Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62023CC0205

    Schlussanträge des Generalanwalts A. Rantos vom 11. Juli 2024.


    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:611

    Vorläufige Fassung

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    ATHANASIOS RANTOS

    vom 11. Juli 2024(1)

    Rechtssache C205/23

    Engie România SA

    gegen

    Autoritatea Naţională de Reglementare în Domeniul Energiei

    (Vorabentscheidungsersuchen des Tribunalul Bucureşti [Regionalgericht Bukarest, Rumänien])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Energie – Richtlinie 2009/73/EG – Erdgasbinnenmarkt – Art. 3 – Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Schutz der Kunden – Verstoß eines Erdgasversorgers gegen seine Verpflichtung zur Transparenz gegenüber Haushaltskunden – Kumulierung von Verwaltungssanktionen für ein und denselben Verstoß – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 50 – Grundsatz ne bis in idem – Art. 52 Abs. 1 – Einschränkungen des Grundsatzes ne bis in idem – Verhältnismäßigkeit“






    I.      Einleitung

    1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Tribunalul Bucureşti (Regionalgericht Bukarest, Rumänien) betrifft die Auslegung der Art. 50 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

    2.        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Engie România SA (im Folgenden: Engie oder Klägerin), einem Erdgasversorger, und der Autoritatea Națională de Reglementare în Domeniul Energiei (Nationale Energieregulierungsbehörde, Rumänien, im Folgenden: ANRE) über einen von Letzterer erstellten Bescheid, mit dem eine angeblich von Engie begangene Ordnungswidrigkeit festgestellt und geahndet wurde.

    3.        Dem Wunsch des Gerichtshofs entsprechend werden sich die vorliegenden Schlussanträge auf die Prüfung der zweiten Vorlagefrage konzentrieren, die sich auf die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem bezieht, der in Art. 50 der Charta verankert ist und durch Art. 52 Abs. 1 Einschränkungen erfährt. Konkret geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die Verhängung einer Verwaltungssanktion gegen einen Erdgasversorger sowohl durch die Energieregulierungsbehörde als auch durch die Verbraucherschutzbehörde wegen eines angeblich identischen Sachverhalts, der von diesen beiden Behörden auf der Grundlage unterschiedlicher Bestimmungen aber gesondert sanktioniert wurde, eine gerechtfertigte Einschränkung der Anwendung des genannten Grundsatzes darstellt.

    4.        Die vorliegende Rechtssache bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, zum einen seine Rechtsprechung zur Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem in einem Kontext weiter zu präzisieren, in dem zwei Verwaltungsverfahren zur Kontrolle und Sanktionierung einer juristischen Person nebeneinander bestehen, die parallel von zwei verschiedenen zuständigen Behörden durchgeführt wurden, die gesonderte individuelle Sanktionsmaßnahmen wegen angeblich desselben verfolgten Sachverhalts erlassen haben, und zum anderen zu bestimmen, inwieweit eine solche Kumulierung von Maßnahmen den im Unionsrecht verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.

    II.    Rechtlicher Rahmen

    A.      Unionsrecht

    5.        Der Grundsatz ne bis in idem ist in Art. 50 („Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden“) der Charta verankert und lautet:

    „Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.“

    6.        Art. 51 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Charta bestimmt:

    „Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.“

    7.        Art. 52 der Charta („Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze“) Abs. 1 bestimmt:

    „Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.“

    B.      Rumänisches Recht

    8.        In Art. 143 Abs. 1 Buchst. k der Legea nr. 123, energiei electrice și a gazelor naturale (Gesetz Nr. 123 über elektrische Energie und Erdgas) vom 10. Juli 2012(2) (im Folgenden: Gesetz Nr. 123/2012) heißt es:

    „Der Erdgasversorger hat unter anderem folgende Pflichten:

    k)      den Endkunden transparente Informationen über die Preise/Tarife, die er im Einzelnen anbietet, sowie über die allgemeinen Bedingungen für den Zugang zu den von ihm angebotenen Dienstleistungen und deren Inanspruchnahme zu übermitteln.“

    9.        Art. 194 Abs. 24-1 dieses Gesetzes bestimmt:

    „Folgende Sachverhalte stellen Verstöße gegen die Vorschriften für Tätigkeiten im Erdgassektor dar: … die Nichteinhaltung der Verpflichtungen aus Art. 143 Abs. 1, Art. 144-1 und Art. 145 Abs. 4 Buchst. g durch die Teilnehmer am Erdgasmarkt.“

    10.      Gemäß Art. 195 Abs. 2 Buchst. c des genannten Gesetzes kann eine solche Ordnungswidrigkeit mit einer Geldstrafe zwischen 20 000 und 400 000 rumänischen Lei (RON) (ca. 4 057 Euro bis ca. 81 147 Euro) geahndet werden.

