchung ein. Im Rahmen dieser Untersuchung fand am 18. November 2008 eine Hausdurchsuchung statt. Am 21. November 2008 stellte die polnische Stelle für soziale Aufsicht rückwirkend gültige E 101-Formulare aus.

28

In Bezug auf die Thermotec sp. z o.o. wurde ein Protokoll wegen Verstoßes erstellt. Außerdem wurden die Thermotec NV und die vier im Ausgangsverfahren verfolgten natürlichen Personen mit Verfügung vom 17. Februar 2012 wegen zweier Tatvorwürfe beim vorlegenden Gericht angeklagt. Der erste Tatvorwurf bezieht sich auf Taten, mit denen in der Zeit vom 27. Juni 2004 bis 31. März 2007 gegen Art. 69 § 1 Unterabs. 1 und § 2 Unterabs. 2 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Neuorientierung vom 4. August 1978 verstoßen wurde. Der zweite Tatvorwurf bezieht sich auf in der Zeit vom 1. April 2007 bis 18. November 2008 begangene Taten, mit denen gegen Art. 141 des Programmgesetzes verstoßen wurde. Beide Verstöße können mit einer Geldbuße geahndet werden.

29

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Angeklagten nicht deshalb verfolgt würden, weil sie als Arbeitgeber der entsandten Arbeitnehmer nicht die vor der Entsendung vorgeschriebene Meldung vorgenommen hätten, sondern weil sie als Endnutzer oder Auftraggeber nicht die Identifizierungsdaten der Personen, die die Empfangsbestätigung nicht hätten vorlegen können, übermittelt hätten.

30

Edgard De Clercq, Emiel De Clercq und N. Rottiers machen vor dem vorlegenden Gericht geltend, die durch Art. 141 des Programmgesetzes auferlegte Meldepflicht (im Folgenden: Meldepflicht) stelle eine unverhältnismäßige Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Sie betonen, es müsse berücksichtigt werden, dass diese Meldepflicht zu der in Art. 139 des Programmgesetzes vorgesehenen Meldepflicht des ausländischen Dienstleisters hinzukomme, und berufen sich außerdem auf Art. 19 Buchst. a der Richtlinie 2006/123.

31

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Richtlinie 2006/123 nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Kommission/Belgien (C‑577/10, EU:C:2012:477, Nr. 54) im vorliegenden Fall möglicherweise nicht einschlägig sei, da die vorgeworfenen Taten vor dem 2. Oktober 2009 lägen. Allerdings müsse die Richtlinie 96/71 berücksichtigt werden.

32

Die für die Nutzer und Auftraggeber bestehende Verpflichtung zur Mitteilung der Identifizierungsdaten entsandter Arbeitnehmer, die von ihrem Arbeitgeber den belgischen Behörden nicht gemeldet worden seien, könnte nach Ansicht des vorlegenden Gerichts für die Nutzer von Dienstleistungen eines in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassenen Dienstleisters als eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufgefasst werden. Im vorliegenden Fall kämen jedoch mehrere Rechtfertigungsgründe in Betracht, z. B. der Schutz der entsandten Arbeitnehmer und das Erfordernis, über Informationen zu verfügen, die eine wirksame Kontrolle der Einhaltung der auf diese Arbeitnehmer anwendbaren belgischen Rechtsvorschriften ermöglichten, die Verhinderung unlauteren Wettbewerbs einschließlich der Bekämpfung von Sozialdumping, die Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit sowie die Notwendigkeit, Betrug zu verhindern und Missbräuche zu bekämpfen. Allerdings stelle sich die Frage, ob die fragliche Meldepflicht und die Sanktion, die bei Nichterfüllung dieser Pflicht verhängt werden könne (im Folgenden zusammenfassend: fragliche nationale Regelung), nicht über das hinausgingen, was erforderlich sei, um diese Ziele zu erreichen.

33

Im Übrigen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass im Zeitpunkt des Erlasses der Vorlageentscheidung der Gerichtshof noch keine Entscheidung in der Rechtssache Kommission/Belgien (C‑577/10), die ebenfalls das Programmgesetz betreffe, getroffen habe. Diese Rechtssache beziehe sich allerdings auf Selbständige, während es im vorliegenden Fall um die Pflichten des Endnutzers im Rahmen der Entsendung von Arbeitnehmern und Praktikanten gehe. Das vorliegende Verfahren betreffe daher andere Vorschriften des Programmgesetzes als die in der Rechtssache Kommission/Belgien in Rede stehenden.

