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Dokument 62009CJ0255

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 27. Oktober 2011.
Europäische Kommission gegen Portugiesische Republik.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Art. 49 EG - Soziale Sicherheit - Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs - In einem anderen Mitgliedstaat angefallene Krankheitskosten für ambulante Behandlungen - Nichterstattung oder von einer vorherigen Genehmigung abhängige Erstattung.
Rechtssache C-255/09.

Sammlung der Rechtsprechung 2011 I-10547

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2011:695

Rechtssache C-255/09

Europäische Kommission

gegen

Portugiesische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 49 EG – Soziale Sicherheit – Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs – In einem anderen Mitgliedstaat angefallene Krankheitskosten für ambulante Behandlungen – Nichterstattung oder von einer vorherigen Genehmigung abhängige Erstattung“

Leitsätze des Urteils

1.        Freier Dienstleistungsverkehr – Dienstleistungen – Begriff – In einem anderen Mitgliedstaat geleistete und vom Patienten bezahlte medizinische Versorgung – Einbeziehung

(Art. 49 EG)

2.        Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen – Krankenversicherung – In einem anderen Mitgliedstaat gewährte Leistungen

(Verordnung Nr. 1408/71 des Rates, Art. 22)

3.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Nationale Regelung über die Erstattung von Krankheitskosten, die in einem anderen Mitgliedstaat entstanden sind

(Art. 49 EG)

1.        Entgeltliche medizinische Leistungen fallen in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr, ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in einem Krankenhaus oder außerhalb eines solchen erbracht wird.

Außerdem schließt Art. 152 Abs. 5 EG nicht aus, dass die Mitgliedstaaten nach anderen Vertragsbestimmungen, wie Art. 49 EG, verpflichtet sind, Anpassungen in ihren nationalen Systemen der sozialen Sicherheit vorzunehmen, ohne dass dies als Eingriff in ihre souveräne Zuständigkeit in dem betreffenden Bereich angesehen werden könnte.

Der Umstand, dass eine nationale Regelung zum Bereich der sozialen Sicherheit gehört und insbesondere für die Krankenversicherung Sachleistungen und keine Erstattung vorsieht, schließt medizinische Behandlungen nicht vom Geltungsbereich dieser Grundfreiheit aus. Im Übrigen verliert eine medizinische Leistung nicht deshalb ihren Charakter als Dienstleistung im Sinne von Art. 49 EG, weil der Patient, nachdem er den ausländischen Dienstleistungserbringer für die erhaltene Behandlung bezahlt hat, später die Übernahme der Kosten dieser Behandlung durch einen nationalen Gesundheitsdienst beantragt.

Folglich ist Art. 49 EG auf das Gebiet der grenzüberschreitenden Behandlungen anwendbar.

(vgl. Randnrn. 46, 49-52)

2.        Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung Nr. 1992/2006 geänderten Fassung stellt keinen Grundsatz auf, nach dem für jede Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat eine vorherige Genehmigung erforderlich wäre.

Der Umstand, dass eine nationale Maßnahme möglicherweise einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts – wie dem angeführten Art. 22 – entspricht, hat nicht zur Folge, dass sie nicht an den Bestimmungen des Vertrags zu messen wäre. Zudem soll Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dem Versicherten, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, insbesondere dann erlauben, ohne zusätzliche Kosten Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers nach den Rechtsvorschriften des Staates zu erhalten, in dem die Leistungen erbracht werden, wenn dies wegen seines Gesundheitszustands erforderlich ist. Bei zweckgerichteter Auslegung regelt Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 hingegen nicht den Fall, dass die Kosten für eine in einem anderen Mitgliedstaat ohne vorherige Genehmigung erbrachte Behandlung zu den Sätzen erstattet werden, die im Versicherungsmitgliedstaat gelten, und hindert den letztgenannten Mitgliedstaat daher nicht an einer solchen Erstattung.

(vgl. Randnrn. 69-70)

3.        Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 EG, wenn er außer unter den Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung Nr. 1992/2006 geänderten Fassung nicht die Möglichkeit der Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen vorsieht, die nicht den Einsatz von in den nationalen Rechtsvorschriften abschließend aufgezählten kostspieligen Großgeräten erfordern, oder in den Fällen, in denen die nationale Regelung zur Festsetzung der Bedingungen für die Erstattung von im Ausland angefallenen Krankheitskosten die Möglichkeit der Kostenerstattung für diese Behandlungen vorsieht, die Erstattung von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung abhängig macht.

Zwar hindert eine solche Regelung die betroffenen Patienten nicht unmittelbar daran, sich an einen Erbringer medizinischer Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden, gleichwohl ist die Aussicht auf eine finanzielle Einbuße im Fall einer mit einer negativen Verwaltungsentscheidung einhergehenden Nichtübernahme der Krankheitskosten durch das nationale Gesundheitssystem für sich allein offensichtlich geeignet, sie abzuschrecken. Ein weiterer Abschreckungsfaktor für die Inanspruchnahme grenzüberschreitender Gesundheitsleistungen ist die Komplexität dieses Genehmigungsverfahrens, die besonders in seiner dreistufigen Ausgestaltung zum Tragen kommt. Da außerdem die nationale Regelung die Kostenübernahme für medizinische Versorgung im Ausland nur für den Ausnahmefall vorsieht, dass das nationale Gesundheitssystem nicht über eine Behandlungslösung für den diesem System angeschlossenen Kranken verfügt, ist diese Voraussetzung ihrer Art nach geeignet, die Zahl der Fälle, in denen eine Genehmigung erlangt werden kann, stark einzuschränken.

Eine solche Beschränkung wird nicht durch die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung der finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit gerechtfertigt, da sich aus den Verfahrensakten nicht ergibt, dass die Aufhebung des Erfordernisses der vorherigen Genehmigung für ambulante Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat ungeachtet der Sprachbarrieren, der räumlichen Entfernung und der Kosten eines Auslandsaufenthalts derart viele Patienten veranlassen würde, sich ins Ausland zu begeben, dass dadurch das finanzielle Gleichgewicht des nationalen Systems der sozialen Sicherheit erheblich gestört würde und infolgedessen das Gesamtniveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gefährdet wäre, was eine Beschränkung des elementaren Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen könnte.

Außerdem kann das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung für die Erstattung der Kosten der betreffenden medizinischen Versorgung nicht durch das auf Gründe des Gesundheitsschutzes gestützte Erfordernis einer Qualitätskontrolle der im Ausland erbrachten Gesundheitsleistungen gerechtfertigt werden. Auch die wesentlichen Merkmale des nationalen Systems, wie beispielsweise das Fehlen eines Mechanismus der Erstattung von Krankheitskosten und die Verpflichtung, vor der Konsultation eines Facharztes einen Allgemeinarzt aufzusuchen, erlauben es nicht, das Erfordernis einer solchen vorherigen Genehmigung zu rechtfertigen.

