Wählen Sie die experimentellen Funktionen, die Sie testen möchten.

Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62004CC0063

Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 17. März 2005.
Centralan Property Ltd gegen Commissioners of Customs & Excise.
Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division - Vereinigtes Königreich.
Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Artikel 20 Absatz 3 - Investitionsgüter - Vorsteuerabzug - Berichtigung des Vorsteuerabzugs - Immobilien - Übertragung durch zwei zusammenhängende Geschäfte, von denen das eine steuerfrei und das andere besteuert ist - Aufteilung.
Rechtssache C-63/04.

Sammlung der Rechtsprechung 2005 I-11087

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2005:185

Conclusions

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 17. März 2005(1)



Rechtssache C-63/04



Centralan Property Ltd
gegen
Commissioners of Customs & Excise


(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England & Wales], Chancery Division, Vereinigtes Königreich)

„Mehrwertsteuer – Immobiliengeschäfte – Berichtigung des Vorsteuerabzugs – Übertragung eines Investitionsgutes in zwei Akten – 999 year lease – Freehold reversion “






I – Einleitung

1.        Der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Divison, ersucht den Gerichtshof um eine Auslegung der Bestimmungen der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie 77/388/EWG (2) (im Folgenden: Sechste Richtlinie). Im Ausgangsrechtsstreit ist die steuerliche Behandlung einer Reihe von Transaktionen über ein Gebäude, das Harrington Building, zu beurteilen, das die Universität Central Lancashire Higher Education Corporation (im Folgenden: die Universität) hatte errichten lassen.

2.        Da die Universität weitgehend mehrwertsteuerfreie Leistungen erbringt, konnte sie die Mehrwertsteuer auf die Kosten für die Errichtung des Gebäudes nur zu einem sehr geringem Teil als Vorsteuer abziehen. Das Gebäude wurde daher über mehrere Stationen zwischen der Universität und privatrechtlichen Gesellschaften – darunter die Rechtsmittelführerin des Ausgangsrechtsstreits –, deren Alleingesellschafterin unmittelbar oder mittelbar die Universität ist, übertragen und vermietet. Ob diese Transaktionen dazu führen, dass die Vorsteuer doch noch abgezogen werden kann, hängt maßgeblich von der Auslegung des Artikels 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ab, der die Berichtigung des Vorsteuerabzugs im Falle der Veräußerung eines Investitionsgutes während eines bestimmten Zeitraums regelt („Lieferung“ im Sinne von Artikel 20 Absatz 3 und Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie).

3.        Anknüpfend an drei zurzeit beim Gerichtshof anhängige Verfahren (3) hat die Kommission auch im vorliegenden Verfahren vorgeschlagen, den Grundsatz des Rechtsmissbrauchs zur Anwendung zu bringen.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Einschlägige Vorschriften der Sechsten Richtlinie

4.        Nach Artikel 2 Nr. 1 unterliegen „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“ der Mehrwertsteuer.

5.        Artikel 4 Absatz 3 eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, auch diejenigen als Steuerpflichtige anzusehen,

„… die gelegentlich eine der in Absatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere eine der folgenden Leistungen erbringen:

a)
die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung dieses Kriteriums auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff ‚dazugehöriger Grund und Boden‘ festlegen.

Die Mitgliedstaaten können andere Kriterien als das des Erstbezugs bestimmen, z. B. den Zeitraum zwischen der Fertigstellung des Gebäudes und dem Zeitpunkt seiner ersten Lieferung, oder den Zeitpunkt zwischen dem Erstbezug und der späteren Lieferung, sofern diese Zeiträume fünf bzw. zwei Jahre nicht überschreiten … “.

6.        Der Begriff der Lieferung wird in Artikel 5 Absatz 1 definiert als „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“. Dabei können die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 Absatz 3 auch die folgenden Rechte als körperlichen Gegenstand behandeln:

„a)
bestimmte Rechte an Grundstücken;

b)
dingliche Rechte, die ihrem Inhaber ein Nutzungsrecht an Grundstücken geben;

c)
Anteilrechte und Aktien, deren Besitz rechtlich oder tatsächlich das Eigentums- oder Nutzungsrecht an einem Grundstück oder Grundstücksteil begründet“.

7.        Artikel 13 enthält einen umfangreichen Katalog von Steuerbefreiungen im Inland:

Nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i sind der Hochschulunterricht und damit zusammenhängende Leistungen befreit.

Artikel 13 Teil B Buchstabe b befreit die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen, denen die Mitgliedstaaten noch weitere hinzufügen können.

Artikel 13 Teil B Buchstabe g befreit „die Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a) bezeichneten Gegenstände“.

8.        Artikel 13 Teil C erlaubt den Mitgliedstaaten, den Steuerpflichtigen die Option einzuräumen, bestimmte steuerbefreite Umsätze, insbesondere die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken, doch der Steuer zu unterwerfen.

9.        Der Vorsteuerabzug ist in Artikel 17 geregelt, der auszugsweise wie folgt lautet:

„(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)
die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

(5) Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die nach den Absätzen 2 und 3 ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.

Dieser Pro-rata-Satz wird nach Artikel 19 für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.

…“

10.      Zentral für den vorliegenden Fall sind die Bestimmungen in Artikel 20 über die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Investitionsgütern:

„(2) Für Investitionsgüter wird eine Berichtigung vorgenommen, die sich auf einen Zeitraum von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden, erstreckt. Die jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel der Steuer, mit der diese Güter belastet waren. Die Berichtigung erfolgt unter Berücksichtigung der Änderungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug in den folgenden Jahren gegenüber dem Anspruch für das Jahr, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden.

