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Document 62003CJ0004

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 13. Juli 2006.
Gesellschaft für Antriebstechnik mbH & Co. KG gegen Lamellen und Kupplungsbau Beteiligungs KG.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Düsseldorf - Deutschland.
Brüsseler Übereinkommen - Artikel 16 Nummer 4 - Klagen, die die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten zum Gegenstand haben - Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts des Ortes der Hinterlegung oder Registrierung - Klage auf Feststellung der Nichtverletzung - Inzident aufgeworfene Frage der Gültigkeit des Patents.
Rechtssache C-4/03.

Sammlung der Rechtsprechung 2006 I-06509

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2006:457

Rechtssache C-4/03

Gesellschaft für Antriebstechnik mbH & Co. KG

gegen

Lamellen und Kupplungsbau Beteiligungs KG

(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf)

„Brüsseler Übereinkommen – Artikel 16 Nummer 4 – Klagen, die die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten zum Gegenstand haben – Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts des Ortes der Hinterlegung oder Registrierung – Klage auf Feststellung der Nichtverletzung – Inzident aufgeworfene Frage der Gültigkeit des Patents“

Schlussanträge des Generalanwalts L. A. Geelhoed vom 16. September 2004 

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 13. Juli 2006 

Leitsätze des Urteils

Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen – Ausschließliche Zuständigkeiten – Klagen, die die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten zum Gegenstand haben

(Übereinkommen vom 27. September 1968, Artikel 16 Nummer 4)

Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in seiner letzten Fassung gemäß dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden ist in dem Sinne auszulegen, dass die ausschließliche Zuständigkeitsregel, die er aufstellt, alle Arten von Rechtsstreitigkeiten über die Eintragung oder die Gültigkeit eines Patents betrifft, unabhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird. Denn würde dem Gericht, das in der Hauptsache mit einer Verletzungsklage oder einer Klage auf Feststellung der Nichtverletzung eines Patents befasst ist, gestattet, inzident die Nichtigkeit des betreffenden Patents festzustellen, so würde dies die zwingende Natur der in dieser Vorschrift vorgesehenen Zuständigkeitsregel beeinträchtigen und ihre Unabdingbarkeit umgangen werden. Außerdem würde die dadurch eröffnete Möglichkeit zu einer Häufung der Gerichtsstände führen und könnte so die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln des Übereinkommens und damit den Grundsatz der Rechtssicherheit, der diesem zugrunde liegt, beeinträchtigen. Würde schließlich hingenommen, dass es im System des Übereinkommens zu Entscheidungen kommt, in denen andere Gerichte inzident über die Gültigkeit eines Patents entschieden als jene des Staates der Erteilung des Patents, so würde dies auch die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen erhöhen, obwohl diese gerade durch das Übereinkommen vermieden werden soll.

(vgl. Randnrn. 26-29, 31 und Tenor)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)

13. Juli 2006(*)

„Brüsseler Übereinkommen – Artikel 16 Nummer 4 – Klagen, die die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten zum Gegenstand haben – Ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts des Ortes der Hinterlegung oder Registrierung – Klage auf Feststellung der Nichtverletzung – Inzident aufgeworfene Frage der Gültigkeit des Patents“

In der Rechtssache C-4/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 5. Dezember 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Januar 2003, in dem Verfahren

Gesellschaft für Antriebstechnik mbH & Co. KG

gegen

Lamellen und Kupplungsbau Beteiligungs KG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter), der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues, M. Ilešič und E. Levits,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–       der Gesellschaft für Antriebstechnik mbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt T. Musmann,

–       der Lamellen und Kupplungsbau Beteiligungs KG, vertreten durch Rechtsanwalt T. Reimann,

–       der deutschen Regierung, vertreten durch R. Wagner als Bevollmächtigten,

–       der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und A. Bodard-Hermant als Bevollmächtigte,

–       der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch K. Manji als Bevollmächtigten im Beistand von D. Alexander, Barrister,

–       der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.‑M. Rouchaud und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. September 2004

folgendes

Urteil

1       Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und – geänderter Text – S. 77), des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1), des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) und des Übereinkommens vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1) (im Folgenden: EuGVÜ oder Übereinkommen).

2       Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft für Antriebstechnik mbh & Co. KG (im Folgenden: GAT) und der Lamellen und Kupplungsbau Beteiligungs KG (im Folgenden: LuK) über den Vertrieb durch GAT von Erzeugnissen, die nach Auffassung von LuK zwei französische Patente verletzen, deren Inhaberin sie sei.

