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Dokument 62011CJ0072

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 21. Dezember 2011.
Strafverfahren gegen Mohsen Afrasiabi und andere.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Düsseldorf - Deutschland.
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik - Restriktive Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran zur Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen - Verordnung (EG) Nr. 423/2007 - Art. 7 Abs. 3 und 4 - Lieferung und Aufstellung eines Sinterofens im Iran - Begriff ‚mittelbares Zurverfügungstellen‘ einer ‚wirtschaftlichen Ressource‘ zugunsten einer in den Anhängen IV und V dieser Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung - Begriff ‚Umgehung‘ des Verbots des Zurverfügungstellens.
Rechtssache C-72/11.

Sammlung der Rechtsprechung 2011 -00000

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2011:874

Rechtssache C-72/11

Strafverfahren

gegen

Mohsen Afrasiabi u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf)

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran zur Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen – Verordnung (EG) Nr. 423/2007 – Art. 7 Abs. 3 und 4 – Lieferung und Aufstellung eines Sinterofens im Iran – Begriff ‚mittelbares Zurverfügungstellen‘ einer ‚wirtschaftlichen Ressource‘ zugunsten einer in den Anhängen IV und V dieser Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung – Begriff ‚Umgehung‘ des Verbots des Zurverfügungstellens“

Leitsätze des Urteils

1.        Europäische Union – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Iran

(Verordnung Nr. 423/2007 des Rates, Art. 7 Abs. 3)

2.        Europäische Union – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Iran

(Verordnung Nr. 423/2007 des Rates, Art. 7 Abs. 4)

1.        Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran ist dahin auszulegen, dass das Verbot der mittelbaren Zurverfügungstellung einer wirtschaftlichen Ressource im Sinne von Art. 1 Buchst. i dieser Verordnung Handlungen umfasst, die die Lieferung eines funktionstüchtigen, jedoch noch nicht verwendungsbereiten Sinterofens in den Iran und seine Aufstellung dort zugunsten eines Dritten betreffen, der im Namen, unter der Kontrolle oder auf Weisung einer in den Anhängen IV und V dieser Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung handelt und beabsichtigt, den Ofen zu nutzen, um zugunsten einer solchen Person, Organisation oder Einrichtung Produkte herzustellen, die zur Verbreitung von Kernwaffen in diesem Staat beitragen können.

Das Kriterium, auf das für die Anwendung des Begriffs „wirtschaftliche Ressourcen“ im Kontext des in Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 aufgestellten Verbots abzustellen ist, betrifft nämlich in Anbetracht der präventiven Natur der restriktiven Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran die Möglichkeit, dass der entsprechende Vermögenswert für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet wird, die zur Verbreitung von Kernwaffen im Iran beitragen können. Für die Anwendung von Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung wird somit nicht verlangt, dass der Vermögenswert mit der Vornahme der fraglichen Handlung sofort verwendungsbereit ist.

(vgl. Randnrn. 45-47, 57, Tenor 1)

2.        Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran ist dahin auszulegen, dass

–        er Aktivitäten erfasst, die unter dem Deckmantel einer Form vorgenommen werden, mit der eine Erfüllung des Tatbestands eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung vermieden wird, jedoch unmittelbar oder mittelbar bezwecken oder bewirken, das mit dieser Bestimmung aufgestellte Verbot auszuhebeln;

–        die Begriffe „wissentlich“ und „vorsätzlich“ ein Wissens‑ und ein Wollenselement implizieren, die kumulativ erfüllt sein müssen, was dann der Fall ist, wenn die Person, die sich an einer Aktivität mit einem entsprechenden Zweck oder einer entsprechenden Wirkung beteiligt, diesen oder diese absichtlich anstrebt oder es zumindest für möglich hält, dass ihre Beteiligung diesen Zweck oder diese Wirkung hat, und dies billigend in Kauf nimmt.

(vgl. Randnr. 68, Tenor 2)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

21. Dezember 2011(*)

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran zur Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen – Verordnung (EG) Nr. 423/2007 – Art. 7 Abs. 3 und 4 – Lieferung und Aufstellung eines Sinterofens im Iran – Begriff ‚mittelbares Zurverfügungstellen‘ einer ‚wirtschaftlichen Ressource‘ zugunsten einer in den Anhängen IV und V dieser Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung – Begriff ‚Umgehung‘ des Verbots des Zurverfügungstellens“

In der Rechtssache C‑72/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Februar 2011, in dem Strafverfahren gegen

Mohsen Afrasiabi,

Behzad Sahabi,

Heinz Ulrich Kessel

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter) sowie der Richter J. Malenovský, E. Juhász, G. Arestis und T. von Danwitz,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Oktober 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, vertreten durch R. Griesbaum, S. Morweiser und S. Heine als Bevollmächtigte,

–        von Herrn Afrasiabi, vertreten durch Rechtsanwalt K. Aminyan,

–        von Herrn Kessel, vertreten durch Rechtsanwalt T. Elsner,

–        der französischen Regierung, vertreten durch E. Ranaivoson als Bevollmächtigten,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Erlbacher, M. Konstantinidis und T. Scharf als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. November 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 des Rates vom 19. April 2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. L 103, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Afrasiabi, Herrn Sahabi und Herrn Kessel (im Folgenden zusammen: Angeschuldigte), die verdächtigt werden, gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 423/2007 verstoßen zu haben, indem sie sich an der Lieferung eines Keramiksinterofens aus Deutschland in den Iran und dessen Aufstellung dort beteiligt haben.

