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Document 62010CJ0293

Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 26. Mai 2011.
Gebhard Stark gegen D.A.S. Österreichische Allgemeine Rechtsschutzversicherung AG.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Landesgericht Innsbruck - Österreich.
Rechtsschutzversicherung - Richtlinie 87/344/EWG - Art. 4 Abs. 1 - Freie Wahl des Rechtsanwalts durch den Versicherungsnehmer - Beschränkung der Erstattung der mit der Rechtsvertretung des Versicherungsnehmers verbundenen Kosten - Erstattung nur bis zur Höhe des Betrags, der von einem im Sprengel des in erster Instanz zuständigen Gerichts ansässigen Rechtsanwalt verlangt wird.
Rechtssache C-293/10.

Sammlung der Rechtsprechung 2011 I-04711

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:355

Rechtssache C‑293/10

Gebhard Stark

gegen

D.A.S. Österreichische Allgemeine Rechtsschutzversicherung AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Innsbruck)

„Rechtsschutzversicherung – Richtlinie 87/344/EWG – Art. 4 Abs. 1 – Freie Wahl des Rechtsanwalts durch den Versicherungsnehmer – Beschränkung der Erstattung der mit der Rechtsvertretung des Versicherungsnehmers verbundenen Kosten – Erstattung nur bis zur Höhe des Betrags, der von einem im Sprengel des in erster Instanz zuständigen Gerichts ansässigen Rechtsanwalt verlangt wird“

Leitsätze des Urteils

Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Rechtsschutzversicherung – Richtlinie 87/344 – Recht des Versicherungsnehmers, seinen Rechtsvertreter frei zu wählen – Umfang

(Richtlinie 87/344 des Rates, Art. 4 Abs. 1)

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung nicht entgegensteht, wonach vereinbart werden kann, dass der Rechtsschutzversicherte zu seiner Vertretung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren nur solche zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen wählen darf, die ihren Kanzleisitz am Ort des Sitzes der in erster Instanz zuständigen Gerichts- oder Verwaltungsbehörde haben, soweit – zur Vermeidung einer Aushöhlung des Rechts des Versicherungsnehmers, die mit seiner Vertretung beauftragte Person frei zu wählen – diese Beschränkung nur den Umfang betrifft, in dem der Rechtsschutzversicherer die mit dem Tätigwerden eines Vertreters verbundenen Kosten deckt, und die von diesem Versicherer tatsächlich gezahlte Entschädigung ausreicht, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

(vgl. Randnr. 36 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

26. Mai 2011(*)

„Rechtsschutzversicherung – Richtlinie 87/344/EWG – Art. 4 Abs. 1 – Freie Wahl des Rechtsanwalts durch den Versicherungsnehmer – Beschränkung der Erstattung der mit der Rechtsvertretung des Versicherungsnehmers verbundenen Kosten – Erstattung nur bis zur Höhe des Betrags, der von einem im Sprengel des in erster Instanz zuständigen Gerichts ansässigen Rechtsanwalt verlangt wird“

In der Rechtssache C‑293/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Innsbruck (Österreich) mit Entscheidung vom 22. April 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juni 2010, in dem Verfahren

Gebhard Stark

gegen

D.A.S. Österreichische Allgemeine Rechtsschutzversicherung AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen sowie der Richterinnen C. Toader (Berichterstatterin) und A. Prechal,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Stark, vertreten durch Rechtsanwalt H. Kofler,

–        der D.A.S. Österreichische Allgemeine Rechtsschutzversicherung AG, vertreten durch Rechtsanwalt E. R. Karauscheck,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch K.‑P. Wojcik und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung (ABl. L 185, S. 77).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der D.A.S. Österreichische Allgemeine Rechtsschutzversicherung AG (im Folgenden: D.A.S.) und Herrn Stark, der insbesondere die Frage der Gültigkeit einer in allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung enthaltenen Klausel betrifft, wonach der Versicherer die Versicherungsleistungen auf die Erstattung des Betrags beschränken kann, der üblicherweise von einem Rechtsanwalt verlangt wird, der am Ort des Sitzes des Gerichts ansässig ist, bei dem eine von der Versicherung erfasste Rechtssache anhängig ist.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 87/344 lautet:

„Das Interesse des Rechtsschutzversicherten setzt voraus, dass Letzterer selbst seinen Rechtsanwalt oder eine andere Person wählen kann, die die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften im Rahmen von Gerichts‑ und Verwaltungsverfahren anerkannten Qualifikationen besitzt, und zwar immer, wenn es zu einer Interessenkollision kommt.“

