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Dokument 62008CJ0128
Judgment of the Court (First Chamber) of 16 July 2009.#Jacques Damseaux v Belgian State.#Reference for a preliminary ruling: Tribunal de première instance de Liège - Belgium.#Free movement of capital - Taxation of investment income - Double taxation convention - Obligation of the Member States under Article 293 EC.#Case C-128/08.
Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 16. Juli 2009.
Jacques Damseaux gegen Belgischer Staat.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de première instance de Liège - Belgien.
Freier Kapitalverkehr - Besteuerung von Kapitalerträgen - Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung - Pflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 293 EG.
Rechtssache C-128/08.
Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 16. Juli 2009.
Jacques Damseaux gegen Belgischer Staat.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de première instance de Liège - Belgien.
Freier Kapitalverkehr - Besteuerung von Kapitalerträgen - Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung - Pflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 293 EG.
Rechtssache C-128/08.
Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-06823
ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2009:471
Rechtssache C‑128/08
Jacques Damseaux
gegen
État belge
(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de première instance de Liège)
„Freier Kapitalverkehr – Besteuerung von Kapitalerträgen – Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – Pflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 293 EG“
Leitsätze des Urteils
1. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen
(Art. 234 EG)
2. Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht – Dividendenbesteuerung
(Art. 56 EG)
1. Der Gerichtshof ist im Rahmen von Art. 234 EG nicht dafür zuständig, darüber zu befinden, ob ein vertragschließender Mitgliedstaat gegebenenfalls die Bestimmungen bilateraler Abkommen verletzt hat, die die Mitgliedstaaten geschlossen haben, um die nachteiligen Wirkungen, die sich aus dem Nebeneinander nationaler Steuersysteme ergeben, zu beseitigen oder abzumildern. Der Gerichtshof kann auch das Verhältnis zwischen einer nationalen Maßnahme und einem Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung nicht prüfen, da diese Frage nicht die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betrifft.
(vgl. Randnr. 22)
2. Da das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand in Bezug auf die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft keine allgemeinen Kriterien für die Verteilung der Befugnisse der Mitgliedstaaten untereinander vorschreibt, steht Art. 56 EG einem bilateralen Steuerabkommen nicht entgegen, nach dem die Dividenden, die von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anteilseigner gezahlt werden, in beiden Mitgliedstaaten besteuert werden können und das für den Wohnsitzmitgliedstaat des Anteilseigners keine unbedingte Verpflichtung zur Verhinderung der sich daraus ergebenden juristischen Doppelbesteuerung vorsieht.
Dividenden, die von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anteilseigner ausgeschüttet werden, können nämlich Gegenstand einer rechtlichen Doppelbesteuerung sein, wenn sich beide Mitgliedstaaten dafür entscheiden, ihre Steuerhoheit auszuüben und die Dividenden beim Anteilseigner zu besteuern. Die Nachteile, die sich aus der parallelen Ausübung der Besteuerungsbefugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben können, stellen keine nach dem EG-Vertrag verbotenen Beschränkungen dar, sofern eine solche Ausübung nicht diskriminierend ist.
Insoweit liefe es, würde man in einem Fall, in dem sowohl der Ursprungsmitgliedstaat der Dividenden als auch der Wohnsitzmitgliedstaat des Anteilseigners die Dividenden besteuern können, davon ausgehen, dass es zwangsläufig Sache des Wohnsitzmitgliedstaats ist, die Doppelbesteuerung zu verhindern, darauf hinaus, dem Ursprungsmitgliedstaat Vorrang bei der Besteuerung dieser Art von Einkünften einzuräumen. Auch wenn eine solche Verteilung der Befugnisse namentlich mit der internationalen Rechtspraxis in Einklang stünde, wie sie sich in dem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ausgearbeiteten Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen widerspiegelt, steht doch fest, dass das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand und in einer solchen Situation in Bezug auf die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft keine allgemeinen Kriterien für die Verteilung der Befugnisse der Mitgliedstaaten untereinander vorschreibt. Folglich bedeutet, auch wenn ein Mitgliedstaat aus einem bilateralen Abkommen keine Einwände herleiten kann, um seinen Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag zu entgehen, der Umstand, dass sowohl der Ursprungsmitgliedstaat der Dividenden als auch der Wohnsitzmitgliedstaat des Anteilseigners die Dividenden besteuern können, nicht, dass der Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund des Gemeinschaftsrechts Vorkehrungen gegen die Nachteile zu treffen hätte, die sich aus der Ausübung der auf diese Weise zwischen den beiden Mitgliedstaaten verteilten Befugnis ergeben könnten.
