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Document 62023CJ0185

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 29. Juli 2024.
protectus s.r.o gegen Výbor Národnej rady Slovenskej republiky na preskúmavanie rozhodnutí Národného bezpečnostného úradu.
Vorabentscheidungsersuchen des Najvyšší správny súd Slovenskej republiky.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Beschluss 2013/488/EU – Verschlusssachen – Sicherheitsbescheid für Unternehmen – Aufhebung des Bescheids – Nichtoffenlegung von Verschlusssachen, auf denen die Aufhebung beruht – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Begründungspflicht – Akteneinsicht – Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens – Art. 51 der Charta der Grundrechte – Durchführung des Unionsrechts.
Rechtssache C-185/23.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:657

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

29. Juli 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Beschluss 2013/488/EU – Verschlusssachen – Sicherheitsbescheid für Unternehmen – Aufhebung des Bescheids – Nichtoffenlegung von Verschlusssachen, auf denen die Aufhebung beruht – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Begründungspflicht – Akteneinsicht – Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens – Art. 51 der Charta der Grundrechte – Durchführung des Unionsrechts“

In der Rechtssache C‑185/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Najvyšší správny súd Slovenskej republiky (Oberstes Verwaltungsgericht der Slowakischen Republik) mit Entscheidung vom 28. Februar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 22. März 2023, in dem Verfahren

protectus s. r. o., vormals BONUL s. r. o.,

gegen

Výbor Národnej rady Slovenskej republiky na preskúmavanie rozhodnutí Národného bezpečnostného úradu

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, T. von Danwitz, F. Biltgen und Z. Csehi, der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei sowie der Richter J.‑C. Bonichot, S. Rodin, P. G. Xuereb, J. Passer, D. Gratsias und M. Gavalec,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 2024,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der protectus s. r. o., vertreten durch M. Mandzák, M. Para und M. Pohovej, Advokáti,

des Výbor Národnej rady Slovenskej republiky na preskúmavanie rozhodnutí Národného bezpečnostného úradu, vertreten durch Ľ. Mičinský, M. Nemky und M. Rafajová, Advokáti,

der slowakischen Regierung, vertreten durch E. V. Larišová, A. Lukáčik und S. Ondrášiková als Bevollmächtigte,

der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,

der französischen Regierung, vertreten durch R. Bénard und O. Duprat-Mazaré als Bevollmächtigte,

des Rates der Europäischen Union, vertreten durch I. Demoulin, N. Glindová, J. Rurarz und T. Verdi als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch Ș. Ciubotaru, A.‑C. Simon, A. Tokár und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Mai 2024

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 47 und Art. 51 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der protectus s. r. o., vormals BONUL s. r. o., und dem Výbor Národnej rady Slovenskej republiky na preskúmavanie rozhodnutí Národného bezpečnostného úradu (Ausschuss des Nationalrats der Slowakischen Republik für die Überprüfung von Entscheidungen der Nationalen Sicherheitsbehörde, im Folgenden: Ausschuss) über die Zurückweisung des Widerspruchs, den protectus gegen die Entscheidung des Národný bezpečnostný úrad (Nationale Sicherheitsbehörde, Slowakei) (im Folgenden: NSB), die ihr erteilte Sicherheitsermächtigung für Unternehmen und den ihr ausgestellten Sicherheitsbescheid für Unternehmen aufzuheben, eingelegt hatte, durch den Ausschuss.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Im dritten Erwägungsgrund des Beschlusses 2013/488/EU des Rates vom 23. September 2013 über die Sicherheitsvorschriften für den Schutz von EU-Verschlusssachen (ABl. 2013, L 274, S. 1) heißt es:

„Nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften und soweit es für die Tätigkeit des Rates [der Europäischen Union] erforderlich ist, sollten die Mitgliedstaaten diesen Beschluss beachten, wenn ihre zuständigen Behörden, ihre Bediensteten oder ihre Auftragnehmer [EU-Verschlusssachen (im Folgenden: EU-VS)] bearbeiten, damit alle Seiten darauf vertrauen können, dass ein gleichwertiges Schutzniveau für EU-VS gewährleistet ist.“

4

Art. 1 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2013/488 bestimmt:

„(1)   Dieser Beschluss legt Grundprinzipien und Mindeststandards für die Sicherheit in Bezug auf den Schutz von EU-VS fest.

(2)   Diese Grundprinzipien und Mindeststandards gelten für den Rat und das Generalsekretariat des Rates und werden von den Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer jeweiligen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beachtet, damit alle Seiten darauf vertrauen können, dass ein gleichwertiges Schutzniveau für EU-VS gewährleistet ist.“

5

Art. 11 Abs. 2, 5 und 7 des Beschlusses 2013/488 bestimmt:

„(2)   Das Generalsekretariat des Rates kann industrielle oder andere Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat … eingetragen sind, vertraglich mit Aufträgen betrauen, die den Zugang zu oder die Bearbeitung oder Aufbewahrung von EU-VS beinhalten oder nach sich ziehen.

(5)   Die Nationale Sicherheitsbehörde, die Beauftragte Sicherheitsbehörde oder eine sonstige zuständige Sicherheitsbehörde jedes Mitgliedstaats stellt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass in dem jeweiligen Mitgliedstaat eingetragene Auftragnehmer und Subauftragnehmer, die an als Verschlusssache eingestuften Aufträgen oder Subaufträgen beteiligt sind, die den Zugang zu als ‚CONFIDENTIEL UE/EU CONFIDENTIAL‘ oder ‚SECRET UE/EU SECRET‘ eingestuften Verschlusssachen in ihren Räumlichkeiten erfordern, entweder bei der Ausführung dieser Aufträge oder bei den Verhandlungen vor der Auftragsvergabe im Besitz eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen (Facility Security Clearance, FSC) der entsprechenden Geheimhaltungsstufe sind.

(7)   Die Bestimmungen zur Anwendung dieses Artikels sind in Anhang V enthalten.“

6

Art. 15 Abs. 3 Buchst. a bis c des Beschlusses 2013/488 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen nach Maßgabe ihrer jeweiligen innerstaatlichen Rechtsvorschriften alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass dieser Beschluss bei der Bearbeitung und Aufbewahrung von EU-VS von dem folgenden Personenkreis eingehalten wird:

a)

dem Personal der Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bei der Europäischen Union sowie den nationalen Delegierten, die an Tagungen des Rates oder Sitzungen seiner Vorbereitungsgremien teilnehmen bzw. in sonstige Tätigkeiten des Rates einbezogen sind;

b)

sonstigem Personal in den nationalen Verwaltungen der Mitgliedstaaten, einschließlich des zu diesen Verwaltungen abgeordneten Personals, unabhängig davon, ob es innerhalb oder außerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten Dienst tut;

c)

sonstigen Personen, die in den Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Aufgaben förmlich zum Zugang zu EU-VS ermächtigt worden sind …“

7

Art. 16 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i des Beschlusses 2013/488 lautet:

„Zur Durchführung von Artikel 15 Absatz 3 sollten die Mitgliedstaaten wie folgt verfahren:

a)

Sie benennen eine Nationale Sicherheitsbehörde …, die für die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von EU-VS zuständig ist, damit

i)

EU-VS, die sich im Besitz einer öffentlichen oder privaten Stelle oder Einrichtung ihres Landes im In- oder Ausland befinden, gemäß diesem Beschluss geschützt werden“.

8

Anhang V („Geheimschutz in der Wirtschaft“) des Beschlusses 2013/488 bestimmt in den Nrn. 8 bis 13:

„8.

Ein Sicherheitsbescheid für Unternehmen wird von der Nationalen Sicherheitsbehörde oder der Beauftragten Sicherheitsbehörde oder einer anderen zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats ausgestellt und gibt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften Auskunft darüber, dass ein industrielles oder anderes Unternehmen in der Lage ist, EU-VS bis zu dem entsprechenden Geheimhaltungsgrad (‚CONFIDENTIEL UE/EU CONFIDENTIAL‘ oder ‚SECRET UE/EU SECRET‘) in seinen Anlagen zu schützen. Der Bescheid ist dem Generalsekretariat des Rates als der Vergabebehörde vorzulegen, bevor einem Auftragnehmer oder Subauftragnehmer bzw. einem möglichen Auftragnehmer oder Subauftragnehmer EU-VS zur Verfügung gestellt werden können oder ihm Zugang zu diesen gewährt werden kann.

9.

