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Dokument 61993CJ0448

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 11. August 1995.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Muireann Noonan.
Rechtsmittel - Beamte - Zulässigkeit einer Klage gegen eine wegen angeblicher Rechtswidrigkeit angefochtene Entscheidung eines Prüfungsausschusses, die aufgrund der in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens festgelegten Bedingungen ergangen ist.
Rechtssache C-448/93 P.

Sammlung der Rechtsprechung 1995 I-02321

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:1995:264

61993J0448

URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 11. AUGUST 1995. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN MUIREANN NOONAN. - RECHTSMITTEL - BEAMTE - ZULAESSIGKEIT EINER KLAGE GEGEN EINE WEGEN ANGEBLICHER RECHTSWIDRIGKEIT ANGEFOCHTENE ENTSCHEIDUNG EINES PRUEFUNGSAUSSCHUSSES, DIE AUFGRUND DER IN DER AUSSCHREIBUNG DES AUSWAHLVERFAHRENS FESTGELEGTEN BEDINGUNGEN ERGANGEN IST. - RECHTSSACHE C-448/93 P.

Sammlung der Rechtsprechung 1995 Seite I-02321


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Beamte ° Klage ° Klage gegen eine beschwerende Maßnahme, die im Laufe eines Einstellungsverfahrens erlassen worden ist ° Rüge, mit der die Rechtswidrigkeit einer früheren, im Laufe desselben Verfahrens erlassenen beschwerenden Maßnahme geltend gemacht wird ° Zulässigkeit ° Voraussetzungen ° Möglichkeit, sich auf die Rechtswidrigkeit der Ausschreibung des Auswahlverfahrens zu berufen, um eine Nichtzulassung zu beanstanden

(Beamtenstatut, Artikel 91)

Leitsätze


Ein Kläger, der eine Klage gegen eine ihn beschwerende Maßnahme erhebt, die in einem bestimmten Stadium eines Einstellungsverfahrens erlassen wurde, kann die Rechtswidrigkeit von Handlungen, die in einem früheren Stadium dieses Verfahrens erlassen wurden, geltend machen, sofern sie mit der angefochtenen Handlung eng verbunden sind. Würde diese Möglichkeit versagt, obwohl es sich bei dem Einstellungsverfahren um einen komplexen Verwaltungsvorgang handelt, der aus einer Folge eng miteinander verbundener Entscheidungen besteht, müsste der Betroffene so viele Klagen erheben, wie das Verfahren Handlungen umfasst, die ihn beschweren können. Die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit von in einem früheren Verfahrensstadium erlassenen Handlungen geltend zu machen, kann, soweit der Kläger die Rechtswidrigkeit der Ausschreibung des Auswahlverfahrens geltend macht, nicht aufgrund von Unterscheidungen je nach Grad der Klarheit und Eindeutigkeit dieser Ausschreibung zugelassen oder versagt werden. Den die komplexe Natur des Einstellungsverfahrens betreffenden Erwägungen, die die Einräumung dieser Möglichkeit gebieten, kommt nämlich die gleiche Bedeutung zu, auch wenn die streitige Bedingung in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens klar und eindeutig ist.

Entscheidungsgründe


1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Rechtsmittelschrift, die am 19. November 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung und den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 16. September 1993 in der Rechtssache T-60/92 (Muireann Noonan/Kommission, Slg. 1993, II-911) eingelegt, soweit das Gericht die Klage der Rechtsmittelgegnerin auf Aufhebung der ihr am 9. Juni 1992 mitgeteilten Entscheidung, mit der ihre Bewerbung für das allgemeine Auswahlverfahren KOM/C/741 der Kommission zur Bildung einer Einstellungsreserve für Büroassistenten (C 5/C 4) englischer Sprache (ABl. 1991, C 333 A, S. 11) abgelehnt wurde, für zulässig erklärt hat.

2 Nach dem angefochtenen Urteil liegt dem Rechtsstreit folgender Sachverhalt zugrunde:

"1 Die Klägerin, Hilfskraft des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, bewarb sich für das allgemeine Auswahlverfahren KOM/C/741 der Kommission zur Bildung einer Einstellungsreserve für Büroassistenten (C 5/C 4) englischer Sprache (ABl. 1991, C 333 A, S. 11, Anlage A der Klageschrift).

2 Mit Schreiben vom 9. Juni 1992 (Anlage C der Klageschrift) wurde der Klägerin mitgeteilt, daß der Prüfungsausschuß ihre Bewerbung aufgrund Ziffer II (Zulassungsbedingungen) Abschnitt B (Besondere Bedingungen) Nr. 2 (erforderliche Befähigungsnachweise oder Diplome) der Stellenausschreibung mit der Begründung abgelehnt habe, daß sie ein Hochschulstudium abgeschlossen und einen Honours Degree in französischer und italienischer Literatur des University College in Dublin erlangt habe.

