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Document 62017CJ0590

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 21. März 2019.
Henri Pouvin und Marie Dijoux gegen Electricité de France (EDF).
Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation (Frankreich).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 93/13/EWG – Anwendungsbereich – Art. 2 Buchst. b und c – Begriffe ‚Verbraucher‘ und ‚Gewerbetreibender‘ – Finanzierung des Erwerbs einer Hauptwohnung – Immobiliendarlehen, das ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer und dessen Ehepartner als weiterem Darlehensnehmer, der gesamtschuldnerisch haftet, gewährt.
Rechtssache C-590/17.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:232

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

21. März 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 93/13/EWG – Anwendungsbereich – Art. 2 Buchst. b und c – Begriffe ‚Verbraucher‘ und ‚Gewerbetreibender‘ – Finanzierung des Erwerbs einer Hauptwohnung – Immobiliendarlehen, das ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer und dessen Ehepartner als weiterem Darlehensnehmer, der gesamtschuldnerisch haftet, gewährt“

In der Rechtssache C‑590/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 4. Oktober 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Oktober 2017, in dem Verfahren

Henri Pouvin,

Marie Dijoux, verheiratete Pouvin,

gegen

Électricité de France (EDF)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen, M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Herrn Pouvin und Frau Dijoux, verheiratete Pouvin, vertreten durch J. Buk Lament, avocate,

der Électricité de France (EDF), vertreten durch E. Piwnica, avocat,

der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, J. Traband und A.‑L. Desjonquères als Bevollmächtigte,

der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou, D. Tsagkaraki, C. Fatourou und K. Georgiadis als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García und C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. November 2018

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2

Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Pouvin und Frau Marie Dijoux, verheiratete Pouvin, auf der einen Seite und der Électricité de France (EDF) auf der anderen Seite über einen Anspruch auf Zahlung von Beträgen, die im Rahmen eines Herrn und Frau Pouvin von EDF gewährten Immobiliendarlehens noch ausstehen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 9, 10 und 14 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Gemäß … sind … Käufer von Waren oder Dienstleistungen vor Machtmissbrauch des Verkäufers oder des Dienstleistungserbringers, insbesondere vor vom Verkäufer einseitig festgelegten Standardverträgen und vor dem missbräuchlichen Ausschluss von Rechten in Verträgen zu schützen.

Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. Diese Vorschriften sollten für alle Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern gelten. Von dieser Richtlinie ausgenommen sind daher insbesondere Arbeitsverträge sowie Verträge auf dem Gebiet des Erb‑, Familien- und Gesellschaftsrechts.

[D]iese Richtlinie [gilt] auch für die gewerbliche Tätigkeit im öffentlich-rechtlichen Rahmen …“

4

Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.“

5

Art. 2 der Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten:

b)

Verbraucher: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;

c)

Gewerbetreibender: eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist.“

Französisches Recht

6

Mit Art. L. 132-1 des Code de la consommation (Verbrauchergesetzbuch) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung wurde die Richtlinie 93/13 in französisches Recht umgesetzt.

7

Abs. 1 dieses Artikels lautet:

„Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Nichtgewerbetreibenden oder Verbrauchern sind missbräuchlich, wenn sie zum Nachteil des Nichtgewerbetreibenden oder des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner bezwecken oder bewirken.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8

Am 3. April 1995 gewährte EDF ihrem Angestellten, Herrn Pouvin, und seiner Ehefrau (im Folgenden: Darlehensnehmer) ein Darlehen im Rahmen der Maßnahmen zur Unterstützung der Bildung von Eigentum. Das Darlehen in Höhe von 57625,73 Euro diente zur Finanzierung des Erwerbs ihrer Hauptwohnung und sollte in 240 Monatsraten zurückgezahlt werden, aufgeteilt in zwei Tilgungsperioden von je zehn Jahren, zum Zinssatz von 4,75 % bzw. 8,75 % (im Folgenden: Darlehensvertrag).

9

Nach Art. 7 des Darlehensvertrags sollte dieser von Rechts wegen enden, wenn der Darlehensnehmer – aus welchem Grund auch immer – nicht mehr zum Personal von EDF gehört. Diese Klausel hatte zur Folge, dass die Rückzahlung des Darlehenskapitals bei Auflösung des Arbeitsvertrags sofort fällig wurde, ohne dass die Darlehensnehmer gegen ihre Verpflichtungen verstoßen hätten.

10

Nachdem Herr Pouvin am 1. Januar 2002 bei EDF ausgeschieden war, stellten die Darlehensnehmer die Bedienung der Tilgungsraten ein.