    III.  Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

    11.      Mit Bescheid vom 14. September 2021 stellte die Autoritatea Națională pentru Protecția Consumatorilor (Nationale Verbraucherschutzbehörde, Rumänien, im Folgenden: ANPC) fest, dass Engie bei der Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit irreführende und aggressive Geschäftspraktiken angewandt habe(3), und forderte Engie auf, diese Praktiken einzustellen, ihre Geschäftstätigkeit bis zur Beendigung der angeblichen unlauteren Geschäftspraktiken auszusetzen und den Preis für die Lieferung von Erdgas an Haushaltskunden nicht zu verändern.

    12.      Am 11. Oktober 2021 stellte die ANRE fest, dass Engie als zugelassener Erdgasversorger gegen ihre Transparenzpflicht aus Art. 143 Abs. 1 Buchst. k des Gesetzes Nr. 123/2012 verstoßen habe, und verhängte gegen Engie ein Bußgeld in Höhe von insgesamt 800 000 RON (ca. 160 000 Euro) (im Folgenden: in Rede stehender Bescheid), mit der Begründung, dass bei diesem Versorger zum einen Unregelmäßigkeiten betreffend den Inhalt bestimmter Erdgasangebote festzustellen seien und dass zum anderen dieser Versorger die Möglichkeit, den Preis für die Lieferung von Erdgas, auf dessen Grundlage die Verträge mit seinen Kunden geschlossen worden seien, innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten zu ändern, nicht ausreichend deutlich gemacht habe. Darüber hinaus wies die ANRE Engie an, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um erstens ihren zwölf Endkunden die Beibehaltung des Erdgasfestpreises, zu dem sie sich verpflichtet habe, mitzuteilen, zweitens die diesen Kunden übermittelten Nachträge zu annullieren, drittens alle Endkunden zu identifizieren, die Standardangebote mit einem für den in diesen Angeboten vorgesehenen Zeitraum gültigen Festpreis angenommen hätten und denen später Mitteilungen und Nachträge übermittelt worden seien, um den Preis des gelieferten Erdgases vor Ablauf dieses Zeitraums zu erhöhen, und viertens diesen Kunden die Beibehaltung des Gasfestpreises gemäß den genannten Angeboten sowie die Annullierung der übermittelten Nachträge mitzuteilen.

    13.      Unter diesen Umständen reichte Engie bei der Judecătoria Sectorului 4 București (Gericht erster Instanz Stadtbezirk 4 Bukarest, Rumänien) eine Klage gegen den in Rede stehenden Bescheid ein. Mit Urteil vom 14. März 2022 wies dieses Gericht die Klage als unbegründet ab. Engie legte daraufhin gegen das Urteil beim Tribunalul București (Regionalgericht Bukarest), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.

    14.      Das vorlegende Gericht weist erstens darauf hin, dass geklärt werden müsse, ob die ANRE einem Erdgasversorger als Konsequenz des behaupteten Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Transparenz gegenüber den Kunden die Anwendung eines Preises vorschreiben könne, der von dem in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2009/73/EG(4) geregelten Marktpreis abweiche

    15.      Zweitens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sowohl die ANRE als auch die ANPC im Wesentlichen denselben Sachverhalt festgestellt, ihn aber unterschiedlich bewertet hätten und gegen Engie mit gesonderten Rechtsakten Geldbußen verhängt sowie ihr dieselbe Abhilfeverpflichtung auferlegt hätten, nämlich die Verpflichtung, den im Standardangebot festgelegten Preis, d. h. im vorliegenden Fall den im April 2021 geltenden Preis, wiederherzustellen. Daher sei klären, ob der Grundsatz ne bis in idem auf die Sanktionen anwendbar sei, die von der ersten Behörde auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 123/2012, mit dem die Richtlinie 2009/73 in die rumänische Rechtsordnung umgesetzt worden sei, und von der zweiten Behörde auf der Grundlage der rumänischen Verbraucherschutzgesetze verhängt worden seien.

    16.      Unter diesen Umständen hat das Tribunalul București (Regionalgericht Bukarest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.      Kann ein mutmaßlicher Verstoß gegen die in nationales Recht umgesetzte, den Erdgasversorgern gegenüber Haushaltskunden obliegende Transparenzpflicht, der in diesem Recht als Ordnungswidrigkeit behandelt wird, die zuständige nationale Behörde auch dazu veranlassen, einen Erdgasversorger zu verpflichten, gegenüber den Verbrauchern einen auf dem Verwaltungsweg festgelegten Preis anzuwenden, der den in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2009/73 vorgesehenen Grundsatz der freien Preisbildung auf dem Erdgasmarkt nicht berücksichtigt?

