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Dokument 61996CC0170

Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 5. Februar 1998.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Rat der Europäischen Union.
Rechtsakt des Rates - Gemeinsame Maßnahme betreffend den Transit auf Flughäfen - Rechtsgrundlage.
Rechtssache C-170/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 I-02763

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:1998:43

61996C0170

Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 5. Februar 1998. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Rat der Europäischen Union. - Rechtsakt des Rates - Gemeinsame Maßnahme betreffend den Transit auf Flughäfen - Rechtsgrundlage. - Rechtssache C-170/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-02763


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Mit der vorliegenden Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im folgenden: Vertrag oder EG-Vertrag) wird der Gerichtshof zum ersten Mal ersucht, die Rechtmässigkeit eines Rechtsakts des Rates zu prüfen, der ausdrücklich gemäß Titel VI des Vertrages über die Europäische Union angenommen worden ist. Das Verfahren im Zusammenhang mit einer Gemeinsamen Maßnahme des Rates betreffend den Transit auf Flughäfen wirft unausweichlich auch die Frage auf, ob der Gerichtshof zuständig ist, einen solchen Streit zu entscheiden.

I - Angefochtener Rechtsakt

2 Artikel 7a EG-Vertrag, eingefügt durch Artikel 13 der Einheitlichen Europäischen Akte, sieht die schrittweise Verwirklichung des Binnenmarktes gemäß einer Reihe aufgeführter Bestimmungen vor; nach seiner Definition umfasst der Binnenmarkt "einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags gewährleistet ist". Nach Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union legte die Kommission dem Rat am 10. Dezember 1993 zwei zusammenhängende Vorschläge betreffend die Einreise und den Personenverkehr von Staatsangehörigen dritter Länder im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten(1) vor. Der erste war ein Vorschlag für einen Beschluß auf der Grundlage von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union zum Abschluß eines Übereinkommens über das Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten; beim zweiten handelte es sich um den Vorschlag, der nach einer Reihe von Änderungen zur Verordnung (EG) Nr. 2317/95 des Rates vom 25. September 1995 zur Bestimmung der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein müssen(2), geführt hat. Der vorgeschlagene Beschluß über das Übereinkommen wurde nicht angenommen.

3 Obwohl Visa für den Transit auf Flughäfen in der von der Kommission vorgeschlagenen Verordnung erfasst waren, wurden sie vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2317/95 ausdrücklich ausgeschlossen. Im vorliegenden Verfahren geht es um die Gemeinsame Maßnahme vom 4. März 1996 - vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union angenommen - betreffend den Transit auf Flughäfen (im folgenden: Gemeinsame Maßnahme)(3), die auf eine Initiative der französischen Ratspräsidentschaft vom Februar 1995 gestützt ist.

4 Artikel 1 definiert als "Visum für den Transit auf Flughäfen" (im folgenden: VTA) "die Genehmigung, über die die Staatsangehörigen einiger Drittländer in Abweichung von dem in Anhang 9 des Abkommens von Chicago über die internationale Zivilluftfahrt verankerten Grundsatz der freien Durchreise verfügen müssen, um die Transitzone der Flughäfen der Mitgliedstaaten zu passieren". Nach Artikel 2 Absätze 1 und 2 wird das VTA von den Konsularstellen der Mitgliedstaaten unter Bedingungen ausgestellt, die die einzelnen Mitgliedstaaten "vorbehaltlich vom Rat angenommener Kriterien für die Bearbeitung von Visaanträgen und die Ausstellung von Visa" festlegen(4). Nach Artikel 2 Absatz 3 müssen die Mitgliedstaaten mit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1683/95 des Rates vom 29. Mai 1995 über eine einheitliche Visagestaltung(5) bei der Ausstellung von VTA dieser Verordnung nachkommen.

5 Artikel 3 verpflichtet die Mitgliedstaaten, von den Staatsangehörigen der in einer Liste aufgeführten Drittländer ein VTA zu verlangen, sofern diese Personen nicht bereits im Besitz eines Einreise- oder Transitvisums sind. Die Mitgliedstaaten können bestimmte Personengruppen von der Visumpflicht befreien, "und zwar insbesondere ... Mitglieder des Flug- und Schiffspersonals, Inhaber von Diplomatenpässen, Dienstpässen oder sonstigen amtlichen Pässen, Inhaber von Aufenthaltstiteln oder gleichwertigen Dokumenten, die von einem Mitgliedstaat ausgestellt wurden, [und] Inhaber von Visa, die von einem Mitgliedstaat oder von einem Staat ausgestellt wurden, der dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum beigetreten ist". Die Mitgliedstaaten entscheiden über das Erfordernis eines VTA für Staatsangehörige von Drittländern, die nicht in der Liste aufgeführt sind, und legen die Regelung für den Transit auf Flughäfen für Staatenlose und anerkannte Flüchtlinge fest (Artikel 5 und 6). Die Artikel 7, 8 und 10 betreffen die Mitteilung nationaler Maßnahmen an die anderen Mitgliedstaaten und an den Rat sowie ihre Veröffentlichung im Amtsblatt, Berichtspflichten und das Inkrafttreten der Gemeinsamen Maßnahme (1. Oktober 1996 für 12 Mitgliedstaaten und 1. Oktober 1997 für Dänemark, Finnland und Schweden), während Artikel 9 bestimmt, daß die Gemeinsame Maßnahme "einer weiterreichenden Harmonisierung zwischen einigen Mitgliedstaaten im Bereich des Transits auf Flughäfen, die über die im Anhang enthaltene gemeinsame Liste hinausgeht, nicht entgegen[steht]". Im Anhang zur Gemeinsamen Maßnahme sind die zehn Drittländer(6) aufgeführt, für deren Angehörige ein VTA erforderlich ist.

6 Die Kommission hat mit Klageschrift, die am 15. Mai 1996 in das Register des Gerichtshofes eingetragen worden ist, beantragt, die Gemeinsame Maßnahme für nichtig zu erklären und dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Das Europäische Parlament ist als Streithelfer zur Unterstützung der Kommission aufgetreten, und das Königreich Dänemark, die Französische Republik und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland waren Streithelfer zur Unterstützung des Rates.

II - Rechtliche Würdigung

a) Rechtsprechung des Gerichtshofes

7 Das Vereinigte Königreich macht geltend, die Klage sei "völlig unzulässig", da sie auf die Nichtigerklärung einer angeblich auf der Grundlage von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union erlassenen Maßnahme gerichtet sei, während die Zuständigkeit des Gerichtshofes darauf beschränkt sei, "Maßnahmen [zu prüfen], deren Rechtsgrundlage ein Artikel des EG-Vertrags ist". Der Rat und die übrigen Mitgliedstaaten haben demgegenüber die Zuständigkeit des Gerichtshofes angenommen; jedoch verdient diese Frage Aufmerksamkeit, da sie erstmals das Verhältnis zwischen der Ausübung der Befugnisse des Gerichtshofes nach dem EG-Vertrag und der Annahme eines Rechtsakts nach den Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union, die seiner Prüfung sorgsam entzogen sind, in den Mittelpunkt rückt. Im vorliegenden Fall lässt sich das Problem nach meiner Auffassung aufgrund der vorhandenen Rechtsprechung und anhand der Artikel L und M des Vertrages über die Europäische Union lösen.

