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Document 62011CJ0385

Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 22. November 2012.
Isabel Elbal Moreno gegen Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) und Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS).
Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo Social de Barcelona.
Art. 157 AEUV – Richtlinie 79/7/EWG – Richtlinie 97/81/EG – Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit – Richtlinie 2006/54/EG – Beitragsbezogene Altersrente – Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer – Mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Rechtssache C‑385/11.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2012:746

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

22. November 2012 ( *1 )

„Art. 157 AEUV — Richtlinie 79/7/EWG — Richtlinie 97/81/EG — Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit — Richtlinie 2006/54/EG — Beitragsbezogene Altersrente — Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer — Mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“

In der Rechtssache C-385/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Social de Barcelona (Spanien) mit Entscheidung vom 4. Juli 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juli 2011, in dem Verfahren

Isabel Elbal Moreno

gegen

Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS),

Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung der Richterin C. Toader in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer, der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS), vertreten durch F. de Miguel Pajuelo als Bevollmächtigten im Beistand von A. Álvarez Moreno und J. Ignacio del Valle de Joz, abogados,

der spanischen Regierung, vertreten durch S. Centeno Huerta und S. Martínez-Lage Sobredo als Bevollmächtigte,

der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Valero Jordana und M. van Beek als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Paragraf 4 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9, mit Berichtigung im ABl. 1998, L 128, S. 71) in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 (ABl. L 131, S. 10) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenvereinbarung), von Art. 157 AEUV und Art. 4 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. L 204, S. 23) sowie von Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. L 6, S. 24).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Elbal Moreno auf der einen und dem Instituto Nacional de la Seguridad Social (Staatliche Sozialversicherungsanstalt) (INSS) sowie der Tesorería General de la Seguridad Social (Allgemeine Finanzverwaltungsbehörde der Sozialversicherung) (TGSS) auf der anderen Seite wegen des Erhalts einer Altersrente.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 1 der Richtlinie 79/7 bestimmt:

„Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und der sonstigen Bestandteile der sozialen Sicherung im Sinne von Artikel 3 der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – im folgenden ‚Grundsatz der Gleichbehandlung‘ genannt – schrittweise verwirklicht wird.“

4

In Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 79/7 heißt es:

„(1)   Diese Richtlinie findet Anwendung

a)

auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen folgende Risiken bieten:

Alter

…“

5

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 lautet:

„Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:

den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,

die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,

die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.“

6

Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) der Rahmenvereinbarung lautet:

„1.

Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt.

…“

7

Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2006/54 bestimmt:

„Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen.

Zu diesem Zweck enthält sie Bestimmungen zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf

b)

Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts,

c)

betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit.

…“

Die spanische Regelung

8

Nach der Vorlageentscheidung sind folgende Vorschriften der Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz), angenommen durch das Real Decreto Legislativo 1/94 vom 20. Juni 1994 (BOE Nr. 154 vom 29. Juni 1994, S. 20658, im Folgenden: LGSS), im Ausgangsverfahren anwendbar:

„Art. 160 –

Begriff

Die beitragsbezogene Altersrente ist für alle Begünstigten einheitlich und besteht aus einer lebenslangen Rente, die unter den Voraussetzungen und in der Höhe und der Art und Weise, die durch Rechtsvorschrift bestimmt sind, zuerkannt wird, wenn der Begünstigte bei Erreichung der festgelegten Altersgrenze seine Arbeitnehmertätigkeit beendet oder beendet hat.