Sowohl die Gründe in Bezug auf den beschränkenden Charakter des Erfordernisses einer vorherigen Genehmigung als auch die Gründe in Bezug auf das Fehlen einer Rechtfertigung dieses Erfordernisses gelten erst recht für ambulante Behandlungen, für die überhaupt keine Erstattungsmöglichkeit besteht.

(vgl. Randnrn. 62-63, 76, 83-84, 88, 92, 95 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

27. Oktober 2011(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 49 EG – Soziale Sicherheit – Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs – In einem anderen Mitgliedstaat angefallene Krankheitskosten für ambulante Behandlungen – Nichterstattung oder von einer vorherigen Genehmigung abhängige Erstattung“

In der Rechtssache C‑255/09

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 9. Juli 2009,

Europäische Kommission, vertreten durch E. Traversa und M. França als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Portugiesische Republik, vertreten durch L. Inez Fernandes, L. Duarte, A. Veiga Correia und P. Oliveira als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Republik Finnland, vertreten durch A. Guimaraes-Purokoski als Bevollmächtigte,

Königreich Spanien, vertreten durch J. M. Rodríguez Cárcamo als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters J. Malenovský, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und D. Šváby (Berichterstatter),

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2011,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. April 2011

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG verstoßen hat, dass sie weder im Decreto-Lei Nr. 177/92 vom 13. August 1992 zur Festsetzung der Bedingungen für die Erstattung von im Ausland angefallenen Krankheitskosten (Diário da República I, Serie A, Nr. 186, S. 3926) noch in einer anderen Vorschrift des nationalen Rechts die Möglichkeit der Erstattung von Krankheitskosten für ambulante Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat außer unter den Voraussetzungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 (ABl. L 392, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) vorgesehen hat oder, falls das angeführte Decreto-Lei die Möglichkeit der Erstattung von Krankheitskosten für ambulante Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat vorsieht, die Erstattung von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung abhängig macht.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

2        Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

„Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfüllt und

a)      bei dessen Zustand sich Sachleistungen während eines Aufenthalts im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats unter Berücksichtigung der Art der Leistungen und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer als medizinisch notwendig erweisen,

oder

c)      der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten,

hat Anspruch auf:

i)      Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des [Aufenthaltsorts] nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre; die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich jedoch nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates;

…“

 Nationales Recht

3        Das Decreto-Lei Nr. 177/92 regelt die medizinische Versorgung der Versicherten des Serviço Nacional de Saúde (Nationaler Gesundheitsdienst Portugals, im Folgenden: SNS) im Ausland.

4        Art. 1 dieses Decreto-Lei sieht vor:

„1.      Das vorliegende Decreto-Lei Nr. 177/92 regelt die hochspezialisierte medizinische Versorgung im Ausland, die mangels technischer oder personeller Mittel nicht im Inland geleistet werden kann.

2.      Empfänger dieser Versorgungsleistungen sind die Anspruchsberechtigten des Nationalen Gesundheitsdienstes.

3.      Vorschläge für Überweisungen ins Ausland seitens privater Einrichtungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des vorliegenden Decreto-Lei.“

5        Art. 2 des Decreto-Lei Nr. 177/92, der die Voraussetzungen für die in Art. 6 des Decreto-Lei vorgesehene vollständige Erstattung von Krankheitskosten festlegt, bestimmt:

„Folgende Voraussetzungen sind für die Zuteilung der in Art. 6 vorgesehenen Vorteile notwendig:

a)      Das Vorliegen eines positiven krankenhausärztlichen Berichts, der vom behandelnden Arzt in ausführlicher Weise verfasst und vom zuständigen Dienststellenleiter bestätigt werden muss;

b)      die Bestätigung dieses Berichts durch den medizinischen Direktor des Krankenhauses, in dem der Patient behandelt worden ist;

c)      die positive Entscheidung des Generaldirektors für Krankenhäuser, auf der Grundlage einer Stellungnahme des technischen Dienstes.“

6        Art. 4 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 177/92 bestimmt in Bezug auf die Entscheidungsbefugnis und die Vorgehensweise:

„Dem Generaldirektor für Krankenhäuser obliegt es, unter Beachtung der in Art. 2 festgelegten Voraussetzungen über die von den Interessierten beantragte medizinische Pflege im Ausland zu entscheiden.“

 Vorgerichtliches Verfahren

7        Nach einem an alle Mitgliedstaaten gerichteten Auskunftsersuchen der Kommission vom 12. Juli 2002 über die Vereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften und Praktiken mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendung der Binnenmarktvorschriften auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung übermittelte die Portugiesische Republik mit Schreiben vom 17. Januar 2003 Informationen über die auf diesem Gebiet geltenden portugiesischen Rechtsvorschriften.

8        Am 28. Juli 2003 veröffentlichten die Dienststellen der Kommission einen zusammenfassenden Bericht mit dem Titel „Anwendung der Binnenmarktvorschriften im Bereich der Gesundheitsdienste – Durchführung der Rechtsprechung des Gerichtshofs durch die Mitgliedstaaten“ (SEK[2003] 900).

9        Auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Informationen richtete die Kommission am 18. Oktober 2006 ein Mahnschreiben an die Portugiesische Republik, in dem sie die Auffassung vertrat, dass diese dadurch ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG verletzt habe, dass sie im Decreto-Lei Nr. 177/92 die Erstattung von Krankheitskosten für ambulante Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat von einer vorherigen Genehmigung abhängig mache, die nur unter engen Voraussetzungen erteilt werde.

10      Mit Schreiben vom 12. Januar 2007 antwortete die Portugiesische Republik, dass es „schwer vorstellbar [ist], dass Gesundheitsleistungen den Grundsätzen des Binnenmarkts unterliegen könnten“, und dass „der vom portugiesischen Staat auf der Grundlage der ständigen Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften eingenommene Standpunkt … im weiten Sinne berücksichtigt werden und zu dem Ergebnis führen [kann], dass die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Erstattung von Kosten für Gesundheitsleistungen von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung abhängig machen“.

11      Angesichts dieser Antwort richtete die Kommission am 29. Juni 2007 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Portugiesische Republik, in der sie ihr mitteilte, dass ihre Antwort keine neuen Aspekte enthalte, die geeignet wären, die elementaren Grundsätze und die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs in Frage zu stellen, und sie aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Monaten nachzukommen.

