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Dokument 62003CJ0503
Judgment of the Court (Grand Chamber) of 31 January 2006.#Commission of the European Communities v Kingdom of Spain.#Freedom of movement for persons - Directive 64/221/EEC - National of a third country who is the spouse of a national of a Member State - Right of entry and residence - Restriction imposed on grounds of public policy - Schengen Information System - Alert issued for the purposes of refusing entry.#Case C-503/03.
Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 31. Januar 2006.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich Spanien.
Freizügigkeit - Richtlinie 64/221/EWG - Staatsangehöriger eines Drittstaats, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist - Einreise- und Aufenthaltsrecht - Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung - Schengener Informationssystem - Ausschreibung zur Einreiseverweigerung.
Rechtssache C-503/03.
Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 31. Januar 2006.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich Spanien.
Freizügigkeit - Richtlinie 64/221/EWG - Staatsangehöriger eines Drittstaats, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist - Einreise- und Aufenthaltsrecht - Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung - Schengener Informationssystem - Ausschreibung zur Einreiseverweigerung.
Rechtssache C-503/03.
Sammlung der Rechtsprechung 2006 I-01097
ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2006:74
Rechtssache C-503/03
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Königreich Spanien
„Freizügigkeit – Richtlinie 64/221/EWG – Staatsangehöriger eines Drittstaats, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist – Einreise- und Aufenthaltsrecht – Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung – Schengener Informationssystem – Ausschreibung zur Einreiseverweigerung“
Schlussanträge der Generalanwältin J. Kokott vom 10. März 2005
Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 31. Januar 2006
Leitsätze des Urteils
1. Europäische Union – Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen – Anwendung durch die nationalen Behörden
2. Freizügigkeit – Ausnahmen – Gründe der öffentlichen Ordnung
(Richtlinie 64/221 des Rates, Artikel 1 bis 3)
1. Die Konformität einer Verwaltungspraxis mit den Bestimmungen des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen kann das Verhalten der zuständigen nationalen Behörden nur rechtfertigen, soweit die Anwendung der fraglichen Bestimmungen mit den Gemeinschaftsvorschriften über die Freizügigkeit vereinbar ist.
(vgl. Randnr. 35)
2. Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 1 bis 3 der Richtlinie 64/221 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, wenn er einem Drittstaatsangehörigen, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten des Schengener Übereinkommens sowie die Erteilung eines Sichtvermerks zur Einreise in den Schengen-Raum allein aus dem Grund verweigert, weil er im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, ohne dass er vorher geprüft hat, ob die Anwesenheit dieser Person eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt.
Die Aufnahme eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, in das Schengener Informationssystem stellt zwar ein Indiz für das Vorliegen eines Grundes dar, der es rechtfertigt, ihm die Einreise in den Schengen-Raum zu verweigern. Dieses Indiz muss jedoch durch Informationen erhärtet werden, anhand deren der das Schengener Informationssystem konsultierende Mitgliedstaat vor einer Einreiseverweigerung feststellen kann, dass die Anwesenheit des Betroffenen in diesem Raum eine solche Gefährdung darstellt.
Im Hinblick auf diese Prüfung verlangt zwar der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, auf dem der Schengen-Besitzstand basiert, dass der Staat, der das Schengener Informationssystem konsultiert, die Angaben des ausschreibenden Staates gebührend berücksichtigt, er verlangt aber auch, dass der ausschreibende Staat dem erstgenannten Staat die ergänzenden Informationen bereitstellt, die es diesem ermöglichen, das Ausmaß der Gefährdung, die von der ausgeschriebenen Person ausgehen kann, konkret zu beurteilen.
Die Frist für die Beantwortung eines Informationsersuchens darf jedenfalls eine Dauer nicht überschreiten, die nach den Umständen des Falles angemessen ist, wobei es einen Unterschied machen kann, ob es sich um einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerks oder um einen Grenzübertritt handelt. Im letztgenannten Fall ist es zwingend geboten, dass die nationalen Behörden, die nach der Feststellung, dass ein Drittstaatsangehöriger, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, den ausschreibenden Staat um eine ergänzende Information ersucht haben, von diesem eine schnelle Antwort erhalten.