    2.      Kann der Umstand, dass ein Erdgasversorger sowohl von der Verbraucherschutzbehörde als auch von der Energieregulierungsbehörde durch den Erlass zweier verschiedener Ordnungswidrigkeitenbescheide, mit denen dem Versorger dieselben Maßnahmen auferlegt werden (Verdoppelung von Verwaltungsakten, mit denen Maßnahmen auferlegt werden), sanktioniert wird, als gerechtfertigte Einschränkung des Grundsatzes ne bis in idem im Sinne der Bestimmungen von Art. 52 der Charta angesehen werden, oder stellt dies einen Verstoß gegen diesen Grundsatz dar?

    Entspricht eine solche Kumulierung von Rechtsakten, mit denen dieselben Maßnahmen auf der Grundlage desselben Sachverhalts von verschiedenen Behörden auferlegt werden, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?

    17.      Engie, die ANRE, die rumänische und die griechische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Dieselben Beteiligten haben in der Sitzung vom 24. April 2024 auch mündliche Ausführungen gemacht.

    IV.    Würdigung

    A.      Zur zweiten Vorlagefrage

    18.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage, die Gegenstand meiner thematisch begrenzten Schlussanträge ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 50 und 52 der Charta dahin auszulegen sind, dass die Verhängung einer Sanktion gegen einen Erdgasversorger sowohl durch die Energieregulierungsbehörde als auch durch die Verbraucherschutzbehörde für einen identischen Sachverhalt, der jedoch von den beiden Behörden auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen gesondert sanktioniert wurde, eine gerechtfertigte Beschränkung der Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem darstellt.

    1.      Vorbemerkungen

    a)      Zum Anwendungsbereich von Art. 50 der Charta

    19.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Anwendungsbereich der Charta, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, in Art. 51 Abs. 1 der Charta definiert ist. Danach gilt diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union(5).

    20.      Im vorliegenden Fall geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervor, dass die beiden in Rede stehenden Bescheide auf der Grundlage der rumänischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2009/73 bzw. der Richtlinie 2005/29/EG erlassen wurden(6). Da diese nationalen Regelungen die Umsetzung des Unionsrechts darstellen, fallen sie somit in den Anwendungsbereich der Charta im Sinne von Art. 51 der Charta, und Art. 50 der Charta findet folglich auf das Ausgangsverfahren Anwendung.

    21.      Es ist auch daran zu erinnern, dass der in Art. 50 der Charta verankerte Grundsatz ne bis in idem ein tragender Grundsatz des Unionsrechts ist(7), der eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen, die strafrechtlicher Natur im Sinne dieses Artikels sind, gegenüber derselben Person wegen derselben Tat verbietet(8). Einschränkungen des Grundsatzes ne bis in idem können jedoch nach Art. 52 Abs. 1 der Charta gerechtfertigt sein, vorausgesetzt, die in dieser Bestimmung genannten Bedingungen sind erfüllt(9).

    b)      Zum strafrechtlichen Charakter der verfolgten Zuwiderhandlung

    22.      Zunächst ist festzuhalten, dass aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, dass bei der Beurteilung der strafrechtlichen Natur der in Rede stehenden Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen drei Kriterien maßgebend sind: erstens die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht, zweitens die Art der Zuwiderhandlung und drittens der Schweregrad der dem Betroffenen drohenden Sanktion(10).

    23.      Als Erstes ist im Hinblick auf das Kriterium der rechtlichen Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht festzustellen, dass die Sanktionen dem vorlegenden Gericht zufolge für einen Sachverhalt, der im innerstaatlichen Recht unter „Ordnungswidrigkeiten“ einzustufen ist, verhängt werden und dass die Verfahren, nach deren Abschluss diese Sanktionen verhängt wurden, Verwaltungsverfahren sind.

    24.      Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs beschränkt sich Art. 50 der Charta nicht allein auf Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen, die im nationalen Recht als „strafrechtlich“ eingestuft werden, sondern erstreckt sich – unabhängig von ihrer Einordnung im innerstaatlichen Recht – auf Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen, die nach den beiden anderen in Nr. 22 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Kriterien strafrechtlicher Natur sind(11).

