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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62004CJ0496

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 14. September 2006.
J. Slob gegen Productschap Zuivel.
Ersuchen um Vorabentscheidung: College van Beroep voor het bedrijfsleven - Niederlande.
Milch und Milcherzeugnisse - Direktverkauf - Referenzmenge - Überschreitung - Zusatzabgabe auf Milch - Verpflichtung des Erzeugers, eine Bestandsbuchhaltung zu führen - Artikel 7 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 - Zusätzliche nationale Maßnahmen - Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.
Rechtssache C-496/04.

Sammlung der Rechtsprechung 2006 I-08257

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2006:570

Rechtssache C-496/04

J. Slob

gegen

Productschap Zuivel

(Vorabentscheidungsersuchen des

College van Beroep voor het bedrijfsleven)

„Milch und Milcherzeugnisse – Direktverkauf – Referenzmenge – Überschreitung – Zusatzabgabe auf Milch – Verpflichtung des Erzeugers, eine Bestandsbuchhaltung zu führen – Artikel 7 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 – Zusätzliche nationale Maßnahmen – Zuständigkeit der Mitgliedstaaten“

Schlussanträge der Generalanwältin E. Sharpston vom 22. Juni 2006 

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 14. September 2006 

Leitsätze des Urteils

1.     Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Milch und Milcherzeugnisse – Zusatzabgabe auf Milch

(Verordnung Nr. 536/93 der Kommission, Artikel 7)

2.     Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Milch und Milcherzeugnisse – Zusatzabgabe auf Milch

(Verordnung Nr. 536/93 der Kommission, Artikel 7)

1.     Artikel 7 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 536/93 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten einen Spielraum belässt, um im Rahmen des Erforderlichen eine Regelung zu erlassen, die den in ihrem Gebiet ansässigen Milcherzeugern zusätzliche Buchführungspflichten auferlegt, die über die sich aus Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe f dieser Verordnung ergebenden Pflichten hinausgehen. Bei der Wahrnehmung dieser Befugnis müssen die Mitgliedstaaten die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten.

(vgl. Randnr. 42, Tenor 1)

2.     Im Rahmen der in den Verordnungen Nrn. 3950/92 und 536/93 vorgesehenen Vorschriften über die Zusatzabgabe auf Milch steht das Gemeinschaftsrecht einer Regelung nicht entgegen, die die Milcherzeuger verpflichtet, die hergestellten Buttermengen und deren Verwendung in ein Verzeichnis aufzunehmen, auch wenn die Butter vernichtet oder verfüttert worden ist, falls sich in dem betreffenden Mitgliedstaat eine wirksame Kontrolle der Richtigkeit der von den Erzeugern gemachten Angaben über die Direktverkäufe allein auf der Grundlage der Gemeinschaftsvorschriften als schwierig erweist.

(vgl. Randnr. 49, Tenor 2)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)

14. September 2006(*)

„Milch und Milcherzeugnisse – Direktverkauf – Referenzmenge – Überschreitung – Zusatzabgabe auf Milch – Verpflichtung des Erzeugers, eine Bestandsbuchhaltung zu führen – Artikel 7 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 – Zusätzliche nationale Maßnahmen – Zuständigkeit der Mitgliedstaaten“

In der Rechtssache C‑496/04

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom College van Beroep voor het bedrijfsleven (Niederlande) mit Entscheidung vom 26. November 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Dezember 2004, in dem Verfahren

J. Slob

gegen

Productschap Zuivel

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, der Richterin N. Colneric (Berichterstatterin) sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues, M. Ilešič und E. Levits,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: L. Hewlett,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–       von Herrn Slob, vertreten durch G. van der Wal und H. S. J. Albers, advocaten,

–       der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und C. A. H. M. ten Dam als Bevollmächtigte,

–       der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch T. van Rijn als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. Juni 2006

folgendes

Urteil

1       Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Artikels 7 Absätze 1 Satz 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl. L 57, S. 12).

