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Dokument 61990CC0195

    Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 13. März 1992.
    Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland.
    Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Verkehr - Straßenbenutzungsgebühren für schwere Lastfahrzeuge.
    Rechtssache C-195/90.

    Sammlung der Rechtsprechung 1992 I-03141

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:1992:123

    61990C0195

    Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 13. März 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG EINES MITGLIEDSTAATS - VERKEHR - STRASSENBENUTZUNGSGEBUEHREN FUER SCHWERE LASTFAHRZEUGE. - RECHTSSACHE C-195/90.

    Sammlung der Rechtsprechung 1992 Seite I-03141
    Schwedische Sonderausgabe Seite I-00073
    Finnische Sonderausgabe Seite I-00117


    Schlußanträge des Generalanwalts


    ++++

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    1. In diesem Verfahren beantragt die Kommission festzustellen, daß das Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstrassen mit schweren Lastfahrzeugen vom 30. April 1990 (Strassenbenutzungsgebührengesetz; nachstehend: StrBG) den Artikeln 76, 95 und 5 EWG-Vertrag zuwiderläuft. Frankreich, Luxemburg, Belgien, die Niederlande und Dänemark sind dem Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung der Klage der Kommission beigetreten.

    2. Mit dem StrBG wird eine neue Abgabe (nachstehend: Strassenbenutzungsgebühr) auf die Benutzung bestimmter deutscher Strassen mit schweren Lastfahrzeugen eingeführt. Ausserdem wird damit ein früheres Gesetz, das Kraftfahrzeugsteuergesetz vom 1. Februar 1979, geändert, wonach alle Kraftfahrzeuge der Kraftfahrzeugsteuer unterliegen.

    3. Am 21. März 1989 übermittelte die deutsche Regierung der Kommission gemäß Artikel 1 der Entscheidung des Rates vom 21. März 1962 über die Einführung eines Verfahrens zur vorherigen Prüfung und Beratung künftiger Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Verkehrs (ABl. 1962, Nr. 23, S. 720) in der durch die Entscheidung 73/402/EWG des Rates vom 22. November 1973 (ABl. L 347, S. 48) geänderten Fassung einen Entwurf des StrBG. Die Kommission vertrat in ihrer an die deutsche Regierung gerichteten Stellungnahme, die sie am 15. Juni 1989 gemäß Artikel 2 dieser Entscheidung abgab, die Auffassung, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen den Artikeln 76, 95 und 5 EWG-Vertrag zuwiderliefen. Dennoch wurden sie vom Bundestag angenommen und als Gesetz beschlossen. Darauf eröffnete die Kommission mit Aufforderungsschreiben vom 11. April 1990 das Verfahren des Artikels 169 EWG-Vertrag. Nachdem sich die deutsche Regierung geäussert hatte, erließ die Kommission am 1. Juni 1990 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie zu dem Ergebnis kam, daß Deutschland durch Beschluß des StrBG entgegen den Artikeln 76, 95, 5 und 8a EWG-Vertrag seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht nachgekommen sei. Deutschland wurde aufgefordert, den Verstoß bis zum 22. Juni 1990 abzustellen. Nach Eingang der Antwort der deutschen Regierung auf die mit Gründen versehene Stellungnahme stellte die Kommission fest, daß keine Maßnahmen getroffen worden seien, um den behaupteten Verstoß abzustellen. Folglich hat die Kommission mit Klageschrift, die am 23. Januar 1990 beim Gerichtshof eingegangen ist und in der sie einen Verstoß gegen die Artikel 76, 95 und 5 EWG-Vertrag geltend macht, den Gerichtshof angerufen.

    4. Am selben Tag hat die Kommission den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach Artikel 186 EWG-Vertrag beantragt. Der Gerichtshof hat nach mündlicher Verhandlung am 12. Juli 1990 Deutschland aufgegeben, die Erhebung der Strassenbenutzungsgebühr nach dem StrBG für die in den anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeuge bis zum Erlaß des Urteils zur Hauptsache auszusetzen.

    Das Strassenbenutzungsgebührengesetz

    5. Bevor auf die von der Kommission behaupteten Vertragsverstösse eingegangen wird, ist das StrBG näher zu betrachten. Der Streit geht um Artikel 1 StrBG, der die neue Strassenbenutzungsgebühr einführt, und um Artikel 2, der das Kraftfahrzeugsteuergesetz ändert.

    6. Nach Artikel 1 § 1 Absatz 1 wird die Strassenbenutzungsgebühr für die Benutzung von zwei Arten von Strassen mit schweren Lastfahrzeugen erhoben, nämlich für die Benutzung von a) Bundesautobahnen und von b) Bundesstrassen ausserhalb geschlossener Ortschaften; sie wird nicht erhoben für das Überqueren dieser Strassen auf dem kürzesten Weg. Die von der Gebühr betroffenen Fahrzeuge sind in § 1 Absatz 2 definiert; insbesondere muß ihr zulässiges oder tatsächliches Gesamtgewicht 18 Tonnen übersteigen, wobei das Gesamtgewicht aus dem Gewicht des Fahrzeugs und dem des Kraftstoffs und der Zuladung besteht. Nach § 2 sind bestimmte Fahrzeuggruppen von der Steuer befreit. Nach § 5 kann die Gebühr für Zeiträume bis zu höchstens einem Jahr entrichtet werden. Nach § 6 kann die Gebühr für ein bestimmtes Fahrzeug oder - für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten - für einen bestimmten Fahrzeughalter entrichtet werden.

    7. Die jährlichen Gebührensätze sind in Artikel 1 § 7 Absatz 1 aufgeführt und reichen je nach dem zulässigen Gesamtgewicht des Fahrzeugs von 1 000 DM bis zu höchstens 9 000 DM. Die zuständige Behörde kann zulassen, daß die Gebühr für ein Jahr in halbjährlichen oder vierteljährlichen Raten entrichtet wird, wodurch sie sich um 3 % bzw. 6 % erhöht. Höhere Gebührensätze sind auch in den Absätzen 2, 3 und 4 für die Monats-, Wochen- und Tagesgebühr vorgesehen; sie betragen 1/10, 1/35 und 1/150 der Gebühr für ein Jahr.

    8. Artikel 1 § 11 regelt die Kontrolle der Zahlung der Gebühr. Nach § 11 Absatz 4 dürfen Kontrollen an den Grenzen zu Mitgliedstaaten nur stichprobenweise aus Anlaß anderer Kontrollen durchgeführt werden. Schließlich regelt § 16 die Verteilung des Gebührenaufkommens, von dem die Länder einen Anteil erhalten, der ihren Kraftfahrzeugsteuerausfällen entspricht, die sich aus der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer gemäß Artikel 2 des Gesetzes ergeben (siehe unten). Das verbleibende Aufkommen ist zweckgebunden für Unterhaltungsmaßnahmen an den von der neuen Gebühr betroffenen Strassen einzusetzen.

    9. Mit Artikel 2 wird das Kraftfahrzeugsteuergesetz vom 1. Februar 1979 u. a. dahin geändert, daß die alten Steuersätze durch neue ersetzt werden, und zwar für die Zeit vom 1. Juli 1990 bis zum 31. Dezember 1993 (die gleiche Geltungsdauer wie die der Strassenbenutzungsgebühr gemäß Artikel 5). Nach der Änderung beträgt der höchste Steuersatz für ein Jahr bezogen auf ein Fahrzeug 3 500 DM gegenüber 11 000 DM vor der Änderung. Der Hoechstsatz der zusätzlichen Steuer für einen Kraftfahrzeuganhänger wird von nahezu 6 000 DM auf 300 DM gesenkt.