 Rechtlicher Rahmen

 Völkerrecht

3        Um Druck auf die Islamische Republik Iran auszuüben, damit sie ihre mit der Gefahr einer Verbreitung von Kernwaffen einhergehenden nuklearen Tätigkeiten und die Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen einstellt, verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 23. Dezember 2006 auf der Grundlage von Art. 41 in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die Resolution 1737 (2006), mit der eine Reihe von restriktiven Maßnahmen gegen diesen Staat eingeführt wird.

4        In den Ziff. 2 und 12 dieser Resolution heißt es, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN)

„2.      beschließt in diesem Zusammenhang, dass die Islamische Republik Iran ohne weitere Verzögerung die … proliferationsrelevanten nuklearen Tätigkeiten auszusetzen hat …

12.      beschließt, dass alle Staaten die sich zum Zeitpunkt der Verabschiedung dieser Resolution oder zu jedem späteren Zeitpunkt in ihrem Hoheitsgebiet befindenden Gelder, anderen finanziellen Vermögenswerte und wirtschaftlichen Ressourcen einfrieren werden, die im Eigentum oder unter der Kontrolle der in der Anlage bezeichneten Personen oder Einrichtungen oder weiterer Personen oder Einrichtungen stehen, die nach Feststellung des Rates oder des [Sanktionsa]usschusses an den proliferationsrelevanten nuklearen Tätigkeiten der Islamischen Republik Iran oder an der Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen beteiligt sind, direkt damit in Verbindung stehen oder Unterstützung dafür bereitstellen, oder von Personen oder Einrichtungen, die in ihrem Namen oder auf ihre Anweisung handeln, oder von Einrichtungen, die in deren Eigentum oder unter deren Kontrolle stehen, auch durch unerlaubte Mittel, … und beschließt ferner, dass alle Staaten sicherstellen werden, dass ihre Staatsangehörigen oder Personen oder Einrichtungen innerhalb ihres Hoheitsgebiets für die genannten Personen und Einrichtungen oder zu ihren Gunsten keine Gelder, finanziellen Vermögenswerte oder wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung stellen“.

 Unionsrecht

 Gemeinsamer Standpunkt 2007/140/GASP

5        Zur Durchführung der Resolution 1737 (2006) nahm der Rat der Europäischen Union den Gemeinsamen Standpunkt 2007/140/GASP vom 27. Februar 2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. L 61, S. 49) an.

6        Die Erwägungsgründe 1 und 9 dieses Gemeinsamen Standpunkts lauten:

„(1)      Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 23. Dezember 2006 die Resolution 1737 (2006) (‚UNSCR 1737 [2006]‘) angenommen, in der Iran nachdrücklich aufgefordert wird, eine Reihe proliferationsrelevanter nuklearer Tätigkeiten auszusetzen, und mit der bestimmte restriktive Maßnahmen gegen Iran verhängt werden.

(9)       Die Resolution UNSCR 1737 (2006) verlangt außerdem das Einfrieren der Gelder, anderen finanziellen Vermögenswerte und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz, im Eigentum, in der Verfügungsgewalt oder unter der direkten oder indirekten Kontrolle von Personen oder Einrichtungen stehen, die nach Feststellung des VN-Sicherheitsrats oder des [Sanktionsa]usschusses an den proliferationsrelevanten nuklearen Tätigkeiten Irans oder an der Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen beteiligt sind, direkt damit in Verbindung stehen oder Unterstützung dafür bereitstellen, oder von Personen oder Einrichtungen, die in ihrem Namen oder auf ihre Weisung handeln, oder von Einrichtungen, die in deren Eigentum oder unter deren Kontrolle stehen, auch durch unerlaubte Mittel, und erlegt auch die Verpflichtung auf, für diese Personen oder Einrichtungen oder zu ihren Gunsten keine Gelder, finanziellen Vermögenswerte oder wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.“

7        In Art. 5 Abs. 2 dieses Gemeinsamen Standpunkts heißt es:

„Den in Absatz 1 genannten Personen und Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.“

 Verordnung Nr. 423/2007

8        Auf der Grundlage des Gemeinsamen Standpunkts 2007/140/GASP erließ der Rat die Verordnung Nr. 423/2007, die am 20. April 2007 in Kraft trat.

9        Im dritten Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt es:

„[Die im Gemeinsamen Standpunkt 2007/140/GASP vorgesehenen restriktiven] Maßnahmen fallen in den Geltungsbereich des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, und daher bedarf es – insbesondere zur Gewährleistung ihrer einheitlichen Anwendung durch die Wirtschaftsbeteiligten in allen Mitgliedstaaten – gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften für ihre Durchführung, soweit die Gemeinschaft betroffen ist.“

10      Art. 1 Buchst. i der Verordnung Nr. 423/2007 bestimmt insbesondere:

„Ausschließlich im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

i)      ‚wirtschaftliche Ressourcen‘ Vermögenswerte jeder Art, unabhängig davon, ob sie materiell oder immateriell, beweglich oder unbeweglich sind, bei denen es sich nicht um Gelder handelt, die aber für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können …“

11      Art. 7 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 423/2007 lautet:

„(3)      Den in den Anhängen IV und V aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.

(4)      Es ist verboten, wissentlich und vorsätzlich an Aktivitäten teilzunehmen, mit denen die Umgehung der in den Absätzen 1, 2 und 3 genannten Maßnahmen bezweckt oder bewirkt wird.“

12      Nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 423/2007 können „[d]ie betreffenden natürlichen und juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen … im Zusammenhang mit den Verboten nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c und Artikel 7 Absatz 3 nicht haftbar gemacht werden, wenn ihnen nicht bekannt war oder sie keinen triftigen Grund zu der Annahme hatten, dass sie durch ihr Handeln gegen die Verbote verstoßen“.