Art. 161 –

Begünstigte

(1)   Einen Anspruch auf beitragsbezogene Altersrente haben Personen, wenn sie unter die allgemeine Regelung fallen und neben der in Art. 124 Abs. 1 geregelten allgemeinen Voraussetzung folgende Voraussetzungen erfüllen:

a)

Vollendung des 65. Lebensjahrs,

b)

Erfüllung einer Mindestbeitragszeit von 15 Jahren …

Art. 162 –

Berechnungsgrundlage für die Altersrente

(1)   Die Berechnungsgrundlage der beitragsbezogenen Altersrente entspricht dem Quotienten, der sich aus der Teilung der Beitragsbemessungsgrundlagen des Antragstellers der letzten 180 Monate vor dem Monat des Eintritts des Versicherungsfalls durch 210 ergibt …

Siebte Zusatzbestimmung – Vorschriften für Teilzeitbeschäftigte

(1)

Der sich aus Teilzeitarbeitsverträgen ergebende soziale Schutz unterliegt dem Grundsatz der Gleichstellung von Teilzeitbeschäftigten und Vollzeitbeschäftigten und insbesondere den folgenden Vorschriften:

Erstens – Beitragszahlung

a)

Die Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur sozialen Sicherheit und für die gemeinsam mit ihnen geleisteten Einzahlungen wird nach Monaten berechnet und besteht aus dem tatsächlichen Entgelt für regelmäßige Arbeitsstunden und Mehrarbeitsstunden.

b)

Die derart ermittelte Beitragsbemessungsgrundlage darf die durch Rechtsvorschrift bestimmten Beträge nicht unterschreiten.

c)

Mehrarbeit wird im Rahmen der sozialen Sicherheit auf denselben Grundlagen und mit denselben Sätzen berücksichtigt wie die Regelarbeitszeit.

Zweitens – Beitragszeiten

a)

Zum Nachweis der Beitragszeiten, die für den Anspruch auf Leistungen bei Alter, Erwerbsunfähigkeit, Tod oder für Hinterbliebene, bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, Mutterschaft oder Vaterschaft erforderlich sind, werden ausschließlich die auf der Grundlage der regelmäßigen Arbeitszeit und der Mehrarbeit gezahlten Beiträge berücksichtigt, die in theoretische Beitragstage umgerechnet werden. Hierzu werden die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden durch fünf geteilt, was bei einer Jahresarbeitszeit von 1826 Stunden einem Arbeitstag entspricht.

b)

Für das Entstehen des Anspruchs auf eine Rente bei Alter oder dauerhafter Arbeitsunfähigkeit ist die Anzahl der theoretischen Beitragstage nach Buchst. a dieser Vorschrift mit 1,5 zu multiplizieren. Daraus ergibt sich die Anzahl der Tage, die im Rahmen der Feststellung der Mindestbeitragszeiten als nachgewiesen gelten. Keinesfalls kann eine Anzahl von Beitragstagen berücksichtigt werden, die die Anzahl der bei Vollzeitbeschäftigung erreichten Tage übersteigt.

Drittens – Berechnungsgrundlagen

a)

Die Berechnungsgrundlage für die Leistungen bei Alter und Erwerbsunfähigkeit wird nach Maßgabe der allgemeinen Regelung ermittelt …“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9

Am 8. Oktober 2009, mit 66 Jahren, beantragte die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim INSS eine Altersrente. Vorher hatte sie 18 Jahre lang ausschließlich als teilzeitbeschäftigte Reinigungskraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von vier Stunden (10 % der gesetzlichen wöchentlichen Arbeitszeit in Spanien, die sich auf 40 Stunden beläuft) für eine Eigentümergemeinschaft gearbeitet.

10

Diese Altersrente wurde ihr mit Entscheidung vom 13. Oktober 2009 mit der Begründung verweigert, dass sie die Mindestbeitragszeit von 15 Jahren nicht erfülle, die gemäß Art. 161 Abs. 1 Buchst. b LGSS Voraussetzung für einen Anspruch auf Altersrente sei.