(vgl. Randnrn. 26-27, 32-35 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
16. Juli 2009(*)
„Freier Kapitalverkehr – Besteuerung von Kapitalerträgen – Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – Pflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 293 EG“
In der Rechtssache C‑128/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal de première instance de Liège (Belgien) mit Entscheidung vom 20. März 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 28. März 2008, in dem Verfahren
Jacques Damseaux
gegen
État belge
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. Ilešič, A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter) und J.‑J. Kasel,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Herrn Damseaux, vertreten durch E. Traversa, avocat,
– der belgischen Regierung, vertreten durch J.‑C. Halleux als Bevollmächtigten,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
– der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.‑C. Gracia als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Noort, C. Wissels und Y. de Vries als Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth und S. Ford als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und J.‑P. Keppenne als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 EG und 293 EG.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Damseaux und dem belgischen Fiskus über die Besteuerung von Dividenden in Belgien, die Herr Damseaux von einer Gesellschaft mit Sitz in Frankreich bezogen und dort bereits versteuert hatte.
Rechtlicher Rahmen
3 Art. 15 des zwischen Belgien und Frankreich am 10. März 1964 geschlossenen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Festlegung von Regeln über die gegenseitige Verwaltungs- und Rechtshilfe im Bereich der Einkommensteuer in der durch die am 8. Februar 1999 in Brüssel unterzeichnete Zusatzvereinbarung geänderten Fassung (im Folgenden: französisch-belgisches Abkommen) bestimmt:
„(1) Dividenden, die ihren Ursprung in einem Vertragsstaat haben und an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person gezahlt werden, können in dem anderen Staat besteuert werden.
(2) Diese Dividenden können jedoch vorbehaltlich Abs. 3 in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden; die Steuer darf aber nicht übersteigen:
…
b) 15 % des Bruttobetrags der Dividenden …
Dieser Absatz berührt nicht die Besteuerung der Gesellschaft in Bezug auf die Gewinne, aus denen die Dividenden gezahlt werden.
…
(4) Sofern eine in Belgien ansässige Person, die von einer in Frankreich ansässigen Gesellschaft Dividenden bezieht, keine Zahlungen nach Abs. 3 erhält, kann sie die Erstattung der auf diese Dividenden entfallenen Vorsteuer, die gegebenenfalls von der ausschüttenden Gesellschaft entrichtet wurde, beantragen. Frankreich kann auf den erstatteten Betrag Quellensteuer nach Abs. 2 zu dem Steuersatz erheben, der für die Dividenden gilt, auf die sich die erstatteten Beträge beziehen.
…“.
4 In Art. 19 des französisch-belgischen Abkommens heißt es:
„Die Doppelbesteuerung wird wie folgt vermieden:
A. In Belgien:
(1) Einkünfte und Erträge aus Kapitalvermögen im Sinne der Regelung des Art. 15 Abs. 2 bis 4, für die in Frankreich tatsächlich Quellensteuer entrichtet worden ist und die von in Belgien ansässigen Gesellschaften bezogen werden, die dafür zur Körperschaftsteuer veranlagt werden, sind durch die Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs zum Normalsteuersatz auf den französischen Steuerbetrag von der Körperschaftsteuer und der Ausschüttungssteuer nach den vom innerstaatlichen belgischen Recht vorgesehenen Bedingungen befreit.