8 Artikel L Buchstabe c sieht nämlich vor, daß die "Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ... betreffend die Zuständigkeit des Gerichtshofs ... und die Ausübung dieser Zuständigkeit ... für ... die Artikel L bis S" des Vertrages über die Europäische Union gelten. Artikel M bestimmt, daß, abgesehen von den Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union, die die Gemeinschaftsverträge ausdrücklich ändern, der Vertrag über die Europäische Union "die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie die nachfolgenden Verträge und Akte zur Änderung oder Ergänzung der genannten Verträge ... unberührt" lässt. Die Befugnis zur richterlichen Kontrolle, über die der Gerichtshof nach den einschlägigen Bestimmungen in jedem einzelnen der Gemeinschaftsverträge verfügt, wird durch Artikel L in Verbindung mit Artikel M erweitert, um die Einhaltung der Bestimmungen dieser Verträge zu gewährleisten. Der Gerichtshof muß daher feststellen können, ob etwas im "vorliegenden Vertrag", nämlich dem Vertrag über die Europäische Union, einschließlich nach diesem Vertrag angenommener Rechtsakte, die Gemeinschaftsverträge "berührt". Nach meiner Auffassung wurde Artikel M tatsächlich gerade deshalb in den Vertrag über die Europäische Union aufgenommen, weil sichergestellt werden sollte, daß der Rat und die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Befugnisse nach Titel V und Titel VI dieses Vertrages nicht in die Befugnisse eingreifen, die nach den jeweiligen Gründungs- und Änderungsverträgen den Gemeinschaften zugewiesen sind.

9 Aus Artikel M geht meiner Meinung nach hervor, daß die Bestimmungen des Titels VI, so klar und eindeutig sie auch sein mögen, nicht so angewandt werden dürfen, daß sie den Anwendungsbereich der im Einklang mit den üblichen Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts ausgelegten Bestimmungen des EG-Vertrags in irgendeiner Weise einschränken. Insbesondere teile ich das Vorbringen Dänemarks, daß der Anwendungsbereich der einzelnen maßgebenden Bestimmungen "fließende Grenzen" habe, zumindest insoweit nicht, als dies bedeuten würde, daß es im Ermessen des Rates stuende, sogar dann auf Artikel K.3 zurückzugreifen, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 100c des Vertrages gegeben wären.

10 Als nächstes stellt sich die Frage, inwieweit der Gerichtshof bei der Befassung mit einer Nichtigkeitsklage wie der vorliegenden, insbesondere bei der Prüfung der Zulässigkeit, trotz der seiner Auslegungsbefugnis gesetzten Grenzen Inhalt und Tragweite des angefochtenen Rechtsakts prüfen darf. Die Kommission hat auf Artikel K.1 verwiesen, wonach die Union ihre Befugnisse aus dieser Bestimmung "unbeschadet der Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft" ausübt; der Rat hat den Gerichtshof ausdrücklich aufgefordert, wie er es in der Rechtssache Parlament/Rat(7) getan habe, eine "vergleichende Auslegung" der Bestimmungen der entsprechenden Verträge vorzunehmen, während das Vereinigte Königreich vorgetragen hat, daß "die Kontrolle [der VTA-Inhaber] eindeutig zu einem Zweck erfolgt, der vom Wortlaut des Artikels K.1 VEU gedeckt ist". Nach meiner Meinung kann der Gerichtshof keine dieser Fragen verbindlich entscheiden. Die Feststellung, daß der angefochtene Rechtsakt rechtswidrig ist, kann nur auf einen Verstoß gegen Artikel M gestützt werden (ausgelegt anhand der maßgebenden Bestimmung eines der Gemeinschaftsverträge oder eines einschlägigen Gemeinschaftsrechtsgrundsatzes). Die Anwendung einer vergleichenden Auslegung würde zu einer unmittelbaren sachlichen Befugnis zur Auslegung des Titels VI führen, über die der Gerichtshof nicht verfügt. Ebensowenig kann der Gerichtshof verbindlich das Ziel von Artikel K.1 des Vertrages über die Europäische Union bestimmen; in der Rechtssache Grau Gomis u. a., in der ein Vorabentscheidungsersuchen, das eindeutig darauf gerichtet war, eine Entscheidung über die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Artikel B des Vertrages über die Europäische Union zu erwirken, als unzulässig zurückgewiesen worden ist, hat der Gerichtshof entschieden, er sei gemäß Artikel L "offensichtlich nicht dafür zuständig, diesen Artikel im Rahmen eines solchen Verfahrens auszulegen"(8).

11 Diese Grenzen seiner Zuständigkeit nehmen dem Gerichtshof jedoch nicht die Befugnis, den Inhalt des angefochtenen Rechtsakts für die Zwecke der vorliegenden Klage zu prüfen. Der Fall gleicht bis zu einem gewissen Grad dem der Rechtssache Hurd/Jones, in der der Gerichtshof u. a. darüber zu entscheiden hatte, ob er bei der Auslegung des Artikels 3 der Akte über die Beitrittsbedingungen und die Anpassungen der Verträge vom 22. Januar 1972 (im folgenden: Beitrittsakte von 1972) nach Artikel 177 EWG-Vertrag und Artikel 150 EAG-Vertrag zuständig ist, die Satzung der Europäischen Schule, das Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen sowie einige Durchführungsbeschlüsse auszulegen. Artikel 3 der Beitrittsakte von 1972 sieht vor, daß sich die neuen Mitgliedstaaten "verpflichten ... allen sonstigen von den ursprünglichen Mitgliedstaaten für das Funktionieren der Gemeinschaften oder in Verbindung mit deren Tätigkeit geschlossenen Übereinkünften beizutreten". Der Gerichtshof hat ausgeführt, daß es sich bei den Vorschriften über die Europäischen Schulen weder um Vertragsbestimmungen noch um Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane handele, und hat entschieden, daß er keine Zuständigkeit für die Auslegung dieser Bestimmungen im Wege der Vorabentscheidung besitze. Gleichwohl könne er im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Auslegung des Artikels 3 "[d]ie dort genannten Rechtsakte ... zwar zur Bestimmung des Anwendungsbereichs dieses Artikels auslegen, nicht aber zur Feststellung der aus diesen Rechtsakten fließenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten"(9). Aus dem gleichen Grund bin ich der Auffassung, daß der Gerichtshof Rechtsakte, die, wie angegeben, nach Titel VI des Vertrages über die Europäische Union angenommen worden sind, auslegen darf, um festzustellen, ob sie Gegenstände betreffen, die eigentlich in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft, wie er durch Artikel M festgelegt ist, fallen. Dabei legt der Gerichtshof weder Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union, für die er nicht zuständig ist, aus, noch entscheidet er über die Gültigkeit von Rechtsakten, die nach diesen Vorschriften erlassen worden sind. Er prüft lediglich das Verhältnis solcher Rechtsakte zu den Gemeinschaftsverträgen, für die die Befugnisse des Gerichtshofes unbestreitbar sind.

12 Die Zuständigkeit des Gerichtshofes für die Entscheidung über die vorliegende Nichtigkeitsklage steht nach meiner Meinung ausser Zweifel und wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß der angefochtene Rechtsakt ausdrücklich gemäß Titel VI des Vertrages über die Europäische Union angenommen worden ist. Die Kommission beanstandet nämlich, daß der Rat bei dem Rechtsakt, obwohl er angeblich im Rahmen des Vertrages über die Europäische Union angenommen worden sei, in Wirklichkeit eine Gemeinschaftsbefugnis gemäß Artikel 100c EG-Vertrag ausgeuebt habe. Der Rechtsprechung lassen sich zwei allgemeine Vorschläge entnehmen. Erstens dürfen weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane in Angelegenheiten, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, ausserhalb des gemeinschaftlichen Rahmens tätig werden. Zweitens bedient sich der Gerichtshof bei der richterlichen Kontrolle eines solchen beanstandeten Tätigwerdens des von Generalanwalt Jacobs so genannten "funktionellen Ansatzes"(10) und prüft eher Inhalt und Wirkung als die Form.