12      In ihrer Antwort vom 4. September 2007 auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme machte die Portugiesische Republik geltend, dass „das Decreto-Lei Nr. 177/92 … einer Anwendung der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über den Zugang der portugiesischen Staatsbürger zur Gesundheitsversorgung innerhalb der Europäischen Union oder der im Vertrag über die Europäische Union verankerten Grundrechte der europäischen Bürger nicht entgegen[steht]“.

13      Am 12. Februar 2008 teilte die Portugiesische Republik der Kommission ihre Absicht mit, „weiterhin interne Überlegungen zu den finanziellen Auswirkungen des Systems anzustellen“, was aufgrund einer kürzlich erfolgten Regierungsumbildung eine zusätzliche Frist von mindestens einem Monat erfordere.

14      Auf ein am 18. Juni 2008 an sie gerichtetes Erinnerungsschreiben der Kommission hin bekräftigte die Portugiesische Republik mit Schreiben vom 24. Juli 2008 ihre in der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme vertretene Auffassung.

15      Am 15. April 2009 richtete die Kommission eine zusätzliche mit Gründen versehene Stellungnahme an die Portugiesische Republik, um die Tragweite des ihr vorgeworfenen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht näher darzulegen. Die Kommission führte aus, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs verstoßen habe, dass sie weder im Decreto-Lei Nr. 177/92 noch in einer anderen Vorschrift des nationalen Rechts die Möglichkeit der Kostenerstattung für in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte ambulante Leistungen vorsehe, soweit keiner der durch das Gemeinschaftsrecht in der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Fälle vorliege.

16      Mit Schreiben vom 15. Mai 2009 antworteten die portugiesischen Behörden auf die zusätzliche mit Gründen versehene Stellungnahme, dass „die Erstattung der den Anspruchsberechtigten des SNS für Behandlungen im Ausland entstandenen Kosten vom Decreto-Lei Nr. 177/92 vorgesehen“ sei und dass „die portugiesischen Rechtsvorschriften … die Erstattung der einem Anspruchsberechtigten des SNS im Ausland entstandenen Krankheitskosten auch dann nicht aus[schließen], wenn es sich um die Konsultation eines Facharztes handelt, sofern das Verfahren der vorherigen Bescheinigung der medizinischen Notwendigkeit beachtet wird“.

17      Da die Kommission diese Erläuterungen für unbefriedigend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

 Verfahren vor dem Gerichtshof

18      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. November 2009 sind das Königreich Spanien und die Republik Finnland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Portugiesischen Republik zugelassen worden. Die Republik Finnland hat jedoch weder Erklärungen eingereicht noch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.

19      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission, die vom Gerichtshof aufgefordert worden war, darzulegen, welche Folgerungen sie aus dem Urteil vom 5. Oktober 2010, Kommission/Frankreich (C‑512/08, Slg. 2010, I‑0000), und seinen Auswirkungen auf den vorliegenden Fall ziehe, erklärt, dass sie ihre Klage teilweise gemäß Art. 78 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zurücknehme.

20      Mit Schriftsatz vom 24. März 2011 hat die Kommission diese teilweise Rücknahme bestätigt und näher ausgeführt, dass ihre Klage sich nur noch auf die in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen mit Ausnahme bestimmter ärztlicher Leistungen beziehe, die, obwohl sie in einer Arztpraxis erbracht würden, den Einsatz von Großgeräten erforderten, die in den nationalen Rechtsvorschriften abschließend aufgezählt seien, wie beispielsweise Szintillationskameras mit oder ohne Positronen-Emissions-Koinzidenzdetektor, Emissions-Tomografen, Positronen-Kameras, Kernspintomografiegeräte oder Kernspinresonanzspektrometer für den klinischen Gebrauch, Scanner für den medizinischen Gebrauch, Überdruckkammern oder Zyklotronen für den medizinischen Gebrauch.

 Zur Klage

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

 Zur portugiesischen Regelung

21      Die Kommission führt aus, sie habe wegen der Unklarheit oder Widersprüchlichkeit der von der Portugiesischen Republik zur Frage der Erstattung von Krankheitskosten für ambulante Behandlungen übermittelten Informationen gewisse Schwierigkeiten gehabt, den Standpunkt der Portugiesischen Republik zu verstehen.

22      Aus der Antwort der Portugiesischen Republik auf den Fragebogen der Generaldirektion Binnenmarkt zur Vereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs habe sie geschlossen, dass das Decreto-Lei Nr. 177/92 ein nationaler Gesetzgebungsakt sei, der die anwendbaren Bestimmungen für die Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen enthalte.

23      In ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme habe die Portugiesische Republik allerdings vorgebracht, dass es in der portugiesischen Rechtsordnung auf dem Gebiet des Zugangs zu Gesundheitsleistungen keine Bestimmung gebe, die den Anspruch auf Erstattung von Krankheitskosten für ambulante Behandlungen in den Fällen, in denen der Anspruchsberechtigte des SNS sich an einen privaten Leistungserbringer im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat wende, von einer vorherigen Genehmigung abhängig mache, und dass das SNS in einer solchen Situation die Krankheitskosten für ambulante Behandlungen nicht erstatte. Die Kommission habe hieraus den Schluss gezogen, dass die portugiesische Rechtsordnung außer unter den Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1408/71 keine Möglichkeit der Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen vorsehe.

24      In ihrer Antwort auf die zusätzliche mit Gründen versehene Stellungnahme habe die Portugiesische Republik jedoch erklärt, dass „der Zugang zu Gesundheitsleistungen in einem anderen Mitgliedstaat … einem Verfahren [unterliegt], in dem die klinische Notwendigkeit bescheinigt werden [muss]“, was darauf hindeute, dass es in Portugal ein System der vorherigen Genehmigung für die Erstattung von Krankheitskosten für ambulante Behandlungen gebe, für die sich der Leistungsempfänger an einen privaten Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat gewandt habe.

25      Schließlich habe die Portugiesische Republik in ihrer Klagebeantwortung ausdrücklich eingeräumt, dass es keine Möglichkeit der Erstattung von Krankheitskosten für ambulante Behandlungen außer in den in der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Fällen gebe.

26      Die Portugiesische Republik bestreitet die angeblichen Unklarheiten bzw. Widersprüche in der Erläuterung der in Portugal geltenden Regelung. Sie erklärt hierzu, dass es in der portugiesischen Rechtsordnung zwei Möglichkeiten des Zugangs zu Gesundheitsleistungen im Ausland gebe, die einerseits durch die Verordnung Nr. 1408/71, vor allem ihren Art. 22, und andererseits durch das Decreto-Lei Nr. 177/92 vorgesehen seien, das „die hochspezialisierte medizinische Pflege im Ausland, die nicht im Inland geleistet werden kann“, regele.