2       Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Slob, einem Milcherzeuger, und dem Productschap Zuivel (im Folgenden: Productschap) wegen der Zusatzabgabe, zu der der Betroffene herangezogen wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

3       Die Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl. L 405, S. 1) hat die Zusatzabgabe für Milch, die mit der Verordnung (EWG) Nr. 856/84 des Rates vom 31. März 1984 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 90, S. 10) eingeführt wurde, für weitere sieben Zwölfmonatszeiträume ab dem 1. April 1993 verlängert.

4       Nach der sechsten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3950/92 haben bei Überschreiten der Garantiemengen der jeweiligen Mitgliedstaaten „die betreffenden Erzeuger, die zu dieser Überschreitung beigetragen haben, die Abgabe zu entrichten“.

5       Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3950/92 sieht vor:

„Die Abgabe wird auf alle Milch- oder Milchäquivalenzmengen erhoben, die in dem betreffenden Zwölfmonatszeitraum vermarktet werden und die eine der beiden in Artikel 3 genannten Mengen überschreiten. Sie wird auf die Erzeuger verteilt, die zur Mengenüberschreitung beigetragen haben.

…“

6       Nach Artikel 9 Buchstaben c und h dieser Verordnung bedeutet

„c)      ‚Erzeuger‘: der Betriebsinhaber – eine natürliche oder juristische Person oder eine Vereinigung natürlicher oder juristischer Personen –, der einen Betrieb im geografischen Gebiet der Gemeinschaft bewirtschaftet und der

–       Milch oder Milcherzeugnisse direkt an den Verbraucher verkauft bzw.

–       an den Abnehmer liefert;

h)      ‚Direktverkauf von Milch oder Milchäquivalent‘: unentgeltliche Überlassung oder Verkauf von Milch oder in Milchäquivalent umgerechneten Milcherzeugnissen an den Verbraucher ohne Einschaltung eines behandelnden oder verarbeitenden Unternehmens“.

7       Nach der zweiten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 536/93 betreffen deren Bestimmungen u. a. „die Kontrollregeln, mit deren Hilfe festgestellt werden kann, ob die Abgabe ordnungsgemäß erhoben worden ist“.

8       Die achte Begründungserwägung dieser Verordnung lautet:

„Schließlich müssen die Mitgliedstaaten über angemessene Kontrollmittel verfügen, um prüfen zu können, ob und in welchem Maße die Abgabe vorschriftsgemäß erhoben worden ist. Diese Prüfungen müssen zumindest eine bestimmte Zahl von Vorgängen umfassen, die genau festzulegen sind.“

9       Artikel 1 der Verordnung Nr. 536/93 hat folgenden Wortlaut:

„Für die Berechnung der mit der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 eingeführten Zusatzabgabe gilt Folgendes:

1.      Vermarktete Milch- oder Milchäquivalentmengen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der genannten Verordnung sind alle Milch- und Milchäquivalentmengen in einem Mitgliedstaat, die einen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gelegenen Betrieb verlassen.

2.      Es ist von folgenden Äquivalenzen auszugehen:

–       1 kg Butter = 22,5 kg Milch.

…“

10     Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 536/93 sieht vor:

„Bei Direktverkäufen macht der Erzeuger am Ende jedes der Zeiträume gemäß Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 eine Aufstellung über die Menge Milch und/oder Milcherzeugnisse, aufgeschlüsselt nach Erzeugnissen, die er direkt zum menschlichen Verbrauch und/oder an Großhändler, Verarbeitungsbetriebe oder Einzelhändler verkauft hat.