Abweichend von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten für die Berichtigung einen Zeitraum von fünf vollen Jahren festlegen, der mit der erstmaligen Verwendung der Güter beginnt.

Bei Grundstücken, die als Investitionsgüter erworben wurden, kann der Zeitraum für die Berichtigung bis auf 20 Jahre verlängert werden. [ 4  –Die Möglichkeit, den Berichtigungszeitraum bei Gebäuden auf 20 Jahre auszudehnen, ist erst mit der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG und zur Einführung weiterer Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer – Geltungsbereich bestimmter Steuerbefreiungen und praktische Einzelheiten ihrer Durchführung (ABl. L 102, S. 18) eingeführt worden. Zuvor waren in der Sechsten Richtlinie nur zehn Jahre vorgesehen. ]

(3) Bei Lieferung eines Investitionsgutes innerhalb des Berichtigungszeitraums ist dieses so zu behandeln, als ob es bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums weiterhin für eine wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen verwendet worden wäre. Diese wirtschaftliche Tätigkeit gilt als steuerpflichtig, wenn die Lieferung des genannten Investitionsgutes steuerpflichtig ist; sie gilt als steuerfrei, wenn die Lieferung steuerfrei ist. Die Berichtigung wird in diesen Fällen für den gesamten noch verbleibenden Berichtigungszeitraum auf einmal vorgenommen.

…“

B – Nationales Recht

11.      Die einschlägigen nationalen Regelungen finden sich im VAT Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz) und in den VAT Regulations 1995 SI 1995/2518 (Mehrwertsteuerverordnung). Teil XV der Mehrwertsteuerverordnung (Regulations 99 bis 111) bezieht sich auf die Vorsteuer und die teilweise Befreiung, Teil XVI (Regulations 112 bis 116) regelt die Berichtigung des Vorsteuerabzugs. Für Grundstücke wie das im Ausgangsrechtsstreit betroffene schreibt Regulation 114 die Berichtigung über einen Zeitraum von 10 Jahren vor. Die Einzelheiten der Berichtigung sind in Regulation 115 entsprechend den Vorgaben von Artikel 20 der Sechsten Richtlinie niedergelegt.

III – Sachverhalt, Vorlagefrage und Verfahren

12.      Die Universität ließ das Harrington Building errichten. Diese Immobilie war in der Folge Gegenstand verschiedener Transaktionen zwischen der Universität und mit ihr verbundener privatrechtlicher Gesellschaften. Die Beteiligungen der Universität sind wie folgt aufgebaut: Die Universität ist alleinige Gesellschafterin die Centralan Holding Ltd. Diese Gesellschaft hat ihrerseits zwei Tochtergesellschaften, nämlich die Centralan Properties Ltd (im Folgenden: Centralan), die Rechtsmittelführerin im Ausgangsrechtsstreit ist, und die Inhoco 546 Ltd (im Folgenden: Inhoco).

13.      Am 14. September 1994 verkaufte die Universität das Harrington Building an Centralan zu einem Preis von 6,5 Millionen GBP zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von 1 370 500 GBP. Die Veräußerung stellte für die Universität gemäß Artikel 4 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie eine steuerpflichtige Operation dar, die nicht nach Artikel 13 Teil B Buchstabe g der Sechsten Richtlinie befreit ist. Centralan vermietete das Gebäude an die Universität für 20 Jahre gegen eine jährliche Miete von 300 000 GBP zuzüglich Mehrwertsteuer zurück. (5)

14.      Später veräußerte Centralan das Gebäude durch zwei von vornherein im Zusammenhang geplante Vorgänge. Zunächst vermietete sie das Gebäude ab dem 22. November 1996 für 999 Jahre ( 999 year lease ) an Inhoco zu einem Preis von 6 370 000 GBP und einem symbolischen Mietzins, der nur auf Verlangen zu zahlen ist. Diese zweite Vermietung ließ das 20-jährige Mietverhältnis mit der Universität unberührt. Inhoco erwarb also den Anspruch auf die Mietzahlungen und den Anspruch auf die Nutzung des Gebäudes vom Jahr 21 bis zum Jahr 999. Deswegen wird der Vorgang auch als reversionary lease bezeichnet. Obwohl Centralan an sich für die Besteuerung der Vermietung des Gebäudes optiert hatte, war der 999 year lease steuerfrei, weil es sich bei Centralan und Inhoco um verbundene juristische Personen im Sinne von § 2(3A) Schedule 10 VAT Act 1994 (6) handelte.

15.      Drei Tage später, am 25. November 1996, übertrug Centralan das (Rest-)Eigentum an dem Gebäude (freehold reversion) für 1 000 GBP zuzüglich Mehrwertsteuer an die Universität. Für diese Transaktion galt die Steuerbefreiung zugunsten von verbundenen Unternehmen nicht. Vielmehr handelte es sich um eine steuerpflichtige Lieferung eines neuen Gebäudes im Sinne von Artikel 4 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie; nach den Regelungen des Vereinigten Königreichs gilt ein Gebäude nämlich noch als neu, wenn es nicht älter als drei Jahre ist.

