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Dokument 62014CP0146

Stellungnahme des Generalanwalts Szpunar vom 14. Mai 2014.
Bashir Mohamed Ali Mahdi.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Administrativen sad Sofia-grad - Bulgarien.
Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr - Richtlinie 2008/115/EG - Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Art. 15 - Inhaftnahme - Haftverlängerung - Verpflichtungen der Verwaltungs- oder Justizbehörde - Gerichtliche Nachprüfung - Fehlen von Identitätsdokumenten bei einem Drittstaatsangehörigen - Hindernisse für den Vollzug der Abschiebungsentscheidung - Weigerung der Botschaft des betreffenden Drittstaats, ein Identitätsdokument auszustellen, das die Rückkehr des Angehörigen dieses Staates ermöglicht - Fluchtgefahr - Hinreichende Aussicht auf Abschiebung - Mangelnde Kooperationsbereitschaft - Etwaige Verpflichtung des betreffenden Mitgliedstaats, ein vorläufiges Dokument über den Status des Betroffenen auszustellen.
Rechtssache C-146/14 PPU.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2014:1936

STELLUNGNAHME DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 14. Mai 20141 ( 1 )

Rechtssache C‑146/14 PPU

Direktor na Direktsia „Migratsia“ pri Ministerstvo na vatreshnite raboti

gegen

Bashir Mohamed Ali Mahdi

(Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad [Bulgarien])

„Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts — Rückführungsrichtlinie — Abschiebung eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen — Inhaftnahme — Haftverlängerung — Etwaige Zulässigkeit einer Überschreitung der Hafthöchstdauer wegen Fehlens von Identitätsdokumenten — Hindernisse für den Vollzug der Abschiebungsentscheidung — Hinreichende Aussicht auf Abschiebung — Weigerung der Botschaft des Herkunftslands des Betroffenen, das für die Rückreise erforderliche Dokument auszustellen — Etwaige Verpflichtung des betreffenden Mitgliedstaats, ein vorläufiges Dokument über den Status der Person auszustellen“

Einleitung

1.

Der Gerichtshof ist zum vierten Mal ( 2 ) mit einem Eilvorabentscheidungsverfahren befasst, das die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98) betrifft, die allgemein als „Rückführungsrichtlinie“ bekannt ist.

2.

In der vorliegenden Stellungnahme werde ich mich wiederholt auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) beziehen. Dies liegt daran, dass mit der Richtlinie 2008/115 gerade bezweckt wird, der Rechtsprechung des EGMR zur Abschiebungshaft Rechnung zu tragen ( 3 ). Diese Rechtsprechung betrifft Art. 5 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK), der Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) entspricht. Nach Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta haben Rechte, die in der Charta enthalten sind und den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird. In Bezug auf Art. 7 der Charta und Art. 8 Abs. 1 EMRK hat der Gerichtshof bestätigt, dass „Art. 7 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite beizumessen [ist] wie Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Auslegung durch den [EGMR]“ ( 4 ).

3.

Meines Erachtens gilt Entsprechendes für Art. 6 der Charta und Art. 5 EMRK ( 5 ).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Charta

4.

Nach Art. 6 der Charta hat „[j]eder Mensch … das Recht auf Freiheit und Sicherheit“.

5.

Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“) der Charta bestimmt:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.“

Richtlinie 2008/115

6.

Die Erwägungsgründe 6, 12, und 16 der Richtlinie 2008/115 lauten:

„(6)

Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Wege eines fairen und transparenten Verfahrens beendet wird. Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollten Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden, was bedeutet, dass die Erwägungen über den bloßen Tatbestand des illegalen Aufenthalts hinausreichen sollten. Wenn die Mitgliedstaaten Standardformulare für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr (nämlich Rückkehrentscheidungen sowie – gegebenenfalls – Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung) verwenden, sollten sie diesen Grundsatz wahren und alle anwendbaren Bestimmungen dieser Richtlinie strikt beachten.

(12)

Die Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber noch nicht abgeschoben werden können, sollte geregelt werden. Die Festlegungen hinsichtlich der Sicherung des Existenzminimums dieser Personen sollten nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften getroffen werden. Die betreffenden Personen sollten eine schriftliche Bestätigung erhalten, damit sie im Falle administrativer Kontrollen oder Überprüfungen ihre besondere Situation nachweisen können. Die Mitgliedstaaten sollten hinsichtlich der Gestaltung und des Formats der schriftlichen Bestätigung über einen breiten Ermessensspielraum verfügen und auch die Möglichkeit haben, sie in aufgrund dieser Richtlinie getroffene Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr aufzunehmen.

(16)

Das Mittel der Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung sollte nur begrenzt zum Einsatz kommen und sollte im Hinblick auf die eingesetzten Mittel und die angestrebten Ziele dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Eine Inhaftnahme ist nur gerechtfertigt, um die Rückkehr vorzubereiten oder die Abschiebung durchzuführen und wenn weniger intensive Zwangsmaßnahmen ihren Zweck nicht erfüllen.“

7.

Der Gegenstand der Richtlinie 2008/115 wird in ihrem Art. 1 wie folgt beschrieben:

„Diese Richtlinie enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind.“

8.

Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2008/115 definiert „Fluchtgefahr“ als „das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich Drittstaatsangehörige einem Rückkehrverfahren durch Flucht entziehen könnten“.

9.

Art. 15 („Inhaftnahme“) der Richtlinie 2008/115 sieht vor:

„(1)   Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, und zwar insbesondere dann, wenn

a)

Fluchtgefahr besteht oder

b)

die betreffenden Drittstaatsangehörigen die Vorbereitung der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren umgehen oder behindern.

Die Haftdauer hat so kurz wie möglich zu sein und sich nur auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen [zu] erstrecken, solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden.

(2)   Die Inhaftnahme wird von einer Verwaltungs- oder Justizbehörde angeordnet.

Die Inhaftnahme wird schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe angeordnet.

Wurde die Inhaftnahme von einer Verwaltungsbehörde angeordnet, so gilt Folgendes:

a)

[E]ntweder lässt der betreffende Mitgliedstaat die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme so schnell wie möglich nach Haftbeginn innerhalb kurzer Frist gerichtlich überprüfen,

b)

oder der Mitgliedstaat räumt den betreffenden Drittstaatsangehörigen das Recht ein zu beantragen, dass die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme innerhalb kurzer Frist gerichtlich überprüft wird, wobei so schnell wie möglich nach Beginn des betreffenden Verfahrens eine Entscheidung zu ergehen hat. In einem solchen Fall unterrichtet der Mitgliedstaat die betreffenden Drittstaatsangehörigen unverzüglich über die Möglichkeit, einen solchen Antrag zu stellen.

Ist die Inhaftnahme nicht rechtmäßig, so werden die betreffenden Drittstaatsangehörigen unverzüglich freigelassen.

(3)   Die Inhaftnahme wird in jedem Fall – entweder auf Antrag der betreffenden Drittstaatsangehörigen oder von Amts wegen – in gebührenden Zeitabständen überprüft. Bei längerer Haftdauer müssen die Überprüfungen der Aufsicht einer Justizbehörde unterliegen.

(4)   Stellt sich heraus, dass aus rechtlichen oder anderweitigen Erwägungen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht oder dass die Bedingungen gemäß Absatz 1 nicht mehr gegeben sind, so ist die Haft nicht länger gerechtfertigt und die betreffende Person unverzüglich freizulassen.

(5)   Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf.

(6)   Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:

a)

mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder

b)

Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.“

EMRK

10.

Art. 5 EMRK bestimmt, soweit hier von Belang:

„(1)   Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

f)

rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.

(4)   Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist.

…“

Bulgarisches Recht

Ausländergesetz

11.

Nach Art. 41 Abs. 1 des Gesetzes über die Ausländer in der Republik Bulgarien (Zakon za chuzhdentsite v Republika Balgaria, DV Nr. 153 vom 23. Dezember 1998) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (DV Nr. 108 vom 17. Dezember 2013) (im Folgenden: Ausländergesetz) kann die Verwaltungszwangsmaßnahme „Rückführung zur Grenze“ verhängt werden, wenn der „Ausländer nicht beweisen kann, dass er legal in das Land eingereist ist“.