(vgl. Randnrn. 53, 55-56, 58-59, Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Große Kammer)
31. Januar 2006(*)
„Freizügigkeit – Richtlinie 64/221/EWG – Staatsangehöriger eines Drittstaats, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist – Einreise- und Aufenthaltsrecht – Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung – Schengener Informationssystem – Ausschreibung zur Einreiseverweigerung“
In der Rechtssache C‑503/03
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 27. November 2003,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. O’Reilly und L. Escobar Guerrero als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Königreich Spanien, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagter,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter), C. W. A. Timmermans, A. Rosas und J. Malenovský, der Richter S. von Bahr und J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Lenaerts, E. Juhász, G. Arestis, A. Borg Barthet und M. Ilešič,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. März 2005
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Feststellung, dass das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 1 bis 3 und 6 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850), verstoßen hat, dass es zwei Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Bürgern der Europäischen Union sind, die Erteilung eines Sichtvermerks und die Einreise in das spanische Staatsgebiet allein deswegen verweigert hat, weil sie (auf Ersuchen eines Mitgliedstaats) im Schengener Informationssystem (SIS) auf der Liste von nicht zuzulassenden Personen standen, und dass es die Verweigerung des Sichtvermerks und der Einreise nicht ausreichend begründet hat.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 64/221
2 Artikel 1 der Richtlinie 64/221 bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen.
(2) Diese Bestimmungen gelten auch für den Ehegatten und die Familienmitglieder, welche die Bedingungen der auf Grund des Vertrages auf diesem Gebiet erlassenen Verordnungen und Richtlinien erfüllen.“
3 Artikel 2 der Richtlinie lautet:
„(1) Diese Richtlinie betrifft die Vorschriften für die Einreise, die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet, welche die Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen.
(2) Diese Gründe dürfen nicht für wirtschaftliche Zwecke geltend gemacht werden.“
4 Artikel 3 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit darf ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein.
(2) Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.
…“
5 Artikel 6 der Richtlinie lautet:
„Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, bekanntzugeben, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit des Staates dieser Bekanntgabe entgegenstehen.“
Schengen-Besitzstand
Die Schengener Übereinkommen
6 Die Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik unterzeichneten am 14. Juni 1985 in Schengen (Luxemburg) das Übereinkommen betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 13, im Folgenden: Schengener Übereinkommen).
7 Dieses Übereinkommen wurde durch die am 19. Juni 1990 in Schengen erfolgte Unterzeichnung eines Durchführungsübereinkommens (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ) konkretisiert, das Maßnahmen der Zusammenarbeit vorsieht, die als Ausgleich für die Abschaffung der Binnengrenzen den Schutz aller Hoheitsgebiete der Vertragsparteien gewährleisten sollen. Das Königreich Spanien trat dem Schengener Übereinkommen und dem SDÜ am 25. Juni 1991 bei (ABl. 2000, L 239, S. 69).
8 Artikel 1 SDÜ definiert den Begriff „Drittausländer“ als „eine Person, die nicht Staatsangehöriger eines der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften ist“.
9 Titel II des SDÜ enthält die Vorschriften über die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen und den Personenverkehr. Artikel 5 SDÜ regelt die Einreise von Drittausländern in die Hoheitsgebiete der Vertragsstaaten des Schengener Übereinkommens (im Folgenden: Schengen-Raum) wie folgt:
„(1) Für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten kann einem Drittausländer die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien gestattet werden, wenn er die nachstehenden Voraussetzungen erfüllt:
…
d) Er darf nicht zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein.
…
(2) Einem Drittausländer, der nicht alle diese Voraussetzungen erfüllt, muss die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien verweigert werden, es sei denn, eine Vertragspartei hält es aus humanitären Gründen oder Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen für erforderlich, von diesem Grundsatz abzuweichen. In diesen Fällen wird die Zulassung auf das Hoheitsgebiet der betreffenden Vertragspartei beschränkt, die die übrigen Vertragsparteien darüber unterrichten muss.
…“
10 Die Artikel 15 und 16 SDÜ enthalten eine Parallelregelung zu Artikel 5 SDÜ für die Erteilung von Sichtvermerken. Diese dürfen grundsätzlich nur erteilt werden, wenn u. a. die Voraussetzung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe d SDÜ erfüllt ist. Abweichend hiervon kann jedoch aus einem der in Artikel 5 Absatz 2 SDÜ genannten Gründe auch bei Vorliegen einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung ein Sichtvermerk erteilt werden. Dessen räumliche Gültigkeit ist dann auf das Hoheitsgebiet desjenigen Mitgliedstaats zu beschränken, der den Sichtvermerk erteilt.
