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Dokument 62012CJ0386

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 3. Oktober 2013.
Verfahren auf Betreiben von Siegfried János Schneider.
Vorabentscheidungsersuchen des Sofiyski gradski sad.
Gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Geltungsbereich – Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen – Ausschließliche Zuständigkeit für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben – Reichweite – Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Bezug auf das Recht einer unter Betreuung gestellten Person, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, über ihre in einem anderen Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sachen zu verfügen.
Rechtssache C‑386/12.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2013:633

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

3. Oktober 2013 ( *1 )

„Gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen — Verordnung (EG) Nr. 44/2001 — Geltungsbereich — Rechts‑ und Handlungsfähigkeit sowie gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen — Ausschließliche Zuständigkeit für dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen — Reichweite — Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Bezug auf das Recht einer unter Betreuung gestellten Person, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, über ihre in einem anderen Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sachen zu verfügen“

In der Rechtssache C‑386/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski gradski sad (Bulgarien) mit Entscheidung vom 29. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 13. August 2012, in dem Verfahren

Siegfried János Schneider

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter E. Jarašiūnas und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie des Richters C. G. Fernlund,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,

der ungarischen Regierung, vertreten durch K. Szíjjártó und Á. Szilágyi als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch als Bevollmächtigten,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch A. Robinson als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Savov und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 22 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit, das auf Antrag von Herrn Schneider, einem ungarischen Staatsangehörigen, für den ein Betreuer bestellt worden ist, wegen der Erteilung der Genehmigung zum Verkauf des ihm gehörenden Anteils an einer in der Republik Bulgarien belegenen unbeweglichen Sache eingeleitet wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 44/2001

3

Der 7. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:

„Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil‑ und Handelsrechts erstrecken.“

4

Im 19. Erwägungsgrund derselben Verordnung heißt es:

„Um die Kontinuität zwischen dem [Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32, im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen)] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung der Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Ebenso sollte das Protokoll von 1971 [betreffend die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof, in seiner revidierten und geänderten Fassung] auf Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits anhängig sind, anwendbar bleiben.“

5

Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor:

„(1)   Diese Verordnung ist in Zivil‑ und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer‑ und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.

(2)   Sie ist nicht anzuwenden auf:

a)

den Personenstand, die Rechts‑ und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen, die ehelichen Güterstände, das Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts“.

6

Art. 22 in Kapitel II Abschnitt 6 („Ausschließliche Zuständigkeiten“) der Verordnung bestimmt:

„Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig:

1.

für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist.

…“

Bulgarisches Recht

7

Gemäß Art. 168 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 165 Abs. 4 und Art. 130 Abs. 3 des Familiengesetzes (Semeen kodeks) sind Verfügungen über Immobilien, die im Eigentum von für partiell geschäftsunfähig erklärten Personen stehen, mit Genehmigung des Rayonen sad (Bezirksgericht) zulässig, in dessen Bezirk diese Personen ihren gegenwärtigen Wohnsitz haben, wenn die Verfügung nicht dem Interesse der Betreffenden widerspricht.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

8

Ein Gericht Ungarns stellte Herrn Schneider nach ungarischem Recht unter Betreuung und bestellte hierzu einen gesetzlichen Vertreter und professionellen Betreuer, bei dem es sich ebenfalls um einen ungarischen Staatsangehörigen handelt.

9

Herr Schneider erbte nach dem Tod seiner Mutter am 17. Juni 2009 eine Hälfte einer in der Stadt Lovech (Bulgarien) belegenen Wohnung, deren andere Hälfte seinem Bruder gehört.

10

Herr Schneider, der mit Zustimmung seines Betreuers handelte, beantragte beim Sofiyski rayonen sad (Bezirksgericht Sofia) die Erteilung der Genehmigung zum Verkauf des ihm gehörenden Anteils an dieser Immobilie. Zur Begründung seines Antrags führte er die Vorteile an, die mit diesem Verkauf verbunden seien, der es ihm ermögliche, seinen besonderen Bedarf in Ungarn zu decken, insbesondere Ausgaben für ständige ärztliche Behandlungen und die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung.

11

Mit Entscheidung vom 29. Februar 2012 wies der Sofiyski rayonen sad diesen Antrag mit der Begründung zurück, dass die Verfügung über die fragliche Sache nicht im Interesse der für partiell geschäftsunfähig erklärten Person sei. Dieses Gericht hat somit entschieden, dass es den Interessen von Herrn Schneider, dem unter Betreuung gestellten geschützten Volljährigen, zuwiderlaufe, wenn seine Immobilie verkauft und das hierfür erhaltene Geld in einen Fonds eingezahlt würde, während er selbst zur gleichen Zeit in Ungarn obdachlos bleibe.

12

Gegen diese Entscheidung legte Herr Schneider Beschwerde beim Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia) ein.