13      Anhang II („Liste der in Artikel  3 genannten Güter und Technologien“) der Verordnung Nr. 423/2007 nennt unter der Nr. II.A2.005 „[m]it kontrollierter Atmosphäre betriebene Wärmebehandlungsöfen wie folgt: Öfen, geeignet für Betriebstemperaturen größer 400 °C“.

14      Unter den in Anhang IV Teil A der Verordnung Nr. 423/2007 verzeichneten juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen wird in Nr. 10 die Shahid Hemmat Industrial Group (SHIG) mit folgenden Angaben genannt: „Sonstige Informationen: a) der OLI [Organisation der Luft‑ und Raumfahrtindustrien] unterstehende Einrichtung, b) am Programm Irans für ballistische Raketen beteiligt.“

15      Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 423/2007 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße gegen diese Verordnung Sanktionen fest und treffen die zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

16      Am 23. April 2007 nahm der Rat den Gemeinsamen Standpunkt 2007/246/GASP zur Änderung des Gemeinsamen Standpunkts 2007/140/GASP (ABl. L 106, S. 67) an. Am 5. Juni 2007 erließ er die Verordnung (EG) Nr. 618/2007 zur Änderung der Verordnung Nr. 423/2007 (ABl. L 143, S. 1). Mit der Verordnung Nr. 618/2007, die am 6. Juni 2007 in Kraft trat, wurden die für das Ausgangsverfahren relevanten Bestimmungen der Verordnung Nr. 423/2007 nicht geändert.

17      Am 26. Juli 2010 erließ der Rat den Beschluss 2010/413/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2007/140/GASP (ABl. L 195, S. 39). Am 25. Oktober 2010 erließ er die Verordnung (EU) Nr. 961/2010 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 (ABl. L 281, S. 1). Die Verordnung Nr. 961/2010, die am 27. Oktober 2010 in Kraft trat, enthält in Art. 16 Abs. 3 und 4 Verbote, die den in Art. 7 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 423/2007 aufgestellten entsprechen.

 Nationales Recht

18      Zuwiderhandlungen gegen Rechtsakte der Union wie die Verordnung Nr. 423/2007 sind nach § 34 des deutschen Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) strafbar.

 Sachverhalt und Vorlagefragen

19      Dem Strafverfahren gegen die Angeschuldigten liegen die Anklageschriften des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof (im Folgenden: Generalbundesanwalt) vom 19. März und vom 27. Juli 2010 zugrunde, in denen zum Sachverhalt Folgendes ausgeführt wird.

20      Die Islamische Republik Iran bemühe sich spätestens seit Ende der 1990er Jahre um die Entwicklung weit reichender Raketen, die als Trägersysteme für Massenvernichtungswaffen verwendet werden könnten. Für den Bau dieser Raketen benötige sie Vakuum‑Sinteröfen zum Zwecke der Aufbringung hitzebeständiger Beschichtungen auf Steuerungsbauteile und den Gefechtskopf. Zuständig für das iranische Trägertechnologieprogramm sei die OLI mit ihren Unterorganisationen, darunter die SHIG als zentrale Beschaffungsstelle.

21      Spätestens im Frühjahr 2004 habe Herr Afrasiabi von dem verantwortlichen Leiter einer geheimen Forschungseinrichtung für die Raketenproduktion im Iran den Auftrag erhalten, einen Keramiksinterofen für die SHIG zu erwerben. Er habe als Geschäftsführer der Aktiengesellschaft Emen Survey Engineering Co., Teheran (im Folgenden: Emen Survey), gehandelt, um auf eigene Rechnung und zur Gewinnerzielung für die SHIG und die iranische Raketenindustrie Beschaffungen durchzuführen. Zu einem unbekannten Zeitpunkt habe er zum Zwecke der Beschaffung eines Vakuum‑Sinterofens Kontakt zu dem ihm seit Längerem bekannten Herrn Sahabi in Deutschland aufgenommen, da dieser als Ingenieur über die erforderlichen technischen Kenntnisse über „keramische Verfahren“ verfügt habe.

22      Herr Sahabi, der seit Jahren Geschäftsbeziehungen mit Herrn Kessel, dem Geschäftsführer der deutschen Herstellerfirma FCT‑Systeme GmbH (im Folgenden: FCT), unterhalten habe, habe Herrn Afrasiabi mit dieser in Kontakt gebracht. Die Angeschuldigten seien spätestens im Frühjahr 2004 über die Lieferung eines Vakuum-Sinterofens mit Zubehör von FCT an Emen Survey übereingekommen. Herrn Sahabi sei dabei die Aufgabe zugekommen, die Abwicklung des Projekts in Deutschland zu koordinieren und als Schaltstelle zwischen Herrn Kessel und Herrn Afrasiabi zu fungieren. Außerdem habe er die beiden beim Entwurf des Liefervertrags und bei der Gestaltung der Zahlungsmodalitäten beraten.

23      Am 20. Juli 2006 habe Herr Kessel beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (im Folgenden: BAFA) eine Ausfuhrgenehmigung für die Lieferung eines Sinterofens an Emen Survey beantragt. Ihm sei spätestens zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen, dass bei Emen Survey mit dem Ofen Raketenteile gesintert werden sollten, die für einen Endverwender im iranischen Raketenprogramm bestimmt gewesen seien. Diese Informationen habe er dem BAFA verschwiegen, das, ohne von ihnen Kenntnis zu haben, FCT am 16. Januar 2007 einen Bescheid erteilt habe, in dem die Ausfuhr des Ofens als nicht genehmigungspflichtig angesehen worden sei (sogenannter „Null“-Bescheid).