Bei der Erteilung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen hat die zuständige Nationale Sicherheitsbehörde oder Beauftragte Sicherheitsbehörde zumindest Folgendes zu beachten:

a)

Sie bewertet die Integrität des industriellen oder anderen Unternehmens;

b)

sie bewertet die Eigentums- und Kontrollverhältnisse bzw. die Möglichkeit einer unzulässigen Einflussnahme unter dem Aspekt eines eventuellen Sicherheitsrisikos;

c)

sie überprüft, ob das industrielle oder andere Unternehmen ein Sicherheitssystem eingeführt hat, das alle geeigneten Geheimschutzmaßnahmen umfasst, die nach den in diesem Beschluss niedergelegten Anforderungen zum Schutz von als ‚CONFIDENTIEL UE/EU CONFIDENTIAL‘ oder ‚SECRET UE/EU SECRET‘ eingestuften Informationen oder Materialien erforderlich sind;

d)

sie überprüft, ob die Sicherheitsermächtigungen der Geschäftsführung, der Eigentümer und der Mitarbeiter, die Zugang zu als ‚CONFIDENTIEL UE/EU CONFIDENTIAL‘ oder ‚SECRET UE/EU SECRET‘ eingestuften Verschlusssachen benötigen, gemäß den Anforderungen dieses Beschlusses vorliegen, und

e)

sie überprüft, ob das industrielle oder andere Unternehmen einen Sicherheitsbevollmächtigten benannt hat, der gegenüber seiner Geschäftsführung für die Durchsetzung der Geheimschutzmaßnahmen in diesem Unternehmen verantwortlich ist.

10.

Das Generalsekretariat des Rates als Vergabebehörde teilt der zuständigen Nationalen Sicherheitsbehörde/Beauftragten Sicherheitsbehörde oder einer anderen zuständigen Sicherheitsbehörde gegebenenfalls mit, dass ein Sicherheitsbescheid für Unternehmen in der Phase vor der Auftragsvergabe oder für die Ausführung des Auftrags erforderlich ist. Ein Sicherheitsbescheid für Unternehmen … ist in der Phase vor der Auftragsvergabe erforderlich, wenn EU-VS mit dem Geheimhaltungsgrad ‚CONFIDENTIEL UE/EU CONFIDENTIAL‘ oder ‚SECRET UE/EU SECRET‘ während des Bietverfahrens zur Verfügung gestellt werden müssen.

11.

Die Vergabebehörde vergibt keinen als Verschlusssache eingestuften Auftrag an einen bevorzugten Bieter, bevor sie von der Nationalen Sicherheitsbehörde/Beauftragten Sicherheitsbehörde oder einer anderen zuständigen Sicherheitsbehörde des Mitgliedstaats, in dem der betreffende Auftragnehmer oder Subauftragnehmer eingetragen ist, die Bestätigung erhalten hat, dass erforderlichenfalls ein entsprechender Sicherheitsbescheid für das Unternehmen erteilt wurde.

12.

Die Nationale Sicherheitsbehörde/Beauftragte Sicherheitsbehörde oder eine sonstige zuständige Sicherheitsbehörde, die einen Sicherheitsbescheid erteilt hat, teilt dem Generalsekretariat des Rates als Vergabebehörde alle Änderungen mit, die diesen Sicherheitsbescheid betreffen. Bei Subaufträgen ist die Nationale Sicherheitsbehörde/Beauftragte Sicherheitsbehörde oder eine sonstige zuständige Sicherheitsbehörde entsprechend zu informieren.

13.

Die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen durch die jeweilige Nationale Sicherheitsbehörde/Beauftragte Sicherheitsbehörde oder eine sonstige zuständige Sicherheitsbehörde stellt für das Generalsekretariat des Rates als Vergabebehörde einen ausreichenden Grund dar, den als Verschlusssache eingestuften Auftrag zu kündigen oder einen Bieter vom Vergabeverfahren auszuschließen.“

Slowakisches Recht

9

In § 46 des Zákon č. 215/2004 Z. z. o ochrane utajovaných skutočností a o zmene a doplnení niektorých zákonov (Gesetz Nr. 215/2004 über den Schutz von Verschlusssachen und zur Änderung und Ergänzung bestimmter Gesetze) vom 11. März 2004 in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 215/2004) heißt es:

„Eine Sicherheitsermächtigung für Unternehmen kann nur einem Unternehmer erteilt werden, der …

c) hinsichtlich der Sicherheit zuverlässig ist …“

10

§ 49 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a und b des Gesetzes Nr. 215/2004 bestimmt:

„(1)   Ein Unternehmer, bei dem ein Sicherheitsrisiko festgestellt wurde, gilt nicht als hinsichtlich der Sicherheit zuverlässig.

(2)   Als Sicherheitsrisiko gelten

a)

Handlungen gegen die Interessen der Slowakischen Republik im Bereich der Verteidigung des Staates, der Sicherheit des Staates, der internationalen Beziehungen, der wirtschaftlichen Interessen des Staates oder des Funktionierens eines staatlichen Organs oder gegen Interessen, zu deren Schutz sich die Slowakische Republik verpflichtet hat,

b)

Auslands-, Geschäfts- oder Vermögensbeziehungen, die den Interessen der Slowakischen Republik im Bereich der Außenpolitik oder der Sicherheit schaden könnten …“

11

§ 50 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 215/2004 lautet:

„Stellt die [NSB] fest, dass der Unternehmer eine der in § 46 angeführten Voraussetzungen für die Zuverlässigkeit hinsichtlich der Sicherheit nicht mehr erfüllt oder seine Pflichten zum Schutz von Verschlusssachen grob oder wiederholt verletzt hat, so hebt sie die Gültigkeit der Ermächtigung auf.“

12

§ 60 Abs. 7 des Gesetzes Nr. 215/2004 sieht vor:

„Die [NSB] führt eine Sicherheitsüberprüfung für eine natürliche Person durch, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrags, an den die Slowakische Republik gebunden ist, Einsicht in Verschlusssachen nehmen soll, und erteilt ihr einen Bescheid über die Sicherheitsüberprüfung dieser Person; für die Ausstellung des Bescheids über die Sicherheitsüberprüfung einer Person gelten die Bestimmungen der §§ 10 bis 33. …“

13

§ 5 der Vyhláška č. 134/2016 Z. z. o personálnej bezpečnosti (Verordnung Nr. 134/2016 über den personellen Geheimschutz) vom 23. März 2016 in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)   In dem Bescheid über die Sicherheitsüberprüfung einer natürlichen Person nach § 60 Abs. 7 des Gesetzes [Nr. 215/2004] … werden angegeben:

d)

der höchste Geheimhaltungsgrad von Verschlusssachen der … Union …, zu denen der Inhaber Zugang haben kann, und die einschlägigen Rechtsvorschriften der … Union …, nach denen der Zugang der natürlichen Person zu Verschlusssachen zulässig ist,

(4)   Sofern in einem die Slowakische Republik bindenden völkerrechtlichen Vertrag nichts anderes bestimmt ist,

a)

wird der Bescheid höchstens für die Gültigkeitsdauer der Ermächtigung ausgestellt;

b)

stellt die zuständige Behörde, bevor die natürliche Person von den Verschlusssachen Kenntnis erlangt, sicher, dass sie über die Pflichten zum Schutz von Verschlusssachen nach dem Gesetz [Nr. 215/2004] und den Rechtsvorschriften der … Union … unterrichtet wird.

(6)   Die Abs. 1 bis 5 gelten entsprechend auch für die Ausstellung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

14

Am 6. September 2018 erteilte die NSB der Klägerin des Ausgangsverfahrens eine Sicherheitsermächtigung für Unternehmen für die Einsichtnahme in als „streng geheim“ eingestufte Verschlusssachen sowie die Übermittlung und die Erstellung von als „geheim“ eingestuften Verschlusssachen.

15

Am 15. November 2018 stellte die NSB ihr zudem einen Sicherheitsbescheid für Unternehmen für den Geheimhaltungsgrad „SECRET UE/EU SECRET“ aus.

16

Anschließend erlangte die NSB Kenntnis von nicht als vertraulich eingestuften Informationen über die Klägerin des Ausgangsverfahrens, wonach u. a. gegen sie oder ihre Geschäftsführer wegen Straftaten ermittelt werde, sie Verträge mit Gesellschaften geschlossen habe, gegen die wegen Straftaten ermittelt werde, und ihnen „nicht übliche Geldbeträge“ gezahlt habe und die Klägerin des Ausgangsverfahrens und eine andere Gesellschaft, die unter gemeinsamer Kontrolle stünden, im Verdacht stünden, an denselben Ausschreibungen teilgenommen zu haben. Weitere Informationen erhielt die NSB zudem durch eigene Maßnahmen oder von anderen Behörden, wobei diese Informationen in „als Verschlusssachen eingestuften Beweisdokumenten“ enthalten sind.

17

Die NSB gab der Klägerin des Ausgangsverfahrens Gelegenheit, sich zu den ihr vorliegenden nicht als Verschlusssachen eingestuften Informationen zu äußern.