34

Unter diesen Umständen hat die Rechtbank van eerste aanleg te Mechelen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Art. 56 AEUV und 57 AEUV (früher Art. 49 EG und 50 EG) sowie Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 19 der Richtlinie 2006/123, dahin auszulegen, dass sie Art. 141 des Programmgesetzes, wonach der Person, bei der oder für die durch entsandte Arbeitnehmer oder Praktikanten unmittelbar oder über einen Subunternehmer Arbeiten durchgeführt werden, die Verpflichtung auferlegt wird, vor dem Beginn der Beschäftigung dieser Personen dem Landesamt für soziale Sicherheit die Identifizierungsdaten derjenigen Personen, die die ihrem Arbeitgeber ausgestellte Empfangsbestätigung für dessen vorherige Meldung nicht vorlegen können, elektronisch (oder, sofern nicht möglich, per Fax oder Briefpost) zu übermitteln, in Verbindung mit Art. 157 des Programmgesetzes und Art. 183 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialstrafgesetzbuchs, wonach die Nichterfüllung dieser Verpflichtung mit Ordnungsstrafen geahndet wird, entgegenstehen?

Zur Vorlagefrage

35

Vorab ist zum einen festzustellen, dass das vorlegende Gericht in seiner Frage auf Art. 157 des Programmgesetzes verweist. In dieser Vorschrift war u. a. festgelegt, welche Sanktion gegen den Arbeitgeber von entsandten Arbeitnehmern verhängt werden kann, der gegen seine Meldepflicht aus Art. 139 des Programmgesetzes verstößt. Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, geht es im Ausgangsverfahren aber um die Sanktion, die gegen den Dienstleistungsempfänger verhängt werden kann, der seine Pflicht zur Meldung von Arbeitnehmern, die von ihrem Arbeitgeber nicht zuvor gemeldet worden sind, nicht erfüllt. Diese Sanktion war in Art. 158 des Programmgesetzes vorgesehen. Am 1. Juli 2011 wurde dieser Artikel durch Art. 183 des Sozialstrafgesetzbuchs ersetzt. Die letztgenannte Vorschrift ist nach den Angaben des vorlegenden Gerichts im Ausgangsverfahren gemäß Art. 2 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs anwendbar. Weiter ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Angeklagten zwar wegen zweier Tatvorwürfe vor dem vorlegenden Gericht stehen, dessen Frage an den Gerichtshof sich jedoch nur auf den ihnen zur Last gelegten Verstoß gegen Art. 141 des Programmgesetzes bezieht.

36

Außerdem ist gleich zu Anfang festzustellen, dass sich das vorlegende Gericht in seiner Frage zwar sowohl auf nach Belgien entsandte Arbeitnehmer als auch auf dorthin entsandte Praktikanten bezieht, die für diese Personen geltenden nationalen Vorschriften sich jedoch mutatis mutandis entsprechen. Die nachstehenden Ausführungen zu den entsandten Arbeitnehmern gelten daher auch für die genannten Praktikanten, sofern das Praktikum unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis durchgeführt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile Lawrie-Blum, 66/85, EU:C:1986:284, Rn. 22, und Bernini, C‑3/90, EU:C:1992:89, Rn. 14 und 15).

37

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob die Art. 56 AEUV und 57 AEUV sowie Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 19 der Richtlinie 2006/123, dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wonach der Empfänger von Dienstleistungen, die von entsandten Arbeitnehmern eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleisters erbracht werden, verpflichtet ist, den zuständigen Behörden vor dem Beginn der Beschäftigung dieser Arbeitnehmer deren Identifizierungsdaten zu übermitteln, wenn sie nicht den Nachweis für die Meldung vorlegen können, die ihr Arbeitgeber bei den zuständigen Behörden dieses Aufnahmemitgliedstaats vor dem Beginn der betreffenden Dienstleistung hätte vornehmen müssen.

