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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62009CJ0336

    Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 26. Juni 2012.
    Republik Polen gegen Europäische Kommission.
    Rechtsmittel – Gemeinsame Marktorganisation – Aufgrund des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zu treffende Übergangsmaßnahmen – Verordnung (EG) Nr. 60/2004 mit Maßnahmen für den Zuckersektor – Nichtigkeitsklage – Frist – Beginn – Verspätung – Unzulässigkeit – Gründe – Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsgemeinschaft und gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes.
    Rechtssache C-336/09 P.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2012:386

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

    26. Juni 2012 ( *1 )

    „Rechtsmittel — Gemeinsame Marktorganisation — Aufgrund des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zu treffende Übergangsmaßnahmen — Verordnung (EG) Nr. 60/2004 mit Maßnahmen für den Zuckersektor — Nichtigkeitsklage — Frist — Beginn — Verspätung — Unzulässigkeit — Gründe — Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsgemeinschaft und gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes“

    In der Rechtssache C-336/09 P

    betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 24. August 2009,

    Republik Polen, zunächst vertreten durch M. Dowgielewicz, dann durch M. Szpunar als Bevollmächtigte,

    Rechtsmittelführerin,

    andere Verfahrensbeteiligte:

    Europäische Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe, A. Stobiecka-Kuik, A. Szmytkowska und T. van Rijn als Bevollmächtigte,

    Beklagte im ersten Rechtszug,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot und M. Safjan, der Richter G. Arestis, A. Borg Barthet und M. Ilešič, der Richterin C. Toader und des Richters J.-J. Kasel (Berichterstatter),

    Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Dezember 2011

    folgendes

    Urteil

    1

    Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Republik Polen die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 10. Juni 2009, Polen/Kommission (T-258/04, im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung von Art. 5, Art. 6 Abs. 1 bis 3, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 60/2004 der Kommission vom 14. Januar 2004 mit Übergangsmaßnahmen für den Zuckersektor infolge des Beitritts der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei (ABl. L 9, S. 8) abgewiesen hat.

    Rechtlicher Rahmen

    Beitrittsvertrag und Beitrittsakte von 2003

    2

    Art. 2 Abs. 3 des am 16. April 2003 in Athen unterzeichneten und von der Republik Polen am 23. Juli 2003 ratifizierten Vertrags zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, der Republik Finnland, dem Königreich Schweden, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (Mitgliedstaaten der Europäischen Union) und der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (ABl. 2003, L 236, S. 17, im Folgenden: Beitrittsvertrag) sieht vor:

    „Abweichend von Absatz 2 können die Organe der Union vor dem Beitritt die Maßnahmen erlassen, die in [Art. 41 der dem Beitrittsvertrag beigefügten Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2003, L 236, S. 33, im Folgenden: Beitrittsakte von 2003)] vorgesehen sind. Diese Maßnahmen treten nur vorbehaltlich des Inkrafttretens dieses Vertrags und zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens in Kraft.“

    3

    Art. 41 der Beitrittsakte von 2003 bestimmt:

    „Sind Übergangsmaßnahmen erforderlich, um den Übergang von der in den neuen Mitgliedstaaten bestehenden Regelung auf die Regelung zu erleichtern, die sich aus der Anwendung der Gemeinsamen Agrarpolitik gemäß den in dieser Akte genannten Bedingungen ergibt, so werden diese Maßnahmen von der Kommission entsprechend dem Verfahren nach Artikel 42 Absatz 2 der Verordnung (EG) des Rates Nr. 1260/2001 [vom 19. Juni 2001] über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker [ABl. L 178, S. 1] oder gegebenenfalls dem Verfahren nach den entsprechenden Artikeln anderer Verordnungen über gemeinsame Marktorganisationen oder entsprechend dem in den anwendbaren Rechtsvorschriften vorgesehenen einschlägigen Ausschussverfahren erlassen. Die in diesem Artikel genannten Übergangsmaßnahmen können während eines Zeitraums von drei Jahren nach dem Beitritt erlassen werden und ihre Anwendung ist auf diesen Zeitraum zu beschränken. Der Rat kann diesen Zeitraum auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig verlängern.