11

Am 5. April 2012 forderte EDF, nachdem sie von der Klausel Gebrauch gemacht hatte, dass der Darlehensvertrag im Fall des Ausscheidens des Darlehensnehmers aus ihrem Personal von Rechts wegen endet, die Darlehensnehmer zur Zahlung des am 1. Januar 2002 noch geschuldeten Kapitals samt Zinsen in Höhe von 50238,37 Euro sowie weiterer 3517 Euro aufgrund der im Darlehensvertrag ebenfalls vereinbarten Vertragsstrafe auf.

12

Mit Urteil vom 29. März 2013 erklärte das Tribunal de grande instance de Saint-Pierre (Regionalgericht von Saint-Pierre, Frankreich) die Klausel über die von Rechts wegen eintretende Beendigung des Darlehensvertrags im Fall des Ausscheidens des Darlehensnehmers aus dem Personal von EDF für missbräuchlich und wies die Klage von EDF auf Feststellung der von Rechts wegen eingetretenen Beendigung des Vertrags ab. Gleichzeitig sprach es die Auflösung des Darlehensvertrags wegen Nichtzahlung der Tilgungsraten aus und verurteilte die Darlehensnehmer als Gesamtschuldner, an EDF 44551,84 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 6 % ab dem 5. April 2012 und 3118,63 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 6 % ab Verkündung des Urteils für die Schäden, die EDF wegen der Untätigkeit der Darlehensnehmer entstanden sind, zu zahlen.

13

Mit Urteil vom 12. September 2014 hob die Cour d’appel de Saint-Denis (Berufungsgericht Saint-Denis, Frankreich) das Urteil vom 29. März 2013 auf und entschied, dass der Darlehensvertrag von Rechts wegen am 1. Januar 2002 geendet habe. Infolgedessen verurteilte sie die Darlehensnehmer zur Zahlung von 50238,37 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 6 % ab dem 1. Januar 2002 an EDF, wobei die nach diesem Datum gezahlten Beträge abzuziehen waren. Außerdem verurteilte sie die Darlehensnehmer zur Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe in Höhe von 3517 Euro zuzüglich gesetzlicher Zinsen ab dem 1. Januar 2002 an EDF.

14

Nach Ansicht dieses Gerichts ist Art. L. 132-1 des Code de la consommation vorliegend nicht anwendbar, da EDF den Darlehensvertrag als Arbeitgeber geschlossen habe und daher nicht „Gewerbetreibender“ im Sinne dieses Artikels sein könne.

15

Die Darlehensnehmer erhoben gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde, mit der sie geltend machten, als Verbraucher gehandelt zu haben, und sich auf die Rechtsprechung der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) beriefen, wonach eine Klausel missbräuchlich sei, nach der die Fälligkeit des Darlehens aufgrund eines vertragsfremden Ereignisses eintrete.

16

Die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) ist der Ansicht, dass die durch den Beschwerdegrund aufgeworfenen Fragen, von denen die Entscheidung über die Kassationsbeschwerde abhänge, eine einheitliche Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 93/13 erforderlich machten.

17

Daher hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass eine Gesellschaft wie EDF als Gewerbetreibende handelt, wenn sie einem Arbeitnehmer im Rahmen der Maßnahmen zur Unterstützung des Erwerbs von Grundeigentum ein Immobiliendarlehen gewährt, das nur Mitarbeiter der Gesellschaft erhalten können?

2.

Ist Art. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass eine Gesellschaft wie EDF als Gewerbetreibende handelt, wenn sie ein solches Immobiliendarlehen dem Ehepartner eines ihrer Arbeitnehmer gewährt, der nicht zu ihren Mitarbeitern gehört, aber ebenfalls Darlehensnehmer ist, der gesamtschuldnerisch haftet?

3.

Ist Art. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass der Arbeitnehmer einer Gesellschaft wie EDF, der mit ihr einen solchen Immobiliendarlehensvertrag schließt, als Verbraucher handelt?

4.

Ist Art. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass der Ehepartner dieses Arbeitnehmers, der nicht als Arbeitnehmer der Gesellschaft, sondern als weiterer, gesamtschuldnerisch haftender Darlehensnehmer denselben Darlehensvertrag schließt, als Verbraucher handelt?

Zu den Vorlagefragen

18

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass der Arbeitnehmer eines Unternehmens und sein Ehepartner, die mit diesem Unternehmen einen in erster Linie den Mitarbeitern des Unternehmens vorbehaltenen Darlehensvertrag schließen, mit dem der Erwerb einer Immobilie zu privaten Zwecken finanziert werden soll, „Verbraucher“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b sind, und ob dieses Unternehmen in Bezug auf die Gewährung dieses Darlehens als „Gewerbetreibender“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c anzusehen ist.

