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Document 52024AE0878

    Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss — Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Auf dem Weg zu einem ehrgeizigen industriellen CO2-Management in der EU (COM(2024) 62 final)

    EESC 2024/00878

    ABl. C, C/2024/4666, 9.8.2024, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/4666/oj (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/4666/oj

    European flag

    Amtsblatt
    der Europäischen Union

    DE

    Reihe C


    C/2024/4666

    9.8.2024

    Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

    Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Auf dem Weg zu einem ehrgeizigen industriellen CO2-Management in der EU

    (COM(2024) 62 final)

    (C/2024/4666)

    Berichterstatter:

    Gonçalo LOBO XAVIER

    Ko-Berichterstatter:

    Jean-Michel POURTEAU

    Befassung

    Europäische Kommission, 27.3.2024

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständiges Arbeitsorgan

    Beratende Kommission für den industriellen Wandel

    Annahme im Arbeitsorgan

    15.5.2024

    Verabschiedung im Plenum

    30.5.2024

    Plenartagung Nr.

    588

    Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    193/4/2

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass die Strategie für das industrielle CO2-Management im Allgemeinen sehr begrüßenswert und ausgewogen ist. Sie deckt viele Aspekte ab, die für die großindustrielle Einführung der CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage – CCS) sowie der CO2-Abscheidung und -Nutzung (Carbon Capture and Utilization – CCU) in der EU entscheidend sind. Der EWSA hält es für voll und ganz gerechtfertigt, Bestimmungen über Speicherung, Logistik, Transport und Infrastruktur festzulegen sowie mit Blick auf die CO2-Bewirtschaftung den Markt zu regulieren, um noch in diesem Jahrzehnt die Grundlagen eines Binnenmarkts für CO2 zu schaffen.

    1.2.

    Der EWSA hält es für wesentlich, dass die realisierbaren Ziele für die jährliche CO2-Speicherkapazität in Europa – 50 Millionen Tonnen bis 2030, 250 Millionen Tonnen bis 2040 und 450 Millionen Tonnen bis 2050 – auch tatsächlich erreicht werden. Nach Ansicht des EWSA sollte die EU wirksame Maßnahmen ergreifen, um im Interesse der gesamten Gemeinschaft in möglichst vielen Mitgliedstaaten für ausreichende CO2-Speicherkapazitäten zu sorgen. Aus diesem Grund begrüßt es der EWSA, dass jeder Mitgliedstaat einen Überblick über seine geologischen Standorte vorlegt, die für die CO2-Speicherung geeignet sind, um die damit verbundenen Herausforderungen besser bewältigen zu können.

    1.3.

    Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Ziele besser kommuniziert werden müssen und die Daten, die für eine wirksame Beschlussfassung erforderlich sind, effizient auf den neuesten Stand gebracht werden müssen. Es gibt verschiedene Ziele für die CO2-Mengen, die abgeschieden, gespeichert bzw. recycelt werden müssen (Meilensteine 2030-2040-2050). Der EWSA schlägt vor, regelmäßig über die Entwicklungen in diesem Bereich, die Technologiereife sowie die CO2-Speicherkapazität zu berichten. Dadurch kann das gesamte Ökosystem besser integriert werden.

    1.4.

    Der EWSA teilt nachdrücklich die Auffassung, dass die Entwicklung Europas auch auf einer umweltfreundlichen Reindustrialisierung beruhen sollte. Das industrielle CO2-Management muss als eine zusätzliche Chance für die Mitgliedstaaten begriffen werden, die Qualität der Arbeitsplätze zu verbessern und das Wachstum nachhaltig anzukurbeln. Der EWSA weist darauf hin, dass die Strategien für das CO2-Management auf die jeweiligen Industriezweige (wie die Energiewirtschaft, die Stahl- und Zementindustrie sowie die chemische Industrie) zugeschnitten werden müssen, wobei deren spezifische Emissionsprofile und technologischen Anforderungen zu berücksichtigen sind. Es bedarf der Kooperation und einer Partnerschaftsstrategie, um die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen, Hochschulen und anderen öffentlichen und privaten Organisationen zu fördern und so Fachwissen und Ressourcen zu mobilisieren.

    1.5.

    Der EWSA hält es außerdem für grundlegend, die Hindernisse für eine wirksame Anwendung bereits einsatzbereiter CO2-Bewirtschaftungsverfahren in der Industrie zu ermitteln, damit Änderungen einfacher umgesetzt und Strategien entwickelt werden können.