12.

Nach Art. 42h Abs. 1, 3 und 4 des Ausländergesetzes in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Nr. 22 dieses Gesetzes kann die Verwaltungszwangsmaßnahme „Einreiseverbot“ verhängt werden, wenn es Hinweise darauf gibt, dass die Einreise des Ausländers offenkundig dazu dient, das Land als Durchgangsstation für die Immigration in einen anderen Drittstaat zu nutzen.

13.

Nach Art. 44 Abs. 5 des Ausländergesetzes „[muss] der Ausländer[, wenn er] daran gehindert [ist], unverzüglich das Land zu verlassen oder in ein anderes Land einzureisen, … auf Anordnung der Behörde, die die Verfügung erlassen hat, mit der die Verwaltungszwangsmaßnahme verhängt wurde, wöchentlich nach Maßgabe der Anwendungsverordnung zu diesem Gesetz bei der Gebietsstelle des Innenministeriums an seinem Wohnort erscheinen, sofern nicht die Hindernisse für den Vollzug der Rückführung oder Ausweisung weggefallen sind und Maßnahmen für eine sofortige Abschiebung getroffen worden sind“.

14.

Art. 44 Abs. 6 des Ausländergesetzes lautet:

„Wenn die Identität eines Ausländers, gegen den eine Verwaltungszwangsmaßnahme nach Art. 39a Abs. 1 Nrn. 2 und 3 verhängt wurde, nicht feststeht, er den Vollzug der Verfügung behindert oder Fluchtgefahr besteht, kann die Behörde, die die Verfügung erlassen hat, die zwangsweise Unterbringung des Ausländers in einem Zentrum für die vorübergehende Unterbringung von Ausländern anordnen, um die Rückführung zur Grenze der Republik Bulgarien oder die Ausweisung durchzuführen.“

15.

Art. 44 Abs. 8 des Ausländergesetzes bestimmt:

„Die Unterbringung dauert bis zum Wegfall der in Abs. 6 genannten Umstände, jedoch nicht länger als sechs Monate. Die zuständigen Behörden nach Abs. 1 prüfen einmal monatlich gemeinsam mit dem Direktor der Direktion ‚Migration‘, ob die Voraussetzungen für eine zwangsweise Unterbringung in einem Sonderzentrum vorliegen. Ausnahmsweise kann die Dauer der Unterbringung zusätzlich auf bis zu zwölf Monate verlängert werden, wenn der Betreffende die Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden verweigert oder sich die Übermittlung der für die Rückführung oder Ausweisung erforderlichen Unterlagen verzögert. Wird angesichts der konkreten Umstände des Falles festgestellt, dass aus rechtlichen oder technischen Gründen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht, ist der Betreffende unverzüglich freizulassen.“

16.

Nach Art. 46a Abs. 1 des Ausländergesetzes „[kann die] Anordnung der zwangsweisen Unterbringung in einem Sonderzentrum … innerhalb von 14 Tagen ab dem tatsächlichen Beginn der Unterbringung nach Maßgabe der Verwaltungsprozessordnung angefochten werden“.

17.

Nach Art. 46a Abs. 2 des Ausländergesetzes prüft das Gericht den Rechtsbehelf in öffentlicher Sitzung, ohne dass der Betreffende zum Erscheinen verpflichtet ist, und die gerichtliche Entscheidung ist ihrerseits anfechtbar.

18.

Nach Art. 46a Abs. 3 des Ausländergesetzes „[legt der] Leiter des Sonderzentrums für die vorübergehende Unterbringung von Ausländern … alle sechs Monate eine Liste der Ausländer vor, die dort seit mehr als sechs Monaten untergebracht sind, weil ihrer Abschiebung Hindernisse entgegenstehen. Die Liste wird an das Verwaltungsgericht des Ortes gesandt, in dem sich das Sonderzentrum befindet.“

19.

Art. 46a Abs. 4 des Ausländergesetzes bestimmt:

„Nach jeweils sechs Monaten Unterbringung im Sonderzentrum für die vorübergehende Unterbringung von Ausländern entscheidet das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag des betreffenden Ausländers in nichtöffentlicher Sitzung durch Beschluss über die Fortdauer, Ersetzung oder Beendigung der Unterbringung. Der Beschluss des Gerichts ist nach Maßgabe der Verwaltungsprozessordnung anfechtbar.“

20.

Nach § 1 Nr. 4c der Ergänzungsbestimmungen zum Ausländergesetz besteht „Fluchtgefahr bei einem Ausländer, gegen den eine Verwaltungszwangsmaßnahme erlassen wurde“, wenn angesichts der tatsächlichen Umstände der begründete Verdacht besteht, dass der Betreffende versuchen wird, sich dem Vollzug der Maßnahme zu entziehen. Derartige Umstände können sein, dass der Betreffende unter der von ihm angegebenen Wohnanschrift nicht auffindbar ist, dass frühere Verstöße gegen die öffentliche Ordnung oder frühere Verurteilungen des Betreffenden vorliegen – ungeachtet einer Resozialisierung –, dass der Betreffende das Land nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist für eine freiwillige Ausreise verlassen hat, dass er eindeutig gezeigt hat, dass er der gegen ihn erlassenen Maßnahme nicht nachkommen wird, dass er falsche oder keine Papiere besitzt, dass er falsche Angaben gemacht hat, dass er bereits geflohen ist und/oder dass er ein Einreiseverbot nicht beachtet hat.

Verwaltungsprozessordnung

21.

Art. 128 („Sachliche Zuständigkeit“) Abs. 1 der Verwaltungsprozessordnung (Administrativnoprotsesualen kodeks, im Folgenden: APK) bestimmt:

„Der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte unterliegen alle Verfahren über Anträge auf

1.   Erlass, Änderung, Aufhebung oder Nichtigerklärung von Verwaltungsmaßnahmen;

3.   Rechtsschutz gegen Handlungen und Unterlassungen der Verwaltung, die einer Grundlage entbehren.“

22.

Art. 168 („Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle“) Abs. 1 APK lautet:

„Das Gericht ist nicht auf die Prüfung der vom Kläger angegebenen Gründe beschränkt, sondern ist verpflichtet, auf der Grundlage der von den Parteien vorgelegten Beweise die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsmaßnahme im Hinblick auf alle in Art. 146 angeführten Gründe zu prüfen.“

23.

Nach Art. 170 („Beweislast“) Abs. 1 APK „[müssen die] Verwaltungsbehörde und die Personen, die durch die Verwaltungsmaßnahme begünstigt werden, das Vorliegen der darin angeführten tatsächlichen Gründe und die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen für ihren Erlass beweisen“.

24.

Art. 173 („Befugnisse des Gerichts im Fall der Nichtigerklärung oder Aufhebung der Verwaltungsmaßnahme“) Abs. 1 APK bestimmt:

„Wenn die Frage nicht der Verwaltungsbehörde zur Beurteilung unterbreitet wird, entscheidet das Gericht, nachdem es die Verwaltungsmaßnahme für nichtig erklärt oder aufgehoben hat, den Fall in der Sache.“

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

25.

Herr Mahdi wurde am 9. August 2013 an einem Grenzposten in Bregovo (Bulgarien) festgenommen, als er versuchte, Bulgarien zu verlassen und nach Serbien einzureisen. Er besaß keine Identitätsdokumente und gab an, er heiße Bashir Mohamed Ali Mahdi, sei am 5. November 1974 in Sudan geboren und sei sudanesischer Staatsangehöriger.

26.

Am selben Tag verhängte der Leiter des bulgarischen Grenzpostens drei Verwaltungsmaßnahmen gegen Herrn Mahdi, und zwar die Maßnahme der „Rückführung eines Ausländers zur Grenze“, die Maßnahme des „Verbots der Einreise eines Ausländers in die Republik Bulgarien“ und die Anordnung der „zwangsweisen Unterbringung“ für die Zwecke des Vollzugs der ersten beiden Maßnahmen.

