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Dokument 62006CJ0319
Judgment of the Court (First Chamber) of 19 June 2008.#Commission of the European Communities v Grand Duchy of Luxemburg.#Failure of a Member State to fulfil obligations - Posting of workers - Freedom to provide services - Directive 96/71/EC - Public policy provisions - Weekly rest days - Obligation to produce documents relating to a posting on demand by the national authorities - Obligation to designate an ad hoc agent residing in Luxembourg to retain all the documents necessary for monitoring purposes.#Case C-319/06.
Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 19. Juni 2008.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Grossherzogtum Luxemburg.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Entsendung von Arbeitnehmern - Freier Dienstleistungsverkehr - Richtlinie 96/71/EG - Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung - Wöchentliche Ruhezeit - Pflicht zur Vorlage von Entsendungsunterlagen auf formlose Anfrage der nationalen Behörden - Pflicht zur Benennung eines in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreters, der alle für Kontrollzwecke notwendigen Unterlagen aufbewahrt.
Rechtssache C-319/06.
Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 19. Juni 2008.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Grossherzogtum Luxemburg.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Entsendung von Arbeitnehmern - Freier Dienstleistungsverkehr - Richtlinie 96/71/EG - Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung - Wöchentliche Ruhezeit - Pflicht zur Vorlage von Entsendungsunterlagen auf formlose Anfrage der nationalen Behörden - Pflicht zur Benennung eines in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreters, der alle für Kontrollzwecke notwendigen Unterlagen aufbewahrt.
Rechtssache C-319/06.
Sammlung der Rechtsprechung 2008 I-04323
ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2008:350
Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor
In der Rechtssache C‑319/06
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 20. Juli 2006,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften , vertreten durch J. Enegren und G. Rozet als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Großherzogtum Luxemburg , vertreten durch C. Schiltz als Bevollmächtigten,
Beklagter,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, M. Ilešič und E. Levits (Berichterstatter),
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. September 2007
folgendes
Urteil
1. Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Feststellung, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) und aus den Art. 49 EG und 50 EG verstoßen hat, dass es
– die Bestimmungen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 8 und 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zur Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Regelung der Kontrolle der Anwendung des Arbeitsrechts ( Mémorial A 2002, S. 3722, im Folgenden: Gesetz vom 20. Dezember 2002) zu zwingenden Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung erklärt hat,
– Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 nicht vollständig umgesetzt hat,
– in Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 die Voraussetzungen in Bezug auf den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben nicht bestimmt genug formuliert hat, um Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden möchten, Rechtssicherheit zu gewährleisten, und
– in Art. 8 dieses Gesetzes die Hinterlegung der für die Kontrolle notwendigen Unterlagen in Luxemburg bei einem dort ansässigen Ad-hoc-Vertreter vorgeschrieben hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
2. In Art. 3 der Richtlinie 96/71 heißt es unter der Überschrift „Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen“:
„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,
– durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften
und/oder
– durch für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Absatzes 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen, festgelegt sind:
a) Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten;
b) bezahlter Mindestjahresurlaub;
c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme;
d) Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen;
e) Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz;
f) Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen;
g) Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen.
Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz 1 Buchstabe c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.
…
(10) Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung des Vertrags für inländische und ausländische Unternehmen in gleicher Weise
– Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen für andere als die in Absatz 1 Unterabsatz 1 aufgeführten Aspekte, soweit es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt,
– Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen, die in Tarifverträgen oder Schiedssprüchen nach Absatz 8 festgelegt sind und andere als im Anhang genannte Tätigkeiten betreffen, vorzuschreiben.“
3. Anlässlich des Erlasses der Richtlinie 96/71 wurde folgende Erklärung Nr. 10 zu Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich dieser Richtlinie (im Folgenden: Erklärung Nr. 10) in das Protokoll des Rates der Europäischen Union aufgenommen:
„Der Rat und die Kommission haben folgende Erklärung abgegeben:
Unter den Worten ‚Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung‘ sollten die verbindlichen Vorschriften verstanden werden, von denen nicht abgewichen werden darf und die nach ihrer Art und ihrem Ziel den zwingenden Erfordernissen des öffentlichen Interesses gerecht werden. Diese Vorschriften können insbesondere das Verbot der Zwangsarbeit oder die Beteiligung der Behörden an der Überwachung der Einhaltung der Rechtsvorschriften über die Arbeitsbedingungen umfassen.“
Luxemburgisches Recht
4. Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 lautet:
„(1) Zwingende Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung, insbesondere was die Bestimmungen über Vereinbarungen und Verträge gemäß dem Gesetz vom 27. März 1986 zur Genehmigung des Römischen Übereinkommens vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht angeht, sind und gelten als solche für alle Arbeitnehmer, die im Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg eine Arbeitsleistung erbringen, einschließlich jener, die vorübergehend nach Luxemburg entsandt wurden, und ungeachtet der Dauer oder des Zwecks der Entsendung: alle Bestimmungen in Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften sowie all jene, die sich aus für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen oder einem Schiedsspruch mit einem ähnlichen Anwendungsbereich wie im Fall der allgemeinverbindlichen Tarifverträge ergeben, die folgende Bereiche betreffen:
1. den schriftlichen Arbeitsvertrag oder das auf der Grundlage der Richtlinie 91/533/EWG [des Rates] vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen [ABl. L 288, S. 32] erstellte Schriftstück;
2. den sozialen Mindestlohn und die automatische Anpassung der Entlohnung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten;
3. die Arbeitszeit und die wöchentliche Ruhezeit;
4. den bezahlten Urlaub;
5. die Betriebsferien;
6. die gesetzlichen Feiertage;
7. die Regelung der Leiharbeit und der Verleihung von Arbeitnehmern;
8. die Regelung von Teilzeitarbeit und befristeten Arbeitsverträgen;
9. die Schutzvorschriften, die für die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Kinder und Jugendlichen sowie der Schwangeren und Wöchnerinnen gelten;
10. die Nichtdiskriminierung;
11. die Tarifverträge;
12. die sich aus den Rechtsvorschriften über witterungsbedingte und technisch bedingte Arbeitslosigkeit zwingend ergebende Untätigkeit;
13. Schwarzarbeit oder illegale Arbeit, einschließlich der Bestimmungen über die Arbeitserlaubnis für Arbeitnehmer, die nicht aus einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums stammen;
14. die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz im Allgemeinen und die Unfallverhütungsvorschriften der gewerblichen Unfallversicherungsgenossenschaft (Association d’assurance contre les accidents) gemäß Artikel 154 Sozialversicherungsordnung sowie die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes, die durch großherzogliche Verordnung nach obligatorischer Stellungnahme des Staatsrates und mit dem Einverständnis der Konferenz der Präsidenten der Abgeordnetenkammer auf der Grundlage von Artikel 14 des Gesetzes vom 17. Juni 1994 über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz in seiner geänderten Fassung aufgestellt wurden, im Besonderen.