    10. Es ist darauf hinzuweisen, daß für Fahrzeuge, die in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind, nach bilateralen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Kraftfahrzeugen, die jeweils zwischen Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten abgeschlossen wurden, keine Kraftfahrzeugsteuer zu bezahlen ist. Die fraglichen Abkommen, die ich als bilaterale Abkommen bezeichnen werde, waren in einigen Fällen vor Abschluß des EWG-Vertrages (im Fall von Luxemburg und den Niederlanden am 1. Juli 1930) geschlossen worden, in anderen Fällen danach (im Fall von Belgien am 17. Dezember 1964 und von Frankreich am 3. November 1969). Der Abschluß bzw. die Fortführung dieser bilateralen Abkommen erfolgte in Übereinstimmung mit einem Ziel, das in der Entscheidung 65/271/EWG des Rates vom 13. Mai 1965 über die Harmonisierung bestimmter Vorschriften, die den Wettbewerb im Eisenbahn-, Strassen- und Binnenschiffsverkehr beeinflussen (ABl. 1965, Nr. 88, S. 1500) gesetzt wird, insbesondere mit Artikel 1 Buchstabe a dieser Entscheidung.

    11. Nach der dem Bundestag vorgelegten Begründung des Gesetzentwurfs (Drucksache 11/6336) werden mit dem StrBG zwei Ziele verfolgt: Erstens sollten durch eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer für schwere Lastfahrzeuge auf ein Niveau, das dem europäischen Durchschnitt nahe komme, die Wettbewerbsbedingungen zwischen deutschen und ausländischen Verkehrsunternehmern angeglichen werden, und zweitens solle durch die Einführung einer neuen Strassenbenutzungsgebühr gewährleistet werden, daß der Beitrag deutscher Schwerlastfahrzeuge zu den Verkehrswegekosten nicht gesenkt werde und der zuvor unzureichende Beitrag gebietsfremder Fahrzeuge erhöht werde. Aus dieser Begründung ergibt sich, daß zwischen der Einführung der Strassenbenutzungsgebühr und der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer ein enger Zusammenhang besteht. Dieser Zusammenhang ist auch in Artikel 1 § 16 StrBG sichtbar, wonach, wie wir gesehen haben, ein Teil des Aufkommens der Strassenbenutzungsgebühr anteilig nach der Höhe des den Ländern infolge der Kraftfahrzeugsteuersenkung entstandenen Verlustes an Kraftfahrzeugsteuereinnahmen verteilt wird.

    12. Ich komme jetzt zu den drei von der Kommission behaupteten Verstössen, nämlich dem Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen über den Verkehr (Artikel 76), dem Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen über steuerliche Vorschriften (Artikel 95) und schließlich dem Verstoß gegen die Verpflichtung zur Zusammenarbeit (Artikel 5).

    Artikel 76

    13. Nach Artikel 75 Absatz 1 EWG-Vertrag ist der Rat zur Aufstellung gemeinsamer Regeln für den Verkehr verpflichtet. Artikel 76 lautet:

    "Bis zum Erlaß der in Artikel 75 Absatz 1 genannten Vorschriften darf ein Mitgliedstaat die verschiedenen, bei Inkrafttreten dieses Vertrages auf diesem Gebiet geltenden Vorschriften in ihren unmittelbaren oder mittelbaren Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmern nicht ungünstiger gestalten, es sei denn, daß der Rat einstimmig etwas anderes billigt."

    Es ist unstreitig, daß zur Zeit der Annahme des Gesetzes keine für die vorliegende Rechtssache einschlägigen Vorschriften nach Artikel 75 Absatz 1 erlassen worden waren.

    14. Artikel 76 kann zwar als "Stillhalteklausel" bezeichnet werden; es steht jedoch fest, daß er den Mitgliedstaaten in dem Bereich, in dem gemeinsame Regeln für den Verkehr gelten sollen, nicht den Erlaß von Rechtsvorschriften überhaupt verbietet. Neue Vorschriften im Bereich des Verkehrs sind nur dann verboten, wenn sie die Lage der Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmen unmittelbar oder mittelbar ungünstiger gestalten. Diese Bedingung kann jedoch auf zweierlei Weise verstanden werden. Nach der einen Auslegung sind nur Änderungen nationaler Vorschriften verboten, deren Anwendung eine Schlechterstellung von Verkehrsunternehmern anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu inländischen Verkehrsunternehmen zur Folge hätte. Nach dieser Auffassung dürften Vorschriften, mit denen eine etwaige ursprüngliche Besserstellung von Verkehrsunternehmen anderer Mitgliedstaaten beseitigt wird, erlassen werden: siehe Erdmenger in von der Gröben u. a.: Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Auflage, Baden-Baden 1991, S. 1235, und Frohnmeyer in Grabitz (Herausgeber): Kommentar zum EWG-Vertrag, München 1983, 1990, zu Art. 76, S. 24).

    15. Bei einer strikteren Auslegung der in Artikel 76 enthaltenen Bedingung wären solche Vorschriften dagegen verboten. Nach einer solchen Auslegung ist die Einführung einer neuen Vorschrift, die die relative Stellung der Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten verschlechtert, auch dann verboten, wenn diese ursprünglich gegenüber den inländischen Verkehrsunternehmen besser gestellt waren. Danach wäre eine Vorschrift, die die Beseitigung eines zugunsten der ersten Gruppe bestehenden Vorteils bezweckt, verboten: siehe Dousset in Mégret (Herausgeber): Le Droit de la CEE, Band 3, Brüssel 1971, S. 266, und, offensichtlich ebenso, Smit und Herzog: The Law of the EEC, New York 1976, 1991, S. 2-801. Zwar dürften nach dieser Auslegung Maßnahmen, die beide Gruppen gleich betreffen, und insbesondere Maßnahmen, die beide Gruppen nachteilig betreffen, erlassen werden, doch wären Maßnahmen, die Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten härter treffen, auch dann nicht erlaubt, wenn letztere bei Inkrafttreten des Vertrages einen relativen Vorteil hatten.

    16. Meiner Ansicht nach ist das Verbot des Artikels 76 bei natürlicher Betrachtungsweise eher im strikteren Sinne auszulegen. Wäre mit Artikel 76 nur die Regelung gewollt gewesen, daß die Vorschriften auf dem Gebiet des Verkehrs Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten nicht benachteiligen dürften, so hätte dies darin deutlicher zum Ausdruck kommen müssen: vergleiche z. B. die Stillhalteklausel des Artikels 37 Absätze 1 und 2. Doch ist festzustellen, daß der Vertrag auf dem Gebiet des Verkehrs kein allgemeines Diskriminierungsverbot aufstellt. Nach Artikel 61 Absatz 1 EWG-Vertrag gelten die allgemeinen Vertragsvorschriften über die Dienstleistungsfreiheit nicht auf dem Gebiet des Verkehrs (vergleiche Urteil vom 22. Mai 1985 in der Rechtssache 13/83, Parlament/Rat, Slg. 1985, 1513, Randnr. 62), wenn auch die Beseitigung von Diskriminierung in besonderen Fällen vorgesehen ist (siehe Artikel 79 Absatz 1). So darf z. B. ein Mitgliedstaat ausländische Verkehrsunternehmen für die Erbringung von Beförderungsdienstleistungen in seinem Gebiet ("Kabotage") grundsätzlich weiterhin Sonderbedingungen unterwerfen, bis der Rat Maßnahmen gemäß Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe b erlassen hat: siehe Urteil vom 7. November 1991 in der Rechtssache C-17/90 (Pinaud Wieger, Slg. 1991, I-5253). Somit lässt sich Artikel 76 nicht der Grundsatz entnehmen, daß die bestehenden Vorschriften eines Mitgliedstaats Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten nicht benachteiligen dürfen. Nach meiner Ansicht ist der Zweck des Artikels 76 daher darin zu sehen, daß die relative Stellung der Verkehrsunternehmen eines Mitgliedstaats und der aus anderen Mitgliedstaaten, wie sie bei Inkrafttreten des Vertrages bestand, beibehalten wird: Zweck ist also die Beibehaltung des Status quo mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen. Ausserdem ist es unwahrscheinlich, daß die Verfasser des Vertrages einem Mitgliedstaat gestatten wollten, bestehende Vorteile der Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten abzuschaffen, ohne ihn zur Beseitigung jeder Diskriminierung zugunsten seiner eigenen Verkehrsunternehmen zu verpflichten.