    25.      Was zweitens das Kriterium der Natur der Zuwiderhandlung betrifft, so ist zu prüfen, ob die in Rede stehende Sanktion – ungeachtet der Tatsache, dass sie auch einen präventiven Zweck hat – eine repressive Zielsetzung verfolgt. Es liegt nämlich in der Natur strafrechtlicher Sanktionen, dass sie sowohl auf die Repression als auch auf die Prävention rechtswidriger Verhaltensweisen abzielen(12). Dagegen ist eine Maßnahme, die nur den durch die Straftat entstandenen Schaden ersetzen soll, nicht strafrechtlicher Natur(13).

    26.      Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen hervor, dass ein Verstoß gegen die Verpflichtungen zur Transparenz und Information der Kunden durch einen Erdgasversorger gemäß den Bestimmungen des Gesetzes Nr. 123/2012 mit einer Geldstrafe geahndet werden kann(14). Das Gleiche gilt für Sanktionen, die von der ANPC auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 363/2007 verhängt werden, wonach unlautere oder irreführende Geschäftspraktiken ebenfalls mit Geldbußen belegt werden können(15). Aus diesen Informationen geht außerdem hervor, dass diese beiden Behörden über die Geldstrafen hinaus zusätzliche Abhilfemaßnahmen ergriffen haben (vom vorlegenden Gericht als „Verpflichtung[en] zur Wiederherstellung“ bezeichnet), mit denen Engie verpflichtet wurde, bis zum April 2021 den im Standardangebot festgelegten Preis wiederherzustellen.

    27.      Insoweit ist zwischen den von der ANPC und der ANRE verhängten Verwaltungssanktionen einerseits und den von ihnen ergriffenen zusätzlichen Abhilfemaßnahmen andererseits zu unterscheiden. Denn es scheint zwar – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Würdigung – nicht bestritten werden zu können, dass die gegen Engie verhängten Geldstrafen sowohl einen repressiven als auch einen präventiven Zweck verfolgen, doch gilt dies nicht für die ergänzenden Maßnahmen im Hinblick auf die in Nr. 25 der vorliegenden Schlussanträge angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach eine Maßnahme, die sich darauf beschränkt, den durch die betreffende Zuwiderhandlung verursachten Schaden zu ersetzen (oder ihn zu beheben), nicht strafrechtlicher Natur ist.

    28.      Was als Drittes das Kriterium der Schwere der verhängten Sanktion betrifft, das nach Maßgabe der vorgesehenen Höchststrafe zu beurteilen ist(16), ist festzustellen, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, dass Engie zwei Sanktionen auferlegt wurden, die sich auf 800 000 RON (ca. 160 000 Euro) für die von der ANRE verhängte Sanktion(17) bzw. 150 000 RON (ca. 30 000 Euro) für die von der ANPC verhängte Sanktion(18) belaufen.

    29.      Es wird daher Sache des vorlegenden Gerichts sein, auf der Grundlage aller ihm zur Verfügung stehenden Informationen zu prüfen, ob die Beträge dieser Sanktionen streng genug sind, um als „ihrer Natur nach strafrechtlich“ eingestuft zu werden(19).

    2.      Zu den Anwendungsvoraussetzungen des Grundsatzes ne bis in idem

    30.      Die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem setzt zweierlei voraus, nämlich zum einen, dass es eine frühere endgültige Entscheidung gibt (Voraussetzung „bis“), und zum anderen, dass bei der früheren Entscheidung und bei den späteren Verfolgungsmaßnahmen oder Entscheidungen auf denselben Sachverhalt (und dieselben betroffenen Personen) abgestellt wird (Voraussetzung „idem“)(20).

    a)      Zur Voraussetzung „bis“

    31.      Was die Voraussetzung „bis“ anbelangt, ist es für die Annahme, dass eine gerichtliche Entscheidung über den einem zweiten Verfahren unterliegenden Sachverhalt endgültig entschieden hat, nicht nur erforderlich, dass diese Entscheidung rechtskräftig geworden ist, sondern auch, dass sie nach einer Prüfung in der Sache ergangen ist(21).

    32.      Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargestellt, dass die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem zwar das Vorliegen einer früheren endgültigen Entscheidung voraussetzt, doch daraus nicht zwangsläufig folgt, dass es sich bei den späteren Entscheidungen, denen der Grundsatz entgegensteht, nur um solche handeln kann, die nach der früheren endgültigen Entscheidung ergangen sind. Dieser Grundsatz schließt nämlich aus, dass bei Vorliegen einer endgültigen Entscheidung eine Strafverfolgung wegen derselben Tat eingeleitet oder aufrechterhalten werden kann(22).