38

Die belgische, die dänische und die französische Regierung meinen, die fragliche nationale Regelung könne nicht als eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs aufgefasst werden. Sie sei auf jeden Fall zum einen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmer, die Verhinderung unlauteren Wettbewerbs und die Bekämpfung von Betrug, und zum anderen erforderlich, um diese Ziele zu erreichen. Im Übrigen bedürfe im vorliegenden Fall weder die Richtlinie 96/71 noch die Richtlinie 2006/123 einer Auslegung.

39

Die österreichische Regierung vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass die fragliche nationale Regelung mit Art. 5 der Richtlinie 96/71 im Einklang stehe, wonach die Mitgliedstaaten für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie geeignete Maßnahmen vorzusehen hätten.

40

Edgard De Clercq, Emiel De Clercq und N. Rottiers tragen demgegenüber vor, diese Regelung stelle eine gegen die Art. 56 AEUV und 57 AEUV verstoßende unverhältnismäßige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Außerdem sei es den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 2006/123 ausdrücklich verwehrt, für die Inanspruchnahme der Dienstleistung eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers eine Meldepflicht vorzuschreiben.

41

Die Europäische Kommission meint, in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei im vorliegenden Fall eine Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 nicht erforderlich, und die Richtlinie 2006/123 sei in zeitlicher Hinsicht auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar. Im Übrigen stelle die fragliche nationale Regelung ein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr dar. Diese Regelung könnte gerechtfertigt sein, doch sei es Sache des vorlegenden Gerichts, den mit ihr angestrebten Zweck und ihre Verhältnismäßigkeit konkret und genau zu prüfen und zu beurteilen.

Zur Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71

42

Art. 3 der Richtlinie 96/71 bezieht sich nach seiner Überschrift auf die „Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen“ entsandter Arbeitnehmer.

43

Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats entsenden, diesen Arbeitnehmern die Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, durch Rechts‑ oder Verwaltungsvorschriften und/oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche festgelegt sind, soweit sie die im Anhang dieser Richtlinie aufgeführten Tätigkeiten der Baubranche und insbesondere Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, bezahlten Mindestjahresurlaub, Mindestlohnsätze sowie Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz betreffen.

44

Entsprechend heißt es in Art. 3 Abs. 10 dieser Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten in gleicher Weise und unter Einhaltung des AEU-Vertrags für inländische Unternehmen und Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten auch Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen für andere als die in Abs. 1 Unterabs. 1 desselben Artikels aufgeführten Aspekte vorschreiben können, soweit es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt, sowie Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen, die in Tarifverträgen oder Schiedssprüchen festgelegt sind und andere als im Anhang der Richtlinie 96/71 genannte Tätigkeiten betreffen.

45

Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 bezweckt also, für die entsandten Arbeitnehmer, während sie vorübergehend im Hoheitsgebiet des genannten Mitgliedstaats tätig sind, sicherzustellen, dass bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die in Abs. 1 genannten Aspekte die Regeln über den Mindestschutz des Aufnahmemitgliedstaats und gegebenenfalls die von den Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 10 festgelegten Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen angewandt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Laval und Partneri, C‑341/05, EU:C:2007:809, Rn. 76).

46

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, dass die fragliche nationale Regelung die Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen, auf die sich die genannten Vorschriften beziehen, nicht unmittelbar betrifft, sondern gewährleisten soll, dass die belgischen Behörden wirksame Kontrollen vornehmen können, um die Einhaltung der genannten Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen sicherzustellen.

47

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass derartige Kontrollmaßnahmen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/71 fallen und auf der Ebene der Europäischen Union nicht harmonisiert sind, denn diese Richtlinie dient der Koordinierung der nationalen Regelungen über die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der entsandten Arbeitnehmer, unabhängig von verwaltungsrechtlichen Nebenbestimmungen, die die Überwachung der Einhaltung dieser Bedingungen erlauben sollen. Diese Maßnahmen können daher von den Mitgliedstaaten unter Beachtung des AEU-Vertrags und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts frei bestimmt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil dos Santos Palhota u. a., C‑515/08, EU:C:2010:589, Rn. 25 bis 27).

48

Folglich fällt ein Sachverhalt, wie er dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, nicht unter Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71.

