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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62013CC0048

Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 13. März 2014.
Nordea Bank Danmark A/S gegen Skatteministeriet.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Østre Landsret (cour d’appel de la région Est) - Dänemark.
Steuerrecht - Niederlassungsfreiheit - Nationale Ertragsteuer - Konzernbesteuerung - Besteuerung der Tätigkeit ausländischer Betriebsstätten inländischer Gesellschaften - Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung (Anrechnungsmethode) - Nachbesteuerung zuvor abgezogener Verluste bei Veräußerung der Betriebsstätte an eine verbundene Gesellschaft, für die der betreffende Mitgliedstaat seine Besteuerungsbefugnis nicht ausübt.
Rechtssache C-48/13.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2014:153

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 13. März 2014 ( 1 )

Rechtssache C‑48/13

Nordea Bank Danmark A/S

gegen

Skatteministeriet

(Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret [Dänemark])

„Steuerrecht — Niederlassungsfreiheit — Nationale Ertragsteuer — Konzernbesteuerung — Besteuerung der Tätigkeit ausländischer Betriebsstätten inländischer Gesellschaften — Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung (Anrechnungsmethode) — Nachbesteuerung zuvor berücksichtigter Verluste bei Veräußerung der Betriebsstätte im Konzern unter Wegfall des Besteuerungsrechts“

1. 

Wieder einmal muss sich der Gerichtshof im vorliegenden Verfahren mit der grenzüberschreitenden Konzernbesteuerung eines Mitgliedstaats und ihrer Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit befassen. Und wieder einmal wird sich der Gerichtshof mit dem Rechtfertigungsgrund der „Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“ beschäftigen müssen, den er im Urteil Marks & Spencer ( 2 ) erstmalig ausdrücklich anerkannt hat und dessen Reichweite immer noch nicht ausreichend geklärt scheint.

2. 

Allerdings werden auch die vorgelegten Fälle komplizierter. Das vorliegende dänische Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Besteuerung einer inländischen Gesellschaft mit ihren in anderen Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten. Die Tätigkeit dieser ausländischen Betriebsstätten wurde von Dänemark zwar voll besteuert. Allerdings wurde dabei nach der so genannten Anrechnungsmethode die im Ausland gezahlte Steuer auf die dänische Steuer angerechnet. Im vorliegenden Fall hatten die ausländischen Betriebsstätten jedoch nur Verluste erwirtschaftet. Diese im Rahmen der Besteuerung der inländischen Gesellschaft berücksichtigten Verluste sollen nunmehr aufgrund einer Sonderregelung nachbesteuert werden, weil die Betriebsstätten innerhalb des Konzerns an Gesellschaften veräußert wurden, die nicht dem Besteuerungsrecht Dänemarks unterliegen.

3. 

Beim vorliegenden Verfahren handelt es sich jedoch nicht um einen exotischen Sonderfall, dem keine allgemeine Bedeutung zukommt. Er bietet sich vielmehr an, um die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung im Allgemeinen sowie unter Geltung der Anrechnungsmethode im Besonderen weiterzuentwickeln.

I – Rechtlicher Rahmen

4.

Im Königreich Dänemark wird eine Steuer auf den Gewinn von Gesellschaften erhoben, die im Inland ansässig sind.

5.

Unterhält eine solche Gesellschaft in einem anderen nordischen Staat (Schweden, Finnland oder Norwegen) eine Betriebsstätte, so kann das Königreich Dänemark nach Art. 7 des Nordischen Doppelbesteuerungsabkommens die Gesellschaft auch hinsichtlich des Teils des Gewinns besteuern, der dieser ausländischen Betriebsstätte zugerechnet werden kann. Nach Art. 25 des Abkommens ist jedoch insoweit bei der dänischen Steuer die ausländische Steuer auf die Tätigkeit der Betriebsstätte anzurechnen, allerdings nur bis zur Höhe der im Königreich Dänemark auf den Gewinn der Betriebsstätte berechneten Steuer.

6.

Nach der Rechtslage, die für das Ausgangsverfahren maßgeblich ist, waren bei der dänischen Steuer die laufenden Gewinne und Verluste der ausländischen Betriebsstätten inländischer Gesellschaften zu berücksichtigen.

7.

In bestimmten Fällen allerdings wurde eine Korrektur der Verlustberücksichtigung angeordnet. § 33 D Abs. 5 Ligningslov sah dazu vor:

„Wird eine in einem fremden Staat … belegene Betriebsstätte oder ein Teil davon an eine verbundene Gesellschaft … veräußert, …, sind abgezogene Verluste, denen keine Gewinne späterer Jahre entsprechen, bei der Angabe des steuerpflichtigen Einkommens unabhängig von der zur Entlastung angewendeten Methode ebenfalls zu berücksichtigen. …“

8.

Diese Regelung galt nach Darstellung des vorlegenden Gerichts nur, wenn die erwerbende verbundene Gesellschaft nicht gemeinsam mit der veräußernden Gesellschaft besteuert wurde. Nach der Begründung des entsprechenden Gesetzentwurfs sollte mit dieser Regelung verhindert werden, dass dänische Gesellschaften zunächst die Verluste ihrer ausländischen Betriebsstätten Gewinn mindernd berücksichtigen können und diese Betriebsstätten dann später, sobald sie Gewinne erzielen, an eine verbundene ausländische Gesellschaft veräußern, um diese Gewinne nicht in Dänemark versteuern zu müssen.

II – Ausgangsverfahren

9.