    33.      Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die Entscheidung der ANPC vom zuständigen Gericht wegen fehlender Zuständigkeit endgültig aufgehoben wurde, ohne dass das Gericht den Fall in der Sache geprüft hätte(23). Wie in Nr. 31 der vorliegenden Schlussanträge erwähnt, erfordert die Voraussetzung „bis“ aber das Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung, die sich auf die Begründetheit der Rechtssache bezieht, was im vorliegenden Fall offenbar nicht gegeben ist.

    34.      Es wird dem vorlegenden Gericht jedenfalls obliegen, festzustellen, ob in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen die Voraussetzung „bis“ tatsächlich erfüllt ist, bevor es die Prüfung der Voraussetzung „idem“ vornimmt.

    b)      Zur Voraussetzung „idem

    35.      Was die Bedingung „idem“ betrifft, so ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 50 der Charta selbst, dass dieser verbietet, eine Person wegen derselben Straftat mehr als einmal strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen.

    36.      Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist für die Beurteilung, ob es sich um dieselbe Straftat handelt, das Kriterium der Identität der materiellen Tat maßgebend. Art. 50 der Charta verbietet es somit, wegen derselben Tat mehrere Sanktionen strafrechtlicher Natur am Ende verschiedener zu diesem Zweck durchgeführter Verfahren zu verhängen(24). Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die rechtliche Einordnung der Tat nach nationalem Recht und das geschützte Rechtsgut für die Feststellung, ob dieselbe Straftat vorliegt, nicht erheblich, da die Reichweite des in Art. 50 der Charta gewährten Schutzes nicht von einem Mitgliedstaat zum anderen unterschiedlich sein kann(25).

    37.      Da die Voraussetzung „idem“ eine identische materielle Tat erfordert, findet der Grundsatz ne bis in idem keine Anwendung, wenn der fragliche Sachverhalt nicht identisch, sondern nur ähnlich ist. Die Identität der materiellen Tat ist nämlich als die Gesamtheit der konkreten Umstände zu verstehen, die sich aus Ereignissen ergeben, bei denen es sich im Wesentlichen um dieselben handelt, da dieselbe Person gehandelt hat und sie zeitlich sowie räumlich unlösbar miteinander verbunden sind(26).

    38.      Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht zum einen festgestellt, dass die beiden im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verfahren dieselbe juristische Person, nämlich Engie, betreffen, und zum anderen, dass der von der ANRE und der ANPC festgestellte Sachverhalt, d. h. die Praxis der Klägerin, den Erdgaspreis zu ändern, im Wesentlichen identisch ist, ungeachtet der Tatsache, dass er von diesen beiden Behörden unterschiedlich eingestuft wurde.

    39.      Zwar scheinen die rumänische Regierung und die ANRE die Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts zu bestreiten, indem sie geltend machen, dass die von diesen Behörden festgestellten und sanktionierten Sachverhalte nicht identisch seien(27), es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat(28). Sofern das nationale Gericht also der Auffassung ist, dass die Sachverhalte, für die Engie von den beiden Behörden bestraft worden ist, im Sinne der in Nr. 37 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs identisch sind, würde diese Kumulierung eine Einschränkung des durch Art. 50 der Charta garantierten Grundrechts darstellen.

    40.      Jedenfalls wird es letztlich Sache des vorlegenden Gerichts sein, festzustellen, ob der Sachverhalt, der Gegenstand der beiden im Ausgangsverfahren auf der Grundlage einer sektorspezifischen Regelung im Energiebereich einerseits und des Verbraucherrechts andererseits eingeleiteten Verfahren ist, identisch ist. Zu diesem Zweck hat es den Sachverhalt, der im Rahmen jedes der Verfahren berücksichtigt wurde, sowie den Zeitraum der behaupteten Zuwiderhandlung zu prüfen(29).

    3.      Zur Rechtfertigung einer etwaigen Einschränkung des in Art. 50 der Charta garantierten Grundrechts

    41.      Es ist daran zu erinnern, dass eine Einschränkung des in Art. 50 der Charta garantierten Grundrechts nur auf der Grundlage von Art. 52 Abs. 1 der Charta gerechtfertigt werden kann. Nach Satz 1 dieses Absatzes muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Nach Satz 2 des genannten Absatzes dürfen Einschränkungen dieser Rechte und Freiheiten unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

    a)      Zum Schutz einer oder mehrerer dem Gemeinwohl dienender Zielsetzungen

    42.      Wie aus dem kürzlich ergangenen Urteil bpost hervorgeht, vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass eine Kumulierung strafrechtlicher Sanktionen gerechtfertigt sein kann, wenn mit den von zwei verschiedenen Behörden eingeleiteten Verfolgungsmaßnahmen komplementäre Zwecke verfolgt werden, die verschiedene Aspekte desselben rechtswidrigen Verhaltens betreffen(30). In diesem Urteil hat der Gerichtshof außerdem festgestellt, dass die Behörden berechtigt sind, auf bestimmte für die Gesellschaft schädliche Verhaltensweisen einander ergänzende rechtliche Antworten zu geben, indem in verschiedenen Verfahren in zusammenhängender Weise unterschiedliche Aspekte des betreffenden sozialen Problems behandelt werden, sofern diese kombinierten rechtlichen Antworten keine übermäßige Belastung für die betreffende Person darstellen(31).