13

Da es der Auffassung war, dass nicht klar aus Art. 22 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 hervorgehe, ob diese Vorschrift auf Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit wie das bei ihm anhängige anwendbar sei, hat das Sofiyski gradski sad beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 22 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 nur auf streitige Verfahren anwendbar, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, oder ist diese Vorschrift auch auf Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden, in denen Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die von einem Gericht dieses Staates nach dessen nationalem Recht für partiell geschäftsunfähig erklärt worden sind und für die ein Betreuer (ebenfalls Staatsangehöriger dieses Staates) bestellt worden ist, begehren, über ihnen gehörendes und in einem anderen Mitgliedstaat belegenes unbewegliches Vermögen zu verfügen?

Zur Vorlagefrage

14

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 22 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er auf ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden ist, das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der gemäß dem Recht dieses Staates als Folge dessen, dass er unter Betreuung gestellt wurde, für partiell geschäftsunfähig erklärt wurde, vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats eingeleitet hat, um die Genehmigung zu erhalten, den ihm gehörenden Anteil an einer in diesem anderen Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sache zu verkaufen.

15

Alle Mitgliedstaaten, die beim Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sowie die Europäische Kommission sind der Auffassung, dass diese Frage zu verneinen sei. Außerdem meinen sie, dass ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die Rechts‑ und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 betreffe.

16

Folglich erfordert die Prüfung der Vorlagefrage auch die Auslegung dieser Vorschrift der Verordnung Nr. 44/2001.

17

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 44/2001 nach ihrem Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt, „in Zivil‑ und Handelssachen“ anzuwenden ist, der „Personenstand [und] die Rechts‑ und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen“ aber vom materiellen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind.

18

Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Begriff „Zivil‑ und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 als autonomer Begriff anzusehen, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik dieser Verordnung sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtsordnungen ergeben, berücksichtigt werden müssen. So ist der Anwendungsbereich dieser Verordnung im Wesentlichen unter Berücksichtigung der Natur der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen oder des Gegenstands des Rechtsstreits zu bestimmen (vgl. u. a. Urteile vom 18. Mai 2006, ČEZ, C-343/04, Slg. 2006, I-4557, Randnr. 22, und vom 28. April 2009, Apostolides, C-420/07, Slg. 2009, I-3571, Randnrn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

19

Um sicherzustellen, dass sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 für die Mitgliedstaaten und die betroffenen Personen so weit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben, ist auch der Ausdruck „Personenstand, … Rechts‑ und Handlungsfähigkeit sowie … gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung autonom auszulegen.

20

Sodann geht, was die Frage nach dem zuständigen Gericht auf dem Gebiet dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen betrifft, aus Art. 22 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 hervor, dass insoweit ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem die unbewegliche Sache belegen ist.

21

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Art. 16 Nr. 1 Buchst. a des Brüsseler Übereinkommens, die gemäß dem 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 auch für die Auslegung von Art. 22 Nr. 1 der Verordnung gilt, festgestellt hat, dass dieser Artikel dahin auszulegen ist, dass die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Belegenheitsstaats nicht alle Klagen umfasst, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, sondern nur solche, die in den Anwendungsbereich dieses Übereinkommens fallen und darauf gerichtet sind, zum einen den Umfang oder den Bestand einer unbeweglichen Sache, das Eigentum, den Besitz oder das Bestehen anderer dinglicher Rechte hieran zu bestimmen und zum anderen den Inhabern dieser Rechte den Schutz der mit ihrer Rechtsstellung verbundenen Vorrechte zu sichern (vgl. u. a. Urteile vom 10. Januar 1990, Reichert und Kockler, C-115/88, Slg. 1990, I-27, Randnr. 11, sowie ČEZ, Randnr. 30).

22

Wie alle Mitgliedstaaten, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, sowie die Europäische Kommission vorgetragen haben, fällt ein Antrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001.

23

Das auf Antrag von Herrn Schneider, der die ungarische Staatsangehörigkeit besitzt und unter Betreuung gestellt wurde, eingeleitete Verfahren zielt nämlich auf die Erteilung der Genehmigung zum Verkauf eines ihm gehörenden ideellen Anteils an einer im Gebiet der Republik Bulgarien belegenen unbeweglichen Sache ab.

24

Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, beantragt Herr Schneider diese Genehmigung, weil er als Person, für die ein Betreuer bestellt ist, partiell geschäftsunfähig ist. Er kann nämlich über seine Immobilien nur mittels einer anderen, in seinem Namen als Betreuer handelnden Person und mit vorheriger gerichtlicher Genehmigung verfügen.

25

Aus der Vorlageentscheidung geht auch hervor, dass es sich bei dieser gerichtlichen Genehmigung nach den Bestimmungen des bulgarischen Familiengesetzes um eine Maßnahme zum Schutz der unter Betreuung gestellten Person handelt, die vom Gesetz verlangt wird, weil diese Person nicht mehr in der Lage ist, die Verfügungen über ihre Immobilien selbst zu treffen. Wie nämlich das vorlegende Gericht dargelegt hat, wird eine solche Genehmigung nur erteilt, wenn die Veräußerung der betreffenden unbeweglichen Sache im Interesse der geschützten Person erfolgt.

