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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62010CJ0385

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 18. Oktober 2012.
Elenca Srl gegen Ministero dellʼInterno.
Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato.
Freier Warenverkehr – Mengenmäßige Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung – Innenverkleidungen von Kaminen und Rauchabzügen – Fehlende CE-Kennzeichnung – Ausschluss der Vermarktung.
Rechtssache C-385/10.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2012:634

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

18. Oktober 2012 ( *1 )

„Freier Warenverkehr — Mengenmäßige Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung — Innenverkleidungen von Kaminen und Rauchabzügen — Fehlende CE-Kennzeichnung — Ausschluss der Vermarktung“

In der Rechtssache C-385/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Italien) mit Entscheidung vom 27. April 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juli 2010, in dem Verfahren

Elenca Srl

gegen

Ministero dell’Interno

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters M. Ilešič in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter E. Levits (Berichterstatter) und J.-J. Kasel,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Impellizzeri,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Elenca Srl, vertreten durch E. Pasquinelli und G. Saltini, avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, avvocato dello Stato,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und T. Müller als Bevollmächtigte,

der ungarischen Regierung, vertreten durch K. Szíjjártó und Z. Tóth sowie G. Koós als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Zadra und G. Zavvos als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (ABl. 1989, L 40, S. 12) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/106) sowie die Auslegung der Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Warenverkehr.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Elenca Srl (im Folgenden: Elenca), die im Vertrieb von aufblasbaren Schläuchen für Kamine und Rauchabzüge tätig ist, und dem Ministero dell’Interno (Innenministerium) wegen einer nationalen Regelung über das Inverkehrbringen dieser Schläuche in Italien.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/106 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, damit die Produkte gemäß Artikel 1, die zur Verwendung in Bauwerken bestimmt sind, nur in Verkehr gebracht werden können, wenn sie brauchbar sind, d. h. solche Merkmale aufweisen, dass das Bauwerk, für das sie durch Einbau, Zusammenfügung, Anbringung oder Installierung verwendet werden sollen, bei ordnungsgemäßer Planung und Bauausführung die wesentlichen Anforderungen nach Artikel 3 erfüllen kann, wenn und wo für bestimmte Bauwerke Regelungen gelten, die entsprechende Anforderungen enthalten.“

4

Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten gehen von der Brauchbarkeit der Produkte aus, die so beschaffen sind, dass die Bauwerke, für die sie verwendet werden, bei ordnungsgemäßer Planung und Bauausführung den wesentlichen Anforderungen nach Artikel 3 entsprechen, wenn diese Produkte die CE-Kennzeichnung tragen, aus der hervorgeht, dass sie sämtlichen Bestimmungen dieser Richtlinie einschließlich der Verfahren für die Konformitätsbewertung gemäß Kapitel V und dem in Kapitel III festgelegten Verfahren entsprechen. Die CE-Kennzeichnung besagt,

a)

dass sie mit den entsprechenden nationalen Normen übereinstimmen, in die die harmonisierten Normen umgesetzt worden sind und deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden sind. Die Mitgliedstaaten veröffentlichen die Fundstellen dieser einzelstaatlichen Normen;

b)

dass sie mit einer europäischen technischen Zulassung übereinstimmen, die nach dem Verfahren des Kapitels III ausgestellt wurde;

oder

c)

dass sie den nationalen technischen Spezifikationen gemäß Absatz 3 entsprechen, soweit keine harmonisierten Spezifikationen vorliegen; ein Verzeichnis dieser nationalen Spezifikationen ist nach dem Verfahren des Artikels 5 Absatz 2 zu erstellen.“

5

Art. 6 der Richtlinie 89/106 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Produkten, die dieser Richtlinie entsprechen, auf ihrem Gebiet nicht behindern.

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die zweckentsprechende Verwendung dieser Produkte nicht durch Vorschriften oder Bedingungen behindert wird, die von öffentlichen oder privaten Stellen festgelegt werden, die als öffentliches Unternehmen oder als öffentliche Einrichtung aufgrund einer Monopolstellung handeln.