    17. Die striktere Auslegung entspricht auch dem Ansatz, den der Gerichtshof allgemein im Zusammenhang mit den Übergangsvorschriften des Vertrages gewählt hat. Jedoch könnte es sich für die Entscheidung des vorliegenden Falles als unnötig erweisen, über die Auslegung von Artikel 76 abschließend zu entscheiden. Denn selbst wenn es nach Artikel 76 zulässig wäre, einen relativen Vorteil, der Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten zugute kommt, abzuschaffen, hielte ich es nicht für zulässig, einen neuen Nachteil einzuführen, um Ungleichheiten in den Wettbewerbsbedingungen auszugleichen.

    18. Es trifft zu, daß sich solche Ungleichheiten insbesondere aus unterschiedlichen Sätzen der Kraftfahrzeugsteuer, die Verkehrsunternehmen in ihren Heimatstaaten zu zahlen haben, in Verbindung mit einem Netzwerk bilateraler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ergeben können. Wie die deutsche Regierung ausführt, hindert der Vertrag einen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht, seine Kraftfahrzeugsteuersätze zu senken, um die Wettbewerbssitutation seiner Verkehrsunternehmen zu verbessern. Eine solche Maßnahme hätte zwar eine mittelbare Auswirkung auf Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten, da ihre Wettbewerbssituation zwangsläufig beeinträchtigt würde; nach meiner Auffassung lägen solche Auswirkungen jedoch zu fern, um unter Artikel 76 zu fallen, da sie eher auf den Unterschieden zwischen den jeweiligen nationalen Rechtssystemen als auf den Vorschriften eines dieser Systeme beruhten. Aus dem gleichen Grund darf es jedoch einem Mitgliedstaat nicht gestattet sein, die von Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten getragene Steuerlast relativ stärker zu erhöhen, um einen angeblichen Wettbewerbsvorteil zu verringern. Durch eine solche Maßnahme würden diese Verkehrsunternehmen nämlich in seinen Rechtsvorschriften schlechter gestellt, um einen Vorteil zu beseitigen, der sich nicht aus diesen Rechtsvorschriften selbst, sondern vielmehr aus Unterschieden zwischen zwei nationalen Steuersystemen ergibt.

    19. Selbst wenn ein Mitgliedstaat nach Artikel 76 berechtigt wäre, eine Anomalie in seinen Rechtsvorschriften zu beseitigen, durch die Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten besser gestellt würden, wäre er also nicht berechtigt, eine niedrigere Abgabenbelastung in anderen Mitgliedstaaten durch eine Erhöhung seiner bei diesen Verkehrsunternehmen erhobenen Abgaben auszugleichen. Nach keiner möglichen Auslegung wäre Deutschland deshalb berechtigt, die Abgabenbelastung von Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten in Deutschland zu erhöhen, um einen behaupteten Wettbewerbsvorteil zu beseitigen. Wie die deutsche Regierung jedoch in ihrer Klagebeantwortung deutlich macht, dient das StrBG tatsächlich dem Ziel, die Wettbewerbsvorteile der Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten, die sich aus einer geringeren heimischen Abgabenbelastung ergeben, zu verringern.

    20. Ich möchte hinzufügen, daß ein solcher angestrebter Ausgleich der Wettbewerbsbedingungen genau die Art von Ziel ist, das am wirksamsten auf Gemeinschaftsebene verfolgt werden kann und dessen Verfolgung durch einen Mitgliedstaat im Alleingang eine Stillhalteklausel wie die des Artikels 76 sicherlich verhindern will. Einseitiges Vorgehen dieser Art kann insbesondere Gegenmaßnahmen anderer Mitgliedstaaten zur Wiederherstellung der vorher bestehenden Situation herausfordern, was eine gemeinschaftsweite Einigung auf Harmonisierungsmaßnahmen noch weiter erschweren würde. Da es für die gegenteilige Schlußfolgerung an einem eindeutigen Wortlaut fehlt, bin ich der Auffassung, daß Artikel 76 auf jeden Fall so auszulegen ist, daß er einen solchen Ausgleichsversuch verbietet.

    21. Folglich kommt es für die Entscheidung, ob die beanstandeten Maßnahmen mit Artikel 76 vereinbar sind, nicht darauf an, daß einige Verkehrsunternehmen in ihrem Heimatstaat mit einer niedrigeren Kraftfahrzeugsteuer belastet sind. Es stellt sich allein die Frage, ob das StrBG Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten schlechter als entsprechende deutsche Verkehrsunternehmen behandelt.

    22. Die Antwort auf diese Frage scheint auf der Hand zu liegen. Für deutsche Verkehrsunternehmen wird die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr durch eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer ausgeglichen. Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten erhalten diesen Ausgleich nicht, da keines von ihnen deutsche Kraftfahrzeugsteuer zahlt. Ausserdem würden Verkehrsunternehmen aus zwei Mitgliedstaaten, und zwar aus Dänemark und aus dem Vereinigten Königreich, nach den von der deutschen Regierung in ihrer Klagebeantwortung genannten Zahlen durch das StrBG gegenüber deutschen Verkehrsunternehmen sogar dann schlechter gestellt, wenn die Unterschiede in der Kraftfahrzeugsteuer berücksichtigt würden. Im Fall des Vereinigten Königreiches würden sich die Abgaben für einen 38-Tonnen-LKW auf 7 856 ECU belaufen gegenüber 5 143 ECU bei einem deutschen Verkehrsunternehmen; im Fall von Dänemark wurde der Betrag von 5 343 ECU genannt. Selbst wenn also bewiesen würde, daß die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr für sich genommen alle Verkehrsunternehmen gleich trifft, würde ihre Einführung in Verbindung mit der Kraftfahrzeugsteuersenkung als Ausgleich eine Artikel 76 EWG-Vertrag zuwiderlaufende Schlechterstellung der Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber deutschen Verkehrsunternehmen bewirken.

    23. Es ist jedoch auf eine Reihe von Argumenten der deutschen Regierung einzugehen, die, wären sie stichhaltig, zu einem anderen Ergebnis führen müssten.

    24. Erstens führt die deutsche Regierung aus, daß eine Maßnahme, mit der gleichzeitig die Kraftfahrzeugsteuer gesenkt und eine Strassenbenutzungsgebühr eingeführt werde, mit dem Vertrag vereinbar sein müsse, da beide Maßnahmen für sich genommen mit dem Vertrag vereinbar wären. Diesem Argument kann jedoch nicht gefolgt werden. Es mag zwar zutreffen, daß es Artikel 76 Deutschland gestattet, seine Kraftfahrzeugsteuersätze zu senken, soweit andere Abgaben auf Kraftfahrzeuge nicht erhöht werden, da, wie wir gesehen haben, eine solche Senkung für sich genommen nicht als Maßnahme betrachtet werden kann, die sich im Sinne dieser Vorschrift auf andere Verkehrsunternehmen "auswirkt". Dementsprechend kann ich auch nicht dem Argument der Kommission auf den Seiten 18 und 19 der Klageschrift folgen, eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer würde auch für sich allein betrachtet Artikel 76 zuwiderlaufen; jedenfalls scheint die Kommission dieses Argument in der Sitzung fallengelassen zu haben.