    …“

    4

    Kapitel 4 („Landwirtschaft“) des Anhangs IV mit der Liste nach Art. 22 der Beitrittsakte bestimmt in seinen Nrn. 1 und 2:

    „1.   Die von den neuen Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Marktstützungspolitik am Tag des Beitritts gehaltenen öffentlichen Bestände werden von der Gemeinschaft in Höhe des Wertes übernommen, der sich aus der Anwendung des Artikels 8 der Verordnung (EWG) Nr. 1883/78 des Rates [vom 2. August 1978] über die allgemeinen Regeln für die Finanzierung der Interventionen durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie [ABl. L 216, S. 1], ergibt. Diese Bestände werden nur unter der Bedingung übernommen, dass in den Gemeinschaftsvorschriften öffentliche Interventionsmaßnahmen für die betreffenden Erzeugnisse vorgesehen sind und dass die Bestände die gemeinschaftlichen Anforderungen für die Intervention erfüllen.

    2.   Alle zum Tag des Beitritts im Hoheitsgebiet der neuen Mitgliedstaaten im freien Verkehr befindlichen privaten und öffentlichen Bestände, die über die Menge der als normal anzusehenden Übertragbestände hinausgehen, müssen auf Kosten der neuen Mitgliedstaaten beseitigt werden.“

    5

    Kapitel 5 („Zollunion“) desselben Anhangs sieht vor:

    „…

    Die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 [des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1)] und die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 [der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1)] gelten in den neuen Mitgliedstaaten nach Maßgabe der folgenden besonderen Bestimmungen:

    1.

    Ungeachtet des Artikels 20 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates sind Waren, die am Tag des Beitritts in vorübergehender Verwahrung sind oder in der erweiterten Gemeinschaft unter [eine/]eines der unter Artikel 4 Nummer 15 Buchstabe b und Nummer 16 Buchstaben b bis g dieser [Verordnung] genannten zollrechtlichen Bestimmungen und Zollverfahren fallen oder nach der Ausfuhrzollabfertigung in der erweiterten Gemeinschaft transportiert werden, bei der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr von Zöllen und anderen Zollmaßnahmen befreit, sofern eine der folgenden Unterlagen vorgelegt wird:

    …“

    Verordnung Nr. 60/2004

    6

    Am 14. Januar 2004 erließ die Kommission die Verordnung Nr. 60/2004, mit der – im Wesentlichen und soweit für den vorliegenden Rechtsstreit im Zuckersektor von Belang – ein System der Erhebung von Abgaben errichtet wird, das übergangsweise von den sonst anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften abweicht.

    7

    So sieht Art. 5 dieser Verordnung vor:

    „Aussetzungsverfahren

    (1)   Abweichend von Anhang IV Kapitel 5 der Beitrittsakte [von 2003] und von den Artikeln 20 und 214 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates unterliegen die Erzeugnisse der KN-Codes 1701, 1702, 1704, 1904, 1905, 2006, 2007, 2009, 2101 12 92, 2101 20 92, 2105 und 2202, mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 1972/2003 [der Kommission vom10. November 2003 über die aufgrund des Beitritts der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei zu treffenden Übergangsmaßnahmen für den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 293, S. 3)] genannten Erzeugnisse, allen Erga-omnes-Einfuhrzollsätzen, einschließlich etwaiger Zusatzzölle, die zum Zeitpunkt der Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr gelten, vorausgesetzt,

    a)

    sie waren vor dem 1. Mai 2004 in der Gemeinschaft in ihrer Zusammensetzung am 30. April 2004 oder in einem neuen Mitgliedstaat im freien Verkehr und

    b)

    sie erfüllen am 1. Mai 2004 eine der folgenden Voraussetzungen:

    i)

    sie befinden sich in vorübergehender Verwahrung, oder

    ii)

    sie fallen unter eine zollrechtliche Behandlung bzw. ein Zollverfahren gemäß Artikel 4 Absatz 15 Buchstabe b) oder Artikel 4 Absatz 16 Buchstaben b) bis g) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 in der Gemeinschaft, oder

    iii)

    sie werden nach der Ausfuhrzollabfertigung in der erweiterten Gemeinschaft transportiert.

    Unterabsatz 1 gilt nicht für die aus der Fünfzehnergemeinschaft ausgeführten Erzeugnisse, ausgenommen raffinierter C-Rübenzucker, C-Isoglucosesirup und C-Inulinsirup der KN-Codes 1701 99 10, 1701 99 90, 1702 30 10, 1702 40 10, 1702 60 10, 1702 90 30, 1702 60 80 bzw. 1702 90 80, wenn der Einführer nachweist, dass im Ausfuhrland keine Ausfuhrerstattung für die Erzeugnisse beantragt wurde. Auf Verlangen des Einführers lässt der Ausführer von der zuständigen Behörde auf der Ausfuhranmeldung vermerken, dass im Ausfuhrland keine Ausfuhrerstattung für die Erzeugnisse beantragt wurde.

