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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62002CJ0216

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 11. November 2004.
Österreichischer Zuchtverband für Ponys, Kleinpferde und Spezialrassen gegen Burgenländische Landesregierung.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgerichtshof - Österreich.
Freier Warenverkehr - Innergemeinschaftlicher Handel mit Equiden - Zulassungs- oder Anerkennungsverfahren für Organisationen und Vereinigungen, die Zuchtbücher für eingetragene Equiden führen oder anlegen - Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 92/353/EWG.
Rechtssache C-216/02.

Sammlung der Rechtsprechung 2004 I-10683

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2004:703

Arrêt de la Cour

Rechtssache C‑216/02

Österreichischer Zuchtverband für Ponys, Kleinpferde und Spezialrassen

gegen

Burgenländische Landesregierung

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes [Österreich])

„Freier Warenverkehr – Innergemeinschaftlicher Handel mit Equiden – Zulassungs- oder Anerkennungsverfahren für Organisationen und Vereinigungen, die Zuchtbücher für eingetragene Equiden führen oder anlegen – Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 92/353/EWG“

Leitsätze des Urteils

Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Kriterien für die Zulassung bzw. Anerkennung der Zuchtorganisationen und Züchtervereinigungen, die Zuchtbücher für eingetragene Equiden führen oder anlegen – Entscheidung 92/353 – Befugnis der nationalen Behörden, die Zulassung bzw. Anerkennung abzulehnen – Kein subjektiver Anspruch einer bestehenden Vereinigung oder Organisation gegenüber den betreffenden Behörden auf Versagung der von einer neuen Vereinigung oder Organisation beantragten Anerkennung bzw. Zulassung

(Entscheidung 92/353 der Kommission, Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a)

Nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 mit Kriterien für die Zulassung bzw. Anerkennung der Zuchtorganisationen und Züchtervereinigungen, die Zuchtbücher für eingetragene Equiden führen oder anlegen, können die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats die Anerkennung einer neuen Organisation oder Vereinigung ablehnen, wenn diese den Erhalt der Rasse gefährdet oder das Funktionieren oder das Rassenverbesserungs- bzw. Selektionsprogramm einer bestehenden Organisation oder Vereinigung in Frage stellt. Dieser Artikel kann nicht dahin ausgelegt werden, dass er einer solchen Vereinigung oder Organisation gegenüber den betreffenden zuständigen Behörden einen subjektiven Anspruch auf Versagung der von der neuen Vereinigung oder Organisation beantragten Anerkennung bzw. Zulassung gewährt, wenn einer oder mehrere der in dieser Bestimmung genannten Umstände vorliegen. Eine solche Auslegung würde nämlich zur Beseitigung des Ermessensspielraums führen, den diese Bestimmung den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten vorbehalten wollte.

Unter diesen Umständen steht das Gemeinschaftsrecht den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die den bestehenden Vereinigungen oder Organisationen, die sich gegen die Anerkennung einer neuen Vereinigung oder Organisation ausgesprochen haben, keinen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Entscheidung der zuständigen nationalen Behörden über die Anerkennung gewähren.

(vgl. Randnrn. 35-37, 40, Tenor 1-2)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)
11. November 2004(1)

„Freier Warenverkehr – Innergemeinschaftlicher Handel mit Equiden – Zulassungs- oder Anerkennungsverfahren für Organisationen und Vereinigungen, die Zuchtbücher für eingetragene Equiden führen oder anlegen – Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 92/353/EWG“

In der Rechtssache C-216/02betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 23. Mai 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Juni 2002, in dem Verfahren