    25. Richtig ist ebenfalls, daß Artikel 76 die Einführung einer Strassenbenutzungsgebühr, die deutsche und nichtdeutsche Verkehrsunternehmen gleichermassen trifft, nicht von vornherein verbietet, da deren Lage nach den deutschen Rechtsvorschriften im Verhältnis zueinander unverändert bliebe. Die Verbindung zweier Maßnahmen kann jedoch auch dann gegen den Vertrag verstossen, wenn jede für sich betrachtet rechtmässig ist, da sich die gemeinsame Wirkung beider Maßnahmen von der Wirkung jeder einzelnen Maßnahme unterscheiden kann. Die französische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung ein Beispiel für einen solchen Fall genannt. In der Rechtssache 47/69 (Urteil vom 25. Juni 1970, Frankreich/Kommission, Slg. 1970, 487) ging es um eine staatliche Beihilfe für die französische Textilindustrie, die mit einer steuerähnlichen Abgabe auf inländische und eingeführte Waren finanziert wurde. Der Gerichtshof entschied, daß die Kommission die Beihilfe bei einer Würdigung in Verbindung mit ihrer Finanzierungsweise auch dann als dem Vertrag zuwiderlaufend ansehen konnte, daß die Abgabe selbst für mit Artikel 95 und die Beihilfe, unabhängig von ihrer Finanzierungsweise betrachtet, für mit Artikel 92 vereinbar gehalten werden konnte (siehe Randnrn. 13 bis 16 des Urteils).

    26. Ausserdem führt die deutsche Regierung aus, daß sich die Situation für Verkehrsunternehmen aus einigen Mitgliedstaaten gegenüber dem Stand vor Abschluß des Vertrags eher verbessert als verschlechtert habe, da einige der bilateralen Abkommen nach Inkrafttreten des Vertrags geschlossen worden seien. Wie wir jedoch gesehen haben, sind die bilateralen Abkommen mit einigen anderen Mitgliedstaaten dem Vertrag vorausgegangen. Somit kam einigen Verkehrsunternehmen die Befreiung von der deutschen Kraftfahrzeugsteuer bereits zugute, als der Vertrag in Kraft trat. Es ist offensichtlich, daß Artikel 76 nicht so auszulegen ist, daß er eine Diskriminierung zwischen diesen beiden Gruppen von Verkehrsunternehmen zulässt, und das StrBG nimmt eine solche Unterscheidung auch nicht vor.

    27. Ebenfalls zurückzuweisen ist das Argument der deutschen Regierung, "Ursache" für die sich aus dem StrBG ergebende Schlechterstellung seien die bilateralen Abkommen und nicht das StrBG selbst. Zwar sind die Abkommen der Hintergrund, vor dem die Wirkungen des StrBG zu bewerten sind; es ist jedoch offensichtlich, daß nicht ihnen die Verschlechterung der Lage der nichtdeutschen Verkehrsunternehmen zuzuschreiben ist. Sie stellen allenfalls einen willkommenen Mechanismus dar, der es ermöglichte, für deutsche Verkehrsunternehmen die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr durch eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer auszugleichen, die anderen Verkehrsunternehmen nicht zugute kommt.

    28. Weiter führt die deutsche Regierung aus, daß es der Kommission besser anstuende, ihre Befugnisse nach Artikel 101 oder 102 EWG-Vertrag auszuüben, wonach die Kommission Maßnahmen zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen vorschlagen könne, die durch Unterschiede in den nationalen Rechtsvorschriften hervorgerufen würden, als eine Klage wegen Verstosses gegen Artikel 76 zu erheben. Gegen das StrBG wird jedoch nicht, zumindest nicht in erster Linie, eingewandt, daß es den Wettbewerb verfälsche, sondern vielmehr, daß es einen Versuch darstelle, behauptete Verzerrungen durch einseitiges Vorgehen zu beseitigen. Darüber hinaus wäre die Kommission, auch wenn das StrBG tatsächlich neue Verzerrungen hervorriefe, nach meiner Auffassung immer noch berechtigt, nach Artikel 76 Klage zu erheben, anstatt ihre Befugnisse nach Artikel 101 oder 102 auszuüben, da das Fehlen von Maßnahmen zur Rechtsangleichung gemäß Artikel 100 bis 102 EWG-Vertrag eindeutig nicht den Verstoß gegen andere Vertragsbestimmungen entschuldigt. Ausserdem ist Artikel 76 entgegen der von der deutschen Regierung in ihrer Klagebeantwortung vertretenen Auffassung nicht als Sondervorschrift zu den allgemeineren Bestimmungen der Artikel 101 und 102 anzusehen und daher nicht eng auszulegen. Artikel 76 ist im Gegenteil eine Stillhaltevorschrift mit allgemeiner Bedeutung, die nicht anders als weit auszulegen ist.

    29. Es lässt sich in der Tat argumentieren, daß das StrBG neue Verzerrungen der Wettbewerbsbedingungen hervorruft. Im Fall einiger Mitgliedstaaten, und zwar Dänemarks und des Vereinigten Königreiches, ist die Kraftfahrzeugsteuerbelastung höher als die Belastung der deutschen Verkehrsunternehmen vor der Senkung durch das Gesetz oder dieser zumindest vergleichbar. Dennoch erhalten Verkehrsunternehmen aus diesen Mitgliedstaaten keine Befreiung von der Strassenbenutzungsgebühr. Wie wir gesehen haben, bewirken die Änderungen durch das StrBG im Ergebnis nach der Schätzung der deutschen Regierung selbst, daß Verkehrsunternehmen aus Dänemark und aus dem Vereinigten Königreich einer grösseren Steuerlast als die ihnen entsprechenden deutschen Unternehmen unterliegen. Im Fall des Vereinigten Königreichs wird die Belastung nach Addition der britischen Kraftfahrzeugsteuer zur deutschen Strassenbenutzungsgebühr auf über 150 % der Belastung deutscher Verkehrsunternehmen geschätzt. Selbst wenn man die Auffassung der deutschen Regierung darüber teilt, welche Maßnahmen mit Artikel 76 vereinbar sind, fiele es schwer, die Vereinbarkeit des StrBG mit dem Vertrag zu begründen. Insbesondere darf die Erhöhung der Belastung von Verkehrsunternehmen aus dem Vereinigten Königreich nicht - wie es die deutsche Regierung tut - mit der Tatsache begründet werden, daß die Zahl der Verkehrsunternehmen aus dem Vereinigten Königreich, die deutsche Strassen benutzen, vergleichsweise niedrig ist.

    30. Schließlich führt die deutsche Regierung aus, daß die beanstandeten Maßnahmen aus Gründen des Umweltschutzes gerechtfertigt seien; dazu sei es notwendig gewesen, die sich aus der Verwendung schwerer Lastfahrzeuge ergebenden Kosten für die Umwelt den LKW-Betreibern einschließlich derjenigen aus anderen Mitgliedstaaten anzulasten, damit insbesondere Frachtgut von der Strasse auf die Schiene verlagert werde.

    31. Natürlich ist die grosse Bedeutung von Umweltschutzerwägungen auf dem Gebiet des Verkehrs anzuerkennen, und sie steht auch ausser Streit. Es ist festzustellen, daß Artikel 76 nicht alle Maßnahmen verbietet, die den Beitrag von Verkehrsunternehmen zu den Kosten, die ihr Betrieb für die Umwelt verursacht, erhöhen, und es bestehen keine Einwände gegen die im StrBG enthaltenen Maßnahmen, soweit sie den Beitrag der deutschen und der nichtdeutschen Verkehrsunternehmen im gleichen Maß erhöhen. Nach meiner Auffassung kann jedoch eine vergleichsweise stärkere Erhöhung des Beitrags von Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten nicht mit Gründen des Umweltschutzes gerechtfertigt werden, da nicht nachgewiesen ist, daß diese Unternehmen die Umwelt stärker als deutsche Verkehrsunternehmen belasten.