27      Das Decreto-Lei Nr. 177/92 sei im Hinblick auf die Funktionsweise des SNS auszulegen und ziele auf die Anwendung des Gesetzes über die Grundlagen des Gesundheitswesens ab, d. h. das Gesetz Nr. 48/90 vom 24. August 1990, dessen Grundlage XXXV Abs. 2 vorsehe, dass „allein in dem Ausnahmefall, in dem es unmöglich ist, in Portugal eine Behandlung unter den erforderlichen Sicherheitsbedingungen zu gewährleisten und in dem diese Behandlung im Ausland durchgeführt werden kann, der Nationale Gesundheitsdienst die Kosten für diese Behandlung übernimmt“.

28      Das Decreto-Lei Nr. 177/92 sei als ein Instrument der Krankenhauspflege gedacht. Eine ärztliche Behandlung im Ausland sei möglich, sofern das portugiesische Gesundheitssystem mit seinen Kapazitäten im Netz der Krankenhausversorgung (öffentliches oder privates Netz) nicht über eine Behandlungslösung für den diesem System angeschlossenen Kranken verfüge. Diese Lösung ziele darauf ab, dem Kranken die von ihm benötigte Behandlung zukommen zu lassen und dabei Qualität und medizinische Effizienz zu garantieren.

29      Eine Behandlung im Ausland unterliege bestimmten Voraussetzungen, die im Decreto-Lei Nr. 177/92 festgelegt seien. Demnach müssten die Anträge auf hochspezialisierte medizinische Pflege im Ausland von den Krankenhäusern des nationalen Gesundheitssystems gestellt werden, wobei den Anträgen ein ausführlicher ärztlicher Bericht beigefügt werden müsse, der vom zuständigen Dienststellenleiter sowie vom medizinischen Direktor bestätigt werden müsse (Art. 2 Abs. 1 und 2). Die endgültige Entscheidung obliege dem Gesundheitsdirektor. Ferner müsse der medizinische Bericht eine Reihe von Angaben über den Gesundheitszustand des Patienten enthalten, die Behandlung darlegen sowie die Orte im Ausland nennen, an denen der Patient operiert bzw. behandelt werden solle. Sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien, habe der Patient Anspruch auf volle Erstattung der Kosten, einschließlich derjenigen für die Reise und den Aufenthalt des Patienten sowie eines Begleiters. Die Auszahlung erfolge über die jeweilige klinische Einheit, die für das Verfahren der vorherigen Bescheinigung zuständig sei (Art. 6).

30      Nach Ansicht der Portugiesischen Republik darf kein Unterschied zwischen Behandlungen innerhalb und außerhalb von Krankenhäusern gemacht werden. Stelle man auf das Kriterium der Art der mit der Erstellung der klinischen Bescheinigung beauftragten Einrichtung des Nationalen Gesundheitsdienstes ab, handele es sich um Krankenhausversorgung, während es sich, wenn man auf das Kriterium der erforderlichen Behandlung abstelle, um eine „hochspezialisierte medizinische Versorgung“ handele, die von dem ausländischen Krankenhausdienst oder der ausländischen Behandlungseinrichtung geleistet werde, was sowohl typische Leistungen einer Krankenhausstation (beispielsweise ein chirurgischer Eingriff) als auch mögliche medizinische Handlungen umfassen könne, die nicht unter diesen engen Begriff der Krankenhausversorgung fielen (fachärztliche Beratung).

31      Zudem sei das Verfahren der Bescheinigung der klinischen Notwendigkeit einer Behandlung im Ausland mit dem Verfahren der Überweisung an einen Facharzt vergleichbar.

32      Das System der medizinischen Versorgung im Ausland, wie es das Decreto-Lei Nr. 177/92 vorsehe, entspreche den Anforderungen oder den Strukturentscheidungen, die mit der Funktionsweise des SNS verknüpft seien, der zur Durchführung von Art. 64 der portugiesischen Verfassung geschaffen worden sei, nach dessen Abs. 2 das Recht auf Schutz der Gesundheit „durch ein nationales Gesundheitswesen verwirklicht [wird], das umfassend und allgemein und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Bürger tendenziell kostenlos ist“.

 Zum Unionsrecht

33      Die Kommission ist der Ansicht, dass die Portugiesische Republik ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG in seiner Auslegung durch den Gerichtshof nicht erfüllt habe. Nach dieser Rechtsprechung finde Art. 49 EG Anwendung, wenn ein Patient entgeltliche medizinische Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem seines Wohnsitzes erhalte. Das Decreto-Lei Nr. 177/92 zur Festsetzung der Bedingungen für die Erstattung von im Ausland angefallenen Krankheitskosten sehe jedoch außer unter den Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1408/71 nicht die Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen vor oder mache die Erstattung dieser Krankheitskosten für ambulante Behandlungen von einer unter engen Voraussetzungen erteilten vorherigen Genehmigung abhängig.

34      Die Kommission ist der Ansicht, die portugiesische Regelung der in einem anderen Mitgliedstaat erhaltenen ambulanten Behandlungen könne weder durch Gründe der öffentlichen Gesundheit noch durch das angebliche Bestehen einer schweren Gefahr für das finanzielle Gleichgewicht der Systeme der sozialen Sicherheit gerechtfertigt werden.

35      Die Portugiesische Republik macht geltend, es gebe keine Vertragsbestimmung, die den Unionsbürgern das Recht einräume, die Erstattung von Krankheitskosten für Behandlungen im Ausland zu verlangen, oder ihnen die uneingeschränkte Ausübung eines solchen Rechts gestatte, ohne dass es durch einen Mechanismus der vorherigen Genehmigung geregelt werde.

36      Nach Auffassung der Portugiesischen Republik zeichnet sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendbarkeit von Art. 49 EG auf grenzüberschreitende Gesundheitsleistungen durch ihren Mangel an Rechtssicherheit aus. Außerdem sei sie im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG entwickelt worden, was die Übertragung der gefundenen Lösungen auf den vorliegenden Fall verhindere.

37      Auch Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 mache die Erbringung von grenzüberschreitenden Gesundheitsleistungen von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung abhängig, und selbst wenn eine vorherige Genehmigung eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen könne, stehe Art. 49 EG einer solchen Genehmigung nicht entgegen, sofern sie von objektiven Kriterien abhänge, deren Erfüllung auch Voraussetzung für die Erstattung von Krankheitskosten für im Inland vorgenommene Behandlungen sei.

38      Außerdem weist die Portugiesische Republik darauf hin, dass Art. 49 EG in Einklang mit den anderen Vertragsbestimmungen gebracht werden müsse, und macht geltend, dass Art. 152 Abs. 5 EG einen Kompetenzvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten enthalte, dessen praktische Wirksamkeit jegliche Anwendung sonstiger Vertragsbestimmungen ausschließe, die die Befugnisse des nationalen Entscheidungsträgers in Bezug auf die Organisation, die Finanzierung und die Ausgestaltung des Modells des nationalen Gesundheitssystems aushöhlten.