Österreichischer Zuchtverband für Ponys, Kleinpferde und Spezialrassen

gegen

Burgenländische Landesregierung,

anderer Verfahrensbeteiligter: Österreichischer Shetlandponyzuchtverband,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer),



unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie des Richters A. Rosas (Berichterstatter) und der Richterin R. Silva de Lapuerta,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2003,unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Österreichischen Zuchtverbands für Ponys, Kleinpferde und Spezialrassen, vertreten durch die Rechtsanwältinnen C. Böhm, M. Breitenecker und C. Kolbitsch sowie durch Rechtsanwalt H. Vana im Beistand von M. Maier,

der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Braun als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Januar 2004,

folgendes



Urteil



1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353/EWG der Kommission vom 11. Juni 1992 mit Kriterien für die Zulassung bzw. Anerkennung der Zuchtorganisationen und Züchtervereinigungen, die Zuchtbücher für eingetragene Equiden führen oder anlegen (ABl. L 192, S. 63).

2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Österreichischen Zuchtverband für Ponys, Kleinpferde und Spezialrassen (im Folgenden: Zuchtverband für Ponys) und der Burgenländischen Landesregierung über die Entscheidung der Letztgenannten, den Österreichischen Shetlandponyzuchtverband (im Folgenden: ÖSZV) im Burgenland als Zuchtorganisation für Shetlandponys anzuerkennen. Der ÖSZV ist Streithelfer im Ausgangsverfahren.


Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3
Die Richtlinie 90/427/EWG des Rates vom 26. Juni 1990 zur Festlegung der tierzüchterischen und genealogischen Vorschriften für den innergemeinschaftlichen Handel mit Equiden (ABl. L 224, S. 55) regelt den innergemeinschaftlichen Handel mit Equiden sowie ihrem Samen, ihren Eizellen und Embryonen. Aus der ersten und der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie geht hervor, dass mit ihr auf Gemeinschaftsebene Vorschriften für den innergemeinschaftlichen Handel mit Equiden erlassen werden sollen, um eine sinnvolle Entwicklung der Zucht zu gewährleisten und die Produktivität in der Zucht von Equiden zu erhöhen, die einem Teil der landwirtschaftlichen Bevölkerung als Einkommensquelle dient. Gemäß der vierten Begründungserwägung hängen befriedigende Ergebnisse auf diesem Gebiet weitgehend von der Verwendung von Tieren ab, die in die Zuchtbücher amtlich anerkannter Zuchtorganisationen oder Züchtervereinigungen eingetragen sind. Der fünften Begründungserwägung der Richtlinie zufolge setzt die vollständige Liberalisierung des Handels eine spätere Harmonisierung der Regeln über die Eintragung in diese Bücher voraus.

4
Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 90/427 sieht die Festlegung u. a. der Kriterien für die Zulassung bzw. Anerkennung der Organisationen und Vereinigungen, die Zuchtbücher führen oder anlegen, durch Beschlüsse der Kommission vor. Artikel 4 Absatz 1 legt die Grundsätze fest, denen bei der Genehmigung dieser, nach dem Verfahren des Artikels 10 der Richtlinie gefassten Beschlüsse Rechnung zu tragen ist.

5
In diesem Zusammenhang hat die Kommission mit der Entscheidung 92/353 die Kriterien für die Zulassung bzw. Anerkennung der Zuchtorganisationen und Züchtervereinigungen festgelegt, die Zuchtbücher für eingetragene Equiden führen oder anlegen. Nach Artikel 1 dieser Entscheidung müssen diese Organisationen oder Vereinigungen, um amtlich zugelassen bzw. anerkannt zu werden, einen entsprechenden Antrag an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats richten, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren Geschäftssitz haben.

6
Artikel 2 der Entscheidung 92/353 bestimmt:

„(1)
Die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats sind gehalten, Organisationen oder Vereinigungen, die Zuchtbücher führen oder anlegen, amtlich zuzulassen bzw. anzuerkennen, sofern sie den Kriterien im Anhang genügen.