(2) Die Bestimmungen von Absatz 1 gelten für alle Arbeitnehmer ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die im Dienst eines beliebigen Unternehmens stehen, und unbeschadet der Staatszugehörigkeit und des Ortes des juristischen oder tatsächlichen Sitzes des Unternehmens.“
5. Art. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 bestimmt:
„(1) Die Bestimmungen von Artikel 1 gelten darüber hinaus für alle Unternehmen, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg entsenden, mit Ausnahme des fahrenden Personals der Handelsmarine.
(2) Unter ‚Entsendung‘ im Sinne von Absatz 1 versteht man folgende Handlungen, die von den betroffenen Unternehmen ausgeführt werden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht:
1. die Entsendung eines Arbeitnehmers, selbst auf kurze oder im Voraus festgelegte Dauer, im Namen und unter der Leitung der in Absatz 1 genannten Unternehmen in das Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg im Rahmen eines Vertrags, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in Luxemburg ansässigen oder tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde;
2. die Entsendung eines Arbeitnehmers, selbst auf kurze oder im Voraus festgelegte Dauer, in das Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg in eine Niederlassung des entsendenden Unternehmens oder ein Unternehmen, das zur gleichen Gruppe wie das entsendende Unternehmen gehört;
3. unbeschadet der Anwendung des Gesetzes vom 19. Mai 1994 über die Regelung der Arbeitnehmerüberlassung und der vorübergehenden Verleihung von Arbeitnehmern die Entsendung eines Arbeitnehmers, selbst auf kurze oder im Voraus festgelegte Dauer, durch ein Leiharbeitsunternehmen oder im Rahmen von Leiharbeit in ein verwendendes, im Großherzogtum Luxemburg ansässiges oder tätiges Unternehmen.
(3) Als entsandter Arbeitnehmer gilt jeder Arbeitnehmer, der normalerweise im Ausland beschäftigt ist und für einen begrenzten Zeitraum seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg erbringt.
(4) Der Begriff ‚Arbeitsverhältnis‘ bestimmt sich nach luxemburgischem Recht.“
6. Art. 7 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 lautet:
„(l) Für die Zwecke der Anwendung dieses Gesetzes muss ein Unternehmen, auch wenn es seinen Sitz außerhalb des Hoheitsgebiets des Großherzogtums Luxemburg hat oder gewöhnlich außerhalb des luxemburgischen Hoheitsgebiets tätig ist, das ein oder mehrere Arbeitnehmer einschließlich der entsprechend den Bestimmungen der Artikel 1 und 2 dieses Gesetzes vorübergehend entsandten beschäftigt, die in Luxemburg eine Arbeitsleistung erbringen, der Gewerbeaufsichtsbehörde vor Aufnahme der Arbeit auf formlose Anfrage und innerhalb kürzester Frist die für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben zur Verfügung stellen, darunter insbesondere:
– Namen, Vornamen, Geburtsort und -datum, Familienstand, Staatsangehörigkeit und Beruf der Arbeitnehmer;
– die genaue berufliche Qualifikation der Arbeitnehmer;
– die Eigenschaft, in der sie vom Unternehmen eingestellt wurden, und die Tätigkeit, die sie dort regelmäßig ausüben;
– die Angabe des Wohnorts und gegebenenfalls des ständigen Aufenthaltsorts der Arbeitnehmer;
– gegebenenfalls die Aufenthalts- oder die Arbeitserlaubnis;
– die Arbeitsstelle(n) in Luxemburg und die Dauer der Arbeiten;
– eine Kopie des Formulars E 101 oder gegebenenfalls eine genaue Angabe der Sozialversicherungseinrichtungen, bei denen die Arbeitnehmer während ihres Aufenthalts im luxemburgischen Hoheitsgebiet versichert sind;
– eine Kopie des Arbeitsvertrags oder des auf der Grundlage der Richtlinie 91/533/EWG vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen erstellten Schriftstücks.
(2) Eine großherzogliche Verordnung kann zukünftig die Anwendung dieses Artikels genauer bestimmen.“
7. Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 bestimmt:
„Jedes Unternehmen, das im Ausland ansässig ist und dort seinen Firmensitz hat oder in Luxemburg keinen festen Sitz im Sinne des Steuergesetzes hat, das ein oder mehrere Arbeitnehmer beschäftigt, die in Luxemburg eine beliebige Arbeitsleistung erbringen, ist verpflichtet, die Unterlagen, die zur Prüfung der ihm nach diesem Gesetz und insbesondere nach Artikel 7 auferlegten Pflichten notwendig sind, bei einem in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreter zu hinterlegen.
Diese Unterlagen sind der Gewerbeaufsichtsbehörde auf formlose Anfrage und innerhalb kürzester Frist vorzulegen. Die Gewerbeaufsichtsbehörde muss vom Unternehmen oder dessen im vorstehenden Absatz genannten Vertreter vorab, spätestens bis zur Aufnahme der beabsichtigten entgeltlichen Arbeitstätigkeit, per Einschreiben mit Rückschein über den genauen Ort der Hinterlegung der Unterlagen unterrichtet werden.“
Vorgerichtliches Verfahren
8. Mit Mahnschreiben vom 1. April 2004 teilte die Kommission den luxemburgischen Behörden mit, dass das Gesetz vom 20. Dezember 2002 möglicherweise im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht stehe. Insbesondere handele es sich um Folgendes:
– Das Gesetz verlange von Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsendeten, die Einhaltung von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die über das hinausgingen, was Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 vorschreibe;
– das Gesetz gewährleiste den entsandten Arbeitnehmern außer der wöchentlichen Ruhezeit keine sonstigen Ruhezeiten (tägliche Ruhezeit);
– das Gesetz sei nicht bestimmt genug, um Rechtssicherheit zu gewährleisten, soweit es die Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsendeten, verpflichte, der Gewerbeaufsichtsbehörde die für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben vor Arbeitsaufnahme auf formlose Anfrage und innerhalb kürzester Frist zugänglich zu machen, und
– das Gesetz beschränke den freien Dienstleistungsverkehr, indem es Unternehmen, die im Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg weder ihren Firmensitz noch eine feste Niederlassung hätten, vorschreibe, die für eine Kontrolle notwendigen Unterlagen bei einem in diesem Mitgliedstaat ansässigen Ad-hoc-Vertreter zu hinterlegen.