Zur Anwendbarkeit von Art. 19 der Richtlinie 2006/123

49

Art. 16 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2006/123 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die Dienstleistungsfreiheit eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers nicht einschränken dürfen, indem sie die Dienstleistungsfreiheit Beschränkungen im Sinne von Art. 19 dieser Richtlinie unterwerfen. Wie Edgard De Clercq, Emiel De Clercq und N. Rottiers geltend machen, ergibt sich aus Art. 16 Abs. 2 Buchst. g in Verbindung mit Art. 19 Buchst. a dieser Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten an den Dienstleistungsempfänger keine Anforderungen stellen dürfen, die die Inanspruchnahme einer Dienstleistung beschränken, die von einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten wird; dies gilt insbesondere für die Pflicht, bei ihren zuständigen Behörden eine Erklärung abzugeben.

50

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich jedoch, dass den Beschuldigten Taten vorgeworfen werden, die sich zwischen dem 1. April 2007 und dem 18. November 2008 ereignet haben, d. h. vor Ablauf der in Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 auf den 28. Dezember 2009 festgelegten Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie. Diese ist daher in zeitlicher Hinsicht auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar.

51

Daher ist Art. 19 der Richtlinie 2006/123 im Rahmen der Prüfung der Vorlagefrage nicht zu berücksichtigen.

Zu den Art. 56 AEUV und 57 AEUV

52

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Ausgangsverfahren, wie es sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, die Empfänger von Dienstleistungen betrifft, die von einem Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat erbracht werden, das seine eigenen Arbeitnehmer für eine bestimmte Zeit an ein Unternehmen desselben Konzerns mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat entsandt hat, um dort eine Dienstleistung zu erbringen. Da Art. 56 AEUV nicht nur dem Erbringer von Dienstleistungen selbst, sondern auch ihrem Empfänger Rechte verleiht, fällt ein solcher Sachverhalt unter die Art. 56 AEUV und 57 AEUV (vgl. in diesem Sinne Urteile dos Santos Palhota u. a., EU:C:2010:589, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Strojírny Prostějov und ACO Industries Tábor, C‑53/13 und C‑80/13, EU:C:2014:2011, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs

53

Art. 56 AEUV verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des Umstands, dass er in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist als dem, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und dort rechtmäßig vergleichbare Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. insbesondere Urteile dos Santos Palhota u. a., EU:C:2010:589, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung, Kommission/Belgien, C‑577/10, EU:C:2012:814, Rn. 38 sowie Essent Energie Productie, C‑91/13, EU:C:2014:2206, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54

Außerdem verleiht Art. 56 AEUV, wie in Rn. 52 des vorliegenden Urteils festgestellt, nicht nur dem Erbringer von Dienstleistungen selbst, sondern auch ihrem Empfänger Rechte.

55

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Art. 141 des Programmgesetzes, dass die Meldepflicht für die Endnutzer bzw. die Auftraggeber, bei denen oder für die entsandte Arbeitnehmer unmittelbar oder über einen Subunternehmer Arbeiten durchführen, bedeutet, dass sie vor dem Beginn der Dienstleistung prüfen müssen, ob die entsandten Arbeitnehmer die Empfangsbestätigung vorlegen können. Kann die Empfangsbestätigung nicht vorgelegt werden, sind die Endnutzer oder Auftraggeber verpflichtet, den zuständigen belgischen Behörden elektronisch eine Meldung zu übermitteln.

56

Diese Meldung muss gemäß Art. 7 des Königlichen Erlasses die Identifizierungsdaten des Meldenden enthalten, die sich gegebenenfalls auf eine Unternehmensnummer oder eine Erkennungsnummer der sozialen Sicherheit beschränken können, ferner die Identifizierungsdaten des entsandten Arbeitnehmers, der keine Empfangsbestätigung vorlegen konnte, wobei diese Daten gegebenenfalls aus einer Erkennungsnummer des Nationalregisters oder einer „Erkennungsnummer der Zentralen Datenbank“ bestehen können, sowie die Identifizierungsdaten des Arbeitgebers des Beschäftigten, die ihrerseits unter Umständen aus einer Unternehmensnummer oder einer Erkennungsnummer der sozialen Sicherheit bestehen können.

57

Eine Missachtung der Meldepflicht durch den Dienstleistungsempfänger kann gemäß den Art. 101 und 183 des Sozialstrafgesetzbuchs mit einer strafrechtlichen Geldbuße in Höhe von 100 bis 1 000 Euro oder einer administrativen Geldbuße in Höhe von 50 bis 500 Euro geahndet werden, wobei Zuschlagzehntel in Ansatz gebracht werden können und die Geldbuße mit der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer multipliziert wird.