39      Die Portugiesische Republik macht geltend, dass die vorherige Genehmigung durch die Notwendigkeit der Gewährleistung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit gerechtfertigt sei.

40      Das Königreich Spanien trägt vor, dass Art. 49 EG den Mitgliedstaaten keine Verpflichtung auferlege, positive Umsetzungsakte zu erlassen, zumal die europäische Richtlinie das im Unionsrecht ausdrücklich vorgesehene Rechtsinstrument sei, um solche Rechtsakte innerhalb der nationalen Rechtsordnungen vorzuschreiben. Art. 52 EG sehe ausdrücklich die Richtlinie als Mittel zur Liberalisierung des Binnenmarkts für Dienstleistungen vor.

41      Des Weiteren habe die Kommission nicht bewiesen, dass die Portugiesische Republik ihre Rechtsvorschriften unter Verletzung der Verpflichtungen aus Art. 49 EG anwende, etwa indem sie systematisch die im System vorgesehene Genehmigung für die Behandlung im Ausland verweigere.

42      Was die Vereinbarkeit der portugiesischen Rechtsvorschriften mit Art. 49 EG betreffe, stelle ein System, das eine vorherige Genehmigung vorsehe, nicht zwangsläufig eine ungerechtfertigte Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Es gebe zwingende Gründe des Allgemeinwohls, die ein solches System rechtfertigten, insbesondere im Rahmen von Gesundheitsleistungen innerhalb von Krankenhäusern.

43      In Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der streitigen Regelung sei zu prüfen, ob das portugiesische System ein administratives Genehmigungsverfahren einführe, das auf objektiven und nichtdiskriminierenden Kriterien beruhe, die den Betroffenen von vornherein bekannt seien und die erkennen ließen, wo die Grenzen des Beurteilungsspielraums der nationalen Behörden lägen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

44      Die Kommission wirft der Portugiesischen Republik nach der in Randnr. 20 des vorliegenden Urteils beschriebenen teilweisen Klagerücknahme vor, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG verstoßen zu haben, dass sie weder im Decreto-Lei Nr. 177/92 noch in einer anderen Vorschrift des nationalen Rechts eine Möglichkeit der Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen außer unter den Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1408/71 vorsieht oder in den Fällen, in denen das Decreto-Lei die Möglichkeit der Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen vorsieht, die Erstattung von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung abhängig macht.

45      Die Portugiesische Republik stellt unter Hinweis insbesondere auf Art. 152 Abs. 5 EG die Anwendbarkeit von Art. 49 EG im Bereich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in Abrede.

46      Hierzu ist auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, wonach entgeltliche medizinische Leistungen in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr fallen (vgl. u. a. Urteile vom 28. April 1998, Kohll, C‑158/96, Slg. 1998, I‑1931, Randnr. 29, und vom 5. Oktober 2010, Elchinov, C‑173/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 36), ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in einem Krankenhaus oder außerhalb eines solchen erbracht wird (Urteile vom 12. Juli 2001, Vanbraekel u. a., C‑368/98, Slg. 2001, I‑5363, Randnr. 41, vom 13. Mai 2003, Müller-Fauré und van Riet, C‑385/99, Slg. 2003, I‑4509, Randnr. 38, vom 16. Mai 2006, Watts, C‑372/04, Slg. 2006, I‑4325, Randnr. 86, sowie Kommission/Frankreich, Randnr. 30).

47      Zwar steht fest, dass das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt und dass in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene das Recht jedes Mitgliedstaats bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden (vgl. Urteil vom 27. Januar 2011, Kommission/Luxemburg, C‑490/09, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ferner ist festzustellen, dass nach Art. 152 Abs. 5 EG bei der Tätigkeit der Union im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt wird (vgl. Urteil Watts, Randnr. 146).

48      Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht beachten, insbesondere die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr (vgl. u. a. Urteile vom 12. Juli 2001, Smits und Peerbooms, C‑157/99, Slg. 2001, I‑5473, Randnrn. 44 bis 46, Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 100, Watts, Randnr. 92, Elchinov, Randnr. 40, vom 15. Juni 2010, Kommission/Spanien, C‑211/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 53, und Kommission/Luxemburg, Randnr. 32).

49      So hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 152 Abs. 5 EG nicht ausschließt, dass die Mitgliedstaaten nach anderen Vertragsbestimmungen, wie Art. 49 EG, verpflichtet sind, Anpassungen in ihren nationalen Systemen der sozialen Sicherheit vorzunehmen, ohne dass dies als Eingriff in ihre souveräne Zuständigkeit in dem betreffenden Bereich angesehen werden könnte (vgl. Urteile Watts, Randnr. 147, und Kommission/Luxemburg, Randnr. 45).

50      Ferner ist zu dem Vorbringen in Bezug auf die Rechtsnatur des portugiesischen nationalen Gesundheitssystems darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass eine nationale Regelung zum Bereich der sozialen Sicherheit gehört und insbesondere für die Krankenversicherung Sachleistungen und keine Erstattung vorsieht, medizinische Behandlungen nicht vom Geltungsbereich dieser Grundfreiheit ausschließt (vgl. in diesem Sinne Urteile Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 103, Watts, Randnr. 89, Kommission/Spanien, Randnr. 47, und Kommission/Luxemburg, Randnr. 36).

51      Im Übrigen verliert eine medizinische Leistung nicht deshalb ihren Charakter als Dienstleistung im Sinne von Art. 49 EG, weil der Patient, nachdem er den ausländischen Dienstleistungserbringer für die erhaltene Behandlung bezahlt hat, später die Übernahme der Kosten dieser Behandlung durch einen nationalen Gesundheitsdienst beantragt (Urteil Kommission/Spanien, Randnr. 47).

52      Folglich ist Art. 49 EG auf das Gebiet der grenzüberschreitenden Behandlungen anwendbar.

53      Somit ist zu prüfen, ob die streitige portugiesische Regelung gegen Art. 49 EG verstößt.

54      Nach gefestigter Rechtsprechung steht Art. 49 EG der Anwendung jeder nationalen Regelung entgegen, die die Leistung von Diensten zwischen den Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten im Inneren eines Mitgliedstaats erschwert (vgl. u. a. Urteil vom 19. April 2007, Stamatelaki, C‑444/05, Slg. 2007, I‑3185, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Um diese Prüfung durchzuführen, ist zunächst das von der portugiesischen Regelung vorgesehene System der Erstattung von Krankheitskosten für ambulante Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat zu erläutern.