4        Art. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die vorliegende Richtlinie bezweckt die Koordinierung der Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften über die Rechtsschutzversicherung …; damit soll die tatsächliche Ausübung der Niederlassungsfreiheit erleichtert und eine Interessenkollision weitestmöglich ausgeschaltet werden, die insbesondere entstehen können, wenn bei demselben Versicherer ein anderer Versicherer versichert ist oder wenn der Versicherer den Rechtsschutzversicherten gleichzeitig für andere … Versicherungszweige versichert hat; falls eine solche Interessenkollision dennoch auftritt, soll deren Behebung ermöglicht werden.“

5        Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Diese Richtlinie gilt für die Rechtsschutzversicherung. Diese besteht darin, dass gegen Zahlung einer Prämie die Verpflichtung eingegangen wird, die Kosten des Gerichtsverfahrens zu übernehmen und andere sich aus dem Versicherungsvertrag ergebende Leistungen zu erbringen, insbesondere um

–        dem Versicherten den Schaden auf außergerichtlichem Wege oder durch ein Zivil- oder Strafverfahren zu ersetzen,

–        den Versicherten in einem Zivil‑, Straf‑, Verwaltungs‑ oder anderen Verfahren oder im Fall einer gegen ihn gerichteten Forderung zu verteidigen oder zu vertreten.“

6        Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„In jedem Rechtsschutz-Versicherungsvertrag ist ausdrücklich anzuerkennen, dass

a)      wenn ein Rechtsanwalt oder eine sonstige nach dem nationalen Recht entsprechend qualifizierte Person in Anspruch genommen wird, um in einem Gerichts‑ oder Verwaltungsverfahren den Versicherten zu verteidigen, zu vertreten oder seine Interessen wahrzunehmen, dem Versicherten die Wahl des Rechtsanwalts oder der sonstigen Person freisteht;

b)      der Versicherte einen Rechtsanwalt oder, wenn er es vorzieht, und soweit das nationale Recht dies zulässt, eine andere entsprechend qualifizierte Person frei wählen kann, die seine Interessen vertritt, wenn eine Interessenkollision entsteht.“

 Nationales Recht

7        Nach § 23 Abs. 1 des Rechtsanwaltstarifgesetzes (RATG) gebührt bei Entlohnung bestimmter Nebenleistungen des Rechtsanwalts in zivilrechtlichen Streitigkeiten ein pauschaler Einheitssatz.

8        Nach § 23 Abs. 5 RATG ist für die genannten Leistungen der auf diese Leistung entfallende Teil des Einheitssatzes doppelt zuzusprechen, wenn der Rechtsanwalt die Leistung an einem Ort außerhalb des Sitzes seiner Kanzlei vornimmt.

9        Der österreichische Gesetzgeber hat Art. 4 der Richtlinie 87/344 durch § 158k des Versicherungsvertragsgesetzes (VersVG) umgesetzt, in dem es heißt:

„(1)      Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, zu seiner Vertretung in einem Gerichts‑ oder Verwaltungsverfahren eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person frei zu wählen. Darüber hinaus kann der Versicherungsnehmer zur sonstigen Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen einen Rechtsanwalt frei wählen, wenn beim Versicherer eine Interessenkollision entstanden ist.

(2)      Im Versicherungsvertrag kann vereinbart werden, dass der Versicherungsnehmer zu seiner Vertretung in einem Gerichts‑ oder Verwaltungsverfahren nur solche zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen wählen darf, die ihren Kanzleisitz am Ort der Gerichts‑ oder Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist. Für den Fall, dass an diesem Ort nicht mindestens vier solcher Personen ihren Kanzleisitz haben, muss sich das Wahlrecht auf Personen im Sprengel desjenigen Gerichtshofs erster Instanz erstrecken, in dem sich die genannte Behörde befindet.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10      Zwischen Herrn Stark und D.A.S. bestand seit 1997 ein Rechtsschutzversicherungsverhältnis, das u. a. einen Arbeitsgerichts-Rechtsschutz für arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen und als zusätzliche Leistung einen Versicherungsschutz für nebenberufliche selbständige Erwerbstätige umfasste.

