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Document 62022CJ0663

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 30. Mai 2024.
Expedia Inc. gegen Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) 2019/1150 – Art. 1, 15, 16 und 18 – Ziel – Anwendung – Kontrolle – Überprüfung – Von einem Mitgliedstaat ergriffene Maßnahmen – Verpflichtung, Informationen über die wirtschaftliche Situation eines Anbieters von Online-Vermittlungsdiensten bereitzustellen.
Rechtssache C-663/22.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:433

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

30. Mai 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) 2019/1150 – Art. 1, 15, 16 und 18 – Ziel – Anwendung – Kontrolle – Überprüfung – Von einem Mitgliedstaat ergriffene Maßnahmen – Verpflichtung, Informationen über die wirtschaftliche Situation eines Anbieters von Online-Vermittlungsdiensten bereitzustellen“

In der Rechtssache C‑663/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 10. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Oktober 2022, in dem Verfahren

Expedia Inc.

gegen

Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Expedia Inc., vertreten durch P. Actis Perinetto, F. Brunetti, C. Osti und A. Vitale, Avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Delbono und R. Guizzi, Avvocati dello Stato,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, T. Suchá und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

von Irland, vertreten durch M. Browne, Chief State Solicitor, sowie A. Joyce und M. Tierney als Bevollmächtigte im Beistand von D. Fennelly, BL,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, S. L. Kalėda und L. Malferrari als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Januar 2024

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (ABl. 2019, L 186, S. 57).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Expedia Inc., einer in den Vereinigten Staaten niedergelassenen Gesellschaft, und der Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni (Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen, Italien) (im Folgenden: AGCOM) über von dieser Behörde gegenüber Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten ergriffene Maßnahmen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 7, 46 und 51 der Verordnung 2019/1150 heißt es:

„(7)

Es sollten auf der Ebene der [Europäischen] Union gezielte Vorschriften verbindlich festgelegt werden, um ein faires, vorhersehbares, tragfähiges und vertrauenswürdiges Online-Geschäftsumfeld im Binnenmarkt sicherzustellen. Insbesondere sollten den gewerblichen Nutzern von Online-Vermittlungsdiensten in der gesamten Union eine angemessene Transparenz und wirksame Abhilfemöglichkeiten geboten werden, um grenzüberschreitende Geschäfte innerhalb der Union zu erleichtern und auf diese Weise das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern und die möglicherweise entstehende Fragmentierung in bestimmten Bereichen, die unter diese Verordnung fallen, zu bekämpfen.

(46)

Die Mitgliedstaaten sollten verpflichtet werden, für eine angemessene und wirksame Durchsetzung dieser Verordnung zu sorgen. Es bestehen bereits verschiedene Durchsetzungssysteme in den Mitgliedstaaten, und sie sollten nicht verpflichtet werden, neue nationale Durchsetzungsstellen einzurichten. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, bereits bestehende Behörden, einschließlich Gerichten, mit der Durchsetzung dieser Verordnung zu betrauen. Die Mitgliedstaaten sollten mit dieser Verordnung nicht verpflichtet werden, eine Durchsetzung von Amts wegen vorzusehen oder Geldbußen festzusetzen.

(51)

Da das Ziel dieser Verordnung, nämlich die Gewährleistung eines fairen, vorhersehbaren, tragfähigen und vertrauenswürdigen Online-Geschäftsumfelds im Binnenmarkt[,] von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, sondern vielmehr wegen des Umfangs und der Auswirkungen des Vorhabens auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 [EUV] verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das für die Verwirklichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.“

4

Art. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„(1)   Mit dieser Verordnung soll zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beigetragen werden, indem Vorschriften festgelegt werden, mit denen sichergestellt wird, dass für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten und Nutzer mit Unternehmenswebsite im Hinblick auf Suchmaschinen eine angemessene Transparenz, Fairness und wirksame Abhilfemöglichkeiten geschaffen werden.