18

Mit Entscheidung vom 25. August 2020 hob die NSB die der Klägerin des Ausgangsverfahrens erteilte Sicherheitsermächtigung für Unternehmen und den ihr ausgestellten Sicherheitsbescheid für Unternehmen auf. Zur Stützung der Aufhebung der Sicherheitsermächtigung wies die NSB darauf hin, dass – angesichts der ihr vorliegenden als Verschlusssachen und nicht als Verschlusssachen eingestuften Informationen – die Klägerin des Ausgangsverfahrens Sicherheitsrisiken aufweise, und zwar im Zusammenhang mit einer Geschäftsbeziehung, die den Sicherheitsinteressen der Slowakischen Republik schaden könne, und Handlungen, die den wirtschaftlichen Interessen dieses Mitgliedstaats zuwiderliefen. In der Entscheidung führte die NSB ferner aus, dass die Aufhebung der Sicherheitsermächtigung für Unternehmen auch die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen zur Folge habe, da die Gültigkeit des Bescheids von derjenigen der Ermächtigung abhängig sei.

19

Der von der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen die genannte Entscheidung eingelegte Widerspruch wurde mit Entscheidung des Ausschusses vom 4. November 2020 zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde u. a. mit einem Verweis auf Verschlusssachen begründet, deren Inhalt darin nicht dargelegt wurde und zu denen weder protectus noch ihr Rechtsanwalt Zugang hatten, da der Antrag des Rechtsanwalts auf Einsichtnahme in diese Verschlusssachen vom Leiter der NSB abgelehnt worden war.

20

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik). Die Zuständigkeit für die Prüfung dieser Klage wurde nach der Klageerhebung auf den Najvyšší správny súd Slovenskej republiky (Oberstes Verwaltungsgericht der Slowakischen Republik), das vorlegende Gericht, übertragen.

21

Am 28. September 2022 übermittelte die NSB diesem Gericht die gesamte Akte einschließlich der in der Begründung der Entscheidungen der NSB und des Ausschusses angeführten als Verschlusssachen eingestuften Beweisdokumente.

22

Mit Entscheidung vom 4. Oktober 2022 schloss der Vorsitzende der zuständigen Kammer diese als Verschlusssachen eingestuften Aktenteile von der Einsichtnahme aus. Am selben Tag beantragte der Rechtsanwalt der Klägerin des Ausgangsverfahrens beim Gericht Einsicht in die von der NSB übermittelten als Verschlusssache eingestuften Beweisdokumente. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2022 wies der Vorsitzende der mit der Klage der Klägerin des Ausgangsverfahrens befassten Kammer diesen Antrag zurück, ersuchte die NSB jedoch, zu prüfen, ob sie der Übermittlung dieser Beweise an den Rechtsanwalt zustimmen könne. Mit Schreiben vom 25. November 2022 teilte die NSB dem Gericht mit, dass sie der Übermittlung von zwei als Verschlusssachen eingestuften Beweisdokumenten zustimme, sich jedoch weigere, der Übermittlung der anderen im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als Verschlusssachen eingestuften Beweisdokumente zuzustimmen, da diese Übermittlung zur Offenlegung von Informationsquellen führen würde.

23

Mit Schreiben vom 16. Januar 2023 beantragte der Rechtsanwalt der Klägerin des Ausgangsverfahrens erneut Einsicht in sämtliche Beweisdokumente, wobei er sich u. a. auf Art. 47 der Charta in seiner Auslegung im Urteil vom 22. September 2022, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság u. a. (C‑159/21, EU:C:2022:708), stützte.

24

In diesem Zusammenhang stellt sich das vorlegende Gericht die Frage nach der Anwendbarkeit der Charta im Ausgangsverfahren.

25

Insoweit weist es insbesondere darauf hin, dass sich die Voraussetzungen für die Gültigkeit des Sicherheitsbescheids für Unternehmen nach slowakischem Recht richteten, das die Gültigkeit eines solchen Bescheids von der Gültigkeit einer entsprechenden Sicherheitsermächtigung abhängig mache, ohne den Umgang mit EU-VS oder den Zugang zu ihnen näher zu regeln.

26

Das vorlegende Gericht weist auch darauf hin, dass der Beschluss 2013/488 den Mitgliedstaaten bestimmte konkrete Verpflichtungen in Bezug auf die Ermächtigung natürlicher oder juristischer geschäftsfähiger Personen auferlege. Außerdem schließe es der Umstand, dass die anwendbare slowakische Regelung nicht zur Durchführung eines konkreten Unionsrechtsakts erlassen worden sei und dass sie die Gültigkeit des Sicherheitsbescheids für Unternehmen mit einer nationalen Sicherheitsermächtigung verknüpfe, nicht aus, dass die Anwendung dieser Regelung eine Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellen könne, was zur Folge hätte, dass die Charta im Ausgangsrechtsstreit anwendbar sei.

27

Für den Fall, dass die Charta auf das Ausgangsverfahren anwendbar sein sollte, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die slowakische Regelung und Praxis in Bezug auf den Zugang zu Verschlusssachen im Rahmen von Verfahren zur Anfechtung der Aufhebung von Sicherheitsermächtigungen für Unternehmen oder von Sicherheitsbescheiden für Unternehmen mit Art. 47 der Charta vereinbar ist.

28

Nach dieser Regelung und dieser Praxis sind Verschlusssachen den Gerichten, die über Klagen gegen darauf gestützte Entscheidungen zu befinden haben, uneingeschränkt zugänglich, sie sind aber nicht Teil der dem Kläger zugänglichen Akte. Dem Rechtsanwalt des Klägers wird nur mit Zustimmung der Behörde, die die betreffenden Informationen als Verschlusssache eingestuft hat, Zugang zu ihnen gewährt, wobei die Verweigerung der Zustimmung keiner Überprüfung durch ein Gericht zugänglich ist. Außerdem muss der Rechtsanwalt die Verschlusssachen, zu denen ihm Zugang gewährt wird, weiterhin vertraulich behandeln, so dass er ihren Inhalt seinem Mandanten nicht zur Kenntnis bringen darf.

29

Vor diesem Hintergrund zieht das vorlegende Gericht die Möglichkeit in Betracht, dass aus dem Urteil vom 22. September 2022, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság u. a. (C‑159/21, EU:C:2022:708), abgeleitet werden könne, dass diese Regelung, wie sie von den nationalen Behörden und Gerichten umgesetzt werde, mit Art. 47 der Charta unvereinbar sei. Es müsse jedoch geklärt werden, ob diese Entscheidung in vollem Umfang auf den vorliegenden Fall übertragbar sei. Gegebenenfalls bittet das vorlegende Gericht auch um nähere Angaben zu den Befugnissen, über die es verfügen müsse, um die sich aus Art. 47 der Charta ergebenden Rechte in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu gewährleisten.

30

Unter diesen Umständen hat der Najvyšší správny súd Slovenskej republiky (Oberstes Verwaltungsgericht der Slowakischen Republik) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 51 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat das Unionsrecht durchführt, wenn ein Gericht dieses Mitgliedstaats die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung eines Sonderausschusses des Parlaments dieses Staates prüft, der in zweiter Instanz eine Verwaltungsentscheidung der Nationalen Sicherheitsbehörde bestätigt hat, mit der gegenüber einer juristischen Person

zum einen eine Sicherheitsermächtigung für Unternehmen aufgehoben (widerrufen) wurde, die zum Zugang zu Verschlusssachen nach nationalem Recht berechtigt,

und zum anderen und ausschließlich aufgrund der Aufhebung dieser Ermächtigung auch ein Sicherheitsbescheid für Unternehmen aufgehoben (widerrufen) wurde, der dieser juristischen Person für den Zugang zu als „SECRET UE/EU SECRET“ eingestuften Verschlusssachen im Sinne von Art. 11 des Beschlusses 2013/488 und Anhang V dieses Beschlusses ausgestellt wurde?

2.