16.      Zwischen Centralan und den Commissioners of Customs & Excise (im Folgenden: Customs) kam es nach der Veräußerung des Gebäudes zu Meinungsverschiedenheiten über die Berichtigung des Vorsteuerabzugs. Customs meinte die maßgebliche Lieferung sei der 999 year lease , die nachfolgende Übertragung des (Rest-)Eigentums habe als geringfügig außer Betracht zu bleiben. Hilfsweise machte Customs geltend, es sei eine Aufteilung nach Maßgabe der jeweiligen Werte der beiden Transaktionen vorzunehmen. Nach der ersten Betrachtungsweise würde Centralan Customs 796 250 GBP, nach der zweiten 796 090 GBP schulden. Centralan war dagegen der Ansicht, sie habe ihren gesamten Anteil am Harrington Building allein durch die Übertragung des Eigentums veräußert, so dass sie höchstens 943,93 GBP schulde.

17.      Das VAT and Duties Tribunal bestätigte die zweite von Customs vertretene Lösung. Gegen diese Entscheidung legte Centralan Rechtsmittel zum High Court of Justice (Chancery Division) ein, der dem Gerichtshof mit Beschluss vom 23. Januar 2003, der am 13. Februar 2004 eingegangen ist, folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Artikel 234 EG vorgelegt hat:

„Wenn ein Steuerpflichtiger im Berichtigungszeitraum im Sinne von Artikel 20 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie ein Gebäude veräußert, das als Investitionsgut behandelt wird, und die Veräußerung des Gebäudes durch zwei Lieferungen durchgeführt wird, und zwar durch i) Vermietung des Gebäudes für 999 Jahre (ein nach Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Richtlinie von der Steuer befreiter Umsatz) zu einem Preis von 6 Millionen GBP und drei Tage später ii) Verkauf der freehold reversion (Verkauf des belasteten Grundeigentums) (ein nach Artikel 13 Teil B Buchstabe g und Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie steuerpflichtiger Umsatz) zu einem Preis von 1 000 GBP zuzüglich Mehrwertsteuer, die beide im Voraus in dem Sinne festgelegt oder nicht festgelegt worden sind, dass, sobald der erstgenannte Vorgang durchgeführt worden ist, keine Möglichkeit mehr bestanden hätte, dass der zweite nicht durchgeführt würde,

ist dann Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie so auszulegen, dass

a)
das Investitionsgut bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums so behandelt wird, als ob es für gewerbliche Tätigkeiten verwendet worden ist, die in vollem Umfang steuerpflichtig sind;

b)
das Investitionsgut bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums so behandelt wird, als ob es für gewerbliche Tätigkeiten verwendet worden ist, die vollständig von der Steuer befreit sind;

oder

c)
das Investitionsgut bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums so behandelt wird, als ob es für gewerbliche Tätigkeiten verwendet worden ist, die je nach dem Anteil der jeweiligen Werte des steuerpflichtigen Verkaufs der freehold reversion und der steuerbefreiten Vermietung für 999 Jahre teilweise besteuert und teilweise von der Steuer befreit sind?“

18.      Am 16. Februar 2005 fand die mündliche Verhandlung vor dem Gerichtshof statt. In der Verhandlung beantragte Centralan die Wiedereröffnung des schriftlichen Verfahrens für den Fall, dass der Gerichtshof den Grundsatz des Rechtsmissbrauchs auf den Fall anwenden wolle. Das vorlegende Gericht habe diesen Grundsatz nicht angeführt. Dieser sei erst von der Kommission in ihrer schriftlichen Stellungnahme in das Verfahren eingebracht worden.

IV – Vorbringen der Beteiligten

19.      Im Verfahren haben Centralan, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission Stellung genommen.

20.      Centralan meint, nach dem klaren Wortlaut des Artikels 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie käme es für die Berichtigung allein auf die Veräußerung des (Rest-)Eigentums an. Erst durch diesen zweiten Vorgang habe der Steuerpflichtige seine Rechte an dem Gegenstand vollständig aufgegeben. Es sei kein Raum für eine Betrachtung, die bei mehreren aufeinander folgenden Veräußerungen an verschiedene Empfänger auf den wirtschaftlichen Schwerpunkt abstelle und eine Operation als geringfügig außer Betracht lasse. Nach der Bestimmung gebe es nur die Alternative steuerpflichtiger Vorgang oder steuerfreier Vorgang. Je nach dem Charakter der Veräußerung sei die Vorsteuer vollständig oder gar nicht abziehbar. Eine anteilige Berücksichtigung mehrerer Vorgänge finde in Artikel 20 Absatz 3 keine Basis.

21.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist der Auffassung, dass eine anteilige Betrachtung (apportionment) geboten sei, wenn die Lieferung des Gegenstandes im Sinne von Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie – wie im Voraus geplant – in zwei Akten erfolge, von denen einer steuerpflichtig und der andere steuerfrei sei. Die von Centralan vertretene Lösung führe dazu, dass die Veräußerung insgesamt als steuerpflichtig anzusehen sei, obwohl die Übertragung der freehold reversion weniger als 0,02 % des Wertes des Gegenstandes ausmache.

22.      Nach Ansicht der Kommission kann die Vermietung über 999 Jahre nicht als Lieferung im Sinne des Artikels 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie angesehen werden. Nach englischem Recht verleihe erst die Übertragung der freehold reversion dem Erwerber das Recht, wie ein Eigentümer über das Grundstück zu verfügen. Es führe zu praktischen Schwierigkeiten, die beiden Transaktionen als Teile einer Lieferung anzusehen, insbesondere, wenn die beiden Akte nicht in einem Zeitabschnitt des Berichtigungszeitraums vollzogen würden. Die Kommission meint aber, es sei zu prüfen, ob ein Rechtsmissbrauch vorliege. (7) Zwar enthalte die Sechste Richtlinie keine Bestimmung über Rechtsmissbrauch, es handele sich jedoch um einen in vielen Rechtsgebieten des Gemeinschaftsrechts anerkannten Rechtsgrundsatz. Danach blieben Transaktionen unberücksichtigt, die eine Gruppe von Steuerpflichtigen ohne wirtschaftlichen Grund, sondern allein zu dem Zweck durchgeführt hätten, eine künstliche Situation zu schaffen, die den Abzug der Vorsteuer erlaube. (8)

V – Rechtliche Würdigung

23.      Zu klären ist die Frage, wie die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie zu erfolgen hat, wenn ein Grundstück zunächst gegen eine einmalige Zahlung für 999 Jahre vermietet wird und das Eigentum daran drei Tage später an eine andere Person übertragen wird, wobei die erste Operation mehrwertsteuerfrei und die zweite mehrwertsteuerpflichtig ist.