(2)
Die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, in dem für eine gegebene Rasse bereits eine oder mehrere Organisationen oder Vereinigungen amtlich zugelassen bzw. anerkannt sind, können die Anerkennung einer weiteren Organisation oder Vereinigung jedoch ablehnen,

a)
wenn diese die Erhaltung der Rasse gefährdet oder das Funktionieren oder das Rassenverbesserungs‑ bzw. Selektionsprogramm einer bestehenden Organisation oder Vereinigung in Frage stellt oder

b)
wenn die dieser Rasse zugehörigen Equiden in einem bestimmten Abschnitt eines Zuchtbuchs eingeschrieben oder eingetragen werden können, das von einer Organisation oder Vereinigung geführt wird, die insbesondere hinsichtlich dieses Abschnitts die von der Organisation oder Vereinigung, die das Zuchtbuch über den Ursprung der Rasse führt, gemäß Punkt 3 Buchstabe b des Anhangs aufgestellten Grundsätze einhält.

(3)
Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission über jede amtliche Zulassung bzw. Anerkennung und jede angefochtene Ablehnung.

(4)
Wird die amtliche Zulassung bzw. Anerkennung einer Organisation oder Vereinigung in einem Mitgliedstaat abgelehnt, so sind die Gründe für diese Ablehnung der betreffenden Vereinigung oder Organisation schriftlich mitzuteilen.“

7
Außerdem sieht Artikel 3 der Entscheidung 92/353 vor, dass die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats einer ein Zuchtbuch führenden Vereinigung oder Organisation die amtliche Zulassung bzw. Anerkennung entziehen, wenn sie den im Anhang der Entscheidung festgelegten Kriterien nicht mehr dauerhaft entspricht.

Nationales Recht

8
In Österreich fallen die Umsetzung der Richtlinie 90/427 sowie die Anwendung der auf diese Richtlinie gestützten Entscheidungen der Kommission in die Zuständigkeit der Länder.

9
§ 9 im 3. Abschnitt des Burgenländischen Gesetzes vom 2. März 1995 über die landwirtschaftliche Tierzucht im Burgenland (LGBl 1995/33 in der Fassung LGBl 2001/32, im Folgenden: Tierzuchtgesetz) regelt die Anerkennung der Zuchtorganisationen. Dieser Paragraph bestimmt u. a.:

„(1)
Eine Zuchtorganisation ist von der Landesregierung anzuerkennen, wenn

1.
das Zuchtprogramm geeignet ist, die tierische Erzeugung im Sinne des § 1 Abs. 2 zu fördern,

2.
eine für die Durchführung des Zuchtprogramms hinreichend große Zuchtpopulation vorhanden ist,

3.
das für eine einwandfreie züchterische Arbeit erforderliche Personal und die hiefür erforderlichen Einrichtungen vorhanden sind,

4.
sichergestellt ist, insbesondere hinsichtlich der personellen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen, dass

a)
die Geschäftsstelle der Zuchtorganisation im Burgenland liegt;

b)
die Zuchttiere dauerhaft so gekennzeichnet werden, dass ihre Identität festgestellt werden kann;

c)
das Zuchtbuch oder Zuchtregister ordnungsgemäß geführt wird und in den Zuchtbetrieben die erforderlichen Aufzeichnungen gemacht werden;

d)
bei einer Züchtervereinigung jedes Tier, das hinsichtlich seiner Abstammung und seiner Leistungsmerkmale – einschließlich des äußeren Erscheinungsbildes – die Anforderungen für seine Eintragung erfüllt, auf Antrag in das Zuchtbuch eingetragen oder vermerkt wird und eingetragen werden kann; dabei dürfen an die in das Burgenland verbrachten Tiere keine höheren Anforderungen gestellt werden als an Tiere, die aus dem Burgenland stammen, und

5.
bei einer Züchtervereinigung nach ihrer Rechtsgrundlage jeder Züchter in ihrem sachlichen und räumlichen Tätigkeitsbereich, der die Voraussetzungen einwandfreier züchterischer Arbeit erfüllt, ein Recht auf Mitgliedschaft hat.