13 Diese Reihe von Rechtssachen setzt mit der Rechtssache Kommission/Rat (AETR)(11) ein, in der es um ein Verfahren ging, bei dem der Rat Verhandlungen der Mitgliedstaaten - im Rahmen der UN-Wirtschaftskommission für Europa - über das Europäische Übereinkommen über die Arbeit der Fahrzeugbesatzungen im internationalen Strassenverkehr koordinierte. Nachdem der Gerichtshof die Gemeinschaftsbefugnisse in ihrem damaligen Entwicklungsstadium untersucht hatte, stellte er fest, daß "es [demnach] keine konkurrierende Zuständigkeit der Mitgliedstaaten geben [kann], da alles, was ausserhalb der Gemeinschaftsorgane geschieht, mit der Einheit des Gemeinsamen Marktes und der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts unvereinbar ist"(12). Er wies das Argument des Rates zurück, daß die politische Abstimmung "kein Recht begründet, keine Verpflichtung auferlegt und keine Rechtslage verändert habe", denn Artikel 173 gehe "davon aus, daß die Klage gegen alle Handlungen der Organe gegeben ist, die dazu bestimmt sind, eine Rechtswirkung zu erzeugen"(13). Die fragliche Handlung wurde für die Frage der Zulässigkeit der Klage als Handlung des Rates betrachtet.

14 Die gleiche Begründung gab der Gerichtshof bei der Erörterung der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage des Parlaments gegen den Rat in der Rechtssache Bangladesh I, in der es demgegenüber um mitgliedstaatliches Tätigwerden ging(14). Bei dem in dieser Rechtssache angefochtenen Rechtsakt handelte es sich um eine in einer Sitzung des Rates getroffene Entscheidung, Bangladesh, das im April 1991 von einem heftigen Wirbelsturm heimgesucht worden war, eine Sonderhilfe zu gewähren; die anschließend in einer Pressemitteilung des Rates veröffentlichte Entscheidung wurde als von den "im Rat vereinigten Mitgliedstaaten" beschlossen bezeichnet. Das Parlament machte geltend, bei der Entscheidung habe es sich rechtlich um eine Ratsentscheidung gehandelt. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, daß "Akte der Vertreter der Mitgliedstaaten, die nicht als Ratsmitglieder, sondern als Vertreter ihrer Regierungen handeln und auf diese Weise gemeinsam Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten ausüben, vom Gerichtshof nicht auf ihre Rechtmässigkeit überprüft werden können". Er führte weiter aus, daß "es insofern keine Rolle [spielt], ob ein derartiger Akt $Akt der im Rat vereinigten Mitgliedstaaten` oder $Akt der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten` genannt wird". Der Gerichtshof erinnerte jedoch an seine Entscheidung in der Rechtssache AETR, daß "die Nichtigkeitsklage ... gegen alle Handlungen der Organe, ohne Unterschied ihrer Rechtsnatur oder Form, zulässig [ist], die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen zu erzeugen", und stellte weiter fest: "Ein Akt ist folglich nicht allein deshalb der Kontrolle nach Artikel 173 EWG-Vertrag entzogen, weil er als $Entscheidung der Mitgliedstaaten` bezeichnet wird. Es ist vielmehr zu prüfen, ob der fragliche Akt nach seinem Inhalt und den gesamten Umständen, unter denen er erlassen wurde, in Wirklichkeit eine Entscheidung des Rates darstellt.

Die Prüfung der Zulässigkeit der Klage hängt also eng mit der Prüfung der gegen den streitigen Akt vorgebrachten Gründe zusammen."(15)

15 Eine ähnliche Haltung hat der Gerichtshof in der Rechtssache Europäischer Entwicklungsfonds eingenommen, in der der streitige Rechtsakt wie die im vorliegenden Fall angefochtene Gemeinsame Maßnahme zweifellos vom Rat erlassen worden war(16); wie hier vertrat der Rat die Auffassung, er sei nicht im Rahmen des Vertrages tätig geworden. Der Gerichtshof hat entschieden, daß eine Klage nach Artikel 173 "gegen eine Handlung eines Organs, die Rechtswirkungen erzeugen soll, unabhängig von der Frage zulässig [ist], ob die Handlung von dem Organ aufgrund von Bestimmungen des Vertrages vorgenommen worden ist"(17). Würde man Rechtsakte, die angeblich nach Titel VI angenommen worden sind, allein aufgrund ihrer Bezeichnung von der Überprüfung ausnehmen, würde dies meines Erachtens den Ausführungen des Gerichtshofes in diesen Rechtssachen zuwiderlaufen und Artikel M seine praktische Wirksamkeit nehmen.

16 Mit der Bestimmung, daß der Gerichtshof "die Rechtmässigkeit ... der Handlungen des Rates" überwacht, wollte Artikel 173 dem Gerichtshof die Zuständigkeit eindeutig nur für Handlungen verleihen, die im Anwendungsbereich des Vertrages vorgenommen worden sind. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit ist der Gerichtshof nach meiner Auffassung nicht nur befugt, sondern gemäß Artikel 164 des Vertrages sogar verpflichtet, zu entscheiden, ob ein angefochtener Rechtsakt des Rates in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt oder nicht.

17 Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die Gemeinsame Maßnahme eine verbindliche Übereinkunft darstellt, die Rechtswirkungen erzeugen soll. Ich halte die Bezugnahme des Rates auf Artikel J.3 Absatz 4 des Titels V zur Erläuterung dieses Vorschlags keineswegs für überzeugend, da diese Bestimmung offensichtlich auf eine "gemeinsame Aktion in den Bereichen der Aussen- und Sicherheitspolitik" beschränkt ist. Wäre der angefochtene Rechtsakt andererseits aufgrund von Artikel 100c Absatz 1 angenommen worden, wie es nach dem Vorbringen der Kommission hätte geschehen müssen, ließe sein Wortlaut keinen Zweifel an der Absicht, zwingende Verpflichtungen zu schaffen. Lassen Sie mich hinzufügen, daß der Gerichtshof unter solchen Umständen jedenfalls nicht mehr als eine summarische Prüfung der Natur des Rechtsakts vornehmen darf; er könnte beispielsweise nicht bei der Zulässigkeitsprüfung endgültig entscheiden, daß ein Rechtsakt verbindlich ist, falls bei der Begründetheitsprüfung festzustellen wäre, daß er nicht in den Anwendungsbereich der Gemeinschaftsverträge fällt.