19

Nach dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 sollten die einheitlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln für „alle Verträge“ zwischen „Gewerbetreibenden“ und „Verbrauchern“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b und c dieser Richtlinie gelten (Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 46).

20

Gleichzeitig bestimmt der zehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13, dass „[v]on dieser Richtlinie ausgenommen … insbesondere Arbeitsverträge [sind]“.

21

Es ist daher zu prüfen, ob der Umstand, dass die Parteien eines Darlehensvertrags wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auch durch einen Arbeitsvertrag verbunden sind, in Bezug auf diesen Darlehensvertrag Auswirkungen auf ihre Eigenschaft als „Verbraucher“ bzw. „Gewerbetreibender“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 93/13 hat.

22

Nach dieser Vorschrift ist „Verbraucher“ eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter die Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. „Gewerbetreibender“ ist eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter die Richtlinie 93/13 fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist.

23

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs definiert die Richtlinie 93/13 die Verträge, auf die sie anwendbar ist, unter Bezugnahme auf die Eigenschaft der Vertragspartner, d. h. darauf, ob sie im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handeln oder nicht (Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Was erstens den Verbraucherbegriff im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 betrifft, ist zu beachten, dass dieser Begriff objektiven Charakter hat und unabhängig ist von den konkreten Kenntnissen, die die betreffende Person haben mag, oder den Informationen, über die sie tatsächlich verfügt (Urteil vom 3. September 2015, Costea, C‑110/14, EU:C:2015:538, Rn. 21).

25

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können (Urteil vom 3. September 2015, Costea, C‑110/14, EU:C:2015:538, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Das nationale Gericht, das mit einem Rechtsstreit über einen Vertrag befasst ist, der möglicherweise in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt, hat unter Berücksichtigung aller Beweise und insbesondere des Wortlauts des Vertrags zu prüfen, ob die betreffende Person, die Partei dieses Vertrags ist, als Verbraucher im Sinne der Richtlinie 93/13 eingestuft werden kann. Hierzu muss das nationale Gericht sämtliche Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art der Ware oder Dienstleistung, die Gegenstand des Vertrags ist, berücksichtigen, die belegen können, zu welchem Zweck die Ware oder Dienstleistung erworben wird (Urteil vom 3. September 2015, Costea, C‑110/14, EU:C:2015:538, Rn. 22 und 23).

27

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass selbst ein Rechtsanwalt, auch wenn unterstellt wird, dass er über ein hohes Maß an Fachkenntnissen verfügt, als „Verbraucher“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 angesehen werden kann, wenn er einen Vertrag schließt, der keinen Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. September 2015, Costea, C‑110/14, EU:C:2015:538, Rn. 26 und 27).

28

Dieses weite Verständnis des Verbraucherbegriffs im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 ermöglicht es, den durch diese Richtlinie gewährten Schutz allen natürlichen Personen zu sichern, die sich in der in Rn. 25 des vorliegenden Urteils genannten schwächeren Position befinden.

29

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Umstand, dass eine natürliche Person mit ihrem Arbeitgeber einen anderen Vertrag als einen Arbeitsvertrag schließt, es als solcher nicht ausschließt, dass diese Person als „Verbraucher“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 einzustufen ist.

30

Wie der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nimmt ferner der Umstand, dass bestimmte Arten von Verträgen, die von Verbrauchern geschlossen werden, bestimmten Gruppen von Verbrauchern vorbehalten sind, diesen nicht ihre Stellung als „Verbraucher“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13.

31

Durch den Ausschluss der zahlreichen von Verbrauchern mit ihren Arbeitgebern abgeschlossenen Verträgen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie würde jedoch allen diesen Verbrauchern der durch die Richtlinie gewährte Schutz vorenthalten (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Januar 2015, Šiba, C‑537/13, EU:C:2015:14, Rn. 29).

32

Bezüglich des Ausschlusses von Arbeitsverträgen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13, ist festzustellen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ein Darlehensvertrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende weder das Arbeitsverhältnis noch die Arbeitsbedingungen regelt und daher nicht als „Arbeitsvertrag“ eingestuft werden kann.

33

Was zweitens den Begriff „Gewerbetreibender“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13 angeht, ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber die Absicht hatte, diesen Begriff weit zu fassen (Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Zum einen nämlich wird durch die Verwendung des Wortes „eine“ in der genannten Bestimmung verdeutlicht, dass jede natürliche oder juristische Person als „Gewerbetreibender“ im Sinne der Richtlinie 93/13 anzusehen ist, sofern sie eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit ausübt (Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 49).

35

Zum anderen erfasst dieser Begriff jede gewerbliche oder berufliche Tätigkeit, „auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist“. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13 kann somit auf Einrichtungen mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht angewandt werden, ohne dass Einrichtungen, die eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe erfüllen, ausgenommen wären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 50 und 51).