    (2)   Abweichend von Anhang IV Kapitel 5 der Beitrittsakte [von 2003] und von den Artikeln 20 und 214 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 unterliegen die aus Drittländern kommenden Erzeugnisse der KN-Codes 1701, 1702, 1704, 1904, 1905, 2006, 2007, 2009, 2101 12 92, 2101 20 92, 2105 und 2202, mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 1972/2003 genannten Erzeugnisse, allen Erga-omnes-Einfuhrzollsätzen, einschließlich etwaiger Zusatzzölle, die zum Zeitpunkt der Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr gelten, vorausgesetzt,

    a)

    sie unterliegen am 1. Mai 2004 in einem neuen Mitgliedstaat dem Verfahren der aktiven Veredelung gemäß Artikel 4 Absatz 16 Buchstabe d) oder der vorübergehenden Verwendung gemäß Artikel 4 Absatz 16 Buchstabe f) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92;

    b)

    sie werden am oder nach dem 1. Mai 2004 zum zollrechtlich freien Verkehr abgefertigt.“

    8

    Art. 6 der Verordnung Nr. 60/2004 bestimmt:

    „Anomale Bestände

    (1)   Die Kommission stellt bis spätestens 31. Oktober 2004 nach dem Verfahren des Artikels 42 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1260/2001 für jeden neuen Mitgliedstaat die Mengen Zucker in unverarbeitetem Zustand oder in Verarbeitungserzeugnissen sowie Isoglucose und Fructose fest, die über die als normal geltenden Übergangsbestände am 1. Mai 2004 hinausgehen und auf Kosten der neuen Mitgliedstaaten vom Markt genommen werden müssen.

    Bei der Feststellung dieser Überschussmengen wird insbesondere die Entwicklung der folgenden Faktoren im Jahr vor dem Beitritt im Vergleich zu den Vorjahren berücksichtigt:

    a)

    eingeführte und ausgeführte Mengen Zucker in unverarbeitetem Zustand oder in Verarbeitungserzeugnissen sowie Isoglucose und Fructose,

    b)

    Erzeugung, Verbrauch und Bestände von Zucker und Isoglucose,

    c)

    die Umstände, unter denen die Bestände gebildet wurden.

    (2)   Der betreffende neue Mitgliedstaat gewährleistet, dass eine der Überschussmenge gemäß Absatz 1 entsprechende Menge Zucker oder Isoglucose bis spätestens 30. April 2005 ohne Gemeinschaftsintervention auf eine der folgenden Weisen vom Markt genommen wird:

    a)

    Ausfuhr aus der Gemeinschaft ohne Erstattung,

    b)

    Verwendung im Brennstoffsektor,

    c)

    Denaturierung zu Futterzwecken … ohne Beihilfen.

    (3)   Für die Anwendung von Absatz 2 verfügen die zuständigen Behörden der neuen Mitgliedstaaten am 1. Mai 2004 über ein System zur Feststellung gehandelter oder erzeugter Überschussmengen Zucker in unverarbeitetem Zustand oder in Verarbeitungserzeugnissen sowie Isoglucose und Fructose bei den wichtigsten Marktteilnehmern. …

    Der neue Mitgliedstaat wendet dieses System an, um die betreffenden Marktteilnehmer zu verpflichten, auf eigene Kosten eine ihrer ermittelten individuellen Überschussmenge entsprechende Menge Zucker oder Isoglucose vom Markt zu nehmen. Die Marktteilnehmer weisen dem neuen Mitgliedstaat nach, dass die Erzeugnisse bis spätestens 30. April 2005 vom Markt genommen wurden.

    Wird dieser Nachweis nicht erbracht, so zieht der neue Mitgliedstaat einen der betreffenden Menge entsprechenden Betrag ein, multipliziert mit den höchsten Einfuhrabgaben, die im Zeitraum vom 1. Mai 2004 bis 30. April 2005 für das betreffende Erzeugnis gelten, erhöht um 1,21 EUR/100 kg Weißzucker- oder Trockenstoffäquivalent.

    Der Betrag gemäß Unterabsatz 3 wird dem Staatshaushalt des neuen Mitgliedstaats gutgeschrieben.