56      Es steht fest, dass das Decreto-Lei Nr. 177/92 außerhalb der in der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Voraussetzungen, die nicht Gegenstand der vorliegenden Klage sind, die einzige portugiesische Regelung ist, die im Bereich der Kostenerstattung für im Ausland erbrachte ärztliche Versorgung gilt.

57      Hierzu ist zum einen festzustellen, dass Art. 1 des Decreto-Lei Nr. 177/92 vorsieht, dass dieses die „hochspezialisierte medizinische Versorgung im Ausland [regelt], die mangels technischer oder personeller Mittel nicht im Inland geleistet werden kann“.

58      Zum anderen sieht Art. 2 des Decreto-Lei Nr. 177/92 unter den in diesem Artikel festgelegten Voraussetzungen die Erstattung von Krankheitskosten für ambulante „hochspezialisierte“ medizinische Versorgung im Ausland vor, die in Portugal nicht geleistet werden kann. Dagegen besteht außer unter den Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1408/71 keine Möglichkeit der Erstattung von Krankheitskosten für ambulante Behandlungen im Ausland, die nicht vom Decreto-Lei Nr. 177/92 erfasst sind, wie die portugiesische Regierung in der mündlichen Verhandlung schließlich eingeräumt hat.

59      Unter diesen Umständen sind unter Berücksichtigung der teilweisen Klagerücknahme durch die Kommission nacheinander der Fall der „hochspezialisierten“ medizinischen Behandlungen, die nicht den Einsatz von in den nationalen Rechtsvorschriften abschließend aufgezählten kostspieligen Großgeräten erfordern und bei denen das Decreto-Lei Nr. 177/92 die Erstattung von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung abhängig macht (die nicht „schweren“ ambulanten Behandlungen, die vom Decreto-Lei Nr. 177/92 erfasst sind), und der Fall der nicht vom Decreto-Lei Nr. 177/92 erfassten ambulanten Behandlungen zu prüfen, für die das portugiesische Recht keine Erstattungsmöglichkeit vorsieht (die nicht „schweren“ ambulanten Behandlungen, die nicht vom Decreto-Lei Nr. 177/92 erfasst sind); diese beiden Fallgestaltungen entsprechen den beiden von der Kommission alternativ vorgebrachten Rügen.

 Zu den nicht „schweren“ ambulanten Behandlungen, die vom Decreto-Lei Nr. 177/92 erfasst sind

60      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, stellt das bloße Erfordernis einer vorherigen Genehmigung, von der die Kostenübernahme durch den zuständigen Träger gemäß der im Mitgliedstaat des Trägers geltenden Deckungsregelung für Behandlungen, die in einem anderen Mitgliedstaat geplant sind, abhängt, sowohl für die Patienten als auch für die Leistungserbringer eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, da ein solches System die Patienten davon abschreckt oder sogar daran hindert, sich an die Erbringer medizinischer Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden, um die fraglichen Behandlungen zu erhalten (vgl. in diesem Sinne Urteile Kohll, Randnr. 35, Smits und Peerbooms, Randnr. 69, Müller-Fauré und van Riet, Randnrn. 41, 44 und 103, Watts, Randnr. 98, sowie Kommission/Frankreich, Randnr. 32).

61      Im vorliegenden Fall macht das Decreto-Lei Nr. 177/92 die Erstattung von im Ausland entstandenen Krankheitskosten von einer dreifachen vorherigen Genehmigung abhängig. Gemäß Art. 2 dieses Decreto-Lei erfordert die Erstattung nämlich einen ausführlichen positiven ärztlichen Bericht, den der behandelnde Arzt des Patienten verfasst hat, die Bestätigung dieses Berichts durch den medizinischen Direktor des Krankenhauses und die positive Entscheidung des Generaldirektors für Krankenhäuser.

62      Zwar hindert die streitige Regelung die betroffenen Patienten nicht unmittelbar daran, sich an einen Erbringer medizinischer Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden, gleichwohl ist die Aussicht auf eine finanzielle Einbuße im Fall einer mit einer negativen Verwaltungsentscheidung einhergehenden Nichtübernahme der Krankheitskosten durch das nationale Gesundheitssystem für sich allein offensichtlich geeignet, sie abzuschrecken (vgl. in diesem Sinne Urteile Kohll, Randnr. 35, Smits und Peerbooms, Randnr. 69, sowie Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 44). Ein weiterer Abschreckungsfaktor für die Inanspruchnahme grenzüberschreitender Gesundheitsleistungen ist die Komplexität dieses Genehmigungsverfahrens, die besonders in seiner dreistufigen Ausgestaltung zum Tragen kommt.

63      Außerdem sieht das Decreto-Lei Nr. 177/92 die Kostenübernahme für medizinische Versorgung im Ausland nur für den Ausnahmefall vor, dass das portugiesische Gesundheitssystem nicht über eine Behandlungslösung für den diesem System angeschlossenen Kranken verfügt. Diese Voraussetzung ist ihrer Art nach geeignet, die Zahl der Fälle, in denen eine Genehmigung erlangt werden kann, stark einzuschränken (vgl. in diesem Sinne Urteile Smits und Peerbooms, Randnr. 64, sowie Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 42).

64      Dem Vorbringen der portugiesischen Regierung, das durch das Decreto-Lei Nr. 177/92 vorgeschriebene Verfahren der „vorherigen Bescheinigung der klinischen Notwendigkeit“ („referenciação prévia da necessidade clínica“) einer Auslandsbehandlung sei mit einer Überweisung an einen Facharzt im Inland vergleichbar, kann nicht gefolgt werden.

65      Zum einen hängt nämlich nach den Angaben, die von der portugiesischen Regierung in ihren Schriftsätzen vor dem Gerichtshof gemacht worden sind, der vom SNS garantierte Zugang zu spezialisierten Behandlungen im Inland lediglich von der Bescheinigung ihrer klinischen Notwendigkeit durch den behandelnden Arzt ab und nicht von einer dreifachen vorherigen Genehmigung, die der entspräche, die das Decreto-Lei Nr. 177/92 für die Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten vorsieht.

66      Zum anderen ist die in Randnr. 63 des vorliegenden Urteils genannte, sehr einschränkende Voraussetzung definitionsgemäß nicht auf Behandlungen in Portugal anwendbar.

67      Am beschränkenden Charakter des im Decreto-Lei Nr. 177/92 vorgesehenen Genehmigungsverfahrens ändert auch das Vorbringen nichts, dass die Empfänger von Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, die Behandlungen in Anspruch nehmen, die außerhalb des SNS von im Inland ansässigen Leistungserbringern vorgenommen werden, diese Behandlungen voll bezahlen.

