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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62003CO0297

Beschluss des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 26. Mai 2005.
Sozialhilfeverband Rohrbach gegen Arbeiterkammer Oberösterreich und Österreichischer Gewerkschaftsbund.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberster Gerichtshof - Österreich.
Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung - Richtlinie 2001/23/EG - Übergang von Unternehmen - Möglichkeit, sich gegenüber einem Einzelnen auf eine Richtlinie zu berufen - Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Vertrages auf den Erwerber.
Rechtssache C-297/03.

Sammlung der Rechtsprechung 2005 I-04305

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2005:315

Rechtssache C-297/03

Sozialhilfeverband Rohrbach

gegen

Arbeiterkammer Oberösterreich

und

Österreichischer Gewerkschaftsbund

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofes)

„Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung — Richtlinie 2001/23/EG — Übergang von Unternehmen — Möglichkeit, sich gegenüber einem Einzelnen auf eine Richtlinie zu berufen — Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Vertrages auf den Erwerber“

Beschluss des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 26. Mai 2005 

Leitsätze des Beschlusses

1.     Sozialpolitik — Rechtsangleichung — Übergang von Unternehmen — Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer — Richtlinie 2001/23 — Artikel 3 Absatz 1 und 1 Absatz 1 Buchstabe c — Wirkung im Verhältnis zwischen Staat und Einzelnem — Gesellschaft mit beschränkter Haftung des Privatrechts, die als einzigen Gesellschafter einen öffentlich-rechtlichen Sozialhilfeverband (Gemeindeverband) hat — Einrichtung, der die genannten Artikel entgegengehalten werden können

(Richtlinie 2001/23 des Rates, Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c Satz 1 und 3 Absatz 1)

2.     Sozialpolitik — Rechtsangleichung — Übergang von Unternehmen — Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer — Richtlinie 2001/23 — Artikel 3 Absatz 1 und 1 Absatz 1 Buchstabe c — Möglichkeit, sich gegenüber einem Einzelnen auf diese Artikel zu berufen — Ausschluss — Keine Möglichkeit einer ihren Betrieb veräußernden staatlichen Einrichtung, einem Arbeitnehmer die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses zu einem Erwerber zur Pflicht zu machen

(Richtlinie 2001/23 des Rates, Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c und 3 Absatz 1)

1.     Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung des Privatrechts, deren einziger Gesellschafter ein öffentlich-rechtlicher Sozialhilfeverband (Gemeindeverband) ist, gehört zu den Einrichtungen, denen die Artikel 3 Absatz 1 und 1 Absatz 1 Buchstabe c Satz 1 der Richtlinie 2001/23 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, die beide die Voraussetzungen erfüllen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten, entgegengehalten werden können.

Dass der Geschäftsanteil eines solchen Verbandes aufgrund eines Abtretungsvertrags, der nur durch die Zustimmung des Verbandsvorstandes bedingt ist, auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung übergehen soll, deren einziger Gesellschafter ein privater Verein ist, ist insoweit ohne Bedeutung, da ein derartiges Projekt als solches die Rechtsnatur der ersten Gesellschaft nicht ändern kann.

(vgl. Randnrn. 28-30, Tenor 1)

2.     Eine ihren Betrieb veräußernde staatliche Einrichtung kann sich nicht gegenüber einem Arbeitnehmer auf die Artikel 3 Absatz 1 und 1 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2001/23 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen berufen, um ihm die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses zu einem Erwerber zur Pflicht zu machen. Denn eine Richtlinie kann nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, und eine Richtlinienbestimmung kann daher ihm gegenüber nicht als solche in Anspruch genommen werden.