 Rechtlicher Rahmen

3       Artikel 16, der den 5. Abschnitt, „Ausschließliche Zuständigkeiten“, des die Zuständigkeitsregeln betreffenden Titels II des Übereinkommens bildet, bestimmt:

„Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig:

4.       für Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Warenzeichen, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen, zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt;

...“

4       Artikel 17 Absatz 4 des Übereinkommens, der mit dessen Artikel 18 den 6. Abschnitt, „Vereinbarung über die Zuständigkeit“, des Titels II bildet, sieht vor: „Gerichtsstandsvereinbarungen ... haben keine rechtliche Wirkung, … wenn die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 16 ausschließlich zuständig sind.“

5       Artikel 18 des Übereinkommens bestimmt:

„Sofern das Gericht eines Vertragsstaats nicht bereits nach anderen Vorschriften dieses Übereinkommens zuständig ist, wird es zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt. Dies gilt nicht, … wenn ein anderes Gericht aufgrund des Artikels 16 ausschließlich zuständig ist.“

6       Artikel 19 des Übereinkommens im 7. Abschnitt, „Prüfung der Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens“, des Titels II sieht vor:

„Das Gericht eines Vertragsstaats hat sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn es wegen einer Streitigkeit angerufen wird, für die das Gericht eines anderen Vertragsstaats aufgrund des Artikels 16 ausschließlich zuständig ist.“

7       In Artikel 28 Absatz 1 des Übereinkommens im 1. Abschnitt, „Anerkennung“, des Titels III, der die Regeln der Anerkennung und Vollstreckung betrifft, heißt es: „Eine Entscheidung wird … nicht anerkannt, wenn die Vorschriften des 3., 4. und 5. Abschnitts des Titels II verletzt worden sind.“ Artikel 34 Absatz 2 des Übereinkommens im 2. Abschnitt, „Vollstreckung“, des Titels III verweist hinsichtlich der Gründe, die der Vollstreckung einer Entscheidung entgegenstehen können, auf den genannten Artikel 28 Absatz 1.

 Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfrage

8       GAT und LuK, beide mit Sitz in Deutschland, sind Konkurrenten auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugtechnik.

9       GAT reichte bei einem ebenfalls in Deutschland ansässigen Automobilhersteller ein Angebot für einen Auftrag für die Lieferung eines mechanischen Torsionsdämpfers ein. LuK machte geltend, dass der von GAT vorgeschlagene Dämpfer zwei ihr gehörende französische Patente verletze.

10     GAT erhob beim Landgericht Düsseldorf eine Klage auf Feststellung der Nichtverletzung und trug vor, dass ihre Erzeugnisse die Rechte aus den französischen Patenten von LuK nicht verletzten und dass diese Patente außerdem nichtig oder ungültig seien.

11     Das Landgericht Düsseldorf sah sich für die Entscheidung über die Klage wegen der behaupteten Verletzung der Rechte aus diesen französischen Patenten für international zuständig an. Es hielt sich außerdem für die Entscheidung über die Einrede der angeblichen Nichtigkeit der Patente für zuständig. Es wies die Klage von GAT ab und entschied, dass die fraglichen Patentansprüche die Voraussetzungen für den Patentschutz erfüllten.

12     Auf die Berufung von GAT hat das Oberlandesgericht Düsseldorf das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Artikel 16 Nummer 4 des EuGVÜ dahin auszulegen, dass die nach dieser Vorschrift begründete ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung eines Patents beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt, nur dann besteht, wenn eine Klage (mit Wirkung erga omnes) auf die Nichtigerklärung eines Patents erhoben ist, oder hat eine Klage im Sinne der vorgenannten Vorschrift die Gültigkeit von Patenten schon dann zum Gegenstand, wenn in einem Patentverletzungsverfahren der Beklagte oder in einem Verfahren auf Feststellung der Nichtverletzung eines Patents der Kläger den Einwand erhebt, das Patent sei nicht gültig bzw. nichtig und auch aus diesem Grunde liege keine Patentverletzung vor, und zwar unabhängig davon, ob das angerufene Gericht den Einwand für begründet oder unbegründet erachtet und wann der Einwand im Laufe des Verfahrens erhoben wird?

 Zur Vorabentscheidungsfrage

13     Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, wie weit die in Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens vorgesehene ausschließliche Zuständigkeit für Patente reicht. Es fragt danach, ob diese Vorschrift alle Arten von Rechtsstreitigkeiten über die Eintragung oder die Gültigkeit eines Patents betrifft, unabhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird, oder aber ob sie nur für jene Rechtsstreitigkeiten gilt, in denen die Frage der Eintragung oder der Gültigkeit eines Patents klageweise geltend gemacht wird.

14     Insoweit ist daran zu erinnern, dass der in Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens enthaltene Begriff des Rechtsstreits, der „die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten … zum Gegenstand ha[t]“, als autonomer Begriff anzusehen ist, der in allen Vertragsstaaten einheitlich anzuwenden ist (Urteil vom 15. November 1983 in der Rechtssache 288/82, Duijnstee, Slg. 1983, 3663, Randnr. 19).