Für von anderen in Belgien ansässigen Personen bezogene Einkünfte und Erträge im Sinne des vorstehenden Absatzes …, für die in Frankreich tatsächlich Quellensteuer entrichtet worden ist, verringert sich die in Belgien auf den Nettobetrag des französischen Einbehalts fällige Steuer zum einen um den zum Normalsteuersatz erhobenen Mobiliensteuervorabzug und zum anderen um den Pauschalbetrag der ausländischen Steuer, der gemäß den vom belgischen Recht festgelegten Bedingungen abzugsfähig ist, ohne dass dieser Pauschalbetrag weniger als 15 vom Hundert des genannten Nettobetrags betragen darf.
Bei Dividenden im Sinne der Regelung des Art. 15 Abs. 2 und 3, die an eine in Belgien ansässige natürliche Person gezahlt werden, kann diese Person bezüglich dieser Einkünfte anstatt der Anrechnung des vorstehend genannten Pauschalbetrags der ausländischen Steuer die Verrechnung des Steuerguthabens zu dem Steuersatz und gemäß den Bedingungen verlangen, die vom belgischen Recht zugunsten der von in Belgien ansässigen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden vorgesehen sind, sofern sie dies spätestens innerhalb der Frist für die Abgabe der Jahressteuererklärung schriftlich beantragt.
…“
5 Art. 171 des durch den Königlichen Erlass vom 10. April 1992 koordinierten und durch das Gesetz vom 12. Juni 1992 bestätigten Einkommensteuergesetzbuchs (Beilage zum Belgischen Staatsblatt vom 30. Juli 1992, im Folgenden EStGB 1992) bestimmt:
„In Abweichung von den Artikeln 130 bis 168 sind getrennt steuerpflichtig, außer wenn die derart berechnete Steuer erhöht um die Steuer in Bezug auf die anderen Einkünfte höher ist als die Steuer, die aus der Anwendung vorerwähnter Artikel auf die Gesamtheit der steuerpflichtigen Einkünfte hervorgehen würde:
…
2bis. zum Steuersatz von 15 %:
…
b) in Artikel 269 Absatz 2 Nr. 2, Absatz 3 und Absatz 11 erwähnte Dividenden“.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
6 Herr Damseaux, der in Belgien ansässig ist, bezog in den Jahren 2005 bis 2007 Dividenden von der in Frankreich ansässigen Aktiengesellschaft Total, an der er 5 463 Aktien hielt.
7 Auf diese Dividenden wurde zunächst in Frankreich Quellensteuer in Höhe von 25 % einbehalten. Nach Art. 15 Abs. 2 des französisch-belgischen Abkommens konnte Herr Damseaux die Erstattung eines Teils dieses Einbehalts beantragen, so dass die Dividenden in Frankreich nur mit 15 % besteuert wurden.
8 Auf den nach dieser Besteuerung verbleibenden Restbetrag wurde in Belgien ein Mobiliensteuervorabzug in Höhe von 15 % erhoben.
9 Da Herr Damseaux der Ansicht war, dass seine aus Frankreich stammenden Dividenden höher besteuert würden als Dividenden belgischen Ursprungs und dass das Königreich Belgien, nachdem es sich mit einer Quellenbesteuerung durch die Französische Republik einverstanden erklärt habe, als sein Wohnsitzstaat zwecks Beseitigung der Doppelbesteuerung die Anrechnung der französischen Steuer auf den belgischen Mobiliensteuervorabzug zulassen oder auf Letzteren verzichten müsse, legte er Einspruch gegen die Steuerbescheide der belgischen Finanzverwaltung betreffend die bezogenen Dividenden ein.