    1.6.

    Für den EWSA ist klar, dass die EU eine industriepolitische Strategie für CO2-Emissionen benötigt, die nicht nur dem Grünen Deal gerecht wird, sondern auch für gute Arbeitsplätze sorgt, den Arbeitnehmern einen gerechten Übergang bietet sowie potenzielle Arbeitskräfte- und Fachkräftedefizite erkennbar macht. Außerdem muss kontinuierlich in die Umschulung und die Weiterbildung der Arbeitskräfte investiert werden, und zwar mit einem Doppelziel: Erstens muss die Attraktivität der Industriearbeitsplätze erhöht werden, zweitens soll nachhaltiges Wissen aufgebaut werden, um für einen soliden und sicheren Prozess zu sorgen und die Industrie wettbewerbsfähiger und nachhaltiger zu machen. Die Mitgliedstaaten sollten in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern die Auswirkungen auf die Beschäftigung prüfen.

    1.7.

    Der EWSA begrüßt, dass die Kommission grenzübergreifende Infrastrukturprojekte für die Beförderung von CO2 fördern will. Es sollte eine Bestandsaufnahme der physischen Verbindungen und Datenflussverbindungen zwischen den Ländern vorgenommen werden.

    1.8.

    Der EWSA empfiehlt einen klaren Investitionsplan, in dem alle Finanzierungsquellen für die Entwicklung von CCS/CCU-Technologien aufgeführt werden. Die öffentliche Finanzierung sollte an einen Mechanismus der sozialen Konditionalität geknüpft werden, der auf die Schaffung und Erhaltung hochwertiger Arbeitsplätze ausgerichtet ist.

    1.9.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass Projekte zur CO2-Reduzierung sowohl die CO2-Entnahme als auch die CO2-Vermeidung umfassen sollten. Die CO2-Vermeidung wird seines Erachtens jedoch derzeit auf EU-Ebene nicht ausreichend gefördert, obwohl bereits erfolgreiche Investitionen in Lösungen zur Vermeidung von CO2-Emissionen in den Bereichen Versorgungsleistungen, Verkehr und Heizung vorgewiesen werden können. Daher empfiehlt der EWSA, ein neues, gesondertes, gut konzipiertes, hochintegriertes und solides Gutschriftensystem für die CO2-Vermeidung mit zuverlässigen Methoden zu schaffen, die noch entwickelt werden müssen. Gutschriften für eine CO2-Vermeidung würden Anreize für die Dekarbonisierung und die Finanzierung emissionsfreier Projekte bieten. Zugleich weist der EWSA darauf hin, dass die Zertifikate im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems (EHS) nicht als „Gutschriften“ verwendet werden sollten, da dies die aktuelle Marktorientierung des CO2-Handelssystems der EU untergraben könnte.

    1.10.

    Der EWSA weist zudem darauf hin, dass angesichts der CO2-Marktpreise die CO2-Vermeidung zusätzliche Einnahmen generieren kann. Kleinemittenten mit überschüssigen CO2-Gutschriften könnten „nicht genutzte“ Emissionen an Großemittenten verkaufen. Dank dieses Marktmechanismus könnten CO2-Gutschriften als eine Form der Finanzierung künftiger emissionsarmer Projekte vergeben werden.

    1.11.

    Schließlich sind CCS/CCU-Projekte zu nennen, die eindeutig auf die CO2-Entnahme ausgerichtet sind. Die CO2-Vermeidung bietet eine zusätzliche Möglichkeit zur Dekarbonisierung, was der EWSA für sehr wichtig hält. Der EWSA fordert einen ausgewogenen und angemessenen Ansatz, der das Beste der beiden komplementären Optionen miteinander vereinbart: CO2-Vermeidung und CO2-Entnahme.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1.

    In Zeiten großer Veränderungen und enormer Herausforderungen braucht Europa zweifellos eine starke Politik, um die Erholung seiner Industrie zu unterstützen. Aufeinanderfolgende Reindustrialisierungspläne haben ihr Ziel verfehlt. Europa befindet sich nun in einer kritischen Situation, in der keine Zeit verloren werden darf, wenn die Ziele und Vorgaben der Strategie für den europäischen Grünen Deal verwirklicht werden sollen.