9. In seiner Antwort vom 30. August 2004 machte das Großherzogtum Luxemburg geltend, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die Gegenstand der ersten im Mahnschreiben erhobenen Rüge seien, gehörten zu den „Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71.
10. Die zweite im Mahnschreiben enthaltene Rüge erkannte es als begründet an.
11. Zur dritten und zur vierten im Mahnschreiben erhobenen Rüge wies es zum einen darauf hin, dass Art. 7 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zu keiner Vorabanzeige verpflichte, und zum anderen, dass die Pflicht, gegenüber der Gewerbeaufsichtsbehörde einen Vertreter zu benennen, bei dem die gesetzlich vorgeschriebenen Unterlagen hinterlegt würden, eine nicht diskriminierende, für die von dieser Behörde durchzuführenden Kontrollen unerlässliche Anforderung sei.
12. Da die Kommission diese Antworten als nicht zufriedenstellend ansah, hielt sie in einer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 12. Oktober 2005 an ihren Rügen fest und forderte das Großherzogtum Luxemburg auf, seinen Verpflichtungen binnen zwei Monaten nach Zugang dieser Stellungnahme nachzukommen.
13. Das Großherzogtum Luxemburg erbat eine Fristverlängerung um sechs Wochen, hielt es dann aber nicht für erforderlich, auf die mit Gründen versehene Stellungnahme einzugehen.
14. Die Kommission hat deshalb gemäß Art. 226 EG die vorliegende Vertragsverletzungsklage eingereicht.
Zur Klage
Zur ersten Rüge: keine ordnungsgemäße Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71
Vorbringen der Parteien
15. Mit ihrer ersten Rüge beanstandet die Kommission, das Großherzogtum Luxemburg habe Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 nicht ordnungsgemäß umgesetzt.
16. Konkret ist die Kommission der Ansicht, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch, dass es die nationalen Vorschriften, die die in den streitigen Bestimmungen genannten Bereiche betreffen, zu Unrecht zu zwingenden Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung erkläre und damit ihre Einhaltung durch die Unternehmen, die Arbeitnehmer in sein Hoheitsgebiet entsendeten, vorschreibe, diesen Unternehmen Pflichten auferlege, die über das hinausgingen, was in der Richtlinie 96/71 vorgesehen sei. Der Begriff der öffentlichen Ordnung in Art. 3 Abs. 10 dieser Richtlinie könne nicht von den einzelnen Mitgliedstaaten einseitig bestimmt werden, da es ihnen nicht freistehe, den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erbringern von Dienstleistungen die Einhaltung aller verbindlichen Vorschriften ihres Arbeitsrechts vorzuschreiben.
17. Eine solche Pflicht liege erstens in der in Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 in Bezug genommenen Verpflichtung, nur Personal zu entsenden, das mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag oder einem anderen, nach der Richtlinie 91/533 als gleichwertig geltenden Schriftstück an das Unternehmen gebunden sei.
18. Die Kommission weist insoweit darauf hin, dass jedenfalls die Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie 91/533 den Behörden des Sitzmitgliedstaats des betroffenen Unternehmens, der diese Richtlinie umgesetzt habe, zukomme und nicht, im Fall der Entsendung, dem Aufnahmemitgliedstaat.
19. Zweitens stehe das luxemburgische Recht, was die in Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 in Bezug genommene automatische Anpassung der Entlohnung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten angehe, im Widerspruch zur Richtlinie 96/71, die eine Regelung der Lohnsätze durch den Aufnahmemitgliedstaat nur hinsichtlich der Mindestlöhne vorsehe.
20. Was drittens die Einhaltung der Regelung von Teilzeitarbeit und befristeten Arbeitsverträgen nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 angehe, so dürfe der Aufnahmemitgliedstaat nach der Richtlinie 96/71 von Unternehmen, die Arbeitnehmer in sein Hoheitsgebiet entsendeten, nicht die Einhaltung seiner Regelung über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge verlangen.
21. Was viertens die Pflicht zur Einhaltung der Tarifverträge nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 betreffe, so könnten Rechtsakte, die zu einer Kategorie von Rechtsakten als solcher gehörten, nicht unabhängig von ihrem materiellen Inhalt zwingende Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung sein.
22. Das Großherzogtum Luxemburg macht geltend, die Bestimmungen, gegen die sich die erste Rüge der Kommission richte, verwiesen sämtlich auf zwingende Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71. Es ist insoweit zum einen der Ansicht, dass der Erklärung Nr. 10 keinerlei rechtsverbindlicher Wert zukomme, und dass zum anderen der Begriff der Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung alle Bestimmungen umfasse, die nach der Auffassung des Aufnahmestaats zwingenden Erfordernissen des öffentlichen Interesses entsprächen. Außerdem verweist das Großherzogtum Luxemburg auf das Rechtsetzungsverfahren, das zum Erlass der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36) geführt hat.
Würdigung durch den Gerichtshof
– Vorbemerkungen
23. Vorab ist auf das Hauptverteidigungsvorbringen des Großherzogtums Luxemburg zu antworten, dass die Richtlinie 2006/123 nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. a nicht die Richtlinie 96/71, die im Fall eines Normenkonflikts Vorrang hat, ersetzen soll. Deshalb kann sich dieser Mitgliedstaat für die von ihm vertretene Auslegung einer Bestimmung der Richtlinie 96/71 nicht auf das Rechtsetzungsverfahren berufen, das zum Erlass der Richtlinie 2006/123 geführt hat.
24. Aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 96/71 geht hervor, dass die Gesetze der Mitgliedstaaten koordiniert werden müssen, um einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz festzulegen, das im Aufnahmestaat von Arbeitgebern zu gewährleisten ist, die Arbeitnehmer entsenden (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2007, Laval un Partneri, C‑341/05, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 59).