10 Nachdem die belgische Finanzverwaltung die Einsprüche mit der Begründung zurückgewiesen hatte, dass Art. 15 des französisch-belgischen Abkommens die Besteuerung der Dividenden sowohl in Frankreich als auch in Belgien vorsehe, erhob Herr Damseaux Klage beim Tribunal de première instance de Liège.
11 Dieses ist der Ansicht, dass in Belgien Ansässige trotz objektiv vergleichbarer Lage unterschiedlich besteuert würden, je nachdem, ob sie Dividenden von einer in Belgien oder von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft bezögen. Während nämlich die von einer ausländischen Gesellschaft an eine in Belgien ansässige Person gezahlten Dividenden einer internationalen juristischen Doppelbesteuerung unterlägen, würden die von belgischen Gesellschaften an in Belgien ansässige Personen gezahlten Dividenden nach Art. 171 Abs. 2bis Buchst. b ESTGB 1992 nur zu einem Satz von 15 % besteuert und unterlägen keiner Doppelbesteuerung.
12 Nach dem Hinweis darauf, dass das französisch-belgische Abkommen nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache gewesen sei, in der das Urteil vom 14. November 2006, Kerckhaert und Morres (C‑513/04, Slg. 2006, I‑10967), ergangen sei, führt das Tribunal de première instance de Liège aus, dass das genannte Abkommen Bestandteil des belgischen Steuerrechts sei und deshalb mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehen müsse. Das vorlegende Gericht weist auch darauf hin, dass das Königreich Belgien nichts unternommen habe, um die Doppelbesteuerung der betreffenden Dividenden zu beseitigen.
13 Unter diesen Umständen hat das Tribunal de première instance de Liège beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 56 EG dahin auszulegen, dass er eine Beschränkung untersagt, die sich aus dem französisch-belgischen Abkommen ergibt und die für Dividenden auf Anteile an in Frankreich ansässigen Gesellschaften eine teilweise Doppelbesteuerung fortbestehen lässt und zu einer höheren Besteuerung dieser Dividenden führt als allein der belgische Mobiliensteuervorabzug, der auf die Dividenden erhoben wird, die von belgischen Gesellschaften an in Belgien ansässige Anteilseigner gezahlt werden?
2. Ist Art. 293 EG dahin auszulegen, dass es dem Königreich Belgien als schuldhafte Untätigkeit anzulasten ist, dass es mit der Französischen Republik keine neue Vorgehensweise zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von Dividenden auf Anteile an in Frankreich ansässigen Gesellschaften nachverhandelt hat?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
14 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 56 EG einem bilateralen Steuerabkommen entgegensteht, nach dem Dividenden, die von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anteilseigner ausgeschüttet werden, in beiden Mitgliedstaaten besteuert werden können, ohne dass der Wohnsitzmitgliedstaat des Anteilseigners Vorkehrungen gegen die daraus folgende Doppelbesteuerung trifft.
15 Hier können nach Art. 15 des französisch-belgischen Abkommens die Dividenden, die ihren Ursprung in einem Vertragsstaat haben und an eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person gezahlt werden, in diesem anderen Staat besteuert werden, doch kann auf sie in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, eine Steuer erhoben werden, die 15 % des Bruttobetrags der Dividenden nicht übersteigen darf.
16 Wenn somit die Dividenden, die von einer in Frankreich ansässigen Gesellschaft an einen in Belgien ansässigen Anteilseigner ausgeschüttet werden, in beiden Mitgliedstaaten besteuert werden können, sind, wie vom vorlegenden Gericht im Übrigen dargelegt, dem französisch-belgischen Abkommen doch auch Bestimmungen zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung zu entnehmen.