    32. Die deutsche Regierung hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, daß der Anteil des internationalen Güterverkehrs, der die deutsche Grenze auf dem Schienenweg überschreite, mit schätzungsweise 10 % aussergewöhnlich niedrig sei gegenüber einem auf 21 % geschätzten Anteil der Schiene am inländischen Güterverkehr. Der Grund für diesen Unterschied sei in der niedrigeren Steuerbelastung ausländischer Verkehrsunternehmen zu sehen. Die deutsche Regierung hat jedoch nicht erklärt, in welcher Weise eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer für deutsche Strassenverkehrsunternehmen zu einer Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene beitragen würde. Nach meiner Ansicht genügt die blosse Tatsache, daß 21 % des deutschen inländischen Güterverkehrs auf der Schiene abgewickelt werden, nicht, um darzutun, daß auch im internationalen Güterverkehr nach Deutschland der gleiche Anteil auf diesem Weg befördert würde, wenn die gegenwärtige Kostenbelastung der ausländischen Verkehrsunternehmen erhöht würde. Wie die Kommission ausführt, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß es eher zu einer Verlagerung des Güterverkehrsgeschäfts auf deutsche Strassenverkehrsunternehmen als auf die Schiene käme. Aus der dem Bundestag vorgelegten Begründung des Gesetzentwurfs ergibt sich, daß die relativ stärkere Erhöhung der von den ausländischen Verkehrsunternehmen gezahlten Beträge ihren eigentlichen Grund nicht im Umweltschutz hatte, sondern vielmehr in der Angleichung der Wettbewerbsbedingungen für deutsche und für ausländische Verkehrsunternehmen. Dieser Grund ist offensichtlich wirtschaftlicher und nicht ökologischer Natur.

    33. Es ist zweifellos richtig, daß die deutsche Regierung, als sie 1990 die Reform ihres Strassen- und Kraftfahrzeugabgabensystems in Angriff nahm, sich in einem gewissen Dilemma befand. Einerseits wollte sie, aus völlig lobenswerten Gründen, ein System entwickeln, das dem Verursacherprinzip folgt, ein Prinzip, das überdies Bestandteil der Umweltpolitik der Gemeinschaft ist (vgl. Artikel 130r Absatz 2 EWG-Vertrag). Entsprechend diesem Grundsatz sollten also die ausländischen Verkehrsunternehmen einen Teil der durch ihren Betrieb verursachten Kosten übernehmen. Andererseits hätte eine gleiche Belastung der deutschen und der ausländischen Unternehmen die Gemeinkosten der ersteren auf ein als unannehmbar angesehenes Niveau erhöht. Die deutsche Regierung sah offensichtlich den einzigen Weg aus diesem Dilemma darin, den deutschen Verkehrsunternehmen für die sich sonst aus der Einführung der Strassenbenutzungsgebühr ergebende Mehrbelastung einen Ausgleich zu verschaffen.

    34. Dieses Dilemma jedoch, in dem die deutsche Regierung zugegebenermassen steckte, konnte rechtmässig nur durch ein Vorgehen der Gemeinschaft oder durch Einigung auf Gemeinschaftsebene gelöst werden. Daß die Gemeinschaft 1990 ihre Befugnisse nach Artikel 75 Absatz 1 EWG-Vertrag noch nicht ausgeuebt hatte, stellt keine Entschuldigung für ein einseitiges Vorgehen entgegen der Stillhalteverpflichtung des Artikels 76 dar. Ausserdem ist anzumerken, daß Artikel 76 einseitiges Vorgehen nicht völlig verbietet, da er die Möglichkeit vorsieht, daß der Rat Maßnahmen eines einzelnen Mitgliedstaats einstimmig billigt. Die deutsche Regierung hätte deshalb versuchen müssen, die Zustimmung des Rates zu den von ihr für notwendig gehaltenen Maßnahmen einzuholen.

    35. Ich komme deshalb zu dem Ergebnis, daß die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr durch das StrBG in Verbindung mit der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer durch dieses Gesetz Artikel 76 EWG-Vertrag zuwiderläuft.

    36. Die Kommission macht darüber hinaus geltend, daß die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr, wie sie im StrBG vorgesehen sei, auch getrennt von der Kraftfahrzeugsteuersenkung betrachtet gegen Artikel 76 verstosse. Die Strassenbenutzungsgebühr sei auch für sich betrachtet eine Maßnahme, die in dieser Form Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten stärker belaste. Nach meiner Auffassung hat das Argument der Kommission vieles für sich.

    37. Wie die Kommission ausführt, ist die Zahlung der Strassenbenutzungsgebühr für ein Jahr erheblich vorteilhafter als die Zahlung für einen Monat, eine Woche oder einen Tag. Die Kommission macht geltend, daß deutsche Verkehrsunternehmen die Gebühr wahrscheinlich eher für längere Zeiträume zahlen würden, während ausländische Verkehrsunternehmen, die eher Einzelfahrten nach Deutschland und zurück unternähmen, mehr auf Tages- oder Wochenbasis abgabepflichtig würden. Ferner konzentriert sich der internationale Verkehr nach Ansicht der Kommission eher auf die der Gebühr unterliegenden Strassen, während ein grösserer Anteil des inländischen Verkehrs auf kleineren Strassen stattfände, deren Benutzung gebührenfrei sei.

    38. Nach meiner Auffassung ist davon auszugehen, daß ein Verkehrsunternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat die günstigen Jahressätze wahrscheinlich in geringerem Umfang wird nutzen können als ein deutsches Verkehrsunternehmen und daß es wahrscheinlich lieber einen angemessenen Tagessatz zahlen wird. Wie die deutsche Regierung ausgeführt hat, nehmen zwar deutsche Verkehrsunternehmen teilweise am internationalen Verkehr teil und betreiben daher Fahrzeuge, die nicht ständig in Deutschland unterwegs sind. Für solche Fahrzeuge wird der Jahressatz nicht einmal für deutsche Verkehrsunternehmen günstiger sein, obwohl die Gebühr personengebunden anstatt fahrzeuggebunden gezahlt werden kann. Jedoch werden manche deutsche Verkehrsunternehmen auch Fahrzeuge betreiben, die ständig im Inland fahren. Auch wenn solche Fahrzeuge einen Teil des Jahres über nicht in Betrieb sind, sei es wegen Feiertagen oder aus anderen Gründen, will mir nicht einleuchten, daß diese Verkehrsunternehmen durch Zahlung der Jahresgebühr nicht erhebliche Einsparung erzielen sollten. Man wird daher kaum an dem Ergebnis vorbeikommen, daß die Strassenbenutzungsgebühr Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten stärker belastet.

    39. An diesem Ergebnis ändert auch die Überlegung nichts, daß bei der gegenwärtigen Ausgestaltung der Strassenbenutzungsgebühr viele ausländische Unternehmen vorzugsweise die Jahresrate bezahlen würden, obwohl die deutsche Regierung in ihrer Klagebeantwortung eine dahin gehende Befragung anführt. Es ist selbstverständlich, daß es sich bei einem Tagessatz, der 1/150 des Jahressatzes beträgt, lohnen kann, die Strassenbenutzungsgebühr auch dann auf jährlicher Basis zu zahlen, wenn sich das Fahrzeug während eines erheblichen Teils des Jahres ausserhalb Deutschlands befindet. Wie die Kommission in ihrer Erwiderung ausführt, kann der Jahressatz unter solchen Umständen gerade deswegen vorzuziehen sein, weil der Tagessatz so ungünstig ist. Es bleibt dabei, daß auch die ausländischen Verkehrsunternehmen, die diese Möglichkeit wählen, härter betroffen sein können als deutsche Verkehrsunternehmen, die zwar auf gleicher Basis zahlen, aber ihre Berechtigung besser ausnutzen können.