26

Hieraus folgt, dass es sich bei dem Antrag einer unter Betreuung gestellten Person auf die Erteilung der Genehmigung zur Verfügung über eine ihr gehörende unbewegliche Sache, wie dem, der Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, um einen Antrag handelt, der in direktem Zusammenhang mit der Rechts‑ und Handlungsfähigkeit sowie der gesetzlichen Vertretung der betreffenden natürlichen Person im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 steht. Die Erforderlichkeit einer gerichtlichen Genehmigung für Verfügungshandlungen, die unbewegliche Sachen zum Gegenstand haben, die unter Betreuung stehenden Personen gehören, ist nämlich eine unmittelbare Folge der Geschäftsunfähigkeit dieser Personen aufgrund der Schutzmaßnahme, die für sie in Bezug auf die Ausübung dieser Handlungen gilt.

27

Diese Auslegung wird durch den Bericht von Herrn Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 1979, C 59, S. 1) bestätigt, dessen materieller Anwendungsbereich mit dem der Verordnung Nr. 44/2001 übereinstimmt. Aus S. 10 dieses Berichts geht nämlich hervor, dass die Anwendung dieses Übereinkommens beschränkt ist auf „Rechtsstreitigkeiten und Urteile …, die sich auf vertragliche oder außervertragliche Verbindlichkeiten beziehen, soweit sie nicht Fragen des Personenstandes, [der Rechts‑ und Handlungsfähigkeit sowie der gesetzlichen Vertretung von Personen,] des Erbrechts, des Testamentsrechts, der ehelichen Güterstände, des Konkursrechts oder der sozialen Sicherheit betreffen. In diesem Rahmen ist das Übereinkommen weit auszulegen.“

28

Was schließlich den Umstand angeht, dass im Ausgangsverfahren die von der unter Betreuung gestellten Person beantragte gerichtliche Verkaufsgenehmigung eine dieser Person gehörende unbewegliche Sache betrifft, ist festzustellen, dass dieser besondere Aspekt des Ausgangsverfahrens nicht als ausschlaggebend dafür angesehen werden kann, dieses als ein Verfahren zu qualifizieren, das „dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen“ im Sinne von Art. 22 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 zum Gegenstand hat. Wie nämlich die deutsche Regierung, die ungarische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission zu Recht geltend machen, zielt ein solches Verfahren weder darauf ab, den Umfang oder den Bestand der unbeweglichen Sache oder das Eigentum oder den Besitz hieran zu bestimmen, noch im Übrigen darauf, der unter Betreuung stehenden Person als Eigentümerin dieser Sache den Schutz der mit ihrem Eigentumsrecht verbundenen Vorrechte zu sichern.

29

Hierzu ist festzustellen, dass auf den S. 34 und 35 des angeführten Berichts von Herrn Jenard im Kommentar zu Art. 16 des Brüsseler Übereinkommens ausgeführt wird, dass die in Art. 16 Nr. 1 Buchst. a aufgestellte Zuständigkeitsvorschrift, die der des Art. 22 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 entspricht und „die von dem Streitgegenstand ausgeh[t]“, für „Verfahren [gilt], die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben“.

30

Alleiniger Gegenstand des Verfahrens in der Ausgangsrechtssache ist indessen die Bestimmung, ob es im Interesse der für partiell geschäftsunfähig erklärten Person liegt, ihre unbewegliche Sache zu veräußern, ohne dass das dingliche Recht, das sie an dieser Sache innehat, als solches berührt würde.

31

Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 44/2001 – und insbesondere ihr Art. 22 Nr. 1 – dahin auszulegen ist, dass sie nicht auf ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden ist, das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der gemäß dem Recht dieses Staates als Folge dessen, dass er unter Betreuung gestellt wurde, für partiell geschäftsunfähig erklärt wurde, vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats eingeleitet hat, um die Genehmigung zu erhalten, den ihm gehörenden Anteil an einer in diesem anderen Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sache zu verkaufen, da ein solches Verfahren die „Rechts‑ und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 betrifft, die vom materiellen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen ist.

Kosten

32

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen – und insbesondere ihr Art. 22 Nr. 1 – ist dahin auszulegen, dass sie nicht auf ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden ist, das ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der gemäß dem Recht dieses Staates als Folge dessen, dass er unter Betreuung gestellt wurde, für partiell geschäftsunfähig erklärt wurde, vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats eingeleitet hat, um die Genehmigung zu erhalten, den ihm gehörenden Anteil an einer in diesem anderen Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sache zu verkaufen, da ein solches Verfahren die „Rechts‑ und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 betrifft, die vom materiellen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Bulgarisch.

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