17 Nach Art. 19 Teil A Abs. 1 Unterabs. 2 des französisch-belgischen Abkommens verringert sich nämlich für Dividenden, die von in Belgien ansässigen Anteilseignern bezogen und in Frankreich an der Quelle besteuert werden, die in Belgien auf den Nettobetrag des französischen Einbehalts fällige Steuer zum einen um den zum Normalsteuersatz erhobenen Mobiliensteuervorabzug und zum anderen um den Pauschalbetrag der ausländischen Steuer, der gemäß den vom belgischen Recht festgelegten Bedingungen abzugsfähig ist, ohne dass dieser Pauschalbetrag weniger als 15 % des genannten Nettobetrags betragen darf. Nach Art. 19 Teil A Abs. 1 Unterabs. 3 des französisch-belgischen Abkommens kann bei Dividenden im Sinne der Regelung des Art. 15 Abs. 2 und 3 dieses Abkommens, die an eine in Belgien ansässige natürliche Person gezahlt werden, diese Person bezüglich dieser Einkünfte anstatt der Anrechnung des vorstehend genannten Pauschalbetrags der ausländischen Steuer die Verrechnung des Steuerguthabens zu dem Steuersatz und gemäß den Bedingungen verlangen, die vom belgischen Recht zugunsten der von in Belgien ansässigen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden vorgesehen sind, sofern sie dies spätestens innerhalb der Frist für die Abgabe der Jahressteuererklärung schriftlich beantragt.
18 Die französische Regierung hat insoweit geltend gemacht, die erste Frage brauche nicht beantwortet zu werden, da das französisch-belgische Abkommen bezwecke und bewirke, die Doppelbesteuerung von Dividenden zu beseitigen, die von in Frankreich ansässigen Gesellschaften an in Belgien ansässige Anteilseigner gezahlt würden.
19 Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist ebenfalls der Auffassung, dass die Doppelbesteuerung der von einem in Belgien ansässigen Anteilseigner bezogenen französischen Dividenden bei ordnungsgemäßer Anwendung von Art. 19 Teil A des französisch-belgischen Abkommens durch das Königreich Belgien verhindert würde. Dieses wende die besagte Bestimmung aber nicht an, da die belgische Regelung die Modalitäten für die Anrechnung des Pauschalbetrags nicht mehr vorsehe, was nicht nur das französisch-belgische Abkommen verletze, sondern auch eine nach Art. 56 EG verbotene Diskriminierung darstelle.
20 Im Rahmen des Verfahrens nach Art. 234 EG ist es nicht Sache des Gerichtshofs, Art. 19 Teil A des französisch-belgischen Abkommens auszulegen und die daraus folgenden Verpflichtungen festzustellen, denn eine solche Auslegung fällt in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte.
21 Wenn das betreffende nationale Gericht bei dieser Auslegung zu dem Ergebnis gelangt, dass Art. 19 Teil A des französisch-belgischen Abkommens eine Verpflichtung für das Königreich Belgien enthält, die Doppelbesteuerung durch den Pauschalbetrag oder eine Steuergutschrift zu verhindern, so kommt es ihm auch zu, gemäß dem nationalen Recht die Folgen zu bestimmen, die sich aus der fehlenden Umsetzung der besagten Bestimmung ergeben.
22 Nach der Rechtsprechung ist der Gerichtshof nämlich im Rahmen von Art. 234 EG nicht dafür zuständig, darüber zu befinden, ob ein vertragsschließender Mitgliedstaat gegebenenfalls die Bestimmungen bilateraler Abkommen verletzt hat, die die Mitgliedstaaten geschlossen haben, um die nachteiligen Wirkungen, die sich aus dem Nebeneinander nationaler Steuersysteme ergeben, zu beseitigen oder abzumildern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2007, Columbus Container Services, C‑298/05, Slg. 2007, I‑10451, Randnr. 46). Der Gerichtshof kann auch das Verhältnis zwischen einer nationalen Maßnahme und einem Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden bilateralen Steuerabkommen nicht prüfen, da diese Frage nicht die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Dezember 2000, AMID, C‑141/99, Slg. 2000, I‑11619, Randnr. 18, sowie Columbus Container Services, Randnr. 47).