18 Ich bin daher der Meinung, daß die Zuständigkeit des Gerichtshofes im vorliegenden Verfahren gegeben ist und daß die Zulässigkeit der Klage der Kommission nur im Rahmen der Begründetheit geprüft werden kann.

b) Begründetheit

19 Bevor der Rechtsstreit in der Sache geprüft wird, könnte der Versuch nützlich sein, die Gründe zu ermitteln, aus denen der Gemeinschaft die begrenzte Zuständigkeit verliehen wurde, über die sie nach Artikel 100c des Vertrages verfügt, obwohl Politikbereiche in bezug auf Drittlandsangehörige im allgemeinen nicht unter ihre Regelungsbefugnisse fallen(18). Am einfachsten ausgedrückt, ergibt sich das Problem aus dem unausweichlich engen Zusammenhang zwischen der Schaffung eines Binnenmarktes, der den freien Personenverkehr in einer Gemeinschaft "ohne Binnengrenzen" gestatten soll, und der Regelung der Einreise von Drittlandsangehörigen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und des Verkehrs in diesem Gebiet. Insbesondere ist die Durchführung von Visumkontrollen im Verkehr von Drittlandsangehörigen mit der vollständigen Beseitigung der Kontrollen an den Binnengrenzen praktisch unvereinbar. Auf der einen Seite würde die Beibehaltung der Kontrollen zum Zweck der Beschränkung von Einreise und Verkehr von Drittlandsangehörigen notwendig die Freizuegigkeit der Gemeinschaftsangehörigen beeinträchtigen(19). Auf der anderen Seite würde ihre Beseitigung es den Mitgliedstaaten unmöglich machen, den Visumzwang durchzusetzen. Bekanntermassen wiesen die entsprechenden Politiken der Mitgliedstaaten zur Zeit des Abschlusses des Vertrages über die Europäische Union grosse Unterschiede auf.

20 Der Vertrag über die Europäische Union wollte dieser Lage u. a. dadurch Rechnung tragen, daß er der Gemeinschaft die Rechtsetzungsbefugnis zur Festlegung einer gemeinsamen Liste von Drittländern verlieh, deren Angehörige sich beim Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums befinden müssen. Eine solche gemeinsame Liste sollte die Möglichkeit einschränken, den Visumzwang zu umgehen, und insoweit die Lockerung und mögliche Beseitigung der Kontrollen an den Binnengrenzen erleichtern. Angesichts der potentiellen Bedeutung einer solchen Maßnahme für den freien Personenverkehr im Binnenmarkt und der Erwünschtheit einer raschen Entscheidung kann der Rat gemäß Artikel 100c Absatz 3 nach dem 1. Januar 1996 mit qualifizierter Mehrheit tätig werden; dieser Abstimmungsmodus wird für den Erlaß der Verordnung zur Ersetzung der Verordnung Nr. 2317/95, die, wie erwähnt, für nichtig erklärt worden ist, gelten.

21 Die zentrale Frage, die in der vorliegenden Rechtssache zu prüfen ist, ist die der Bedeutung der Wendung "Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten" in Artikel 100c Absatz 1 des Vertrages. Davon hängt nämlich ab, ob das VTA unter Artikel 100c Absatz 1 fällt. Bezieht sich diese Wendung, wie der Rat vorträgt, lediglich auf das Passieren einer Grenzkontrollstelle und erlaubt das VTA ein solches Überschreiten nicht, so liegen die Voraussetzungen für einen Rückgriff auf Artikel 100c Absatz 1 nicht vor, und die Kommission muß scheitern. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, ist diese Bestimmung im Licht ihres Wortlauts, Aufbaus und Zweckes sowie unter Berücksichtigung des Systems und der Ziele des Vertrages auszulegen(20). Ich werde jedoch eine Reihe von Zitaten in bezug auf Visa prüfen, bevor ich mich wieder der Auslegung des Vertrages zuwende.

22 Weder der Wortlaut von Artikel 100c Absatz 1 selbst noch der Sprachgebrauch in anderen Rechtsakten erscheint mir schlüssig. Nach Ansicht der Kommission bedeutet "Überschreiten der Aussengrenzen" die physische Einreise in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, während der Rat es auf das Passieren einer Grenzkontrollstelle beschränken möchte. Nach meinem Eindruck ist die in den verschiedenen genannten Rechtsakten verwendete Terminologie nicht immer einheitlich. Speziell der Rat hat sich stark auf den Text der von den am Schengener Abkommen beteiligten Vertragsparteien angenommenen Gemeinsamen Konsularanweisung gestützt, in der insbesondere die Bedingungen für die Ausstellung eines einheitlichen Visums, das für das Gebiet aller Vertragsparteien gilt, festgelegt werden. Nr. 2.1 dieses Textes definiert den Begriff "einheitliches Visum" als im Reisepaß, auf dem Fahrschein oder einem sonstigen gültigen Dokument angebrachte Genehmigung oder Entscheidung, die dem Inhaber den Grenzuebertritt gestattet, schließt aber in den Anwendungsbereich dieses Begriffes das VTA ein, das gemäß Nr. 2.1.1 dem Inhaber nicht den Zugang zum nationalen Hoheitsgebiet des betreffenden Landes gestattet. Ich habe jedoch den Eindruck, daß der Rat in der vorliegenden Rechtssache eine Definition des VTA vertritt, die sich im Hinblick auf die verwendete Terminologie von derjenigen der Konsularanweisung unterscheidet, selbst wenn man davon ausgeht, daß dieses Dokument insoweit einen gewissen Auslegungswert besitzt, als das VTA, wie der Rat meint, seinem Inhaber den Zugang zum nationalen Hoheitsgebiet des betreffenden Landes gestatten würde, nicht aber eine Grenzueberschreitung.

23 In Artikel 5 der Verordnung über eine einheitliche Visagestaltung bezeichnete der Rat als "Visum" "eine ... Genehmigung ... die für die Einreise in sein Hoheitsgebiet erforderlich ist im Hinblick auf ... die Durchreise durch das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten oder die Transitzone eines Flughafens". Für die physische Einreise verwendete er somit den Ausdruck "Einreise in [das] Hoheitsgebiet".

24 Beim Überschreiten der Grenzen sind meines Erachtens zwei Gesichtspunkte zu unterscheiden. Erstens geht es um die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Landes im physischen Sinne, ohne notwendigerweise eine Grenzkontrollstelle zu passieren, zweitens um die Einreise in das Hoheitsgebiet im rechtlichen Sinne des Passierens einer Grenzkontrollstelle. Auf den ersten Blick bezieht sich ein Visumzwang vor allem auf das gesetzliche Recht der Inhaber auf Einreise, und nicht auf ihren geographischen Aufenthalt. Visumpolitik wird allgemein als Mittel zur Kontrolle des Überschreitens der rechtlichen und nicht der physischen Grenzen verstanden. Im Luftverkehr kann das Bestimmungsland nicht einmal imstande sein, Personen an der physischen Einreise in sein Hoheitsgebiet zu hindern(21); ein Visumzwang versetzt das Land dagegen in die Lage, die legale Einreise an der Grenzkontrollstelle zu verweigern.

25 In diesem Sinne ist "Visum" im Gemeinschaftsrecht bisher verstanden worden. Die Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft(22) bestimmt in Artikel 3 Absatz 2, daß von den durch Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie erfassten Arbeitnehmern für die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats "weder ein Sichtvermerk noch ein gleichwertiger Nachweis" verlangt werden darf. In der Rechtssache Pieck und erneut in der Rechtssache Kommission/Belgien hat der Gerichtshof diese Begriffe so ausgelegt, daß sie sich "auf alle Förmlichkeiten [beziehen], mit denen die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erlaubt werden soll und die zur Kontrolle von Reisepaß oder Personalausweis an der Grenze hinzukommen, unabhängig davon, wo, wann und in welcher Form diese Erlaubnis erteilt wird"(23). Der Zusammenhang in dieser Passage zwischen den Einreiseformalitäten und der dazugehörenden physischen Einreise in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bestärkt mich in meiner Ansicht, daß ein Visum für die Zwecke des Artikels 100c Absatz 1 für den Inhaber eine Erlaubnis darstellt, eine Grenzkontrolle und nicht nur die geographischen Grenzen eines Mitgliedstaats zu passieren.