(2)
Der Antrag auf Anerkennung muss enthalten:

3.
das Zuchtprogramm, aus dem Zuchtziel, Zuchtmethode, Umfang der Zuchtpopulation sowie Art, Umfang und Auswertung der Leistungsprüfungen ersichtlich sind;

4.
Angaben über den vorgesehenen Tierbestand der am Zuchtprogramm beteiligten Betriebe oder Züchter;

5.
bei einer Züchtervereinigung:

a)
Nachweise über die Rechtsgrundlage, aus denen der sachliche und räumliche Tätigkeitsbereich ersichtlich ist,

b)
die Zuchtbuchordnung, aus der die Anforderungen für die Eintragung in die Abteilungen des Zuchtbuches ersichtlich sind;

(3)     Im Anerkennungsverfahren sind jene Züchtervereinigungen zu hören, deren räumlicher und sachlicher Tätigkeitsbereich sich ganz oder zum Teil mit dem in Abs. 2 Z 5 lit. a genannten deckt.

(5)     Bestehen bereits eine oder mehrere anerkannte Zuchtorganisationen für eine bestimmte Rasse, so hat die Landesregierung die Anerkennung einer neuen Zuchtorganisation zu verweigern, wenn dadurch die Erhaltung der Rasse oder das Zuchtprogramm einer bestehenden Organisation gefährdet werden.“


Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10
Der Zuchtverband für Ponys ist im Bundesland Burgenland seit dem 14. August 1997 nach dem Tierzuchtgesetz als Zuchtorganisation für Shetlandponys anerkannt.

11
Im Jahr 1997 beantragte der ÖSZV bei der Burgenländischen Landesregierung als zuständiger Verwaltungsbehörde ebenfalls die Anerkennung als Zuchtorganisation für Shetlandponys.

12
Der Zuchtverband für Ponys wurde in dem daraufhin eingeleiteten Verwaltungsverfahren angehört. Er sprach sich gegen die Anerkennung des ÖSZV aus und behauptete, dass diese die Erhaltung der Rasse, sein eigenes Funktionieren als bestehende Organisation und sein Rassenverbesserungs‑ und Selektionsprogramm gefährde.

13
Mit Bescheid vom 30. April 2001 wurde der ÖSZV gemäß § 9 des Tierzuchtgesetzes nach Maßgabe eines bestimmten Zuchtprogramms im Bundesland Burgenland auf zehn Jahre befristet anerkannt.

14
Gegen diesen Bescheid erhob der Zuchtverband für Ponys Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Nach Auffassung der Burgenländischen Landesregierung hat er jedoch im Verfahren zur Anerkennung des ÖSZV keine Parteistellung und ist damit nicht befugt, den genannten Bescheid gerichtlich anzufechten.

15
Der Verwaltungsgerichtshof führt aus, dass er, um über die Zulässigkeit der Beschwerde zu entscheiden, zunächst prüfen müsse, ob die beschwerdeführende Partei des Ausgangsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen ein durchsetzbares Recht darauf habe, dass die Anerkennung einer neuen Zuchtorganisation abgelehnt werde.

16
Bei Zugrundelegung allein der innerstaatlichen Rechtsordnung müsse die Beschwerde zurückgewiesen werden, ohne dass die Frage geprüft werden könne, ob durch die Anerkennung des ÖSZV als Zuchtorganisation die Erhaltung der Rasse oder das Zuchtprogramm der beschwerdeführenden Partei des Ausgangsverfahrens gefährdet werde. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu anderen Gesetzen bedeute nämlich die Anordnung des Gesetzgebers, dass jemandem in einem Verwaltungsverfahren nur das Recht der Anhörung eingeräumt werde, dass der Betreffende in diesem Verwaltungsverfahren keine Parteistellung habe. Die Parteistellung sei aber im österreichischen Verwaltungsverfahrensrecht das verfahrensrechtliche Instrument zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen. Die Verneinung der Parteistellung im Verwaltungsverfahren habe zur Folge, dass der Betreffende gegenüber der Behörde auch keinen Anspruch auf einen bestimmten Inhalt der Entscheidung habe und dass er in der Folge diese behördliche Entscheidung auch nicht gerichtlich anfechten könne.