15     Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass als Rechtsstreitigkeiten, die „die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten … zum Gegenstand haben“, Rechtsstreitigkeiten über die Gültigkeit, das Bestehen oder das Erlöschen des Patents oder über die Geltendmachung eines Prioritätsrechts aufgrund einer früheren Hinterlegung anzusehen sind (Urteil Duijnstee, Randnr. 24).

16     Betrifft der Rechtsstreit dagegen nicht die Gültigkeit des Patents oder das Bestehen einer Hinterlegung oder Registrierung und werden diese von den Parteien auch nicht bestritten, so fällt der Rechtsstreit nicht unter Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens (Urteil Duijnstee, Randnrn. 25 und 26). Dies wäre z. B. bei einer Verletzungsklage der Fall, bei der die Gültigkeit des angeblich verletzten Patents nicht in Frage gestellt würde.

17     In der Praxis erhebt der Beklagte jedoch im Rahmen einer Verletzungsklage die Frage der Gültigkeit eines Patents oft als Einrede, um dem Kläger rückwirkend das Recht zu entziehen, auf das dieser sich beruft, und so die Abweisung der gegen ihn erhobenen Klage zu erreichen. Diese Frage kann ebenso – wie dies im Ausgangsverfahren der Fall ist – zur Begründung einer Klage auf Feststellung der Nichtverletzung aufgeworfen werden, um feststellen zu lassen, dass der Beklagte kein Recht aus der betroffenen Erfindung hat.

18     Wie die Kommission bemerkt hat, lässt sich anhand des Wortlauts von Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens nicht feststellen, ob die in ihm vorgesehene Zuständigkeitsregel nur für Verfahren gilt, in denen die Frage der Gültigkeit eines Patents klageweise aufgeworfen wird, oder ob sie auch für Verfahren gilt, in denen diese Frage einredeweise geltend gemacht wird.

19     Artikel 19 des Übereinkommens, der sich in einigen Sprachfassungen auf eine Streitigkeit „à titre principal“ (in der Hauptsache) bezieht, erlaubt es nicht, diese Ungewissheit zu beseitigen. Abgesehen davon, dass ihr Wortlaut je nach Sprachfassung einen unterschiedlichen Grad an Genauigkeit aufweist, begründet diese Vorschrift, wie die Kommission bemerkt hat, auch keine Zuständigkeit, sondern beschränkt sich darauf, dem angerufenen Gericht aufzugeben, seine Zuständigkeit zu prüfen und sich in bestimmten Fällen von Amts wegen für unzuständig zu erklären.

20     Unter diesen Umständen ist Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens anhand seines Zweckes und seiner Stellung in der Systematik des Übereinkommens auszulegen.

21     Hinsichtlich des verfolgten Zweckes ist darauf hinzuweisen, dass die in Artikel 16 des Übereinkommens vorgesehenen ausschließlichen Zuständigkeitsregeln die betreffenden Rechtsstreitigkeiten jenen Gerichten vorbehalten sollen, zu denen sie eine sachliche und rechtliche Nähe aufweisen.

22     Daher ist die ausschließliche den Gerichten des Hinterlegungs‑ oder Registrierungsstaats zugewiesene Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten dadurch gerechtfertigt, dass diese Gerichte am besten in der Lage sind, über Fälle zu entscheiden, in denen es um die Gültigkeit des Patents oder das Bestehen der Hinterlegung oder Registrierung selbst geht (Urteil Duijnstee, Randnr. 22). Die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Register geführt werden, können nach ihrem nationalen Recht über die Gültigkeit und die Wirkungen der Patente entscheiden, die in diesem Staat erteilt worden sind. Dieses Interesse an einer geordneten Rechtspflege ist auf dem Gebiet der Patente von umso größerer Bedeutung, als mehrere Vertragsstaaten angesichts der Besonderheit der Materie ein besonderes Rechtsschutzsystem eingerichtet haben und diese Streitigkeit spezialisierten Gerichten vorbehalten.

23     Diese ausschließliche Zuständigkeit ist auch dadurch gerechtfertigt, dass die Erteilung von Patenten das Tätigwerden der nationalen Verwaltung impliziert (vgl. insoweit den Bericht Jenard zu dem Übereinkommen, ABl. 1979, C 59, S. 1, 36).