    40. Nach meiner Auffassung hat die Kommission mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dargetan, daß die neue, durch Artikel 1 StrBG eingeführte Gebühr Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten auch dann stärker als deutsche Verkehrsunternehmen beeinträchtigt, wenn sie getrennt von der mit Artikel 2 StrBG erfolgten Kraftfahrzeugsteuersenkung betrachtet wird, und daß die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr daher Artikel 76 EWG-Vertrag auch bei getrennter Betrachtung zuwiderläuft. Wie wir jedoch gesehen haben, ist die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr jedenfalls dann mit Artikel 76 unvereinbar, wenn auch die Wirkungen der Kraftfahrzeugsteuersenkung berücksichtigt werden.

    Artikel 95

    41. Ausserdem macht die Kommission geltend, die Verabschiedung des StrBG stelle einen Verstoß gegen Artikel 95 EWG-Vertrag dar, wonach die Mitgliedstaaten auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art erheben dürfen, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben. Dieser Fall ist nach Ansicht der Kommission hier gegeben, und zwar unabhängig davon, ob die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr und die Senkung der Kraftfahrzeugsteuer getrennt oder zusammen betrachtet werden.

    42. Auf den ersten Blick mag es ungewöhnlich erscheinen, daß eine Maßnahme gleichzeitig gegen zwei voneinander unabhängige Vertragsvorschriften verstossen kann. Im vorliegenden Fall wird die Maßnahme unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet: zum einen in bezug auf die Verkehrsunternehmen, und zum anderen in bezug auf die beförderten Waren. Artikel 76 betrifft den ersten Gesichtspunkt, im zweiten Fall ist jedoch Artikel 95 die einschlägige Vorschrift. So können weder Artikel 76 noch Artikel 95 im Verhältnis zueinander als lex specialis angesehen werden.

    43. Ich meine nicht, daß eine Senkung der von deutschen Verkehrsunternehmen gezahlten Kraftfahrzeugsteuer für sich genommen als - sei es auch nur mittelbare - Besteuerung der von anderen Verkehrsunternehmen beförderten Waren angesehen werden kann. Sicherlich kann das Kraftfahrzeugsteuersystem unter bestimmten Umständen eine Diskriminierung der Einfuhr der der Steuer unterliegenden Fahrzeuge selbst darstellen (siehe Urteil in der Rechtssache 112/84, Humblot, Slg. 1985, 1367, Randnr. 14). Der Vorwurf der Kommission richtet sich jedoch nicht gegen die Auswirkung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Einfuhr von Kraftfahrzeugen, und so kann ihr Vorbringen nur auf die kombinierte Auswirkung der Kraftfahrzeugsteuersenkung durch Artikel 2 StrBG und die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr durch Artikel 1 gestützt sein.

    44. Wie die Kommission ausgeführt hat, ergibt sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 16. Februar 1977 in der Rechtssache 20/76 (Schöttle & Söhne, Slg. 1977, 247) eindeutig, daß eine Abgabe auf den internationalen Strassengüterverkehr grundsätzlich unter Artikel 95 fallen kann. Der Gerichtshof hat in den Randnummern 12 bis 15 und 22 dieses Urteils festgestellt, daß Artikel 95 versteckte Beschränkungen des freien Warenverkehrs beseitigen soll, die sich aus abgabenrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats ergeben können, und daß sich solche Beschränkungen insbesondere aus einer Abgabe ergeben können, die eine bestimmte Tätigkeit eines Unternehmens und nicht die Waren als solche belasten, sofern sich die Abgabe unmittelbar auf den Preis der inländischen und der eingeführten Waren auswirkt. Eine solche Abgabe ist nur dann mit Artikel 95 vereinbar, wenn es durch die Art und Weise ihrer Erhebung nicht zu einer und sei es noch so geringfügigen und zufälligen Diskriminierung eingeführter Waren kommt.

    45. Es ist daher zu prüfen, ob die mit dem StrBG eingeführte Strassenbenutzungsgebühr die im Urteil 20/76 (Schöttle) genannten Merkmale eines Verstosses gegen Artikel 95 aufweist. Erstens steht nach meiner Auffassung fest, daß den Verkehrsunternehmen durch die Gebühr eine Belastung auferlegt wird, die sich unmittelbar auf die Preise der von diesen Unternehmen beförderten Waren auswirkt. Zwar unterscheidet sich die Strassenbenutzungsgebühr in mehrfacher Hinsicht von der in der Rechtssache 20/76 (Schöttle) streitigen Abgabe. Insbesondere wurde letztere nach Maßgabe der im Inland zurückgelegten Strecke und des Gewichts der Waren erhoben, während die Strassenbenutzungsgebühr sich nach den Zeiträumen, in denen das Bundesstrassennetz genutzt wird, und dem Gewicht der LKW (einschließlich der zulässigen Ladung) bemisst. LKW unterliegen der Gebühr also auch bei Leerfahrten. Ich bin jedoch der Meinung, daß eine so bemessene Gebühr sich ebenso unmittelbar auf die Kosten des Güterverkehrs auswirkt wie eine Abgabe auf der Grundlage der zurückgelegten Strecke und des tatsächlichen Gewichts der beförderten Waren. Vor allem wird sich die für die Rückfahrt eines leeren LKWs vom Lieferort gezahlte Gebühr unmittelbar auf die Preise der auf der Hinfahrt beförderten Waren auswirken.

    46. Wie wir gesehen haben, verstösst die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr nur dann gegen Artikel 95, wenn sie Waren aus anderen Mitgliedstaaten härter trifft als einheimische Waren. Hier ist festzustellen, daß zwar, wie die deutsche Regierung geltend gemacht hat, sowohl deutsche als auch ausländische Verkehrsunternehmen Waren nach Deutschland einführen, doch ist die Verteilung in Deutschland hergestellter Waren im allgemeinen in der Hand deutscher Verkehrsunternehmen unter Ausschluß von Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten. Da die Beförderungskosten Teil des Gesamtpreises der Waren sind, wird also eine Gebühr, die Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten stärker belastet, eingeführte Waren härter treffen als inländische Waren.

    47. Wie wir bereits bei der Prüfung der Vereinbarkeit des StrBG mit Artikel 76 EWG-Vertrag gesehen haben, werden Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten durch die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr und die Kraftfahrzeugsteuersenkung tatsächlich härter getroffen als deutsche Verkehrsunternehmen (siehe oben, Nrn. 22 und 40). So kommt zum einen allein den deutschen Verkehrsunternehmen die Senkung der Kraftfahrzeugsteuer zugute, durch die für sie die Erhebung der Strassenbenutzungsgebühr ganz oder zum Teil ausgeglichen werden soll, und zum anderen werden deutsche Verkehrsunternehmen, vor allem diejenigen, die Waren aus einheimischer Produktion in Deutschland verteilen, eher die vorteilhafteren Jahressätze in Anspruch nehmen. Es ist festzustellen, daß die dem Bundestag vorgelegte Begründung des Gesetzesentwurfs es tatsächlich hinzunehmen scheint, daß die Preise eingeführter Waren mit grösserer Wahrscheinlichkeit ungünstiger beeinflusst werden als die Preise einheimischer Waren (siehe Abschnitt I.4 der Begründung, mit dem Titel "Auswirkungen auf die Preise").