24      Angesichts des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 423/2007, insbesondere der Aufnahme der OLI und der SHIG in die Liste der in den Anhängen IV und V der Verordnung aufgeführten Organisationen sowie der Erwähnung des Sinterofens in Anhang II der Verordnung, sei der „Null“‑Bescheid des BAFA außer Kraft getreten; hierüber sei Herr Kessel belehrt worden. Dass hinter Emen Survey als Endverwender der herzustellenden Produkte eine Rüstungsorganisation gestanden habe, deren Belieferung mit raketentauglichem Material ab Inkrafttreten der Verordnung Nr. 423/2007 verboten gewesen sei, sei Herrn Kessel und Herrn Afrasiabi bekannt gewesen.

25      Die Lieferung des Ofens von FCT an Emen Survey sei am 20. Juli 2007 erfolgt. Im März 2008 habe Herr Kessel entsprechend der mit Herrn Afrasiabi geschlossenen Vereinbarung zwei Techniker nach Teheran gesandt, die den Ofen dort aufgestellt hätten, ohne allerdings die für seine Inbetriebnahme erforderliche Software zu installieren.

26      Am 13. März 2008 habe das BAFA FCT davon in Kenntnis gesetzt, dass Emen Survey in dem Verdacht stehe, Beschaffungen für das iranische Trägertechnologieprogramm durchzuführen. Herr Kessel habe daraufhin davon Abstand genommen, den Ofen bei Emen Survey betriebsfertig zu machen. Infolgedessen sei die von Herrn Afrasiabi geplante Aufnahme der Produktion für die SHIG letztlich gescheitert.

27      Das vorlegende Gericht, das über die Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens zu entscheiden hat, hat Zweifel in Bezug auf die Auslegung von Art. 7 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 423/2007.

28      Erstens fragt es sich, ob eine wirtschaftliche Ressource im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 als einer von dieser Verordnung erfassten Einrichtung zur Verfügung gestellt angesehen werden kann, wenn die Ressource im Besitz eines Dritten bleibt, der davon Gebrauch machen will, um Produkte herzustellen, die der Einrichtung erst nach ihrer Fertigstellung übergeben werden sollen.

29      Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob das Umgehungsverbot nach Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 nur diejenigen Verhaltensweisen erfasst, die nicht in der Verletzung der das Zurverfügungstellen verbietenden Norm bestehen und einer mit dieser Norm unvereinbaren Handlung den äußerlichen Schein der Rechtmäßigkeit verleihen sollen, oder ob es sich vielmehr auf alle Handlungen bezieht, die ein verbotenes „Zurverfügungstellen“ bewirken oder bezwecken.

30      Nach der ersten Auslegung schlössen sich der Tatbestand eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 und der eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 4 dieser Verordnung gegenseitig aus. Die zweite Auslegung könnte nach Ansicht des vorlegenden Gerichts zum einen Zweifel im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den unionsrechtlichen Grundsätzen der Bestimmtheit, der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit wecken und zum anderen im Widerspruch zum Wortlaut der letztgenannten Bestimmung stehen.

31      Drittens hegt das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich des subjektiven Tatbestands, der mit den in Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 verwendeten Begriffen „wissentlich“ und „vorsätzlich“ beschrieben wird. Es hebt zum einen hervor, dass im deutschen Strafrecht der Vorsatz zwangsläufig ein Wissenselement impliziere, so dass dem Begriff „wissentlich“ neben dem Begriff „vorsätzlich“ kein eigenständiger Sinngehalt mehr zukomme. Die Umgehung müsste daher strafbar sein, wenn sie wissentlich oder vorsätzlich erfolge.

32      Zum anderen fragt es sich, ob der Begriff „vorsätzlich“ gleichbedeutend mit „absichtlich“ ist, so dass das Umgehungsverbot nur Verhaltensweisen erfasst, bei denen der Täter sicher weiß, dass mit ihnen eine Umgehung der Verbote nach Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 bewirkt oder bezweckt wird, oder ob er weiter gehend jede Handlung erfasst, bei der der Täter es für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass damit eine Umgehung des Verbots des Zurverfügungstellens bewirkt oder bezweckt wird. Insoweit legten sowohl die englische Fassung von Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 als auch die deutsche Fassung von Art. 16 Abs. 4 der Verordnung Nr. 961/2010 nahe, dass die erste Auslegung dieses Begriffs zutreffe, da dort der Begriff „intentionally“ – der mit „absichtlich“ übersetzt werden könne – und der Begriff „absichtlich“ gebraucht würden.

33      Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht Düsseldorf entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist für ein Zurverfügungstellen im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 erforderlich, dass die wirtschaftliche Ressource von der gelisteten Person/Organisation zeitlich unmittelbar zum Erwerb von Geldern oder Dienstleistungen eingesetzt werden kann? Oder ist Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 dahin auszulegen, dass das Verbot der mittelbaren Zurverfügungstellung die Lieferung und Aufstellung einer funktionstüchtigen, jedoch noch nicht verwendungsbereiten wirtschaftlichen Ressource (hier: eines Vakuumofens) bei einem Dritten im Iran umfasst, mit welcher der Dritte die Herstellung von Produkten für eine in den Anhängen IV und V der Verordnung aufgeführte juristische Person, Organisation oder Einrichtung zu einem späteren Zeitpunkt beabsichtigt?