23 Der Formulierung der ersten Frage ist jedoch zu entnehmen, dass das vorlegende Gericht davon ausgeht, dass das französisch-belgische Abkommen eine rechtliche Doppelbesteuerung der Dividenden, die von in Frankreich ansässigen Gesellschaften an in Belgien ansässige Anteilseigner gezahlt werden, fortbestehen lässt. Folglich ist die erste Frage des vorlegenden Gerichts so zu verstehen, dass dieses damit wissen möchte, ob Art. 56 EG einem bilateralen Steuerabkommen wie dem im Ausgangsverfahren betroffenen entgegensteht, nach dem die Dividenden, die von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anteilseigner gezahlt werden, in beiden Mitgliedstaaten besteuert werden können und das für den Wohnsitzmitgliedstaat des Anteilseigners keine unbedingte Verpflichtung zur Verhinderung der sich daraus ergebenden Doppelbesteuerung vorsieht.
24 Dazu ist zu beachten, dass zwar die direkten Steuern in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, diese jedoch ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen (vgl. u. a. Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C‑446/03, Slg. 2005, I‑10837, Randnr. 29, vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C‑196/04, Slg. 2006, I‑7995, Randnr. 40, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C‑374/04, Slg. 2006, I‑11673, Randnr. 36, und vom 8. November 2007, Amurta, C‑379/05, Slg. 2007, I‑9569, Randnr. 16).
25 Insbesondere ist es Sache jedes Mitgliedstaats, unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts sein System der Besteuerung von Gewinnausschüttungen zu organisieren und in diesem Rahmen die auf den empfangenden Anteilsinhaber anwendbare Besteuerungsgrundlage und den für ihn geltenden Steuersatz zu bestimmen (vgl. u. a. Urteile Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 50, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑446/04, Slg. 2006, I‑11753, Randnr. 47, und vom 20. Mai 2008, Orange European Smallcap Fund, C‑194/06, Slg. 2008, I‑3747, Randnr. 30).
26 Daraus folgt zum einen, dass Dividenden, die von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anteilseigner ausgeschüttet werden, Gegenstand einer rechtlichen Doppelbesteuerung sein können, wenn sich beide Mitgliedstaaten dafür entscheiden, ihre Steuerhoheit auszuüben und die Dividenden beim Anteilseigner zu besteuern.
27 Zum anderen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Nachteile, die sich aus der parallelen Ausübung der Besteuerungsbefugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben können, keine nach dem EG-Vertrag verbotenen Beschränkungen darstellen, sofern eine solche Ausübung nicht diskriminierend ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Kerckhaert und Morres, Randnrn. 19, 20 und 24, sowie Orange European Smallcap Fund, Randnrn. 41, 42 und 47).
28 Zwar gehört die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu den Zielen des EG-Vertrags, doch ist festzustellen, dass bis heute – abgesehen vom Übereinkommen vom 23. Juli 1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (ABl. L 225, S. 10) – die Mitgliedstaaten kein multilaterales Übereinkommen nach Art. 293 EG mit diesem Ziel geschlossen haben (vgl. Urteil vom 12. Mai 1998, Gilly, C‑336/96, Slg. 1998, I‑2793, Randnr. 23).
29 Auch ist mit Ausnahme der Richtlinien 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6) und 2003/48/EG des Rates vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen (ABl. L 157, S. 38) bis heute im Rahmen des Gemeinschaftsrechts keine Maßnahme der Vereinheitlichung oder Harmonisierung zum Zweck der Beseitigung von Doppelbesteuerungstatbeständen erlassen worden (vgl. u. a. Urteil Orange European Smallcap Fund, Randnr. 32).