Klägerin des Ausgangsverfahrens ist die Gesellschaft Nordea Bank Danmark A/S. Sie ist Rechtsnachfolgerin einer Bank, die im Jahr 2000 zusammen mit einer schwedischen, finnischen und norwegischen Bank zum Nordea Konzern verbunden wurde.

10.

In den Jahren 1996 bzw. 1997 bis 2000 unterhielt die Rechtsvorgängerin in Schweden, Finnland und Norwegen Betriebsstätten in der Form von Bankfilialen. Diese Zweigniederlassungen hatten in allen Jahren Verluste erzielt. Insgesamt wurden deshalb 204402324 DKK – was nach gegenwärtigem Kurs etwa 27 Mio. Euro entspricht – von der Bemessungsgrundlage der dänischen Steuer in Abzug gebracht.

11.

Infolge der Bildung des Nordea Konzerns wurden diese Bankfilialen geschlossen. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter wurde von schwedischen, finnischen bzw. norwegischen Gesellschaften übernommen, die zum Nordea Konzern gehörten, ebenso ein Teil der Kunden. Die von den Betriebsstätten zuvor erzielten Verluste konnten von den übernehmenden Gesellschaften im Rahmen ihrer eigenen Besteuerung nicht mehr geltend gemacht werden.

12.

Die dänischen Steuerbehörden bewerteten diese Vorgänge als eine teilweise Veräußerung von Betriebsstätten an verbundene Gesellschaften gemäß § 33 D Abs. 5 Ligningslov. Sie erhöhten daher die Bemessungsgrundlage der Steuer für das Jahr 2000 um die Summe der Verluste, die in den Vorjahren geltend gemacht worden waren. Nach Auffassung von Nordea Bank Danmark verstößt diese Regelung jedoch sowohl gegen Unionsrecht als auch gegen das EWR-Abkommen.

III – Verfahren vor dem Gerichtshof

13.

Der mittlerweile mit dem Rechtsstreit befasste Østre Landsret hat dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Hindern Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV (früher Art. 43 EG in Verbindung mit Art. 48 EG) und Art. 31 des EWR-Abkommens in Verbindung mit dessen Art. 34 einen Mitgliedstaat, der einer gebietsansässigen Gesellschaft den laufenden Abzug von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gestattet, an einer vollständigen Nachbesteuerung der Verluste der Betriebsstätte (in dem Umfang, in dem ihnen keine Gewinne in späteren Jahren entsprechen) bei der genannten Gesellschaft, wenn die Betriebsstätte geschlossen wird und in diesem Zusammenhang ein Teil ihres Geschäfts an eine verbundene Gesellschaft übertragen wird, die im gleichen Staat wie die Betriebsstätte ansässig ist, und davon auszugehen ist, dass die Möglichkeiten der Berücksichtigung der betreffenden Verluste ausgeschöpft sind?

14.

Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben Nordea Bank Danmark, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich der Niederlande, die Republik Österreich, die EFTA-Überwachungsbehörde sowie die Kommission schriftlich Stellung genommen.

IV – Rechtliche Würdigung

15.

Im vorliegenden Verfahren ist zu klären, ob die beschriebene Nachbesteuerung der Verluste einer ausländischen Betriebsstätte im Rahmen der dänischen Ertragsbesteuerung inländischer Gesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit des im Ausgangsverfahren anzuwendenden EG-Vertrags bzw. des EWR-Abkommens zu vereinbaren ist.

16.

Dabei muss vorliegend nicht differenziert werden zwischen der Prüfung eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit einer Gesellschaft in den Mitgliedstaaten, der nach Art. 43 in Verbindung mit Art. 48 EG zu beurteilen ist, und im Königreich Norwegen, für das Art. 31 in Verbindung mit Art. 34 des EWR-Abkommens Anwendung findet. Denn beide Bestimmungen verbieten Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in identischer Weise ( 3 ).

17.

Mit allen Verfahrensbeteiligten bin ich zunächst der Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit festzustellen ist.

18.

Die Niederlassungsfreiheit gibt einer Gesellschaft unter anderem das Recht, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Zweigniederlassung auszuüben ( 4 ). Auch dem Herkunftsmitgliedstaat einer Gesellschaft ist grundsätzlich verboten, ihre Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern ( 5 ). Eine solche Behinderung liegt vor, wenn eine nachteilige ungleiche Behandlung einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat im Vergleich zu einer rein inländischen Niederlassung festzustellen ist ( 6 ).

19.

Im Königreich Dänemark wurden Gesellschaften mit ausländischen Zweigniederlassungen und solche mit inländischen Zweigniederlassungen durch die Regelung des § 33 D Abs. 5 Ligningslov unterschiedlich behandelt. Wenn eine dänische Gesellschaft eine inländische Zweigniederlassung betrieb und diese an eine verbundene Gesellschaft veräußerte, die nicht in Dänemark besteuert wurde, wurden zuvor berücksichtigte Verluste dieser inländischen Zweigniederlassung anders als bei einer ausländischen Zweigniederlassung nicht korrigiert. Der Betrieb einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat wurde somit steuerlich benachteiligt.

20.

Nach der Rechtsprechung ist eine solche nachteilige Ungleichbehandlung jedoch dann mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind (dazu unter A), oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (dazu unter B) ( 7 ).

A – Zur Notwendigkeit einer Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen

21.

Traditionell wäre also zunächst zu prüfen, ob sich Gesellschaften mit einer inländischen Zweigniederlassung und solche mit einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat in einer objektiv vergleichbaren Situation befinden, und zwar unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels ( 8 ).

22.