(2)   Die Mitgliedstaaten dürfen jedoch auf ihrem Gebiet das Inverkehrbringen von nicht unter Artikel 4 Absatz 2 fallenden Produkten gestatten, wenn diese nationalen Vorschriften, die im Einklang mit dem Vertrag stehen, entsprechen, es sei denn, die europäischen technischen Spezifikationen gemäß Kapitel II und III bestimmen etwas anderes. Die Kommission und der in Artikel 19 vorgesehene Ausschuss werden die Entwicklung der europäischen technischen Spezifikationen regelmäßig beobachten und überprüfen.

…“

Die italienische Regelung

6

Art. 285 („Technische Merkmale“) Abs. 1 des Decreto legislativo Nr. 152/2006 vom 4. April 2006 lautet:

„Private Heizungsanlagen mit einer thermischen Nennleistung, die über dem Schwellenwert liegt, müssen je nach Art des verwendeten Brennstoffs die in Teil V Anhang IX Teil II dieses Dekrets genannten technischen Merkmale erfüllen.“

7

In Anhang IX („Private Heizungsanlagen“) des genannten Dekrets heißt es in Teil II („Technische und bauliche Voraussetzungen“):

„2.

Merkmale der Kamine:

2.7

Die Anlagen … sind mit Kaminen auszurüsten, die aus Produkten mit CE-Kennzeichnung hergestellt sein müssen. Insbesondere müssen diese Kamine

aus feuerfesten Materialien bestehen;

…“

8

In dem Rundschreiben Nr. 4853/2009 des Innenministeriums – Abteilung Feuerwehr, öffentlicher Rettungsdienst und Zivilschutz – Zentraldirektion für Prävention und Sicherheitstechnik (im Folgenden: angefochtenes Rundschreiben) heißt es:

„… Die Systeme zur Auskleidung von Rauchabzügen mit Kunststoff … unterliegen der Richtlinie 89/106/EWG. Es gibt derzeit noch keine spezifische harmonisierte Norm. Die einzige vom CEN aufgestellte Norm, die für Rauchabzüge aus Kunststoff gilt, … ist die EN 1447/2005, die ausdrücklich solche ausschließt, die eingesetzt werden, um die Eigenschaften der mit den Verbrennungsprodukten in Kontakt tretenden Oberfläche zu verändern. Die CE-Kennzeichnung dieser Systeme kann somit nur unter Bezugnahme auf eine europäische technische Zulassung erfolgen, die von einer Mitgliedseinrichtung der EOTA erteilt wurde.

Die Verwendung der in Rede stehenden Produkte ist für private Heizungsanlagen mit einer Nennleistung von mehr als 35 kW auszuschließen;

bei Heizungsanlagen mit weniger als 35 kW … ist die dieses Rundschreiben herausgebende Verwaltung auf jeden Fall der Ansicht, dass ausschließlich Produkte mit der CE-Kennzeichnung aufgrund einer europäischen technischen Zulassung entsprechend dem vom Hersteller vorgesehenen Gebrauch verwendet werden dürfen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9

Elenca importiert und vertreibt auf dem italienischen Markt in Ungarn hergestellte aufblasbare hitzebeständige Schläuche für Kamine und Rauchabzüge. Mit diesen Schläuchen können alte Kamine und alte Rauchabzüge ohne Maurerarbeiten restauriert werden. Diese Technologie wurde auf verschiedenen europäischen Märkten, vor allem auf dem italienischen Markt, eingeführt und ersetzt die früher verwendeten traditionellen Systeme, bei denen vorwiegend Außenkamine aus rostfreiem Stahl oder Keramik oder starre Rohre innerhalb des Gebäudes angebracht wurden.