11 Titel IV des SDÜ ist dem SIS gewidmet. Dieses besteht nach Artikel 92 Absatz 1 SDÜ aus einem nationalen Teil bei jeder Vertragspartei und einer technischen Unterstützungseinheit. Durch das System werden Ausschreibungen, die der Suche nach Personen und Sachen dienen, den zuständigen nationalen Behörden bei Grenzkontrollen, die nach Maßgabe des nationalen Rechts durchgeführt werden, sonstigen polizeilichen und zollrechtlichen Überprüfungen im Inland und, in den Fällen der Ausschreibung von Personen zur Einreiseverweigerung, im Hinblick auf das Verfahren zur Erteilung von Sichtvermerken und Aufenthaltstiteln sowie allgemein im Hinblick auf die Handhabung des Ausländerrechts im Rahmen der Anwendung des SDÜ im Bereich des Personenverkehrs zum Abruf im automatisierten Verfahren bereitgehalten.
12 Artikel 96 SDÜ regelt die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung wie folgt:
„(1) Die Daten bezüglich Drittausländern, die zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sind, werden aufgrund einer nationalen Ausschreibung gespeichert, die auf Entscheidungen der zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichte beruht, wobei die Verfahrensregeln des nationalen Rechts zu beachten sind.
(2) Die Entscheidungen können auf die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit, die die Anwesenheit eines Drittausländers auf dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei bedeutet, gestützt werden.
Dies kann insbesondere der Fall sein
a) bei einem Drittausländer, der wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist;
b) bei einem Drittausländer, gegen den ein begründeter Verdacht besteht, dass er schwere Straftaten, einschließlich solcher im Sinne von Artikel 71 begangen hat, oder gegen den konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Taten in dem Hoheitsgebiet einer Vertragspartei plant.
(3) Die Entscheidungen können ebenso darauf beruhen, dass der Drittausländer ausgewiesen, zurückgewiesen oder abgeschoben worden ist, wobei die Maßnahme nicht aufgeschoben oder aufgehoben worden sein darf, ein Verbot der Einreise oder des Aufenthalts enthalten oder davon begleitet sein muss und auf der Nichtbeachtung des nationalen Rechts über die Einreise oder den Aufenthalt von Ausländern beruhen muss.“
13 Artikel 94 SDÜ betrifft die Daten, die im SIS gespeichert werden können. Nach seinem Absatz 1 hat der ausschreibende Staat zu prüfen, ob die Bedeutung des Falles eine Aufnahme der Ausschreibung in das SIS rechtfertigt. Absatz 3 führt abschließend die Angaben auf, die gespeichert werden können. Dazu gehören folgende Angaben:
„g) der personenbezogene Hinweis ‚bewaffnet‘;
h) der personenbezogene Hinweis ‚gewalttätig‘;
i) Ausschreibungsgrund;
j) zu ergreifende Maßnahme.“
14 Der ausschreibende Staat ist nach Artikel 105 SDÜ für die Richtigkeit und Aktualität der Daten sowie die Rechtmäßigkeit der Speicherung im SIS verantwortlich. Nach Artikel 106 darf die Änderung, Ergänzung, Berichtigung oder Löschung der Daten nur durch diesen Staat vorgenommen werden. Nach Artikel 112 Absatz 1 Satz 2 hat der ausschreibende Staat spätestens drei Jahre nach Einspeicherung der Daten die Erforderlichkeit der weiteren Speicherung zu prüfen.
15 Nach Artikel 134 SDÜ sind die Bestimmungen dieses Übereinkommens nur anwendbar, soweit sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.
16 Die Voraussetzungen für die Aufnahme eines Drittausländers in das SIS wurden mit der Erklärung des durch das SDÜ eingesetzten Exekutivausschusses vom 18. April 1996 zur Bestimmung des Begriffs „Drittausländer“ (ABl. 2000, L 239, S. 458, im Folgenden: Erklärung vom 18. April 1996) wie folgt präzisiert:
„[I]m Hinblick auf die Anwendung des Artikels 96 [SDÜ]
werden gemeinschaftsrechtlich begünstigte Personen grundsätzlich nicht in die gemeinsame Liste von Personen aufgenommen, denen die Einreise in das Hoheitsgebiet zu verweigern ist.
Allerdings können die nachstehend aufgeführten Personen, die gemeinschaftsrechtlich begünstigt sind, in diese Liste aufgenommen werden, wenn die Voraussetzungen für eine solche Aufnahme mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehen:
a) Familienangehörige von Unionsbürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind und denen ein aufgrund des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erlassener Rechtsakt das Einreise- und Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat gibt.