11

Der hiergegen von der Klägerin des Ausgangsverfahrens am 30. November 2009 eingelegte Widerspruch wurde mit Entscheidung des INSS vom 9. Dezember 2009 zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens anstatt der erforderlichen Mindestbeitragszeit von 4931 Tagen lediglich 1362 Tage aufzuweisen habe, die sich folgendermaßen zusammensetzten:

41 Tage, vom 24. Oktober 1960 bis zum 3. Dezember 1960, als Vollzeitbeschäftigte;

336 Tage als gleichgestellte Tage aufgrund von drei Geburten (3 x 112);

656 Tage, vom 1. November 1991 bis zum 30. Oktober 2009, d. h. ein Zeitraum von 6564 Tagen, der aufgrund der Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 10 % angerechnet wurde;

329 Tage durch Gleichstellung aufgrund des nach der Siebten Zusatzbestimmung zur LGSS vorgesehenen Berichtigungsfaktors (1,5).

12

Nach Zurückweisung ihres Widerspruchs erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim Juzgado de lo Social de Barcelona eine Klage, mit der sie geltend machte, dass die Siebte Zusatzbestimmung zur LGSS, nach der ihr die Altersrente verweigert worden sei, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoße. Diese Vorschrift sehe nämlich vor, dass ein Teilzeitbeschäftigter gegenüber einem Vollzeitbeschäftigten – selbst bei Anwendung des Berichtigungsfaktors von 1,5 – eine längere Beitragszeit zurücklegen müsse, um Anspruch auf eine Leistung zu haben, die bereits proportional geringer sei. Darüber hinaus führe diese Vorschrift zu einer mittelbaren Diskriminierung, denn es sei statistisch gesehen unstreitig, dass diese Art von Vertrag vornehmlich von Frauen geschlossen werde (ungefähr zu 80 %).

13

Das vorlegende Gericht erläutert in Bezug auf die Siebte Zusatzbestimmung zur LGSS, dass diese Regelung auf dem Grundsatz beruhe, dass im Rahmen der Berechnung der erforderlichen Beitragszeiten ausschließlich die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden berücksichtigt würden. Dieser Grundsatz werde allerdings durch zwei Korrekturregeln gemildert, um Teilzeitbeschäftigten den Zugang zum Schutz der sozialen Sicherheit zu erleichtern.

14

Dazu sei erstens der Begriff eines „theoretischen Beitragstags“ festgelegt worden, der fünf tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden täglich oder 1826 Stunden jährlich entspreche. Es würden die auf der Grundlage der geleisteten Arbeitsstunden gezahlten Beiträge berücksichtigt, die in theoretische Beitragstage umgerechnet würden.

15

Zweitens komme für die Begründung eines Anspruchs auf Leistungen bei Alter oder Erwerbsunfähigkeit eine spezifische Korrekturregel zur Anwendung, nach der die Anzahl der theoretischen Beitragstage mit 1,5 multipliziert und dadurch erhöht werde, um den Zugang zum Schutz zu erleichtern.

16

Da die Siebte Zusatzbestimmung zur LGSS ausschließlich die geleisteten Arbeitsstunden, nicht aber die Beitragszeiten, d. h. die Arbeitstage, berücksichtige, habe sie letztlich die – wenn auch berichtigte – zweifache Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes zur Folge. Sie setze nämlich für den Anspruch auf eine Altersrente eine im Verhältnis gesehen längere Beitragszeit voraus, deren Bemessungsgrundlage aufgrund der Teilzeitbeschäftigung bereits proportional herabgesetzt sei. Von einem Teilzeitbeschäftigten werde demnach für den Erhalt einer Altersrente, deren Höhe bereits unmittelbar und proportional zur Verringerung der Arbeitszeit herabgesetzt sei, eine im umgekehrten Verhältnis zur Verkürzung seiner Arbeitszeit längere Wartezeit verlangt.

17

Bei der Klägerin des Ausgangsverfahrens führe die Siebte Zusatzbestimmung zur LGSS dazu, dass die Zahlung von Beiträgen für 10 % der täglichen Arbeitszeit über einen Zeitraum von 18 Jahren bei der Berechnung der für den Erhalt einer Altersrente erforderlichen Beitragszeiten der Zahlung von Beiträgen über weniger als drei Jahre entspreche. Demzufolge müsste die Klägerin des Ausgangsverfahrens bei einer Teilzeitbeschäftigung mit vier Arbeitsstunden pro Woche 100 Jahre lang arbeiten, um die Mindestwartezeit von 15 Jahren nachweisen zu können, die ihr einen Anspruch auf eine Altersrente von monatlich 112,93 Euro gäbe.