24.      Das vorlegende Gericht unterbreitet dem Gerichtshof drei mögliche Auslegungen: die alleinige Berücksichtigung der letzten (steuerpflichtigen) Transaktion (a), die alleinige Berücksichtigung der wirtschaftlich den Schwerpunkt bildenden ersten (steuerfreien) Transaktion (b) oder die entsprechend dem Transaktionswert anteilige Berücksichtigung beider Transaktionen (c). Vor der Prüfung, welche der Varianten den Vorgaben der Richtlinie am ehesten entspricht, sollen die Regeln über die Berichtigung des Vorsteuerabzugs kurz im Zusammenhang erläutert werden.

A – Vorbemerkung zu den Regeln über die Berichtigung des Vorsteuerabzugs

25.      Das Recht auf Vorsteuerabzug ist integrierender Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer. (9) Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher, dass alle wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis in neutraler Weise steuerlich belastet werden, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer). (10)

26.      Das Abzugsrecht setzt also voraus, dass der Betreffende Steuerpflichtiger im Sinne der Sechsten Richtlinie ist und dass die fraglichen Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet worden sind. (11) Das Recht darf nicht eingeschränkt werden und kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden. (12) Nach Artikel 10 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, sobald die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird. (13)

27.      Wird ein Gegenstand nur zum Teil für steuerpflichtige Tätigkeiten verwendet, so kommt Artikel 17 Absatz 5 in Verbindung mit Artikel 19 der Sechsten Richtlinie zur Anwendung. Nach diesen Bestimmungen ist ein Pro-rata-Satz zu ermitteln, der den Anteil der steuerpflichtigen Umsätze des Betroffenen widerspiegelt. Vorleistungen werden entsprechend diesem Satz nur anteilig steuerpflichtigen Tätigkeiten zugerechnet, so dass auch nur ein anteiliger Anspruch auf Vorsteuerabzug besteht. Artikel 17 Absatz 5 und Artikel 19 der Sechsten Richtlinie stellen auf diese Weise eine weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit und dem Anspruch auf Vorsteuerabzug her. (14)

28.      Der Anspruch auf Vorsteuerabzug entsteht zu einem sehr frühen Zeitpunkt, nämlich unmittelbar bei Lieferung des Gegenstandes bzw. Erbringung der Dienstleistung, die die Vorleistung bilden. Daher kann in der Folge eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß Artikel 20 der Sechsten Richtlinie erforderlich werden, wenn der Anteil der steuerpflichtigen Umsätze des Unternehmens sich gegenüber dem Zeitpunkt des Bezuges der Vorleistung verändert hat.

29.      Das Bedürfnis für eine Berichtigung besteht in besonderem Maße bei Investitionsgütern, weil diese über einen längeren Zeitraum im Betriebsvermögen verbleiben. (15) Für diese Güter schreibt Artikel 20 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie daher vor, dass fünf Jahre lang für jedes Jahr der Verwendung erneut ermittelt wird, ob die Güter in dem Umfang für steuerpflichtige Zwecke verwendet worden sind, wie bei ihrem Erwerb unterstellt. Bei Grundstücken können die Mitgliedstaaten den Berichtigungszeitraum auf 20 Jahre verlängern. Kommt es zu Abweichungen zwischen dem Umfang der Verwendung für steuerpflichtige Umsätze im Erwerbsjahr und im Bezugsjahr, wird der Vorsteuerabzug berichtigt. Je nach Lage des Falles muss der Steuerpflichtige also einen Teil der Vorsteuer anteilig für das Bezugsjahr erstatten, oder er kann einen weiteren Teil abziehen.

30.      Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie regelt den Sonderfall, dass ein Investitionsgut vor Ablauf des Berichtigungszeitraums an einen Dritten weitergeliefert wird, also aus dem Betriebsvermögen ausscheidet. An die Stelle der jährlichen Berichtigung tritt dann eine einmalige Berichtigung für den verbleibenden Berichtigungszeitraum. Maßgeblich für den Vorsteuerabzug ist in diesem Fall, ob die Lieferung an den Dritten steuerpflichtig war oder nicht.

31.      Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Regeln über den Vorsteuerabzug gewährleisten sollen, dass Vorleistungen steuerfrei bleiben, soweit sie dazu dienen, steuerpflichtige Leistungen zu erbringen. Die gesamte Wertschöpfung wird damit nur einmal bei der Lieferung an den Verbraucher besteuert. Es soll nicht zu einer zusätzlichen Besteuerung der Vorleistungen kommen. Aber es sollen auch Steuerausfälle vermieden werden, indem der Vorsteuerabzug für Gegenstände gewährt wird, die tatsächlich nicht (vollständig) zur Erzielung steuerpflichtiger Umsätze verwendet werden.