b) …
Stellt sich heraus, dass eine Person, die in die gemeinsame Liste von nicht zuzulassenden Personen eingetragen wurde, gemeinschaftsrechtlich begünstigt ist, ist die Beibehaltung in der Liste nur möglich, wenn diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Ist dies nicht der Fall, so trifft der Mitgliedstaat, der die betreffende Person in die Liste eingetragen hat, alle erforderlichen Maßnahmen zur Streichung dieser Person aus der Liste.“
17 Mit Beschluss SCH/Com-ex (99) 5 vom 28. April 1999 nahm der durch das SDÜ eingesetzte Exekutivausschuss das SIRENE-Handbuch an, das die Schaffung und das Funktionieren eines Verfahrens betrifft, mit dem dem Endbenutzer, der nach einer Befragung des SIS einen Trefferfall feststellt, die für sein Einschreiten erforderlichen zusätzlichen Informationen übermittelt werden sollen. Das SIRENE-Handbuch sieht in der im Anschluss an den Beschluss 2003/19/EG des Rates vom 14. Oktober 2002 über die Freigabe bestimmter Teile des SIRENE-Handbuchs (ABl. 2003, L 8, S. 34) veröffentlichten Fassung unter 2.2.1 vor, dass das eingeführte System es ermöglichen muss, so schnell wie möglich die von den anderen Vertragsparteien gestellten Ersuchen um Informationen zu beantworten (ABl. 2003, C 38, S. 1). Die Ersuchen sind innerhalb einer Frist von höchstens zwölf Stunden zu beantworten.
Das Schengen-Protokoll
18 Nach Artikel 1 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, das durch den Vertrag von Amsterdam dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft als Anhang beigefügt wurde (im Folgenden: Schengen-Protokoll), sind dreizehn Mitgliedstaaten der Union, darunter die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Spanien, ermächtigt, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands, wie er im Anhang dieses Protokolls festgelegt ist, zu begründen. Diese Zusammenarbeit hat innerhalb des institutionellen und rechtlichen Rahmens der Union sowie des EU- und des EG-Vertrags zu erfolgen.
19 Gemäß dem Anhang des Schengen-Protokolls gehören zum Schengen-Besitzstand u. a. das Schengener Übereinkommen und das SDÜ sowie die Beschlüsse des aufgrund des SDÜ eingesetzten Exekutivausschusses.
20 Nach Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Schengen-Protokolls ist der Schengen-Besitzstand ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages von Amsterdam für die in Artikel 1 dieses Protokolls aufgeführten dreizehn Mitgliedstaaten sofort anwendbar.
21 Der Rat erließ nach Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Schengen-Protokolls am 20. Mai 1999 den Beschluss 1999/436/EG zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union (ABl. L 176, S. 17). Artikel 62 Absatz 2 Buchstabe a EG wurde als Rechtsgrundlage des Artikels 5 SDÜ (mit Ausnahme von Absatz 1 Buchstabe e) und Artikel 62 Absatz 2 Buchstabe b EG als Rechtsgrundlage der Artikel 15 und 16 SDÜ bezeichnet. Keine Rechtsgrundlage wurde für die Artikel 92 bis 119 und 134 SDÜ sowie für die Erklärung vom 18. April 1996 genannt; diese Bestimmungen gelten nach Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 4 des Schengen-Protokolls als Rechtsakte, die auf Titel VI des EU-Vertrags gestützt sind.
Vorverfahren
22 Die Kommission leitete nach zwei Beschwerden von Herrn Farid und Herrn Bouchair, die die algerische Staatsangehörigkeit besitzen und denen die spanischen Behörden die Einreise in den Schengen-Raum verweigert hatten, das Vorverfahren nach Artikel 226 Absatz 1 EG ein.
23 Herr Farid war zur Zeit der ihn betreffenden ablehnenden Entscheidung mit einer spanischen Staatsangehörigen verheiratet und wohnte mit seiner Familie in Dublin (Irland). Bei seiner Ankunft am 5. Februar 1999 auf dem Flughafen von Barcelona (Spanien) mit einem Flug aus Algerien wurde ihm die Einreise in den Schengen-Raum verweigert. Dies wurde damit begründet, dass er aufgrund einer Erklärung der Bundesrepublik Deutschland im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sei. Ein am 17. September 1999 beim spanischen Konsulat in Dublin beantragter Sichtvermerk wurde mit Schreiben vom 17. Dezember 1999 aus demselben Grund abgelehnt.
24 Herr Bouchair war zur Zeit der ihn betreffenden ablehnenden Entscheidung ebenfalls mit einer spanischen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er in London (Vereinigtes Königreich) wohnte. Zur Vorbereitung einer Urlaubsreise mit seiner Ehefrau beantragte er beim spanischen Konsulat in London einen Sichtvermerk für die Einreise in den Schengen-Raum. Der beantragte Sichtvermerk wurde am 9. Mai 2000 mit der Begründung abgelehnt, dass Herr Bouchair nicht die Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 1 SDÜ erfülle. Ein zweiter Antrag wurde am 19. Juni 2001 abgelehnt. Während des Vorverfahrens stellte sich heraus, dass der Sichtvermerk nicht erteilt worden war, weil auch für diesen Antragsteller eine von der Bundesrepublik Deutschland vorgenommene Ausschreibung zur Einreiseverweigerung vorgelegen hatte.