2.      Ist Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 dahin auszulegen, dass eine Umgehung nur dann vorliegen kann, wenn der Täter sein Handeln formal – gleichwohl aber nur zum Schein – an die sich aus Art. 7 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 423/2007 ergebenden Verbote anpasst, so dass es auch bei weitester Auslegung nicht mehr von den Verbotsnormen erfasst wird? Schließen sich die Tatbestände des Umgehungs‑ und des Zurverfügungstellungsverbots mithin gegenseitig aus? Bejahendenfalls: Kann ein Verhalten, das von dem Verbot des (mittelbaren) Zurverfügungstellens (noch) nicht erfasst wäre, gleichwohl eine Umgehung im Sinne von Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 darstellen?

Oder stellt Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 eine Auffangklausel dar, unter die jegliche Handlung subsumiert werden kann, die im Ergebnis zu einem Zurverfügungstellen einer wirtschaftlichen Ressource an eine gelistete Person oder Organisation führen soll?

3.      Erfordert das subjektive Tatbestandsmerkmal „wissentlich und vorsätzlich“ in Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 einerseits positive Kenntnis von der bewirkten oder bezweckten Umgehung des Verbots der Zurverfügungstellung und darüber hinaus noch eine weiter gehende voluntative Komponente, zumindest in dem Sinne, dass die Umgehung des Verbots von dem Täter jedenfalls billigend in Kauf genommen wird? Oder muss es dem Täter gar darauf ankommen, das Verbot zu umgehen, er insoweit also absichtlich handeln?

Oder ist eine wissentliche Umgehung nicht erforderlich, reicht vielmehr aus, dass der Täter eine Umgehung des Verbots nur für möglich hält und diese billigend in Kauf nimmt?

 Zu den Vorlagefragen

 Einleitende Erwägungen

34      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 der Verordnung Nr. 423/2007 in seinen Abs. 3 und 4, auf die sich das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bezieht, zwei verschiedene Verbotsmaßnahmen enthält. In Abs. 3 wird untersagt, den in den Anhängen IV und V dieser Verordnung aufgeführten Personen, Organisationen und Einrichtungen unmittelbar oder mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen oder zugutekommen zu lassen. Nach Abs. 4 ist es verboten, wissentlich und vorsätzlich an Aktivitäten teilzunehmen, mit denen die Umgehung u. a. des in Abs. 3 aufgestellten Verbots bezweckt oder bewirkt wird.

35      Jede dieser Maßnahmen hat ihre eigene Bedeutung in dem Sinne, dass ein Verstoß gegen eine von ihnen für sich genommen nach Maßgabe des Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 423/2007 selbständig Grundlage für die Verhängung von – auch strafrechtlichen – Sanktionen nach dem anwendbaren nationalen Recht sein kann.

36      Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 423/2007, aus dem sich die subjektive Komponente für eine – eventuell strafrechtliche – Haftung im Fall eines Verstoßes gegen das in Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung aufgestellte Verbot ergibt, bestätigt, dass ein Verstoß gegen dieses Verbot für den Unionsgesetzgeber eigenständig ist gegenüber einem Verstoß gegen das in Art. 7 Abs. 4 dieser Verordnung festgelegte Verbot.

 Zur ersten Frage

37      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff „Zurverfügungstellen“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 verlangt, dass die betreffende wirtschaftliche Ressource, im Ausgangsverfahren also ein Vakuum-Sinterofen, von einer in den Anhängen IV und V dieser Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung zeitlich unmittelbar zum Erwerb von Geldern oder Dienstleistungen eingesetzt werden kann, oder ob dieser Begriff vielmehr die Lieferung und Aufstellung einer solchen funktionstüchtigen, jedoch noch nicht verwendungsbereiten Ressource zugunsten eines Dritten im Iran umfasst, der damit die Herstellung von Produkten für eine solche Person, Organisation oder Einrichtung zu einem späteren Zeitpunkt beabsichtigt.

38      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass ein Sinterofen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende einen „Vermögenswert“ im Sinne der in Art. 1 Buchst. i der Verordnung Nr. 423/2007 enthaltenen, sehr weit formulierten Definition des Begriffs „wirtschaftliche Ressourcen“ darstellt.

39      Sodann ist hervorzuheben, dass das in Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 aufgestellte Verbot besonders weit gefasst ist, wie es die Verwendung der Worte „weder unmittelbar noch mittelbar“ belegt (vgl. entsprechend Urteile vom 11. Oktober 2007, Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, C‑117/06, Slg. 2007, I‑8361, Randnr. 50, sowie vom 29. Juni 2010, E und F, C‑550/09, Slg. 2010, I‑6213, Randnr. 66).

40      Desgleichen ist die in dieser Bestimmung enthaltene Wendung „zur Verfügung gestellt werden“ in einem weiten Sinn zu verstehen, da sie sich nicht auf eine besondere rechtliche Qualifizierung bezieht, sondern jede Handlung erfasst, die erforderlich ist, damit eine Person die Verfügungsbefugnis über den betreffenden Vermögenswert erlangen kann (vgl. entsprechend Urteile Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, Randnr. 51, sowie E und F, Randnr. 67).

41      Wie der Generalbundesanwalt, die französische und die italienische Regierung sowie die Europäische Kommission vortragen, ist unter diesen Umständen davon auszugehen, dass Handlungen, die darin bestehen, von einem Mitgliedstaat aus einen Vermögenswert wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zugunsten einer Person im Iran zu liefern und aufzustellen, ebenso wie Handlungen insbesondere zur Vorbereitung und Überwachung der Lieferung oder der Aufstellung des entsprechenden Vermögenswerts oder die Vermittlung von Kontakten zwischen den Beteiligten unter den Begriff „Zurverfügungstellen“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 fallen können.