    …“

    9

    Art. 9 der Verordnung Nr. 60/2004 lautet:

    „Diese Verordnung tritt vorbehaltlich des Inkrafttretens des Vertrags über den Beitritt … am 1. Mai 2004 in Kraft.

    …“

    Klage beim Gericht und angefochtener Beschluss

    10

    Mit Klageschrift, die am 28. Juni 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht wurde, erhob die Republik Polen gemäß Art. 230 EG Klage auf Nichtigerklärung von Art. 5, Art. 6 Abs. 1 bis 3, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 60/2004.

    11

    In ihrer Klagebeantwortung machte die Kommission geltend, die Klage sei verspätet erhoben worden.

    12

    Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Gericht, das als erweiterte Kammer entschied, die Klage für unzulässig erklärt.

    13

    Das Gericht hat zunächst dargelegt, dass die in Art. 230 Abs. 5 EG genannte Klagefrist von zwei Monaten ab dem Datum der Veröffentlichung der Verordnung Nr. 60/2004 im Amtsblatt der Europäischen Union, dem 15. Januar 2004, berechnet werden müsse, und ist dann unter Berücksichtigung der verschiedenen Verfahrensfristen zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Erhebung einer Klage auf Nichtigerklärung der Verordnung Nr. 60/2004 insgesamt zur Verfügung stehende Frist am 8. April 2004 um Mitternacht geendet habe.

    14

    Da die Klage der Republik Polen am 28. Juni 2004 eingereicht worden war, hat das Gericht sie für verspätet erklärt.

    15

    Folglich ist die Klage abgewiesen worden.

    Anträge der Verfahrensbeteiligten

    16

    Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Republik Polen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

    17

    Die Europäische Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Republik Polen die Kosten aufzuerlegen.

    Zum Rechtsmittel

    18

    Die Republik Polen macht für ihr Rechtsmittel gegen den angefochtenen Beschluss fünf Rechtsmittelgründe geltend: erstens eine unvollständige Veröffentlichung der Verordnung Nr. 60/2004, zweitens eine fehlerhafte Auslegung von Art. 230 Abs. 4 EG, drittens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsgemeinschaft und gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, viertens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Solidarität und den Grundsatz von Treu und Glauben sowie gegen Verfahrensvorschriften und fünftens einen Begründungsmangel.

    19

    Zu prüfen ist unmittelbar der dritte Rechtsmittelgrund, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsgemeinschaft und gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gerügt wird.

    Zum dritten Rechtsmittelgrund

    Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    20

    Die Republik Polen macht geltend, dass das Gericht, indem es ihre Nichtigkeitsklage für unzulässig erklärt habe, den neuen Mitgliedstaaten ihr Recht, die Vorschriften der Verordnung Nr. 60/2004 auf der Grundlage von Art. 230 Abs. 2 EG gerichtlich überprüfen zu lassen, genommen habe, obwohl diese Verordnung an sie in ihrer Eigenschaft als Mitgliedstaaten gerichtet gewesen sei.

    21

    Die Republik Polen weist darauf hin, dass die strikte Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Verfahrensfristen dem Erfordernis der Rechtssicherheit und der Notwendigkeit entspreche, jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz zu vermeiden, ist jedoch der Auffassung, dass eine solche Anwendung gleichwohl keine Ungleichheit im Bereich des gerichtlichen Rechtsschutzes rechtfertigen könne, zu der es käme, wenn die neuen Mitgliedstaaten die Rechtmäßigkeit der Verordnung Nr. 60/2004 nicht in ihrer Eigenschaft als Mitgliedstaaten anfechten könnten, obwohl sie von dieser Verordnung besonders betroffen seien.

    22

    Zur Untermauerung ihres Rechtsmittelgrundes stützt sich die Republik Polen zum einen auf das Urteil vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament (294/83, Slg. 1986, 1339, Randnr. 23), aus dem sich ergebe, dass die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft der Art sei, dass weder ihre Mitgliedstaaten noch ihre Organe der Kontrolle darüber entzogen seien, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem EG-Vertrag, stünden. Zum anderen bezieht sich die Republik Polen auf Nr. 50 der Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache, in der das Urteil vom 23. Oktober 2007, Polen/Rat (C-273/04, Slg. 2007, I-8925), ergangen ist, um den Schluss zu ziehen, dass das Gericht offenkundig gegen den Grundsatz der Rechtsgemeinschaft und gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verstoßen habe.