Obwohl ich in der Vergangenheit selbst solche Prüfungen durchgeführt habe ( 9 ), erscheint es mir an der Zeit, davon Abstand zu nehmen ( 10 ). Denn zum einen ist weder eine Abgrenzung zur Prüfung eines Rechtfertigungsgrundes möglich, noch sind Kriterien erkennbar, in welchen Fällen die objektive Vergleichbarkeit der Situationen überhaupt zu verneinen ist. Zum anderen verhinderte eine solche Feststellung auch einen angemessenen Ausgleich zwischen der Grundfreiheit und dem jeweiligen Grund einer Ungleichbehandlung.

23.

Das Erfordernis der objektiven Vergleichbarkeit kann als ein dogmatisches Überbleibsel gesehen werden aus der Zeit, als der Gerichtshof im Bereich der Niederlassungsfreiheit nur ausdrücklich im Vertrag vorgesehene Rechtfertigungsgründe akzeptierte ( 11 ). Viele Gründe, die aus der Sicht eines Mitgliedstaats für eine unterschiedliche Behandlung inländischer und grenzüberschreitender Sachverhalte geltend gemacht wurden, konnten somit nur im Rahmen der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen erörtert werden.

24.

Mit der Anerkennung auch ungeschriebener Rechtfertigungsgründe durch den Gerichtshof ist jedoch eine neue Situation entstanden. Die Gründe, die für eine Ungleichbehandlung sprechen, werden nunmehr regelmäßig im Rahmen der Prüfung der diversen anerkannten – oder unter Umständen zukünftig noch anzuerkennenden – Rechtfertigungsgründe abgewogen. Es überrascht daher nicht, dass der Gerichtshof in den Fällen, in denen er die Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen ernst nimmt, im Wesentlichen dasselbe untersucht, was er später noch einmal unter dem Aspekt der Rechtfertigung prüft ( 12 ).

25.

Vor diesem Hintergrund fiel insbesondere in Entscheidungen zum Steuerrecht die Intensität der Prüfung der Vergleichbarkeit der Situationen in letzter Zeit sehr unterschiedlich aus. So lässt es der Gerichtshof für die Bejahung objektiver Vergleichbarkeit teilweise schon ausreichen, dass ein steuerlicher Vorteil in beiden Situationen angestrebt wird ( 13 ), andererseits existieren auch umfangreiche Untersuchungen, die sich ausgiebig mit dem Regelungssystem des betreffenden Mitgliedstaats auseinandersetzen ( 14 ). Mitunter verzichtet der Gerichtshof aber auch ganz auf die Prüfung einer objektiven Vergleichbarkeit der Situationen ( 15 ) oder stellt die Vergleichbarkeit lediglich ohne Begründung fest ( 16 ).

26.

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt insgesamt nicht erkennen, unter welchen Umständen ein Unterschied der verglichenen Situationen ihre objektive Vergleichbarkeit ausschließen soll. Im vorliegenden Fall ist beispielsweise festzustellen, dass sich die Situationen einer ausländischen und einer inländischen Zweigniederlassung objektiv unterscheiden, weil nur im Fall der Besteuerung der ausländischen Zweigniederlassung eine ausländische Steuer auf die dänische Steuer anzurechnen ist. Nach welchen Maßstäben aber ist zu entscheiden, ob es sich dabei im Hinblick auf die Korrektur der Verlustberücksichtigung um einen relevanten Unterschied handelt?

27.

Würde man nun aber im Ergebnis feststellen, dass eine objektive Vergleichbarkeit der Situationen nicht besteht, so ist – anders als bei der Untersuchung eines Rechtfertigungsgrundes – eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung von inländischer und grenzüberschreitender Situation abgeschnitten. Ein angemessener Ausgleich zwischen den Zielen, die mit der Grundfreiheit verbunden sind und die hinter dem Grund der Differenzierung zwischen inländischer und grenzüberschreitender Situation stehen, ist somit nicht mehr möglich. Nur wenn der Grund für eine Ungleichbehandlung im Rahmen der Prüfung eines Rechtfertigungsgrundes betrachtet wird, ist daher eine ausgewogene Lösung gewährleistet.

28.

Wenn somit weder ein Bedarf für die Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen besteht, noch diese Prüfung zu angemessenen Ergebnissen führt, sollte der Gerichtshof künftig auf sie verzichten. Die Berechtigung einer Ungleichbehandlung sollte allein danach beurteilt werden, ob ein Grund vorhanden ist, der die unterschiedliche Behandlung in verhältnismäßiger Weise rechtfertigen kann.

B – Rechtfertigung

29.

Damit stellt die nachteilige Ungleichbehandlung ausländischer Zweigniederlassungen im vorliegenden Fall nur dann keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit des EG-Vertrags bzw. des EWR-Abkommens dar, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.

30.

Die am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass eine solche Rechtfertigung vorhanden ist. Sie berufen sich auf die vom Gerichtshof anerkannten Rechtfertigungsgründe der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten (dazu unter 1), der Wahrung der Kohärenz einer Steuerregelung (dazu unter 2) und der Verhinderung von Steuerumgehungen (dazu unter 3).

1. Aufteilung der Besteuerungsbefugnis

31.

Die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten ist ein vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung anerkannter Rechtfertigungsgrund ( 17 ).

32.

Das Königreich Dänemark hält die Nachbesteuerung der Verluste durch diesen Rechtfertigungsgrund in Verbindung mit dem Ziel der Verhinderung der Steuerumgehung für gerechtfertigt. Dadurch soll nämlich verhindert werden, dass ein Konzern zunächst die Verluste einer ausländischen Betriebsstätte in Dänemark geltend macht und sodann durch die Veräußerung der Betriebsstätte innerhalb des Konzerns die Gewinne in einem anderen, steuerlich vorteilhafteren Mitgliedstaat versteuern lässt.