    48. Somit komme ich zu dem Ergebnis, daß das StrBG eine Maßnahme ist, die sowohl die Wirkung einer Artikel 95 EWG-Vertrag zuwiderlaufenden diskriminierenden inländischen Abgabe hat als auch der Stillhalteverpflichtung des Artikels 76 zuwiderläuft.

    Artikel 5

    49. Zusätzlich zu den Verstössen gegen die Artikel 76 und 95 EWG-Vertrag macht die Kommission einen eigenständigen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Zusammenarbeit gemäß Artikel 5 geltend. In ihrem Aufforderungsschreiben hatte die Kommission vier Gesichtspunkte angeführt, unter denen die Verabschiedung des Gesetzes dieser Verpflichtung zuwiderlaufe: 1) einseitiges Vorgehen Deutschlands könne als Antwort einseitige Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten heraufbeschwören, was die Verwirklichung einer gemeinsamen Verkehrspolitik erschwere; 2) bei der Annahme der Kommissionsvorschläge für eine Steuerharmonisierung im Güterkraftverkehr würden sich Verzögerungen ergeben; 3) neue Grenzkontrollen würden erforderlich, falls die Strassenbenutzungsgebühr an den deutschen Grenzen zu entrichten wäre; und 4) die Verhandlungen der Gemeinschaft mit Österreich, der Schweiz und Jugoslawien über Fragen des Transits und der Strassenabgaben würden beeinträchtigt. Die Kommission scheint weiter der Auffassung zu sein, daß Artikel 5 Deutschland allgemein verpflichte, den Erlaß von Maßnahmen auf einem Gebiet zu unterlassen, auf dem dem Rat ein Vorschlag zu gemeinschaftlichem Handeln vorliege. Es scheint, daß die Kommission dieses Vorbringen, jedenfalls im wesentlichen, in ihrer begründeten Stellungnahme und in der Klageschrift aufrechterhalten hat.

    50. Zwar lag dem Rat, als das Gesetz beschlossen wurde, ein Vorschlag der Kommission zur Durchführung der Entscheidung 65/271 vor: siehe Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anlastung der Wegekosten an schwere Nutzfahrzeuge, KOM(87) 716 endg., von der Kommission dem Rat vorgelegt am 15. Januar 1988 (ABl. C 79, S. 8), später geändert durch KOM(90) 540 endg., dem Rat vorgelegt am 27. November 1990 (ABl. 1991, C 75, S. 1). Jedoch halte ich die Vorlage eines Vorschlags auf einem Gebiet, auf dem die Gemeinschaft noch nicht ausschließlich zuständig ist, allein noch nicht für ausreichend, um den Erlaß nationaler Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet auszuschließen.

    51. Natürlich besteht kein Zweifel, daß die Befugnisse der Mitgliedstaaten dort, wo die Gemeinschaft ausschließlich zuständig ist, stark eingeschränkt sind, auch wenn die Gemeinschaft ihre Zuständigkeit noch nicht ausgeuebt hat. So hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, in der es um die Erhaltung der Fischbestände ging, entschieden, daß die Mitgliedstaaten zwar bestehende Maßnahmen ändern dürfen, um geänderte Umstände zu berücksichtigen, daß sich jedoch ihre Befugnis nicht auf Maßnahmen erstreckt, die zu einer neuen Erhaltungspolitik führen: siehe Urteil vom 5. Mai 1981 in der Rechtssache 804/79 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1981, 1045, Randnrn. 19 bis 22).

    52. In dieser Rechtssache ergab sich jedoch die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft aus dem Ablauf der in Artikel 102 der Beitrittsakte festgelegten Übergangszeit (siehe Randnr. 17 und 18 des Urteils). Dagegen verpflichtet im vorliegenden Fall Artikel 75 Absatz 2 EWG-Vertrag den Rat zum Handeln vor dem Ende der in Artikel 8 Absatz 1 des Vertrages festgelegten Übergangszeit nur im Hinblick auf die in Artikel 75 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Vorschriften, nämlich die gemeinsamen Regeln für den internationalen Verkehr und die Bedingungen für die Kabotage. Was die Harmonisierung von Verkehrsabgaben betrifft, bleiben daher wohl die Mitgliedstaaten vorläufig zuständig, bis der Rat seine Befugnis ausgeuebt hat, wobei allerdings die Ausübung dieser Zuständigkeit natürlich nur innerhalb der insbesondere in Artikel 76 gezogenen Grenzen erfolgen darf.

    53. Sicherlich müssen die Mitgliedstaaten, auch soweit sie vorläufig zuständig bleiben, ihre allgemeine Verpflichtung aus Artikel 5, die Erreichung der Gemeinschaftsziele nicht zu gefährden, beachten: siehe Urteil vom 16. Februar 1978 in der Rechtssache 61/77 (Kommission/Irland, Slg. 1978, 417, Randnr. 65). Es kann also Umstände geben, unter denen der Erlaß einseitiger Maßnahmen durch einen Mitgliedstaat nachweisbar entweder den Erlaß von Gemeinschaftsmaßnahmen oder den Fortschritt von Verhandlungen mit Drittländern gefährdet. Im vorliegenden Fall hat die Kommission jedoch keinen konkreten Beweis dafür angeboten, daß die Verabschiedung des StrBG die beim Rat anhängigen Maßnahmen oder die Verhandlungen mit Österreich, der Schweiz oder Jugoslawien gefährdet hat. Was die Gefahr, von Gegenmaßnahmen anderer Mitgliedstaaten betrifft, ist davon auszugehen, daß diese Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen aus Artikel 76 EWG-Vertrag beachten werden.

    54. Schließlich halte ich auch die Auffassung der Kommission, daß die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr zu neuen Kontrollen an der deutschen Grenze führen würde, nicht für überzeugend; wie wir gesehen haben, beschränkt § 11 Absatz 4 StrBG die Kontrolle der Gebührenzahlung an den Grenzen auf Stichproben aus Anlaß anderer Kontrollen. Ich komme daher zu dem Ergebnis, daß die Kommission keinen der von ihr behaupteten Verstösse Deutschlands gegen die Verpflichtung zur Zusammenarbeit aus Artikel 5 bewiesen hat.

    55. Es mag jedoch zweckdienlich sein, auf zwei weitere von der deutschen Regierung erwähnte Punkte im Zusammenhang mit Artikel 5 einzugehen, obwohl keiner von ihnen direkt etwas mit den von der Kommission behaupteten Vertragsverstössen zu tun hat.

    56. Erstens führt die deutsche Regierung an, daß sie zur Kündigung der bilateralen Abkommen mit anderen Mitgliedstaaten über die Nichterhebung von Kraftfahrzeugsteuer berechtigt sei. Selbst wenn die Erhebung der Strassenbenutzungsgebühr in Verbindung mit der Kraftfahrzeugsteuersenkung in ihren Auswirkungen als einer solchen Kündigung ähnlich angesehen würde, begründete dies nicht die Auffassung, daß das StrBG dem Vertrag zuwiderlaufe.

    57. Es ist daran zu erinnern, daß die oben unter Nr. 10 erwähnte Entscheidung 65/271/EWG des Rates vom 13. Mai 1965 über die Harmonisierung bestimmter Vorschriften, die den Wettbewerb im Eisenbahn-, Strassen- und Binnenschiffsverkehr beeinflussen, eine Reihe von Zielsetzungen der gemeinschaftlichen Verkehrspolitik festschreibt. So sieht Artikel 1 Buchstabe a dieser Entscheidung vor:

    "Es werden ... mit Wirkung vom 1. Januar 1967 die Doppelbesteuerungen von Kraftfahrzeugen beseitigt, die sich aus deren Verwendung für Beförderungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ergeben, in dem sie zugelassen sind ..."