    23

    Die Kommission macht geltend, dass das Gericht, indem es eine verspätet erhobene Klage als unzulässig abgewiesen habe, weder gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes noch gegen den Grundsatz der Rechtsgemeinschaft verstoßen habe. Außerdem erlaube es der Umstand, dass die Republik Polen aufgrund des Inkrafttretens des Beitrittsvertrags und der Beitrittsakte von 2003 vom Status einer Klägerin zu dem einer privilegierten Klägerin übergegangen sei, entgegen ihrem Vorbringen nicht, von dem Grundsatz abzuweichen, dass die Verfahrensfristen strikt anzuwenden seien.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    24

    Mit dem vorliegenden Rechtsmittelgrund wirft die Republik Polen dem Gericht vor, dass es ihr Argument zurückgewiesen habe, wonach die Verordnung Nr. 60/2004 an alle Mitgliedstaaten einschließlich der Republik Polen gerichtet gewesen sei, so dass es ihr möglich gewesen sein müsse, sie auch in der Eigenschaft als Klägerin im Sinne von Art. 230 Abs. 2 EG anzufechten.

    25

    Dazu hat das Gericht zunächst in Randnr. 54 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, dass die Beitrittsakte von 2003 für die Gemeinschaftsorgane zwar speziell die Möglichkeit vorsehe, bestimmte Maßnahmen zwischen dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieser Beitrittsakte und dem des Beitritts der neuen Mitgliedstaaten zu erlassen, dass sie aber keinerlei Abweichung vom System der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftsrechtsakte vorsehe.

    26

    Sodann hat das Gericht in Randnr. 55 dieses Beschlusses unter Bezugnahme auf das Urteil vom 15. Januar 1987, Misset/Rat (152/85, Slg. 1987, 223, Randnr. 11), darauf hingewiesen, dass die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Verfahrensfristen strikt anzuwenden seien.

    27

    Schließlich hat das Gericht in Randnr. 56 des Beschlusses den Standpunkt vertreten, dass, „sofern das Argument der Republik Polen dahin zu verstehen sein sollte, dass sie der Auffassung gewesen sei, sie habe erst als Mitgliedstaat Klage erheben können, hervorzuheben [ist], dass die in Art. 230 EG vorgesehene Klagefrist allgemein gilt“ und dass „[d]ie Eigenschaft der Republik Polen als Mitgliedstaat … dafür nicht erforderlich [war]“. Das Gericht hat ergänzt, dass „[d]ie Klagefrist … auf sie jedenfalls als juristische Person Anwendung [fand]“.

    28

    Im Hinblick auf die Entscheidung der Frage, ob die Republik Polen die Verordnung Nr. 60/2004 wirksam in der Eigenschaft als Klägerin im Sinne von Art. 230 Abs. 2 EG anfechten konnte, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Abs. 3 des Beitrittsvertrags ausdrücklich vorsieht, dass die Unionsorgane vor dem Beitritt bestimmte Maßnahmen erlassen können.

    29

    Zu diesen Maßnahmen gehört insbesondere Art. 41 der Beitrittsakte von 2003, der die Kommission ermächtigt, alle Übergangsmaßnahmen zu erlassen, die erforderlich sind, um den Übergang von der in den neuen Mitgliedstaaten bestehenden Regelung auf die Regelung zu erleichtern, die sich aus der Anwendung der gemeinsamen Agrarpolitik ergibt.

    30

    Die Verordnung Nr. 60/2004 wurde auf der Grundlage dieses Artikels erlassen und gehört, wie der Generalanwalt in Nr. 27 seiner Schlussanträge dargelegt hat, zu den Rechtsakten, deren Erlass durch den Beitritt bedingt ist.

    31

    Da die Verordnung Nr. 60/2004 in der Zeit zwischen dem Datum der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags sowie der Beitrittsakte von 2003 und dem Datum des Inkrafttretens dieser Dokumente erlassen wurde, unterscheidet sie sich demnach von anderen Vorschriften des gemeinschaftlichen Besitzstands, die bei der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags und der Beitrittsakte bereits in Kraft waren.

    32

    Außerdem steht ungeachtet der Tatsache, dass die Verordnung Nr. 60/2004 vor dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, fest, dass die mit dieser Verordnung eingeführten Maßnahmen ab dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zur Union vorrangig auf diese Staaten Anwendung finden sollten. Dementsprechend wurde diese Verordnung nach ihrem Art. 9 erst zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beitrittsvertrags und vorbehaltlich seines Inkrafttretens wirksam.