(2)   Diese Verordnung gilt für Online-Vermittlungsdienste und Online-Suchmaschinen, unabhängig vom Niederlassungsort oder Sitz der Anbieter dieser Dienste und unabhängig vom ansonsten anzuwendenden Recht, die gewerblichen Nutzern und Nutzern mit Unternehmenswebsite bereitgestellt bzw. zur Bereitstellung angeboten werden, die ihre Niederlassung oder ihren Wohnsitz in der Europäischen Union haben und die über diese Online-Vermittlungsdienste oder Online-Suchmaschinen Waren oder Dienstleistungen in der Europäischen Union befindlichen Verbrauchern anbieten.

(5)   Diese Verordnung gilt unbeschadet der Rechtsvorschriften der Union, insbesondere jener für die Bereiche justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, Wettbewerb, Datenschutz, Schutz von Geschäftsgeheimnissen, Verbraucherschutz, elektronischer Geschäftsverkehr und Finanzdienstleistungen.“

5

Art. 2 Nr. 1 der Verordnung bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

1.

‚gewerblicher Nutzer‘ jede im Rahmen einer geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit handelnde Privatperson oder jede juristische Person, die über Online-Vermittlungsdienste und für Zwecke im Zusammenhang mit ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit Verbrauchern Waren oder Dienstleistungen anbietet“.

6

Art. 15 der Verordnung sieht vor:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat sorgt für eine angemessene und wirksame Durchsetzung dieser Verordnung.

(2)   Die Mitgliedstaaten erlassen Vorschriften über die Maßnahmen, die bei Verstößen gegen diese Verordnung anwendbar sind, und stellen deren Umsetzung sicher. Die Maßnahmen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

7

In Art. 16 der Verordnung 2019/1150 heißt es:

„Die [Europäische] Kommission überwacht sorgfältig und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die Auswirkungen dieser Verordnung auf die Beziehungen zwischen Online-Vermittlungsdiensten und ihren gewerblichen Nutzern einerseits und Online-Suchmaschinen und Nutzern mit Unternehmenswebsite andererseits. Zu diesem Zweck sammelt die Kommission, auch durch Durchführung einschlägiger Studien, relevante Informationen, mit deren Hilfe die Entwicklung dieser Beziehungen überwacht werden kann. Die Mitgliedstaaten unterstützen die Kommission, indem sie auf Anfrage alle einschlägigen gesammelten Informationen, auch zu konkreten Fällen, übermitteln. Die Kommission kann für die Zwecke dieses Artikels und des Artikels 18 Informationen von Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten einholen.“

8

Art. 18 Abs. 1 und 3 der Verordnung bestimmt:

„(1)   Bis zum 13. Januar 2022 und danach alle drei Jahre wird die Kommission diese Verordnung evaluieren und dem Europäischen Parlament, dem Rat [der Europäischen Union] und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss einen Bericht vorlegen.

(3)   Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission alle ihnen vorliegenden einschlägigen Informationen, die diese für die Ausarbeitung des in Absatz 1 genannten Berichts benötigt.“

Italienisches Recht

Gesetz Nr. 249 vom 31. Juli 1997

9

Art. 1 der Legge n. 249 – Istituzione dell’Autorità per le garanzie nelle comunicazioni e norme sui sistemi delle telecomunicazioni e radiotelevisivo (Gesetz Nr. 249 – Einrichtung der Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen und Vorschriften über Telekommunikations- sowie Rundfunk- und Fernsehsysteme) vom 31. Juli 1997 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 177 vom 31. Juli 1997) bestimmt:

„…

29.   Gegen Personen, die in den von der [AGCOM] verlangten Mitteilungen Buchführungs- oder Sachverhaltsangaben über die Ausübung der eigenen Tätigkeit machen, die nicht der Wahrheit entsprechen, werden die in Art. 2621 des Zivilgesetzbuchs vorgesehenen Strafen verhängt.

30.   Gegen Personen, die die von der [AGCOM] verlangten Dokumente, Daten und Informationen nicht fristgerecht und in der vorgeschriebenen Weise übermitteln, wird von dieser Behörde eine Verwaltungsgeldbuße von 1 Mio. [italienische Lire (ITL) (etwa 516 Euro) bis 200 Mio. ITL (etwa 103000 Euro)] verhängt.