3 Die vorgenannten Bestimmungen der Ausschreibung lauten:

' Nicht zum Auswahlverfahren zugelassen werden:

i) Bewerber mit einem Befähigungsnachweis oder Diplom, die zur Teilnahme an Auswahlverfahren für A- oder LA-Stellen berechtigen (s. Aufstellung im Anhang zum Leitfaden);

ii) Bewerber im letzten Jahr der unter i) genannten Ausbildung.

Gegebenenfalls wird der Bewerber vom Auswahlverfahren ausgeschlossen und/oder es werden auf ihn später die im Statut vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen angewendet.'

Was die in Irland erlangten Diplome betrifft, so ist nach der vorgenannten Aufstellung im Anhang zum 'Leitfaden für Bewerber bei einem interinstitutionellen Auswahlverfahren oder bei einem allgemeinen Auswahlverfahren der Kommission' (im folgenden: Leitfaden), der ebenfalls im ABl. 1991, C 333 A ° vor der betreffenden Stellenausschreibung ° veröffentlicht wurde, für die Zulassung zu Auswahlverfahren für A- oder LA-Stellen ein University Degree erforderlich."

3 Die Rechtsmittelgegnerin hat aufgrund dessen mit Klageschrift, die am 21. August 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Klage erhoben auf Aufhebung der ihr mit dem erwähnten Schreiben vom 9. Juni 1992 mitgeteilten Entscheidung des Prüfungsausschusses, sie nicht zu dem Auswahlverfahren zuzulassen.

4 Die Kommission hat am 23. September 1992 eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Zur Begründung macht sie geltend, ein Beamter könne eine Klage gegen eine Entscheidung eines Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren nicht auf die angebliche Rechtswidrigkeit der Ausschreibung des Auswahlverfahrens stützen, wenn er die seiner Ansicht nach ihn beschwerenden Bestimmungen dieser Ausschreibung nicht rechtzeitig angefochten habe.

5 Das Gericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Einrede zurückgewiesen und die Klage der Rechtsmittelgegnerin insgesamt für zulässig erklärt.

6 Das Gericht hat ausgeführt (Randnr. 21), die Rechtsmittelgegnerin hätte zwar innerhalb der vorgeschriebenen Frist unmittelbar gegen die Ausschreibung des Auswahlverfahrens klagen können, doch könne sie gleichwohl mit ihrer Klage gegen die individuelle Entscheidung, sie nicht zum Auswahlverfahren zuzulassen, nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil sie die Ausschreibung des Auswahlverfahrens nicht rechtzeitig angefochten habe.

7 Nach Auffassung des Gerichts (Randnr. 23) kann nämlich einem Bewerber für ein Auswahlverfahren nicht das Recht abgesprochen werden, die ihm gegenüber aufgrund der Bedingungen der Stellenausschreibung getroffene individuelle Entscheidung in allen Punkten, einschließlich der in dieser Ausschreibung festgelegten, als rechtswidrig anzufechten, da erst diese Durchführungsentscheidung seine rechtliche Lage im einzelnen festlege und ihm Gewißheit verschaffe, wie und in welchem Masse seine persönlichen Interessen beeinträchtigt seien. Dieser Grundsatz gelte ebenso, wenn wie im vorliegenden Fall angesichts der konkreten Umstände die Zulassungsbedingungen der Ausschreibung dem Prüfungsausschuß kein Ermessen ließen und ihre Durchführung keine Auslegungsschwierigkeiten verursache.

8 Für das Gericht folgt dieses Ergebnis aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Randnrn. 24, 25 und 26), nach der Klagegründe, mit denen die Rechtswidrigkeit einer nicht rechtzeitig angefochtenen Ausschreibung eines Auswahlverfahrens geltend gemacht werde, zulässig seien, wenn diese Klagegründe die Begründung der angefochtenen Durchführungsentscheidung beträfen. Das Gericht hat sich dazu insbesondere auf die Urteile des Gerichtshofes vom 11. März 1986 in der Rechtssache 294/84 (Adams u. a./Kommission, Slg. 1986, 977), vom 8. März 1988 in den Rechtssachen 64/86, 71/86, 72/86, 73/86 und 78/86 (Sergio u. a./Kommission, Slg. 1988, 1399) und vom 6. Juli 1988 in der Rechtssache 164/87 (Simonella/Kommission, Slg. 1988, 3807) sowie auf das Urteil des Gerichts vom 9. Oktober 1992 in der Rechtssache T-50/91 (De Persio/Kommission, Slg. 1992, II-2365) berufen.

9 Das Gericht hat ferner darauf hingewiesen (Randnr. 27), daß diese Rechtsprechung im Einklang mit dem Ergebnis stehe, zu dem der Gerichtshof in dem vor dem Urteil Adams u. a./Kommission, a. a. O., ergangenen Urteil vom 7. April 1965 in der Rechtssache 35/64 (Alfieri/Parlament, Slg. 1965, 356, 363) gelangt sei. In dem Urteil Alfieri/Parlament habe der Gerichtshof festgestellt: "Angesichts des Zusammenhangs zwischen den einzelnen Akten des Einstellungsverfahrens ist jedoch davon auszugehen, daß anläßlich einer gegen spätere Akte eines solchen Verfahrens gerichteten Klage die Rechtswidrigkeit der mit diesen Akten eng verbundenen früheren Akte geltend gemacht werden kann." Aus dem Urteil Adams/Kommission in Verbindung mit den angeführten späteren Urteilen des Gerichtshofes ergebe sich, daß der betreffende Klagegrund nur dann, wenn er in keinem engen Zusammenhang mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung stehe, nach den zwingenden Rechtsvorschriften über die Klagefristen, von denen in einem solchen Fall nicht ohne Beeinträchtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit abgewichen werden könne, für unzulässig zu erklären sei.