18

Unter diesen Umständen hat das Juzgado de lo Social de Barcelona das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Fällt eine beitragsbezogene Altersrente wie die im spanischen System der sozialen Sicherheit vorgesehene, die sich aus den von dem und für den Arbeitnehmer während seines Arbeitslebens gezahlten Beiträgen ergibt, unter den Begriff der „Beschäftigungsbedingungen“, auf den sich das Diskriminierungsverbot in Paragraf 4 der im Anhang der Richtlinie 97/81 wiedergegebenen Rahmenvereinbarung bezieht?

2.

Sollte die erste Frage bejaht werden und davon auszugehen sein, dass eine beitragsbezogene Altersrente wie die im spanischen System der sozialen Sicherheit vorgesehene unter den Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81 fällt: Ist das in diesem Paragrafen enthaltene Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass es einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der – infolge der zweifachen Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes – Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten proportional längere Beitragszeiten zurücklegen müssen, um gegebenenfalls einen Anspruch auf eine beitragsbezogene Altersrente zu haben, deren Höhe proportional zu ihrer Arbeitszeit herabgesetzt ist?

3.

Zusatzfrage: Kann eine Regelung wie die spanische (in Form der Siebten Zusatzbestimmung zur LGSS) betreffend das System der Beitragszahlungen und den Zugang zur Altersrente für Teilzeitbeschäftigte und deren Bemessung als einer bzw. eine der „Entgeltsbestandteile und -bedingungen“ angesehen werden, auf die sich das Diskriminierungsverbot in Art. 4 der Richtlinie 2006/54 und Art. 157 AEUV bezieht?

4.

Subsidiär, falls die vorstehenden Fragen verneint werden sollten, weil die spanische beitragsbezogene Altersrente weder unter den Begriff der „Beschäftigungsbedingungen“ noch unter den des „Entgelts“ fällt: Ist das in Art. 4 der Richtlinie 79/7 enthaltene Verbot der mittelbaren oder unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der – infolge der zweifachen Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes –Teilzeitbeschäftigte (bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt) gegenüber Vollzeitbeschäftigten proportional längere Beitragszeiten zurücklegen müssen, um gegebenenfalls einen Anspruch auf eine beitragsbezogene Altersrente zu haben, deren Höhe proportional zu ihrer Arbeitszeit herabgesetzt ist?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

19

Das vorlegende Gericht wirft mit seinen Vorlagefragen zunächst die Vorfrage auf, ob eine Rente wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Anwendungsbereich von Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung, Art. 157 AEUV, Art. 4 der Richtlinie 2006/54 und/oder Art. 4 der Richtlinie 79/7 fällt.

20

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass unter den Begriff „Entgelt“ im Sinne von Art. 157 Abs. 2 AEUV Versorgungsbezüge fallen, die von dem Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abhängen, ausgenommen Versorgungsbezüge aus einem gesetzlichen System, zu deren Finanzierung Arbeitnehmer, Arbeitgeber und eventuell die öffentliche Hand in einem Maße beitragen, das weniger von einem Beschäftigungsverhältnis abhängt, sondern vielmehr durch sozialpolitische Erwägungen bestimmt wird (Urteil vom 10. Juni 2010, Bruno u. a., C-395/08 und C-396/08, Slg. 2010, I-5119, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher können unmittelbar durch Gesetz geregelte, keinerlei vertragliche Vereinbarungen innerhalb des Unternehmens oder in dem betroffenen Gewerbezweig zulassende Sozialversicherungssysteme oder -leistungen, wie z. B. Altersrenten, die zwingend für allgemein umschriebene Gruppen von Arbeitnehmern gelten, nicht in den Entgeltbegriff einbezogen werden (vgl. Urteil vom 29. November 2001, Griesmar, C-366/99, Slg. 2001, I-9383, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21

Außerdem fallen unter den Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung Versorgungsbezüge, wenn sie von einem Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abhängen, ausgenommen Versorgungsbezüge aus einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit, die weniger von einem Beschäftigungsverhältnis abhängen, sondern vielmehr durch sozialpolitische Erwägungen bestimmt werden (Urteil Bruno u. a., Randnr. 42).