…“

10

Die Legge n. 249 vom 31. Juli 1997 in der durch die Legge n. 178 – Bilancio di previsione dello Stato per l’anno finanziario 2021 e bilancio pluriennale per il triennio 2021‑2023 (Gesetz Nr. 178 – Haushaltsplan des Staates für das Haushaltsjahr 2021 und mehrjähriger Haushaltsplan für den Dreijahreszeitraum 2021‑2023) vom 30. Dezember 2020 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 322 vom 30. Dezember 2020) geänderten Fassung sieht in Art. 1 Abs. 6 Buchst. c Nr. 14bis vor:

„Die Zuständigkeiten der [AGCOM] werden wie folgt festgelegt:

c) der Rat

14bis) sorgt für eine angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung [2019/1150], insbesondere durch die Annahme von Leitlinien, die Förderung von Verhaltenskodizes und die Sammlung relevanter Informationen.“

Beschluss Nr. 397/13

11

Am 25. Juni 2013 erließ die AGCOM die Delibera n. 397/13/CONS, Informativa economica di sistema (Beschluss Nr. 397/13/CONS, Erklärung über wirtschaftliche Daten für das System) (im Folgenden: Beschluss Nr. 397/13).

12

In Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 397/13 sind die Kategorien von Personen aufgeführt, die der AGCOM ein Dokument mit der Bezeichnung „Informativa economica di sistema“ (Erklärung über wirtschaftliche Daten für das System) (im Folgenden: IES) übermitteln müssen.

13

Art. 6 dieses Beschlusses sieht vor:

„(1)   Gegen Personen, die in Erfüllung der in Art. 2 des vorliegenden Beschlusses bezeichneten Verpflichtungen Angaben machen, die nicht der Wahrheit entsprechen, werden die in Art. 1 Abs. 29 des Gesetzes Nr. [249 vom 31. Juli 1997] vorgesehenen Strafen verhängt.

(2)   Personen, die den in Art. 2 bezeichneten Verpflichtungen nicht fristgerecht und in der vorgeschriebenen Weise nachkommen, werden nach Art. 1 Abs. 30 des Gesetzes Nr. [249 vom 31. Juli 1997] bestraft.“

Beschluss Nr. 161/21

14

Am 12. Mai 2021 erließ die AGCOM die Delibera n. 161/21/CONS – Modifiche alla delibera n. 397/13 del 25 giugno 2013 „Informativa Economica di Sistema“ (Beschluss Nr. 161/21/CONS, Änderungen des Beschlusses Nr. 397/13 vom 25. Juni 2013„Erklärung über wirtschaftliche Daten für das System“) (im Folgenden: Beschluss Nr. 161/21).

15

Zum Beschluss Nr. 161/21 heißt es in dessen Präambel, er ergehe

„…

in Anbetracht der Verordnung 2019/1150 …

in Anbetracht des Gesetzes [Nr. 178 vom 30. Dezember 2020] …

in der Erwägung, dass die [IES] eine jährliche Erklärung ist, die die Anbieter von Kommunikationsdiensten vorlegen müssen und die sich auf persönliche und wirtschaftliche Angaben zu der von den betreffenden Einrichtungen ausgeübten Geschäftstätigkeit bezieht, wodurch Informationen erfasst werden sollen, die für die Einhaltung bestimmter gesetzlicher Verpflichtungen erforderlich sind – wie etwa die Bewertung des Sistema integrato delle comunicazioni [(Integriertes Kommunikationssystem) (IKS)] und die Kontrolle der Konzentrationsschwellen im Rahmen des IKS, Marktanalysen und Analysen möglicher marktbeherrschender oder jedenfalls für den Pluralismus schädlicher Stellungen, Jahresbericht und Umfragen –, sowie eine Aktualisierung der Statistiken über die Anbieter von Kommunikationsdiensten ermöglicht werden soll;

in der Erwägung, dass das Gesetz Nr. [178 vom 30. Dezember 2020] der [AGCOM] neue Zuständigkeiten zuweist, mit denen ihr die Aufgabe zugewiesen wird, ‚die angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung [2019/1150] auch über den Erlass von Leitlinien, die Förderung von Verhaltenskodizes und die Erhebung geeigneter Informationen zu gewährleisten‘.