    43.      Im vorliegenden Fall scheint diese Bedingung erfüllt zu sein, da die von der ANPC angeordneten Maßnahmen ausschließlich darauf abzielten, unlautere und irreführende Geschäftspraktiken gegenüber den Kunden zu unterbinden, während die von der ANRE angeordneten Maßnahmen zum Ziel hatten, die Preistransparenz auf dem rumänischen Energiemarkt im spezifischen Kontext der Liberalisierung des Erdgassektors und damit das reibungslose Funktionieren dieses Marktes zu gewährleisten(32). Es erscheint daher legitim, dass ein Mitgliedstaat Verstöße gegen die sektorspezifische Regelung zur Liberalisierung des Erdgasmarkts und gegen die Vorschriften über unlautere Geschäftspraktiken ahndet, um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten(33).

    44.      Daraus folgt, dass der Grundsatz ne bis in idem grundsätzlich nicht verletzt wird, wenn ein und dasselbe Verhalten Gegenstand separater Ermittlungsverfahren ist, die auf unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen beruhen, mit denen unterschiedliche und komplementäre Ziele verfolgt werden, wie etwa der Schutz der Verbraucher und die Wahrung der Preistransparenz auf dem Energiemarkt.

    45.      Im Übrigen kann die Tatsache, dass der Verbraucherschutz als dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung nicht nur durch die nationalen Verbraucherschutzvorschriften, sondern mittelbar und aus einer anderen Perspektive auch durch die sektorspezifischen Energievorschriften verfolgt werden kann(34), den komplementären Charakter der mit den beiden Regelwerken verfolgten Zielsetzungen nicht in Frage stellen.

    46.      Die vorstehende Auslegung, die auf der Komplementarität der mit den beiden Regelungen verfolgten Zielsetzungen beruht, scheint auch durch den Wortlaut der Richtlinie 2009/73 selbst gestützt zu werden (umgesetzt in nationales Recht durch das Gesetz Nr. 123/2012), die in ihrem Anhang I Abs. 1 vorsieht, dass die in Art. 3 dieser Richtlinie genannten Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher die Verbraucherschutzvorschriften der Union unberührt lassen.

    b)      Zur Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit der Einschränkung

    47.      Was die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anbelangt, ist daran zu erinnern, dass nach diesem Grundsatz die in der nationalen Regelung vorgesehene Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen nicht die Grenzen dessen überschreiten darf, was zur Erreichung der mit dieser Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Stehen mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl, ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die am wenigsten belastende zu wählen, wobei die durch sie bedingten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen(35).

    48.      Im Hinblick auf die zwingende Erforderlichkeit einer solchen Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen ist entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu prüfen, ob es klare und präzise Regeln gibt, anhand deren sich vorhersehen lässt, bei welchen Handlungen und Unterlassungen eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen in Frage kommt. Weiter ist zu prüfen, ob die beiden Verfahren in hinreichend koordinierter Weise und in einem engen zeitlichen Zusammenhang geführt wurden und ob die gegebenenfalls im Rahmen des chronologisch zuerst geführten Verfahrens verhängte Sanktion bei der Bestimmung der zweiten Sanktion berücksichtigt wurde, so dass die Belastungen, die sich aus einer solchen Kumulierung für die Betroffenen ergeben, auf das zwingend Erforderliche beschränkt sind und die Gesamtheit der verhängten Sanktionen der Schwere der begangenen Zuwiderhandlungen entspricht(36).

    49.      Zunächst ist festzuhalten, dass die Existenz zweier unterschiedlicher, parallel anwendbarer Regelungen es den betroffenen Unternehmen ermöglicht, die potenziellen Sanktionen, die ihnen drohen, im Voraus mit einem hohen Grad an Vorhersehbarkeit zu kennen. Ferner ist es nicht überraschend, dass ein Unternehmen, das auf dem Markt für Energieerzeugung oder ‑verteilung tätig ist, verschiedene sektorspezifische Regelungen mit unterschiedlichen oder komplementären Zielen einhalten muss und gegebenenfalls mit verschiedenen parallelen Sanktionen für ein und dasselbe Verhalten auf der Grundlage von Rechtsakten mit unterschiedlichen Zielen konfrontiert werden kann.