(vgl. Randnrn. 32-33, 35, Tenor 2)




BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES (Vierte Kammer)

26. Mai 2005(*)

„Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung – Richtlinie 2001/23/EG – Übergang von Unternehmen – Möglichkeit, sich gegenüber einem Einzelnen auf eine Richtlinie zu berufen – Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Vertrages auf den Erwerber“

In der Rechtssache C‑297/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 4. Juni 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juli 2003, in dem Verfahren

Sozialhilfeverband Rohrbach

gegen

Arbeiterkammer Oberösterreich,

Österreichischer Gewerkschaftsbund

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richterin N. Colneric (Berichterstatterin) und des Richters J. N. Cunha Rodrigues,

Generalanwalt: P. Léger,

Kanzler: R. Grass,

nach Unterrichtung des vorlegenden Gerichts über die Absicht des Gerichtshofes, nach Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

nachdem den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgenden

Beschluss

1       Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c und 3 Absatz 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. L 82, S. 16).

2       Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Sozialhilfeverband Rohrbach, einem öffentlich-rechtlichen Sozialhilfeverband (Gemeindeverband) (im Folgenden: Sozialhilfeverband), einerseits und der Arbeiterkammer Oberösterreich (im Folgenden: Arbeiterkammer) und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft öffentlicher Dienst (im Folgenden: Gewerkschaftsbund), andererseits über die Frage, ob die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer des Sozialhilfeverbandes auf zwei neue gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung übergegangen sind.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsregelung

3       Die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26) in der Fassung der Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. L 201, S. 88) wurde durch die Richtlinie 2001/23 kodifiziert. Diese Richtlinie trat am 11. April 2001 in Kraft. Eine neue Umsetzungsfrist wurde bei dieser Gelegenheit nicht gesetzt.

4       In seiner ersten Frage bezieht sich das vorlegende Gericht auf die Richtlinie „77/187/EWG in der Fassung der Richtlinie 98/50/EG (jetzt: Richtlinie 2001/23/EG)“.

5       Da der Übergang, um den es im Ausgangsverfahren geht, nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 2001/23 erfolgt ist, ist diese Richtlinie einschlägig.

6       Artikel 1 Absatz 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„1.      a)     Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.

b)      …

c)      Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Bei der Übertragung von Aufgaben im Zuge einer Umstrukturierung von Verwaltungsbehörden oder bei der Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer Behörde auf eine andere handelt es sich nicht um einen Übergang im Sinne dieser Richtlinie.“

7       Artikel 3 Absatz 1 dieser Richtlinie lautet:

„Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.

Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Veräußerer und der Erwerber nach dem Zeitpunkt des Übergangs gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen haften, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs durch einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis entstanden sind, der bzw. das zum Zeitpunkt des Übergangs bestand.“

 Nationale Regelung

8       Zur Umsetzung der Richtlinie 77/187 in österreichisches Recht wurde das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz vom 9. Juli 1993 (BGBl. 459/1993, im Folgenden: AVRAG) erlassen. Aus dem Vorlagebeschluss geht nicht hervor, dass die nationale Regelung im Anschluss an die Richtlinien 98/50 und 2001/23 geändert worden wäre.

9       Das AVRAG gilt nach seinem § 1 Absatz 2 Ziffer 1 nicht für Arbeitsverträge mit den Ländern, Gemeindeverbänden und Gemeinden, auch wenn es sich um privatrechtliche Verträge handelt. Die im Ausgangsverfahren betroffenen Vertragsbediensteten fallen unter das Oberösterreichische Gemeindebedienstetengesetz 2001 (LGBl. 48/2001). Nach dem Vorlagebeschluss sieht weder dieses Gesetz noch eine andere gesetzliche Bestimmung des Landes Oberösterreich eine innerstaatliche Umsetzung der fraglichen Richtlinie für diesen Personenkreis vor.

10     § 3 AVRAG mit der Überschrift „Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber“ bestimmt:

„(1)      Geht ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber über (Betriebsübergang), so tritt dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisse ein.