42      Das vorlegende Gericht nimmt in seiner Frage auf den Fall Bezug, dass eine wirtschaftliche Ressource wie ein Sinterofen in den Iran geliefert und dort in funktionstüchtigem Zustand, aber noch nicht verwendungsbereit aufgestellt worden sein soll.

43      Insoweit ist hervorzuheben, dass die Verordnung Nr. 423/2007 nach ihrem dritten Erwägungsgrund den Gemeinsamen Standpunkt 2007/140/GASP, der im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele der Resolution 1737 (2006) in der Europäischen Union angenommen wurde, durchführt und somit diese Resolution durchführen soll (vgl. entsprechend Urteile Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, Randnr. 54, sowie E und F, Randnr. 72). Folglich sind der Wortlaut und das Ziel dieser Resolution bei der Auslegung der Verordnung zu berücksichtigen.

44      Aus dem Wortlaut sowohl der Resolution 1737 (2006), insbesondere ihrer Ziff. 2 und 12, als auch des Gemeinsamen Standpunkts 2007/140/GASP, insbesondere seiner Erwägungsgründe 1 und 9, geht unmissverständlich hervor, dass mit den restriktiven Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran ein präventiver Zweck in dem Sinne verfolgt wird, dass damit eine „proliferationsrelevante“ nukleare Tätigkeit in diesem Staat verhindert werden soll. Nach der allgemeinen Systematik und dem allgemeinen Zweck sowohl der völkerrechtlichen Regelung als auch der Unionsregelung, deren Bestandteil Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 ist, ist für das Vorliegen eines Proliferationsrisikos auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die betreffenden Handlungen vorgenommen wurden.

45      Gerade im Hinblick auf die präventive Natur der restriktiven Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran wird der Begriff „wirtschaftliche Ressourcen“ für die Zwecke der Verordnung Nr. 423/2007 in Art. 1 Buchst. i dieser Verordnung definiert als alle Vermögenswerte, bei denen es sich nicht um Gelder handelt und die für den Erwerb insbesondere von Waren, die zur Verbreitung von Kernwaffen im Iran beitragen können, „verwendet werden können“.

46      Somit wird deutlich, dass das für die Anwendung dieses Begriffs – insbesondere im Kontext des in Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 aufgestellten Verbots – relevante Kriterium die Möglichkeit betrifft, dass der entsprechende Vermögenswert für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet wird, die zur Verbreitung von Kernwaffen im Iran beitragen können, gegen die mit der Resolution 1737 (2006), dem Gemeinsamen Standpunkt 2007/140/GASP und der Verordnung Nr. 423/2007 vorgegangen werden soll.

47      Da ein Vermögenswert im Sinne von Art. 1 Buchst. i der Verordnung Nr. 423/2007 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens für sich genommen die Gefahr in sich birgt, dass er für die Unterstützung der Verbreitung von Kernwaffen im Iran zweckentfremdet wird (vgl. entsprechend Urteile vom 29. April 2010, M u. a., C‑340/08, Slg. 2010, I‑3913, Randnr. 57, sowie E und F, Randnr. 77), wird für die Anwendung von Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung somit nicht verlangt, dass er mit der Vornahme der fraglichen Handlung sofort verwendungsbereit ist.

48      Die wirtschaftliche Ressource, die in einem Sinterofen, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, zu sehen ist, entspricht demnach für die Zwecke insbesondere der Anwendung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 seinem Nutzungspotenzial für die Herstellung von Bestandteilen von Nuklearraketen und damit für die Verbreitung von Kernwaffen im Iran, und zwar unabhängig davon, dass er nach seiner Lieferung und Aufstellung nicht sofort verwendungsbereit ist.

49      Daher kann der Umstand, dass ein solcher Ofen nach seiner Aufstellung im Iran noch nicht verwendungsbereit war, als solcher nicht dazu führen, dass ein Zurverfügungstellen einer wirtschaftlichen Ressource im Sinne von Art. 1 Buchst. i in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 auszuschließen wäre.

50      Wie ausdrücklich aus dem zweiten Teil seiner ersten Frage hervorgeht, stellt das vorlegende Gericht insbesondere auf den Begriff „mittelbares Zurverfügungstellen“ einer wirtschaftlichen Ressource im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 ab. Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung erklärt sich diese Präzisierung dadurch, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sinterofen an Emen Survey, die zur maßgebenden Zeit von Herrn Afrasiabi geleitet wurde, geliefert und bei ihr aufgestellt wurde. Dessen Name ist zwar in den Anhängen IV und V der Verordnung nicht verzeichnet, doch geht aus den Anklageschriften des Generalbundesanwalts hervor, dass er zugunsten der SHIG, einer in Anhang IV Titel A Nr. 10 der Verordnung genannten Einrichtung, tätig wurde und die Absicht hatte, mit Hilfe des Ofens zu einem späteren Zeitpunkt Bestandteile von Nuklearraketen für diese Einrichtung herzustellen.

51      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gemeinsame Standpunkt 2007/140/GASP, der mit der Verordnung Nr. 423/2007 durchgeführt werden soll, in seinem neunten Erwägungsgrund ebenso wie Ziff. 12 der Resolution 1737 (2006) eine Reihe von Umständen bezeichnet, die es rechtfertigen, neben Personen oder Einrichtungen, die nach Feststellung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen oder des Sanktionsausschusses an der Verbreitung von Kernwaffen im Iran beteiligt sind, direkt damit in Verbindung stehen oder Unterstützung dafür bereitstellen, andere Personen oder Einrichtungen einzubeziehen. Zu diesen Umständen gehört, dass die betreffende Person oder Einrichtung im Namen, unter der Kontrolle oder auf Weisung einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder dem Sanktionsausschuss gelisteten Person oder Einrichtung gehandelt hat.