32.      Die Regelungen über den anteiligen Vorsteuerabzug und über die Berichtigung des Vorsteuerabzugs zielen darauf, die Neutralität der Mehrwertsteuer – man könnte auch vom Grundsatz der Einmalbesteuerung sprechen – möglichst weitgehend zu gewährleisten. Sie steigern die Genauigkeit des Vorsteuerabzugs, um es mit den Worten des Vertreters von Centralan zu sagen.

33.      Auf der anderen Seite sollen die Regeln über den Vorsteuerabzug auch klar und praktikabel sein. So wird etwa nicht berücksichtigt, in welchem Umfang jeder einzelne Gegenstand im Zusammenhang mit steuerpflichtigen Umsätzen verwendet wird. Vielmehr wird der für den Vorsteuerabzug maßgebliche Pro-rata-Satz in Bezug auf die Gesamtumsätze des Steuerpflichtigen ermittelt und dann einheitlich auf den Vorsteuerabzug für alle Vorleistungen angewandt. Die Verwendung eines mit Vorsteuerabzug erworbenen Gegenstands wird auch nur bei Investitionsgütern über einen längeren Zeitraum im Hinblick auf eine Berichtigung des Steuerabzugs beobachtet.

B – Auslegung des Artikels 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie

34.      Unter Berücksichtigung der soeben herausgearbeiteten Ziele der Regelungen über den Vorsteuerabzug und seiner Berichtigung ist nunmehr zu prüfen, welche der Auslegungsvarianten diesen Zielen am besten entspricht. Ausgangspunkt ist dabei der Wortlaut der Bestimmung.

1. Der Begriff der Lieferung

35.      Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ist zunächst, dass das Investitionsgut während des Berichtigungszeitraums an einen Dritten geliefert wird. Nach Ansicht von Centralan und der Kommission stellt allein die Veräußerung der freehold reversion eine Lieferung dar. Träfe dies zu, würden die Auslegungsvarianten b und c von Vornherein ausscheiden. Sie beruhen nämlich auf der Annahme, dass der 999 year lease ebenfalls eine Lieferung im Sinne von Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie bildet.

36.      Die Lieferung wird in Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie definiert als „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“. Die Kommission meint unter Berufung auf englisches Recht, dass nur die Übertragung der freehold reversion eine Übertragung von Eigentümerbefugnissen mit sich bringt.

37.      Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Wie der Gerichtshof nämlich in dem Urteil Shipping and Forwarding Enterprise Safe festgestellt hat, ergibt sich aus dem Wortlaut von Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie,

„dass der Begriff ‚Lieferung eines Gegenstands‘ sich nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen bezieht, sondern dass sie jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei umfasst, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer“16  –Urteile vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-320/88 (Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I-285, Randnrn. 7 und 8). Siehe auch Urteil vom 6. Februar 2003 in der Rechtssache C-185/01 (Auto Lease Holland, Slg. 2003, I-1317, Randnr. 32)..

38.      In dieser Rechtssache lag eine dem vorliegenden Fall sehr ähnliche Konstruktion zugrunde. Zunächst wurde das Recht übertragen, uneingeschränkt über das fragliche Grundstück zu verfügen (sog. wirtschaftliches Eigentum). Das (rechtliche) Eigentum ging später unabhängig von dem wirtschaftlichen Eigentum über. Der Gerichtshof hielt bereits die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums für eine Lieferung im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie.

39.      Demzufolge kann auch in der Vermietung über 999 Jahre an Inhoco bereits eine Lieferung liegen, wenn Inhoco dadurch die Befugnis erhält, wie ein Eigentümer über die Immobilie zu verfügen. Dafür spricht, dass Inhoco gegen eine einmalige Zahlung das Benutzungsrecht für einen sehr langen Zeitraum sowie den Anspruch auf den Mietzins aus dem 20-jährigen Mietvertrag mit der Universität erwirbt. Die Vermietung über 999 Jahre kommt daher der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums sehr nahe, um das es im Fall Shipping and Forwarding Enterprise Safe ging. Abschließend bleibt diese Feststellung aber dem vorlegenden Gericht vorbehalten, das für die Anwendung des Rechts im Ausgangsrechtsstreit zuständig ist.

40.      Man könnte sich sogar fragen, ob nur der 999 year lease eine Lieferung darstellt, da mit der freehold reversion ein so weit ausgehöhltes Eigentum übertragen wird, dass nicht mehr von echten Eigentümerbefugnissen die Rede sein kann. Dann käme allein die Auslegungsvariante b zum Zuge. Dagegen spricht allerdings, dass kaum eine Trennlinie zwischen den Fällen gezogen werden kann, in denen das Eigentum schon so weit ausgehöhlt ist, dass eine Lieferung ausscheidet, und den Fällen, in denen noch hinreichend substanzhaltiges Eigentum vorliegt. Ist die Grenze bereits bei einer Vermietung oder Verpachtung über 99 Jahre, über 199 Jahre oder über 999 Jahre zu ziehen? Um hier willkürliche Abgrenzungen zu vermeiden, sollte auch in einem Fall wie dem vorliegenden die Übertragung des (Rest-)Eigentums grundsätzlich noch als Lieferung angesehen werden.