11      Diesem Rechtsschutzversicherungsverhältnis lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung von 1997 (im Folgenden: ARB 97) zugrunde. Deren Klausel 10, die unmittelbar auf § 158k VersVG zurückgeht, lautet wie folgt:

„1.)      Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, zu seiner Vertretung vor Gerichten oder Verwaltungsbehörden eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person (Rechtsanwalt, Notar, etc.) frei zu wählen. Der Versicherer ist verpflichtet, den Versicherungsnehmer auf sein Wahlrecht hinzuweisen, sobald dieser Versicherungsschutz für die Einleitung eines Gerichts‑ oder Verwaltungsverfahrens verlangt.

3.)      Das Wahlrecht nach Punkt 1.) … bezieht sich nur auf Personen, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist. Wenn am Ort dieses Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde nicht mindestens vier solcher Personen ihren Kanzleisitz haben, erstreckt sich das Wahlrecht auf eine im Sprengel des zuständigen Landesgerichtes ansässige vertretungsbefugte Person.

…“

12      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 16. Dezember 2009 die mit § 158k Abs. 2 VersVG verfolgten Zwecke grundsätzlich gebilligt, aber entschieden hat, dass Klausel 10 Punkt 3 dahin auszulegen ist, dass ein Versicherungsnehmer auch einen nicht ortsansässigen Rechtsvertreter wählen kann, wenn dieser verbindlich erklärt, seine Kosten wie ein Rechtsvertreter abzurechnen, der am Ort des Sitzes des in erster Instanz zuständigen Gerichts ansässig ist.

13      Herr Stark ist in Landeck (Österreich) wohnhaft, einem Ort in ungefähr 600 km Entfernung von Wien. Am 24. März 2006 erhob er gemeinsam mit vier weiteren Personen beim Arbeits‑ und Sozialgericht Wien eine Klage gegen seinen früheren Arbeitgeber. Mit ihrer Vertretung vor diesem Gericht beauftragten Herr Stark und die übrigen Kläger in freier Wahl einen Rechtsanwalt, der seine Kanzlei in Landeck hatte.

14      Mit an diesen Rechtsanwalt gerichtetem Schreiben vom 8. Mai 2006 bestätigte D.A.S., dass sie die Kosten des Gerichtsverfahrens vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht Wien decken werde, wies aber darauf hin, dass sie die Deckung auf die Kosten beschränken werde, die üblicherweise von einem am Ort des Sitzes des Gerichts ansässigen Rechtsanwalt in Rechnung gestellt würden.

15      Der Rechtsanwalt von Herrn Stark antwortete mit E-Mail vom selben Tag, dass er die Abrechnung nicht nach dem Tarif eines Anwalts vornehmen werde, der seine Kanzlei im Sprengel des Gerichts habe, da der Aufwand, in Wien verhandeln zu müssen, für seine Kanzlei sehr hoch sei.

16      In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien am 4. Juli 2008 schlossen die Parteien des Verfahrens einen Vergleich.

17      D.A.S. zahlte dem Rechtsanwalt von Herrn Stark einen Betrag von 5 782,19 Euro, der für die in dem Verfahren erbrachten Leistungen den Kosten eines Rechtsanwalts im Sprengel des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien entsprach, die nicht nach dem doppelten Einheitssatz gemäß § 23 Abs. 5 RATG berechnet waren, sondern nach dem einfachen Einheitssatz gemäß § 23 Abs. 1 RATG. Dieser Betrag deckte nicht den Gesamtbetrag der Kosten, die Herrn Stark von seinem Rechtsanwalt in Rechnung gestellt worden waren.

18      Mit am 27. Februar 2009 beim Bezirksgericht Landeck erhobener Klage begehrte D.A.S., Herrn Stark zur Zahlung einer Prämie in Höhe von 211,46 Euro aus dem Rechtsschutzversicherungsverhältnis zwischen ihnen zu verpflichten.

19      Diesem Klagebegehren stellte Herr Stark aufrechnungsweise eine Gegenforderung in Höhe von 3 000 Euro gegenüber, was dem Betrag entsprach, der bei Anwendung des doppelten Einheitssatzes gemäß § 23 Abs. 5 RATG noch für die Leistungen des Rechtsanwalts geschuldet wurde, der ihn im Verfahren vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht Wien vertreten hatte. Er brachte auf diese Weise die Frage zur Sprache, ob im Rahmen des Rechtsschutzversicherungsverhältnisses mit D.A.S. der Differenzbetrag zwischen dem einfachen und dem doppelten Einheitssatz für die Leistungen seines Rechtsanwalts im Zusammenhang mit den fünf Verhandlungsterminen vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht Wien zu berücksichtigen war. Zur Stützung seiner Einrede machte Herr Stark geltend, dass § 158k Abs. 2 VersVG und Klausel 10 Punkt 3 ARB 97 gegen das Unionsrecht verstießen.