26 In ähnlicher Weise bestimmt Artikel 5 der Verordnung Nr. 2317/95(24), daß "als $Visum` eine von einem Mitgliedstaat ausgestellte Genehmigung oder eine von einem Mitgliedstaat getroffene Entscheidung [gilt], die erforderlich ist für die Einreise in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats im Hinblick auf ... einen Aufenthalt ..., der insgesamt drei Monate nicht überschreitet ... [oder] die Durchreise durch das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten, mit Ausnahme des Transits durch die internationale Zone von Flughäfen und des Transfers zwischen Flughäfen ein und desselben Mitgliedstaats". Wiederum ist klar, daß das von dieser Verordnung erfasste Visum ein rechtsförmliches Dokument ist, das das Passieren einer Grenzkontrollstelle erlaubt.

27 Darüber hinaus war die zur Zeit der Ausarbeitung des Vertrages über die Europäische Union allgemein angenommene Bedeutung der Wendung "Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten" genau die, auf die sich der Rat jetzt beruft. Somit hat die Kommission mit der Vorlage ihres Vorschlags für einen Beschluß des Rates zum Abschluß eines Übereinkommens über das Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten(25) vorgeschlagen, als "Aussengrenzen" eines Mitgliedstaats sowohl seine Land- oder Seegrenzen als auch seine Flughäfen oder Seehäfen zu bezeichnen. Da Flughäfen Hunderte von Kilometern von den Gebietsgrenzen eines bestimmten Mitgliedstaats entfernt sein können, ergibt sich, daß im Hinblick auf die Formalitäten im Luftverkehr der Begriff des rechtlichen Überschreitens der Grenzen nicht dem geographischen Überschreiten von Gebietsgrenzen entspricht. Dies wird durch einige andere Bestimmungen desselben Vorschlags bestätigt, insbesondere durch Artikel 2 Absatz 1, der ausdrücklich davon spricht, daß die "Aussengrenzen ... überschritten" werden; er bestimmt: "Die Aussengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften werden an den zugelassenen Grenzuebergangsstellen überschritten, die ständig von den Mitgliedstaaten kontrolliert werden." Aus dem Entwurf dieser Bestimmung geht ebenso wie aus den Artikeln 3 und 4 desselben Vorschlags ausserdem hervor, daß entgegen der Ansicht, die die Kommission und das Parlament im vorliegenden Verfahren vertreten, der Begriff des rechtlichen Überschreitens von Aussengrenzen, bei dem es sich um die Form des Überschreitens handelt, auf die Artikel 100c Absatz 1 abstellt, allgemein so behandelt worden ist, daß er begrifflich mit dem Überschreiten einer Grenzkontrollstelle zusammenfällt.

28 Der Rat verweist zur Erläuterung der entsprechenden Praxis der Mitgliedstaaten auf die Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs. Section 11(1) des Immigration Act 1971 bestimmt, daß "eine mit ... dem Flugzeug im Vereinigten Königreich eintreffende Person für die Zwecke dieses Gesetzes als nicht in das Vereinigte Königreich eingereist gilt, bis sie von Bord geht, und wenn sie [auf einem Flughafen] von Bord geht, solange nicht als in das Vereinigte Königreich eingereist gilt, als sie sich in einem zu diesem Zweck von einem Immigration officer genehmigten Bereich (falls vorhanden) des [Flughafens] aufhält". Der Rat trägt weiter vor, daß eine Person, der die Einreise an einem Grenzkontrollposten verweigert wird, dadurch nicht so betrachtet wird, als halte sie sich unrechtmässig im Gebiet des fraglichen Staates auf.

29 Das Parlament erklärt, der Ansatz des Rates beruhe auf einer Fiktion, während die Kommission davon ausgeht, daß die Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs in Wirklichkeit ihre These stützten, daß dann, wenn diese ausdrückliche Ausnahme fehle, eine von Bord eines Flugzeugs gehende Person als im Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs befindlich angesehen werde. Selbstverständlich hat das Recht eines einzelnen Mitgliedstaats für die Auslegung einer Vertragsbestimmung nur sehr beschränkten Wert. Die Bedeutung der Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs liegt allein darin, ein Beispiel dafür zu liefern, wie die Einreise in das nationale Hoheitsgebiet als Rechtsbegriff behandelt werden kann, der sich von dem physischen Vorgang des Überschreitens einer Grenze, insbesondere im Luftverkehr, unterscheidet. Handelt es sich dabei um eine Fiktion, dann doch um eine rechtliche, d. h., der Begriff des Überschreitens einer Grenze ist nach rechtlichen und nicht notwendig geographischen oder physischen Kriterien auszulegen.

30 Was den allgemeinen Aufbau des Vertrages angeht, so ist Artikel 100c in Titel V ("Gemeinsame Regeln betreffend Wettbewerb, Steuerfragen und Angleichung der Rechtsvorschriften") Kapitel 3 ("Angleichung der Rechtsvorschriften") enthalten. Anders als die unmittelbar vorausgehenden Artikel 100a und 100b wird er in Artikel 7a nicht ausdrücklich als eine der Bestimmungen genannt, nach denen bis zum 31. Dezember 1992 der Binnenmarkt schrittweise verwirklicht werden soll, vermutlich deshalb nicht, weil Artikel R.2 des Vertrages über die Europäische Union das Inkrafttreten dieses Vertrages erst nach diesem Zeitpunkt vorsah. In ihrem Memorandum zur Erläuterung des Vorschlags für eine Verordnung zur Bestimmung der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein müssen(26), hat die Kommission die Auffassung vertreten, daß Artikel 100c absichtlich zwischen die Vertragsbestimmungen über den Binnenmarkt eingefügt worden sei, und sie hat geltend gemacht, daß daraus geschlossen werden müsse, daß er dazu bestimmt sei, zur Verwirklichung des freien Personenverkehrs im Binnenmarkt in der in Artikel 7a genannten Weise beizutragen. Diese Auffassung hat sie in ihren mündlichen Ausführungen in diesem Verfahren wiederholt.

31 Wie ich kurz darlegen werde, teile ich die Auffassung, daß Artikel 100c zur Verwirklichung des Binnenmarktes beitragen soll, jedoch glaube ich nicht, daß dieser Umstand den von der Kommission in dieser Rechtssache vertretenen Standpunkt stützt. Wenn Artikel 100c unter Berücksichtigung von Artikel 7a des Vertrages auszulegen ist, wie die Kommission vorträgt, sollten auf der Grundlage von Artikel 100c erlassene Maßnahmen in irgendeiner Weise darauf gerichtet sein, zur Verwirklichung des freien Personenverkehrs innerhalb des Binnenmarktes beizutragen. Die Kommission hat nicht dargetan, wie der Erlaß einer Maßnahme durch die Gemeinschaft zur Regelung der notwendig kurzen Durchreise von Angehörigen einer kleinen Zahl von Drittländern durch die Transitzone eines mitgliedstaatlichen Flughafens dazu beitragen würde. In der Sitzung hat die Kommission ausgeführt, daß sich die Reisenden, unabhängig vom Überschreiten der Grenzkontrollstelle, buchstäblich im Binnenmarkt befänden, weil die Transitzone von Flughäfen Teil des Binnenmarktes sei; das Überleben der Duty-free Shops sei nämlich von einer Regelung durch die Gemeinschaft abhängig gewesen. Dies scheint mir eine sehr schwache Grundlage für die Auffassung zu sein, daß der Transit von VTA-Inhabern zwischen Flügen zum freien Personenverkehr im Sinne von Artikel 7a gehöre. Die vorübergehende Anwesenheit solcher Inhaber steht nur in äusserst geringem Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit in dem Mitgliedstaat. Solange nicht nachgewiesen ist, daß VTA-Inhaber Aussengrenzen in dem Sinne überschreiten, daß sie rechtmässig eine Grenzkontrollstelle passieren, um im Binnenmarkt zu verkehren, vermag ich nicht zu erkennen, wie eine Maßnahme zur Einführung einer gemeinsamen VTA-Regelung zur Erreichung dieses Zieles beitragen kann.