33.

Die übrigen am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten halten den Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten vor allem unter dem Gesichtspunkt der Symmetrie von Gewinn- und Verlustberücksichtigung im selben Mitgliedstaat für entscheidend. Da durch die Veräußerung die ausländische Betriebsstätte dem dänischen Besteuerungsrecht entzogen werde, sei diese Symmetrie gestört, da künftige Gewinne der Betriebsstätte nicht mehr in Dänemark besteuert würden.

34.

Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Akzentuierung ist zunächst zu klären, was genau der Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten eigentlich beinhaltet.

35.

Dazu muss erst einmal zwischen der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis selbst und der Wahrung dieser Aufteilung unterschieden werden. Der Gerichtshof bringt nämlich in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck, dass die Frage, wie das Besteuerungsrecht zwischen den Mitgliedstaaten aufgeteilt wird, Sache der Mitgliedstaaten selbst ist. Denn sie bleiben in Ermangelung unionsrechtlicher Harmonisierungsmaßnahmen befugt, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich, aber auch einseitig festzulegen ( 18 ).

36.

Zwar hat der Gerichtshof bei der erstmaligen Anerkennung dieses Rechtfertigungsgrundes im Urteil Marks & Spencer betont, dass eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis schützenswert ist ( 19 ), und er wiederholt diesen Gesichtspunkt auch zuweilen in späteren Entscheidungen ( 20 ).

37.

Prinzipiell wird man jedoch davon ausgehen können, dass die Art und Weise, wie die Mitgliedstaaten in einem bestimmten Fall ihre Besteuerungsbefugnisse untereinander aufgeteilt haben, vom Gerichtshof nicht in Frage gestellt und damit der „Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“ zugrunde gelegt wird ( 21 ). Dies ist auch im vorliegenden Fall anzunehmen, in dem die ausländischen Betriebsstätten einer Gesellschaft sowohl vom Quellenstaat, in dem sich die Betriebsstätte befindet, als auch vom dänischen Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft besteuert werden, im letzteren Fall jedoch nur unter Anrechnung der im Quellenstaat bereits entrichteten Steuer.

38.

Der Rechtfertigungsgrund der „Wahrung“ ihrer Aufteilung der Besteuerungsbefugnis gibt den Mitgliedstaaten damit das Recht, diese von ihnen selbst festgelegte Besteuerungsbefugnis wahrzunehmen und zu schützen. In diesem Sinne ist auch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zu verstehen, wonach dieser Rechtfertigungsgrund „insbesondere“ berechtigt, Verhaltensweisen zu verhindern, die das Recht eines Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten gefährden können ( 22 ). Die Berufung auf diesen Rechtfertigungsgrund kann auch nicht ausgeschlossen sein, soweit ein Mitgliedstaat Tätigkeiten besteuert, die nicht in seinem Hoheitsgebiet durchgeführt werden, wie etwa im vorliegenden Fall die Tätigkeit ausländischer Betriebsstätten. Andernfalls müsste der Gerichtshof den Mitgliedstaaten die Besteuerungsbefugnis für Tätigkeiten absprechen, die außerhalb ihres Hoheitsgebiets durchgeführt werden.

39.

Wie die Mitgliedstaaten nun untereinander ihre Besteuerungsbefugnis wahrnehmen und schützen können, dazu lassen sich der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesem Rechtfertigungsgrund zwei Fallgruppen entnehmen.

40.

Erstens dürfen die Mitgliedstaaten verhindern, dass ihnen ihre Besteuerungsbefugnis für Einkünfte entzogen wird, indem diese in einen anderen Mitgliedstaat verschoben werden ( 23 ). Dies schließt mit ein, dass fiktive oder betrügerische Gestaltungen zur Verlagerung des Steueraufkommens zwischen den Mitgliedstaaten bekämpft werden dürfen ( 24 ).

41.

Zweitens und spiegelbildlich müssen die Mitgliedstaaten auch keine Verluste einer Tätigkeit berücksichtigen, die nicht sie, sondern die ein anderer Mitgliedstaat besteuert. Denn der Rechtfertigungsgrund beinhaltet die Wahrung der Symmetrie zwischen dem Recht zur Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit, Verluste in Abzug zu bringen ( 25 ). Der Binnenmarkt gibt den Steuerpflichtigen daher nicht die Wahl, in welchem Mitgliedstaat ihre Verluste berücksichtigt werden ( 26 ).

42.

Anhand dieser bislang anerkannten Fallgruppen wird deutlich, dass der so genannte Rechtfertigungsgrund der „Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“ nur eine Ausprägung anderer anerkannter Rechtfertigungsgründe ist, und zwar speziell im Hinblick auf die Abgrenzung der Steuerhoheiten der Mitgliedstaaten.

43.

Denn zum einen ist der Gedanke, dass die Berücksichtigung von Gewinnen und Verlusten einer Tätigkeit nicht getrennt werden darf, nur Ausdruck des Rechtfertigungsgrundes der Wahrung der Kohärenz einer Steuerregelung. Danach kann die Beschränkung einer Grundfreiheit berechtigt sein, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung festgestellt werden ( 27 ). Der Gerichtshof hat im Rahmen der Prüfung dieses Rechtfertigungsgrundes bereits festgestellt, dass in diesem Sinne ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Berücksichtigung von Gewinn und Verlust einer Tätigkeit in einem Mitgliedstaat besteht ( 28 ). Insofern ist es berechtigt, wenn der Gerichtshof davon spricht, dass sich die Anliegen der steuerlichen Kohärenz und der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten decken ( 29 ).