17
Der Zuchtverband für Ponys trägt vor, ihm komme aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften ein durchsetzbares Recht darauf zu, dass überprüft werde, ob die Anerkennung des ÖSZV die Erhaltung der Rasse oder das Zuchtprogramm einer bestehenden Organisation gefährde, und dass diese Anerkennung bejahendenfalls durch die Verwaltungsbehörde abgelehnt werde. Er beruft sich dafür auf die Richtlinie 90/427 und die Entscheidung 92/353.

18
Der Verwaltungsgerichtshof schließt nicht aus, dass sich der Zuchtverband für Ponys auf die Entscheidung 92/353 berufen könne. Er verweist darauf, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofes es seit dem Urteil vom 6. Oktober 1970 in der Rechtssache 9/70 (Grad, Slg. 1970, 825) in Fällen einer an die Mitgliedstaaten gerichteten Entscheidung unter denselben Bedingungen wie bei Richtlinien für zulässig gehalten habe, dass sich Einzelpersonen gegenüber nationalen Behörden und Gerichten unmittelbar auf solche Entscheidungen beriefen.

19
Zur Frage, ob Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 92/353 die Voraussetzung eines so unbedingten und klaren Inhalts, dass sich ein Bürger unmittelbar darauf berufen könne, erfülle, stellt der Verwaltungsgerichtshof verschiedene Erwägungen an.

20
Das Wort „können“ in dieser Bestimmung könnte bedeuten, dass es in das Belieben der Mitgliedstaaten gestellt sei, ob sie eine Ablehnung der Anerkennung einer neuen Vereinigung vorsähen oder nicht, wenn die Anerkennung die Erhaltung der Rasse oder das Funktionieren oder das Rassenverbesserungs- bzw. Selektionsprogramm einer bestehenden Organisation oder Vereinigung in Frage stelle. In diesem Fall könnte sich der Zuchtverband für Ponys nicht unmittelbar auf die Entscheidung 92/353 berufen.

21
Der den Mitgliedstaaten durch das Wort „können“ scheinbar eingeräumte Gestaltungsspielraum könnte jedoch, so der Verwaltungsgerichtshof, durch andere Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts wieder zunichte gemacht werden. Im Urteil vom 16. September 1999 in der Rechtssache C‑435/97 (WWF u. a., Slg. 1999, I‑5613) habe der Gerichtshof erklärt, dass das den Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absatz 4 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) scheinbar eingeräumte weite Ermessen durch Artikel 2 Absatz 1 dieser Richtlinie begrenzt sei.

22
Selbst wenn anzunehmen sein sollte, dass Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 92/353 den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum einräume, so erhebe sich dennoch die Frage, ob es mit den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sei, dass ein Mitgliedstaat die Voraussetzungen für die Ablehnung der Anerkennung neuer Vereinigungen festlege, ohne gleichzeitig den bestehenden Vereinigungen einen durchsetzbaren Anspruch auf diese Ablehnung einzuräumen.

23
Was den Tatbestand der Gefährdung der Erhaltung der Rasse angehe, sei es fraglich, ob eine bestehende Organisation einen durchsetzbaren Anspruch auf Ablehnung der Anerkennung geltend machen könne. Zwischen diesem Ablehnungsgrund und den Interessen bestehender Organisationen bestehe nämlich kein unmittelbarer Zusammenhang.

24
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes könne eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Bürger begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich sei (Urteil vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C‑91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, I‑3325). In diesem Zusammenhang weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass sich Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 92/353 nicht darauf beschränke, den bestehenden Vereinigungen eine Begünstigung zu gewähren, auf die sie sich unter Umständen gegenüber einem Mitgliedstaat berufen könnten. Diese Bestimmung scheine auch eine Belastung für die Züchtervereinigung zu enthalten, die die Anerkennung anstrebe, weil es ihr bei Vorliegen der Voraussetzungen des Artikels 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 verwehrt sei, die Anerkennung zu erhalten. Es sei aber nicht mit Sicherheit festzustellen, ob es sich bei einer „Belastung“ dieser Art um eine „Verpflichtung für einen Bürger“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes handele.