32 Meiner Meinung nach kann Artikel 100c Absatz 1 nicht ohne Berücksichtigung von Artikel 3 Buchstabe d des Vertrages ausgelegt werden, der "Maßnahmen hinsichtlich der Einreise in den Binnenmarkt und des Personenverkehrs im Binnenmarkt gemäß Artikel 100c" in die Tätigkeit der Gemeinschaft einschließt. Die Kommission versucht, den Wert dieser Bestimmung für die Auslegung dadurch zu schmälern, daß sie ihr reinen "Programmcharakter" zuschreibt, während Artikel 100c als "präzise und detailliert" beschrieben wird. Dies lässt ausser acht, daß Buchstabe d als einzige der Bestimmungen, die in Artikel 3 die Tätigkeit der Gemeinschaft auflisten, auf eine spezielle Rechtsgrundlage verweist. Da die Wahrnehmung der gesamten aufgeführten Tätigkeit darüber hinaus von der einleitenden Klausel "nach Maßgabe dieses Vertrags" abhängt, dient die Bezugnahme auf Artikel 100c anscheinend dazu, den Rückgriff auf irgendeine andere Rechtsgrundlage, insbesondere auf Artikel 235, auszuschließen, um das Ziel in bezug auf die Einreise in den Binnenmarkt und den Verkehr im Binnenmarkt von Drittlandsangehörigen zu erreichen. Bei der Wendung "Einreise und Personenverkehr" in Artikel 3 Buchstabe d handelt es sich um einen einheitlichen Ausdruck, dessen beide Wörter im Zusammenhang und nicht isoliert zu verstehen sind. Die in dieser Bestimmung und demnach in Artikel 100c vorgesehenen Maßnahmen beziehen sich auch auf die Verwirklichung des Binnenmarktes.

33 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann Artikel 3 für die Auslegung des Anwendungsbereichs speziellerer Bestimmungen herangezogen werden, nach denen die Gemeinschaft ihre darin aufgelistete Tätigkeit wahrnimmt. So hat der Gerichtshof in der Rechtssache Levin, um ein Beispiel aus dem Bereich des freien Personenverkehrs zu nehmen, bei der Entscheidung über den Anwendungsbereich der in Artikel 48 des Vertrages und in den entsprechenden einschlägigen Rechtsvorschriften verwendeten Begriffe "Arbeitnehmer" und "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis" die Ziele des Vertrages, wie sie in den Artikeln 2 und 3 niedergelegt sind, berücksichtigt(27). Ich teile auch die Ansicht des früheren Präsidenten des Gerichtshofes, Mertens de Wilmars, der - ausserhalb seiner Rechtsprechungstätigkeit - geschrieben hat, daß "die sinnfälligste Aufgabe von Artikel 3 darin besteht - ebenso wie die anderen einleitenden Artikel, jedoch mit eigener Bedeutung - ein Instrument für die Auslegung der übrigen Vertragsbestimmungen zu sein"(28).

34 Die Einfügung eines neuen Buchstabens d in Artikel 3 des Vertrages zeigt meiner Meinung nach, daß die Befugnisse der Gemeinschaft, "einen Binnenmarkt" zu verwirklichen, worauf Artikel 3 Buchstabe c verweist, "Maßnahmen hinsichtlich der Einreise in den Binnenmarkt und des Personenverkehrs im Binnenmarkt", die nach dem Wortlaut von Artikel 100c nur für Drittlandsangehörige gelten, nicht umfassen; würde man annehmen, daß derartige Maßnahmen in den Anwendungsbereich des Buchstabens c fallen, wäre die Einfügung des Buchstabens d überfluessig. Die beiden Materien werden gesondert behandelt: Für die Beseitigung der Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, die sich bereits im Binnenmarkt aufhalten, gelten Artikel 3 Buchstabe c und die in Artikel 7a genannten Artikel, während das spezielle Problem der Einreise und des Personenverkehrs von Drittlandsangehörigen gemäß Artikel 3 Buchstabe d und Artikel 100c zu behandeln ist. Ich komme daher zu dem Ergebnis, daß die Wendung "Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten" in Artikel 100c, ausgelegt anhand von Artikel 3 Buchstabe d, so zu verstehen ist, daß sie sich auf die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch Passieren einer Grenzkontrollstelle und nicht auf die rein physische Einreise zum Zweck der Weiterreise bezieht.

35 Es bleibt zu prüfen, ob die durch die angefochtene Gemeinsame Maßnahme eingeführte VTA-Regelung in den Anwendungsbereich von Artikel 100c Absatz 1 fällt, wie ich ihn ausgelegt habe, um feststellen zu können, ob diese ausserhalb des Vertrages erlassene Maßnahme für nichtig zu erklären ist.

36 Das Europäische Parlament hat auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Wahl der Rechtsgrundlage für Rechtsetzungsmaßnahmen verwiesen, wonach für diese Wahl insbesondere der sachliche Inhalt und die Ziele der fraglichen Maßnahme maßgebend sind. Das ist wohl der richtige Ansatz, um festzustellen, ob der angefochtene Rechtsakt in die Zuständigkeit der Gemeinschaft nach Artikel 100c Absatz 1 des Vertrages fällt. Sowohl Kommission als auch das Parlament haben darzulegen gesucht, daß die VTA-Regelung die gleichen Ziele habe wie die Regelung für gewöhnliche Visa und andere Transitvisa. In der Sitzung hat die Kommission eine Reihe von Zielen aufgezählt, deren Erreichung die Visumpolitik der Mitgliedstaaten anstreben könnte, wie z. B. Verhinderung der Einreise von Fremden in ihr Hoheitsgebiet, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit darstellen, eine regelwidrige Beschäftigung aufnehmen oder offensichtlich unbegründete Asylanträge stellen könnten. Der Rat hat angegeben, das Ziel der Gemeinsamen Maßnahme bestehe darin, der Gefahr vorzubeugen, daß Angehörige bestimmter Drittländer ihre Anwesenheit in der Transitzone des Flughafens eines Mitgliedstaats dazu nutzten, mißbräuchliche Asylanträge zu stellen, oder sogar unter Umgehung der Einwanderungskontrolle an einem Grenzposten illegal in das Hoheitsgebiet einreisten.