25 Aus den Akten ergibt sich, dass der Grund für die Ausschreibung in beiden Fällen nicht im SIS angegeben war.
26 Mit Schreiben vom 23. April 2001 forderte die Kommission das Königreich Spanien auf, zu den Beschwerden Stellung zu nehmen. Die spanische Regierung bestätigte daraufhin den Sachverhalt. Sie wies jedoch den Vorwurf zurück, dass die gerügte Verwaltungspraxis gegen die Richtlinie 64/221 verstoße.
27 Da die spanische Regierung ihren Standpunkt in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme, die die Kommission am 26. Juni 2002 an sie gerichtet hatte, aufrechterhielt, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
28 Das Königreich Spanien beantragt, die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Zur Klage
Vorbemerkungen
29 Die Kommission trägt vor, das Königreich Spanien habe nicht die Erfordernisse der Richtlinie 64/221, wie diese vom Gerichtshof ausgelegt werde, beachtet, als es zwei Drittstaatsangehörigen, die mit Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet seien, die Einreise in das Hoheitsgebiet und die Ausstellung eines Sichtvermerks allein aus dem Grund verweigert habe, dass sie im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben gewesen seien.
30 Die spanische Regierung macht geltend, dass eine dem SDÜ entsprechende Verwaltungspraxis nicht gemeinschaftsrechtswidrig sein könne, weil seine Bestimmungen seit der Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Union durch den Vertrag von Amsterdam zum Gemeinschaftsrecht gehörten.
31 Die Praxis der spanischen Behörden entspreche dem SDÜ. Die Ausschreibung einer Person im SIS zur Einreiseverweigerung liege in der alleinigen Zuständigkeit und Verantwortung des ausschreibenden Staates. Das Königreich Spanien habe dadurch, dass es Personen, die in dieser Weise ausgeschrieben gewesen seien, die Einreise in das Hoheitsgebiet und die Erteilung eines Sichtvermerks verweigert habe, lediglich seine Verpflichtungen aus den Artikeln 5 und 15 SDÜ erfüllt.
32 In Anbetracht der Argumentation der spanischen Regierung ist zunächst das Verhältnis zwischen dem SDÜ und dem Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet der Freizügigkeit zu klären.
33 In der Zeit vor der Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Union richtete sich dieses Verhältnis nach Artikel 134 SDÜ, wonach die Bestimmungen des SDÜ nur anwendbar waren, soweit sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar waren.
34 Dieser Grundsatz wurde im Schengen-Protokoll aufgegriffen, das im dritten Absatz seiner Präambel bekräftigt, dass die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands nur in dem Maße anwendbar sind, in dem sie mit den Rechtsvorschriften der Union und der Gemeinschaft vereinbar sind. Artikel 1 dieses Protokolls bestimmt, dass die verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands innerhalb des institutionellen und rechtlichen Rahmens der Union und unter Beachtung der Verträge zu erfolgen hat. Diese Bestimmung ist ein besonderer Ausdruck des in Artikel 43 Absatz 1 EU aufgestellten Grundsatzes, dass eine verstärkte Zusammenarbeit die Verträge und den institutionellen Rahmen der Union sowie den Besitzstand der Gemeinschaft zu beachten hat.
35 Daraus folgt, dass die Konformität einer Verwaltungspraxis mit den Bestimmungen des SDÜ das Verhalten der zuständigen nationalen Behörden nur rechtfertigen kann, soweit die Anwendung der fraglichen Bestimmungen mit den Gemeinschaftsvorschriften über die Freizügigkeit vereinbar ist.
36 In den beiden Fällen, die Gegenstand der vorliegenden Klage sind, haben die spanischen Behörden, wie die spanische Regierung geltend macht, gemäß dem im SDÜ vorgesehenen Mechanismus gehandelt. Denn nach den Artikeln 94 Absatz 1 und 105 SDÜ fällt die Beurteilung der Frage, ob Umstände vorliegen, die die Aufnahme der Ausschreibung eines Drittausländers in das SIS rechtfertigen, in die Zuständigkeit des ausschreibenden Staates – hier der Bundesrepublik Deutschland –, der für die Richtigkeit und Aktualität der von ihm eingegebenen Daten sowie für die Rechtmäßigkeit der Speicherung im SIS verantwortlich ist und der allein diese Daten ergänzen, berichtigen oder löschen darf. Die anderen Vertragsstaaten sind, sofern keine außergewöhnlichen Umstände gegeben sind – die im vorliegenden Verfahren keine Rolle spielen –, nach den Artikeln 5 und 15 SDÜ verpflichtet, einem zur Einreiseverweigerung ausgeschriebenen Drittausländer die Einreise und die Erteilung eines Sichtvermerks zu verweigern.