10 Nach Meinung des Gerichts (Randnr. 28) widerspräche es schließlich der Rechtssicherheit und dem Rechtsschutz der betroffenen Bewerber, wenn die Zulässigkeit solcher Klagegründe von einer in den Anforderungen der Ausschreibung oder in deren Durchführung begründeten Mehrdeutigkeit oder Unsicherheit abhinge.

11 Im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels führt die Kommission drei Rechtsmittelgründe an.

12 Erstens ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes seit dem Urteil Adams u. a./Kommission (a. a. O.), daß es Bewerbern, die die Ausschreibung eines Auswahlverfahrens nicht fristgerecht angefochten hätten, nicht verwehrt sei, Rechtsverstösse zu rügen, zu denen es im Laufe des Auswahlverfahrens gekommen sei, selbst wenn diese Rechtsverstösse auf den Wortlaut der Ausschreibung des Auswahlverfahrens zurückgeführt werden könnten (Urteil Sergio u. a./Kommission, a. a. O.). Diese Rechtsprechung könne jedoch nicht auf eine Situation ausgedehnt werden, in der die Bedingung in der beanstandeten Stellenausschreibung für die Zulassung zum Auswahlverfahren ° im vorliegenden Fall die Bestimmung, daß Bewerber mit einem Befähigungsnachweis oder Diplom, die zur Teilnahme an Auswahlverfahren für A- oder LA-Stellen berechtigten, vom Auswahlverfahren ausgeschlossen seien ° klar und eindeutig sei, da der Prüfungsausschuß bei ihrer Anwendung über kein Ermessen verfüge.

13 Zweitens würden, wenn die Bewerber die Möglichkeit hätten, die Rechtswidrigkeit klarer und eindeutiger Bedingungen der Ausschreibung des Auswahlverfahrens bis zur Durchführung der letzten Abschnitte dieses Verfahrens geltend zu machen, die Grundsätze der Rechtssicherheit und der ordnungsgemässen Verwaltung verletzt, auf die sich der Gerichtshof im Urteil Adams u. a./Kommission (a. a. O.) für seine Feststellung gestützt habe, daß die Kläger die Bestimmungen der Ausschreibung, die sie nach ihrer Meinung beschwerten, rechtzeitig hätten anfechten müssen.

14 Drittens würde die Vorschrift in Artikel 91 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut), nach der Klagen innerhalb einer Frist von drei Monaten erhoben werden müssten, ausgehöhlt, wenn die Rechtsprechung des Gerichtshofes die Tragweite hätte, die ihr das Gericht zuschreibe.

15 Diese drei Rechtsmittelgründe beziehen sich sämtlich auf eine Verletzung von Artikel 91 des Statuts durch das angefochtene Urteil, die in Wirklichkeit den einzigen Rechtsmittelgrund darstellt.

16 Dieser Rechtsmittelgrund greift nicht durch.

17 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann der Kläger im Rahmen eines Einstellungsverfahrens mit einer gegen spätere Handlungen gerichteten Klage die Rechtswidrigkeit der mit diesen Handlungen eng verbundenen früheren Handlungen geltend machen (vgl. insbesondere Urteile vom 31. März 1965 in den Rechtssachen 12/64 und 29/64, Ley/Kommission, Slg. 1965, 148, und Sergio u. a., a. a. O., Randnr. 15). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes brauchen die Betroffenen in einem solchen Verfahren nämlich nicht so viele Klagen zu erheben, wie das Verfahren Handlungen umfasst, die sie beschweren können (vgl. insbesondere Urteil Ley/Kommission, a. a. O.).

18 Das auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und der ordnungsgemässen Verwaltung gestützte Vorbringen der Kommission, diese Rechtsprechung sei in Fällen der vorliegenden Art unanwendbar, ist nicht stichhaltig.

19 Die angeführte Rechtsprechung geht nämlich von der besonderen Natur des Einstellungsverfahrens als eines komplexen Verwaltungsvorganges aus, der aus einer Folge eng miteinander verbundener Entscheidungen besteht. Dieser Grundlage kommt die gleiche Bedeutung zu, wenn, wie im vorliegenden Fall, die streitige Bedingung in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens klar und eindeutig ist. Es besteht daher kein Anlaß zu einer Unterscheidung je nach Grad der Klarheit und Eindeutigkeit der Ausschreibung des Auswahlverfahrens.

20 Nach alledem ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Kostenentscheidung


Kosten

21 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2) Die Kommission trägt die Kosten.

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