22

Eine Rente wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die, wie die spanische Regierung ausgeführt hat, die allgemeinste der vom spanischen Recht geregelten Renten ist, erscheint als eine Rente, die weniger von einem Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abhängt, sondern vielmehr durch sozialpolitische Erwägungen im Sinne der in den Randnrn. 20 und 21 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung bestimmt wird und auf die Art. 157 AEUV und Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung deshalb keine Anwendung finden.

23

Erwägungen der Sozialpolitik, der Staatsorganisation und der Ethik oder gar den Haushalt betreffende Überlegungen, die bei der Festlegung eines Systems durch den nationalen Gesetzgeber tatsächlich oder möglicherweise eine Rolle gespielt haben, können zwar nicht ausschlaggebend sein, wenn die Versorgung nur für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern gilt, wenn sie unmittelbar von der abgeleisteten Dienstzeit abhängt und wenn ihre Höhe nach den letzten Bezügen berechnet wird (Urteil Bruno u. a., Randnr. 47).

24

Auf jeden Fall ist jedoch die erste dieser drei Voraussetzungen offenbar nicht erfüllt, da die dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen keinerlei Hinweis darauf enthalten, dass eine Altersrente wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nur für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern gilt.

25

Folglich sind – wie das INSS, die spanische und die belgische Regierung sowie die Europäische Kommission zu Recht geltend machen – weder Art. 157 AEUV noch Art. 4 der Richtlinie 2006/54, der zur Durchführung der erstgenannten Vorschrift dient, auf eine Altersrente wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwendbar.

26

Eine derartige Rente kann jedoch unter die Richtlinie 79/7 fallen, da sie im Rahmen eines gesetzlichen Systems des Schutzes gegen eines der in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie aufgeführten Risiken, nämlich das Alter, gewährt wird und unmittelbar und in effektiver Weise mit dem Schutz gegen dieses Risiko zusammenhängt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2011, Brachner, C-123/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 40).

27

Unter diesen Umständen ist lediglich die vierte Frage zu beantworten.

Zur vierten Frage

28

Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der Teilzeitbeschäftigte, bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt, gegenüber Vollzeitbeschäftigten proportional längere Beitragszeiten zurücklegen müssen, um gegebenenfalls einen Anspruch auf eine beitragsbezogene Altersrente zu haben, deren Höhe proportional zu ihrer Arbeitszeit herabgesetzt ist.

29

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 79/7 vor, wenn eine nationale Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt (vgl. u. a. Urteil Brachner, Randnr. 56).

30

Zum einen benachteiligt eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, wie sich aus der Vorlageentscheidung und insbesondere aus den in Randnr. 17 des vorliegenden Urteils dargelegten Ausführungen des vorlegenden Gerichts ergibt, Teilzeitbeschäftigte wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die über lange Zeit in geringem Umfang teilzeitbeschäftigt waren, denn diese Regelung nimmt den betroffenen Arbeitnehmern durch die Methode, die zur Berechnung der für den Erhalt einer Altersrente erforderlichen Beitragszeiten angewandt wird, praktisch jede Möglichkeit, eine derartige Altersrente zu erhalten.

31

Zum anderen weist das vorlegende Gericht selbst darauf hin, dass es statistisch erwiesen ist, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche wesentlich mehr Frauen als Männer betrifft, da in Spanien mindestens 80 % der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind.