68      Zur Beachtung der in Randnr. 54 des vorliegenden Urteils zitierten Rechtsprechung sind nämlich die Voraussetzungen dafür, dass dieser Dienst die Kosten einer in einem anderen Mitgliedstaat beabsichtigten Krankenhausbehandlung übernimmt, nicht mit der im nationalen Recht vorgesehenen Regelung für Leistungen der Krankenhausversorgung zu vergleichen, die Patienten in inländischen privaten Einrichtungen erhalten. Vielmehr sind sie mit den Voraussetzungen zu vergleichen, unter denen dieser Dienst derartige Leistungen in seinen eigenen Krankenhäusern erbringt (Urteil Watts, Randnr. 100).

69      Im Übrigen ist die Portugiesische Republik zu Unrecht der Auffassung, dass Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 den Grundsatz aufstelle, dass für jede Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat eine vorherige Genehmigung erforderlich sei.

70      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, hat der Umstand, dass eine nationale Maßnahme möglicherweise einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts – hier dem Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 – entspricht, nicht zur Folge, dass sie nicht an den Bestimmungen des Vertrags zu messen wäre. Zudem soll Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dem Versicherten, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, insbesondere dann erlauben, ohne zusätzliche Kosten Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers nach den Rechtsvorschriften des Staates zu erhalten, in dem die Leistungen erbracht werden, wenn dies wegen seines Gesundheitszustands erforderlich ist. Bei zweckgerichteter Auslegung regelt Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 hingegen nicht den Fall, dass die Kosten für eine in einem anderen Mitgliedstaat ohne vorherige Genehmigung erbrachte Behandlung zu den Sätzen erstattet werden, die im Versicherungsmitgliedstaat gelten, und hindert den letztgenannten Mitgliedstaat daher nicht an einer solchen Erstattung (Urteil Kohll, Randnrn. 25 bis 27).

71      Unter diesen Umständen ist die in Rede stehende vorherige Genehmigung als Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß Art. 49 EG anzusehen.

72      Nachdem eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs feststeht, ist zu prüfen, ob die streitige portugiesische Regelung durch zwingende Gründe gerechtfertigt werden kann, und in diesem Fall nach ständiger Rechtsprechung festzustellen, ob die betreffende Regelung nicht über dasjenige hinausgeht, was zu diesem Zweck objektiv notwendig ist, und das gleiche Ergebnis nicht durch weniger einschneidende Regelungen erreicht werden kann (vgl. Urteile vom 4. Dezember 1986, Kommission/Deutschland, 205/84, Slg. 1986, I‑3755, Randnrn. 27 und 29, vom 26. Februar 1991, Kommission/Italien, C‑180/89, Slg. 1991, I‑709, Randnrn. 17 und 18, sowie vom 20. Mai 1992, Ramrath, C‑106/91, Slg. 1992, I‑3351, Randnrn. 30 und 31).

–       Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit

73      Der Gerichtshof hat insoweit anerkannt, dass sich nicht ausschließen lässt, dass eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann (Urteil Kommission/Luxemburg, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

74      So hat er festgestellt, dass das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung unter bestimmten Voraussetzungen im Kontext von Krankenhausbehandlungen (vgl. u. a. Urteile Smits und Peerbooms, Randnrn. 76 bis 81, Müller-Fauré und van Riet, Randnrn. 76 bis 81, sowie Watts, Randnrn. 108 bis 110) sowie von medizinischen Behandlungen, die, auch wenn sie außerhalb von Krankenhäusern erbracht werden können, den Einsatz von in den nationalen Rechtsvorschriften abschließend aufgezählten kostspieligen Großgeräten erfordern (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Frankreich, Randnrn. 34 bis 42), aufgrund einer solchen Erwägung gerechtfertigt sein kann.

75      Was die nicht „schweren“ ambulanten Behandlungen angeht, die vom Decreto-Lei Nr. 177/92 erfasst werden, hat die portugiesische Regierung jedoch keine konkreten Angaben zur Untermauerung ihres Vorbringens gemacht, dass das finanzielle Gleichgewicht des SNS erheblich beeinträchtigt werden könnte, wenn den Versicherten das Recht gewährt würde, sich ohne vorherige Genehmigung zur Inanspruchnahme derartiger Leistungen in einen anderen Mitgliedstaat als den der Niederlassung ihrer Krankenkasse zu begeben.

76      Aus den Verfahrensakten ergibt sich nicht, dass die Aufhebung des Erfordernisses der vorherigen Genehmigung für diese Art der Versorgung ungeachtet der Sprachbarrieren, der räumlichen Entfernung und der Kosten eines Auslandsaufenthalts derart viele Patienten veranlassen würde, sich ins Ausland zu begeben, dass dadurch das finanzielle Gleichgewicht des portugiesischen Systems der sozialen Sicherheit erheblich gestört würde und infolgedessen das Gesamtniveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gefährdet wäre, was eine Beschränkung des elementaren Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen könnte.

77      Außerdem erfolgt die Versorgung im Allgemeinen in der Nähe des Wohnorts des Patienten in einer kulturellen Umgebung, die ihm vertraut ist und es ihm erlaubt, ein Vertrauensverhältnis zum behandelnden Arzt aufzubauen. Abgesehen von Notfällen begeben sich die Patienten vor allem in den Grenzgebieten oder zur Behandlung spezieller Erkrankungen ins Ausland (Urteil Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 96).

78      Diese verschiedenen Umstände erscheinen geeignet, die finanziellen Auswirkungen zu begrenzen, die die Aufhebung des Erfordernisses der vorherigen Genehmigung für eine Versorgung in der Praxis eines ausländischen Arztes auf den SNS haben könnte.

79      Auf jeden Fall ist es allein Sache der Mitgliedstaaten, den Umfang des Krankenversicherungsschutzes für die Versicherten zu bestimmen, die deshalb, wenn sie sich ohne vorherige Genehmigung zur Versorgung in einen anderen Mitgliedstaat als den der Niederlassung ihrer Krankenkasse begeben, die Übernahme der Kosten für ihre Versorgung nur insoweit verlangen können, als das Krankenversicherungssystem des Mitgliedstaats der Versicherungszugehörigkeit eine Deckung garantiert (Urteil Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 98).

–       Kontrolle der Qualität der im Ausland erbrachten Gesundheitsleistungen

80      Zum Vorbringen der Portugiesischen Republik, das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung sei notwendig, um die Qualität der erbrachten Leistungen sicherzustellen, ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten den freien Dienstleistungsverkehr aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zwar beschränken können, dass ihnen dies jedoch nicht erlaubt, den Gesundheitssektor als Wirtschaftssektor hinsichtlich des freien Dienstleistungsverkehrs vom elementaren Grundsatz des freien Verkehrs auszunehmen (Urteil Kohll, Randnrn. 45 und 46).