…“

11     Artikel 7 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 536/93 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Kontrollmaßnahmen, um zu gewährleisten, dass die Abgabe auf die Milch- und Milchäquivalentmengen erhoben wird, die über eine der in Artikel 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 genannten Mengen hinaus vermarktet werden. Zu diesem Zweck gilt Folgendes:

f)      Die Erzeuger, die über eine Referenzmenge ‚Direktverkäufe‘ verfügen, müssen der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats mindestens drei Jahre lang folgende Unterlagen zur Einsicht bereithalten: zum einen eine Bestandsbuchhaltung für die einzelnen Zwölfmonatszeiträume, aus der für jeden Monat und jedes Erzeugnis die Menge Milch und/oder Milcherzeugnisse hervorgeht, die direkt zum menschlichen Verbrauch und/oder an Großhändler, Verarbeitungsbetriebe oder Einzelhändler verkauft wurde, sowie zum anderen das Register der zur Milcherzeugung im Betrieb gehaltenen Tiere gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 92/102/EWG des Rates … und die Belege, die eine Prüfung der Bestandsbuchhaltung ermöglichen.

(3)      Der Mitgliedstaat prüft die Richtigkeit der Verbuchung der vermarkteten Milch- und Milchäquivalentmengen und nimmt zu diesem Zweck Kontrollen bei der Beförderung der Milch während der Abholung in den Betrieben und vor Ort insbesondere folgende Kontrollen vor:

b)      bei den Erzeugern mit einer Referenzmenge ‚Direktverkäufe‘ die Kontrolle der Zuverlässigkeit der Aufstellung gemäß Artikel 4 Absatz 1 und der Bestandsbuchhaltung gemäß Absatz 1 Buchstabe f).

…“

12     Die Verordnung (EG) Nr. 1392/2001 der Kommission vom 9. Juli 2001 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 (ABl. L 187, S. 19) hat die Verordnung Nr. 536/93 mit Wirkung vom 31. März 2002 ersetzt. Ihr Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 entspricht Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 536/93.

13     Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1392/2001 lautet:

„Der Mitgliedstaat kann vorsehen, dass ein Erzeuger, der über eine Referenzmenge ‚Direktverkäufe’ verfügt, gegebenenfalls erklären muss, dass er während des betreffenden Zeitraums keine Milch verkauft hat.“

 Nationales Recht

14     Die Verordnung von 1993 über die Erhebung einer Zusatzabgabe (Regeling superheffing 1993, Nederlandse Staatscourant 1993, Nr. 60, S. 18, im Folgenden: Regeling superheffing) hat die Regelung über die Zusatzabgabe auf Milch in den Niederlanden umgesetzt.

15     Artikel 4 der Regeling superheffing sieht vor:

„1.      Der Erzeuger schuldet eine Abgabe für Direktverkäufe einer Milch- oder Milchäquivalentmenge zum menschlichen Verbrauch, die seine Referenzmenge für Direktverkäufe übersteigt.

…“

16     Artikel 29 der Regeling bestimmt:

„1.      Der Erzeuger im Sinne des Artikels 4 zeigt gemäß Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 und der dazu vom Productschap erlassenen Bestimmungen beim Productschap die Menge Milch oder anderer Milcherzeugnisse, aufgeschlüsselt nach Erzeugnis, an, die er im vorherigen Abgabezeitraum direkt zum menschlichen Verbrauch … geliefert hat.

…“

17     In Artikel 31 der Regeling heißt es:

„1.      Der … Erzeuger, der gemäß den Artikeln … 4 eine Abgabe schuldet oder schulden kann, ist gemäß Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 und den vom Productschap erlassenen Bestimmungen verpflichtet, Buch zu führen.

2.      Das Productschap kann die gelieferte Menge von Amts wegen feststellen, wenn die Verpflichtungen nach Absatz 1 sowie nach den Artikeln 27 Absatz 2 und 29 Absatz 1 nicht oder nach Auffassung des Productschap unzureichend beachtet wurden.“

18     Artikel 11 Absatz 1 der Durchführungsverordnung von 1994 zur Verordnung über die Erhebung einer Zusatzabgabe (Zuivelverordening 1994, Uitvoering regeling superheffing, PBO-blad 1994, S. 26, im Folgenden: Zuivelverordening) hat folgenden Wortlaut:

„Der Erzeuger ist verpflichtet, alles, was sein Unternehmen oder seinen Betrieb betrifft, in der Weise aufzuzeichnen, dass daraus jederzeit die Produktion, der Bestand und die erhaltenen behandelten oder verarbeiteten und gelieferten Milchmengen sowie die sich darauf beziehenden finanziellen Daten erkennbar sind, und die entsprechenden Aufzeichnungen und Daten mindestens drei Jahre aufzubewahren.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19     Herr Slob ist Milcherzeuger. Bei einer Kontrolle seines Betriebes im Dezember 1997 wurde für den Abgabezeitraum 1996/97 eine Differenz von ungefähr 250 000 kg Milch zwischen dem anhand seines Milchviehbestands errechneten Produktionspotenzial und der direkt verkauften Produktion, wie sie sich aus seiner Erklärung gegenüber dem Productschap ergab, festgestellt.

20     Herr Slob erklärte, dass er diese 250 000 kg Milch im Zuge der Gewinnung von Buttermilch für die Käseherstellung zu Butter verarbeitet und die so hergestellte Butter unmittelbar nach der Herstellung vernichtet habe. Er habe über diese Erzeugung und Vernichtung keine Bestandsbuchhaltung geführt; eine solche Buchhaltung liege nur für den schließlich hergestellten Käse vor.

21     Das Productschap stellte gemäß Artikel 31 Absatz 2 der Regeling superheffing die von Herrn Slob im Abgabezeitraum 1996/97 direkt verkaufte Milch- und Milchäquivalentmenge von Amts wegen fest und setzte gegen ihn nach Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 536/93 eine Zusatzabgabe in Höhe von 180 976,77 NLG fest.

22     Auf den Einspruch von Herrn Slob ermäßigte das Productschap mit Entscheidung vom 4. April 2000 den Betrag der geforderten Zusatzabgabe. Es erklärte die Rügen von Herrn Slob jedoch für unbegründet, soweit sie die genannte Differenz betrafen. In dieser Entscheidung stellte es fest, dass über ungefähr 250 000 kg Milch nicht Buch geführt worden sei. Das Productschap schloss daraus, dass Herr Slob im Abgabezeitraum 1996/97 nicht richtig und vollständig über die Erzeugung, den Bestand und die Lieferung von Milch und Milcherzeugnissen Buch geführt habe.

23     Gegen diese Entscheidung vom 4. April 2000 erhob Herr Slob Klage beim vorlegenden Gericht.

24     Auf Ersuchen dieses Gerichts um Vorabentscheidung hat der Gerichtshof mit Urteil vom 12. Februar 2004 in der Rechtssache C‑236/02 (Slob, Slg. 2004, I‑1861) entschieden, dass Artikel 7 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe f der Verordnung Nr. 536/93 dahin auszulegen ist, dass das vom Erzeuger zu führende Bestandsbuch nur für jeden Monat und jedes Erzeugnis die Mengen verkaufter Milch und/oder Milcherzeugnisse enthalten muss.

25     Der Gerichtshof hat sich zur Frage der Befugnis der Mitgliedstaaten zum Erlass einer Regelung, die den in ihrem Gebiet ansässigen Milcherzeugern Buchführungspflichten auferlegt, die über die sich aus der auszulegenden Bestimmung ergebenden Pflichten hinausgehen, nicht geäußert, da dies nicht Gegenstand der Vorlagefrage war (vgl. Urteil Slob, Randnr. 30).

26     Das College van Beroep voor het bedrijfsleven hat den Gerichtshof erneut angerufen. Es führt aus, dass der Gerichtshof im Urteil Slob keine Antwort auf die Frage gegeben habe, ob nach Artikel 7 Absätze 1 Satz 1 und 3 der Verordnung Nr. 536/93 ein Mitgliedstaat befugt sei, den Erzeugern neben der Verpflichtung zur Führung einer Bestandsbuchhaltung nach Artikel 7 Absatz 1 Satz 1 und Buchstabe f dieser Verordnung die Verpflichtung aus Artikel 11 Absatz l der Zuivelverordening aufzuerlegen, da diese im Laufe des Verfahrens aufgeworfene Frage vom vorlegenden Gericht nicht gestellt worden sei.