25. So müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie dafür sorgen, dass die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, die im Rahmen einer länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer in ihr Hoheitsgebiet entsenden, unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht den entsandten Arbeitnehmern bezüglich der in diesem Artikel genannten Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat festgelegt sind, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird (Urteil vom 18. Juli 2007, Kommission/Deutschland, C‑490/04, Slg. 2007, I‑6095, Randnr. 18).
26. Zu diesem Zweck nennt diese Bestimmung abschließend die Aspekte, hinsichtlich deren die Mitgliedstaaten den im Aufnahmemitgliedstaat geltenden Vorschriften Vorrang einräumen können.
27. Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 gesteht den Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit zu, unter Einhaltung des EG-Vertrags in nicht diskriminierender Weise für Unternehmen, die Arbeitnehmer in ihr Hoheitsgebiet entsenden, Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen für andere als die in Abs. 1 Unterabs. 1 dieses Artikels aufgeführten Aspekte vorzuschreiben, soweit es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt.
28. Wie sich aus Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 ergibt, der die dort in den Nrn. 1 bis 14 in Bezug genommenen Bestimmungen zu zwingenden Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung erklärt, wollte sich das Großherzogtum Luxemburg auf Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 berufen.
29. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Qualifizierung von nationalen Vorschriften durch einen Mitgliedstaat als Polizei- und Sicherheitsgesetze auf die Vorschriften abzielt, deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird, dass ihre Beachtung für alle Personen, die sich im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden, und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis vorgeschrieben wird (Urteil vom 23. November 1999, Arblade u. a., C‑369/96 und C‑376/96, Slg. 1999, I‑8453, Randnr. 30).
30. Entgegen der Auffassung des Großherzogtums Luxemburg stellt daher die Ausnahme aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine Abweichung vom grundlegenden Prinzip der Dienstleistungsfreiheit dar, die eng auszulegen ist und deren Tragweite nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann (vgl. zur Freizügigkeit Urteil vom 31. Januar 2006, Kommission/Spanien, C‑503/03, Slg. 2006, I‑1097, Randnr. 45).
31. Im Zusammenhang der Richtlinie 96/71 stellt deren Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass die Aspekte, hinsichtlich deren der Aufnahmemitgliedstaat die Einhaltung seiner Rechtsvorschriften von Unternehmen, die Arbeitnehmer in sein Hoheitsgebiet entsenden, verlangen kann, in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie abschließend aufgezählt sind. Abs. 10 ist deshalb eng auszulegen.
32. Im Übrigen heißt es in der Erklärung Nr. 10, zu der die Generalanwältin in Nr. 45 ihrer Schlussanträge zutreffend ausgeführt hat, dass sie für die Auslegung von Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 herangezogen werden kann, dass unter den Worten „Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung“ die verbindlichen Vorschriften verstanden werden sollten, von denen nicht abgewichen werden darf und die nach ihrer Art und ihrem Ziel den zwingenden Erfordernissen des öffentlichen Interesses gerecht werden.
33. Jedenfalls sieht diese Bestimmung der Richtlinie 96/71 vor, dass eine Berufung auf die darin vorgesehene Möglichkeit die Mitgliedstaaten nicht ihrer Verpflichtungen aus dem Vertrag und insbesondere nicht jener im Zusammenhang mit dem freien Dienstleistungsverkehr, dessen Förderung im fünften Erwägungsgrund dieser Richtlinie betont wird, enthebt.
34. Die Bestimmungen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002, gegen deren Einstufung als zwingende Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung sich die Kommission wendet, sind im Licht der vorstehenden Ausführungen zu prüfen.
– Zur Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 betreffend den schriftlichen Vertrag oder das gemäß der Richtlinie 91/533 erstellte Schriftstück
35. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die genannte Bestimmung einen Aspekt betrifft, der in der Auflistung in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 96/71 nicht genannt ist.
36. Das Großherzogtum Luxemburg macht geltend, dass die streitige Bestimmung nur die Vorgabe der Art. 2 und 3 der Richtlinie 91/533 aufgreife und dass sie insoweit unter die öffentliche Ordnung falle, als sie den Schutz der Arbeitnehmer bezwecke.
37. Wie im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/533 betont wird, ist die Notwendigkeit, die Arbeitsverhältnisse bestimmten Formerfordernissen zu unterziehen, ganz wesentlich, um Arbeitnehmer besser vor etwaiger Unkenntnis ihrer Rechte zu schützen und den Arbeitsmarkt transparenter zu gestalten.
38. Aus Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie ergibt sich aber auch, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen müssen, um ihr nachzukommen.
39. Folglich gelten die von der Richtlinie 91/533 vorgesehenen Pflichten für alle Arbeitgeber einschließlich derjenigen, die Arbeitnehmer im Sinne des Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie entsenden, kraft der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Sitz haben.
40. Daher ist festzustellen, dass die Einhaltung des in Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 in Bezug genommenen Erfordernisses durch den Herkunftsmitgliedstaat der entsandten Arbeitnehmer gewährleistet wird.
41. Somit bewirkt die streitige Bestimmung, dass Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden, eine Pflicht auferlegt wird, die für sie bereits in ihrem Sitzmitgliedstaat gilt. Außerdem macht auch das Ziel der Richtlinie 96/71, nämlich die Garantie der Einhaltung eines Mindestkerns von Arbeitnehmerschutzvorschriften, eine solche zusätzliche Verpflichtung, die angesichts der damit verbundenen Verfahren geeignet ist, Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat von der Wahrnehmung ihrer Dienstleistungsfreiheit abzuhalten, überflüssig.