44.

Zum anderen ist die Verhinderung der Verschiebung von Einkünften von einem in den anderen Mitgliedstaat durch fiktive oder betrügerische Gestaltungen nur ein Spezialfall des anerkannten Rechtfertigungsgrundes der Verhinderung von Steuerumgehungen. Nach ständiger Rechtsprechung kann nämlich eine nationale Regelung, welche die Niederlassungsfreiheit beschränkt, gerechtfertigt sein, wenn sie sich speziell auf rein künstliche Konstruktionen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen ( 30 ). Im Rahmen der „Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“ geht es nun nicht darum, zu verhindern, dass ein Steuerpflichtiger der Besteuerung gänzlich entgeht, sondern darum, dass er durch künstliche Konstruktionen das Steueraufkommen in einen anderen Mitgliedstaat verlagert. Der Gerichtshof sieht diesen Zusammenhang selbst, wenn er mitunter eine „Gesamtbetrachtung“ beider Rechtfertigungsgründe vornimmt ( 31 ).

45.

Erkennt man nun den so genannten Rechtfertigungsgrund der „Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“ nur als eine besondere Ausprägung anderer anerkannter Rechtfertigungsgründe, so erklärt sich auch, warum der Gerichtshof die Wahrung dieser Aufteilung zuweilen als eigenständige Rechtfertigung gelten lässt ( 32 ), zuweilen nur in Verbindung mit anderen Rechtfertigungsgründen anzuerkennen scheint ( 33 ).

46.

Es dient jedoch der Klarheit der Rechtsprechung, wenn bei der Prüfung der Rechtfertigung einer Beschränkung der Grundfreiheiten der eigentliche Grund nicht hinter dem Etikett der „Aufteilung der Besteuerungsbefugnis“ verborgen bleibt, sondern in den Vordergrund tritt. Daher werde ich im Folgenden allein diejenigen Rechtfertigungsgründe prüfen, deren spezielle Ausprägungen bislang unter dem Begriff der „Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“ zusammengefasst wurden, nämlich im vorliegenden Fall die Wahrung der Kohärenz einer Steuerregelung (dazu unter 2) und die Verhinderung von Steuerumgehungen (dazu unter 3).

2. Steuerliche Kohärenz

47.

Nach ständiger Rechtsprechung kann die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu wahren, die Beschränkung einer Grundfreiheit rechtfertigen. Hierzu muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung festgestellt werden ( 34 ). In einer solchen Konstellation kann dem Inhaber der Grundfreiheit der steuerliche Vorteil verwehrt werden, wenn er nicht auch der damit unmittelbar zusammenhängenden steuerlichen Belastung unterliegt. Die Unmittelbarkeit des Zusammenhangs muss dabei im Hinblick auf das mit der Steuerregelung verfolgte Ziel beurteilt werden ( 35 ).

48.

Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass in diesem Sinne ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Berücksichtigung von Gewinn und Verlust einer Tätigkeit in einem Mitgliedstaat besteht ( 36 ).

49.

Wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, ist im vorliegenden Fall jedoch grundsätzlich die Symmetrie der Gewinn- und Verlustberücksichtigung für eine besteuerte Tätigkeit gewahrt, ohne dass es einer Nachbesteuerung von Verlusten bedürfte. Denn das Königreich Dänemark hatte sich für den im Ausgangsverfahren relevanten Zeitraum zur Besteuerung der ausländischen Betriebsstätten entschlossen und musste deshalb sowohl Gewinne als auch Verluste dieser Tätigkeit berücksichtigen.

50.

Zu dieser Symmetrie gehört auch, worauf Nordea Bank Danmark zutreffend hingewiesen hat, dass bei der Veräußerung einer ausländischen Betriebsstätte ein etwaiger Veräußerungsgewinn in Dänemark zu versteuern ist. Unter wie vorliegend verbundenen Gesellschaften, die mitunter keinen oder keinen angemessenen Veräußerungspreis vereinbaren, kann dieser Veräußerungsgewinn – wie es auch das dänische Steuerrecht vorsieht – nach dem so genannten Fremdvergleich mit einem objektiven Verkehrswert angesetzt werden. Insoweit entspricht die Besteuerung exakt der Berechtigung eines Mitgliedstaats, den unter seine Steuerhoheit fallenden Wertzuwachs des Vermögens einer Gesellschaft zu besteuern ( 37 ).

51.

Dabei ist es unerheblich, dass – wie beispielsweise das Königreich der Niederlande einwendet – ohne die dänische Regelung der Nachbesteuerung den Steuerpflichtigen Verlustabzug gewährt werden müsste, ohne die entsprechenden folgenden Gewinne besteuern zu können. Dass etwaige künftige Gewinne nicht mehr besteuert werden können, ist im Rahmen der Besteuerung einer Tätigkeit eine normale Möglichkeit, etwa wenn die Tätigkeit wirtschaftlich scheitert oder wenn durch Sitzverlegung die Besteuerungsbefugnis eines Mitgliedstaats endet.

52.