27     Daher hat das College van Beroep voor het bedrijfsleven das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Artikel 7 Absätze 1 Satz 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 dahin auszulegen, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten einen Spielraum belässt, um eine Regelung zu erlassen, die den in ihrem Gebiet ansässigen Milcherzeugern Buchführungspflichten auferlegt, die über die sich aus Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe f dieser Verordnung ergebenden Pflichten hinausgehen?

2.      Wenn diese Frage bejaht wird, ist dann eine Vorschrift, nach der der Erzeuger verpflichtet ist, im Rahmen seiner Buchführung über die erzeugten Buttermengen und deren Verwendungszweck, auch wenn die Butter vernichtet oder verfüttert wird, Rechenschaft abzulegen, als innerhalb des dem Mitgliedstaat in dieser Weise belassenen Spielraums liegend anzusehen?

 Zu den von Herrn Slob nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung gestellten Anträgen

28     Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2006, der am 20. Juli 2006 beim Gerichtshof eingegangen ist, hat Herr Slob beim Gerichtshof beantragt, ihm zu gestatten, zu den in der Sitzung vom 22. Juni 2006 gestellten Schlussanträgen der Generalanwältin schriftliche Erklärungen einzureichen, hilfsweise, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach Artikel 61 der Verfahrensordnung anzuordnen, höchst hilfsweise, ihm auf andere Weise zu ermöglichen, auf die Schlussanträge der Generalanwältin zu erwidern, um sein Grundrecht auf ein kontradiktorisches Verfahren zu gewährleisten.

29     Herr Slob ist der Auffassung, dass diese Schlussanträge sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht irrige Argumente enthielten, die er jedoch im derzeitigen Stadium des Verfahrens im Interesse einer guten Prozessführung nicht benenne. Zwar sehe die Verfahrensordnung nicht die Möglichkeit für die Parteien vor, schriftliche Erklärungen zu den Schlussanträgen abzugeben, sie schließe diese Möglichkeit aber nicht ausdrücklich aus.

30     Aus den Gründen, die in den Randnummern 3 bis 16 des Beschlusses vom 4. Februar 2000 in der Rechtssache C‑17/98 (Emesa Sugar, Slg. 2000, I‑665) dargelegt sind, kann die Tatsache, dass die Satzung und die Verfahrensordnung des Gerichtshofes nicht die Möglichkeit für die Parteien vorsehen, Erklärungen zu den vom Generalanwalt gestellten Schlussanträgen einzureichen, nicht das Recht des Einzelnen auf ein kontradiktorisches Verfahren nach Artikel 6 Absatz 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verletzen.

31     Daher ist der Antrag von Herrn Slob, ihm zu gestatten, schriftliche Erklärungen zu den Schlussanträgen der Generalanwältin einzureichen, zurückzuweisen.

32     Unter Berücksichtigung der Zielsetzung des kontradiktorischen Verfahrens, die darin besteht, zu verhindern, dass der Gerichtshof durch Vorbringen beeinflusst wird, das von den Parteien nicht erörtert werden konnte, kann der Gerichtshof nach Artikel 61 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auch auf Antrag der Parteien anordnen, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. Beschluss vom 28. April 2004 in der Rechtssache C‑127/02, Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, Slg. 2004, I‑0000, Randnr. 8; Urteile vom 29. April 2004 in der Rechtssache C‑470/00 P, Parlament/Ripa di Meana u. a., Slg. 2004, I‑4167, Randnr. 33, und vom 11. Juli 2006 in der Rechtssache C‑432/04, Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 50).