    2.2.

    Die Erfordernisse des ökologischen und des digitalen Wandels, auch seine soziale Dimension, machen zügiges Handeln umso notwendiger. Jetzt ist es an der europäischen Industrie und der EU-Politik, Innovation, Leistung und Wettbewerbsfähigkeit mit Nachhaltigkeit zu verbinden. Die Ziele wurden festgelegt, und der Europäische Klimapakt, den die Europäische Kommission im Rahmen des europäischen Grünen Deals initiiert hat, soll die EU dabei unterstützen, bis 2050 klimaneutral zu werden.

    2.3.

    Dies ist eine echte Herausforderung, denn die Industrie hat weltweit einen erheblichen Anteil an den CO2-Emissionen und die EU ist einer der wichtigsten Industriestandorte. Ungeachtet der bisherigen Anstrengungen zur Verringerung der CO2-Emissionen kommt der Industrie eine wichtige Rolle in diesem Prozess zu. Es bedarf außerordentlicher Anstrengungen, um die von der EU vorgeschlagenen Ziele zu erreichen.

    2.4.

    Es gibt verschiedene Vorgaben für die CO2-Mengen, die abgeschieden, gespeichert bzw. recycelt werden müssen (Meilensteine 2030-2040-2050). Der EWSA schlägt vor, in regelmäßigen Abständen über die Entwicklungen in diesem Bereich, die Technologiereife sowie die CO2-Speicherkapazitäten zu berichten.

    2.5.

    Insbesondere muss dafür gesorgt werden, dass die realisierbaren Ziele für die jährliche CO2-Speicherung in Europa – 50 Millionen Tonnen bis 2030, 250 Millionen Tonnen bis 2040 und 450 Millionen Tonnen bis 2050 – auch tatsächlich erreicht werden. Nach Ansicht des EWSA sollte die EU wirksame Maßnahmen ergreifen, um in möglichst vielen Mitgliedstaaten für ausreichende CO2-Speicherkapazitäten zu sorgen. Aus diesem Grund begrüßt es der EWSA, dass jeder Mitgliedstaat einen Überblick über seine geologischen Standorte geben soll, die für die CO2-Speicherung geeignet sind.

    2.6.

    Die CO2-Abscheidung ist ein notwendiges Instrument, um die Klimaziele Europas zu erreichen und die industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Gleichzeitig darf die CCS-Technologie keinesfalls als Allheilmittel gesehen werden. Vielmehr sollte ihr Einsatz auf die am schwersten zu dekarbonisierenden Branchen konzentriert werden. Dies ist notwendig, um von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wegzukommen, wenn Alternativen vorhanden sind und diese den Bedarf decken können. In vielen Fällen sind Elektrifizierung, Energieeffizienzmaßnahmen und erneuerbare Kraftstoffe die kosteneffizientere Lösung für die Dekarbonisierung, denn die CCS ist investitions- und energieintensiv. Die Abkehr von fossilen Brennstoffen in industriellen Prozessen muss daher die erste Handlungsoption sein. Die CO2-Abscheidung sollte hingegen denjenigen Situationen vorbehalten sein, in denen keine machbaren Alternativen zur Wahl stehen.

    2.7.

    Der EWSA fordert einen ausgewogenen Ansatz unter Berücksichtigung der laufenden Entwicklungen und der im Rahmen der derzeitigen politischen Maßnahmen gesammelten Erkenntnisse. Gleichzeitig muss unbedingt die jetzige politische Herangehensweise der EU in Bezug auf das industrielle CO2-Management, einschließlich des Emissionshandelssystems und der CO2-Bepreisungsmechanismen, überdacht werden. Weiterhin müssen die Hürden für eine wirksame Umsetzung der derzeitigen CO2-Bewirtschaftungsverfahren in der Industrie ermittelt werden.

    2.8.

    Damit die Industrie nicht nur wettbewerbsfähig, sondern auch nachhaltig wird, sind gut ausgebildete Humanressourcen und eine starke Führung sowie solide Bündnisse (Arbeitnehmer, Unternehmen, Sozialpartner im Allgemeinen) erforderlich. Der EWSA hat wiederholt gefordert, kontinuierlich in die Umschulung und Weiterbildung der Arbeitskräfte zu investieren, und zwar mit einem Doppelziel: Erstens muss die Attraktivität der Industriearbeitsplätze erhöht werden, zweitens muss nachhaltiges Wissen aufgebaut werden, um die Industrie wettbewerbsfähiger und nachhaltiger zu machen.