27.

Am 10. August 2013 wurde Herr Mahdi entsprechend der Anordnung der zwangsweisen Unterbringung im Sonderzentrum für die vorübergehende Unterbringung von Ausländern der Direktsia „Migratsia“ pri Ministerstvo na vatreshnite raboti (Direktion „Migration“ des Innenministeriums) in Busmantsi in der Stolichna obshtina (Hauptstadtgemeinde) (Bulgarien) untergebracht.

28.

Am 12. August 2013 unterschrieb Herr Mahdi bei den bulgarischen Verwaltungsbehörden eine Erklärung, wonach er freiwillig nach Sudan zurückkehren wollte.

29.

Mit Schreiben vom 13. August 2013 unterrichtete der Direktor na Direktsia „Migratsia“ pri Ministerstvo na vatreshnite raboti (Direktor der Direktion „Migration“ des Innenministeriums, im Folgenden: Direktor) die Botschaft der Republik Sudan über die gegen Herrn Mahdi getroffenen Maßnahmen und seine zwangsweise Unterbringung. Er teilte außerdem mit, dass es notwendig sei, dass der konsularische Dienst dieser Botschaft die Identität von Herrn Mahdi bestätige und ihm einen Passersatz ausstelle, damit er Bulgarien verlassen und nach Sudan zurückkehren könne.

30.

Zu einem vom vorlegenden Gericht nicht näher genannten Zeitpunkt zwischen dem 13. und dem 16. August 2013 erklärte Herr Mahdi gegenüber den bulgarischen Verwaltungsbehörden mündlich, dass er nicht freiwillig nach Sudan zurückkehren wolle. Aus den Akten geht hervor, dass er diese Erklärung nach einem Treffen mit einem Vertreter der Botschaft der Republik Sudan abgab, der die Identität des Betroffenen bestätigte, es aber ablehnte, ihm ein Identitätsdokument auszustellen, das ihm die Ausreise ermöglichen würde. Diese Ablehnung wurde offenkundig darauf gestützt, dass Herr Mahdi nicht nach Sudan zurückkehren wollte. In der Sitzung vor dem Gerichtshof hat die Republik Bulgarien bestätigt, dass sie nach dieser Weigerung nichts weiter unternommen habe.

31.

Am 16. August 2013 beantragte Frau Ruseva, eine bulgarische Staatsangehörige, deren Beziehung zu Herrn Mahdi nicht näher erläutert worden ist, beim Direktor die Freilassung von Herrn Mahdi gegen Zahlung einer Kaution und fügte eine notarielle Erklärung über die Gewährleistung von Unterkunft und Unterhalt für Herrn Mahdi bei. Sie gab außerdem eine Adresse an.

32.

Auf diesen Antrag hin nahmen die bulgarischen Behörden am 26. August 2013 eine Überprüfung am Wohnsitz von Frau Ruseva vor. Sie stellten fest, dass es sich um eine Vierzimmerwohnung handle, in der Herr Mahdi über ein Zimmer verfüge.

33.

Am 27. August 2013 schlug der Direktor seinem Vorgesetzten aufgrund der Erklärung von Frau Ruseva und der Überprüfung vor, die Anordnung der zwangsweisen Unterbringung von Herrn Mahdi aufzuheben. Der Direktor schlug außerdem den Erlass einer weniger intensiven Zwangsmaßnahme gegen Herrn Mahdi vor, und zwar die Anordnung des „wöchentlichen Erscheinens bei der Gebietsstelle des Innenministeriums am Wohnort“, bis die Hindernisse für den Vollzug der Rückführungsentscheidung wegfielen.

34.

Mit Schreiben vom 9. September 2013 erklärte der Leiter des Grenzpostens gegenüber demselben Vorgesetzten, dass die Anordnung nicht aufgehoben werden dürfe, weil Herr Mahdi nicht legal nach Bulgarien eingereist sei, er keinen Aufenthaltstitel für Bulgarien besitze, die nationale Flüchtlingsagentur ihm am 29. Dezember 2012 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft versagt habe und er mit dem Überqueren der Staatsgrenze zwischen Bulgarien und Serbien außerhalb der dafür vorgesehenen Stellen eine Straftat begangen habe.

35.

Nach Angaben des vorlegenden Gerichts wurde weder gegen die Anordnung der zwangsweisen Unterbringung noch gegen die Weigerung, diese Anordnung aufzuheben und durch eine weniger intensive Zwangsmaßnahme zu ersetzen, noch gegen die Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein Rechtsbehelf eingelegt.

36.

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass das Ausgangsverfahren durch den Eingang eines Schreibens des Direktors eingeleitet wurde. Der Direktor beantragte beim vorlegenden Gericht, von Amts wegen auf der Grundlage von Art. 46a Abs. 3 und 4 des Ausländergesetzes über die Fortdauer der Haft von Herrn Mahdi zu entscheiden.

37.

Vor diesem Hintergrund hat der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Ist Art. 15 Abs. 3 und 6 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit den Art. 6 und 47 der Charta sowie mit dem Recht auf gerichtliche Überprüfung und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz dahin auszulegen, dass:

a)

wenn eine Verwaltungsbehörde nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats zur monatlichen Überprüfung der Inhaftnahme verpflichtet ist, ohne dass ausdrücklich eine Pflicht zum Erlass einer Verwaltungsmaßnahme besteht, und sie dem Gericht von Amts wegen eine Liste der wegen Abschiebungshindernissen über die gesetzlich bestimmte Höchstdauer der erstmaligen Haft hinaus inhaftierten Drittstaatsangehörigen vorlegen muss, die Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, entweder zum Zeitpunkt des Ablaufs des in der individuellen Entscheidung über die erstmalige Inhaftnahme festgelegten Zeitraums eine ausdrückliche Maßnahme der Überprüfung der Inhaftnahme im Hinblick auf die im Unionsrecht vorgesehenen Gründe für die Verlängerung des Haftzeitraums zu erlassen oder den Betreffenden freizulassen;

b)

wenn das nationale Recht des Mitgliedstaats eine Befugnis des Gerichts vorsieht, nach Ablauf der im nationalen Recht vorgesehenen Höchstdauer der erstmaligen Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung die Verlängerung des Zeitraums der Haft anzuordnen, sie durch eine weniger intensive Maßnahme zu ersetzen oder die Freilassung des Drittstaatsangehörigen anzuordnen, das Gericht in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme der Überprüfung der Inhaftnahme, die rechtliche und tatsächliche Gründe für die Notwendigkeit einer Verlängerung des Haftzeitraums und dessen Länge anführt, zu prüfen hat, indem es über die Fortdauer der Haft, ihre Ersetzung oder die Freilassung des Betreffenden in der Sache entscheidet;

c)

er es dem Gericht erlaubt, die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme der Überprüfung der Inhaftnahme, die nur die Gründe anführt, aus denen die Entscheidung, einen Drittstaatsangehörigen abzuschieben, nicht vollzogen werden kann, im Hinblick auf die im Unionsrecht vorgesehenen Gründe für die Verlängerung des Haftzeitraums zu prüfen, indem es allein auf der Grundlage der von der Verwaltungsbehörde angeführten Tatsachen und vorgelegten Beweise sowie der vom Drittstaatsangehörigen vorgebrachten Einwände und Tatsachen den Streit durch Entscheidung über die Fortdauer der Haft, ihre Ersetzung oder die Freilassung des Betreffenden in der Sache entscheidet?

2.

Ist Art. 15 Abs. 1 und 6 der Richtlinie 2008/115 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass der im nationalen Recht vorgesehene eigenständige Haftverlängerungsgrund, dass „der Betreffende … keine Identitätsdokumente [hat]“, unter dem Gesichtspunkt des Unionsrechts als unter beide Fälle des Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie subsumierbar zulässig ist, wenn nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats aufgrund des genannten Umstands von der begründeten Annahme ausgegangen werden kann, dass der Betreffende versuchen wird, den Vollzug der Abschiebungsentscheidung zu umgehen, was wiederum eine Fluchtgefahr im Sinne des Rechts dieses Mitgliedstaats darstellt?