41.      Es bleibt der Einwand der Kommission, dass nicht zwei Personen an einer Sache Eigentümerbefugnisse eingeräumt werden können. Dieser Einwand greift jedoch nicht durch. Man kann nämlich eine Sache sehr wohl z. B. an eine Personenmehrheit in Miteigentum übertragen. So erwerben Wohnungseigentümer regelmäßig Miteigentumsanteile an den gemeinschaftlich genutzten Teilen des Hauses, wie z. B. Treppenhäusern und Fluren, sowie einen ideellen Anteil an dem Grundstück, auf dem das Haus errichtet wurde. Wenn also mehrere Personen sogar gleichzeitig Eigentümerbefugnisse in Bezug auf denselben Gegenstand haben können, so ist dies erst recht möglich, wenn die verschiedenen Rechtspositionen zeitlich gestaffelt sind. Denn zunächst kann Inhoco über 999 Jahre die Rechte aus der Vermietung beanspruchen. Erst im Anschluss daran werden die Rechte aus der freehold reversion aktuell, die sich im Wesentlichen auf den Anspruch auf Herausgabe der Sachherrschaft über das Grundstück nach Ablauf des Mietvertrags beschränken.

42.      Als Zwischenergebnis bleibt somit festzuhalten, dass sowohl die erste Transaktion, der 999 year lease , als auch die zweite Transaktion, die Übertragung der freehold reversion , eine Lieferung im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie darstellen können. Da anzunehmen ist, dass Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie derselbe Begriff der Lieferung zugrunde liegt, können im Rahmen der Vorsteuerberichtigung ebenfalls beide Vorgänge beachtlich sein. Damit ist keine der Auslegungsvarianten allein deswegen ausgeschlossen, weil eine der Transaktionen nicht die Anforderungen an eine Lieferung im Sinne dieser Vorschrift erfüllt.

2. Maßgeblicher Vorgang bei mehreren Lieferungen

43.      Zu klären bleibt, welche Lieferung für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs maßgeblich ist, wenn der Gegenstand in mehreren Akten an verschiedene Personen geliefert wird. In Betracht kommen: der letzte Vorgang, durch den der Steuerpflichtige sein Interesse an dem Gegenstand endgültig aufgibt, der in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutendste Vorgang oder alle Vorgänge gemeinsam.

44.      Dem Wortlaut scheint die Annahme zugrunde zu liegen, dass nur eine Lieferung erfolgt. Danach gilt die wirtschaftliche Tätigkeit nämlich als steuerpflichtig, „wenn die Lieferung des genannten Investitionsgutes steuerpflichtig ist; sie gilt als steuerfrei, wenn die Lieferung steuerfrei ist“ (17) .

45.      Allein aus dieser Formulierung kann indes nicht geschlossen werden, dass nur ein Akt Berücksichtigung findet, wenn eine Lieferung in mehreren Akten erfolgt. Vielmehr haben die Verfasser der Richtlinie nur den Normalfall im Blick gehabt, dass der Gegenstand durch einen Akt geliefert wird. Hätten sie mit dieser Formulierung aussagen wollen, dass bei Lieferungen, die aus mehreren Akten bestehen, nur ein Akt maßgeblich ist, so wäre eine Aussage notwendig gewesen, auf welchen Akt es in diesem Fall ankommt. Näher liegt es vielmehr, dass Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie im Bezug auf Fälle, in denen die Lieferung durch mehrere Akte erfolgt, eine Regelungslücke enthält. Diese Lücke ist durch eine ergänzende Auslegung der Bestimmung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und ihres Sinnes und Zwecks zu schließen.

46.      Die Regeln über den Vorsteuerabzug zielen darauf, Vorleistungen möglichst genau in dem Umfang steuerfrei zu stellen, in dem sie benötigt werden, um steuerpflichtige Leistungen zu erbringen. Dieses Ziel wird am besten mit der Auslegungsvariante c erreicht. Die anteilige Berücksichtigung beider Transaktionen im Rahmen der Berichtigung des Vorsteuerabzugs bildet die steuerfreie bzw. steuerpflichtige Verwendung des Gegenstandes am genauesten ab.

47.      Die beiden anderen Auslegungsvarianten erreichen dieses Ziel nicht in demselben Maße. Zwar wird bei Variante b immerhin noch der Schwerpunkt der Verwendung zutreffend berücksichtigt. Dass die steuerpflichtige Übertragung der freehold reversion außer Betracht bleibt, ist angesichts des geringen Wertes dieser Transaktion im vorliegenden Fall nicht gravierend. Dennoch liegt in dieser Vorgehensweise eine Ungenauigkeit, die in anderen Konstellationen, in denen die Transaktionswerte nicht so weit auseinanderklaffen, zu inkohärenten Ergebnissen führen kann.

48.      Die Auslegungsvariante a verfehlt dagegen das Ziel völlig, einen Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzug und dem Umfang der Verwendung des betreffenden Gegenstands für steuerpflichtige Umsätze herzustellen. Obwohl die steuerpflichtige Übertragung der freehold reversion nur die Lieferung eines zu vernachlässigenden Rechts an dem Gebäude ausmacht, würde Variante a zu einem vollständigen Vorsteuerabzug führen.

49.      Dass in bestimmten Konstellationen eine anteilige Betrachtung angebracht ist, auch wenn der Wortlaut der einschlägigen Bestimmung der Sechsten Richtlinie dies nicht ausdrücklich vorsieht, zeigen auch die folgenden Beispiele aus der Rechtsprechung.

50.      Im Urteil Armbrecht hat der Gerichtshof etwa festgestellt, dass ein Steuerpflichtiger beim Verkauf eines Gegenstands, von dem er einen Teil seiner privaten Nutzung vorbehalten hatte, hinsichtlich dieses Teils nicht als Steuerpflichtiger im Sinne von Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie handelt. (18) Der Gerichtshof hat Artikel 2 Nr. 1 damit in dem Sinne ausgelegt, dass eine Lieferung steuerpflichtig ist, soweit ein Steuerpflichtiger sie als solcher ausführt. Der Wortlaut bezieht sich dagegen nur auf Lieferungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt.