    2.9.

    Es ist sinnvoll, das gesamte Ökosystem an der Ausarbeitung der Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung eines ehrgeizigen industriellen CO2-Managements in der EU zu beteiligen. Die organisierte Zivilgesellschaft kann und muss einbezogen werden.

    2.10.

    Der EWSA hält es für sehr wichtig, mit gutem Beispiel voranzugehen, und fordert daher eine bessere Kommunikation und einen besseren Wissensaustausch, um EU-weit Beispiele für erfolgreiche CO2-Management-Initiativen bekannt zu machen.

    2.11.

    Die EU muss Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu Technologien der CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung mit Schwerpunkt auf der Industrie ermutigen und fördern, sodass sie kosteneffizienter und skalierbarer werden.

    2.12.

    Der EWSA weist darauf hin, dass die Strategien für das CO2-Management auf die jeweiligen Industriezweige zugeschnitten werden müssen, wobei deren spezifische Emissionsprofile und technologischen Anforderungen zu berücksichtigen sind. Es bedarf einer Kooperation und einer Partnerschaftsstrategie, um die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen, Hochschulen und anderen öffentlichen und privaten Organisationen zu fördern und so Fachwissen und Ressourcen zu mobilisieren.

    2.13.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass jeder Mitgliedstaat seine eigene Strategie nach Maßgabe der Grundsätze der EU ausarbeiten sollte, doch unter Koordinierung auf EU-Ebene, damit sichergestellt ist, dass die Strategien auch von einem entsprechenden Engagement getragen werden. Zudem müssen bewährte Verfahren ausgetauscht werden.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1.

    Der Grüne Deal der Europäischen Union enthält ehrgeizige Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen, die bis 2030 um - 55 % gesenkt werden sollen. Bis 2050 soll die EU klimaneutral sein. Um diese Ziele insbesondere in Bezug auf CO2-Emissionen zu erreichen, sollten Technologien wie CCS (Carbon Capture and Storage – CO2-Abscheidung und -Speicherung) und CCU (Carbon Capture and Utilisation – CO2-Abscheidung und -Nutzung) eingesetzt werden. Mithilfe dieser Verfahren soll den „schwer zu verringernden“ Emissionen beigekommen werden, bei denen durch Energie- und Prozesseffizienz keine ausreichende Emissionsreduktion erzielt wird und somit die Reduktionsziele verfehlt werden.

    3.2.

    Im Regelwerk sollte klar zwischen CO2 aus fossilen Energieträgern (d. h. CO2, das im Boden als Kohle-, Erdgas- oder Ölvorkommen gebunden ist) und biogenem CO2 (d. h. in der Atmosphäre befindliches CO2, das durch Photosynthese in der Biomasse gebunden wird) unterschieden werden. Durch die Abscheidung von fossilem CO2 können Emissionen vermieden werden, die Abscheidung von biogenem CO2 hingegen kann positive Nettoauswirkungen auf das Klima haben, wenn das CO2 mithilfe technologischer Senken dauerhaft entfernt und durch die Verwendung in Produkten wie Polymeren langfristig entnommen wird. Dies könnte auch eine nachhaltige CO2-Quelle für Chemikalien, Polymere und Brennstoffe sein.

    3.3.

    Außer geologischen Formationen könnten auch andere Technologien zur dauerhaften Kohlenstoffspeicherung herangezogen werden, wie z. B. die Mineralisierung.

    3.4.

    Neben der Speicherung ist CO2 aber auch ein wichtiger Rohstoff, der bspw. in der chemischen Industrie und als Getränkezusatz gefragt ist. Ein wichtiges Element einer europäischen CO2-Managementstrategie sollte daher darin bestehen, die industrielle CO2-Nachfrage aus kreislauforientierten und nachhaltigen CO2-Quellen zu decken. Für die Nutzung von kreislauforientiertem Kohlenstoff sollten Anreize geschaffen werden.

    3.5.