20      Das Bezirksgericht Landeck stellte die Klageforderung von D.A.S., nicht aber die Gegenforderung von Herrn Stark als zu Recht bestehend fest und verurteilte diesen daher zur Zahlung von 211,46 Euro samt Anhang. In seinem Urteil vertrat das Bezirksgericht Landeck die Auffassung, dass das Unionsrecht der Anwendung von § 158k Abs. 2 VersVG nicht entgegenstehe, der die Wahlfreiheit nicht beschränke, sondern dem auswärtigen Rechtsanwalt nur eine pekuniäre Beschränkung auferlege.

21      Herr Stark legte gegen dieses Urteil Berufung beim vorlegenden Gericht ein, in der er erneut geltend machte, dass Art. 4 der Richtlinie 87/344 der Anwendung von § 158k Abs. 2 RATG entgegenstehe.

22      Das Landesgericht Innsbruck hat daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344/EWG dahin auszulegen, dass ihm § 158k Abs. 2 VersVG und eine darauf fußende, in allgemeinen Versicherungsbedingungen eines Rechtsschutzversicherers enthaltene Klausel, dass im Versicherungsvertrag vereinbart werden kann, dass der Versicherungsnehmer zu seiner Vertretung in einem Gerichts‑ oder Verwaltungsverfahren nur solche zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen wählen darf, die ihren Kanzleisitz am Ort der Gerichts‑ oder Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist, widersprechen?

 Zur Vorlagefrage

23      Mit seiner Frage möchte das Landesgericht Innsbruck wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344 einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach vereinbart werden kann, dass der Versicherungsnehmer zu seiner Vertretung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren nur solche zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen wählen darf, die ihren Kanzleisitz am Ort des Sitzes der Gerichts- oder Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist.

 Zur Zulässigkeit

24      Nach Ansicht der österreichischen Regierung ist die Vorlagefrage hypothetischer Natur, weil der Beklagte in seiner Wahlfreiheit bezüglich eines Rechtsvertreters in Wirklichkeit nicht eingeschränkt worden sei und der Ausgang des Verfahrens damit nicht von der Beantwortung dieser Frage abhänge.

25      Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteil vom 24. Juni 2008, Commune de Mesquer, C‑188/07, Slg. 2008, I‑4501, Randnr. 30).

26      Wie in den Randnrn. 18 bis 21 des vorliegenden Urteils dargelegt worden ist, hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits aber gerade davon ob, ob der Umstand, dass Herrn Stark die von seinem Rechtsanwalt in Rechnung gestellten Kosten nicht in voller Höhe erstattet wurden, während dies geschehen wäre, wenn er einen in Wien ansässigen Anwalt gewählt hätte, mit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344 vereinbar ist.

27      Das vorlegende Gericht benötigt daher eine Auslegung dieser unionsrechtlichen Bestimmung, um den Ausgangsrechtsstreit entscheiden zu können. Die von der österreichischen Regierung erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist deshalb zurückzuweisen.

 Zur Begründetheit

28      Sowohl aus dem elften Erwägungsgrund als auch aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344 geht hervor, dass das Interesse des Rechtsschutzversicherten voraussetzt, dass es diesem freisteht, im Rahmen von Gerichts‑ und Verwaltungsverfahren selbst seinen Rechtsanwalt oder eine sonstige nach nationalem Recht entsprechend qualifizierte Person zu wählen.

29      Der Gerichtshof hat hierzu bereits entschieden, dass diese Bestimmung, in der die freie Wahl des Vertreters vorgesehen ist, allgemeine Bedeutung hat und verbindlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2009, Eschig, C‑199/08, Slg. 2009, I‑8295, Randnr. 47).

30      Daraus folgt, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche in der Auslegung, die sie durch das in Randnr. 12 des vorliegenden Urteils angeführte Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 16. Dezember 2009 erhalten hat, diese Wahlfreiheit nicht auf die Rechtsanwälte, die ihren Kanzleisitz am Ort der für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständigen Gerichts‑ oder Verwaltungsbehörde haben, oder auf die Rechtsanwälte eingrenzen darf, die sich verpflichten, ihre Kosten wie die erstgenannten Anwälte abzurechnen.