58

Die fragliche nationale Regelung verlangt also von den Empfängern einer Dienstleistung, die von Arbeitnehmern erbracht wird, die von einem Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien entsandt wurden, nicht nur, vor dem Beginn der Dienstleistung zu prüfen, ob der Arbeitgeber der genannten Arbeitnehmer seinerseits die ihm gemäß Art. 139 des Programmgesetzes obliegende Meldepflicht erfüllt hat, sondern gegebenenfalls auch, von den Arbeitnehmern – ebenfalls bevor mit der Erbringung der Dienstleistung begonnen wird – ihre eigenen Identifizierungsdaten und die ihres Arbeitgebers zu erheben und zusammen mit den eigenen Daten den zuständigen belgischen Behörden zu übermitteln.

59

Es ist daher festzustellen, dass eine Regelung, die derartige Pflichten auferlegt, deren Nichterfüllung strafrechtlich geahndet werden kann, geeignet ist, für in Belgien ansässige Dienstleistungsempfänger die Dienstleistungen von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Dienstleistungserbringern weniger attraktiv erscheinen zu lassen und die Dienstleistungsempfänger folglich davon abzuhalten, auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleistungserbringer zurückzugreifen.

60

Demzufolge stellt diese Regelung eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 57 AEUV dar, die nach Art. 56 AEUV grundsätzlich verboten ist.

61

Diese Schlussfolgerung kann nicht durch das Argument der belgischen Regierung in Frage gestellt werden, dass die Folgen der fraglichen Regelung zu vernachlässigen seien, da lediglich die Meldung einer begrenzten Anzahl von Informationen verlangt werde, und die Meldepflicht rein deklaratorisch und nur subsidiär sei. In diesem Zusammenhang genügt der Hinweis, dass nach dem AEU-Vertrag jedenfalls auch eine geringfügige oder wenig bedeutende Beschränkung einer Grundfreiheit grundsätzlich untersagt ist (Urteile Corsica Ferries [Frankreich], C‑49/89, EU:C:1989:649, Rn. 8, sowie Strojírny Prostějov und ACO Industries Tábor, EU:C:2014:2011, Rn. 42).

Zur Rechtfertigung der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs

62

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine nationale Regelung, die in einem Bereich erlassen worden ist, der nicht Gegenstand einer Harmonisierung auf Unionsebene ist, und die unterschiedslos für alle im betreffenden Mitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gilt, trotz ihrer den freien Dienstleistungsverkehr beschränkenden Wirkung gerechtfertigt sein, wenn sie auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruht und dieses Interesse nicht schon durch Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er niedergelassen ist, und wenn sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was dazu erforderlich ist (Urteile Arblade u. a., C‑369/96 und C‑376/96, EU:C:1999:575, Rn. 34 und 35, dos Santos Palhota u. a., EU:C:2010:589, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Kommission/Belgien, EU:C:2012:814, Rn. 44).

63

Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass zwischen Unternehmen, die in dem Mitgliedstaat niedergelassen sind, in dessen Hoheitsgebiet die Dienstleistung erbracht wird, und Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind und Erwerbstätige in den erstgenannten Mitgliedstaat entsenden, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, objektive Unterschiede bestehen, was die Möglichkeit betrifft, über die die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Dienstleistung erbracht wird, verfügen, um Kontrollen vorzunehmen, mit denen die Wahrung der Rechte, die den Erwerbstätigen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats durch dessen nationale Rechtsvorschriften eingeräumt werden, gewährleistet werden soll (vgl. in diesem Sinne Urteile Finalarte u. a., C‑49/98, C‑50/98, C‑52/98 bis C‑54/98 und C‑68/98 bis C‑71/98, EU:C:2001:564, Rn. 63, 64 und 73, sowie Kommission/Belgien, EU:C:2012:814, Rn. 48).