52      Dieselben Umstände sind auch für die Beurteilung relevant, ob die Lieferung einer wirtschaftlichen Ressource an eine in den Anhängen IV und V der Verordnung Nr. 423/2007 nicht genannte Person oder Einrichtung für die Zwecke der Anwendung des in Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung aufgestellten Verbots und der im anwendbaren nationalen Recht für Verstöße gegen dieses Verbot vorgesehenen Sanktionen einer „mittelbaren Zurverfügungstellung“ im Sinne dieser Bestimmung an eine in diesen Anhängen genannte Person oder Einrichtung entspricht.

53      Sollte demnach, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, Herr Afrasiabi in der Ausgangsrechtssache im Namen, unter der Kontrolle oder auf Weisung der SHIG gehandelt und die Absicht verfolgt haben, den betreffenden Vermögenswert zugunsten der SHIG zu nutzen, könnte das vorlegende Gericht auf eine mittelbare Zurverfügungstellung einer wirtschaftlichen Ressource im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 schließen.

54      Hinzuweisen ist außerdem zum einen darauf, dass sowohl das mit der Verordnung Nr. 423/2007 verfolgte Ziel als auch die Notwendigkeit, die praktische Wirksamkeit dieser Verordnung bei der Bekämpfung einer Verbreitung von Kernwaffen im Iran zu gewährleisten, es gebieten, den Geltungsbereich des in Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung aufgestellten Verbots auf alle Personen zu erstrecken, die an nach dieser Vorschrift untersagten Handlungen beteiligt sind.

55      Zum anderen ist hervorzuheben, dass nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 423/2007 Personen nicht – und damit auch nicht strafrechtlich – haftbar gemacht werden können, wenn ihnen nicht bekannt war oder sie keinen triftigen Grund zu der Annahme hatten, dass sie durch ihr Handeln gegen das in Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung aufgestellte Verbot des Zurverfügungstellens verstoßen.

56      Folglich hat gegebenenfalls das vorlegende Gericht für jeden der Angeschuldigten zu beurteilen, ob ihm zum Zeitpunkt der Vornahme der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Handlungen bekannt war oder er zumindest triftigen Grund zu der Annahme hatte, dass diese Handlungen gegen das entsprechende Verbot verstoßen.

57      Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 423/2007 dahin auszulegen ist, dass das Verbot der mittelbaren Zurverfügungstellung einer wirtschaftlichen Ressource im Sinne von Art. 1 Buchst. i dieser Verordnung Handlungen umfasst, die die Lieferung eines funktionstüchtigen, jedoch noch nicht verwendungsbereiten Sinterofens in den Iran und seine Aufstellung dort zugunsten eines Dritten betreffen, der im Namen, unter der Kontrolle oder auf Weisung einer in den Anhängen IV und V dieser Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung handelt und beabsichtigt, den Ofen zu nutzen, um zugunsten einer solchen Person, Organisation oder Einrichtung Produkte herzustellen, die zur Verbreitung von Kernwaffen in diesem Staat beitragen können.

 Zur zweiten und zur dritten Frage

58      Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, ersucht das vorlegende Gericht um eine Auslegung von Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007. Es möchte insbesondere zum einen wissen, ob sich der Tatbestand eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 3 und der eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 4 dieser Verordnung in dem Sinne gegenseitig ausschließen, dass eine Handlung nur insoweit dem in der letztgenannten Bestimmung aufgestellten Umgehungsverbot unterliegen kann, als sie wegen ihres formalen Erscheinungsbilds nicht vom in Art. 7 Abs. 3 aufgestellten Verbot erfasst wird, oder ob das Umgehungsverbot vielmehr jede Handlung erfasst, die im Ergebnis zu einem Zurverfügungstellen einer wirtschaftlichen Ressource an eine in dieser Verordnung gelistete Person, Organisation oder Einrichtung führt.

59      Außerdem ersucht das vorlegende Gericht um nähere Angaben zu den in Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 verwendeten Begriffen „wissentlich“ und „vorsätzlich“.

60      Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber, indem er in Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 die Aktivitäten nennt, mit denen unmittelbar oder mittelbar die „Umgehung“ u. a. des in Art. 7 Abs. 3 aufgestellten Verbots bezweckt oder bewirkt wird, auf die Aktivitäten abstellt, die darauf abzielen oder zur Folge haben, den Handelnden der Anwendung dieses Verbots zu entziehen (vgl. entsprechend Urteile vom 3. Dezember 1974, van Binsbergen, 33/74, Slg. 1974, 1299, Randnr. 13, vom 10. Januar 1985, Association des Centres distributeurs Leclerc und Thouars Distribution, 229/83, Slg. 1985, 1, Randnr. 27, und vom 5. Oktober 1994, TV10, C‑23/93, Slg. 1994, I‑4795, Randnr. 21). Solche Aktivitäten unterscheiden sich von den Handlungen, mit denen formal gegen das Verbot der Zurverfügungstellung gemäß Abs. 3 verstoßen wird.

61      Nur bei einem solchen Verständnis, wonach sich Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 auf Aktivitäten bezieht, die sich nicht als nach Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung verbotene Handlungen des Zurverfügungstellens erfassen lassen, kann gewährleistet werden, dass Art. 7 Abs. 4 im Rahmen der Bekämpfung einer Verbreitung von Kernwaffen im Iran praktische Wirksamkeit und eine gegenüber Art. 7 Abs. 3 eigenständige Bedeutung hat.