42. Zwar verwehrt es das Gemeinschaftsrecht nach ständiger Rechtsprechung den Mitgliedstaaten nicht, ihre Rechtsvorschriften oder die von den Sozialpartnern geschlossenen Tarifverträge auf alle Personen zu erstrecken, die, und sei es auch nur vorübergehend, eine unselbständige Tätigkeit ausüben, und zwar unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der Arbeitgeber ansässig ist, doch ist diese Möglichkeit an die Voraussetzung geknüpft, dass die betreffenden Arbeitnehmer, die im Aufnahmemitgliedstaat vorübergehend Arbeiten ausführen, denselben oder einen im Wesentlichen vergleichbaren Schutz nicht bereits aufgrund der Pflichten genießen, die für ihren Arbeitgeber bereits in seinem Sitzmitgliedstaat gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Oktober 2004, Kommission/Luxemburg, C‑445/03, Slg. 2004, I‑10191, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
43. Insbesondere ist bereits entschieden worden, dass der freie Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz des Vertrags nur durch Regelungen beschränkt werden darf, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und für alle im Hoheitsgebiet des Auf nahmemitgliedstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten, soweit dieses Interesse nicht durch die Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist (vgl. Urteile Arblade u. a., Randnr. 34, sowie vom 25. Oktober 2001, Finalarte u. a., C‑49/98, C‑50/98, C‑52/98 bis C‑54/98 und C‑68/98 bis C‑71/98, Slg. 2001, I‑7831, Randnr. 31).
44. Da Letzteres hinsichtlich des durch die Richtlinie 91/533 verbürgten und vom Großherzogtum Luxemburg geltend gemachten Arbeitnehmerschutzes der Fall ist, ist festzustellen, dass das Erfordernis nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 nicht mit Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 in Einklang steht, da es nicht unter Einhaltung des Vertrags vorgeschrieben ist.
– Zur Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 betreffend die automatische Anpassung der Entlohnung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten
45. Aus der von der Kommission eingereichten Klageschrift ergibt sich, dass die Kommission nicht beanstandet, dass die Mindestlöhne an die Lebenshaltungskosten angepasst werden, was, wie vom Großherzogtum Luxemburg vorgetragen, unstreitig von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71 gedeckt ist, sondern dass diese Indexierung sämtliche Löhne einschließlich derjenigen, die nicht in die Kategorie der Mindestlöhne fallen, betrifft.
46. Das Großherzogtum Luxemburg macht jedoch geltend, dass diese Bestimmung der Richtlinie 96/71 es dem Aufnahmemitgliedstaat implizit gestatte, den Unternehmen, die Arbeitnehmer in sein Hoheitsgebiet entsendeten, die Einhaltung seines Lohnfestlegungssystems insgesamt vorzuschreiben.
47. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71 die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, in die Löhne einzugreifen, auf die Mindestlohnsätze begrenzen wollte. Folglich gehört die Bestimmung des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 betreffend die automatische Anpassung anderer Löhne als der Mindestlöhne an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten nicht zu den Aspekten im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 96/71.
48. Das Großherzogtum Luxemburg macht jedoch geltend, dass Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 darauf abziele, den sozialen Frieden in Luxemburg zu gewährleisten, und insoweit durch den Schutz der Arbeitnehmer vor den Wirkungen der Inflation einem zwingenden Erfordernis der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 entspreche.
49. Insoweit ist daran zu erinnern, dass diese Bestimmung der Richtlinie 96/71 es dem Aufnahmemitgliedstaat ermöglicht, den Unternehmen, die Arbeitnehmer in sein Hoheitsgebiet entsenden, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für andere als die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie aufgeführten Aspekte vorzuschreiben, sofern es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt. Dieser Vorbehalt in Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 stellt daher eine Ausnahme von dem mit der Richtlinie errichteten System sowie von dem ihr zugrunde liegenden fundamentalen Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit dar und ist eng auszulegen.
50. Deshalb ist, wie der Gerichtshof bereits klargestellt hat, der Begriff der öffentlichen Ordnung, auch wenn die Mitgliedstaaten die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung im Wesentlichen weiterhin frei nach ihren innerstaatlichen Bedürfnissen bestimmen können, doch im Gemeinschaftsrecht und insbesondere, wenn er eine Ausnahme von dem fundamentalen Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen soll, eng zu verstehen, so dass seine Tragweite nicht von den einzelnen Mitgliedstaaten einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Europäischen Gemeinschaft bestimmt werden darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Oktober 2004, Omega, C‑36/02, Slg. 2004, I‑9609, Randnr. 30). Folglich ist die Berufung auf die öffentliche Ordnung nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. Urteil vom 14. März 2000, Église de scientologie, C‑54/99, Slg. 2000, I‑1335, Randnr. 17).
51. Es ist daran zu erinnern, dass ein Mitgliedstaat neben den Rechtfertigungsgründen, die er für eine Ausnahme vom Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit geltend machen kann, eine Untersuchung zur Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der von ihm erlassenen beschränkenden Maßnahme vorlegen sowie genaue Tatsachen zur Stützung seines Vorbringens anführen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2007, Kommission/Belgien, C‑254/05, Slg. 2007, I‑4269, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
52. Damit der Gerichtshof beurteilen kann, ob die fraglichen Maßnahmen erforderlich und gemessen an dem Ziel der Wahrung der öffentlichen Ordnung verhältnismäßig sind, hätte also das Großherzogtum Luxemburg Tatsachen vortragen müssen, die Aufschluss darüber geben, ob und in welchem Maße die Anwendung der Bestimmung betreffend die automatische Anpassung der Löhne an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten auf die nach Luxemburg entsandten Arbeitnehmer zur Verwirklichung dieses Ziels beitragen kann.
53. Im vorliegenden Fall ist jedoch festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg lediglich pauschal die Ziele der Wahrung der Kaufkraft der Arbeitnehmer und des sozialen Friedens genannt hat, ohne irgendetwas vorzubringen, was die Beurteilung der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit der erlassenen Maßnahmen gestatten würde.
54. Folglich hat das Großherzogtum Luxemburg nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zu den Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 gehört.
55. Deshalb kann es sich nicht auf die Ausnahme aus Gründen der öffentlichen Ordnung nach Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 berufen, um Unternehmen, die Arbeitnehmer in sein Hoheitsgebiet entsenden, die Einhaltung der Bestimmungen betreffend die automatische Anpassung anderer Löhne als der Mindestlöhne an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten vorzuschreiben.
– Zur Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Nr. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 betreffend die Regelung von Teilzeitarbeit und befristeten Arbeitsverträgen
56. Das Großherzogtum Luxemburg macht geltend, mit der betreffenden Bestimmung solle der Schutz der Arbeitnehmer sichergestellt werden, indem der Grundsatz der Gleichbehandlung und des gleichen Entgelts von vollzeitbeschäftigten und von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, wie er in den Richtlinien 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. L 14, S. 9) und 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. L 175, S. 43) verankert sei, gewährleistet werde.