(4)      Der Arbeitnehmer kann dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen, wenn der Erwerber den kollektivvertraglichen Bestandschutz (§ 4) oder die betrieblichen Pensionszusagen (§ 5) nicht übernimmt. … Widerspricht der Arbeitnehmer, so bleibt sein Arbeitsverhältnis zum Veräußerer unverändert aufrecht. …“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

11     Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass der Sozialhilfeverband ein durch Landesgesetz gegründeter Gemeindeverband ist, der als regionaler Träger nach § 31 des Oberösterreichischen Sozialhilfegesetzes 1998 (LGBl. 82/1998) Aufgaben der sozialen Hilfe nach § 29 Ziffer 2 dieses Gesetzes im eigenen Wirkungsbereich ausübt.

12     Er beschäftigt in seinen beiden Betrieben etwa 100 Arbeitnehmer, von denen ein Teil als körperlich oder geistig beeinträchtigte Personen im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes (BGBl. 22/1970) zu qualifizieren ist. Soweit der Sozialhilfeverband Behindertenwerkstätten führt und unterhält, übt er keine hoheitlichen Tätigkeiten, sondern solche der Privatwirtschaftsverwaltung aus.

13     Aus wirtschaftlichen und organisatorischen Gründen hat der Sozialhilfeverband geplant, zwei Unternehmen auszugliedern und die Betriebe auf neu gegründete Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu übertragen.

14     In Ausführung dieses Planes wurde am 28. Dezember 2002 die Altenfeldner Werkstätten gemeinnützige Gesellschaft mbH (im Folgenden: Altenfeldner Werkstätten) mit dem Geschäftszweig „Betrieb von Behinderten-Werkstätten“ im Firmenbuch eingetragen. Am selben Tag wurde die Artegra Werkstätten gemeinnützige Gesellschaft mbH (im Folgenden: Artegra Werkstätten) mit dem Geschäftszweig „Gärtnerei und Wäscherei“ im Firmenbuch eingetragen. Beide Gesellschaften sind gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Der Sozialhilfeverband hält das gesamte Kapital an beiden Gesellschaften.

15     Durch Einbringungsvertrag zwischen dem Sozialhilfeverband und den Altenfeldner Werkstätten sowie den Artegra Werkstätten wurden die entsprechenden Betriebe des Sozialhilfeverbandes in die beiden genannten Gesellschaften als Sacheinlage eingebracht. Dabei wurden die Verfügungsrechte über die von der Ausgliederung betroffenen Einrichtungen auf die jeweiligen Gesellschaften übertragen. Aufgrund der Einbringungsverträge sollen die neuen Gesellschaften anstelle des Sozialhilfeverbandes in alle Rechtsverhältnisse eintreten, die hinsichtlich der jeweils eingebrachten Unternehmen zwischen dem Sozialhilfeverband und Dritten bestehen. Der Sozialhilfeverband steht im Rahmen eines echten Vertrages zugunsten Dritter dafür ein, dass die Ansprüche der übernommenen Arbeitnehmer von den übernehmenden Gesellschaften auch in Zukunft erfüllt werden.

16     In weiterer Folge ist geplant, dass die Geschäftsanteile des Sozialhilfeverbandes an beiden Gesellschaften auf die Arcus Sozialnetzwerk gemeinnützige Gesellschaft mbH (im Folgenden: Arcus Sozialnetzwerk) übertragen werden, deren einziger Gesellschafter ein privater Verein ist. Sowohl dieser Verein als auch Arcus Sozialnetzwerk sind in der Behindertenversorgung tätig. Die Vereinsmitglieder sind private Personen und private Körperschaften. Diese Übertragung der Gesellschaftsanteile war zum Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses noch nicht durchgeführt, weil sie einer besonderen Beschlussfassung des Vorstands des Sozialhilfeverbandes, die noch nicht erfolgt ist, vorbehalten wurde.