37 ImIDDDer Automatismus dieser Verweigerung ist Ausdruck des Grundsatzes der Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten, der dem Schengen-Besitzstand zugrunde liegt und der für das Funktionieren eines integrierten Verwaltungssystems unerlässlich ist, das als Folge des freien Übertritts der Grenzen innerhalb des Schengen-Raums ein hohes einheitliches Kontroll- und Überwachungsniveau an den Außengrenzen gewährleisten soll.
38 Da jedoch der in den Artikeln 5 und 15 SDÜ vorgesehene Automatismus der Verweigerung nicht danach unterscheidet, ob der betreffende Drittausländer mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, ist zu prüfen, ob das Verhalten der spanischen Behörden mit den Gemeinschaftsvorschriften über die Freizügigkeit, insbesondere der Richtlinie 64/221, vereinbar war.
Zur ersten Rüge
Vorbringen der Parteien
39 Die Kommission wirft dem Königreich Spanien vor, es habe gegen die Bestimmungen der Richtlinie 64/221 verstoßen, indem es zwei Drittstaatsangehörigen, die mit Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet seien, die Einreise in sein Hoheitsgebiet und die Erteilung eines Sichtvermerks allein aus dem Grund verweigert habe, dass sie im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben gewesen seien. Nach ständiger Rechtsprechung könne einem Unionsbürger oder einem seiner Familienangehörigen die Einreise in einen Mitgliedstaat nur dann verweigert werden, wenn der Betreffende eine tatsächliche und hinreichend schwere Bedrohung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre (Urteile vom 28. Oktober 1975 in der Rechtssache 36/75, Rutili, Slg. 1975, 1219, Randnr. 28, und vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 30/77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Randnr. 35).
40 Die spanische Regierung weist darauf hin, dass das SDÜ mit Ausnahme des Sonderfalls der Anträge auf Aufenthaltserlaubnis keine Vorschrift enthalte, wonach ein Vertragsstaat verpflichtet sei, den Staat, der eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung vorgenommen habe, zu den Gründen zu befragen, die die Aufnahme dieser Ausschreibung in das SIS gerechtfertigt hätten. Wie sich aus der Erklärung vom 18. April 1996 ergebe, hätten die Vertragsstaaten den Grundsatz anerkannt, dass die Aufnahme gemeinschaftsrechtlich begünstigter Personen in das SIS nur erfolgen und beibehalten werden könne, wenn sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Daher könne eine solche Aufnahme in das SIS als Indiz für eine tatsächliche schwere Bedrohung angesehen werden.
Würdigung durch den Gerichtshof
41 Da der Gemeinschaftsgesetzgeber die Bedeutung anerkannt hat, die der Gewährleistung des Schutzes des Familienlebens der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten für die Beseitigung der Hindernisse bei der Ausübung der vom EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten zukommt (Urteile vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C‑60/00, Carpenter, Slg. 2002, I‑6279, Randnr. 38, und vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C‑459/99, MRAX, Slg. 2002, I‑6591, Randnr. 53), hat er in den Verordnungen und Richtlinien über die Freizügigkeit die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Einreise und des Aufenthalts im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten weitgehend auf die Drittstaatsangehörigen erstreckt, die mit Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten verheiratet sind. Zwar können die Mitgliedstaaten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats innerhalb der Gemeinschaft umzieht, um die Rechte auszuüben, die ihm durch den Vertrag und die zu seiner Durchführung ergangenen Vorschriften verliehen sind, von seinem Ehegatten, der die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzt, ein Einreisevisum verlangen, doch haben sie ihm zur Erlangung der erforderlichen Sichtvermerke auch alle Erleichterungen zu gewähren.
42 Im vorliegenden Fall steht fest, dass Herr Farid und Herr Bouchair, die Drittstaatsangehörige sind, aus ihrem Status als Ehegatten von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats das Recht hergeleitet haben, in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen oder dazu einen Sichtvermerk zu erhalten.
43 Das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats und ihrer Ehegatten, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten, ist jedoch kein unbedingtes Recht. Unter den Beschränkungen, die gemeinschaftsrechtlich vorgesehen oder zulässig sind, erlaubt Artikel 2 der Richtlinie 64/221 den Mitgliedstaaten, Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten oder ihren Ehegatten, die einem Drittstaat angehören, die Einreise in ihr Hoheitsgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit zu verbieten (vgl. in Bezug auf den Ehegatten Urteil MRAX, Randnrn. 61 und 62).