62      Wie der Generalbundesanwalt, die französische und die italienische Regierung sowie die Kommission sinngemäß vortragen, ist das in Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 aufgestellte Verbot demnach so zu verstehen, dass es Aktivitäten erfasst, bei denen es sich aufgrund objektiver Umstände erweist, dass sie zwar unter dem Deckmantel einer Form vorgenommen werden, mit der eine Erfüllung des Tatbestands eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung vermieden wird (vgl. entsprechend Urteile vom 14. Dezember 2000, Emsland-Stärke, C‑110/99, Slg. 2000, I‑11569, Randnr. 52, und vom 21. Februar 2006, Halifax u. a., C‑255/02, Slg. 2006, I‑1609, Randnrn. 74 und 75), die jedoch als solche oder aufgrund ihres eventuellen Zusammenhangs mit anderen Aktivitäten unmittelbar oder mittelbar bezwecken oder bewirken, das mit Art. 7 Abs. 3 aufgestellte Verbot auszuhebeln.

63      Was sodann das in Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 genannte subjektive Element der Beteiligung betrifft, ist erstens mit der italienischen Regierung und der Kommission hervorzuheben, dass nach ständiger Rechtsprechung u. a. aus dem Erfordernis einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift dieses Rechts, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2011, Brüstle, C‑34/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64      Zweitens, wie die italienische Regierung und die Kommission vortragen, belegt die Verwendung der nebenordnenden Konjunktion „und“ in dieser Bestimmung eindeutig, dass die mit den Begriffen „wissentlich“ und „vorsätzlich“ bezeichneten Elemente kumulativ vorliegen müssen.

65      Drittens ist angesichts der von dem vorlegenden Gericht hervorgehobenen Unterschiede zwischen den verschiedenen Sprachfassungen des Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 – in einigen von ihnen heißt es, wie der Generalanwalt in Nr. 80 seiner Schlussanträge darlegt, „willentlich“ oder „absichtlich“ anstelle von „vorsätzlich“ – bei der Auslegung dieser Bestimmung auf die allgemeine Systematik und den Zweck der Regelung, deren Bestandteil diese Bestimmung ist, abzustellen, um ihre einheitliche Auslegung sicherzustellen (vgl. Urteil M u. a., Randnrn. 44 und 49).

66      Die Begriffe „wissentlich“ und „vorsätzlich“ implizieren für die Zwecke von Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 zum einen ein Wissens‑ und zum anderen ein Wollenselement.

67      Diese beiden kumulativen Elemente des Wissens und des Wollens liegen vor, wenn eine Person, die an einer von Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 erfassten Aktivität beteiligt ist, absichtlich den damit verbundenen unmittelbaren oder mittelbaren Umgehungszweck verfolgt oder auf eine entsprechende Wirkung abzielt. Sie sind ebenfalls erfüllt, wenn die fragliche Person es für möglich hält, dass ihre Beteiligung an einer solchen Aktivität diesen Zweck oder diese Wirkung hat, und dies billigend in Kauf nimmt.

68      Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 dahin auszulegen ist, dass

–        er Aktivitäten erfasst, die unter dem Deckmantel einer Form vorgenommen werden, mit der eine Erfüllung des Tatbestands eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung vermieden wird, jedoch unmittelbar oder mittelbar bezwecken oder bewirken, das mit dieser Bestimmung aufgestellte Verbot auszuhebeln;

–        die Begriffe „wissentlich“ und „vorsätzlich“ ein Wissens‑ und ein Wollenselement implizieren, die kumulativ erfüllt sein müssen, was dann der Fall ist, wenn die Person, die sich an einer Aktivität mit einem entsprechenden Zweck oder einer entsprechenden Wirkung beteiligt, diesen oder diese absichtlich anstrebt oder es zumindest für möglich hält, dass ihre Beteiligung diesen Zweck oder diese Wirkung hat, und dies billigend in Kauf nimmt.

 Kosten

69      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 7 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 des Rates vom 19. April 2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran ist dahin auszulegen, dass das Verbot der mittelbaren Zurverfügungstellung einer wirtschaftlichen Ressource im Sinne von Art. 1 Buchst. i dieser Verordnung Handlungen umfasst, die die Lieferung eines funktionstüchtigen, jedoch noch nicht verwendungsbereiten Sinterofens in den Iran und seine Aufstellung dort zugunsten eines Dritten betreffen, der im Namen, unter der Kontrolle oder auf Weisung einer in den Anhängen IV und V dieser Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung handelt und beabsichtigt, den Ofen zu nutzen, um zugunsten einer solchen Person, Organisation oder Einrichtung Produkte herzustellen, die zur Verbreitung von Kernwaffen in diesem Staat beitragen können.

2.      Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 ist dahin auszulegen, dass

–        er Aktivitäten erfasst, die unter dem Deckmantel einer Form vorgenommen werden, mit der eine Erfüllung des Tatbestands eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung vermieden wird, jedoch unmittelbar oder mittelbar bezwecken oder bewirken, das mit dieser Bestimmung aufgestellte Verbot auszuhebeln;

–        die Begriffe „wissentlich“ und „vorsätzlich“ ein Wissens‑ und ein Wollenselement implizieren, die kumulativ erfüllt sein müssen, was dann der Fall ist, wenn die Person, die sich an einer Aktivität mit einem entsprechenden Zweck oder einer entsprechenden Wirkung beteiligt, diesen oder diese absichtlich anstrebt oder es zumindest für möglich hält, dass ihre Beteiligung diesen Zweck oder diese Wirkung hat, und dies billigend in Kauf nimmt.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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