    50.      Darüber hinaus enthalten die dem Gerichtshof vorliegenden Akten Hinweise auf einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen den beiden durchgeführten Verfahren und zwischen den Bescheiden, die nach der sektorspezifischen Energieregulierung und nach dem Verbraucherschutzrecht erlassen wurden, sowie auf die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den betreffenden Behörden (die speziell in der rumänischen Gesetzgebung vorgesehen sind), was ebenfalls vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.

    51.      Aufgrund der vorstehenden Ausführungen bin ich der Ansicht, dass Art. 50 der Charta in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass er es nicht verwehrt, dass ein Erdgasversorger durch zwei verschiedene Ordnungswidrigkeitenbescheide, von denen der eine von der Verbraucherschutzbehörde und der andere von der Energieregulierungsbehörde erlassen wurde, sanktioniert wird, sofern

    –        die Verfolgungsmaßnahmen und die Sanktionen auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften beruhen, die unterschiedliche und komplementäre, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen verfolgen und somit eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und von Sanktionen rechtfertigen,

    –        es klare und präzise Regeln gibt, die es ermöglichen, vorherzusehen, bei welchen Handlungen und Unterlassungen eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen in Frage kommt, sowie die Koordinierung zwischen den beiden zuständigen Behörden zu gewährleisten,

    –        die beiden Verfahren in einem engen zeitlichen Abstand in ausreichend koordinierter Weise durchgeführt werden und

    –        die Gesamtheit der verhängten Sanktionen der Schwere der Verstöße entspricht.

    V.      Ergebnis

    52.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite Vorlagefrage des Tribunalul Bucureşti (Regionalgericht Bukarest, Rumänien) wie folgt zu beantworten:

    Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 der Charta ist dahin auszulegen, dass er es nicht verwehrt, dass ein Erdgasversorger durch zwei verschiedene Ordnungswidrigkeitenbescheide, von denen der eine von der Verbraucherschutzbehörde und der andere von der Energieregulierungsbehörde erlassen wurde, sanktioniert wird, sofern

    –        die Verfolgungsmaßnahmen und die Sanktionen auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften beruhen, die unterschiedliche und komplementäre, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen verfolgen und somit eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und von Sanktionen rechtfertigen,

    –        es klare und präzise Regeln gibt, die es ermöglichen, vorherzusehen, bei welchen Handlungen und Unterlassungen eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen in Frage kommt, sowie die Koordinierung zwischen den beiden zuständigen Behörden zu gewährleisten,

    –        die beiden Verfahren in einem engen zeitlichen Abstand in ausreichend koordinierter Weise durchgeführt werden und

    –        die Gesamtheit der verhängten Sanktionen der Schwere der Verstöße entspricht.


    1      Originalsprache: Französisch.


    2      Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 485 vom 16. Juli 2012.


    3      Die ANPC warf der Klägerin vor, sie habe den Verbrauchern nacheinander Angebote mit unterschiedlichen Preisen unterbreitet und sie dadurch in die Irre geführt. Die Klägerin habe den Verbrauchern nämlich eine Änderung des im ursprünglichen Angebot festgelegten Preises nach nur drei Monaten mitgeteilt, obwohl der ursprüngliche Preis für einen Zeitraum von zwölf Monaten habe gelten sollen.


    4      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94).


    5      Urteil vom 13. Juni 2017, Florescu u. a. (C‑258/14, EU:C:2017:448, Rn. 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


    6      Konkret setzt das Gesetz Nr. 123/2012 die Richtlinie 2009/73 in die nationale Rechtsordnung um, während das Gesetz Nr. 363/2007 die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22) umsetzt.


    7      Urteil vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission (C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 59).


    8      Urteile vom 20. März 2018, Menci (C‑524/15, EU:C:2018:197, Rn. 25), und vom 22. März 2022, bpost (C‑117/20, im Folgenden: Urteil bpost, EU:C:2022:202, Rn. 22 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


    9      Urteil vom 20. März 2018, Menci (C‑524/15, EU:C:2018:197, Rn. 41, 44, 46, 49, 53 und 55).


    10      Urteil bpost (Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch EGMR, 8. Juni 1976, Engel u. a./Niederlande (CE:ECHR:1976:0608JUD000510071, § 82).