    Während die Abscheidung und Speicherung von CO2 aus fossiler Herkunft bereits in der Richtlinie über das Emissionshandelssystem (EHS) genannt wird, gibt es derzeit keine Anreize für die Abscheidung des biogenen CO2. Daher müssen Anreize für die Abscheidung, Speicherung und Nutzung des biogenen CO2 priorisiert werden. Eine Option bestünde darin, die Abscheidung von CO2 biogenen Ursprungs mit dem EHS zu verknüpfen, indem beispielsweise neue Zertifikate für die Abscheidung vorgesehen werden.

    3.6.

    Viele herstellende Industrien emittieren CO2: Öl-, Gas-, Kohle- und Braunkohlekraftwerke, Eisen- und Stahlhütten, Zementfabriken, Chemieindustrie, Biomasse- und Abfallkraftwerke sowie Düngemittelfabriken. Obwohl derzeit neue CO2-freie Prozesse entwickelt werden, dürften die betroffenen Branchen (die 20 % der weltweiten CO2-Emissionen in der EU verursachen) dennoch stark auf CO2-Abscheidungstechnologien angewiesen sein, wenn sie ihre CO2-Emissionen drastisch senken wollen. Die Dekarbonisierung der Industrie ist nicht nur aus Klimaschutzgründen erforderlich, sondern auch entscheidend für die schrittweise Beendigung unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.

    3.7.

    Beim CCS-Verfahren wird das in der Industrie entstehende CO2 isoliert und anschließend durch verschiedene technische Prozesse abgeschieden (Absorption, Adsorption, Membrane, Hochtemperatur-Looping und seit Kurzem durch direkte Luftabscheidung, bei der CO2 direkt aus der Luft entnommen wird). Anschließend wird das CO2 komprimiert und hauptsächlich über Rohrleitungen, möglicherweise aber auch per Lkw, Zug oder Schiff weitertransportiert. Der letzte Schritt ist die Speicherung in geologischen Lagerstätten zu Land oder in Meeresgebieten: in Salzstöcken (bspw. Sleipner/Norwegen in der Nordsee – seit 1996) oder in nicht abbaubaren Kohleflözen. Das Verhalten von CO2 in geologischen Schichten muss laufend überwacht werden, damit sichergestellt ist, dass es sich tatsächlich um eine dauerhafte Form der Emissionsminderung handelt.

    3.8.

    Die ersten Schritte der CCU gleichen denjenigen der CCS, doch geht es bei diesem Verfahren letztendlich nicht um die dauerhafte Speicherung des CO2. Stattdessen wird das abgeschiedene Kohlendioxid in wertvolle Stoffe oder Produkte umgewandelt, wie z. B. in Chemikalien, Polymere (Kunststoffe, Beton), Alkohole, Kohlenwasserstoffe und Derivate. Die CCU hat beträchtliches Potenzial, was das Interesse verschiedener Branchen weckt, die vor ähnlichen Problemen stehen (sie könnte z. B. ein Ansatzpunkt für die Dekarbonisierung des Luft- und Seeverkehrs mithilfe synthetischer Kraftstoffe sein).

    3.9.

    Was den Aufbau der Transportinfrastruktur angeht, so sollten für diesen Bereich spezifische Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften in Bezug auf die Arbeitsbedingungen festgelegt werden, um den konstruktiven Dialog zwischen den Sozialpartnern zu fördern.

    3.10.

    Die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Zusammenhang mit den CCS/CCU-Technologien erfordert ein entsprechendes Wissen, das durch berufliche Aus- und Weiterbildung, die Weiterqualifizierung der Arbeitnehmer und Ingenieure sowie nationale Ausbildungsprogramme aufgebaut werden muss.

    3.11.

    Damit CCS/CCU-Vorhaben verwirklicht werden können, müssen alle Interessenträger – Industrie, Behörden, Zivilgesellschaft, NRO und Gewerkschaften – frühzeitig in den Prozess einbezogen werden. Dies wird für die gesellschaftliche Akzeptanz entscheidend sein. Politische Entscheidungsträger der lokalen und nationalen Ebene, Unternehmen und gesellschaftliche Kräfte wie Gewerkschaften, Umweltorganisationen und lokale Gemeinschaften müssen sich an einen Tisch setzen und einen transparenten Dialog über die Herausforderungen und Vorteile von CCS/CCU-Projekten führen. Ein solcher Wandel erfordert in den für die CCS/CCU in Frage kommenden Industriebetrieben einen gerechten Übergang, bei dem niemand zurückgelassen wird. Ein respektvoller sozialer Dialog mit den Gewerkschaften sollte sicherstellen, dass Arbeitnehmer, die eine Umschulung benötigen, entsprechend geschult werden.