10

Nach Ansicht von Elenca verstößt das auf das Decreto legislativo Nr. 152/2006 gestützte angefochtene Rundschreiben gegen die Art. 34 AEUV bis 37 AEUV, denn wenn die Möglichkeit der Vermarktung eines aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (im vorliegenden Fall Ungarn) stammenden Erzeugnisses von einer technischen Voraussetzung, d. h. der CE-Kennzeichnung, abhänge, die nicht erfüllt werden könne, weil es derzeit keine entsprechende harmonisierte Norm gebe, würden die Einfuhr und der Vertrieb des betreffenden Erzeugnisses tatsächlich verhindert.

11

Das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio erklärte die Klage von Elenca auf Nichtigerklärung des angefochtenen Rundschreibens für unzulässig, da dieses kein normativer Rechtsakt und nicht anfechtbar sei.

12

Elenca legte gegen dieses Urteil beim Consiglio di Stato Berufung ein. Dieser hat ihre Klage für zulässig erklärt, weil das angefochtene Rundschreiben die Rechtsstellung dieser Gesellschaft berühre. Er teilt auch deren Zweifel, ob die nationale Regelung in Anbetracht des Unionsrechts rechtmäßig ist.

13

Daher hat der Consiglio di Stato beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind das im ersten Rechtszug angefochtene Rundschreiben und die in diesem Rundschreiben angeführten innerstaatlichen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht und den vorstehend genannten Bestimmungen vereinbar? Verstoßen sie insbesondere gegen die Grundsätze und Regeln der Richtlinie 89/106 über Bauprodukte, in der nicht die CE-Kennzeichnung vorgeschrieben, sondern (in Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie) bestimmt wird, dass die Mitgliedstaaten „den freien Verkehr, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Produkten, die der Richtlinie [89/106] entsprechen, auf ihrem Gebiet nicht behindern [dürfen]“ und dafür Sorge tragen, dass „die zweckentsprechende Verwendung dieser Produkte nicht durch Vorschriften oder Bedingungen behindert wird, die von öffentlichen oder privaten Stellen festgelegt werden, die als öffentliches Unternehmen oder als öffentliche Einrichtung aufgrund einer Monopolstellung handeln“, dass sie jedoch „auf ihrem Gebiet das Inverkehrbringen von nicht unter Artikel 4 Absatz 2 [der Richtlinie 89/106] fallenden Produkten gestatten [dürfen], wenn diese nationalen Vorschriften, die im Einklang mit dem AEU-Vertrag stehen, entsprechen, es sei denn, die europäischen technischen Spezifikationen gemäß Kapitel II und III [dieser Richtlinie] bestimmen etwas anderes“?

2.

Verstoßen das angefochtene Rundschreiben und die darin angeführten innerstaatlichen Vorschriften insbesondere gegen die Art. 34 AEUV bis 37 AEUV, die Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung verbieten, soweit wie im vorliegenden Fall die Aufstellung einer technischen Voraussetzung, nämlich die der CE-Kennzeichnung – die nur möglich und gerechtfertigt wäre, wenn es eine entsprechende harmonisierte Norm gäbe –, für die Vermarktung eines aus einem anderen Mitgliedstaat der Union stammenden Produkts die Einfuhr und den Vertrieb dieses Produkts im Gebiet des italienischen Staates verhindert und gegen die Grundsätze der den freien Warenverkehr und Wettbewerb garantierenden Vorschriften des EG-Vertrags und des Gemeinschaftsrechts verstößt, die Regeln verlangen, die geeignet sind, eine nichtdiskriminierende Gleichbehandlung sowie Transparenz, Verhältnismäßigkeit und Wahrung der Rechte des einzelnen Unternehmens sicherzustellen?

3.

Hätten der nationale Gesetzgeber und die Verwaltung nicht aufgrund des sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Regelungsrahmens, der einen wirksamen Wettbewerb auch in dem Sektor gewährleisten soll, dem der vorliegende Rechtsstreit zuzuordnen ist, davon absehen müssen, die in dem oben genannten Rundschreiben und dem Decreto legislativo Nr. 152/2006 angeführten gesetzlichen Bestimmungen zu erlassen?

4.