3.

Ist Art. 15 Abs. 1 Buchst. a und b und Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 2 und 13 über die Achtung der Grundrechte und der Menschenwürde von Drittstaatsangehörigen sowie die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass er es zulässt, auf eine begründete Fluchtgefahr aufgrund der Umstände zu schließen, dass der Betreffende keine Identitätsdokumente hat, illegal die Staatsgrenze überquert hat und erklärt, dass er nicht in sein Herkunftsland zurückkehren will, obwohl er zuvor eine Erklärung über die freiwillige Rückkehr in sein Land ausgefüllt und richtige Angaben über seine Identität gemacht hat, wobei diese Umstände unter den Begriff „Fluchtgefahr“ beim Adressaten einer Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie fallen, der im nationalen Recht als die auf der Grundlage von Tatsachen bestehende begründete Annahme definiert wird, dass der Betreffende versuchen wird, den Vollzug der Rückkehrentscheidung zu umgehen?

4.

Ist Art. 15 Abs. 1 Buchst. a und b, 4 und 6 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 2 und 13 über die Achtung der Grundrechte und der Menschenwürde von Drittstaatsangehörigen sowie die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass:

a)

der Drittstaatsangehörige keine Kooperationsbereitschaft bei der Vorbereitung des Vollzugs der Entscheidung über seine Rückkehr in sein Herkunftsland zeigt, wenn er gegenüber einem Bediensteten der Botschaft dieses Landes mündlich bekundet, dass er nicht in sein Herkunftsland zurückkehren will, obwohl er zuvor eine Erklärung über die freiwillige Rückkehr ausgefüllt und richtige Angaben über seine Identität gemacht hat, und dass Verzögerungen bei der Übermittlung der Unterlagen durch einen Drittstaat vorliegen und eine hinreichende Aussicht auf Vollzug der Rückkehrentscheidung besteht, wenn unter diesen Umständen die Botschaft dieses Landes nicht das für die Reise des Betreffenden in sein Herkunftsland notwendige Dokument ausstellt, obwohl sie die Identität des Betreffenden bestätigt hat;

b)

im Fall der wegen Nichtbestehens einer hinreichenden Aussicht auf Vollzug einer Abschiebungsentscheidung erfolgenden Freilassung eines Drittstaatsangehörigen, der keine Identitätsdokumente hat, illegal die Staatsgrenze überquert hat und erklärt, dass er nicht in sein Herkunftsland zurückkehren will, davon auszugehen ist, dass der Mitgliedstaat zur Ausstellung eines vorläufigen Dokuments über den Status des Betreffenden verpflichtet ist, wenn die Botschaft des Herkunftslands unter diesen Umständen nicht das für die Reise des Betreffenden in sein Herkunftsland notwendige Dokument ausstellt, obwohl sie die Identität des Betreffenden bestätigt hat?

Zum Eilverfahren

38.

Mit gesondertem Beschluss vom 28. März 2014 hat der Administrativen sad Sofia-grad beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

39.

Die Dritte Kammer des Gerichtshofs hat am 8. April 2014 auf Bericht des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts entschieden, dem Antrag des vorlegenden Gerichts, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren zu unterwerfen, stattzugeben.

Würdigung

Einleitende Bemerkung

40.

In Anbetracht der Formulierung und der Natur der Vorlagefragen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, wenn er mit einem Vorabentscheidungsersuchen befasst ist, nach Art. 267 AEUV nicht befugt ist, die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden, und somit auch nicht dafür zuständig ist, eine Bestimmung des innerstaatlichen Rechts an diesen Normen zu messen ( 6 ).

41.

Dagegen kann der Gerichtshof das Unionsrecht im Rahmen der durch Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit zwischen den Gerichten anhand der Akten insoweit auslegen, als dies dem innerstaatlichen Gericht bei der Beurteilung der Wirkungen von Bestimmungen des Unionsrechts dienlich sein könnte ( 7 ). In diesem Sinne werde ich die Fragen des vorlegenden Gerichts prüfen.

Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen

42.

Alle Fragen sind meines Erachtens zulässig, auch die letzte, in der es um die Eventualität der Freilassung von Herrn Mahdi geht. Diese Frage ist keine hypothetische Frage im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ( 8 ). Vielmehr fügt sie sich in die Logik der vorherigen Fragen ein und folgt daraus. Das vorlegende Gericht muss der Verwaltung für den Fall, das Herr Mahdi freigelassen werden sollte, Hinweise geben können. Ich werde daher die Fragen in der Reihenfolge prüfen, in der sie gestellt wurden.

Zu den Vorlagefragen selbst

43.

Das vorlegende Gericht stellte eine Reihe verfahrens- und materiell-rechtlicher Fragen zur Auslegung von Art. 15 der Richtlinie 2008/115.

Die durch die Richtlinie 2008/115 eingeführte Regelung der Inhaftnahme

44.

Um die Fragen des vorlegenden Gerichts sachdienlich beantworten zu können, ist kurz die Regelung der Inhaftnahme sowie der Überprüfung und der gerichtlichen Kontrolle der Inhaftnahme darzustellen, wie sie durch Art. 15 der Richtlinie 2008/115 eingeführt wurde.

45.

Nach ihrem zweiten Erwägungsgrund dient die Richtlinie 2008/115 der Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik, die auf gemeinsamen Normen beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden. Sie soll einen Ausgleich zwischen den Rechten und Interessen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Kontrolle der Einreise, des Aufenthalts und der Abschiebung von Ausländern ( 9 ) und den individuellen Rechten der Betroffenen gewährleisten. Was Letztere angeht, soll die Richtlinie 2008/115 der Rechtsprechung des EGMR zum Recht auf Freiheit Rechnung tragen ( 10 ). Das Gleiche gilt für die „20 Leitlinien zur Frage der erzwungenen Rückkehr“, die das Ministerkomitee des Europarats am 4. Mai 2005 angenommen hat ( 11 ) und auf die im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 verwiesen wird. Art. 15 dieser Richtlinie gehörte im Gesetzgebungsverfahren ( 12 ) zu den Artikeln, die zwischen den politischen Institutionen der Union am umstrittensten waren ( 13 ).

46.

Art. 15 der Richtlinie 2008/115 beruht auf dem Grundsatz, dass nur die Durchführung der Rückkehr- und Abschiebungsverfahren einen Freiheitsentzug rechtfertigt und dass, wenn diese Verfahren nicht mit der erforderlichen Sorgfalt betrieben werden, die Haft nicht länger nach dieser Bestimmung gerechtfertigt ist ( 14 ).

47.

Aus Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 ergibt sich, dass eine Inhaftnahme nur die ultima ratio sein kann, also voraussetzt, dass keine weniger intensiven Zwangsmaßnahmen möglich sind, und dass sie jedenfalls nur dann angeordnet werden kann, wenn entweder Fluchtgefahr besteht oder der betreffende Drittstaatsangehörige die Vorbereitung der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren umgeht oder behindert. Die Abschiebungshaft hat keinen Strafcharakter ( 15 ) und ist keine Strafhaft ( 16 ). Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 ist eng auszulegen, da es sich bei der Haft um einen Freiheitsentzug und damit um eine Einschränkung des Grundrechts der Freiheit der Person handelt ( 17 ).

48.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Inhaftierung einer Person, gegen die ein Abschiebungsverfahren im Gange ist, nicht unangemessen lange fortgesetzt wird, d. h. den zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlichen Zeitraum nicht überschreitet ( 18 ). Dieser Grundsatz ist in Art. 15 Abs. 5 der Richtlinie 2008/115 verankert, der darüber hinaus vorsieht, dass jeder Mitgliedstaat eine bestimmte Haftdauer festlegt, die sechs Monate nicht überschreiten darf ( 19 ).