    3.12.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass der Öffentlichkeit mithilfe von Sensibilisierungskampagnen erklärt werden muss, was auf dem Spiel steht. Außerdem muss es einen Wissensaustausch geben und ein Überblick über die derzeitigen CO2-Emissionen gewonnen werden.

    3.13.

    Der EWSA stellt fest, dass es keine energieeffizienten Technologien zur CO2-Abscheidung gibt. Tatsächlich sind die Kosten dieses energieintensiven Prozesses nicht zu unterschätzen und sollten mit REPowerEU in Einklang gebracht werden.

    3.14.

    Mit dem derzeitigen EU-Emissionshandelssystem sollen alle Emissionen mithilfe ihrer Quantifizierung gesenkt werden. Bei CCU-Technologien wird der abgeschiedene Kohlenstoff wiederverwendet, er sollte also nicht doppelt angerechnet werden (bei der Erstemission und dann wieder bei der späteren Neuemission).

    4.   Finanzrahmen

    4.1.

    Derzeit sind die Kosten für CCS/CCU hoch und ohne Steuergutschriften, öffentliche Mittel oder Darlehen für die Unternehmen nicht tragbar. Die Kosten könnten hingegen sinken, wenn die Technologien eine weitere Verbreitung erlangt haben und Transportinfrastrukturen (Leitungssysteme) aufgebaut sind. Die Kostenschätzungen variieren aufgrund der ungewissen künftigen CO2-Preise stark.

    4.2.

    Die für CCS/CCU vorgesehenen Mittel sollten detailliert als solche ausgewiesen und im Verhältnis zur Gesamtfinanzierung des Industrieplans zum Grünen Deal gesehen werden.

    4.3.

    In ersten Kostenschätzungen für die Erreichung der Ziele für 2030 werden Investitionen in Höhe von 3 Milliarden Euro für die Entwicklung von Speicherstätten angenommen, 6-9 Milliarden Euro für die Transportinfrastruktur und 13-103 Euro pro Tonne für die Abscheidung von CO2 aus Punktquellen (1). Der EWSA empfiehlt einen klaren Investitionsplan, in dem alle Finanzierungsquellen für die Entwicklung von CCS/CCU-Technologien aufgeführt werden. Die öffentliche Finanzierung sollte an einen Mechanismus der sozialen Konditionalität geknüpft werden, der auf die Schaffung und Erhaltung hochwertiger Arbeitsplätze ausgerichtet ist. Der EWSA begrüßt daher jedwedes Programm, das Innovationen und Ressourcen auf diesen kritischen Wandel konzentriert. Hierzu gehören:

    der Innovationsfonds (Steuern aus dem EHS) mit 25 Mrd. EUR für CCS/CCU;

    die Fazilität „Connecting Europe“ für das Verkehrsnetz;

    die Aufbau- und Resilienzfazilität zur Förderung von Investitionen in saubere Technologien;

    der Fonds für einen gerechten Übergang für Regionen mit sozialen Herausforderungen und

    Horizont Europa für Forschung und Entwicklung.

    4.4.

    Ein Problem bei der Finanzierung der CCS/CCU besteht darin, dass die verschiedenen Abschnitte der gesamten Wertschöpfungskette abgedeckt werden müssen: Emissionsquelle, Abscheidung, Transport, Speicherung und Nutzung. Ein weiteres Problem ist die wirtschaftliche Tragfähigkeit dieser Prozesse, die vom CO2-Preis im EU-EHS abhängen wird.

    4.5.

    Die Investitionen, die für die Einführung dieser neuen und sauberen Technologien zur Abscheidung und Wiederverwendung von CO2 erforderlich sind, werden in den kommenden Jahren voraussichtlich zu einem großen Teil aus der Privatwirtschaft kommen. Doch müssen die EU und die Mitgliedstaaten mit Finanzierungen entscheidend zur Mobilisierung privater Investitionen beitragen und Anreize für möglichst zahlreiche innovative Projekte setzen.