37 Während man sich einen Fall vorstellen kann, in dem die angegebenen Ziele einer Maßnahme tatsächlich nicht denen entsprechen, die sich aus einer Prüfung ihres sachlichen Inhalts ergeben, deuten die Begründungserwägungen in der Präambel im allgemeinen hinreichend zuverlässig auf die mit einer Maßnahme angestrebten Ziele, falls kein anderslautender Hinweis vorliegt. Im vorliegenden Fall geht aus der ersten Begründungserwägung hervor, daß die Gemeinsame Maßnahme zumindest teilweise die Festlegung "der Voraussetzungen für die Einreise und den Verkehr von Staatsangehörigen dritter Länder im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten" und die Bekämpfung "der illegalen Einwanderung von Staatsangehörigen dritter Länder" anstrebt(29). In der zweiten Begründungserwägung heisst es insoweit: "Der Luftweg wird häufig zur Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten benutzt, namentlich im Hinblick auf einen illegalen Aufenthalt, was insbesondere in Einreiseanträgen oder faktischen Einreisen beim Transit auf Flughäfen zum Ausdruck kommt." In der vierten Begründungserwägung heisst es: "Eine Harmonisierung der Politiken der Mitgliedstaaten in diesem Bereich entspricht den Zielen der Sicherheit und der Kontrolle der illegalen Einwanderung."(30)

38 Meines Erachtens ist nicht dargetan worden, daß sich die Ziele der Gemeinsamen Maßnahme zur Einführung eines VTA-Zwangs, wie sie sich aus deren Präambel ergeben, wesentlich von denen unterscheiden, die als Begründung für die Einführung des Erfordernisses des Besitzes der anderen Visumarten dienen, die unbestreitbar in den Anwendungsbereich von Artikel 100c fallen. Diese Ziele werden ihrerseits durch Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Gemeinsamen Maßnahme bestätigt, wonach sich die Konsularstellen der Mitgliedstaaten, die VTA ausstellen, "zu vergewissern [haben], daß unter den Gesichtspunkten der Sicherheit oder der illegalen Einwanderung kein Risiko besteht". Ich bin daher der Meinung, daß die genannten Ziele des VTA nicht belegen, daß dieses unter Artikel 100c fällt.

39 Die Hauptbeteiligten des vorliegenden Verfahrens liefern jedoch gegensätzliche Auslegungen der einschlägigen Bestimmungen der Gemeinsamen Maßnahme. Die Kommission trägt vor, diese Maßnahme sei darauf beschränkt, eine Liste von Drittländern aufzustellen, deren Staatsangehörige ein VTA, das lediglich eine spezielle Visumart darstelle, vorweisen müssten, bevor sie die Aussengrenze eines Mitgliedstaats überschritten. Der Rat macht geltend, daß der Anwendungsbereich der Gemeinsamen Maßnahme über die blosse Aufstellung der Liste betroffener Drittländer hinausgehe.

40 Die Hauptverpflichtung der Mitgliedstaaten ist in Artikel 3 enthalten, nämlich die, von den Staatsangehörigen der Drittländer, die im Anhang der Gemeinsamen Maßnahme aufgeführt sind, für die physische Einreise in ihr Hoheitsgebiet den Besitz eines VTA zu verlangen. Die in Artikel 4 enthaltene Liste von Ausnahmeoptionen erhellt lediglich den persönlichen Anwendungsbereich von Artikel 3. Diese Bestimmungen sind jedoch unter Berücksichtigung der Artikel 1 und 2 auszulegen, die weitere wesentliche Verpflichtungen festlegen. So lässt, wie erwähnt, Artikel 2 Absatz 2 den Mitgliedstaaten zwar die Freiheit, die Bedingungen für die Ausstellung der VTA festzulegen, verlangt jedoch, daß sie zumindest sicherstellen, daß der Antragsteller in bezug auf Sicherheit oder illegale Einwanderung kein Risiko darstellt und daß er aufgrund der vorgelegten Unterlagen berechtigt ist, in sein endgültiges Bestimmungsland einzureisen. Darüber hinaus verpflichtet und ermächtigt diese Bestimmung den Rat, die Kriterien für die Bearbeitung von Visaanträgen und die Ausstellung der Visa festzulegen. Obwohl einiges für die Ansicht der Kommission spricht, daß zahlreiche Bestimmungen der Gemeinsamen Maßnahme entweder deklaratorischer Natur oder gegenüber den Hauptverpflichtungen lediglich nachrangig seien, glaube ich nicht, daß dies für die Frage maßgebend ist, ob die Gemeinsame Maßnahme in den Anwendungsbereich des Artikels 100c Absatz 1 fällt.

41 Bedeutsamer ist, daß Artikel 1 der Gemeinsamen Maßnahme das "Visum für den Transit auf Flughäfen" einheitlich definiert als "die Genehmigung, über die die Staatsangehörigen einiger Drittländer ... verfügen müssen, um die Transitzone der Flughäfen der Mitgliedstaaten zu passieren" (Hervorhebung von mir). Das so definierte Instrument erlaubt dem Inhaber nicht, im rechtlichen Sinne des Passierens einer Grenzkontrollstelle in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats einzureisen oder sich dort frei zu bewegen. Deshalb meine ich, daß es sich beim VTA nicht um ein Visum für die Zwecke des Artikels 100c Absatz 1 des Vertrages handelt.

42 Kommission und Rat streiten darüber, ob der Inhaber eines VTA zwischen den im Hoheitsgebiet desselben Mitgliedstaats gelegenen internationalen Flughäfen verkehren darf. Während die Kommission dies für zulässig hält, trägt der Rat, in diesem Punkt mit Unterstützung Frankreichs, vor, daß der Inhaber eines VTA in dem Ausnahmefall, daß er zwischen Flughäfen verkehren müsse, verpflichtet sei, entweder ein gewöhnliches Transitvisum oder eine andere Genehmigung der Einreise in das nationale Hoheitsgebiet vorzulegen, oder zwischen den Flughäfen von Bediensteten des Grenzkontrolldienstes begleitet werden müsse.

43 Nichts in der Gemeinsamen Maßnahme, insbesondere in Artikel 1, spricht dafür, daß der Inhaber eines VTA zwischen den Flughäfen eines Mitgliedstaats verkehren darf. Der ausdrückliche Ausschluß des Transits zwischen Flughäfen in der Definition des "Visums" in Artikel 5 der Verordnung Nr. 2317/95, die über fünf Monate vor der Gemeinsamen Maßnahme erlassen wurde, scheint ein Hinweis darauf zu sein, daß der Verkehr zwischen Flughäfen absichtlich von der VTA-Regelung ausgeschlossen worden ist. Demnach werden Reisende aus Drittländern in dieser Situation weder von der Verordnung noch von der Gemeinsamen Maßnahme erfasst. Dieser Punkt scheint mir allerdings nicht ausschlaggebend zu sein. Obwohl sich der Reisende, der zwischen den Flughäfen in einem einzelnen Mitgliedstaat verkehrt, länger im Hoheitsgebiet aufhalten wird als einer, der in der Transitzone eines Flughafens verweilt, genießt er noch nicht die Vorteile des freien Personenverkehrs im Binnenmarkt oder gar im gastgebenden Mitgliedstaat. Selbst wenn nachgewiesen würde, daß das VTA diese Gruppe von Flugreisenden erfasst, würde das nicht ausreichen, das VTA in den Anwendungsbereich von Artikel 100c einzubeziehen.