49.

Liegen die ursprünglichen Haftvoraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 weiter vor, kann ein Mitgliedstaat die zunächst zulässige Höchstdauer der Haft ausnahmsweise verlängern, wenn die Abschiebungsmaßnahme trotz seiner angemessenen Bemühungen wahrscheinlich länger dauern wird und eine der in Art. 15 Abs. 6 dieser Richtlinie genannten zusätzlichen Voraussetzungen vorliegt, d. h. mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens des betroffenen Drittstaatsangehörigen oder Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch den Drittstaat. Diese zusätzlichen Voraussetzungen sind abschließend. Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 ist wie Art. 15 Abs. 1 eng auszulegen.

50.

Sind die Haftvoraussetzungen zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr gegeben, ist die betreffende Person nach Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 unverzüglich freizulassen.

51.

Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 sieht eine gerichtliche Überprüfung der von einer Verwaltungsbehörde angeordneten Inhaftnahme vor. Die Mitgliedstaaten müssen dementsprechend entweder die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme so schnell wie möglich nach Haftbeginn innerhalb kurzer Frist gerichtlich überprüfen lassen oder den betreffenden Drittstaatsangehörigen das Recht einräumen, zu beantragen, dass die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme innerhalb kurzer Frist gerichtlich überprüft wird, wobei so schnell wie möglich nach Beginn des betreffenden Verfahrens eine Entscheidung zu ergehen hat. Mit diesem Erfordernis wollte der Unionsgesetzgeber auch der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR zur Abschiebungshaft ( 20 ) und Leitlinie Nr. 9 zur Frage der erzwungenen Rückkehr ( 21 ) Rechnung tragen.

52.

Die Republik Bulgarien hat in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt, dass sie sich mit Art. 46a Abs. 1 und 2 des Ausländergesetzes für die in Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 vorgesehene zweite Möglichkeit entschieden habe.

53.

Nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2008/115 wird die Inhaftnahme in jedem Fall – entweder auf Antrag der betreffenden Person oder von Amts wegen – „in gebührenden Zeitabständen“ überprüft.

54.

Nach den Angaben der Republik Bulgarien wurden diese Erfordernisse der Richtlinie 2008/115 durch Art. 44 Abs. 8 und Art. 46a Abs. 3 und 4 des Ausländergesetzes umgesetzt.

55.

Schließlich müssen die Überprüfungen nach Art. 15 Abs. 3 Satz 2 dieser Richtlinie „bei längerer Haftdauer“ der Aufsicht einer Justizbehörde unterliegen.

56.

Den Akten ist zu entnehmen, dass die Republik Bulgarien diese Verpflichtung durch Art. 46a Abs. 3 und 4 des Ausländergesetzes umgesetzt hat.

Zu Frage 1a

57.

Mit Frage 1a möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2008/115 verlangt, dass die Haftüberprüfung durch eine ausdrückliche Maßnahme erfolgt, d. h., ob eine solche Überprüfung mittels einer ausdrücklichen Maßnahme zu dem Ergebnis führen muss, dass die Haft der betreffenden Person verlängert wird oder dass diese freigelassen wird. Das vorlegende Gericht möchte somit erfahren, welche Verpflichtungen die nationale Verwaltungsbehörde hat, die die Rechtmäßigkeit der Haft periodisch überprüft.

58.

Aus den Akten geht hervor, dass die Verwaltungsbehörde, die diese Kontrolle vornimmt, nach bulgarischem Recht nicht verpflichtet ist, eine ausdrückliche schriftliche Maßnahme hinsichtlich der Verlängerung der Zwangsmaßnahme zu erlassen, weder wenn sie zwingende monatliche Kontrollen durchführt ( 22 ) noch bevor sie die Akte im Rahmen eines Antrags auf Verlängerung der Zwangsmaßnahme über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus dem Richter zusendet ( 23 ).

59.

Art. 15 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115 bestimmt, dass die Inhaftnahme schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe angeordnet wird. Er bestimmt hingegen nicht, welche Behörde die Überprüfung durchzuführen hat und in welcher Form dies zu geschehen hat.

60.

Meines Erachtens impliziert der Begriff „Überprüfung“, dass die Überprüfungsinstanz untersuchen muss, ob die ursprünglichen Haftgründe des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 noch vorliegen. Sie muss in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, ob (noch) Fluchtgefahr besteht oder ob die betreffende Person die Vorbereitung der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren (noch) umgeht oder behindert. Außerdem muss sie prüfen, ob weniger intensive Zwangsmaßnahmen zu ergreifen sind.

61.

Was den Ausnahmefall einer Verlängerung über den in Art. 15 Abs. 5 der Richtlinie 2008/115 genannten Zeitraum hinaus angeht, muss sich die Überprüfungsinstanz zudem vergewissern, dass eine der zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 vorliegt.

62.

Jede Überprüfung muss einer Justizbehörde erlauben, ihre gerichtliche Aufsicht nach Art. 15 Abs. 2 oder 3 dieser Richtlinie auszuüben, damit für die betreffende Person entsprechend Art. 47 der Charta ein Rechtsbehelf gewährleistet ist ( 24 ).

63.

Welche Folgen haben diese Erfordernisse für die Form einer Überprüfung?

64.

In diesem Punkt plädiere ich für eine Unterscheidung zwischen den Überprüfungen „in gebührenden Zeitabständen“ gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2008/115 und den Überprüfungen „bei längerer Haftdauer“ gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie.

65.

Die Überprüfungen in gebührenden Zeitabständen gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2008/115 werden während des in der ersten Haftentscheidung festgesetzten Zeitraums durchgeführt. Eine neue Entscheidung erscheint überflüssig, wenn die Haft nicht über die ursprüngliche Dauer hinaus verlängert wird und die Gründe nicht geändert worden sind.

66.

Die Überprüfungen bei längerer Haftdauer gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2008/115 erfolgen nach meinem Verständnis dieser Bestimmung im Hinblick auf eine Verlängerung der erstmaligen Haft, gleichgültig, ob die Verlängerung während des Zeitraums nach Art. 15 Abs. 5 dieser Richtlinie ( 25 ) oder an dessen Ende beginnt ( 26 ). In diesem Fall ist eine neue Entscheidung zu erlassen, die in derselben Form ergeht wie die erste Entscheidung und damit den Formerfordernissen des Art. 15 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie entspricht. Diese Formerfordernisse bestehen, um eine spätere gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen.

67.

Folglich ist auf Frage 1a zu antworten, dass Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass die zuständige Behörde in einem Fall, in dem der erste Haftzeitraum geendet hat, mit schriftlicher Entscheidung unter Angabe der tatsächlichen und rechtlichen Gründe über die Fortdauer der erstmaligen Haft zu entscheiden hat.

Zu den Fragen 1b und 1c

68.

Mit den Fragen 1b und 1c, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es in der Sache zu entscheiden hat, wenn es eine Maßnahme der Überprüfung kontrolliert oder wenn es eine Haftverlängerung beschließt, und auf welche tatsächlichen Umstände es sich stützen darf. Das vorlegende Gericht begehrt somit Aufschluss über Wesen und Umfang der zwingenden gerichtlichen Kontrolle im Hinblick auf die Verlängerung der Zwangsmaßnahme, wenn die zunächst festgesetzte Hafthöchstdauer abgelaufen ist.

69.

Diesen Vorlagefragen ist zu entnehmen, dass sich das vorlegende Gericht hinsichtlich seiner Rolle im Rahmen der in Art. 15 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Aufsicht über die Überprüfungen nicht sicher zu sein scheint.

70.

Das Wesen einer gerichtlichen Kontrolle verlangt, dass die Justizbehörde in der Lage ist, zu prüfen, ob die Gründe, auf die sich die Haftentscheidung gestützt hat, noch gegeben sind und ob gegebenenfalls die Voraussetzungen für eine Haftverlängerung vorliegen. Damit Art. 47 der Charta beachtet wird, muss der nationale Richter eine uneingeschränkte Befugnis zur Nachprüfung der Sachentscheidung haben. Folglich muss es ihm möglich sein, zu entscheiden, ob die Haft verlängert oder durch eine weniger intensive Zwangsmaßnahme ersetzt wird oder ob die betreffende Person freigelassen wird.