30 In Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen bleiben die Mitgliedstaaten befugt, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (Urteile Gilly, Randnrn. 24 und 30, vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN, C‑307/97, Slg. 1999, I‑6161, Randnr. 57, Amurta, Randnr. 17, sowie Orange European Smallcap Fund, Randnr. 32). Es ist ihre Sache, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Doppelbesteuerungssituationen zu vermeiden, indem sie u. a. die in der internationalen Besteuerungspraxis befolgten Kriterien anwenden (vgl. Urteil Kerckhaert und Morres, Randnr. 23).
31 Wie oben in Randnr. 15 ausgeführt, können im vorliegenden Fall die Dividenden, die von einer in Frankreich ansässigen Gesellschaft an eine in Belgien ansässige Person gezahlt werden, nach der zwischen der Französischen Republik und dem Königreich Belgien vereinbarten Verteilung der Steuerbefugnisse in beiden Mitgliedstaaten besteuert werden.
32 Würde man in einem Fall, in dem sowohl der Ursprungsmitgliedstaat der Dividenden als auch der Wohnsitzmitgliedstaat des Anteilseigners die Dividenden besteuern können, davon ausgehen, dass es zwangsläufig Sache des Wohnsitzmitgliedstaats ist, die Doppelbesteuerung zu verhindern, liefe das darauf hinaus, dem Ursprungsmitgliedstaat Vorrang bei der Besteuerung dieser Art von Einkünften einzuräumen.
33 Auch wenn eine solche Verteilung der Befugnisse namentlich mit der internationalen Rechtspraxis in Einklang stünde, wie sie sich in dem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ausgearbeiteten Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und insbesondere in dessen Art. 23 B widerspiegelt, steht doch fest, dass das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand und in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in Bezug auf die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft keine allgemeinen Kriterien für die Verteilung der Befugnisse der Mitgliedstaaten untereinander vorschreibt (vgl. Urteile Kerckhaert und Morres, Randnr. 22, sowie Columbus Container Services, Randnr. 45).
34 Folglich bedeutet, auch wenn auch ein Mitgliedstaat aus einem bilateralen Abkommen keine Einwände herleiten kann, um seinen Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag zu entgehen (vgl. Urteile vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France, C‑170/05, Slg. 2006, I‑11949, Randnr. 53, und Amurta, Randnr. 55), der Umstand, dass sowohl der Ursprungsmitgliedstaat der Dividenden als auch der Wohnsitzmitgliedstaat des Anteilseigners die Dividenden besteuern können, nicht, dass der Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund des Gemeinschaftsrechts Vorkehrungen gegen die Nachteile zu treffen hätte, die sich aus der Ausübung der auf diese Weise zwischen den beiden Mitgliedstaaten verteilten Befugnis ergeben könnten.
35 Unter diesen Umständen und insoweit, als nur das französisch-belgische Abkommen Gegenstand der ersten Frage des vorlegenden Gerichts ist, ist auf diese Frage zu antworten, dass, da das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand und in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in Bezug auf die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft keine allgemeinen Kriterien für die Verteilung der Befugnisse der Mitgliedstaaten untereinander vorschreibt, Art. 56 EG einem bilateralen Steuerabkommen wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, nach dem die Dividenden, die von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anteilseigner gezahlt werden, in beiden Mitgliedstaaten besteuert werden können und das für den Wohnsitzmitgliedstaat des Anteilseigners keine unbedingte Verpflichtung zur Verhinderung der sich daraus ergebenden juristischen Doppelbesteuerung vorsieht.
Zur zweiten Frage
36 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Kosten
37 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Da das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand und in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in Bezug auf die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft keine allgemeinen Kriterien für die Verteilung der Befugnisse der Mitgliedstaaten untereinander vorschreibt, steht Art. 56 EG einem bilateralen Steuerabkommen wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegen, nach dem die Dividenden, die von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anteilseigner gezahlt werden, in beiden Mitgliedstaaten besteuert werden können und das für den Wohnsitzmitgliedstaat des Anteilseigners keine unbedingte Verpflichtung zur Verhinderung der sich daraus ergebenden juristischen Doppelbesteuerung vorsieht.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Französisch.