32

Daraus folgt, dass eine derartige Regelung gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 verstößt, es sei denn, dass diese Maßnahme durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Dies ist der Fall, wenn die gewählten Mittel einem legitimen Ziel der Sozialpolitik des Mitgliedstaats dienen, um dessen Rechtsvorschriften es geht, und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Brachner, Randnr. 70).

33

Das INSS und die spanische Regierung machen geltend, das Erfordernis, bestimmte Beitragszeiten zurückgelegt zu haben, um für bestimmte Leistungen in Betracht zu kommen, sei Ausdruck eines allgemeinen sozialpolitischen Ziels des nationalen Gesetzgebers, denn dieses Erfordernis sei im Rahmen eines beitragsbezogenen Systems der sozialen Sicherheit u. a. für die Wahrung des finanziellen Gleichgewichts dieses Systems von grundlegender Bedeutung.

34

Hierzu ist festzustellen, dass die betroffenen Teilzeitbeschäftigten, wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, Beiträge gezahlt haben, die insbesondere der Finanzierung des Altersversorgungssystems dienen. Außerdem steht fest, dass die Höhe der Rente, wenn sie eine solche erhalten, proportional zu ihrer Arbeitszeit und den gezahlten Beiträgen herabgesetzt ist.

35

Wie jedoch die belgische Regierung und die Kommission zu Recht vortragen, enthalten die dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen nichts, was darauf schließen ließe, dass es sich unter diesen Umständen bei der Versagung jeglicher Möglichkeit für Teilzeitbeschäftigte wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine Altersrente zu erhalten, um eine Maßnahme handelt, die zur Erreichung des vom INSS und von der spanischen Regierung genannten Ziels, das beitragsbezogene System der sozialen Sicherheit zu schützen, tatsächlich erforderlich ist, und dass dieses Ziel nicht durch eine andere, für die betroffenen Arbeitnehmer weniger einschneidende Maßnahme erreicht werden könnte.

36

Diese Auslegung wird durch das Vorbringen des INSS und der spanischen Regierung, wonach die beiden in den Randnrn. 14 und 15 des vorliegenden Urteils genannten Korrekturmaßnahmen Teilzeitbeschäftigten den Zugang zur Altersrente erleichtern sollen, nicht in Frage gestellt. Diese beiden Korrekturmaßnahmen haben nämlich offenkundig auf die Situation von Teilzeitbeschäftigten wie der Klägerin des Ausgangsverfahrens keinerlei positive Auswirkungen gehabt.

37

Was den Hinweis der spanischen Regierung auf das Urteil vom 16. Juli 2009, Gómez-Limón Sánchez-Camacho (C-537/07, Slg. 2009, I-6525), angeht, genügt die Feststellung, dass entsprechend dem Vorbringen der Kommission dieses Urteil, wie sich aus seiner Randnr. 60 ergibt, in Bezug auf die Richtlinie 79/7 im Wesentlichen die Auslegung ihres Art. 7 Abs. 1 Buchst. b betrifft, wonach die Mitgliedstaaten befugt sind, den Erwerb von Ansprüchen auf Leistungen der sozialen Sicherheit aufgrund gesetzlicher Regelungen im Anschluss an Zeiträume der Beschäftigungsunterbrechung wegen Kindererziehung aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich jedoch nicht, dass diese Vorschrift auf das Ausgangsverfahren anwendbar wäre.

38

Demzufolge ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 4 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der Teilzeitbeschäftigte, bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt, gegenüber Vollzeitbeschäftigten proportional längere Beitragszeiten zurücklegen müssen, um gegebenenfalls einen Anspruch auf eine beitragsbezogene Altersrente zu haben, deren Höhe proportional zu ihrer Arbeitszeit herabgesetzt ist.

Kosten

39

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der Teilzeitbeschäftigte, bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt, gegenüber Vollzeitbeschäftigten proportional längere Beitragszeiten zurücklegen müssen, um gegebenenfalls einen Anspruch auf eine beitragsbezogene Altersrente zu haben, deren Höhe proportional zu ihrer Arbeitszeit herabgesetzt ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.

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