44 Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat jedoch der Berufung eines Mitgliedstaats auf solche Gründe enge Grenzen gesetzt. Nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 64/221 darf bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der betreffenden Person ausschlaggebend sein. Absatz 2 dieses Artikels stellt klar, dass strafrechtliche Verurteilungen allein diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen können. Eine strafrechtliche Verurteilung darf daher nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (Urteile Bouchereau, Randnr. 28, und vom 19. Januar 1999 in der Rechtssache C‑348/96, Calfa, Slg. 1999, I‑11, Randnr. 24).
45 Der Gerichtshof hat stets hervorgehoben, dass die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eine Abweichung vom grundlegenden Prinzip der Freizügigkeit darstellt, die eng auszulegen ist und deren Tragweite nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann (Urteile Rutili, Randnr. 27, Bouchereau, Randnr. 33, Calfa, Randnr. 23, sowie vom 29. April 2004 in den Rechtssachen C‑482/01 und C‑493/01, Orfanopoulos und Oliveri, Slg. 2004, I‑5257, Randnrn. 64 und 65).
46 Daher setzt nach ständiger Rechtsprechung der Rückgriff einer nationalen Behörde auf den Begriff der öffentlichen Ordnung auf jeden Fall voraus, dass außer der sozialen Störung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (Urteile Rutili, Randnr. 28, Bouchereau, Randnr. 35, sowie Orfanopoulos und Oliveri, Randnr. 66).
47 Im Fall eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, erlaubt diese enge Auslegung des Begriffes der öffentlichen Ordnung es außerdem, das Recht dieses Drittstaatsangehörigen auf Achtung seines Familienlebens im Sinne von Artikel 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu wahren (vgl. in diesem Sinne Urteile Carpenter, Randnr. 41, und vom 23. September 2003 in der Rechtssache C‑109/01, Akrich, Slg. 2003, I‑9607, Randnr. 58).
48 Demnach ist festzustellen, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 64/221 nicht dem des Artikels 96 SDÜ entspricht. Denn nach diesem letztgenannten Artikel kann eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS auf eine Gefahr für die öffentliche Ordnung gestützt werden, wenn der Betroffene wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist (Absatz 2 Buchstabe a), oder wenn gegen ihn eine Maßnahme ergangen ist, die auf der Nichtbeachtung des nationalen Rechts über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern beruht (Absatz 3). Im Unterschied zur Regelung der Richtlinie 64/221, wie diese vom Gerichtshof ausgelegt wird, rechtfertigen solche Umstände für sich allein eine Ausschreibung, unabhängig von jeder konkreten Beurteilung der Gefahr, die der Betroffene darstellt.
49 Nach den Artikeln 5 und 15 SDÜ darf einem Drittausländer, der zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, grundsätzlich weder die Einreise in den Schengen-Raum gestattet noch ein Sichtvermerk zu diesem Zweck erteilt werden.
50 Daraus folgt, dass nach dem Mechanismus des SDÜ eine in den Geltungsbereich der Richtlinie 64/221 fallende Person wie der Drittstaatsangehörige, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, Gefahr läuft, im Fall einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutz einzubüßen.
51 Um dieser Gefahr vorzubeugen haben sich die Vertragsstaaten in der Erklärung vom 18. April 1996 verpflichtet, gemeinschaftsrechtlich begünstigte Personen nur dann zur Einreiseverweigerung auszuschreiben, wenn die gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
52 Das bedeutet, dass ein Vertragsstaat die Ausschreibung eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, erst dann vornehmen kann, wenn er festgestellt hat, dass die Anwesenheit dieser Person im Sinne der Richtlinie 64/221 eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
53 Unter diesen Umständen stellt die Aufnahme eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, in das SIS zwar ein Indiz für das Vorliegen eines Grundes dar, der es rechtfertigt, ihm die Einreise in den Schengen-Raum zu verweigern. Dieses Indiz muss jedoch durch Informationen erhärtet werden, anhand deren der das SIS konsultierende Mitgliedstaat vor einer Einreiseverweigerung feststellen kann, dass die Anwesenheit des Betroffenen in diesem Raum eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 94 Absatz 3 Buchstabe i SDÜ ausdrücklich die Angabe des Ausschreibungsgrundes gestattet.