51.      Im Urteil Enkler (19) hatte der Gerichtshof Fragen im Zusammenhang mit einem teils für unternehmerische Zwecke und teils privat genutzten Wohnmobil zu beantworten. Für die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie hat er eine anteilige Berücksichtigung der Ausgaben für das Wohnmobil verlangt, die dem zeitlichen Umfang der unternehmensfremden Verwendung entspricht. (20)

52.      Centralan wendet gegen die Auslegungsvariante c jedoch ein, dass das Gebäude erst mit der Übertragung der freehold reversion vollständig aus dem Betriebsvermögen ausscheide. Erst zu dem Zeitpunkt sei die Berichtigung vorzunehmen.

53.      Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie lässt sich nur entnehmen, dass die Berichtigung im Zeitpunkt der Lieferung zu erfolgen hat. Die Bestimmung enthält dagegen kein Indiz dafür, dass bei zwei zeitlich eng aufeinander folgenden Transaktionen, die beide als Lieferung zu qualifizieren sind, nur die letzte Transaktion für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs maßgeblich sein soll.

54.      Vielmehr kann die alleinige Berücksichtigung des letzten Liefervorgangs zu völlig willkürlichen Ergebnissen führen, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs am Beispiel eines Stücks Ackerland darlegt, das zunächst mit Vorsteuerabzug erworben, später in zwei Teile aufgeteilt und dann weiterveräußert wird. Dabei wird angenommen, dass der Verkauf des einen Teils steuerpflichtig ist, weil dieser Teil zwischenzeitlich in Bauland umgewandelt worden ist, während der Verkauf des anderen weiter landwirtschaftlich genutzten Teils steuerbefreit ist. Lehnt man eine Gesamtbetrachtung aller Veräußerungsvorgänge ab und berücksichtigt man stattdessen nur die letzte Transaktion, so könnte der Steuerpflichtige die Berichtigung des Vorsteuerabzugs beliebig beeinflussen, indem er das eine oder andere Geschäft zuerst abschließt. Die ausschließliche Berücksichtigung des letzten Liefervorgangs eröffnete dem Steuerpflichtigen damit Gestaltungsmöglichkeiten, die den Zielen der Richtlinie zuwiderlaufen.

55.      Dies zeigt auch der vorliegende Fall. Obwohl das Gebäude weit überwiegend durch eine steuerfreie Lieferung (dem 999 year lease ) aus dem Vermögen von Centralan ausgegliedert wird, bliebe der Vorsteuerabzug in vollem Umfang erhalten, wenn man allein auf die zweite, nur noch symbolische Übertragung der freehold reversion abstellte.

56.      Schließlich verweisen Centralan und die Kommission auf die praktischen Schwierigkeiten, die die Auslegungsvariante c angeblich hervorruft. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb die anteilige Berücksichtigung der steuerpflichtigen Lieferung bei der Berichtigung des Vorsteuerabzugs praktisch nicht durchführbar sein soll. Bei der Ermittlung des anteiligen Vorsteuerabzugs nach Artikel 17 Absatz 5 und Artikel 19 der Sechsten Richtlinie sind jedenfalls anspruchsvollere Berechnungen anzustellen. Im Übrigen ist die Berichtigung nur bei Investitionsgütern vorzunehmen, die während des Berichtigungszeitraums veräußert werden.

57.      Besondere Probleme ergäben sich nach Auffassung von Centralan und der Kommission außerdem, wenn die anteilig zu berücksichtigenden Lieferungen nicht alle in demselben Zeitabschnitt erfolgten. Dies ist jedoch eine hypothetische Fallgestaltung, die im Ausgangsrechtsstreit nicht vorliegt.

58.      Ganz abgesehen davon sind tatsächlich auch in einem solchen Fall keine unüberwindlichen Schwierigkeiten gegeben. Wenn in einem Jahr ein Investitionsgut durch eine Lieferung teilweise aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, so ist die endgültige Berichtigung des Vorsteuerabzugs für den verbleibenden Berichtigungszeitraum nach Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie hinsichtlich dieses Teils vorzunehmen. Für den verbleibenden Teil, dessen Wert durch geeignete Methoden zu ermitteln ist, wird dann in den folgenden Abschnitten die laufende Berichtigung nach Artikel 20 Absatz 2 anteilig fortgeführt, bis dieser Teil durch eine weitere Lieferung im Sinne des Absatzes 3 ausgegliedert wird und auch insoweit die endgültige Berichtigung erfolgt.

59.      Somit ist Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie in der vorliegenden Konstellation dahin auszulegen, dass das Investitionsgut bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums so behandelt wird, als ob es für gewerbliche Tätigkeiten verwendet worden ist, die je nach dem Anteil der jeweiligen Werte des steuerpflichtigen Verkaufs der freehold reversion und der steuerbefreiten Vermietung für 999 Jahre teilweise besteuert und teilweise von der Steuer befreit sind.

C – Zum Rechtsmissbrauch

60.      Angesichts dieser Lösung braucht nicht geprüft zu werden, ob und inwieweit im Bereich der Mehrwertsteuerregelungen ein Verbot des Rechtsmissbrauchs existiert, unter welchen Voraussetzungen dieses Verbot eingreift und welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben. Auch für die Wiedereröffnung des schriftlichen Verfahrens besteht kein Anlass.