25
Die Rechtsprechung des Gerichtshofes erkenne an, dass eine Richtlinie indirekt Belastungen für den Bürger schaffen könne. Der Verwaltungsgerichtshof verweist insoweit auf die Urteile des Gerichtshofes vom 11. August 1995 in der Rechtssache C‑431/92 (Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I‑2189, im Folgenden: Urteil Großkrotzenburg) und vom 22. Juni 1989 in der Rechtssache 103/88 (Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839).

26
Der Verwaltungsgerichtshof prüft außerdem die Frage, inwieweit das Gemeinschaftsrecht in nationales Verfahrensrecht und nationale Zuständigkeitsbestimmungen eingreife. In Anbetracht der Eindeutigkeit von § 9 Abs. 3 des Tierzuchtgesetzes sei es nicht möglich, das österreichische Recht dahin gehend auszulegen, dass eine bestehende Züchterorganisation ein Klagerecht gegen die von der Verwaltung im Rahmen des Verfahrens zur Anerkennung einer neuen Züchterorganisation getroffene Entscheidung habe. In der österreichischen rechtswissenschaftlichen Literatur werde aber unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 7. Juli 1981 in der Rechtssache 158/80, Rewe, Slg. 1981, 1805) die Auffassung vertreten, dass es in Ermangelung einer besonderen Vorschrift des Gemeinschaftsrechts Aufgabe der Mitgliedstaaten sei, Rechtsbehelfe vorzusehen, die den Bürgern die Ausübung der ihnen nach dem Gemeinschaftsrecht zustehenden Rechte ermöglichten. Die Wahrung der Autonomie der Mitgliedstaaten bedeute, dass das Gemeinschaftsrecht die Anwendung innerstaatlicher Verfahrens- und Zuständigkeitsbestimmungen nicht verdrängen könne.

27
Im vorliegenden Fall habe der österreichische Gesetzgeber die Verfahrensposition der bestehenden Züchtervereinigungen und Zuchtorganisationen so gestaltet, dass sie den Verwaltungsgerichtshof nicht anrufen könnten. Unter diesen Umständen wäre selbst dann, wenn Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 den bestehenden Organisationen ein Recht auf Einhaltung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen einräume, dieses Recht in Österreich nicht durchsetzbar.

28
Dieses Ergebnis sei unbefriedigend und aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 24. September 1998 in der Rechtssache C‑76/97, Tögel, Slg. 1998, I‑5357, und vom 4. März 1999 in der Rechtssache C‑258/97, HI, Slg. 1999, I‑1405) nicht ableitbar. Ein gemeinschaftsrechtlich begründeter Anspruch müsse vor dem Verwaltungsgerichtshof als dem nationalen Gericht geltend gemacht werden können, das normalerweise für Ansprüche dieser Art aus nationalem Recht zuständig sei.

29
Mit Beschluss vom 23. Mai 2002 hat der Verwaltungsgerichtshof daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.
Räumt Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 einer bestehenden Zuchtorganisation (Züchtervereinigung) ein Recht ein, dass die Anerkennung einer weiteren Zuchtorganisation (einer weiteren Züchtervereinigung) von der zuständigen Behörde abgelehnt wird, wenn die Anerkennung der weiteren Zuchtorganisation (Züchtervereinigung) die Erhaltung der Rasse gefährdet oder das Funktionieren oder das Rassenverbesserungs- bzw. Selektionsprogramm einer bestehenden Organisation oder Vereinigung in Frage stellt?