Wenn die Frage 1 bejaht wird:

Ist Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung und Praxis entgegensteht, wonach

a)

in der Entscheidung der Nationalen Sicherheitsbehörde über die Aufhebung (den Widerruf) der genannten Ermächtigung und des genannten Bescheids nicht die Verschlusssachen angegeben werden, die diese Behörde zu der Feststellung veranlasst haben, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung (den Widerruf) erfüllt sind, sondern lediglich auf das entsprechende Schriftstück in der Akte dieser Behörde, das diese Verschlusssachen enthält, verwiesen wird,

b)

die betreffende juristische Person keinen Zugang zu der Akte der Nationalen Sicherheitsbehörde und zu den einzelnen Schriftstücken hat, die die Verschlusssachen enthalten, die diese Behörde dazu veranlasst haben, die genannte Ermächtigung und den genannten Bescheid aufzuheben (zu widerrufen),

c)

der Rechtsanwalt der betreffenden juristischen Person Einsicht in diese Akte und diese Schriftstücke erhalten kann, jedoch nur mit Zustimmung des Leiters der Nationalen Sicherheitsbehörde, gegebenenfalls mit Zustimmung einer anderen Behörde, die diese Schriftstücke der Nationalen Sicherheitsbehörde vorgelegt hat, wobei er auch nach dieser Einsicht verpflichtet ist, den Inhalt der Akte und der Schriftstücke vertraulich zu behandeln,

d)

das Gericht, das die Rechtmäßigkeit der in Frage 1 beschriebenen Entscheidung prüft, jedoch uneingeschränkten Zugang zu dieser Akte und diesen Schriftstücken hat?

3.

Wenn die Frage 2 bejaht wird:

Ist Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta dahin auszulegen, dass er es einem Gericht, das die Rechtmäßigkeit einer in Frage 1 beschriebenen Entscheidung prüft, unmittelbar erlaubt (oder es gegebenenfalls verpflichtet), die in Frage 2 beschriebene Regelung und Praxis nicht anzuwenden und dem Betroffenen oder seinem Rechtsanwalt Zugang zur Akte der Nationalen Sicherheitsbehörde, gegebenenfalls zu den Schriftstücken, die die Verschlusssachen enthalten, zu gewähren, wenn das Gericht dies für erforderlich hält, um das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein kontradiktorisches Verfahren zu gewährleisten?

4.

Wenn die Frage 3 bejaht wird:

Ist Art. 51 Abs. 1 und 2 der Charta dahin auszulegen, dass die Befugnis des Gerichts zur Gewährung des Zugangs zur Akte, gegebenenfalls zu den Schriftstücken im Sinne von Frage 3,

lediglich für die Teile der Akte oder der Schriftstücke gilt, die Informationen enthalten, die für die Sicherheitsbewertung von Unternehmen im Sinne von Art. 11 und Anhang V des Beschlusses 2013/488 relevant sind, oder

auch für die Teile der Akte oder der Schriftstücke gilt, die Informationen enthalten, die ausschließlich für die Sicherheitsbewertung von Unternehmen nach nationalem Recht relevant sind, d. h. über die im Beschluss 2013/488 festgelegten Gründe hinaus?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

31

Der Ausschuss bestreitet die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens.

32

Erstens weise die Ausgangsrechtssache keinen Bezug zum Unionsrecht auf, da die slowakischen Behörden in dieser Rechtssache eine nationale Regelung angewandt hätten, die ausschließlich dem Schutz der Interessen der Slowakischen Republik diene und die vor dem Beitritt dieses Mitgliedstaats zur Union in einem Bereich erlassen worden sei, der jedenfalls in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle.

33

Zweitens werde der Gerichtshof mit der dritten Frage unmittelbar ersucht, eine nationale Regelung auszulegen und ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu beurteilen.

34

Hierzu ist zum einen festzustellen, dass mit der ersten Frage geklärt werden soll, ob eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Anwendungsbereich der Charta fällt, und dass die anderen Fragen, die sich alle auf die Auslegung von Bestimmungen der Charta beziehen, nur für den Fall gestellt werden, dass der Gerichtshof die erste Frage bejaht.

35

Daraus folgt, dass das in Rn. 32 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Vorbringen des Ausschusses, der Gerichtshof sei für die Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen insgesamt nicht zuständig, bei der Prüfung der ersten Frage zu beurteilen ist und nicht zu der Annahme führen kann, dass der Gerichtshof für die Entscheidung über dieses Ersuchen nicht zuständig ist.

36

Zum anderen ist, was speziell die dritte Frage betrifft, zwar darauf hinzuweisen, dass im Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist (Urteil vom 24. Juli 2023, Lin, C‑107/23 PPU, EU:C:2023:606, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Allerdings ergibt sich schon aus dem Wortlaut dieser Frage, dass sie sich nicht auf die Auslegung einer Bestimmung des nationalen Rechts, sondern auf die Auslegung der Charta bezieht.

38

Folglich ist der Gerichtshof für die Entscheidung über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zuständig.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

39

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 51 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass die von einem nationalen Gericht vorgenommene Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über die Aufhebung zum einen einer Sicherheitsermächtigung für Unternehmen, die den Zugang zu von einem Mitgliedstaat als Verschlusssachen eingestuften Informationen ermöglicht, und zum anderen – als Folge dieser Aufhebung – eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen, der gemäß Art. 11 und Anhang V des Beschlusses 2013/488 den Zugang zu EU-VS erlaubt, Rechtsakte zum Gegenstand hat, die eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne dieses Art. 51 Abs. 1 darstellen.

40

Der Anwendungsbereich der Charta ist in ihrem Art. 51 Abs. 1 definiert, wonach sie, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, für diese ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gilt.

41

Die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte finden somit in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung (Urteile vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 19, und vom 6. Oktober 2015, Delvigne, C‑650/13, EU:C:2015:648, Rn. 26).

42

Der Begriff „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta setzt das Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen einem Unionsrechtsakt und der betreffenden nationalen Maßnahme voraus, der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2016, Paoletti u. a., C‑218/15, EU:C:2016:748, Rn. 14, und vom 24. Februar 2022, Glavna direktsia Pozharna bezopasnost i zashtita na naselenieto, C‑262/20, EU:C:2022:117, Rn. 60).

43

Um zu klären, ob eine nationale Maßnahme die „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta betrifft, ist daher u. a. zu prüfen, ob mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung die Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt wird, welchen Charakter diese Regelung hat und ob mit ihr andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann, sowie ferner, ob es eine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann (Urteil vom 5. Mai 2022, BPC Lux 2 u. a., C‑83/20, EU:C:2022:346, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Insoweit ist erstens zur Anwendbarkeit der Charta auf die Aufhebung einer Sicherheitsermächtigung für Unternehmen, die den Zugang zu von einem Mitgliedstaat als Verschlusssachen eingestuften Informationen ermöglicht, darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht bei seinem derzeitigen Entwicklungsstand keinen Rechtsakt mit allgemeinen Regeln für Entscheidungen enthält, die von den Mitgliedstaaten getroffen werden, um den Zugang zu nach nationalem Recht als Verschlusssachen eingestuften Informationen zu gestatten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. April 2024, NW und PQ [Verschlusssachen], C‑420/22 und C‑528/22, EU:C:2024:344, Rn. 103).

45

Insbesondere bestimmt der Beschluss 2013/488, auf den das vorlegende Gericht in Bezug auf den Sicherheitsbescheid für Unternehmen, der den Zugang zu EU-VS erlaubt, verweist, in seinem Art. 1 Abs. 1, dass er Grundprinzipien und Mindeststandards für die Sicherheit in Bezug auf den Schutz von EU-VS festlegt. Dieser Beschluss enthält hingegen keine Bestimmungen über den Zugang zu nach nationalem Recht als Verschlusssachen eingestuften Informationen.

46

In diesem Zusammenhang geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen nicht hervor, dass die nationale Regelung über die Aufhebung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sicherheitsermächtigung für Unternehmen bezweckt oder bewirkt, einer Bestimmung des Unionsrechts nachzukommen, oder dass sich die Anwendung dieser Regelung auf die Anwendung einer solchen Bestimmung auswirkt.

47

Daher ist nicht ersichtlich, dass die Aufhebung einer Sicherheitsermächtigung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta beinhaltet.

48

Was zweitens die Anwendbarkeit der Charta auf die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen betrifft, der den Zugang zu EU-VS erlaubt, ist darauf hinzuweisen, dass Unionsorgane besondere Rechtsakte erlassen haben, um den Schutz von EU-VS im Rahmen ihrer Tätigkeit zu regeln.

49

Insbesondere hat der Rat zu diesem Zweck den Beschluss 2013/488 erlassen, auf den sich das vorlegende Gericht bezieht.

50

Aus dem dritten Erwägungsgrund und Art. 1 Abs. 2 dieses Beschlusses geht hervor, dass die darin festgelegten Grundprinzipien und Mindeststandards von den Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer jeweiligen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beachtet werden müssen, damit alle Seiten darauf vertrauen können, dass ein gleichwertiges Schutzniveau für EU-VS gewährleistet ist.

51

Speziell in Bezug auf den Geheimschutz in der Wirtschaft sieht Art. 11 Abs. 2 des Beschlusses 2013/488 vor, dass das Generalsekretariat des Rates industrielle oder andere Unternehmen vertraglich mit Aufträgen betrauen kann, die den Zugang zu oder die Bearbeitung oder Aufbewahrung von EU-VS beinhalten oder nach sich ziehen.