17     Arcus Sozialnetzwerk soll nach dem mit dem Sozialhilfeverband geschlossenen Abtretungsvertrag ihre Geschäftsanteile an den beiden neu gegründeten Gesellschaften nur mit Zustimmung des Sozialhilfeverbandes veräußern oder belasten können. Überdies enthält der Vertrag besondere Bestimmungen über den Rückfall der Geschäftsanteile u. a. bei Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen, bei Wegfall des Zweckes oder im Fall der geplanten Auflösung. Durch die Übertragung der Geschäftsanteile an Arcus Sozialnetzwerk soll sich nichts an der Zusage des Sozialhilfeverbandes ändern, für die Ansprüche der übernommenen Arbeitnehmer einzustehen. Die Betriebe des Sozialhilfeverbandes wurden nicht direkt auf Arcus Sozialnetzwerk übertragen, weil diese Gesellschaft die beiden Betriebe in eigenen Rechnungskreisen führen will, aber auch weil haftungsrechtliche Konsequenzen ausgeschlossen werden sollten.

18     Nach den Angaben des Obersten Gerichtshofes bestreiten die Arbeitnehmer, dass ihre Arbeitsverhältnisse auf die neu gegründeten Gesellschaften übergegangen seien. Sie machten geltend, dass sie weiterhin in einem Vertragsverhältnis zum Sozialhilfeverband stünden.

19     Der Sozialhilfeverband stellte beim Obersten Gerichtshof einen auf § 54 Absatz 2 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes (BGBl. 104/1985) gestützten Antrag auf Feststellung, dass durch die Ausgliederung der Betriebe durch den Sozialhilfeverband und die Übertragung der Verfügungsrechte an diesen Betrieben auf die Gesellschaften Artegra Werkstätten und Altenfeldner Werkstätten die Arbeitsverhältnisse der bisher vom Sozialhilfeverband beschäftigten Arbeitnehmer auf diese Gesellschaften übergegangen sind.

20     Der Sozialhilfeverband hat vorgetragen, dass auf eine unmittelbare Anwendung der in Rede stehenden Richtlinie zurückgegriffen werden könne, auch wenn § 3 AVRAG nach § 1 Absatz 2 Ziffer 1 dieses Gesetzes auf Arbeitsverhältnisse zu Gemeindeverbänden nicht anwendbar sei und das Land Oberösterreich als zuständiger Gesetzgeber keine Regelung für Gemeindevertragsbedienstete im Sinne der Richtlinie erlassen habe und somit säumig sei.

21     Das vorlegende Gericht führt unter Bezugnahme auf die Urteile vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81 (Becker, Slg. 1982, 53) und vom 22. Juni 1989 in der Rechtssache 103/88 (Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839) zu seiner ersten Vorlagefrage aus, dass der Sozialhilfeverband sicher eine „staatliche Einrichtung“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes sei, der gegenüber sich die Einzelnen auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie berufen könnten. Zweifel könnten aber im Hinblick auf die Gesellschaften des privaten Rechts bestehen, auf die die Betriebe übergegangen seien. Dies könnte insoweit von Bedeutung sein, als eine Richtlinie nach dem Urteil vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C‑91/92 (Faccini Dori, Slg. 1994, I‑3325) nicht unmittelbar gegenüber einem Privaten angewandt werden könne. Damit könnten aber auch die in der Richtlinie für den Betriebsübergang vorgesehenen Folgen nicht unmittelbar wirken.

22     Zwar könnte es aufgrund des Urteils vom 14. September 2000 in der Rechtssache C‑343/98 (Collino und Chiappero, Slg. 2000, I‑6659) als gesichert gelten, dass auch die im Ausgangsverfahren übernehmenden Gesellschaften des privaten Rechts als „Staat“ mit der Wirkung einer unmittelbaren Geltung der fraglichen Richtlinie zu werten seien, weil der veräußernde Gemeindeverband zu 100 % Gesellschafter der Erwerbergesellschaften sei. Doch sei auch zu berücksichtigen, dass die Geschäftsanteile an den Erwerbergesellschaften nur vorübergehend in den Händen des veräußernden Gemeindeverbandes bleiben sollten und – bedingt durch die Zustimmung des Verbandsvorstandes – schon ein Vertrag über die künftige Abtretung dieser Geschäftsanteile an eine zur Gänze private Gesellschaft bestehe. Sollten daher die erwerbenden Gesellschaften nicht als „staatliche Einrichtung“ zu beurteilen sein, hätte dies zur Folge, dass die fragliche Richtlinie schon deshalb nicht unmittelbar anwendbar sein könne.