    5.   CO2-Handel und -Vermeidung

    5.1.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass das EU-Emissionshandelssystem (EHS) und die internationalen CO2-Märkte maßgeblich zu einer kosteneffizienten Senkung der weltweiten Treibhausgasemissionen beitragen können. Das EU-EHS im Rahmen des Pakets „Fit für 55“ wurde kürzlich auf zusätzliche Wirtschaftssektoren wie Gebäude, Straßenverkehr, See- und Luftverkehr ausgedehnt. Artikel 6 des Übereinkommens von Paris bietet bereits eine Rechtsgrundlage für die Nutzung internationaler CO2-Märkte durch einen internationalen Handel mit Emissionszertifikaten im Einklang mit verlässlichen Regeln für die Anrechnung. Diese CO2-Bepreisungsmechanismen und dieser Handel sollten dem industriellen CO2-Management zugutekommen.

    5.2.

    Der EWSA stellt fest, dass es mehrere Gesetzgebungsinitiativen gibt, die genutzt werden könnten, um sektorspezifische Maßnahmen zu fördern, die zur CO2-Entnahme und -vermeidung beitragen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Verordnung über CO2-Entnahmen und die klimaeffiziente Landwirtschaft, mit der der erste EU-weite freiwillige Rahmen für die Zertifizierung von CO2-Entnahmen, der klimaeffizienten Landwirtschaft und der CO2-Speicherung in europäischen Produkten geschaffen wird. Hinsichtlich des Verkehrs wird derzeit ein harmonisierter EU-Mechanismus für die Erfassung der Treibhausgasemissionen von Verkehrsdiensten diskutiert, der ebenfalls berücksichtigt werden sollte.

    5.3.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass Projekte zur CO2-Reduzierung sowohl die CO2-Entnahme als auch die CO2-Vermeidung umfassen sollten. Die CO2-Vermeidung wird seines Erachtens jedoch derzeit auf EU-Ebene nicht ausreichend gefördert, obwohl Investitionen in Lösungen zur Vermeidung von CO2-Emissionen in den Bereichen Versorgungsleistungen, Verkehr und Heizung bereits Erfolge gezeitigt haben. Daher empfiehlt der EWSA, ein neues, gesondertes, gut konzipiertes, hochintegriertes und solides Gutschriftensystem für die CO2-Vermeidung mit zuverlässigen Methoden zu schaffen, die noch entwickelt werden müssen. Gutschriften für eine CO2-Vermeidung würden Anreize für die Dekarbonisierung und die Finanzierung emissionsfreier Projekte bieten. Zugleich weist der EWSA darauf hin, dass die Zertifikate im Rahmen des EU-EHS nicht als „Gutschriften“ verwendet werden sollten, da dies die aktuelle Marktorientierung des CO2-Handelssystems der EU untergraben könnte.

    5.4.

    Der EWSA weist zudem darauf hin, dass angesichts der auf dem CO2-Markt herrschenden Preise die CO2-Vermeidung zusätzliche Einnahmen generieren kann. Kleinemittenten mit überschüssigen CO2-Gutschriften können „nicht genutzte“ Emissionen an Großemittenten verkaufen. Dank dieses Marktmechanismus könnten CO2-Gutschriften als eine Form der Finanzierung künftiger emissionsarmer Projekte vergeben werden.

    5.5.

    Darüber hinaus bietet das EHS Großemittenten derzeit Anreize (geringere Zahl kostenloser Zertifikate und hohe CO2-Preise), ihre Emissionen zu verringern. Die Regeln für den Handel mit CO2-Gutschriften zwischen den Unternehmen sind jedoch nach wie vor kaum bekannt. Sie sind aber durchaus klar, und die Gutschriften lassen sich leicht übertragen. Diese Regeln sollten ausgeweitet werden, damit Kleinemittenten zu einer weiteren Reduzierung ihrer Emissionen bewegt werden und für die Emissionssenkung Mittel erhalten können. Es sollte eine Klarstellung der Regeln gefördert werden.

    5.6.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU und die Mitgliedstaaten durch Finanzierungen dazu beitragen sollten, private Investitionen zu mobilisieren und Anreize für möglichst zahlreiche innovative CCS/CCU-Projekte sowie Projekte zur CO2-Verringerung und -Vermeidung zu setzen.

    Brüssel, den 30. Mai 2024

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Oliver RÖPKE


    (1)  Mitteilung der Kommission COM(2024) 62 final, Absatz 5.1 „Investitionen in die und Finanzierung der Umstellung auf sauberes CO2 “, Seite 23;


    ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/4666/oj

    ISSN 1977-088X (electronic edition)


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