Gegen die Symmetrie hat jedoch insbesondere die Republik Österreich vorgebracht, dass die Besteuerung der Gewinne im vorliegenden Fall eher formaler Natur sei. Da das Königreich Dänemark die Anrechnungsmethode auf die Besteuerung der ausländischen Betriebsstätten anwendete, müsse die im Quellenstaat bereits entrichtete Steuer angerechnet werden. Wenn in Dänemark ein gleicher oder niedrigerer Steuersatz als im Quellenstaat existiert, würden im Ergebnis die Gewinne der ausländischen Betriebsstätte gar nicht in Dänemark besteuert. Selbst wenn aber der Steuersatz im Quellenstaat niedriger sei, stünde Dänemark in jedem Fall nicht das volle Besteuerungsrecht zu.

53.

Dieser Einwand ist insoweit berechtigt, als die Besteuerung einer ausländischen Betriebsstätte im Rahmen der Anrechnungsmethode zu anderen steuerlichen Ergebnissen führt als die normale Besteuerung inländischer Tätigkeit. Das Steueraufkommen, das Dänemark aus der Besteuerung der ausländischen Betriebsstätte erhält, wird im Vergleich in aller Regel niedriger sein. Es ist auch ein gewisses Ungleichgewicht erkennbar zwischen der vollen Berücksichtigung entstehender Verluste und der im Endergebnis maximal teilweisen Besteuerung ihrer Gewinne.

54.

Gleichwohl ist die Besteuerung einer ausländischen Betriebsstätte im Rahmen der Anrechnungsmethode nicht gleichzusetzen mit ihrer Nichtbesteuerung nach der Freistellungsmethode. Mit letzterer Konstellation hatte sich der Gerichtshof im Urteil Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt befasst und es dem Mitgliedstaat im Ergebnis gestattet, eine Verlustberücksichtigung, die trotz fehlender Besteuerungsbefugnis aufgrund der Freistellung der Einkünfte einer ausländischen Betriebsstätte erfolgte, nachträglich zu korrigieren ( 38 ). Entgegen der Auffassung der Bundesrepublik Deutschland lässt sich dieses Urteil jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, da das Königreich Dänemark seine Besteuerungsbefugnis im Hinblick auf die ausländischen Betriebsstätten ja gerade ausüben wollte und zumindest die Möglichkeit bestand, dass deren Gewinne teilweise auch besteuert werden.

55.

Ob nun im Rahmen der steuerlichen Kohärenz die durch die Anrechnungsmethode eingeschränkte Besteuerungsbefugnis eines Mitgliedstaates diesen berechtigt, entstehende Verluste auch nur eingeschränkt zu berücksichtigen, muss im vorliegenden Fall jedoch nicht entschieden werden. Denn das erklärte und erkennbare Ziel der dänischen Regelung zur Nachbesteuerung ist es nicht, für Tätigkeiten, die im Rahmen der Anrechnungsmethode besteuert werden, ein angemessenes Verhältnis zwischen Gewinn- und Verlustberücksichtigung herzustellen. Die Regelung soll vielmehr nur – wie auch das Königreich Dänemark selbst vorgetragen hat – in einem Sonderfall den Missbrauch der vollen Verlustberücksichtigung im Rahmen der Anrechnungsmethode verhindern. Regelmäßig aber sollen die Steuerpflichtigen nach dänischem Steuerrecht eben diesen Vorteil der vollen Verlustberücksichtigung genießen, selbst wenn mangels künftiger Gewinne eine Kompensation dieser Verlustberücksichtigung nicht mehr erfolgen sollte.

56.

Angesichts dieser Ausgestaltung der dänischen Regelung wäre ein Berufen auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Kohärenz der Steuerregelung auch angesichts der ständigen Rechtsprechung ausgeschlossen, wonach eine nationale Regelung nur dann als geeignet angesehen werden kann, die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel in kohärenter und systematischer Weise, also folgerichtig, zu erreichen ( 39 ).

57.

Die vorliegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann daher nicht durch die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu wahren, gerechtfertigt werden.

3. Verhinderung der Steuerumgehung

58.

Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch zur Verhinderung von Steuerumgehung eine nationale Regelung, welche die Niederlassungsfreiheit beschränkt, gerechtfertigt sein, wenn sie sich speziell auf rein künstliche Konstruktionen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen ( 40 ). Geht es speziell darum, die Verlagerung von Gewinnen in einen anderen Mitgliedstaat zu verhindern, so scheint der Gerichtshof sogar weniger strenge Anforderungen zu stellen. Denn zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten könne auch eine Regelung gerechtfertigt sein, die nicht speziell bezweckt, rein künstliche Gestaltungen zu verhindern ( 41 ).

59.

Die vorliegende Regelung dient ausweislich der Gesetzesbegründung dem Ziel, einen Konzern daran zu hindern, Verluste einer ausländischen Betriebsstätte zunächst in Dänemark steuermindernd geltend zu machen, spätere Gewinne jedoch allein in einem anderen Staat besteuern zu lassen. Es ist nachvollziehbar, dass insoweit eine Umgehungsmöglichkeit bestehen kann, insbesondere bei einem klassischen Verlauf einer Investition, bei der aufgrund von Anfangsinvestitionen eine Verlustphase von einer Gewinnphase abgelöst wird. Deshalb kann die Verlagerung der Tätigkeit einer ausländischen Betriebsstätte innerhalb des Konzerns, selbst wenn deren Verluste von der übernehmenden Gesellschaft nicht mehr geltend gemacht werden können, vorteilhaft sein, falls der ausländische Steuersatz niedriger ist als der dänische.

60.

Allerdings darf eine nationale Regelung zur Verhinderung der Steuerumgehung auch nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Deshalb muss zum einen dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werden, Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe beizubringen ( 42 ). Zum anderen muss sich die steuerliche Berichtigung auf den Teil beschränken, der über das hinausgeht, was ohne die gegenseitige Verflechtung der Gesellschaften entstanden wäre ( 43 ).