23     Zu seiner zweiten Vorlagefrage führt das vorlegende Gericht aus, dass in der Rechtsprechung des Gerichtshofes bisher nur der Fall behandelt worden sei, dass sich ein Einzelner gegenüber einer staatlichen Einrichtung auf die unmittelbare Anwendbarkeit einer Richtlinie berufe. Im vorliegenden Fall wollten die betroffenen Arbeitnehmer aber eine sonst unmittelbar anwendbare Richtlinie gerade nicht gegen sich gelten lassen. Es sei eine „staatliche Einrichtung“, die sich zu ihrem Vorteil und dem der Erwerbergesellschaft auf eine solche unmittelbare Anwendbarkeit berufen wolle. Dazu komme noch, dass die „staatliche Einrichtung“, die sich auf die Anwendung der fraglichen Richtlinie berufe, selbst keine Kompetenz zur innerstaatlichen Umsetzung dieser Richtlinie habe.

24     Das vorlegende Gericht meint, wenn sich eine „staatliche Einrichtung“ nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit der fraglichen Richtlinie berufen könne, könne sie sich gegenüber ihren Arbeitnehmern auch nicht auf einen Übergang der Arbeitsverhältnisse berufen, während einzelne ihrer Arbeitnehmer die unmittelbare Anwendung dieser Richtlinie für sich in Anspruch nehmen könnten.

25     Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung des Privatrechts, deren einziger Gesellschafter ein öffentlich-rechtlicher Sozialhilfeverband (Gemeindeverband) ist und der Aufgaben der Privatwirtschaftsverwaltung (Sozialhilfe durch Betreiben einer Werkstätte für Behinderte) übertragen wurden, auch dann noch als „staatliche Einrichtung“ mit der Wirkung zu beurteilen, dass ihr gegenüber der nicht ausreichend ins innerstaatliche Recht umgesetzte Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 litera c der Richtlinien 77/187/EWG in der Fassung der Richtlinie 98/50/EG (jetzt: Richtlinie 2001/23/EG) unmittelbar anwendbar ist, wenn der Geschäftsanteil des Sozialhilfeverbandes aufgrund eines Abtretungsvertrags, der nur durch die Zustimmung des Verbandsvorstandes bedingt ist, auf eine rein private Gesellschaft mit beschränkter Haftung übergehen soll?

Soferne diese Frage bejaht wird:

2.      Kann sich ein seinen Betrieb veräußernder Sozialhilfeverband (Gemeindeverband) als „staatliche Einrichtung“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften gegenüber seinen Arbeitnehmern, die dem Übergang ihrer Arbeitsverträge auf einen Erwerber (im Sinne der Frage 1) widersprechen und auf dem Weiterbestand ihrer Arbeitsverhältnisse zum Veräußerer bestehen, im Fall einer nicht ausreichenden Umsetzung der zur Frage 1 genannten Richtlinienbestimmung selbst auf eine unmittelbare Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 lit c der zur Frage 1 genannten Richtlinie mit der Wirkung berufen, dass die Arbeitsverträge als auf den Erwerber übergegangen gelten; spielt es dabei eine Rolle, wenn der „staatlichen Einrichtung“ als Veräußerer selbst keine Kompetenz zur Gesetzgebung hinsichtlich der innerstaatlichen Umsetzung einer Richtlinie zukommt, sondern diese bei einem übergeordneten Gesetzgeber (Land) liegt?