    Artikel 14 bestimmt:

    "Die zur Durchführung dieser Entscheidung ... erforderlichen Bestimmungen erlässt der Rat spätestens sechs Monate vor ihrem Inkrafttreten ..."

    Somit war die Beseitigung der Doppelbesteuerung zwar ein durch diese Entscheidung festgelegtes Ziel, wurde aber mit ihr noch nicht durchgeführt. Ohne Frage gehört jedoch ein solches in einer Entscheidung nach dem Vertrag festgelegtes Ziel zu den von Artikel 5 EWG-Vertrag geschützten Zielen: siehe Urteil vom 28. April 1977 in der Rechtssache 71/76 (Thieffry, Slg. 1977, 765, Randnrn. 13 bis 15).

    58. Daher sind Mitgliedstaaten durch Artikel 5 EWG-Vertrag auch dann zur Unterlassung von Maßnahmen verpflichtet, die die Erreichung des Ziels der Beseitigung der Doppelbesteuerung von Kraftfahrzeugen gefährden würden, wenn der Rat keine Maßnahmen zur Durchführung von Artikel 1 Buchstabe a der Entscheidung erlassen hat. Im vorliegenden Fall wird die doppelte Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer, wie wir gesehen haben, durch das System bilateraler Abkommen zwischen allen Mitgliedstaaten vermieden. Demnach mag die deutsche Regierung zwar Recht damit haben, daß die Kündigung der Abkommen durch einen Mitgliedstaat an sich mit Artikel 76 EWG-Vertrag nicht unvereinbar wäre, doch würde eine solche Kündigung den erklärten Zielen der Gemeinschaft zuwiderlaufen, so daß sie mit Artikel 5 unvereinbar wäre.

    59. Solange die Sätze der Kraftfahrzeugsteuer nicht harmonisiert sind, ist eine der Folgen einer Beseitigung der Doppelbesteuerung, daß die Kraftfahrzeugsteuerbelastung für Fahrzeuge aus zwei verschiedenen Mitgliedstaaten, die auf den Strassen beider Staaten verkehren, unterschiedlich sein kann. Die Einführung der Strassenbenutzungsgebühr durch das StrBG in Verbindung mit der Senkung der deutschen Kraftfahrzeugsteuer hat den ausdrücklichen Zweck, den Folgen solcher Ungleichheiten auf die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsunternehmen zu begegnen. So sollten diese Ungleichheiten vermindert und in einigen Fällen beseitigt werden, indem ein Teil der zuvor aus der Kraftfahrzeugsteuer fließenden Einnahmen durch die Strassenbenutzungsgebühr ersetzt wurde, die von allen Verkehrsunternehmen, die deutsche Strassen benutzen, zu zahlen ist.

    60. Ich halte es für schwierig, die beabsichtigten Auswirkungen einer solchen Maßnahme mit dem Ziel der Beseitigung der Doppelbesteuerung von Kraftfahrzeugen zu vereinbaren, das nach meiner Auffassung die Vermeidung von Maßnahmen mit völlig oder teilweise gleicher Wirkung wie eine Doppelbesteuerung einschließt. Dem StrBG könnte eine solche Wirkung unterstellt werden, da es eine von Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten zu zahlende Abgabe einführt, die gerade darauf abzielt, die Kraftfahrzeugsteuerbelastung deutscher Verkehrsunternehmen zu verringern. Aus diesem Grund könnte sehr wohl einiges dafür sprechen, die Annahme des Gesetzes als Maßnahme anzusehen, die der Verpflichtung Deutschlands aus Artikel 5 EWG-Vertrag zuwiderläuft. Da die Kommission jedoch einen solchen Verstoß gegen Artikel 5 nicht geltend gemacht hat, halte ich es nicht für angebracht, in diesem Verfahren eine solche Entscheidung zu fällen.

    61. Es ist noch auf das von der deutschen Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Argument einzugehen, die im StrBG als Ausgleich vorgesehene Kraftfahrzeugsteuersenkung sei mit den Vorschlägen der Kommission nicht unvereinbar, sondern durch diese vielmehr gerechtfertigt worden. Dies ergebe sich insbesondere aus Artikel 11 des Vorschlags der Kommission in der geänderten Fassung:

    "Mit Wirkung vom 1. Januar 1992 können die einzelstaatlichen Behörden an sie entrichtete Kraftfahrzeugsteuer unter Berücksichtigung der Kilometer, die die Fahrzeuge auf gebührenpflichtigen Autobahnen in der Gemeinschaft zurückgelegt haben, rückerstatten. Die Rückerstattung auf jährlicher Basis erfolgt nach folgender Formel ..."

    Ich glaube jedoch, daß sich mit einer solchen Vorschrift, betrachtet man sie im Zusammenhang mit der Harmonisierungsrichtlinie, zu der sie gehört, die einseitigen Maßnahmen, um die es im vorliegenden Verfahren geht, nicht rechtfertigen lassen. Insbesondere ist festzustellen, daß Artikel 8 der vorgeschlagenen Richtlinie den allgemeinen Grundsatz aufrechterhält, daß Schwerlastfahrzeuge eines Mitgliedstaats von der Kraftfahrzeugsteuer anderer Mitgliedstaaten befreit sein müssen. Artikel 5 dieser Richtlinie lässt Strassenbenutzungsgebühren zu, jedoch müssen sie mit den Kosten der betreffenden Verkehrswege zusammenhängen. Nach dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag dürfen Strassenbenutzungsgebühren nur für Neubauten nach dem Inkrafttreten der Richtlinie eingeführt werden, jedoch ist diese Bedingung in der geänderten Fassung des Artikels 5 Absatz 2 durch eine neue Einschränkung ersetzt worden, wonach Strassenbenutzungsgebühren nur auf "bestimmten Autobahnen, Autobahnnetzen oder Teilen davon" zulässig sind. Artikel 5 Absatz 2 des geänderten Richtlinienvorschlags enthält ausserdem eine genaue und eingeschränkte Definition des Begriffs "Autobahn". Die Kraftfahrzeugsteuererstattung wird in Artikel 11 nur im Hinblick auf die Beträge zugelassen, die für die Benutzung von gebührenpflichtigen Autobahnen entrichtet worden sind, die dieser Definition entsprechen; sie richtet sich nach einer präzisen Formel auf der Grundlage der zurückgelegten Kilometer.

    62. Ich halte es daher für fraglich, ob die durch das StrBG eingeführten Maßnahmen nach der vorgeschlagenen Richtlinie zulässig gewesen wären, wenn sie bei Erlaß des Gesetzes am 30. April 1990 in Kraft gewesen wäre. Der Umstand jedoch, daß ein solcher Vorschlag dem Rat zur Prüfung vorlag, kann keinesfalls den Erlaß von Maßnahmen durch Deutschland rechtfertigen, die den Artikeln 76 und 95 EWG-Vertrag zuwiderlaufen.

    63. Da die Kommission keinen eigenständigen Verstoß gegen Artikel 5 bewiesen hat, ist ihr Vorbringen insoweit zurückzuweisen. Dennoch hat sie Anspruch auf Kostenerstattung, da sie mit ihrem Vorbringen in den Hauptpunkten obsiegt hat. Gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

    Anträge

    64. Ich schlage daher dem Gerichtshof vor,

    1) festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland durch den Erlaß der Artikel 1 und 2 des Strassenbenutzungsgebührengesetzes vom 30. April 1990 gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 76 und 95 EWG-Vertrag verstossen hat;

    2) die Klage im übrigen abzuweisen;

    3) der Bundesrepublik die Kosten des Verfahrens, einschließlich derjenigen des Verfahrens der einstweiligen Anordnung, aufzuerlegen, mit Ausnahme der Kosten der Streithelfer, die ihre eigenen Kosten tragen.

    (*) Originalsprache: Englisch.

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