81      Der Gerichtshof hat im Fall von ambulanten Leistungen bereits entschieden, dass die Bedingungen für den Zugang und die Ausübung der entsprechenden Tätigkeiten Gegenstand mehrerer Koordinierungs- oder Harmonisierungsrichtlinien waren, so dass das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung nicht durch Erwägungen im Zusammenhang mit der Qualität der im Ausland erbrachten Leistungen gerechtfertigt werden kann (vgl. Urteil Kohll, Randnr. 49).

82      Jedenfalls macht das Decreto-Lei Nr. 177/92 die vorherige Genehmigung nicht von der Prüfung der Qualität der in einem anderen Mitgliedstaat erbrachten Behandlungen abhängig, sondern davon, dass sie in Portugal nicht verfügbar sind.

83      Mithin kann das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung für die Erstattung der fraglichen Krankheitskosten nicht durch Gründe des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden, die mit der Notwendigkeit einer Kontrolle der Qualität der im Ausland erbrachten Gesundheitsdienstleistungen zusammenhängen.

–       Wesentliche Merkmale des SNS

84      Die Portugiesische Republik macht geltend, das Verfahren der vorherigen Genehmigung werde durch die Besonderheit der Organisation und Funktionsweise des SNS gerechtfertigt, insbesondere durch das Fehlen eines Mechanismus der Erstattung von Krankheitskosten und die Verpflichtung, vor der Konsultation eines Facharztes einen Allgemeinarzt aufzusuchen.

85      Hierzu ist festzustellen, dass bereits im Rahmen der Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 diejenigen Mitgliedstaaten, die ein Sachleistungssystem oder sogar einen nationalen Gesundheitsdienst errichtet haben, auf jeden Fall verpflichtet sind, Mechanismen der nachträglichen Erstattung der Kosten für eine in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen durchgeführte Behandlung vorzusehen (Urteil Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 105).

86      Des Weiteren können dem Versicherten bei einer Versorgung in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Versicherungszugehörigkeit die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung entgegengehalten werden, soweit sie weder diskriminierend sind noch die Freizügigkeit behindern. Das gilt insbesondere für das Erfordernis, vor einem Facharzt zunächst einen Allgemeinarzt zu konsultieren (Urteil Müller‑Fauré und van Riet, Randnr. 106).

87      Schließlich hat der Gerichtshof unterstrichen, dass der zuständige Mitgliedstaat, der über ein Sachleistungssystem verfügt, durch nichts daran gehindert ist, die Erstattungsbeträge festzusetzen, auf die die Patienten, die in einem anderen Mitgliedstaat versorgt wurden, Anspruch haben, soweit diese Beträge auf objektiven, nichtdiskriminierenden und transparenten Kriterien beruhen (Urteil Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 107).

88      Folglich können die wesentlichen Merkmale des SNS das Erfordernis der vorherigen Genehmigung, das im Decreto-Lei Nr. 177/92 für die Erstattung von Krankheitskosten für in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte ambulante Behandlungen vorgesehen ist, nicht rechtfertigen.

89      Nach alledem hat die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG verstoßen, dass sie im Decreto-Lei Nr. 177/92 die Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für „hochspezialisierte“ ambulante Behandlungen, die nicht den Einsatz von abschließend in den nationalen Rechtsvorschriften aufgezählten kostspieligen Großgeräten erfordern, von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung abhängig macht.

 Zu den nicht „schweren“ ambulanten Behandlungen, die nicht vom Decreto-Lei Nr. 177/92 erfasst sind

90      Das Decreto-Lei Nr. 177/92 regelt nur die hochspezialisierte medizinische Versorgung im Ausland. Hieraus folgt, dass das portugiesische Recht für ambulante Behandlungen, die nicht vom Decreto-Lei Nr. 177/92 erfasst werden, außer unter den Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1408/71 keine Möglichkeit der Kostenerstattung vorsieht. Die Portugiesische Republik hat im Übrigen in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die Übernahme solcher in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen wie beispielsweise die Konsultation eines Allgemeinarztes oder Zahnarztes überhaupt nicht vorgesehen sei.

91      Die Portugiesische Republik hat kein Argument vorgebracht, das speziell die Vereinbarkeit dieser Verweigerung der Kostenübernahme mit Art. 49 EG in seiner Auslegung durch den Gerichtshof stützen würde.

92      Auf jeden Fall gelten sowohl die Gründe in Bezug auf den beschränkenden Charakter des Erfordernisses einer vorherigen Genehmigung als auch die Gründe in Bezug auf das Fehlen einer Rechtfertigung dieses Erfordernisses offenkundig erst recht für ambulante Behandlungen, für die überhaupt keine Erstattungsmöglichkeit besteht.

93      Folglich ist festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG verstoßen hat, dass sie außer unter den Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1408/71 keine Möglichkeit der Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen vorsieht, die nicht vom Decreto-Lei Nr. 177/92 erfasst sind.

94      Nach alledem ist die Klage der Kommission begründet.

95      Folglich ist festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG verstoßen hat, dass sie außer unter den Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1408/71 nicht die Möglichkeit der Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen vorsieht, die nicht den Einsatz von in den nationalen Rechtsvorschriften abschließend aufgezählten kostspieligen Großgeräten erfordern, oder in den Fällen, in denen das Decreto-Lei Nr. 177/92 die Möglichkeit der Kostenerstattung für diese Behandlungen vorsieht, die Erstattung von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung abhängig macht.

 Kosten

96      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 69 § 3 kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, u. a. wenn ein außergewöhnlicher Grund gegeben ist. Im vorliegenden Fall ist die Portugiesische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen, doch sind ihr während des gesamten Verfahrens Kosten für die Abwehr von Rügen entstanden, die die Kommission nach der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat. Unter diesen Umständen tragen die Kommission und die Portugiesische Republik ihre eigenen Kosten.

97      Gemäß Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen das Königreich Spanien und die Republik Finnland als Streithelfer ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG verstoßen, dass sie außer unter den Voraussetzungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 geänderten Fassung nicht die Möglichkeit der Erstattung von in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten für ambulante Behandlungen vorsieht, die nicht den Einsatz von in den nationalen Rechtsvorschriften abschließend aufgezählten kostspieligen Großgeräten erfordern, oder in den Fällen, in denen das Decreto-Lei Nr. 177/92 vom 13. August 1992 zur Festsetzung der Bedingungen für die Erstattung von im Ausland angefallenen Krankheitskosten die Möglichkeit der Kostenerstattung für diese Behandlungen vorsieht, die Erstattung von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung abhängig macht.

2.      Die Portugiesische Republik und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

3.      Das Königreich Spanien und die Republik Finnland tragen ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Portugiesisch.

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