Ist schließlich der europarechtlich garantierte Schutz des Wettbewerbspluralismus in dem Sektor durch eine nationale Regelung wie das Decreto legislativo Nr. 152/2006 (insbesondere im Hinblick auf Art. 285 und Teil II des Anhangs IX Nrn. 2.7 und 3.4) gewährleistet, die die oben angeführten Beschränkungen vorschreibt?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

14

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 89/106 dahin auszulegen ist, dass sie nationalen Vorschriften entgegensteht, die automatisch die Vermarktung von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Bauprodukten wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von der Anbringung der CE-Kennzeichnung abhängig machen.

15

Der Hauptzweck der Richtlinie 89/106 besteht bekanntlich darin, Handelshemmnisse zu beseitigen, indem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Bauprodukte innerhalb der Union frei vermarktet werden können. Zu diesem Zweck werden in dieser Richtlinie die wesentlichen Anforderungen genannt, denen die Bauprodukte genügen müssen, und die mit harmonisierten Normen und nationalen Umsetzungsnormen, mit europäischen technischen Zulassungen und mit auf Unionsebene anerkannten nationalen technischen Spezifikationen umgesetzt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2008, Kommission/Belgien, C-227/06, Randnr. 31).

16

Es steht fest, dass die fraglichen aufblasbaren Schläuche für Kamine und Rauchabzüge „Bauprodukte“ im Sinne der Richtlinie 89/106 sind.

17

Außerdem ist in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden, dass es für die genannten Bauprodukte weder eine harmonisierte Norm oder eine europäische technische Zulassung noch eine auf Unionsebene anerkannte nationale technische Spezifikation im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 gibt.

18

Für ein Bauprodukt, das nicht unter Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 fällt, bestimmt Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten in ihrem Gebiet das Inverkehrbringen dieses Produkts gestatten dürfen, wenn es nationalen Vorschriften, die im Einklang mit dem Vertrag stehen, entspricht, es sei denn, die europäischen technischen Spezifikationen bestimmen etwas anderes (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Belgien, Randnr. 33, und vom 1. März 2012, Ascafor und Asidac, C-484/10, Randnr. 40).

19

Daraus folgt, dass ein Mitgliedstaat nicht automatisch die Anbringung der CE-Kennzeichnung auf einem Bauprodukt, das nicht unter Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 fällt und aus einem anderen Mitgliedstaat stammt, verlangen kann, damit es in seinem Gebiet vermarktet werden kann. Er kann die Vermarktung lediglich solchen nationalen Vorschriften unterwerfen, die im Einklang mit den Verpflichtungen aus dem Vertrag, insbesondere dem in den Art. 34 AEUV und 36 AEUV aufgestellten Grundsatz des freien Warenverkehrs, stehen (vgl. Urteile Kommission/Belgien, Randnr. 34, sowie Ascafor und Asidac, Randnr. 50).

20

Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 89/106 dahin auszulegen ist, dass sie nationalen Vorschriften entgegensteht, die automatisch die Vermarktung von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Bauprodukten wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von der Anbringung der CE-Kennzeichnung abhängig machen.

Zur zweiten Frage

21

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 34 AEUV bis 37 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, die automatisch die Vermarktung von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Bauprodukten wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von der Anbringung der CE-Kennzeichnung abhängig machen.

Zum Vorliegen eines Verstoßes gegen den freien Warenverkehr

22

Nach ständiger Rechtsprechung ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den Handel innerhalb der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinne des Art. 34 AEUV anzusehen (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 1974, Dassonville, 8/74, Slg. 1974, 837, Randnr. 5, und vom 2. Dezember 2010, Ker-Optika, C-108/09, Slg. 2010, I-12213, Randnr. 47). So stellt es für den Importeur bereits dann eine Behinderung des freien Warenverkehrs dar, wenn er davon abgehalten wird, die fraglichen Produkte in dem betreffenden Mitgliedstaat in den Verkehr zu bringen oder zu vertreiben (Urteil vom 12. Juli 2012, Fra.bo, C-171/11, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23

Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung spiegelt Art. 34 AEUV die Verpflichtung wider, sowohl die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, einzuhalten als auch Erzeugnissen aus der Union freien Zugang zu den nationalen Märkten zu gewährleisten (vgl. Urteile vom 10. Februar 2009, Kommission/Italien, C-110/05, Slg. 2009, I-519, Randnr. 34, und Ker-Optika, Randnr. 48).