    11      Urteil bpost (Rn. 26).


    12      Urteile vom 20. März 2018, Menci (C‑524/15, EU:C:2018:197, Rn. 31), sowie vom 14. September 2023, Volkswagen Group Italia und Volkswagen Aktiengesellschaft (C‑27/22, EU:C:2023:663, Rn. 49).


    13      Urteil vom 20. März 2018, Garlsson Real Estate u. a. (C‑537/16, EU:C:2018:193, Rn. 33).


    14      Konkret stellt ein Verstoß gegen die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. k des Gesetzes Nr. 123/2012 festgelegte Verpflichtung eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld zwischen 20 000 und 400 000 RON (zwischen ca. 4 057 und ca. 81 147 Euro) geahndet werden kann.


    15      Die Vorlageentscheidung enthält keinen Hinweis auf die Höhe der Geldbußen, die nach dem anwendbaren Recht vorgesehen sind. Auch die Erklärungen der Parteien enthalten keine weiteren Informationen über die Spanne der möglichen Geldbußen.


    16      Urteil vom 4. Mai 2023, MV – 98 (C‑97/21, EU:C:2023:371, Rn. 46).


    17      Es ist anzumerken, dass die Höhe dieser Sanktion mehrere Ordnungswidrigkeiten berücksichtigt, die von der ANRE festgestellt wurden.


    18      Obwohl in der Vorlageentscheidung nicht erwähnt wird, dass gegen Engie auf der Grundlage der genannten nationalen Regelung ein Bußgeld verhängt wurde, geht aus den schriftlichen Erklärungen sowohl der Klägerin als auch der rumänischen Regierung hervor, dass Engie neben der Verpflichtung, den mit den betroffenen Kunden vereinbarten ursprünglichen Preis wiederherzustellen, von der ANPC ein Bußgeld in Höhe von 150 000 RON (etwa 30 000 Euro) auferlegt wurde.


    19      Ich erinnere im Übrigen daran, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die geringe Höhe einer Geldbuße allein nicht ausreicht, um ihre Einstufung als „strafrechtliche Sanktion“ zu hindern (EGMR, 6. Oktober 2020, Pfenning Distributie S.R.L./Rumänien, CE:ECHR:2020:1006JUD007588213, § 27). Vgl. auch EGMR, 8. Juli 2019, Mihalache/Rumänien (CE:ECHR:2019:0708JUD005401210, § 62).


    20      Urteil bpost (Rn. 28).


    21      Urteil bpost (Rn. 29).


    22      Urteil vom 14. September 2023, Volkswagen Group Italia und Volkswagen Aktiengesellschaft (C‑27/22, EU:C:2023:663, Rn. 59).


    23      Es ist anzumerken, dass diese Information zwar nicht in der Vorlageentscheidung enthalten ist, aber von der rumänischen Regierung im Rahmen ihrer schriftlichen Erklärungen vorgebracht und später in der mündlichen Verhandlung bestätigt worden ist, ohne von den anderen in der Verhandlung anwesenden Parteien bestritten zu werden.


    24      Urteil bpost (Rn. 33).


    25      Urteil bpost (Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    26      Urteil bpost (Rn. 31, 33, 36 und 37).


    27      Diesen Parteien zufolge hat die ANRE Engie wegen der Verletzung der Transparenzpflicht bei der Erstellung des Standardangebots bestraft, während die ANPC Engie wegen irreführender oder aggressiver Geschäftspraktiken bestraft hat, die darin bestanden, aufeinanderfolgende Benachrichtigungen über Tarifänderungen zu übermitteln.


    28      Urteil vom 11. Januar 2024, Societatea Civilă Profesională de Avocaţi AB & CD (C‑252/22, EU:C:2024:13, Rn. 38).


    29      Vgl. in diesem Sinne Urteil bpost (Rn. 38).


    30      Vgl. in diesem Sinne Urteil bpost (Rn. 50).


    31      Urteil bpost (Rn. 49).


    32      Vorsorglich weise ich darauf hin, dass die Einhaltung der Preistransparenz nur ein mittelbares Ziel des Verbraucherschutzes darstellt.


    33      Vgl. entsprechend Urteil bpost (Rn. 47).


    34      Denn während der Verbraucherschutz als Hauptziel des Verbraucherrechts „unmittelbar“ angestrebt wird, wird er nur „mittelbar“ im Rahmen der sektorspezifischen Energievorschriften angestrebt, die hauptsächlich darauf abzielen, das reibungslose Funktionieren des betreffenden Marktes zu gewährleisten.


    35      Urteil vom 20. März 2018, Menci (C‑524/15, EU:C:2018:197, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    36      Urteil bpost (Rn. 51).

    Top