52

Um den Schutz von EU-VS durch Auftragnehmer und Subauftragnehmer zu gewährleisten, verpflichtet Art. 11 Abs. 5 des Beschlusses 2013/488 die Nationale Sicherheitsbehörde, die Beauftragte Sicherheitsbehörde oder eine sonstige zuständige Sicherheitsbehörde jedes Mitgliedstaats, gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicherzustellen, dass in dem jeweiligen Mitgliedstaat eingetragene Auftragnehmer und Subauftragnehmer, die an als Verschlusssache eingestuften Aufträgen oder Subaufträgen beteiligt sind, die den Zugang zu EU-VS in ihren Räumlichkeiten erfordern, entweder bei der Ausführung dieser Aufträge oder bei den Verhandlungen vor der Auftragsvergabe im Besitz eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen der entsprechenden Geheimhaltungsstufe sind.

53

Art. 11 Abs. 7 des Beschlusses 2013/488 sieht vor, dass die Bestimmungen zur Anwendung dieses Art. 11 in Anhang V dieses Beschlusses enthalten sind.

54

Anhang V des Beschlusses 2013/488 sieht in seinen Nrn. 8 bis 13 Normen für Sicherheitsbescheide für Unternehmen vor. Daraus ergibt sich u. a., dass ein Sicherheitsbescheid für Unternehmen von der zuständigen nationalen Behörde gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften ausgestellt wird und Auskunft darüber gibt, dass ein industrielles oder anderes Unternehmen in der Lage ist, EU-VS angemessen zu schützen, dass diese Behörde zumindest sicherstellen muss, dass eine Reihe von Anforderungen, die in dem genannten Anhang V vorgesehen sind, erfüllt wird, und dass jede Änderung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen dem Generalsekretariat des Rates mitgeteilt werden muss. In Nr. 13 dieses Anhangs V heißt es zudem, dass die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen durch die zuständige nationale Behörde für das Generalsekretariat des Rates als Vergabebehörde einen ausreichenden Grund darstellt, einen als Verschlusssache eingestuften Auftrag zu kündigen oder einen Bieter vom Vergabeverfahren auszuschließen.

55

Zur Gewährleistung der Durchführung des Beschlusses 2013/488 bestimmt sein Art. 15 Abs. 3 Buchst. c, dass die Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer jeweiligen innerstaatlichen Rechtsvorschriften alle geeigneten Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass dieser Beschluss bei der Bearbeitung und Aufbewahrung von EU-VS u. a. von Personen, die aufgrund ihrer Aufgaben förmlich zum Zugang zu EU-VS ermächtigt worden sind, eingehalten wird. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i dieses Beschlusses u. a. eine Nationale Sicherheitsbehörde benennen, die für die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von EU-VS zuständig ist, damit EU-VS, die sich im Besitz jeglicher Stelle oder Einrichtung befinden, gemäß diesem Beschluss geschützt werden.

56

In Anbetracht dieser mit dem Beschluss 2013/488 aufgestellten Regeln, mit denen den Mitgliedstaaten Verpflichtungen auferlegt werden, sind die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung des Geheimschutzes in der Wirtschaft erlassen, indem sie den Zugang zu EU-VS im Zusammenhang mit vom Rat geschlossenen Verträgen durch die Ausstellung und Kontrolle von Sicherheitsbescheiden für Unternehmen regeln, als Durchführung des Rechts der Union anzusehen.

57

Insbesondere impliziert die in Anhang V Nr. 13 des Beschlusses 2013/488 angeführte Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen durch eine nationale Behörde eine solche Umsetzung. Dadurch wird nämlich eine Erlaubnis in Frage gestellt, deren Erteilung im Unionsrecht, und zwar in Art. 11 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang V Nr. 8 dieses Beschlusses, eigens vorgesehen ist. Überdies werden die Wirkungen einer solchen Erlaubnis zumindest teilweise durch das Unionsrecht festgelegt, da Art. 11 Abs. 5 des Beschlusses 2013/488 verlangt, dass ein Auftragnehmer oder Subauftragnehmer, der an als Verschlusssache eingestuften Aufträgen oder Subaufträgen beteiligt ist, die den Zugang zu EU-VS in seinen Räumlichkeiten erfordern, entweder bei der Ausführung dieser Aufträge oder bei den Verhandlungen vor der Auftragsvergabe im Besitz eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen der entsprechenden Geheimhaltungsstufe ist.

58

Der Umstand, dass die Voraussetzungen, unter denen eine nationale Behörde einen Sicherheitsbescheid für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 aufheben kann, nicht unmittelbar durch diesen Beschluss oder einen anderen Rechtsakt der Union festgelegt werden und somit in das Ermessen der Mitgliedstaaten fallen – wobei allerdings der durch diesen Beschluss festgelegte Rahmen zu beachten ist –, kann kein anderes Ergebnis rechtfertigen.

59

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich nämlich, dass davon auszugehen ist, dass ein Mitgliedstaat, der von einem Wahlrecht zwischen mehreren Modalitäten der Anwendung eines Unionsrechtsakts oder von einem Ermessen oder einem Gestaltungsspielraum Gebrauch macht, das bzw. der integrierender Bestandteil der durch den betreffenden Rechtsakt geschaffenen Regelung ist, im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta das Recht der Union durchführt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2019, TSN und AKT, C‑609/17 und C‑610/17, EU:C:2019:981, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60

Dieses Ergebnis ist im vorliegenden Fall anzuwenden, da der weite Gestaltungsspielraum, über den die Mitgliedstaaten – in dem durch den Beschluss 2013/488 vorgegebenen Rahmen – bei der Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne dieses Beschlusses verfügen, Bestandteil der durch ihn festgelegten Regelung ist. Die Existenz dieses Gestaltungsspielraums bedeutet im Übrigen nicht, dass ein solcher Sicherheitsbescheid für Unternehmen seine Grundlage im nationalen Recht fände oder dass seine Wirkungen ausschließlich durch nationales Recht geregelt würden.

61

Unter diesen Umständen – und angesichts dessen, dass die mit dem Beschluss 2013/488 eingeführte Schutzregelung für EU-VS die reibungslose Arbeit des Rates gewährleisten soll – kann das Vorbringen der slowakischen, der estnischen und der französischen Regierung, dass die Ausübung dieses Gestaltungsspielraums in eine bei den Mitgliedstaaten verbliebene Zuständigkeit falle, keinen Erfolg haben.

62

Soweit sich die slowakische Regierung in dieser Hinsicht auf Art. 4 Abs. 2 EUV beruft, ist darauf hinzuweisen, dass es nach dieser Bestimmung zwar Sache der Mitgliedstaaten ist, ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen festzulegen und die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um ihre innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten, dass aber die bloße Tatsache, dass eine nationale Maßnahme zum Schutz der nationalen Sicherheit getroffen wurde, nicht zur Unanwendbarkeit des Unionsrechts führen und die Mitgliedstaaten nicht von der erforderlichen Beachtung dieses Rechts entbinden kann (Urteil vom 16. Januar 2024, Österreichische Datenschutzbehörde, C‑33/22, EU:C:2024:46, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen, dass ein Sicherheitsbescheid für Unternehmen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende als Sicherheitsbescheid für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 anzusehen ist.

64

So geht zunächst aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass ein solcher Bescheid nach der anwendbaren slowakischen Regelung allein zu dem Zweck ausgestellt wird, dem Unternehmen, für das er ausgestellt wird, den Zugang zu EU-VS zu ermöglichen, dass seine Ausstellung impliziert, dass dieses Unternehmen über die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen informiert wird, die es zu beachten hat, und dass das slowakische Recht keine andere Erlaubnis vorsieht, die es einem Unternehmen ermöglicht, in dem durch den Beschluss 2013/488 festgelegten Rahmen Zugang zu EU-VS zu erhalten.

65

Sodann weist das vorlegende Gericht zwar darauf hin, dass die anwendbare slowakische Regelung nicht speziell zur Umsetzung dieses Beschlusses erlassen wurde, doch geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass es durch eine solche Feststellung nicht ausgeschlossen wird, dass eine auf diese Regelung gestützte Handlung im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta eine Durchführung des Rechts dieses Beschlusses darstellt, sofern mit dieser Handlung den in diesem Beschluss aufgestellten Vorschriften nachgekommen wird (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 28).