24

Im vorliegenden Fall gilt die in den einschlägigen nationalen Vorschriften vorgesehene Voraussetzung der CE-Kennzeichnung zwar unterschiedslos, verbietet jedoch, die fraglichen Bauprodukte, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, in Italien zu vermarkten.

25

Unter diesen Umständen ist die CE-Kennzeichnungspflicht als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art. 34 AEUV anzusehen und behindert somit den freien Warenverkehr.

Zur Rechtfertigung der Behinderung des freien Warenverkehrs

26

Eine Behinderung des freien Warenverkehrs kann durch die in Art. 36 AEUV aufgezählten Gründe des Allgemeininteresses oder durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sein. In beiden Fällen muss die innerstaatliche Maßnahme geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. Urteile Ker-Optika, Randnr. 57, sowie Ascafor und Asidac, Randnr. 58).

27

Die italienische Regierung macht im vorliegenden Fall geltend, dass die fragliche nationale Regelung durch das Ziel gerechtfertigt sei, die öffentliche Sicherheit, die Gesundheit und das Leben von Menschen zu schützen, denn sie gewährleiste, dass die Produkte der fraglichen Art die einschlägigen Sicherheitsanforderungen erfüllten.

28

Nach ständiger Rechtsprechung ist es in Ermangelung von Harmonisierungsvorschriften zwar Sache der Mitgliedstaaten, darüber zu befinden, welches Schutzniveau sie für Gesundheit und Leben der Menschen gewährleisten wollen und ob es erforderlich ist, die betreffenden Produkte bei ihrer Verwendung zu überwachen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Juni 1996, Brandsma, C-293/94, Slg. 1996, I-3159, Randnr. 11, und vom 10. November 2005, Kommission/Portugal, C-432/03, Slg. 2005, I-9665, Randnr. 44), doch ist eine Regelung, die die Vermarktung von in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig in den Verkehr gebrachten Produkten im Inland automatisch völlig verbietet, wenn diese Produkte keine CE-Kennzeichnung tragen, mit dem nach dem Unionsrecht geltenden Erfordernis der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar.

29

Dieses strikte Erfordernis der CE-Kennzeichnung, das von vornherein die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Produkten verhindert, für die der europäische Gesetzgeber keine vollständige Harmonisierung vorgenommen oder europäische technische Zulassungen erteilt hat, geht nämlich, wie insbesondere die ungarische Regierung und die Kommission geltend machen, durch das Verbot einer Kontrolle, ob die fraglichen Produkte die Sicherheitsanforderungen erfüllen, die in den im Ursprungsmitgliedstaat durchgeführten Zulassungs- und Zertifizierungsverfahren an sie gestellt worden sind, über das hinaus, was erforderlich ist, um das angestrebte Sicherheitsziel zu erreichen.

30

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Art. 34 AEUV bis 37 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, die automatisch die Vermarktung von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Bauprodukten wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von der Anbringung der CE-Kennzeichnung abhängig machen.

Zur dritten und zur vierten Frage

31

Zur dritten und zur vierten Frage ist vorab festzustellen, dass die Wettbewerbsvorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens offensichtlich nicht zur Anwendung kommen.

32

Demzufolge sind die dritte und die vierte Frage des vorlegenden Gerichts unzulässig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2010, Sbarigia, C-393/08, Slg. 2010, I-6337, Randnrn. 29 und 38).

Kosten

33

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sie nationalen Vorschriften entgegensteht, die automatisch die Vermarktung von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Bauprodukten wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von der Anbringung der CE-Kennzeichnung abhängig machen.

 

2.

Die Art. 34 AEUV bis 37 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, die automatisch die Vermarktung von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Bauprodukten wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von der Anbringung der CE-Kennzeichnung abhängig machen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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