64

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte die in Rede stehende nationale Regelung im vorliegenden Fall durch den Schutz der entsandten Arbeitnehmer, das Erfordernis einer wirksamen Kontrolle der Einhaltung der auf diese Arbeitnehmer anwendbaren belgischen Rechtsvorschriften, die Verhinderung unlauteren Wettbewerbs einschließlich der Bekämpfung von Sozialdumping, die Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts des Sozialversicherungssystems sowie die Notwendigkeit, Betrug zu verhindern und Missbräuche zu bekämpfen, gerechtfertigt sein. Die belgische Regierung trägt außerdem vor, dass die betreffende nationale Regelung durch die Ziele des Schutzes der Arbeitnehmer, der Verhinderung unlauteren Wettbewerbs und der Betrugsbekämpfung gerechtfertigt sei.

65

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können, u. a. folgende Gründe gehören: der Schutz der Arbeitnehmer (Urteil dos Santos Palhota u. a., EU:C:2010:589, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung), die Verhinderung eines unlauteren Wettbewerbs durch Unternehmen, die ihren entsandten Arbeitnehmern einen Lohn zahlen, der unterhalb des Mindestlohns liegt, soweit dieses Ziel auch dem Schutz der Arbeitnehmer durch Bekämpfung von Sozialdumping dient (vgl. in diesem Sinne Urteil Wolff & Müller, C‑60/03, EU:C:2004:610, Rn. 35, 36 und 41), sowie die Bekämpfung von Betrug, insbesondere Sozialbetrug, und die Verhinderung von Missbräuchen, namentlich die Bekämpfung der Schwarzarbeit, sofern dieses Ziel insbesondere mit dem Ziel, das finanzielle Gleichgewicht der Systeme der sozialen Sicherheit zu wahren, zusammenhängen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Rüffert, C‑346/06, EU:C:2008:189, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66

Ebenso hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, zu kontrollieren, ob die Bestimmungen des nationalen Rechts und des Unionsrechts auf dem Gebiet der Erbringung von Dienstleistungen eingehalten werden, und dass aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die die materiell-rechtlichen Bestimmungen einer Regelung rechtfertigen, auch die Kontrollmaßnahmen gerechtfertigt sein können, die erforderlich sind, um die Beachtung dieser Bestimmungen sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile Arblade u. a., EU:C:1999:575, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie dos Santos Palhota u. a., EU:C:2010:589, Rn. 48).

67

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf die Pflicht zur vorherigen Meldung, die im Wesentlichen nach Art. 153 des Programmgesetzes von selbständigen, in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien rechtmäßig niedergelassenen Dienstleistungserbringern verlangt wird, die vorübergehend Dienstleistungen in Belgien erbringen möchten, entschieden hat, dass sich das Königreich Belgien als Rechtfertigung für die durch diese Vorschrift verursachte Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs auf das Ziel berufen konnte, Betrug – insbesondere Sozialbetrug – zu bekämpfen, Missbräuche zu verhindern und die Erwerbstätigen zu schützen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Belgien, EU:C:2012:814, Rn. 45).

68

Vorliegend ergibt sich aus den Akten, über die der Gerichtshof verfügt, dass die in Rede stehende Meldepflicht dem Dienstleistungsempfänger auferlegt wird und die bereits dem Arbeitgeber der entsandten Arbeitnehmer auferlegte Pflicht zur vorherigen Meldung ergänzt. Außerdem ist hervorzuheben, dass Arbeitnehmer, die von ihrem Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat nach Belgien entsandt werden, insbesondere auf dem Gebiet des Arbeitsrechts grundsätzlich, insbesondere nach der Richtlinie 96/71, bestimmte soziale Rechte genießen, deren Wahrung die fragliche nationale Regelung gewährleisten soll.

69

Daraus folgt, dass die von der belgischen Regierung geltend gemachten Ziele des Schutzes der entsandten Arbeitnehmer und der Betrugsbekämpfung geeignet sind, auch die fragliche nationale Regelung zu rechtfertigen, und dass diese Regelung, soweit sie eine Kontrollmaßnahme darstellt, die erforderlich ist, um die Achtung dieser zwingenden Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der in den Rn. 65 und 66 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu gewährleisten, a priori geeignet ist, diese Ziele zu verwirklichen.

70

Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Regelung im Hinblick auf die Verwirklichung der genannten Ziele unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte verhältnismäßig ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Finalarte u. a., EU:C:2001:564, Rn. 49, sowie International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union, C‑438/05, EU:C:2007:772, Rn. 84).