2.
Steht Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 der Anwendung einer nationalen Vorschrift entgegen, welche einer bestehenden Zuchtorganisation oder Züchtervereinigung

a)
in einem Verfahren zur Anerkennung einer weiteren Zuchtorganisation (Züchtervereinigung) vor der zuständigen Behörde lediglich ein Anhörungsrecht zugesteht, aber keinen Anspruch darauf, dass die Anerkennung der weiteren Organisation (Vereinigung) wegen Gefährdung der Erhaltung der Rasse oder wegen Infragestellung des Funktionierens oder des Rassenverbesserungs- bzw. Selektionsprogramms einer bestehenden Organisation oder Vereinigung verweigert wird, und

b)
nicht das Recht einräumt, die trotz negativer Stellungnahme erfolgte Anerkennung durch die Verwaltungsbehörde beim Gericht (Verwaltungsgerichtshof) zu bekämpfen?


Zur ersten Frage

30
Mit seiner ersten Frage wie auch mit dem ersten Teil der zweiten Frage fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen, ob Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 dahin auszulegen ist, dass, wenn einer oder mehrere der dort genannten Umstände vorliegen, die bereits für eine bestimmte Equidenrasse anerkannten oder zugelassenen Organisationen oder Verbände gegenüber den zuständigen Behörden einen Anspruch auf Versagung der Anerkennung oder Zulassung einer neuen Vereinigung oder Organisation haben, die für dieselbe Rasse Zuchtbücher führt oder anlegt.

31
Vorab ist daran zu erinnern, dass die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 92/353 gehalten sind, Organisationen oder Vereinigungen, die Zuchtbücher führen oder anlegen, amtlich zuzulassen bzw. anzuerkennen, sofern sie den Kriterien im Anhang der Entscheidung genügen.

32
Wie sich aus dieser Bestimmung und aus den Begründungserwägungen der Richtlinie 90/427 ergibt, ist die amtliche Anerkennung neuer Vereinigungen oder Organisationen, die Zuchtbücher führen oder anlegen, in der Regel mit den Zielen der Gemeinschaftsregelung für den innergemeinschaftlichen Handel mit Equiden vereinbar. Die Verfolgung des Zieles, die Zucht eingetragener Equiden zu fördern und den innergemeinschaftlichen Handel mit ihnen zu entwickeln, setzt voraus, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eine ausreichende Zahl von Organisationen besteht, die in der Lage sind, die Zuchtbücher zu führen, in die eine steigende Zahl von Equiden eingetragen werden kann.

33
Trotz ihrer wohlwollenden Haltung gegenüber der amtlichen Anerkennung oder Zulassung neuer Vereinigungen oder Organisationen, die Zuchtbücher führen oder anlegen, verlangt die Gemeinschaftsregelung jedoch, wie sich aus dem Wortlaut von Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 92/353 ergibt, dass jede Vereinigung oder Organisation den im Anhang dieser Entscheidung vorgesehenen Voraussetzungen entspricht. Außerdem erfolgt nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 90/427 die Anerkennung oder Zulassung dieser Organisationen und Vereinigungen unter der Voraussetzung, dass die Grundsätze eingehalten werden, die von der Organisation oder Vereinigung aufgestellt werden, die das Zuchtbuch über den Ursprung der Rasse führt.

34
Hauptziel von Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 92/353 ist es, wie die österreichische Regierung und die Kommission zu Recht vorgetragen haben, den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum einzuräumen, der es ihnen erlaubt, bei Vorliegen eines der in Artikel 2 Absatz 2 Buchstaben a oder b genannten Umstände den Antrag auf Anerkennung einer neuen Vereinigung oder Organisation selbst dann abzulehnen, wenn die im Anhang dieser Entscheidung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Bei Nichtvorliegen solcher Umstände sind die zuständigen Behörden nämlich gemäß Artikel 2 Absatz 1 dieser Entscheidung gehalten, Organisationen oder Vereinigungen anzuerkennen, die den Kriterien in dem genannten Anhang genügen.