61.

Zwar kann in einem Massenverfahren wie der Besteuerung nicht gefordert werden, dass jeder einzelne Fall zwingend einer individuellen Prüfung unterworfen werden muss, vielmehr müssen auch Sachverhalte allgemein regelbar sein, die typischerweise eine bestimmte Folge haben oder einer bestimmten Motivation entspringen.

62.

Im vorliegenden Fall allerdings sind die Grenzen einer noch zulässigen Typisierung einer Steuerumgehung in jedem Fall überschritten. Erstens besteht keinerlei Möglichkeit für einen Steuerpflichtigen, den Gegenbeweis zu einer Umgehung zu führen, obwohl offensichtlich ist, dass bei der Übertragung einer Betriebsstätte innerhalb eines Konzerns insbesondere zum Abbau doppelter Kapazitäten vernünftige wirtschaftliche Gründe für eine Veräußerung bestehen können, wie auch der vorliegende Fall demonstriert. Wie zweitens ebenfalls der vorliegende Fall zeigt, ist es entsprechend der Auffassung der EFTA-Überwachungsbehörde nicht verhältnismäßig, auch bei jeglicher nur teilweiser Veräußerung einer Betriebsstätte eine vollständige Nachbesteuerung zuvor geltend gemachter Verluste anzuordnen. Denn dadurch werden auch Fälle getroffen, in denen die Betriebsstätte im Wesentlichen nur abgewickelt wird.

63.

Drittens schließlich steht die Nachbesteuerung sämtlicher geltend gemachter Verluste in keinem Verhältnis zu der entgehenden Besteuerung künftiger Gewinne, auf deren Kompensation die dänische Regelung gerichtet ist. Berechtigterweise kann das Königreich Dänemark nur auf solche Gewinne Zugriff nehmen, deren Entstehung zum Zeitpunkt der Veräußerung bereits angelegt ist. Denn nachfolgend erhöhte Gewinnchancen wären der Besteuerungsbefugnis des dann zuständigen Mitgliedstaats zuzurechnen. Die zum Zeitpunkt der Veräußerung bereits angelegten Gewinne finden jedoch, worauf die Kommission zutreffend hingewiesen hat, ihren Ausdruck in der Bestimmung eines Veräußerungspreises nach dem Fremdvergleichsgrundsatz ( 44 ).

64.

Wenn demgegenüber das Königreich Dänemark diesen Wert nicht für angemessen hält, weil seiner Auffassung nach die Übertragung innerhalb eines Konzerns einen größeren Nutzen haben kann als diejenige an einen Dritten, so ist darauf hinzuweisen, dass dieser etwaige größere Nutzen ohnehin nicht zur Entfaltung käme, wenn die Betriebsstätte unter der Steuerhoheit Dänemarks weiterbetrieben würde. Der Verbleib der Betriebsstätte unter der Steuerhoheit Dänemarks ist aber letztlich gerade das Ziel, das mit der vorliegenden Regelung verfolgt wird.

65.

Somit kann auch das Ziel der Verhinderung der Steuerumgehung die vorliegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht rechtfertigen, da die dänische Regelung über das zur Erreichung dieses Ziels Erforderliche hinausgeht.

4. Ergebnis der Rechtfertigung

66.

Die vorliegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit wird damit nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Deshalb muss auch nicht auf den Vortrag von Nordea Bank Danmark eingegangen werden, wonach eine Rechtfertigung gemäß dem Urteil Marks & Spencer jedenfalls dadurch ausgeschlossen sei, dass einem Steuerpflichtigen die Berücksichtigung von Verlusten nicht verweigert werden könne, wenn – wie im vorliegenden Fall aufgrund der Schließung der Bankfilialen – alle Möglichkeiten der Verlustberücksichtigung im Quellenstaat ausgeschlossen seien.

V – Ergebnis

67.

Auf die Vorlagefrage ist somit wie folgt zu antworten:

Art. 43 in Verbindung mit Art. 48 EG und Art. 31 in Verbindung mit Art. 34 des EWR-Abkommens hindern einen Mitgliedstaat, der einer gebietsansässigen Gesellschaft im Rahmen der Anrechnungsmethode den laufenden Abzug von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gestattet, an einer vollständigen Nachbesteuerung der Verluste der Betriebsstätte (in dem Umfang, in dem ihnen keine Gewinne in späteren Jahren entsprechen), wenn die Nachbesteuerung für jeden Fall vorgesehen ist, in dem ein Teil ihres Geschäfts an eine verbundene Gesellschaft übertragen wird, die im gleichen Staat wie die Betriebsstätte ansässig ist.


( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

( 2 ) Urteil Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763).

( 3 ) Vgl. Urteil A (C‑48/11, EU:C:2012:485, Rn. 21) zu Art. 49 AEUV.

( 4 ) Vgl. nur Urteil Impacto Azul (C‑186/12, EU:C:2013:412, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 5 ) Siehe nur Urteile Daily Mail and General Trust (81/87, EU:C:1988:456, Rn. 16), AMID (C‑141/99, EU:C:2000:696, Rn. 21) und Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 20).

( 6 ) Vgl. nur Urteile AMID (C‑141/99, EU:C:2000:696, Rn. 27), Papillon (C‑418/07, EU:C:2008:659, Rn. 16 bis 23) und Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 20 bis 34).

( 7 ) Urteile X Holding (C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 20), Kommission/Belgien (C‑250/08, EU:C:2011:793, Rn. 51), Philips Electronics (C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 17) und A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 33); vgl. zum freien Kapitalverkehr Urteil K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 8 ) Urteile X Holding (C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 22), Philips Electronics (C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 17) und A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 33).