66

Schließlich wird in dem Vorabentscheidungsersuchen zwar nicht dargetan, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens Partei eines Vertrags mit dem Rat war oder an der Aushandlung oder Durchführung eines solchen Vertrags beteiligt war, doch reicht dieser Umstand nicht aus, um die Anwendung des Beschlusses 2013/488 auszuschließen. Art. 11 und Anhang V dieses Beschlusses implizieren nämlich, dass ein Unternehmen die Ausstellung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen beantragen kann, um bei Bedarf an einer Ausschreibung des Rates teilnehmen zu können, die den Zugang zu EU-VS beinhalten würde.

67

Außerdem möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, inwieweit es relevant ist, dass nach slowakischem Recht ein einem Unternehmen ausgestellter Sicherheitsbescheid für Unternehmen allein deshalb aufgehoben werden kann, weil seine Sicherheitsermächtigung für Unternehmen aufgehoben wurde. Hierzu ist festzustellen, dass die Herstellung eines solchen Zusammenhangs zwischen der Aufhebung einer nationalen Sicherheitsermächtigung im Sinne der slowakischen Regelung und der Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 eine Entscheidung darstellt, die die Slowakische Republik in Ausübung des in Rn. 60 des vorliegenden Urteils angeführten Gestaltungsspielraums getroffen hat, und dass eine solche Entscheidung es daher nicht ausschließt, dass die Aufhebung eines solchen Sicherheitsbescheids für Unternehmen eine Durchführung des Rechts der Union darstellt.

68

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 51 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass

die von einem nationalen Gericht vorgenommene Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über die Aufhebung einer Sicherheitsermächtigung für Unternehmen, die den Zugang zu von einem Mitgliedstaat als Verschlusssachen eingestuften Informationen ermöglicht, keinen Rechtsakt zum Gegenstand hat, der eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne dieser Bestimmung darstellt;

die von einem solchen Gericht vorgenommene Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über die Aufhebung – als Folge der Aufhebung dieser Sicherheitsermächtigung für Unternehmen – eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen, der gemäß Art. 11 und Anhang V des Beschlusses 2013/488 den Zugang zu EU-VS erlaubt, einen Rechtsakt zum Gegenstand hat, der eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne dieses Art. 51 Abs. 1 darstellt.

Zur zweiten und zur dritten Frage

69

Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er zum einen einer nationalen Regelung und Praxis entgegensteht, wonach in einer Entscheidung über die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 nicht die Verschlusssachen angegeben werden, auf denen diese Aufhebung beruht, wobei zugleich vorgesehen ist, dass das für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung zuständige Gericht Zugang zu diesen Verschlusssachen hat und dass der Rechtsanwalt des ehemaligen Inhabers des Sicherheitsbescheids für Unternehmen nur dann Zugang zu diesen Verschlusssachen haben kann, wenn die betreffenden nationalen Behörden zustimmen und er ihre Vertraulichkeit gewährleistet, und dass dieser Artikel zum anderen dieses nationale Gericht, falls er einer solchen Regelung und Praxis entgegenstehen sollte, ermächtigt, selbst dem ehemaligen Inhaber des Sicherheitsbescheids für Unternehmen, gegebenenfalls über seinen Rechtsanwalt, bestimmte Verschlusssachen zu übermitteln, wenn ihre Nichtübermittlung an den ehemaligen Inhaber oder seinen Rechtsanwalt nicht gerechtfertigt erscheint.

70

Als Erstes ist zu prüfen, ob eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Anwendungsbereich von Art. 47 der Charta fällt.

71

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt die Anerkennung des in Art. 47 der Charta vorgesehenen Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf in einem bestimmten Einzelfall voraus, dass sich die Person, die es geltend macht, auf durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten beruft oder dass diese Person Gegenstand von Verfolgungsmaßnahmen ist, die eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellen (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72

Im vorliegenden Fall ist zwar festzustellen, dass der Beschluss 2013/488 für einen Wirtschaftsteilnehmer keinen Anspruch auf die Ausstellung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen begründet, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

73

Aus Nr. 8 des Anhangs V dieses Beschlusses ergibt sich jedoch, dass der Zugang eines Wirtschaftsteilnehmers zu EU-VS zum Zweck der Vergabe oder der Ausführung eines als Verschlusssache des Rates eingestuften Auftrags vom Besitz eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen abhängt.

74

Unter diesen Umständen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus Rn. 52 des vorliegenden Urteils ergibt, aus Art. 11 Abs. 5 des Beschlusses 2013/488 hervorgeht, dass Auftragnehmer und Subauftragnehmer, die an als Verschlusssache eingestuften Verträgen oder Subaufträgen beteiligt sind, die den Zugang zu EU-VS in ihren Räumlichkeiten erfordern, im Besitz eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen der entsprechenden Geheimhaltungsstufe sein müssen.

75

Sodann bestimmt Nr. 10 des Anhangs V des Beschlusses 2013/488, dass ein Sicherheitsbescheid für Unternehmen in der Phase vor der Auftragsvergabe erforderlich ist, wenn EU-VS während des Bietverfahrens zur Verfügung gestellt werden müssen.

76

Schließlich vergibt die Vergabebehörde nach Nr. 11 des Anhangs V des Beschlusses 2013/488 keinen als Verschlusssache eingestuften Auftrag an einen bevorzugten Bieter, bevor sie von der zuständigen nationalen Behörde des Mitgliedstaats, in dem der betreffende Auftragnehmer oder Subauftragnehmer eingetragen ist, die Bestätigung erhalten hat, dass erforderlichenfalls ein entsprechender Sicherheitsbescheid für das Unternehmen erteilt wurde. Im Übrigen sieht Nr. 13 dieses Anhangs vor, dass die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen einen ausreichenden Grund für die Kündigung eines als Verschlusssache eingestuften Auftrags darstellt.

77

Daraus folgt, dass die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 zur Folge hat, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Erlaubnis zum Zugang zu EU-VS für die Vergabe und die Ausführung eines als Verschlusssache eingestuften Auftrags verliert. Eine solche Aufhebung bedeutet daher u. a., dass ihm die Möglichkeit – die ihm vor dieser Aufhebung offenstand – genommen wird, an der Phase vor der Vergabe eines beim Rat als Verschlusssache eingestuften Auftrags teilzunehmen und vom Rat einen solchen Auftrag zu erhalten, wenn sein Angebot ausgewählt wurde. Der Verlust dieser Möglichkeit tritt auch dann ein, wenn der Wirtschaftsteilnehmer – wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens – zum Zeitpunkt der Aufhebung seines Sicherheitsbescheids für Unternehmen kein Auftragnehmer oder Subauftragnehmer des Rates war.

78

Ein solcher Wirtschaftsteilnehmer muss folglich gemäß Art. 47 der Charta über einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht verfügen können, um die Aufhebung seines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 anzufechten.

79

Was zweitens die Mindestgarantien betrifft, denen ein solcher Rechtsbehelf genügen muss, so ist es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta gewährleisteten gerichtlichen Kontrolle erforderlich, dass der Betroffene Kenntnis von den Gründen, auf denen die ihm gegenüber ergangene Entscheidung beruht, erlangen kann, entweder durch die Lektüre der Entscheidung selbst oder durch eine auf seinen Antrag hin erfolgte Mitteilung dieser Gründe, unbeschadet der Befugnis des zuständigen Gerichts, von der betreffenden Behörde die Übermittlung dieser Gründe zu verlangen, um es ihm zu ermöglichen, seine Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen zu verteidigen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es für ihn von Nutzen ist, das zuständige Gericht anzurufen, und um dieses vollständig in die Lage zu versetzen, die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der fraglichen nationalen Entscheidung auszuüben (Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80

In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 ausschließlich auf der Aufhebung einer anderen Sicherheitsermächtigung beruht, kann die gerichtliche Kontrolle der Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen nur insoweit wirksam sein, als der ehemalige Inhaber des Sicherheitsbescheids für Unternehmen Zugang zu den Gründen haben kann, auf denen die Aufhebung dieser anderen Sicherheitsermächtigung beruht, da nur dieser Zugang es ihm ermöglichen wird, die Art der Gründe zu verstehen, die letztlich zur Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen geführt haben, und diese Gründe somit gegebenenfalls zu beanstanden.

81

Zwar können zwingende Erwägungen u. a. hinsichtlich des Schutzes der Sicherheit des Staates oder der internationalen Beziehungen der Übermittlung aller oder eines Teils der Informationen, auf denen die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 beruht, an seinen ehemaligen Inhaber entgegenstehen. In einem solchen Fall muss allerdings das zuständige nationale Gericht, dem die Geheimhaltungsbedürftigkeit oder Vertraulichkeit der betreffenden Informationen nicht entgegengehalten werden kann, im Rahmen der von ihm ausgeübten gerichtlichen Kontrolle Techniken anwenden, die es ermöglichen, diese zwingenden Erwägungen auf der einen Seite und das Erfordernis, dem Einzelnen die Wahrung seiner Verfahrensrechte wie des Rechts, gehört zu werden, und des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens hinreichend zu garantieren, auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen (vgl. entsprechend Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 125 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82

Zu diesem Zweck sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine wirksame gerichtliche Kontrolle sowohl des Vorliegens und der Stichhaltigkeit der Gründe, die von der zuständigen nationalen Behörde im Hinblick auf die Sicherheit des Staates geltend gemacht werden, um die Offenlegung aller oder eines Teils der Informationen, auf denen die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 beruht, zu verweigern, als auch der Rechtmäßigkeit dieser Aufhebung vorzusehen (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 58).