71.

Die Richtlinie 2008/115 untersagt meines Erachtens als solche nicht, dass die Justizbehörde selbst über die Haftverlängerung entscheidet, sofern sie alle vorgenannten Voraussetzungen erfüllt.

72.

Der Gerichtshof hat bestätigt, dass Art. 15 der Richtlinie 2008/115 unbedingt und hinreichend genau ist, damit es keiner weiteren besonderen Gesichtspunkte bedarf, um seine Umsetzung durch die Mitgliedstaaten zu ermöglichen ( 27 ). Er kann daher vom vorlegenden Gericht unmittelbar zugunsten eines Einzelnen angewandt werden.

73.

Nach Art. 15 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2008/115, ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta, muss die Justizbehörde erforderlichenfalls befugt sein, von der Verwaltungsbehörde die Mitteilung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls und vom Drittstaatsangehörigen die Abgabe einer Stellungnahme zu verlangen.

74.

Dagegen gehören bestimmte Maßnahmen wie die Koordinierung mit Beförderern und die Korrespondenz mit den Behörden von Drittstaaten zu den Aufgaben einer Verwaltungsbehörde und nicht zu denen des vorlegenden Gerichts.

75.

Dem nationalen Gericht kommt somit eine unbeschränkte Nachprüfung in der Sache zu. Folglich muss es, da es Art. 15 der Richtlinie 2008/115 unmittelbar anwenden kann, eventuell Bestimmungen des nationalen Rechts unberücksichtigt lassen, die bewirken, dass es an einer solchen unbeschränkten Nachprüfung gehindert ist. Ich erinnere insoweit an die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach ein nationales Gericht verpflichtet ist, das Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewandt lässt ( 28 ).

76.

Wenn z. B. das in Art. 46a Abs. 4 des Ausländergesetzes vorgesehene Verfahren nach nationalem Recht implizieren sollte, dass die betreffende Person an einer Stellungnahme zur Haftentscheidung gehindert ist, müsste das vorlegende Gericht ein solches Hindernis unbeachtet lassen und den Betreffenden zur Stellungnahme auffordern.

77.

Ich schlage deshalb vor, auf die Fragen 1b und 1c zu antworten, dass im Rahmen von Art. 15 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2008/115 jede Entscheidung der nationalen Verwaltungsbehörde über die Fortdauer einer Inhaftierung Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein muss, die zu erfolgen hat, damit die Beachtung des in Art. 47 der Charta vorgesehenen Rechts der betreffenden Person auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleistet ist. Jede Justizbehörde, die eine solche gerichtliche Kontrolle vornimmt oder über die Fortdauer einer Inhaftierung entscheidet, muss eine unbeschränkte Nachprüfung durchführen und in der Sache entscheiden können, indem sie alle im Ausgangsverfahren vorgetragenen konkreten Umstände und Erwägungen berücksichtigt, und ihre Entscheidung unter Würdigung sowohl der von der Verwaltungsbehörde angeführten Tatsachen und Beweise als auch der vom Drittstaatsangehörigen vorgetragenen Einwände und Tatsachen treffen können. Die Justizbehörde muss in der Lage sein, zu entscheiden, ob die Haft durch eine weniger intensive Zwangsmaßnahme zu ersetzen oder die betreffende Person freizulassen ist.

Zu den Fragen 2 und 3

78.

Mit den Fragen 2 und 3, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 1 und 6 der Richtlinie 2008/115 einer nationalen Praxis entgegensteht, wonach ein erster Haftzeitraum von sechs Monaten aus dem eigenständigen Grund, dass der betreffende Drittstaatsangehörige keine Identitätsdokumente besitzt, verlängert werden kann, wenn bei einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens Fluchtgefahr im Sinne von Art. 15 Abs. 1 und 6 dieser Richtlinie besteht.

79.

Zunächst ist festzustellen, dass der fehlende Besitz von Identitätsdokumenten weder unter den in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 genannten Gründen für die ursprüngliche Haftentscheidung noch unter den in Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie genannten Gründen für die Haftverlängerung angeführt wird.

80.

Vor diesem Hintergrund weise ich darauf hin, dass dem Drittstaatsangehörigen nur dann, wenn der Vollzug der Rückkehrentscheidung mittels Abschiebung durch sein Verhalten beeinträchtigt zu werden droht, weiter die Freiheit entzogen werden kann ( 29 ).

81.

Dass diese Person keine Papiere besitzt, ist selbstverständlich einer der Umstände, die das vorlegende Gericht zu berücksichtigen hat, wenn es ermittelt, ob Fluchgefahr besteht oder der Betroffene die Vorbereitung der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren umgeht oder behindert. Auch § 1 Nr. 4c der Ergänzungsbestimmungen zum Ausländergesetz scheint mir diesem Erfordernis Ausdruck zu verleihen.

82.

Zudem möchte ich daran erinnern, dass Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2008/115 die „Fluchtgefahr“ definiert als „das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich Drittstaatsangehörige einem Rückkehrverfahren durch Flucht entziehen könnten“.

83.

Im Rahmen von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 ( 30 ) hat der Gerichtshof entschieden, dass jede Beurteilung der Fluchtgefahr eine individuelle Prüfung des Falles des Betroffenen zur Grundlage haben muss ( 31 ). Eine solche individuelle Prüfung der Notwendigkeit, einer Person die Freiheit zu entziehen, um die Beachtung einer Abschiebungsentscheidung zu gewährleisten, ist auch Ausdruck eines umfassenderen Schutzes gegen Willkür ( 32 ).

84.

Daher schlage ich vor, auf die Fragen 2 und 3 zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 untersagt, einen Drittstaatsangehörigen bereits deswegen zu inhaftieren, weil er keine Identitätsdokumente besitzt. Ein solcher Umstand kann aber als einer der Umstände berücksichtigt werden, die für die Feststellung relevant sind, ob Fluchtgefahr im Sinne von Art. 15 Abs. 1 dieser Richtlinie besteht.

Zu Frage 4a

85.

Mit Frage 4a möchte das vorlegende Gericht wissen, ob unter den Umständen des Ausgangsverfahrens zur Klärung der Frage, ob die bulgarischen Behörden die Haft des Drittstaatsangehörigen verlängern können, davon auszugehen ist, dass dieser gemäß Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 „mangelnde Kooperationsbereitsschaft“ gezeigt hat und/oder gemäß dieser Bestimmung „Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten“ vorgelegen haben.

86.

Meines Erachtens ergibt sich die Antwort auf Frage 4a unmittelbar aus Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115. Art. 15 Abs. 6 dieser Richtlinie soll die Fälle regeln, in denen der Mitgliedstaat, der die Abschiebung durchführt, alle angemessenen Bemühungen, d. h. alle ihm obliegenden Handlungen, unternommen hat, bevor er eine Haftverlängerung erwägt. Wenn die Abschiebung ungeachtet dessen wahrscheinlich länger dauern wird (wegen mangelnder Kooperationsbereitsschaft oder Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch den Drittstaat), darf der Mitgliedstaat den Haftzeitraum ausnahmsweise über den in Art. 15 Abs. 5 der Richtlinie 2008/115 genannten Zeitraum hinaus verlängern.

87.

Es obliegt dem vorlegenden Gericht, den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anhand dieser Bestimmung zu beurteilen.

88.

In diesem Rahmen müssen die bulgarischen Behörden, selbst wenn der vom vorlegenden Gericht dargestellte Sachverhalt des Ausgangsverfahrens auf mangelnde Kooperationsbereitschaft von Herrn Mahdi und/oder Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Sudan hinweisen sollte, die „angemessenen Bemühungen“ fortsetzen, wie Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 dies verlangt.

89.