33     Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

34     Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass Artikel 234 EG ein unmittelbares Zusammenwirken des Gerichtshofes mit den nationalen Gerichten in einem nichtstreitigen Verfahren vorsieht, in dem die Parteien keinerlei Initiativrechte, sondern nur Gelegenheit zur Äußerung haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Januar 1994 in der Rechtssache C‑364/92, SAT Fluggesellschaft, Slg. 1994, I‑43, Randnr. 9).

35     Daher ist nach Anhörung der Generalanwältin der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zurückzuweisen.

36     Aus alledem folgt, dass der höchst hilfsweise gestellte Antrag ebenfalls zurückzuweisen ist.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

37     Ziel der Verordnung Nr. 536/93 ist die Festlegung von Durchführungsbestimmungen für die Zusatzabgabe im Milchsektor, die die Wirksamkeit dieser Zusatzabgabe sicherstellen und Betrügereien verhindern sollen.

38     Nach der achten Begründungserwägung dieser Verordnung müssen die Mitgliedstaaten über angemessene Kontrollmittel verfügen, um prüfen zu können, ob und in welchem Maße die Abgabe vorschriftsgemäß erhoben worden ist. Solche Kontrollen sind in Artikel 7 dieser Verordnung vorgesehen, um die Richtigkeit der von den Abnehmern und Erzeugern erstellten Abrechnungen über Milchanlieferungen und Direktverkäufe zu gewährleisten (Urteil vom 25. März 2004 in den Rechtssachen C‑231/00, C‑303/00 und C‑451/00, Cooperativa Lattepiù u. a., Slg. 2004, I‑2869, Randnr. 70).

39     Nichts hindert einen Mitgliedstaat daran, andere Maßnahmen als die in Artikel 7 Absätze 1 Satz 2 und 3 der Verordnung Nr. 536/93 genannten zu treffen, wenn er Anlass dazu hat, sie für erforderlich zu halten. Denn aus dem Wortlaut des Artikels 7 Absatz 1 Satz 1 dieser Verordnung folgt, dass die Mitgliedstaaten sogar verpflichtet sind, alle erforderlichen Kontrollmaßnahmen zu treffen, um die Erhebung der Abgabe sicherzustellen. Auch wenn in Artikel 7 Absätze 1 und 3 sodann einige der zu treffenden Maßnahmen aufgeführt sind, schließt dies keineswegs aus, dass sie durch andere Maßnahmen ergänzt werden, die sich in diesem Mitgliedstaat als erforderlich erweisen. Wie sich aus der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 536/93 ergibt, handelt es sich bei den genannten Maßnahmen nur um Mindestanforderungen.

40     Entgegen dem Vorbringen von Herrn Slob erfordert ein solcher Spielraum nicht, dass die etwaigen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten erlassen können, in der Verordnung selbst genannt sind.

41     Beim Erlass von Maßnahmen zur Durchführung einer Gemeinschaftsregelung haben die nationalen Behörden jedoch ihr Ermessen unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auszuüben, zu denen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gehören (Urteil Cooperativa Lattepiù u. a., Randnr. 57).

42     Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 7 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 536/93 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten einen Spielraum belässt, um im Rahmen des Erforderlichen eine Regelung zu erlassen, die den in ihrem Gebiet ansässigen Milcherzeugern zusätzliche Buchführungspflichten auferlegt, die über die sich aus Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe f dieser Verordnung ergebenden Pflichten hinausgehen. Bei der Wahrnehmung dieser Befugnis müssen die Mitgliedstaaten die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten.

 Zur zweiten Frage

43     Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die Milcherzeuger verpflichtet, die hergestellten Buttermengen und deren Verwendung in ein Verzeichnis aufzunehmen, auch wenn die Butter vernichtet oder verfüttert worden ist.

44     Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Erlass von Maßnahmen auf der Grundlage von Artikel 7 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 536/93 voraussetzt, dass diese Maßnahmen erforderlich sind.