83

Im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 obliegt es den Mitgliedstaaten, Regeln vorzusehen, die es dem mit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Aufhebung betrauten Gericht ermöglichen, von allen Gründen und den entsprechenden Beweisen Kenntnis zu nehmen, auf deren Grundlage die Aufhebung erfolgte (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 59).

84

Hinsichtlich der Anforderungen, denen die gerichtliche Überprüfung des Vorliegens und der Stichhaltigkeit der von der zuständigen nationalen Behörde im Hinblick auf die Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats geltend gemachten Gründe genügen muss, ist es wichtig, dass ein Gericht damit betraut ist, eine unabhängige Prüfung aller von der zuständigen nationalen Behörde angeführten rechtlichen und tatsächlichen Umstände vorzunehmen, um im Einklang mit den nationalen Verfahrensvorschriften zu beurteilen, ob zwingende Erwägungen z. B. hinsichtlich des Schutzes der Sicherheit des Staates oder der internationalen Beziehungen der Mitteilung aller oder eines Teils der Gründe, auf denen die betreffende Aufhebung beruht, sowie der entsprechenden Beweise tatsächlich entgegenstehen (vgl. entsprechend Urteile vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 60 und 62, sowie vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 126).

85

Wenn dieses Gericht zu dem Schluss kommt, dass die Sicherheit des Staates der zumindest teilweisen Mitteilung der Gründe oder Beweise, die die Grundlage für die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 bilden und die ursprünglich nicht mitgeteilt wurden, nicht entgegensteht, gibt es der zuständigen nationalen Behörde die Möglichkeit, dem Betroffenen die fehlenden Gründe und Beweise mitzuteilen. Wenn die Behörde deren Mitteilung nicht erlaubt, prüft das Gericht die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Aufhebung allein anhand der mitgeteilten Gründe und Beweise (vgl. entsprechend Urteile vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 63, und vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 127).

86

Zeigt sich dagegen, dass zwingende Erwägungen z. B. hinsichtlich des Schutzes der Sicherheit des Staates oder der internationalen Beziehungen der Mitteilung aller oder eines Teils der Gründe oder Beweise, die die Grundlage für die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 bilden, an den Betroffenen tatsächlich entgegenstehen, so hat die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Aufhebung im Rahmen eines Verfahrens zu erfolgen, das die Erfordernisse, die sich aus diesen zwingenden Erwägungen ergeben, und diejenigen aus dem Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, insbesondere die Einhaltung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens, in angemessener Weise zum Ausgleich bringt und dabei die eventuellen Eingriffe in die Ausübung dieses Rechts auf das unbedingt Erforderliche begrenzt (vgl. entsprechend Urteile vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 64, und vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 128).

87

Insoweit muss das entsprechende Verfahren zum einen angesichts der gebotenen Beachtung von Art. 47 der Charta so weit wie irgend möglich die Wahrung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens sicherstellen, um es dem Betroffenen zu ermöglichen, die Gründe anzugreifen, auf denen die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 beruht, und zu den entsprechenden Beweisen Stellung zu nehmen und somit seine Verteidigungsmittel sachdienlich geltend zu machen. Zu diesem Zweck kann auf Möglichkeiten wie die Übermittlung einer Zusammenfassung des Inhalts der fraglichen Informationen oder Beweise zurückgegriffen werden (vgl. entsprechend Urteile vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 65, und vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 129).

88

Jedenfalls muss dem Betroffenen der wesentliche Inhalt der Gründe, auf denen die Aufhebung beruht, mitgeteilt werden, da der erforderliche Schutz u. a. der Sicherheit des Staates oder der internationalen Beziehungen nicht dazu führen kann, dass dem Betroffenen sein Recht darauf, gehört zu werden, vorenthalten und damit sein Recht auf einen Rechtsbehelf gegen die Aufhebung wirkungslos wird (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 65).

89

Wenn sich die nationale Behörde, die den Sicherheitsbescheid für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 aufgehoben hat, vor dem zuständigen nationalen Gericht nur auf bestimmte Gründe für die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen berufen will, die sie für ausreichend hält, um diese Aufhebung zu rechtfertigen, steht es ihr gegebenenfalls frei, nur den wesentlichen Inhalt allein dieser Gründe mitzuteilen (vgl. entsprechend Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 119, 127 und 130). In diesem Fall prüft das Gericht nach der in Rn. 85 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit der Aufhebung allein auf der Grundlage der Gründe, deren wesentlicher Inhalt mitgeteilt wurde.

90

Zum anderen gilt die Abwägung zwischen dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und der Notwendigkeit, u. a. den Schutz der Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats oder der internationalen Beziehungen zu gewährleisten, auf der die in den Rn. 87 und 88 des vorliegenden Urteils dargelegte Schlussfolgerung beruht, nicht in gleicher Weise für die Beweise, die den vor dem zuständigen nationalen Gericht geltend gemachten Gründen zugrunde liegen. In bestimmten Fällen kann nämlich die Offenlegung dieser Beweise u. a. die Sicherheit des Staates insoweit unmittelbar und besonders beeinträchtigen, als sie insbesondere das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit von Personen gefährden könnte oder die von den Nationalen Sicherheitsbehörden speziell angewandten Untersuchungsmethoden enthüllen und damit die zukünftige Erfüllung der Aufgaben dieser Behörden ernsthaft behindern oder sogar unmöglich machen könnte (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 66).

91

In diesem Zusammenhang ist es Sache des zuständigen nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob und inwieweit der Umstand, dass die vertraulichen Informationen oder Beweise der betroffenen Person gegenüber nicht offengelegt werden und es ihr damit unmöglich ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, die Beweiskraft dieser Beweise beeinflussen kann (vgl. entsprechend Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 129 und die dort angeführte Rechtsprechung).

92

Unter diesen Umständen hat das zuständige nationale Gericht dafür zu sorgen, dass dem Betroffenen der wesentliche Inhalt der Gründe, auf denen die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 beruht, in einer Weise mitgeteilt wird, die die erforderliche Geheimhaltung der Beweise gebührend berücksichtigt, und gegebenenfalls nach dem nationalen Recht die Konsequenzen aus einer eventuellen Missachtung dieser Mitteilungspflicht zu ziehen (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 68).

93

In Anbetracht dieser sich aus Art. 47 der Charta ergebenden Anforderungen erweist sich im vorliegenden Fall die vom vorlegenden Gericht angeführte Befugnis des zuständigen nationalen Gerichts, auf sämtliche Verschlusssachen zuzugreifen, auf denen die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 beruht, als eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung, um in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einen wirksamen Rechtsbehelf zu gewährleisten.

94

Die Wahrung der Verteidigungsrechte bedeutet nämlich nicht nur, dass das zuständige Gericht über alle für seine Entscheidung relevanten Angaben verfügt, sondern auch, dass die betroffene Person, gegebenenfalls durch einen Rechtsberater, ihre Interessen geltend machen kann, indem sie ihren Standpunkt hierzu zum Ausdruck bringt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2022, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság u. a., C‑159/21, EU:C:2022:708, Rn. 58).

95

Außerdem kann die dem Rechtsanwalt des ehemaligen Inhabers des Sicherheitsbescheids für Unternehmen eröffnete Möglichkeit, mit Zustimmung der betreffenden nationalen Behörden Zugang zu den Verschlusssachen zu erhalten, auf denen die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 beruht, nicht ausreichen, um die Beachtung von Art. 47 der Charta zu gewährleisten, wenn diese Behörden einen solchen Zugang verweigern können, ohne dass das zuständige nationale Gericht die Konsequenzen aus der etwaigen fehlenden Rechtfertigung einer solchen Verweigerung für die Zwecke der Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Aufhebung ziehen kann, und wenn der Rechtsanwalt die Vertraulichkeit dieser Informationen gewährleisten muss, was bedeutet, dass er ihren Inhalt seinem Mandanten nicht offenlegen kann.