Während der gesamten Haftdauer müssen die bulgarischen Behörden aktiv, kontinuierlich und ununterbrochen Schritte unternehmen, um zu erreichen, dass die Botschaft Reisedokumente ausstellt, und müssen Verhandlungen über eine Aufnahme von Herrn Mahdi durch Sudan führen. Ich wiederhole, dass die Inhaftnahme ihren Grund allein in der Abschiebung hat und keinen Strafcharakter besitzt.

90.

Die Rechtsprechung des EGMR bestätigt diese Sichtweise. Der EGMR hat nämlich eine Verletzung des Rechts auf Freiheit durch die Republik Bulgarien in einem Fall festgestellt, in dem sich die bulgarischen Behörden 18 Monate lang darauf beschränkten, dreimal an die Botschaft des betreffenden Drittstaats zu schreiben, um die Ausstellung eines Reisedokuments für den Beschwerdeführer zu erbitten. Nach Auffassung des EGMR genügten diese drei Schreiben nicht, um zu belegen, dass die bulgarischen Behörden die Angelegenheit aktiv betrieben hatten oder dass sie sich bemüht hatten, eine rasche Überstellung oder die Aufnahme des Beschwerdeführers durch einen Drittstaat auszuhandeln ( 33 ).

91.

Schließlich scheint aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorzugehen, dass die Republik Bulgarien die Bestimmung über die Hafthöchstdauer mit Art. 44 Abs. 8 des Ausländergesetzes in der Weise umgesetzt hat, dass die „Dauer der Unterbringung zusätzlich auf bis zu zwölf Monate verlängert werden [kann]“ ( 34 ). Sollte dies bedeuten, dass die Republik Bulgarien sich damit dafür entschieden hat, die Haftdauer auf insgesamt zwölf Monate zu beschränken und die nach Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 zulässige Höchstdauer nicht auszuschöpfen ( 35 ), darf sie diese Bestimmung nicht so anwenden, dass es ihr erlaubt ist, die Haftfrist über zwölf Monate hinaus zu verlängern. Ein Mitgliedstaat darf nämlich nicht eine Bestimmung einer Richtlinie gegen einen Einzelnen anführen ( 36 ).

92.

Auf Frage 4a ist demnach zu antworten, dass die Behörden eines Mitgliedstaats nach Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 die Haftdauer nur dann über den in Art. 15 Abs. 5 der Richtlinie genannten Zeitraum hinaus verlängern können, wenn die Abschiebungsmaßnahme wegen ihnen nicht zurechenbarer tatsächlicher Umstände länger dauern wird. Selbst wenn der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens auf mangelnde Kooperationsbereitschaft des Drittstaatsangehörigen und/oder Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch den Drittstaat hinweisen sollte, ist ein Mitgliedstaat verpflichtet, seine Bemühungen um den Vollzug der Abschiebungsmaßnahme aktiv, kontinuierlich und ununterbrochen fortzusetzen.

Zu Frage 4b

93.

Mit dieser letzten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Mitgliedstaat dem Drittstaatsangehörigen, falls dieser freigelassen wird oder die Behörden des Drittstaats weiterhin kein Identitätsdokument ausstellen, ein vorläufiges Dokument über seinen Status ausstellen muss.

94.

Wie die Kommission in ihren Erklärungen unterstrichen hat, sind die Bedingungen des Aufenthalts von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen, gegen die die Abschiebungsanordnung nicht vollzogen werden kann, im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht harmonisiert. Insbesondere gilt die Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 des Rates vom 13. Juni 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige (ABl. L 157, S. 1) nach ihrem Art. 1 Abs. 2 nur für den rechtmäßigen Aufenthalt.

95.

Sollten die bulgarischen Behörden entscheiden, dass Herr Mahdi nicht mehr nach Sudan zurückzukehren braucht, stünde es ihnen frei, ihm nach Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 wegen Vorliegens eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen.

96.

In Ermangelung einer solchen Entscheidung meine ich, dass eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, der betreffenden Person eine schriftliche Bestätigung ihrer Situation auszustellen, bereits aus der Logik der Richtlinie 2008/115 folgt. Ein solches Dokument könnte verhindern, dass der Betroffene von den bulgarischen Behörden erneut festgenommen wird, wenn von ihm später bei einer administrativen Überprüfung oder Kontrolle verlangt würde, dass er seine besondere Situation nachweist.

97.

Ich schlage daher vor, auf Frage 4b zu antworten, dass Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 im Licht des zwölften Erwägungsgrundes der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Mitgliedstaat dem Drittstaatsangehörigen, falls dieser freigelassen wird, eine schriftliche Bestätigung seiner Situation ausstellen muss, damit er im Fall einer administrativen Kontrolle oder Überprüfung seine besondere Situation nachweisen kann.

Ergebnis

98.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Administrativen sad Sofia-grad wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde mit einer individuellen schriftlichen Maßnahme über die Fortdauer einer erstmaligen Inhaftierung zu entscheiden hat.

2.

Im Rahmen von Art. 15 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2008/115 muss jede Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Fortdauer einer Inhaftierung Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein, die zu erfolgen hat, damit die Beachtung des in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehenen Rechts der betreffenden Person auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleistet ist. Jede Justizbehörde, die eine solche gerichtliche Kontrolle vornimmt oder über die Fortdauer einer Inhaftierung entscheidet, muss eine unbeschränkte Nachprüfung durchführen und in der Sache entscheiden können, indem sie alle im Ausgangsverfahren vorgetragenen konkreten Umstände und Erwägungen berücksichtigt, und ihre Entscheidung unter Würdigung sowohl der von der Verwaltungsbehörde angeführten Tatsachen und Beweise als auch der vom Drittstaatsangehörigen vorgetragenen Einwände und Tatsachen treffen können. Die Justizbehörde muss in der Lage sein, zu entscheiden, ob die Haft durch eine weniger intensive Zwangsmaßnahme zu ersetzen oder die betreffende Person freizulassen ist.

3.

Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 untersagt, einen Drittstaatsangehörigen bereits deswegen zu inhaftieren, weil er keine Identitätsdokumente besitzt. Ein solcher Umstand kann aber als einer der Umstände berücksichtigt werden, die für die Feststellung relevant sind, ob Fluchtgefahr im Sinne von Art. 15 Abs. 1 dieser Richtlinie besteht.

4.

Nach Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 können die Behörden eines Mitgliedstaats die Haftdauer nur dann über den in Art. 15 Abs. 5 der Richtlinie genannten Zeitraum hinaus verlängern, wenn die Abschiebungsmaßnahme wegen ihnen nicht zurechenbarer tatsächlicher Umstände länger dauern wird. Selbst wenn der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens auf mangelnde Kooperationsbereitschaft des Drittstaatsangehörigen und/oder Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch den Drittstaat hinweisen sollte, ist ein Mitgliedstaat verpflichtet, seine Bemühungen um den Vollzug der Abschiebungsmaßnahme aktiv, kontinuierlich und ununterbrochen fortzusetzen.

5.

Wird der Drittstaatsangehörige gemäß Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 freigelassen, muss der Mitgliedstaat ihm eine schriftliche Bestätigung seiner Situation ausstellen, damit er im Fall einer administrativen Kontrolle oder Überprüfung seine besondere Situation nachweisen kann.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) In den vorherigen Rechtssachen sind die Urteile Kadzoev (C‑357/09 PPU, EU:C:2009:741), El Dridi (C‑61/11 PPU, EU:C:2011:268) sowie G. und R. (C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533) ergangen.

( 3 ) Vgl. insoweit zu Art. 15 der Richtlinie 2008/115 Stellungnahme von Generalanwalt Mazák in der Rechtssache Kadzoev (C‑357/09 PPU, EU:C:2009:691, Nr. 52) und Urteil El Dridi (EU:C:2011:268, Rn. 43) sowie zu Art. 16 dieser Richtlinie Schlussanträge von Generalanwalt Bot in den verbundenen Rechtssachen Bero und Bouzalmate (C‑473/13 und C‑514/13, EU:C:2014:295, Nrn. 84 ff.).