54 In den beiden Fällen, die der vorliegenden Klage zugrunde liegen, haben sich die spanischen Behörden, denen gegenüber Herr Farid und Herr Bouchair, Staatsangehörige eines Drittstaats, ihren Status als Ehegatten von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats ordnungsgemäß nachgewiesen hatten, für ihre Einreiseverweigerungsentscheidung auf die Feststellung beschränkt, dass im SIS Ausschreibungen zur Einreiseverweigerung ohne Hinweis auf den Grund für diese Ausschreibungen vorhanden waren.
55 In einer solchen Situation waren die spanischen Behörden nicht berechtigt, den Betroffenen die Einreise zu verweigern, ohne vorher geprüft zu haben, ob ihre Anwesenheit eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung darstellte, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
56 Im Hinblick auf diese Prüfung ist hervorzuheben, dass der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, auf dem der Schengen-Besitzstand basiert, zwar verlangt, dass der Staat, der das SIS konsultiert, die Angaben des ausschreibenden Staates gebührend berücksichtigt, dass er aber auch verlangt, dass der ausschreibende Staat dem erstgenannten Staat die ergänzenden Informationen bereitstellt, die es diesem ermöglichen, das Ausmaß der Gefährdung, die von der ausgeschriebenen Person ausgehen kann, konkret zu beurteilen.
57 So ist das Netz der SIRENE-Büros gerade zum Zweck der Information der nationalen Behörden errichtet worden, die bei der Durchführung einer Ausschreibung auf ein Problem stoßen. Nach Punkt 2.2.1 des SIRENE-Handbuchs muss das eingeführte System es ermöglichen, so schnell wie möglich die von den anderen Vertragsparteien gestellten Ersuchen um Informationen zu beantworten, wobei die Ersuchen innerhalb einer Frist von höchstens zwölf Stunden zu beantworten sind.
58 Die Frist für die Beantwortung eines Informationsersuchens darf jedenfalls eine Dauer nicht überschreiten, die nach den Umständen des Falles angemessen ist, wobei es einen Unterschied machen kann, ob es sich um einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerks oder um einen Grenzübertritt handelt. Im letztgenannten Fall ist es zwingend geboten, dass die nationalen Behörden, die nach der Feststellung, dass ein Drittstaatsangehöriger, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, den ausschreibenden Staat um eine ergänzende Information ersucht haben, von diesem eine schnelle Antwort erhalten.
59 Nach alledem ist festzustellen, dass das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 1 bis 3 der Richtlinie 64/221 verstoßen hat, dass es Herrn Farid die Einreise in den Schengen-Raum sowie Herrn Farid und Herrn Bouchair, Drittstaatsangehörigen, die mit Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet sind, die Erteilung eines Sichtvermerks zur Einreise in den Schengen-Raum allein aus dem Grund verweigert hat, dass sie im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben waren, ohne dass es vorher geprüft hat, ob die Anwesenheit dieser Personen eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft darstellte.
Zur zweiten Rüge
Vorbringen der Parteien
60 Mit dieser Rüge wirft die Kommission den spanischen Behörden vor, in ihren Entscheidungen nicht die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit angegeben zu haben, auf die sie sich gestützt hätten, um Herrn Farid und Herrn Bouchair die Einreise in das spanische Hoheitsgebiet und die Erteilung eines Sichtvermerks zu verweigern.
61 Die spanische Regierung führt in ihrer Klagebeantwortung die gleichen Argumente wie gegenüber der ersten Rüge an.
Würdigung durch den Gerichtshof
62 In Bezug auf die erste Rüge ist in Randnummer 59 des vorliegenden Urteils festgestellt worden, dass das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 1 bis 3 der Richtlinie 64/221 verstoßen hat, dass es Herrn Farid die Einreise in den Schengen-Raum sowie Herrn Farid und Herrn Bouchair, Drittstaatsangehörigen, die mit Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet sind, die Erteilung eines Sichtvermerks zur Einreise in den Schengen-Raum allein aus dem Grund verweigert hat, dass sie im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben waren.
63 Da die Weigerung der spanischen Behörden die einzige Handlung ist, die den von der Kommission geltend gemachten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begründet, besteht kein Anlass, über die zweite Rüge zu entscheiden.
Kosten
64 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Königreichs Spanien beantragt hat und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Königreich Spanien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 1 bis 3 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, verstoßen, dass es Herrn Farid die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten des am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen sowie Herrn Farid und Herrn Bouchair, Drittstaatsangehörigen, die mit Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet sind, die Erteilung eines Sichtvermerks zur Einreise in den Schengen-Raum allein aus dem Grund verweigert hat, dass sie im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben waren, ohne dass es vorher geprüft hat, ob die Anwesenheit dieser Personen eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft darstellte.
2. Das Königreich Spanien trägt die Kosten des Verfahrens.
Unterschriften.
* Verfahrenssprache: Spanisch.