57. Die fragliche Bestimmung betrifft einen Aspekt, der in der Auflistung in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 96/71 nicht genannt ist.
58. Es ist unstreitig, dass die Pflichten, die Art. 1 Abs. 1 Nr. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 nach sich zieht, angesichts der damit verbundenen Zwänge Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden möchten, in der Ausübung ihrer Dienstleistungsfreiheit behindern können.
59. Insoweit ist festzustellen, dass die Mitgliedstaaten nach dem jeweiligen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinien 97/81 und 1999/70 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen mussten, die erforderlich sind, um diesen Richtlinien nachzukommen.
60. Da somit die Einhaltung des von der streitigen nationalen Bestimmung in Bezug genommenen Erfordernisses in dem Mitgliedstaat kontrolliert wird, in dem das Unternehmen, das Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden möchte, ansässig ist, kann sich das Großherzogtum Luxemburg aus den gleichen wie den oben in den Randnrn. 41 bis 43 genannten Gründen zur Rechtfertigung der genannten Bestimmung nicht auf die Ausnahme aus Gründen der öffentlichen Ordnung nach Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 berufen.
61. Folglich steht Art. 1 Abs. 1 Nr. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 nicht im Einklang mit Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71.
– Zur Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 betreffend die zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts auf dem Gebiet der Tarifverträge
62. Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 96/71 benennt die Rechtsinstrumente, mit denen die den entsandten Arbeitnehmern garantierten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Aufnahmemitgliedstaats bezüglich der in den Buchst. a bis g dieser Vorschrift genannten Aspekte festgelegt werden. Der zweite Gedankenstrich dieser Vorschrift betrifft insbesondere die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge.
63. Entsprechend dieser Vorschrift bestimmt Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002, dass die Bestimmungen, die sich u. a. aus für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen betreffend die in seinen Nrn. 1 bis 14 genannten Bereiche ergeben, zwingende Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung sind. In seiner Nr. 11 werden die Bestimmungen genannt, die Tarifverträge betreffen.
64. Eine solche Regelung kann jedoch keine Ausnahme aus Gründen der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 darstellen.
65. Erstens ist es durch nichts gerechtfertigt, die Bestimmungen, die Tarifverträge betreffen, also diejenigen, die den Rahmen für deren Zustandekommen und Durchführung bilden, an sich und ohne weitere Präzisierung dem Begriff der öffentlichen Ordnung unterzuordnen.
66. Zweitens gilt Gleiches für die Bestimmungen dieser Tarifverträge selbst, die in ihrer Gesamtheit und mit der schlichten Begründung, dass sie auf diese Kategorie von Rechtsakten zurückgehen, von diesem Begriff ebenfalls nicht erfasst werden können.
67. Drittens kann das Großherzogtum Luxemburg nicht behaupten, dass in Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 letztlich die Ermächtigung der Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 10 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 konkreten Niederschlag gefunden habe. Diese Vorschrift bezieht sich nämlich ausschließlich auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die in für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen festgelegt sind. Anders verhält es sich aber bei dem besagten Art. 1 Abs. 1 Nr. 11, der ausdrücklich und im Gegensatz zum Eingangssatz dieses Art. 1 auf die einfachen Tarifverträge abstellt.
68. Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 steht daher nicht im Einklang mit Art. 3 Abs. 10 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71.
69. Nach alledem ist somit die erste Rüge der Kommission begründet.
Zur zweiten Rüge: unvollständige Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 betreffend die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und der Mindestruhezeiten
Vorbringen der Parteien
70. Mit ihrer zweiten Rüge beanstandet die Kommission, das Großherzogtum Luxemburg habe Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 betreffend die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und der Mindestruhezeiten nicht vollständig umgesetzt.
71. Das Großherzogtum Luxemburg hat die Begründetheit dieser Rüge anerkannt und vorgebracht, dass es, um das nationale Recht mit den einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in Einklang zu bringen, Art. 4 des Gesetzes vom 19. Mai 2006 zur Änderung des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 ( Mémorial A 2006, S. 1806) erlassen habe.
Würdigung durch den Gerichtshof
72. Es ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und dass später eingetretene Änderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können (vgl. u. a. Urteile vom 14. September 2004, Kommission/Spanien, C‑168/03, Slg. 2004, I‑8227, Randnr. 24, vom 14. Juli 2005, Kommission/Deutschland, C‑433/03, Slg. 2005, I‑6985, Randnr. 32, und vom 27. September 2007, Kommission/Luxemburg, C‑354/06, Randnr. 7).
73. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass das Großherzogtum Luxemburg bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht die Maßnahmen getroffen hatte, die erforderlich waren, um die vollständige Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 in luxemburgisches Recht sicherzustellen.
74. Die zweite Rüge der Kommission ist demzufolge begründet.
Zur dritten Rüge: Verstoß gegen Art. 49 EG durch die Unbestimmtheit der in Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 vorgesehenen Kontrollmodalitäten
Vorbringen der Parteien
75. Mit ihrer dritten Rüge macht die Kommission geltend, dass Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 für Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden wollten, aufgrund seiner Unbestimmtheit zu Rechtsunsicherheit führen könne. So gleiche die Verpflichtung eines jeden Unternehmens, der Gewerbeaufsichtsbehörde die für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben vor Arbeitsaufnahme auf formlose Anfrage und innerhalb kürzester Frist zugänglich zu machen, im Fall einer Entsendung einem mit Art. 49 EG unvereinbaren Vorabanzeigeverfahren. Sollte dies allerdings nicht der Fall sein, gebiete sich gleichwohl eine Änderung des Wortlauts der streitigen Bestimmung, um jede rechtliche Unklarheit zu beseitigen.
76. Das Großherzogtum Luxemburg ist der Ansicht, dass der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 hinreichend bestimmt sei und jedenfalls keine Vorabanzeigepflicht aufstelle. Die Zurverfügungstellung der für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben „vor Aufnahme der Arbeit“ bedeute in diesem Zusammenhang, dass die betreffenden Informationen am Tag der Arbeitsaufnahme mitgeteilt werden könnten.