 Zu den Vorlagefragen

26     Der Gerichtshof hat in der Erwägung, dass die Antwort auf das Vorabentscheidungsersuchen klar aus seiner Rechtsprechung abgeleitet werden kann, nach Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung das vorlegende Gericht über seine Absicht unterrichtet, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, und den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern.

 Zur ersten Frage

27     Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes können sich die Einzelnen auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber Organisationen oder Einrichtungen berufen, die einem Träger öffentlicher Gewalt einschließlich der Gemeinden oder seiner Aufsicht unterstehen (vgl. Urteile vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 152/84, Marshall, Slg. 1986, 723, Randnrn. 46 und 49, Fratelli Costanzo, Randnr. 31, und vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache C‑188/89, Foster u. a., Slg. 1990, I‑3313, Randnr. 18).

28     Da die Artikel 3 Absatz 1 und 1 Absatz 1 Buchstabe c Satz 1 der Richtlinie 2001/23 die Voraussetzungen erfüllen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten, können diese Bestimmungen gegenüber einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung des Privatrechts herangezogen werden, deren einziger Gesellschafter ein öffentlich-rechtlicher Sozialhilfeverband (Gemeindeverband) ist.

29     Ohne Bedeutung ist insoweit, dass der Geschäftsanteil eines solchen Verbandes aufgrund eines Abtretungsvertrags, der nur durch die Zustimmung des Verbandsvorstandes bedingt ist, auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung übergehen soll, deren einziger Gesellschafter ein privater Verein ist. Denn es handelt sich um ein Projekt, das als solches nicht die Rechtsnatur der ersten Gesellschaft ändern kann.

30     Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung des Privatrechts, deren einziger Gesellschafter ein öffentlich-rechtlicher Sozialhilfeverband (Gemeindeverband) ist, zu den Einrichtungen gehört, denen die Artikel 3 Absatz 1 und 1 Absatz 1 Buchstabe c Satz 1 der Richtlinie 2001/23 entgegengehalten werden können.

 Zur zweiten Frage

31     Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich eine ihren Betrieb veräußernde staatliche Einrichtung gegenüber einem Arbeitnehmer auf Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2001/23 als solche berufen kann, um ihm die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses zu einem Erwerber zur Pflicht zu machen.

32     Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u. a. Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C‑168/95, Arcaro, Slg. 1996, I‑4705, Randnr. 36 und die dort zitierte Rechtsprechung) eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann und dass eine Richtlinienbestimmung daher ihm gegenüber nicht als solche in Anspruch genommen werden kann.

33     Folglich kann sich eine staatliche Einrichtung nicht gegenüber einem Arbeitnehmer auf die Richtlinie 2001/23 berufen, um ihm die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses zu einem oder mehreren Erwerberunternehmen zur Pflicht zu machen.

34     In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob die betreffende staatliche Einrichtung selbst für die Nichtumsetzung der fraglichen Richtlinie verantwortlich ist.

35     Demnach ist auf die zweite Frage zu antworten, dass sich eine ihren Betrieb veräußernde staatliche Einrichtung nicht gegenüber einem Arbeitnehmer auf die Artikel 3 Absatz 1 und 1 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2001/23 berufen kann, um ihm die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses zu einem Erwerber zur Pflicht zu machen.

 Kosten

36     Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung des Privatrechts, deren einziger Gesellschafter ein öffentlich-rechtlicher Sozialhilfeverband (Gemeindeverband) ist, gehört zu den Einrichtungen, denen die Artikel 3 Absatz 1 und 1 Absatz 1 Buchstabe c Satz 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen entgegengehalten werden können.

2.      Eine ihren Betrieb veräußernde staatliche Einrichtung kann sich nicht gegenüber einem Arbeitnehmer auf die Artikel 3 Absatz 1 und 1 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2001/23 berufen, um ihm die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses zu einem Erwerber zur Pflicht zu machen.

Unterschriften.


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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