71

Für diese Beurteilung ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die Verpflichtung eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Arbeitgebers, den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats vor einer Entsendung die bevorstehende Anwesenheit eines oder mehrerer zu entsendender Arbeitnehmer, die vorgesehene Dauer dieser Anwesenheit und die durch die Entsendung veranlasste(n) Dienstleistung(en) mitzuteilen, eine wirksame und verhältnismäßige Maßnahme darstellt, die geeignet ist, die betreffenden Behörden in die Lage zu versetzen, zum einen die Einhaltung der sozialrechtlichen Regelung und der Lohnregelung des Aufnahmemitgliedstaats während der Dauer der Entsendung zu kontrollieren und dabei die Verpflichtungen zu berücksichtigen, denen der Arbeitgeber bereits nach den im Herkunftsmitgliedstaat geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften unterliegt, und zum anderen Betrug zu bekämpfen (vgl. in diesem Sinne Urteil dos Santos Palhota u. a., EU:C:2010:589, Rn. 51, 53 und 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

72

Wie die belgische Regierung ausführt, kann die fragliche nationale Regelung, da sie auf eine Kontrolle der dem Arbeitgeber von vorübergehend nach Belgien entsandten Arbeitnehmern obliegenden Meldepflicht gerichtet ist, als logische Folge dieser Pflicht angesehen werden, die für die Erreichung der mit dem „Limosa-Meldesystem“ angestrebten Ziele erforderlich ist.

73

Außerdem ist zu beachten, dass die Verhängung von Sanktionen einschließlich solcher strafrechtlicher Art als erforderlich anzusehen sein kann, um die wirksame Einhaltung einer nationalen Regelung zu gewährleisten, allerdings unter der Voraussetzung, dass Art und Höhe der verhängten Sanktion gemessen an der Schwere der mit ihr geahndeten Zuwiderhandlung in jedem Einzelfall verhältnismäßig sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Louloudakis, C‑262/99, EU:C:2001:407, Rn. 69 und 70, sowie Kommission/Griechenland, C‑156/04, EU:C:2007:316, Rn. 72).

74

In Anbetracht dessen könnte die in Rede stehende nationale Regelung im Hinblick auf die vom vorlegenden Gericht und der belgischen Regierung genannten Ziele verhältnismäßig sein, was zu prüfen jedoch Sache des nationalen Gerichts ist.

75

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 56 AEUV und 57 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach der Empfänger von Dienstleistungen, die von entsandten Arbeitnehmern eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleisters erbracht werden, verpflichtet ist, den zuständigen Behörden vor dem Beginn der Beschäftigung dieser Arbeitnehmer deren Identifizierungsdaten zu übermitteln, wenn sie nicht den Nachweis für die Meldung vorlegen können, die ihr Arbeitgeber bei den zuständigen Behörden dieses Aufnahmemitgliedstaats vor dem Beginn der betreffenden Dienstleistung hätte vornehmen müssen, nicht entgegenstehen, sofern eine solche Regelung wegen des Schutzes eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses wie dem Schutz der Arbeitnehmer oder der Bekämpfung von Sozialbetrug gerechtfertigt sein kann, vorausgesetzt, dass sie nachweislich geeignet ist, das oder die angestrebten rechtmäßigen Ziele zu erreichen, und nicht über das dafür Erforderliche hinausgeht, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Kosten

76

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 56 AEUV und 57 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach der Empfänger von Dienstleistungen, die von entsandten Arbeitnehmern eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleisters erbracht werden, verpflichtet ist, den zuständigen Behörden vor dem Beginn der Beschäftigung dieser Arbeitnehmer deren Identifizierungsdaten zu übermitteln, wenn sie nicht den Nachweis für die Meldung vorlegen können, die ihr Arbeitgeber bei den zuständigen Behörden dieses Aufnahmemitgliedstaats vor dem Beginn der betreffenden Dienstleistung hätte vornehmen müssen, nicht entgegenstehen, sofern eine solche Regelung wegen des Schutzes eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses wie dem Schutz der Arbeitnehmer oder der Bekämpfung von Sozialbetrug gerechtfertigt sein kann, vorausgesetzt, dass sie nachweislich geeignet ist, das oder die angestrebten rechtmäßigen Ziele zu erreichen, und nicht über das dafür Erforderliche hinausgeht, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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