36

Der Begriff „Gewerbetreibender“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13 ist ein funktionaler Begriff, d. h., es ist zu beurteilen, ob die konkrete Vertragsbeziehung innerhalb der Tätigkeiten liegt, die eine Person im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 55).

37

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass eine Bildungseinrichtung, die an einen Studierenden neben und in Ergänzung zu ihrer Haupttätigkeit eine Leistung erbringt, die ihrem Wesen nach einen Darlehensvertrag darstellt, in Bezug auf diese Leistung als „Gewerbetreibender“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13 angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 57 und 58).

38

In einem solchen Fall herrscht nämlich grundsätzlich eine Ungleichheit zwischen der Bildungseinrichtung und dem Studierenden, die sich aus der Asymmetrie ergibt, die zwischen diesen Parteien im Bereich der Information und der technischen Fähigkeiten besteht, da eine solche Einrichtung über eine dauerhafte Organisation und technische Fähigkeiten verfügt, über die zu privaten Zwecken handelnde Studierende, die beiläufig mit einem solchen Vertrag konfrontiert werden, nicht unbedingt verfügen (Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 59).

39

Diese Erwägungen sind auf einen Fall wie den im Ausgangsverfahren anwendbar, in dem ein Arbeitgeber, eine juristische Person, mit einem seiner Arbeitnehmer, einer natürlichen Person, und gegebenenfalls mit dem Ehepartner dieses Arbeitnehmers einen Darlehensvertrag schließt, der auf die Finanzierung des Erwerbs einer Immobilie zu privaten Zwecken gerichtet ist.

40

Auch wenn die Haupttätigkeit eines Arbeitgebers wie EDF nicht darin besteht, Finanzinstrumente anzubieten, sondern Energie zu liefern, verfügt dieser Arbeitgeber nämlich über Informationen und technische Fähigkeiten sowie personelle und materielle Mittel, von denen nicht angenommen werden kann, dass eine natürliche Person, d. h. die andere Vertragspartei, sie hat.

41

Ebenso wie der Verbraucherbegriff im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 hat der Begriff „Gewerbetreibender“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie objektiven Charakter und hängt nicht davon ab, dass der Gewerbetreibende beschließt, im Rahmen seiner hauptsächlichen oder untergeordneten und nebensächlichen Tätigkeit zu handeln.

42

Wie außerdem der Generalanwalt in den Nrn. 43 bis 46 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, dient zum einen das Anbieten eines solchen Darlehensvertrags, mit dem den eigenen Arbeitnehmern der Vorteil geboten wird, Eigentum erwerben zu können, dazu, qualifizierte und kompetente Arbeitskräfte, die die Ausübung der gewerblichen Tätigkeit des Arbeitgebers fördern, anzuziehen und an sich zu binden. Ob durch diesen Vertrag für den Arbeitgeber unmittelbare Einkünfte vorgesehen sind oder ob dies nicht der Fall ist, ist für die Anerkennung dieses Arbeitgebers als „Gewerbetreibender“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13 ohne Bedeutung. Zum anderen dient die weite Auslegung des Begriffs „Gewerbetreibender“ im Sinne dieser Bestimmung der Umsetzung des Ziels dieser Richtlinie, das darin besteht, den Verbraucher als schwächere Partei des mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrags zu schützen und die Ausgewogenheit zwischen den Parteien herzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Mai 2018, Sziber, C‑483/16, EU:C:2018:367, Rn. 32).

43

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass der Arbeitnehmer eines Unternehmens und sein Ehepartner, die mit diesem Unternehmen einen in erster Linie den Mitarbeitern des Unternehmens vorbehaltenen Darlehensvertrag schließen, mit dem der Erwerb einer Immobilie zu privaten Zwecken finanziert werden soll, „Verbraucher“ im Sinne dieser Bestimmung sind.

Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass dieses Unternehmen „Gewerbetreibender“ im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn es einen solchen Darlehensvertrag im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit schließt, auch wenn die Darlehensvergabe nicht seine Haupttätigkeit darstellt.

Kosten

44

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass der Arbeitnehmer eines Unternehmens und sein Ehepartner, die mit diesem Unternehmen einen in erster Linie den Mitarbeitern des Unternehmens vorbehaltenen Darlehensvertrag schließen, mit dem der Erwerb einer Immobilie zu privaten Zwecken finanziert werden soll, „Verbraucher“ im Sinne dieser Bestimmung sind.

 

Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass dieses Unternehmen „Gewerbetreibender“ im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn es einen solchen Darlehensvertrag im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit schließt, auch wenn die Darlehensvergabe nicht seine Haupttätigkeit darstellt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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