35
In diesem Zusammenhang zählt Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 ausdrücklich die Umstände auf, unter denen die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats die Anerkennung einer neuen Organisation oder Vereinigung ablehnen können. Es handelt sich um Situationen, in denen in dem betreffenden Mitgliedstaat für eine bestimmte Equidenrasse bereits eine oder mehrere Organisationen oder Vereinigungen amtlich anerkannt sind und die Anerkennung der neuen Organisation oder Vereinigung den Erhalt dieser Rasse gefährdet oder das Funktionieren oder das Rassenverbesserungs- bzw. Selektionsprogramm einer bestehenden Organisation oder Vereinigung in Frage stellt.

36
Im Gegensatz zur Auffassung des Zuchtverbands für Ponys kann Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 nicht dahin ausgelegt werden, dass er einer bestehenden Vereinigung gegenüber den betreffenden zuständigen Behörden einen subjektiven Anspruch auf Versagung der von der neuen Vereinigung oder Organisation beantragten Anerkennung gewährt, wenn einer oder mehrere der in dieser Bestimmung genannten Umstände vorliegen. Eine solche Auslegung würde zur Beseitigung des Ermessensspielraums führen, den Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 92/353 den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten vorbehalten wollte.

37
Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 dahin auszulegen ist, dass, wenn einer oder mehrere der dort genannten Umstände vorliegen, die bereits für eine bestimmte Equidenrasse anerkannten oder zugelassenen Organisationen oder Verbände gegenüber den zuständigen Behörden keinen Anspruch auf Versagung der Anerkennung oder Zulassung einer neuen Vereinigung oder Organisation haben, die für dieselbe Rasse Zuchtbücher führt oder anlegt.


Zur zweiten Frage

38
Mit dem zweiten Teil der zweiten Frage fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen, ob das Gemeinschaftsrecht den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die den bestehenden Vereinigungen oder Organisationen, die sich gegen die Anerkennung einer neuen Vereinigung oder Organisation ausgesprochen haben, keinen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Entscheidung der zuständigen nationalen Behörden über die Anerkennung gewähren.

39
Aus der Antwort auf die erste Frage ergibt sich, dass, wenn einer oder mehrere der in Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353 genannten Umstände vorliegen, die bereits für eine bestimmte Equidenrasse anerkannten oder zugelassenen Organisationen oder Verbände gegenüber den zuständigen Behörden keinen Anspruch auf Versagung der Anerkennung oder Zulassung einer neuen Vereinigung oder Organisation haben, die für dieselbe Rasse Zuchtbücher führt oder anlegt.

40
Unter diesen Umständen und aus den Gründen, die der Generalanwalt in den Nummern 38 bis 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist auf die zweite Frage zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die den bestehenden Vereinigungen oder Organisationen, die sich gegen die Anerkennung einer neuen Vereinigung oder Organisation ausgesprochen haben, keinen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Entscheidung der zuständigen nationalen Behörden über die Anerkennung gewähren.


Kosten

41
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.
Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Entscheidung 92/353/EWG der Kommission vom 11. Juni 1992 mit Kriterien für die Zulassung bzw. Anerkennung der Zuchtorganisationen und Züchtervereinigungen, die Zuchtbücher für eingetragene Equiden führen oder anlegen, ist dahin auszulegen, dass, wenn einer oder mehrere der dort genannten Umstände vorliegen, die bereits für eine bestimmte Equidenrasse anerkannten oder zugelassenen Organisationen oder Verbände gegenüber den zuständigen Behörden keinen Anspruch auf Versagung der Anerkennung oder Zulassung einer neuen Vereinigung oder Organisation haben, die für dieselbe Rasse Zuchtbücher führt oder anlegt.

2.
Das Gemeinschaftsrecht steht den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die den bestehenden Vereinigungen oder Organisationen, die sich gegen die Anerkennung einer neuen Vereinigung oder Organisation ausgesprochen haben, keinen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Entscheidung der zuständigen nationalen Behörden über die Anerkennung gewähren.

Unterschriften.


1
Verfahrenssprache: Deutsch.

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