45     Die niederländische Regierung hat die Erforderlichkeit der im Ausgangsverfahren fraglichen Maßnahme überzeugend mit der Struktur des Milchsektors begründet und insbesondere mit der Existenz einiger großer Milchviehbetriebe, die ihre Produktion direkt vermarkteten und allein auf der Grundlage der Gemeinschaftsvorschriften schwer zu kontrollieren seien.

46     Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht einer Kontrolle erzeugter, aber nicht vermarkteter Milchmengen in den Niederlanden nicht entgegen. Denn auch diese Maßnahme geht nicht über das hinaus, was angesichts der Struktur des niederländischen Milchsektors erforderlich ist, um eine wirksame Kontrolle zu gewährleisten, durch die verhindert werden soll, dass erzeugte, aber außerhalb der Regelung über die Zusatzabgabe für Milch vermarktete Milchmengen in den Wirtschaftskreislauf gelangen.

47     Die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes stehen Kontrollmaßnahmen wie den im Ausgangsverfahren fraglichen ebenfalls nicht entgegen. Aus Artikel 7 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 536/93 in Verbindung mit der achten Begründungserwägung dieser Verordnung geht klar und eindeutig hervor, dass die Aufzählung der Maßnahmen in Artikel 7 nicht erschöpfend ist und dass die Mitgliedstaaten gegebenenfalls verpflichtet sind, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen (vgl. zu den Kriterien des Grundsatzes der Rechtssicherheit Urteil vom 16. März 2006 in der Rechtssache C‑94/05, Emsland-Stärke, Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 43). Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gegen eine klare gemeinschaftsrechtliche Bestimmung und das Verhalten einer nationalen Behörde, das dieser Bestimmung entspricht, angeführt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Emsland-Stärke, Randnr. 31). Ein Wirtschaftsteilnehmer kann daher kein berechtigtes Vertrauen darauf geltend machen, dass er nicht zusätzlichen Kontrollen unterworfen wird.

48     Entgegen der Auffassung von Herrn Slob ändert eine Regelung wie die in Artikel 11 der Zuivelverordening nicht die Grundlage der Zusatzabgabe. Sie ist nur ein zusätzliches Kontrollmittel und unter Berücksichtigung des mit Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 536/93 verfolgten Zieles anzuwenden, das darin besteht, eine Erhebung der Zusatzabgabe sicherzustellen, die mit den geltenden Gemeinschaftsbestimmungen im Einklang steht.

49     Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht einer Regelung nicht entgegensteht, die die Milcherzeuger verpflichtet, die hergestellten Buttermengen und deren Verwendung in ein Verzeichnis aufzunehmen, auch wenn die Butter vernichtet oder verfüttert worden ist, falls sich in dem betreffenden Mitgliedstaat eine wirksame Kontrolle der Richtigkeit der von den Erzeugern gemachten Angaben über die Direktverkäufe allein auf der Grundlage der Gemeinschaftsvorschriften als schwierig erweist.

 Kosten

50     Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Artikel 7 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten einen Spielraum belässt, um im Rahmen des Erforderlichen eine Regelung zu erlassen, die den in ihrem Gebiet ansässigen Milcherzeugern zusätzliche Buchführungspflichten auferlegt, die über die sich aus Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe f dieser Verordnung ergebenden Pflichten hinausgehen. Bei der Wahrnehmung dieser Befugnis müssen die Mitgliedstaaten die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten.

2.      Das Gemeinschaftsrecht steht einer Regelung nicht entgegen, die die Milcherzeuger verpflichtet, die hergestellten Buttermengen und deren Verwendung in ein Verzeichnis aufzunehmen, auch wenn die Butter vernichtet oder verfüttert worden ist, falls sich in dem betreffenden Mitgliedstaat eine wirksame Kontrolle der Richtigkeit der von den Erzeugern gemachten Angaben über die Direktverkäufe allein auf der Grundlage der Gemeinschaftsvorschriften als schwierig erweist.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Niederländisch.

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