Würdigung durch den Gerichtshof
77. Erstens ist festzustellen, dass das Gesetz vom 20. Dezember 2002 keine andere Übermittlung von Informationen zwischen dem Arbeitnehmer entsendenden Unternehmen und der Gewerbeaufsichtsbehörde vorsieht und daher schwer vorstellbar ist, auf welchem Weg sie vor Arbeitsaufnahme Angaben von dem Unternehmen verlangen könnte, da sie von seiner Anwesenheit im luxemburgischen Hoheitsgebiet keine Kenntnis haben kann, wenn es ihr nicht in irgendeiner Weise sein Kommen vorab angekündigt hat. Deshalb stellt sich, wie von der Generalanwältin in Nr. 76 ihrer Schlussanträge ausgeführt, die Frage nach der Rolle, die dem Unternehmen, das Arbeitnehmer entsenden möchte, zwangsläufig im Vorfeld jeder Anfrage der Gewerbeaufsichtsbehörde zukommt und die jedenfalls nicht im Gesetz vom 20. Dezember 2002 definiert ist.
78. Aus diesem Grund kann die vom Großherzogtum Luxemburg vorgenommene Auslegung der Wendung „vor Aufnahme der Arbeit“ in Art. 7 Abs. 1 dieses Gesetzes nicht überzeugen. Offenkundig bedeutet nämlich eine solche Wendung nicht nur, dass die Informationen am Tag der Arbeitsaufnahme selbst vorgelegt werden müssen, sondern erlaubt auch, auf einen mehr oder weniger langen Zeitraum vor diesem Tag abzustellen.
79. Zweitens ergibt sich, wie von der Generalanwältin in Nr. 74 ihrer Schlussanträge ausgeführt, aus dem Gesetz vom 4. April 1974 über die Neuordnung der Gewerbeaufsichtsbehörde ( Mémorial A 1974, S. 486), auf das in Art. 9 Abs. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zur näheren Bestimmung der Kontrollbefugnisse dieser Behörde verwiesen wird, insbesondere aus seinen Art. 13 bis 17, dass die Behörde die sofortige Einstellung der Tätigkeit des entsandten Arbeitnehmers anordnen kann, wenn dessen Arbeitgeber nicht der an ihn gerichteten Aufforderung zur Vorlage von Informationen nachkommt. Außerdem kann nach Art. 28 dieses Gesetzes die Missachtung dieser Verpflichtung strafrechtliche Schritte gegen das betreffende Unternehmen nach sich ziehen.
80. In Anbetracht dieser Gesichtspunkte ist das Vorabanzeigeverfahren, das von einem Unternehmen, das Arbeitnehmer in das luxemburgische Hoheitsgebiet entsenden möchte, zu befolgen ist, nicht frei von Unklarheiten.
81. Diese Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 kennzeichnenden Unklarheiten können aber Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden möchten, davon abhalten, von ihrer Dienstleistungsfreiheit Gebrauch zu machen. Zum einen nämlich ist dieser Vorschrift der Umfang der Rechte und Pflichten dieser Unternehmen nicht genau zu entnehmen. Zum anderen setzen sich Unternehmen, die den in dieser Vorschrift vorgesehenen Verpflichtungen nicht nachkommen, nicht unerheblichen Sanktionen aus.
82. Infolgedessen ist Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 aufgrund seiner Unbestimmtheit und wegen der Unklarheiten, die er aufweist, mit Art. 49 EG unvereinbar, und die dritte Rüge der Kommission deshalb begründet.
Zur vierten Rüge: Verstoß gegen Art. 49 EG durch die Verpflichtung der betroffenen Unternehmen, zum Zwecke der Hinterlegung der für Kontrollen durch die zuständigen nationalen Stellen notwendigen Unterlagen einen in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreter zu bestellen
Vorbringen der Parteien
83. Mit ihrer vierten Rüge beanstandet die Kommission, dass Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 den freien Dienstleistungsverkehr beschränke, indem er Unternehmen mit Firmensitz außerhalb des luxemburgischen Hoheitsgebiets, die Arbeitnehmer dorthin entsendeten, verpflichte, vor der Entsendung die Unterlagen, die für die Kontrolle der Erfüllung ihrer Pflichten aus diesem Gesetz notwendig seien, bei einem in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreter zu hinterlegen und sie dort für einen unbestimmten Zeitraum nach Abschluss der Leistung zu belassen. Das in Art. 4 der Richtlinie 96/71 vorgesehene System der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs mache eine solche Verpflichtung nämlich überflüssig.
84. Das Großherzogtum Luxemburg weist zunächst darauf hin, dass der Mechanismus der Zusammenarbeit, auf den sich die Kommission beziehe, den zuständigen Behörden nicht erlaube, ordentliche Kontrollen mit der gebotenen Wirksamkeit durchzuführen. Sodann stellt es klar, dass die streitige nationale Bestimmung keine besondere Rechtsform im Zusammenhang mit der Aufgabe des Vertreters verlange. Schließlich müssten die für die Kontrolle notwendigen Unterlagen, abgesehen davon, dass ihre Aufbewahrung bei einem Vertreter für einen Zeitraum ab der Entsendung verlangt werde, erst an dem Tag hinterlegt werden, an dem mit der betreffenden Leistung begonnen werde.
Würdigung durch den Gerichtshof
85. Es ist unstreitig, dass die in Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 aufgestellte Verpflichtung für die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen zusätzlichen Verwaltungs- und Finanzaufwand mit sich bringt, so dass diese aus Wettbewerbssicht nicht mit den im Aufnahmemitgliedstaat ansässigen Arbeitgebern gleichgestellt sind und davon abgehalten werden können, dort Leistungen zu erbringen.
86. Zum einen schreibt die streitige Bestimmung nämlich vor, dass der Vertreter, bei dem die erforderlichen Unterlagen hinterlegt werden müssen, in Luxemburg ansässig sein muss.
87. Zum anderen stellt sie die Verpflichtung zur Hinterlegung der Unterlagen, die u. a. die in Art. 7 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 genannten Angaben enthalten müssen, auf, ohne jedoch den Zeitraum zu bestimmen, während dessen diese Unterlagen aufbewahrt werden müssen, und ohne klarzustellen, ob eine solche Verpflichtung nur den Zeitraum ab Erbringung der Dienstleistung oder auch einen Zeitraum davor betrifft.
88. Das Großherzogtum Luxemburg beruft sich zur Rechtfertigung dieser Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit auf die Notwendigkeit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Gewerbeaufsichtsbehörde die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften wirksam kontrollieren könne.
89. Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass der wirksame Schutz der Arbeitnehmer es erforderlich machen kann, dass bestimmte Unterlagen am Leistungsort oder zumindest an einem zugänglichen und klar bezeichneten Ort im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für die mit der Durchführung der Kontrollen betrauten Behörden dieses Staates bereitgehalten werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Arblade u. a., Randnr. 61).
90. Er hat jedoch in Randnr. 76 des Urteils Arblade u. a. Folgendes hinzugefügt: Handelt es sich um eine Verpflichtung, bestimmte Unterlagen am Wohnsitz einer im Aufnahmemitgliedstaat wohnenden natürlichen Person, die diese Unterlagen als vom Arbeitgeber bestimmter Bevollmächtigter oder von ihm bestimmte Aufsichtsperson führt, auch dann bereitzuhalten und aufzubewahren, wenn der Arbeitgeber in diesem Staat keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt, so genügt zur Rechtfertigung einer solchen Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nicht, dass das Vorhandensein derartiger Unterlagen im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats geeignet ist, die Erfüllung der Überwachungsaufgabe der Behörden dieses Staates im Allgemeinen zu erleichtern. Es ist außerdem erforderlich, dass diese Behörden ihre Überwachungsaufgabe nicht wirksam erfüllen können, ohne dass das Unternehmen in diesem Mitgliedstaat über einen Bevollmächtigten oder eine Aufsichtsperson verfügt, die die betreffenden Unterlagen aufbewahrt. Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Verpflichtung zur Aufbewahrung von Unterlagen bei einer natürlichen Person mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht gerechtfertigt sein kann (vgl. Urteil Arblade u. a., Randnr. 77).
91. Im vorliegenden Fall bringt das Großherzogtum Luxemburg nichts Konkretes dafür vor, dass allein die Aufbewahrung der fraglichen Unterlagen durch einen in Luxemburg ansässigen Vertreter den betreffenden Behörden die Durchführung der ihnen obliegenden Kontrollen gestatte. Jedenfalls wäre, um den zuständigen nationalen Behörden Zugang zu den für die Kontrolle notwendigen Unterlagen zu verschaffen, die Benennung eines am Ort der Dienstleistungserbringung anwesenden Arbeitnehmers, verglichen mit der streitigen Verpflichtung, eine den freien Dienstleistungsverkehr weniger beschränkende und genauso wirksame Maßnahme.
92. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in Randnr. 79 des Urteils Arblade u. a. darauf hingewiesen hat, dass das organisierte System der Zusammenarbeit oder des Informationsaustauschs zwischen Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 96/71 es überflüssig macht, solche Unterlagen im Aufnahmemitgliedstaat aufzubewahren, wenn der Arbeitgeber dort keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt.
93. Das Großherzogtum Luxemburg kann somit von Unternehmen, die Arbeitnehmer entsenden, nicht verlangen, dass sie dafür sorgen, dass die genannten Unterlagen nach Abschluss der Dienstleistungen im luxemburgischen Hoheitsgebiet aufbewahrt werden.
94. Deshalb kann auch nicht verlangt werden, dass diese Unterlagen durch einen in Luxemburg ansässigen Vertreter aufbewahrt werden, denn das betroffene Unternehmen ist während der Erbringung der Dienstleistung im luxemburgischen Hoheitsgebiet physisch anwesend und die Unterlagen können daher von einem entsandten Arbeitnehmer aufbewahrt werden.
95. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass zwar Art. 8 Abs. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 eine Pflicht zur Aufbewahrung der für die Kontrolle notwendigen Unterlagen in Luxemburg vor Arbeitsaufnahme nicht ausdrücklich vorsieht, aber bestimmt, dass der Vertreter den zuständigen Behörden gegenüber spätestens bis zur Aufnahme der beabsichtigten entgeltlichen Arbeitstätigkeit zu benennen ist. Die vom Großherzogtum Luxemburg vertretene Auslegung, dass diese Unterlagen erst am Tag der Arbeitsaufnahme verfügbar sein müssten, findet deshalb in der streitigen Vorschrift keine Stütze. Jedenfalls wäre eine solche Pflicht zur Hinterlegung der genannten Unterlagen vor Arbeitsaufnahme eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, die das Großherzogtum Luxemburg anders rechtfertigen müsste als mit schlichten Zweifeln an der Wirksamkeit des organisierten Systems der Zusammenarbeit oder des Informationsaustauschs zwischen Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 96/71.
96. Da nach alledem Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 mit Art. 49 EG unvereinbar ist, ist der Klage insgesamt stattzugeben.
97. Folglich ist festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 10 dieser Richtlinie und aus den Art. 49 EG und 50 EG verstoßen hat, dass es
– die Bestimmungen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 8 und 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zu zwingenden Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung erklärt hat,
– Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 nicht vollständig umgesetzt hat,
– in Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 die Voraussetzungen in Bezug auf den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben nicht bestimmt genug formuliert hat, um Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden möchten, Rechtssicherheit zu gewährleisten, und
– in Art. 8 dieses Gesetzes die Hinterlegung der für die Kontrolle notwendigen Unterlagen in Luxemburg bei einem dort ansässigen Ad-hoc-Vertreter vorgeschrieben hat.
Kosten
98. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Großherzogtums Luxemburg beantragt hat und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Großherzogtum Luxemburg hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen in Verbindung mit Art. 3 Abs. 10 dieser Richtlinie und aus den Art. 49 EG und 50 EG verstoßen, dass es
– die Bestimmungen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 8 und 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zur Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Regelung der Kontrolle der Anwendung des Arbeitsrechts zu zwingenden Vorschriften im Bereich der nationalen öffentlichen Ordnung erklärt hat,
– Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 nicht vollständig umgesetzt hat,
– in Art. 7 Abs. 1 des genannten Gesetzes vom 20. Dezember 2002 die Voraussetzungen in Bezug auf den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben nicht bestimmt genug formuliert hat, um Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden möchten, Rechtssicherheit zu gewährleisten, und
– in Art. 8 dieses Gesetzes die Hinterlegung der für die Kontrolle notwendigen Unterlagen in Luxemburg bei einem dort ansässigen Ad-hoc-Vertreter vorgeschrieben hat.
2. Das Großherzogtum Luxemburg trägt die Kosten.