96

Im Übrigen lässt sich anhand der Angaben in dem Vorabentscheidungsersuchen nicht feststellen, ob das zuständige nationale Gericht nach der slowakischen Regelung befugt ist, zu prüfen, ob die von den nationalen Behörden angeführten Gründe der Übermittlung aller oder eines Teils der Verschlusssachen, auf denen die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 beruht, tatsächlich entgegenstehen, und gegebenenfalls die Konsequenzen aus einer nicht ordnungsgemäß begründeten Weigerung, einen Teil dieser Informationen zu übermitteln, zu ziehen.

97

Auch wenn aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens oder ihr Rechtsanwalt Zugang zu den nicht als Verschlusssachen eingestuften Informationen und zu einigen der als Verschlusssachen eingestuften Informationen hatte, auf denen die Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 beruht, hat das vorlegende Gericht ferner nicht erläutert, ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens anhand dieser Informationen über den wesentlichen Inhalt der Gründe für die Aufhebung oder zumindest über den wesentlichen Inhalt des Grundes oder der Gründe, auf den bzw. die sich die zuständige nationale Behörde berufen wollte, verfügen konnte.

98

Es wird daher Sache des vorlegenden Gerichts sein, zu beurteilen, inwieweit die Einhaltung der sich aus Art. 47 der Charta ergebenden Anforderungen, wie sie aus den Rn. 79 bis 92 des vorliegenden Urteils hervorgehen, durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung und Praxis gewährleistet wird.

99

Was drittens die Folgen einer etwaigen Feststellung der Unvereinbarkeit dieser Regelung und dieser Praxis mit Art. 47 der Charta betrifft, steht es den Mitgliedstaaten frei, der zuständigen nationalen Behörde die Befugnis vorzubehalten, die als Verschlusssache eingestuften Gründe oder Beweise mitzuteilen oder nicht mitzuteilen, sofern das nationale Gericht, das mit dem Rechtsbehelf gegen die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 befasst ist, befugt ist, die Konsequenzen aus der letztlich von dieser Behörde in dieser Hinsicht getroffenen Entscheidung zu ziehen (vgl. entsprechend Urteil vom 25. April 2024, NW und PQ [Verschlusssachen], C‑420/22 und C‑528/22, EU:C:2024:344, Rn. 113).

100

Mit einer solchen Lösung kann nämlich, wenn die zuständige nationale Behörde die Mitteilung aller oder eines Teils der Gesichtspunkte, die der Aufhebung zugrunde liegen, in nicht gerechtfertigter Weise behindert, die vollständige Einhaltung von Art. 47 der Charta gewährleistet werden, da sie sicherstellt, dass die Missachtung der ihr obliegenden Verfahrenspflichten durch diese Behörde nicht dazu führt, dass die gerichtliche Entscheidung auf Tatsachen und Dokumente gestützt wird, von denen der Antragsteller keine Kenntnis nehmen und zu denen er daher auch nicht Stellung nehmen konnte (vgl. entsprechend Urteil vom 25. April 2024, NW und PQ [Verschlusssachen], C‑420/22 und C‑528/22, EU:C:2024:344, Rn. 114).

101

Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass es für die Gewährleistung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 unerlässlich ist, dass das mit einer Klage gegen diese Aufhebung befasste nationale Gericht befugt ist, selbst bestimmte Verschlusssachen zu übermitteln, wenn die unterbliebene Übermittlung dieser Verschlusssachen an den ehemaligen Inhaber des Sicherheitsbescheids für Unternehmen, gegebenenfalls über seinen Rechtsanwalt, nicht gerechtfertigt erscheint (vgl. entsprechend Urteil vom 25. April 2024, NW und PQ [Verschlusssachen], C‑420/22 und C‑528/22, EU:C:2024:344, Rn. 115).

102

Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass

er zum einen einer nationalen Regelung und Praxis nicht entgegensteht, wonach in einer Entscheidung über die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 nicht die Verschlusssachen angegeben werden, auf denen diese Aufhebung beruht, und zwar wegen zwingender Erwägungen z. B. hinsichtlich des Schutzes der Sicherheit des Staates oder der internationalen Beziehungen, wobei zugleich vorgesehen ist, dass das für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung zuständige Gericht Zugang zu diesen Verschlusssachen hat und dass der Rechtsanwalt des ehemaligen Inhabers des Sicherheitsbescheids für Unternehmen nur dann Zugang zu diesen Verschlusssachen haben kann, wenn die betreffenden nationalen Behörden zustimmen und er ihre Vertraulichkeit gewährleistet, soweit dieses Gericht dafür sorgt, dass die Nichtoffenlegung von Verschlusssachen auf das unbedingt Erforderliche begrenzt ist und dass dem ehemaligen Inhaber des Sicherheitsbescheids für Unternehmen jedenfalls der wesentliche Inhalt der Gründe für die Aufhebung in einer Weise mitgeteilt wird, die der erforderlichen Vertraulichkeit der Beweise gebührend Rechnung trägt;

er zum anderen für den Fall, dass er einer solchen Regelung und Praxis entgegensteht, nicht verlangt, dass das zuständige nationale Gericht selbst dem ehemaligen Inhaber des Sicherheitsbescheids für Unternehmen, gegebenenfalls über seinen Rechtsanwalt, bestimmte Verschlusssachen übermittelt, wenn ihre Nichtübermittlung an den ehemaligen Inhaber oder seinen Rechtsanwalt nicht gerechtfertigt erscheint. Dies ist gegebenenfalls Sache der zuständigen nationalen Behörde. Wenn diese Behörde die entsprechende Mitteilung nicht erlaubt, prüft das zuständige nationale Gericht die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen allein auf der Grundlage der mitgeteilten Gründe und Beweise.

Zur vierten Frage

103

In Anbetracht der Antwort auf die zweite und die dritte Frage ist die vierte Frage nicht zu beantworten.

Kosten

104

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

ist dahin auszulegen, dass

die von einem nationalen Gericht vorgenommene Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über die Aufhebung einer Sicherheitsermächtigung für Unternehmen, die den Zugang zu von einem Mitgliedstaat als Verschlusssachen eingestuften Informationen ermöglicht, keinen Rechtsakt zum Gegenstand hat, der eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne dieser Bestimmung darstellt;

die von einem solchen Gericht vorgenommene Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über die Aufhebung – als Folge der Aufhebung dieser Sicherheitsermächtigung für Unternehmen – eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen, der gemäß Art. 11 und Anhang V des Beschlusses 2013/488/EU des Rates vom 23. September 2013 über die Sicherheitsvorschriften für den Schutz von EU-Verschlusssachen den Zugang zu EU-Verschlusssachen erlaubt, einen Rechtsakt zum Gegenstand hat, der eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne dieses Art. 51 Abs. 1 darstellt.

 

2.

Art. 47 der Charta der Grundrechte

ist dahin auszulegen, dass

er zum einen einer nationalen Regelung und Praxis nicht entgegensteht, wonach in einer Entscheidung über die Aufhebung eines Sicherheitsbescheids für Unternehmen im Sinne des Beschlusses 2013/488 nicht die Verschlusssachen angegeben werden, auf denen diese Aufhebung beruht, und zwar wegen zwingender Erwägungen z. B. hinsichtlich des Schutzes der Sicherheit des Staates oder der internationalen Beziehungen, wobei zugleich vorgesehen ist, dass das für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung zuständige Gericht Zugang zu diesen Verschlusssachen hat und dass der Rechtsanwalt des ehemaligen Inhabers des Sicherheitsbescheids für Unternehmen nur dann Zugang zu diesen Verschlusssachen haben kann, wenn die betreffenden nationalen Behörden zustimmen und er ihre Vertraulichkeit gewährleistet, soweit dieses Gericht dafür sorgt, dass die Nichtoffenlegung von Verschlusssachen auf das unbedingt Erforderliche begrenzt ist und dass dem ehemaligen Inhaber des Sicherheitsbescheids für Unternehmen jedenfalls der wesentliche Inhalt der Gründe für die Aufhebung in einer Weise mitgeteilt wird, die der erforderlichen Vertraulichkeit der Beweise gebührend Rechnung trägt;

er zum anderen für den Fall, dass er einer solchen Regelung und Praxis entgegensteht, nicht verlangt, dass das zuständige nationale Gericht selbst dem ehemaligen Inhaber des Sicherheitsbescheids für Unternehmen, gegebenenfalls über seinen Rechtsanwalt, bestimmte Verschlusssachen übermittelt, wenn ihre Nichtübermittlung an den ehemaligen Inhaber oder seinen Rechtsanwalt nicht gerechtfertigt erscheint. Dies ist gegebenenfalls Sache der zuständigen nationalen Behörde. Wenn diese Behörde die entsprechende Mitteilung nicht erlaubt, prüft das zuständige nationale Gericht die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Sicherheitsbescheids für Unternehmen allein auf der Grundlage der mitgeteilten Gründe und Beweise.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Slowakisch.

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