    33

    Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 39 und 40 seiner Schlussanträge dargelegt hat, dass die neuen Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Verordnung Nr. 60/2004 in ihrer Eigenschaft als Mitgliedstaaten erst zum Zeitpunkt ihres Beitritts betroffen wurden und dass es ihnen in dieser Eigenschaft möglich gewesen sein muss, diese Bestimmungen anzufechten.

    34

    Im vorliegenden Fall zeigt sich, dass die in Art. 230 EG vorgesehene Klagefrist von zwei Monaten aufgrund des Zeitpunkts der Veröffentlichung der Verordnung Nr. 60/2004 im Amtsblatt der Europäischen Union, die am 15. Januar 2004 erfolgte, bereits abgelaufen war, bevor die Republik Polen am Tag ihres Beitritts zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 die Eigenschaft eines Mitgliedstaats erwarb.

    35

    Den neuen Mitgliedstaaten war es daher nicht möglich, innerhalb der festgesetzten Frist in der Eigenschaft als Kläger nach Art. 230 Abs. 2 EG Klagen gegen die Maßnahmen zu erheben, die auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 3 des Beitrittsvertrags erlassen wurden.

    36

    Die Union ist jedoch eine Rechtsunion, in der ihre Organe der Kontrolle daraufhin unterliegen, ob ihre Handlungen insbesondere mit dem Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen in Einklang stehen (vgl. Urteile vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Randnr. 281, und vom 29. Juni 2010, E und F, C-550/09, Slg. 2010, I-6213, Randnr. 44).

    37

    Diese Grundsätze bilden das Fundament dieser Union, und ihre Beachtung impliziert, wie nunmehr ausdrücklich in Art. 4 Abs. 2 EUV vorgesehen ist, dass die neuen Mitgliedstaaten in gleicher Weise wie die alten Mitgliedstaaten behandelt werden.

    38

    Demzufolge müssen die neuen Mitgliedstaaten in Bezug auf alle Maßnahmen, die – wie die im vorliegenden Fall angefochtene – auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 3 des Beitrittsvertrags erlassen wurden und sie in ihrer Eigenschaft als Mitgliedstaaten berühren, ein Klagerecht in der Eigenschaft als Kläger im Sinne von Art. 230 Abs. 2 EG haben.

    39

    Da die neuen Mitgliedstaaten diese Eigenschaft erst am Tag des Inkrafttretens des Beitrittsvertrags und der Beitrittsakte von 2003 erworben haben, ist der Schluss zu ziehen, dass die in Art. 230 Abs. 5 EG genannte Klagefrist für diese Staaten in Bezug auf Maßnahmen wie die im vorliegenden Fall in Rede stehende erst ab diesem Zeitpunkt lief, also im vorliegenden Fall ab dem 1. Mai 2004.

    40

    Das Gericht hat demnach zu Unrecht ungeachtet des besonderen Kontexts des vorliegenden Falles entschieden, dass die Erhebung der in Art. 230 EG vorgesehenen Klage im Fall der Republik Polen nicht die Eigenschaft als Mitgliedstaat voraussetze, und daraus gefolgert, dass die von diesem Mitgliedstaat am 28. Juni 2004 gegen die Verordnung Nr. 60/2004 erhobene Klage verspätet und somit unzulässig sei.

    41

    Nach alledem ist der dritte Rechtsmittelgrund begründet.

    42

    Folglich ist der angefochtene Beschluss aufzuheben, ohne dass es erforderlich wäre, zu den vier anderen von der Republik Polen vorgetragenen Rechtsmittelgründen Stellung zu nehmen.

    43

    Da der Gerichtshof in diesem Stadium des Verfahrens nicht in der Lage ist, über die Begründetheit der von der Republik Polen erhobenen Klage zu entscheiden, ist die Sache nach Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs an das Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

     

    1.

    Der Beschluss des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 10. Juni 2009, Polen/Kommission (T-258/04), wird aufgehoben.

     

    2.

    Die Sache wird zur Entscheidung über den Antrag der Republik Polen auf Nichtigerklärung von Art. 5, Art. 6 Abs. 1 bis 3, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 60/2004 der Kommission vom 14. Januar 2004 mit Übergangsmaßnahmen für den Zuckersektor infolge des Beitritts der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

     

    3.

    Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

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