31      In den Randnrn. 65 und 66 des Urteils Eschig hat der Gerichtshof aber festgestellt, dass die Richtlinie 87/344 keine vollständige Harmonisierung der auf die Rechtsschutzversicherungsverträge anwendbaren Vorschriften bezweckt und dass es den Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts daher freisteht, diese Vorschriften festzulegen, soweit dies unter Beachtung des Unionsrechts, insbesondere des Art. 4 der Richtlinie 87/344, geschieht.

32      So ist die Frage des Umfangs der Deckung der mit dem Tätigwerden eines Vertreters verbundenen Kosten, um die es im Ausgangsverfahren geht, in der Richtlinie nicht ausdrücklich geregelt. Weder die Vorschriften noch die Erwägungsgründe der Richtlinie lassen nämlich den Schluss zu, dass die Bestimmung des Betrags, den der Rechtsschutzversicherer zur Deckung der Kosten gewähren muss, die der mit der Vertretung des Versicherungsnehmers beauftragten Person entstanden sind, in der Richtlinie geregelt ist.

33      Die Wahlfreiheit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344 bedeutet mithin nicht, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet wären, Versicherern unter allen Umständen die vollständige Deckung der im Rahmen der Vertretung eines Versicherungsnehmers entstandenen Kosten unabhängig davon vorzuschreiben, wo im Verhältnis zum Sitz des Gerichts oder der Verwaltungsbehörde, die in erster Instanz für den Rechtsstreit zuständig sind, die berufsmäßig zur Vertretung des Betreffenden befugte Person ansässig ist, sofern diese Freiheit nicht ausgehöhlt wird. Dies wäre der Fall, wenn die Beschränkung der Übernahme dieser Kosten eine angemessene Wahl des Vertreters durch den Versicherungsnehmer faktisch unmöglich machen würde. Jedenfalls ist es Sache der eventuell mit dieser Frage befassten nationalen Gerichte, zu prüfen, ob eine derartige Beschränkung vorliegt.

34      Im Übrigen schließt eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche nicht das Recht der Vertragsparteien aus, zu vereinbaren, dass die Rechtsschutzversicherung auch die Erstattung der Kosten umfasst, die mit dem Tätigwerden von Vertretern verbunden sind, die nicht am Ort des Sitzes des zuständigen Gerichts ansässig sind, unter Umständen gegen Zahlung einer höheren Prämie durch den Versicherungsnehmer.

35      Im vorliegenden Fall konnte Herr Stark seinen Rechtsanwalt wählen, ohne dass der Versicherer Einwände erhoben hat. Zudem müsste er nur diejenigen Kosten tragen, die mit der Entfernung der Kanzlei seines Rechtsanwalts vom Sitz des zuständigen Gerichts zusammenhängen, was vorbehaltlich der insoweit vom vorlegenden Gericht anzustellenden Prüfungen im Allgemeinen nicht geeignet erscheint, die Freiheit der Wahl des Rechtsanwalts zu behindern.

36      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Bestimmung nicht entgegensteht, wonach vereinbart werden kann, dass der Rechtsschutzversicherte zu seiner Vertretung in einem Gerichts‑ oder Verwaltungsverfahren nur solche zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen wählen darf, die ihren Kanzleisitz am Ort des Sitzes der in erster Instanz zuständigen Gerichts‑ oder Verwaltungsbehörde haben, soweit – zur Vermeidung einer Aushöhlung des Rechts des Versicherungsnehmers, die mit seiner Vertretung beauftragte Person frei zu wählen – diese Beschränkung nur den Umfang betrifft, in dem der Rechtsschutzversicherer die mit dem Tätigwerden eines Vertreters verbundenen Kosten deckt, und die von diesem Versicherer tatsächlich gezahlte Entschädigung ausreicht, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 Kosten

37      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung nicht entgegensteht, wonach vereinbart werden kann, dass der Rechtsschutzversicherte zu seiner Vertretung in einem Gerichts‑ oder Verwaltungsverfahren nur solche zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen wählen darf, die ihren Kanzleisitz am Ort des Sitzes der in erster Instanz zuständigen Gerichts‑ oder Verwaltungsbehörde haben, soweit – zur Vermeidung einer Aushöhlung des Rechts des Versicherungsnehmers, die mit seiner Vertretung beauftragte Person frei zu wählen – diese Beschränkung nur den Umfang betrifft, in dem der Rechtsschutzversicherer die mit dem Tätigwerden eines Vertreters verbundenen Kosten deckt, und die von diesem Versicherer tatsächlich gezahlte Entschädigung ausreicht, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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