( 4 ) Urteil McB.(C‑400/10 PPU, EU:C:2010:582, Rn. 53). Hervorhebung nur hier.

( 5 ) Generalanwältin Sharpston argumentiert in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Radu (C‑396/11, EU:C:2012:648, Nr. 14) entsprechend, wenn sie feststellt: „Soweit für die vorliegenden Schlussanträge von Belang, findet Art. 6 der Charta seine Entsprechung in Art. 5 EMRK.“ Meiner Ansicht nach lässt sich diese Feststellung unabhängig von der vorliegenden Stellungnahme durch Analogie zum Urteil McB. (EU:C:2010:582) verallgemeinern.

( 6 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia (C‑220/06, EU:C:2007:815, Rn. 36) und Patriciello (C‑163/10, EU:C:2011:543, Rn. 21).

( 7 ) Urteil EMS-Bulgaria Transport (C‑284/11, EU:C:2012:458, Rn. 51). Vgl. ferner Stellungnahme von Generalanwalt Mazák in der Rechtssache Kadzoev (EU:C:2009:691, Nr. 25).

( 8 ) Das Referenzurteil zu hypothetischen Fragen ist das Urteil Meilicke (C‑83/91, EU:C:1992:332, Rn. 32 und 33).

( 9 ) Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR handelt es sich dabei um einen anerkannten Grundsatz des Völkerrechts (vgl. Urteile des EGMR vom 28. Mai 1985, Abdulaziz, Cabales und Balkandali/Vereinigtes Königreich, Nrn. 9214/80, 9473/81 und 9474/81, § 67, vom 18. Februar 1991, Moustaquim/Belgien, Nr. 12313/86, § 43, sowie vom 24. Januar 2008, Riad und Idiab/Belgien, Nrn. 29787/03 und 29810/03, § 94).

( 10 ) Vgl. Nr. 2 der vorliegenden Stellungnahme.

( 11 ) Vgl. Ministerkomitee, Dokument CM(2005) 40 final. Vgl. ferner den nach der Richtlinie 2008/115 verabschiedeten Bericht des Ausschusses für Wanderbewegungen, Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, „Die Inhaftnahme von Asylbewerbern und irregulären Migranten in Europa“, vom 11. Januar 2010, Dokument 12105.

( 12 ) Es handelte sich um das Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG, das durch den Erlass des Beschlusses 2004/927/EG des Rates vom 22. Dezember 2004 über die Anwendung des Verfahrens des Artikels 251 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf bestimmte Bereiche, die unter Titel IV des Dritten Teils dieses Vertrags fallen (ABl. L 396, S. 45), anwendbar geworden war.

( 13 ) Vgl. z. B. Hörich, D., „Die Rückführungsrichtlinie: Entstehungsgeschichte, Regelungsgehalt und Hauptprobleme“, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, 2011, S. 281 und 285, und Lutz, F., The negotiations on the return directive, 2010, S. 67.

( 14 ) Vgl. zu Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 15. November 1996, Chahal/Vereinigtes Königreich (Nr. 22414/93, § 74).

( 15 ) Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Bot in den verbundenen Rechtssachen Bero und Bouzalmate (EU:C:2014:295, Nr. 91).

( 16 ) Vgl. Stellungnahme von Generalanwalt Mazák in der Rechtssache El Dridi (C‑61/11 PPU, EU:C:2011:205, Nr. 35) und Stellungnahme von Generalanwalt Wathelet in der Rechtssache G. und R. (C‑383/13 PPU, EU:C:2013:553, Nr. 54).

( 17 ) Vgl. Stellungnahme von Generalanwalt Mazák in der Rechtssache Kadzoev (EU:C:2009:691, Nr. 70). In Bezug auf Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK hat der EGMR im gleichen Sinne entschieden (vgl. z. B. Urteile des EGMR vom 22. März 1995, Quinn/Frankreich, Nr. 18580/91, § 42, und vom 12. Oktober 2006, Kaya/Rumänien, Nr. 33970/05, § 16).

( 18 ) Vgl. insbesondere Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 29. Januar 2008, Saadi/Vereinigtes Königreich (Nr. 13229/03, § 74), und als aktuelles Beispiel Urteil des EGMR vom 24. April 2014, Herman und Serazadishvili/Griechenland (Nrn. 26418/11 und 45884/11, § 59).

( 19 ) Es sei angemerkt, dass der Unionsgesetzgeber in diesem Punkt weiter gegangen ist als der EGMR in seiner Rechtsprechung, denn Art. 5 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR legt keine Hafthöchstdauer fest.

( 20 ) Genauer, die Auslegung von Art. 5 Abs. 4 EMRK durch den EGMR (vgl. Urteile des EGMR vom 29. November 2011, Altinok/Türkei, Nr. 31610/08, § 45, und vom 17. Januar 2012 [Große Kammer], Stanev/Bulgarien, Nr. 36760/06, § 171).

( 21 ) Nach dieser Leitlinie, die mit „Gerichtliche Rechtsbehelfe gegen die Inhaftnahme“ überschrieben ist, kann jede Person, die zur Sicherstellung ihrer Abschiebung festgenommen und/oder inhaftiert wird, einen Rechtsbehelf einlegen, damit die Rechtmäßigkeit ihrer Haft schnell von einem Gericht geprüft wird. Ein solcher Rechtsbehelf muss leicht zugänglich und effektiv sein, und im Einklang mit den nationalen Gesetzen sollte rechtlicher Beistand gewährt werden.

( 22 ) Art. 44 Abs. 8 des Ausländergesetzes.

( 23 ) Art. 46a Abs. 4 des Ausländergesetzes.

( 24 ) Dieser Artikel ist die schriftliche Bestätigung eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts, der in ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt ist (vgl. Urteile Johnston, 222/84, EU:C:1986:206, Rn. 18, und Mono Car Styling, C‑12/08, EU:C:2009:466, Rn. 47).

( 25 ) Dieser Zeitraum umfasst in Bulgarien sechs Monate (vgl. Nr. 15 der vorliegenden Stellungnahme).

( 26 ) Es sei daran erinnert, dass in einem solchen Fall die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 vorliegen müssen.

( 27 ) Urteil El Dridi (EU:C:2011:268, Rn. 47).

( 28 ) Urteile Simmenthal (106/77, EU:C:1978:49, Rn. 21) und Solred (C‑347/96, EU:C:1998:87, Rn. 29).

( 29 ) Vgl. im gleichen Sinne Urteil El Dridi (EU:C:2011:268, Rn. 39).

( 30 ) Diese Bestimmung lautet: „Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen.“

( 31 ) Vgl. Urteil Sagor (C‑430/11, EU:C:2012:777, Rn. 41) und Beschluss Mbaye (C‑522/11, EU:C:2013:190, Rn. 31).

( 32 ) Vgl. Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 19. Februar 2009, A. u. a./Vereinigtes Königreich (Nr. 3455/05, § 164, EGMR 2009-II), und die Kommentare zur Leitlinie Nr. 6 Abs. 1 des Dokuments CM (2005) 40 final.

( 33 ) Vgl. Urteil des EGMR vom 11. Oktober 2011, Auad/Bulgarien (Nr. 46390/10, § 132). Vgl. ferner Urteil des EGMR vom 11. Februar 2010, Raza/Bulgarien (Nr. 31465/08, § 73), in dem der EGMR ebenfalls eine Verletzung des Rechts auf Freiheit festgestellt und dazu erläutert hat: „It is true that the Bulgarian authorities could not compel the issuing of such document, but there is no indication that they pursued the matter vigorously or endeavoured entering into negotiations with the Pakistani authorities with a view to expediting its delivery.“ (Text nur auf Englisch verfügbar).

( 34 ) Hervorhebung nur hier.

( 35 ) Allerdings scheint die Europäische Kommission in ihren Erklärungen davon auszugehen, dass Herr Mahdi insgesamt 18 Monate inhaftiert werden kann.

( 36 ) Urteil Ratti (148/78, EU:C:1979:110, Rn. 28).

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