( 9 ) Siehe zuletzt nur meine Schlussanträge Philips Electronics (C‑18/11, EU:C:2012:222, Nrn. 31 ff.) und Hervis Sport- és Divatkereskedelmi (C‑385/12, EU:C:2013:531, Nrn. 56 ff.).

( 10 ) Vgl. bereits meine Schlussanträge A (C‑123/11, EU:C:2012:488, Nrn. 40 f.) und SCA Group Holding u. a. (C-39/13 bis C-41/13, EU:C:2014:104, Nr. 32).

( 11 ) Vgl. beispielsweise Urteil Royal Bank of Scotland (C‑311/97, EU:C:1999:216, Rn. 32).

( 12 ) Vgl. Urteil K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 37 ff. und 49 ff.).

( 13 ) Urteil X Holding (C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 24).

( 14 ) Urteil K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 37 ff.).

( 15 ) Vgl. Urteile Lidl Belgium (C‑414/06, EU:C:2008:278, Rn. 18 bis 26), Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt (C‑157/07, EU:C:2008:588, Rn. 27 bis 39) und Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 18 bis 34).

( 16 ) Urteil National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 38).

( 17 ) Vgl. nur Urteile National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 45), Kommission/Spanien (C‑269/09, EU:C:2012:439, Rn. 76), DI VI Finanziaria SAPA di Diego della Valle & C. (C‑380/11, EU:C:2012:552, Rn. 43), Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 50), Imfeld und Garcet (C‑303/12, EU:C:2013:822, Rn. 68) und DMC (C‑164/12, EU:C:2014:20, Rn. 46).

( 18 ) Siehe nur Urteile Aberdeen Property Fininvest Alpha (C‑303/07, EU:C:2009:377, Rn. 25), National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 45), Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 50) und DMC (C‑164/12, EU:C:2014:20, Rn. 47).

( 19 ) Urteil Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763, Rn. 46).

( 20 ) Vgl. u. a. Urteile Amurta (C‑379/05, EU:C:2007:655, Rn. 58) und Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 53).

( 21 ) Vgl. auch Urteil Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (C‑157/10, EU:C:2011:813, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung), wonach „die Nachteile, die sich aus der parallelen Ausübung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten ergeben können, keine Beschränkungen der Verkehrsfreiheiten darstellen“.

( 22 ) Urteile Kommission/Deutschland (C‑284/09, EU:C:2011:670, Rn. 77), FIM Santander Top 25 Euro Fi (C‑338/11 bis C‑347/11, EU:C:2012:286, Rn. 47), SIAT (C‑318/10, EU:C:2012:415, Rn. 45), Beker und Beker (C‑168/11, EU:C:2013:117, Rn. 57), Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 53) sowie Imfeld und Garcet (C‑303/12, EU:C:2013:822, Rn. 75).

( 23 ) Vgl. Urteile Oy AA (C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 56), Glaxo Wellcome (C‑182/08, EU:C:2009:559, Rn. 87) und Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 55).

( 24 ) Vgl. Urteile SGI (C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 60 bis 63) und SIAT (C‑318/10, EU:C:2012:415, Rn. 45 bis 47).

( 25 ) Urteil Philips Electronics (C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 24).

( 26 ) Vgl. Urteile Oy AA (C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 55), X Holding (C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 29) und A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 43).

( 27 ) Siehe nur Urteile Papillon (C‑418/07, EU:C:2008:659, Rn. 44), DI VI Finanziaria SAPA di Diego della Valle & C. (C‑380/11, EU:C:2012:552, Rn. 46) und Welte (C‑181/12, EU:C:2013:662, Rn. 59).

( 28 ) Urteil K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 69).

( 29 ) Urteil National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 80).

( 30 ) Siehe nur Urteile Aberdeen Property Fininvest Alpha (C‑303/07, EU:C:2009:377, Rn. 63) und SGI (C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 65).

( 31 ) Urteil SGI (C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 66 und 69).

( 32 ) Vgl. Urteil National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 48).

( 33 ) Vgl. Urteile Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 51), Lidl Belgium (C‑356/04, EU:C:2006:585, Rn. 38 ff.) und A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 46).

( 34 ) Siehe nur Urteile Manninen (C‑319/02, EU:C:2004:484, Rn. 42), Papillon (C‑418/07, EU:C:2008:659, Rn. 43 f.), DI VI Finanziaria SAPA di Diego della Valle & C. (C‑380/11, EU:C:2012:552, Rn. 46) und Welte (C‑181/12, EU:C:2013:662, Rn. 59).

( 35 ) Siehe nur Urteile Papillon (C‑418/07, EU:C:2008:659, Rn. 44) und Argenta Spaarbank (C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 42).

( 36 ) Urteil K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 69).

( 37 ) Vgl. Urteile National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 46) und DMC (C‑164/12, EU:C:2014:20, Rn. 48 f.).

( 38 ) Urteil Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt (C‑157/07, EU:C:2008:588).

( 39 ) Siehe nur Urteil Sokoll-Seebacher (C‑367/12, EU:C:2014:68, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 40 ) Siehe nur Urteile Aberdeen Property Fininvest Alpha (C‑303/07, EU:C:2009:377, Rn. 63) und SGI (C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 65).

( 41 ) Urteil SGI (C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 66).

( 42 ) Vgl. Urteil SGI (C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 71).

( 43 ) Vgl. Urteil SGI (C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 72).

( 44 ) Vgl. oben, Nr. 50.

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