24     Zu der Stellung, die Artikel 16 des Übereinkommens in dessen Systematik einnimmt, ist darauf hinzuweisen, dass die in diesem Artikel vorgesehenen Zuständigkeitsregeln ausschließlichen und zwingenden Charakter haben, der spezifisch für den Einzelnen wie auch für die Gerichte gilt. Die Parteien können sie weder durch eine Gerichtsstandsvereinbarung abbedingen (Artikel 17 Absatz 4 des Übereinkommens) noch von ihnen abweichen, indem der Beklagte sich auf das Verfahren einlässt (Artikel 18 des Übereinkommens). Wird das Gericht eines Vertragsstaats wegen einer Streitigkeit angerufen, für die das Gericht eines anderen Vertragsstaats aufgrund des Artikels 16 ausschließlich zuständig ist, so hat es sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären (Artikel 19 des Übereinkommens). Einer Entscheidung, die gegen die Bestimmungen des Artikels 16 verstößt, kommt das im Übereinkommen vorgesehene System der Anerkennung und Vollstreckung (Artikel 28 Absatz 1 und Artikel 34 Absatz 2 des Übereinkommens) nicht zugute.

25     Unter Berücksichtigung der Stellung des Artikels 16 Nummer 4 des Übereinkommens in dessen Systematik und des verfolgten Zweckes ist davon auszugehen, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene ausschließliche Zuständigkeit unabhängig davon zu gelten hat, wie der verfahrensrechtliche Rahmen beschaffen ist, in dem sich die Frage der Gültigkeit eines Patents stellt, also unabhängig davon, ob dies klage- oder einredeweise geschieht, bei Klageerhebung oder in einem späteren Verfahrensstadium.

26     Würde, erstens, dem Gericht, das mit einer Verletzungsklage oder einer Klage auf Feststellung der Nichtverletzung befasst ist, gestattet, inzident die Nichtigkeit des betreffenden Patents festzustellen, so würde dies die zwingende Natur der in Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens vorgesehenen Zuständigkeitsregel beeinträchtigen.

27     Der Kläger wäre nämlich durch die bloße Formulierung seines Klageantrags in der Lage, den zwingenden Charakter der in diesem Artikel aufgestellten Zuständigkeitsregel zu umgehen, obwohl Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens nicht zur Disposition der Parteien steht.

28     Zweitens würde die dadurch eröffnete Möglichkeit, Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens zu umgehen, zu einer Häufung der Gerichtsstände führen und könnte so die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln des Übereinkommens und damit den Grundsatz der Rechtssicherheit, der diesem zugrunde liegt, beeinträchtigen (vgl. Urteile vom 19. Februar 2002 in der Rechtssache C‑256/00, Besix, Slg. 2002, I-1699, Randnrn. 24 bis 26, vom 1. März 2005 in der Rechtssache C‑281/02, Owusu, Slg. 2005, I‑1383, Randnr. 41, und Urteil vom heutigen Tag in der Rechtssache C‑539/03, Roche Nederland u. a., Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 37).

29     Würde, drittens, hingenommen, dass es im System des Übereinkommens zu Entscheidungen kommt, in denen andere Gerichte inzident über die Gültigkeit eines Patents entschieden als jene des Staates der Erteilung des Patents, so würde dies auch die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen erhöhen, obwohl diese gerade durch das Übereinkommen vermieden werden soll (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Dezember 1994 in der Rechtssache C-406/92, Tatry, Slg. 1994, I-5439, Randnr. 52, und Besix, Randnr. 27).

30     Das von LuK und der deutschen Regierung vorgetragene Argument, dass sich nach deutschem Recht die Wirkungen einer inzidenten Entscheidung über die Gültigkeit eines Patents auf die Parteien des Rechtsstreits beschränkten, bietet keinen ausreichenden Schutz gegen diese Gefahr. Denn die mit einer solchen Entscheidung verbundenen Wirkungen bestimmen sich nach dem nationalen Recht. In mehreren Vertragsstaaten hat die Entscheidung über die Nichtigkeit eines Patents eine Wirkung erga omnes. Um die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zu vermeiden, müsste daher die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Staates als desjenigen der Patenterteilung für die inzidente Entscheidung über die Gültigkeit eines ausländischen Patents auf jene Fälle beschränkt werden, in denen das anwendbare nationale Recht der zu erlassenden Entscheidung eine auf die Parteien des Rechtsstreits begrenzte Wirkung vorsieht. Eine solche Beschränkung würde jedoch zu Verzerrungen führen und damit die Gleichheit und Einheitlichkeit der Rechte und Pflichten in Frage stellen, die sich für die Vertragsstaaten und die betroffenen Personen aus dem Übereinkommen ergeben (Urteil Duijnstee, Randnr. 13).

31     Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens in dem Sinne auszulegen ist, dass die ausschließliche Zuständigkeitsregel, die er aufstellt, alle Arten von Rechtsstreitigkeiten über die Eintragung oder die Gültigkeit eines Patents betrifft, unabhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird.

 Kosten

32     Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Artikel 16 Nummer 4 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in seiner letzten Fassung gemäß dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden ist in dem Sinne auszulegen, dass die ausschließliche Zuständigkeitsregel, die er aufstellt, alle Arten von Rechtsstreitigkeiten über die Eintragung oder die Gültigkeit eines Patents betrifft, unabhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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