61.      Zwar wirken die Transaktionen tatsächlich künstlich und allein darauf gerichtet, der Universität den Abzug der Mehrwertsteuer zu ermöglichen, die bei der Errichtung des Harrington Building entrichtet wurde, obwohl die Universität weitgehend steuerfreie Leistungen erbringt. Die hier vertretene Auslegung der Sechsten Richtlinie schließt es jedoch aus, dass diese künstlichen Operationen zu einer Steuerbefreiung führen, die den Zielen der Richtlinie zuwiderläuft und die unter Rückgriff auf ungeschriebene Grundsätze, wie das Verbot des Rechtsmissbrauchs, korrigiert werden müsste.

VI – Ergebnis

62.      Aufgrund der vorstehenden Überlegungen schlage ich dem Gerichtshof folgende Antwort auf die Vorlagefrage des High Court of Justice (Chancery Division) vor:

Im Falle der Veräußerung eines Gebäudes durch zwei im Voraus geplante und voneinander abhängige Lieferungen, und zwar durch eine steuerbefreite Vermietung des Gebäudes für 999 Jahre und drei Tage später durch einen steuerpflichtigen Verkauf der freehold reversion , ist Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage so auszulegen, dass das Investitionsgut bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums so behandelt wird, als ob es für gewerbliche Tätigkeiten verwendet worden ist, die je nach dem Anteil der jeweiligen Werte des steuerpflichtigen Verkaufs der freehold reversion und der steuerbefreiten Vermietung für 999 Jahre teilweise besteuert und teilweise von der Steuer befreit sind.


1
Originalsprache: Deutsch.


2
Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).


3
Rechtssachen C-255/02 (Halifax), C-419/02 (BUPA Hospitals) und C-223/03 (University of Huddersfield).


4
Die Möglichkeit, den Berichtigungszeitraum bei Gebäuden auf 20 Jahre auszudehnen, ist erst mit der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG und zur Einführung weiterer Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer – Geltungsbereich bestimmter Steuerbefreiungen und praktische Einzelheiten ihrer Durchführung (ABl. L 102, S. 18) eingeführt worden. Zuvor waren in der Sechsten Richtlinie nur zehn Jahre vorgesehen.


5
Centralan scheint insoweit von einer Option im Sinne des Artikels 13 Teil C der Sechsten Richtlinie Gebrauch gemacht zu haben, so dass die Vermietung abweichend von Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie nicht steuerbefreit war.


6
Diese Regelung war nur zwischen dem 30. November 1994 und dem 26. November 1996 in Kraft.


7
Die Kommission verweist auf die zur Frage des Rechtsmissbrauchs im Bereich der Mehrwertsteuer anhängigen Rechtssachen (zitiert in Fußnote 3).


8
Die Kommission stützt sich in erster Linie auf die Definition des Rechtsmissbrauchs, die der Gerichtshof in dem Urteil vom 14. Dezember 2000 in der Rechtssache C-110/99 (Emsland-Stärke, Slg. 2000, I-11569, Randnrn. 52 und 53) entwickelt hat. Allerdings bezieht dieses Urteil sich auf Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse.


9
Vgl. u. a. Urteile vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-62/93 (BP Soupergaz, Slg. 1995, I-1883, Randnr. 18), vom 21. März 2000 in den Rechtssachen C-110/98 bis C-147/98 (Gabalfrisa u. a., Slg. 2000, I-1577, Randnr. 43) und vom 1. April 2004 in der Rechtssache C-90/02 (Bockemühl, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 38).


10
Vgl. u. a. Urteile vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83 (Rompelman, Slg. 1985, 655, Randnr. 19), vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-37/95 (Ghent Coal Terminal, Slg. 1998, I-1, Randnr. 15) sowie Urteile Gabalfrisa (zitiert in Fußnote 9, Randnr. 44) und Bockemühl (zitiert in Fußnote 9, Randnr. 39).


11
Urteil vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-137/02 (Faxworld, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 24).


12
Vgl. die in Fußnote 9 zitierten Urteile sowie die Urteile vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C-97/90 (Lennartz, Slg. 1991, I-3795, Randnr. 27) und vom 8. Januar 2002 in der Rechtssache C-409/99 (Metropol und Stadler, Slg. 2002, I-81, Randnr. 42). Urteil vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-152/02 (Terra-Baubedarf, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 35).


13
Vgl. Urteil vom 8. Juni 2000 in der Rechtssache C-400/98 (Breitsohl, Slg. 2000, I-4321, Randnr. 36) und Urteil Terra-Baubedarf (zitiert in Fußnote 12, Randnr. 31).


14
Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 15. Februar 1996 in der Rechtssache C-306/94 (Régie dauphinoise, Slg. 1996, I-3695, I-3697, Nr. 37).


15
Vgl. zu den entsprechenden Bestimmungen der Zweiten Mehrwertsteuerrichtlinie: Urteil vom 1. Februar 1977 in der Rechtssache 51/76 (Verbond van Nederlandse Ondernemingen, Slg. 1977, 113; Randnr. 12/13).


16
Urteile vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-320/88 (Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I-285, Randnrn. 7 und 8). Siehe auch Urteil vom 6. Februar 2003 in der Rechtssache C-185/01 (Auto Lease Holland, Slg. 2003, I-1317, Randnr. 32).


17
Hervorhebung durch die Verfasserin.


18
Urteil vom 4. Oktober 1995 in der Rechtssache C-291/92 (Armbrecht, Slg. 1995, I-2775, Randnr. 24).


19
Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-230/94 (Enkler, Slg. 1996, I-4517).


20
Urteil Enkler (zitiert in Fußnote 19, Randnr. 37)

nach oben