44 Insbesondere in der Sitzung ist vorgetragen worden, daß der Standpunkt des Rates in der vorliegenden Rechtssache nicht im Einklang mit den Definitionen des "Visums" in der Verordnung über eine einheitliche Visagestaltung und in der Verordnung Nr. 2317/95 stehe. Wie erwähnt, schließt Artikel 5 der früheren Verordnung das Passieren der Transitzone von Flughäfen in seinen Anwendungsbereich ein, obwohl der Rat nunmehr behauptet, dies falle nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 100c Absatz 1. Der Rat trägt vor, diese unterschiedliche Definition sei durch den Unterschied im Wortlaut von Artikel 100c Absatz 1, der ausdrücklich nur für Visa gelte, die beim "Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten" verlangt würden, und im Wortlaut von Artikel 100c Absatz 3, der Rechtsgrundlage der Verordnung über eine einheitliche Visagestaltung, gerechtfertigt, der ohne weitere Einzelheiten auf Visa Bezug nimmt. Demgegenüber wäre der ausdrückliche Ausschluß des Lufttransits vom Anwendungsbereich der Visumdefinition in Artikel 5 der Verordnung Nr. 2317/95 nach Ansicht des Rates in dieser Rechtssache genau genommen überfluessig.

45 Meines Erachtens kann die Auslegung von Artikel 100c Absatz 1, wie sie sich aus dessen Wortlaut, Aufbau und Zweck ergibt, nicht durch irgendwelche möglichen Widersprüche entkräftet werden, die sich aus seiner Anwendung in früheren Rechtsakten ergeben mögen, die darüber hinaus nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind.

46 Daher bin ich der Auffassung, daß der Rat recht hat, wenn er meint, daß ein VTA dem Inhaber nicht das "Überschreiten der Aussengrenzen der Mitgliedstaaten" erlaubt, und daß der Gegenstand der angefochtenen Gemeinsamen Maßnahme folglich nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 100c Absatz 1 fällt. Somit ist die Klage der Kommission unzulässig, da der Gerichtshof nach Artikel 173 des Vertrages nicht zuständig ist, die Rechtmässigkeit eines Rechtsakts des Rates zu prüfen, der nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft fällt.

IV - Ergebnis

47 Demnach schlage ich dem Gerichtshof vor,

1. die Klage als unzulässig abzuweisen;

2. der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;

3. dem Europäischen Parlament, dem Königreich Dänemark, der Französischen Republik und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

(1) - ABl. 1994, C 11, S. 6 und 15.

(2) - ABl. L 234, S. 1; der Gerichtshof erklärte diese Verordnung in der Rechtssache C-392/95 (Parlament/Rat, Slg. 1997, I-3213) für nichtig, weil es der Rat unterlassen hatte, vor der Annahme eines Textes, der gegenüber demjenigen, zu dem das Parlament Stellung genommen hatte, wesentlich geändert worden war, ordnungsgemäß das Parlament ein zweites Mal anzuhören.

(3) - ABl. L 63, S. 8.

(4) - In dieser und in anderen Sprachfassungen wird deutlich, was mit "criteria to the preliminaries for and ißüs of visas" gemeint ist.

(5) - ABl. L 164, S. 1.

(6) - Äthiopien, Afghanistan, Eritrea, Ghana, Irak, Iran, Nigeria, Somalia, Sri Lanka, Zaire.

(7) - Rechtssache C-392/95 (angeführt in Fußnote 2, Nr. 12 meiner Schlussanträge).

(8) - Beschluß in der Rechtssache C-167/94 (Slg. 1995, I-1023, Randnr. 6). Vgl. jedoch Gutachten 2/94, in dem der Gerichtshof u. a. Artikel F Absatz 2, Artikel J.1 Absatz 2 fünfter Gedankenstrich und Artikel K.2 Absatz 1 des Vertrages über die Europäische Union als Beleg dafür anführt, welche Bedeutung der Wahrung der Menschenrechte in der Gemeinschaft zukommt (Slg. 1996, I-1759, Nr. 32 der Schlussanträge).

(9) - Rechtssache 44/84 (Hurd, Slg. 1986, 29, Randnrn. 21 und 22).

(10) - Verbundene Rechtssachen C-181/91 und C-248/91 (Parlament/Rat und Kommission, Slg. 1993, I-3685, Nr. 21 der Schlussanträge).

(11) - Rechtssache 22/70 (Slg. 1971, 263).

(12) - A. a. O., Randnr. 31.

(13) - A. a. O., Randnr. 39.

(14) - Verbundene Rechtssachen C-181/91 und C-248/91 (angeführt in Fußnote 10); im Urteil Bangladesh I wird auf die Klage des Parlaments gegen den Rat verwiesen.

(15) - A. a. O., Randnrn. 12 bis 15.

(16) - Rechtssache C-316/91 (Parlament/Rat, Slg. 1994, I-625).

(17) - A. a. O., Randnr. 9.

(18) - In Rechtssachen der "Wanderungspolitik" hat der Gerichtshof anerkannt, daß diese zu den sozialen Fragen im Sinne von Artikel 118 des Vertrages gehören könne, wenn auch nur insoweit, als sie "die Lage der Arbeitnehmer aus Drittländern im Zusammenhang mit deren Einfluß auf den Arbeitsmarkt in der Gemeinschaft und auf die Arbeitsbedingungen betrifft" (verbundene Rechtssachen 281/85, 283/85 bis 285/85 und 287/85, Deutschland u. a./Kommission, Slg. 1987, 3203, Randnr. 23).

(19) - Die Vereinbarkeit dieser Kontrollen an den Binnengrenzen mit Artikel 7a des Vertrages und die Befugnis der Gemeinschaft, deren vollständige Beseitigung zu verlangen, sind umstritten (vgl u. a. Beschluß vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-445/93, Parlament/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht); jedoch sind diese Fragen im vorliegenden Verfahren nicht unmittelbar von Bedeutung.

(20) - Siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache C-392/95 (zitiert in Fußnote 2, Nr. 36).

(21) - Der Rat hat in der Sitzung erläutert, daß der VTA-Zwang jedenfalls eher durch Geldbussen gegenüber der Fluggesellschaft, die für die physische Einreise ohne VTA verantwortlich ist, als gegenüber der betreffenden Person durchgesetzt wird.

(22) - ABl. L 257, S. 13.

(23) - Rechtssache 157/79 (Slg. 1980, 2171, Randnr. 10) und Rechtssache 321/87 (Slg. 1989, 997, Randnr. 9).

(24) - Auch wenn diese Verordnung - worauf in der Sitzung hingewiesen wurde - für nichtig erklärt worden ist, so kann ihr Wortlaut doch zur Auslegung von Artikel 100c Absatz 1 herangezogen werden.

(25) - Angeführt in Fußnote 1.

(26) - KOM(93) 684 endg., S. 40.

(27) - Rechtssache 53/81 (Slg. 1982, 1035, Randnr. 15).

(28) - Kommentar zu Artikel 3 in Constantinesco u. a., Traité instituant la CEE, Commentaire article par article, Economica, Paris, 1992, S. 41.

(29) - Aus den in Nr. 10 genannten Gründen kommt es darauf, daß diese beiden Ausdrücke in Artikel K.1 auftauchen, bei der vorliegenden Klage nicht an.

(30) - Die vierte Begründungserwägung erwähnt ausserdem, daß eine solche Harmonisierung "zur Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen für die Luftfahrtgesellschaften und Flughäfen der Mitgliedstaaten bei[trägt]". Eine solche Auswirkung wäre bestenfalls untergeordneter Natur, und keiner der Verfahrensbeteiligten hat zu behaupten gewagt, daß der Regelungsgegenstand dadurch in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags fiele.

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