[in der Erwägung], dass es daher erforderlich ist, [bestimmte] Verpflichtungen zur Übermittlung der IES auf Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten und von Online-Suchmaschinen auszudehnen, um jedes Jahr einschlägige Informationen zu erheben und Maßnahmen zu ergreifen, um eine angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung [2019/1150] zu gewährleisten sowie die Aufgaben wahrzunehmen, die der [AGCOM] durch das [Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020] zugewiesen wurden.

…“

16

Mit Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses wurde die Liste in Art. 2 des Beschlusses Nr. 397/13 geändert, um die Verpflichtung zur Übermittlung der IES an die AGCOM auf die beiden folgenden Kategorien von Personen auszudehnen:

„…

h) Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten: natürliche oder juristische Personen, die, auch wenn sie nicht im nationalen Hoheitsgebiet niedergelassen oder ansässig sind, Online-Vermittlungsdienste, wie sie in der Verordnung … 2019/1150 definiert sind, an in Italien niedergelassene oder wohnhafte gewerbliche Nutzer erbringen oder deren Erbringung anbieten;

i) Anbieter von Online-Suchmaschinen: natürliche oder juristische Personen, die, auch wenn sie nicht im nationalen Hoheitsgebiet niedergelassen oder ansässig sind, eine Online-Suchmaschine, wie sie in der Verordnung … 2019/1150 definiert ist, in italienischer Sprache oder an in Italien niedergelassene oder wohnhafte Nutzer zur Verfügung stellen oder dies anbieten

…“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

17

Expedia Inc. ist ein Unternehmen mit Sitz in Seattle (Vereinigte Staaten), das IT‑Plattformen verwaltet, über die Onlinedienste zur Buchung von Unterkünften und Reisen erbracht werden können.

18

Nach den Änderungen des nationalen Rechtsrahmens, die sich aus dem Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020 und aus dem Beschluss Nr. 161/21 ergaben, die von den italienischen Behörden u. a. im Hinblick darauf erlassen wurden, die Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 sicherzustellen, ist Expedia als Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten nunmehr verpflichtet, der AGCOM die IES zu übermitteln, ein Dokument, in dem Angaben zur wirtschaftlichen Situation des Anbieters zu machen sind.

19

Expedia erhob beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses Nr. 161/21.

20

Vor diesem Gericht hat Expedia geltend gemacht, dass dieser Beschluss, soweit sie mit ihm verpflichtet werde, die IES an die AGCOM zu übersenden, gegen die Verordnung 2019/1150 verstoße, bei der es sich um eine Harmonisierungsmaßnahme handele, die auf dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beruhe und es damit nicht zulasse, die verfahrensrechtlichen Anforderungen gegenüber Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten zu verschärfen, unabhängig davon, ob sie in der Union oder in Drittländern niedergelassen seien.

21

Hierzu führt das vorlegende Gericht als Erstes aus, dass der italienische Gesetzgeber nach dem Erlass der Verordnung 2019/1150 das Gesetz Nr. 249 vom 31. Juli 1997 durch das Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020 geändert habe.

22

So sei der AGCOM die Aufgabe übertragen worden, die Anwendung der Verordnung 2019/1150 u. a. mittels Erhebung von Informationen zu überwachen (Art. 1 Abs. 6 Buchst. c Nr. 14bis des Gesetzes Nr. 249 vom 31. Juli 1997 in der durch das Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020 geänderten Fassung).

23

Als Zweites führt das vorlegende Gericht aus, dass die AGCOM durch den Beschluss Nr. 161/21 den Beschluss Nr. 397/13 geändert habe, um den vom italienischen Gesetzgeber im Hinblick auf die Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 erlassenen Maßnahmen Rechnung zu tragen. Die Verpflichtung zur Übermittlung der IES an die AGCOM sei folglich auf Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten und von Online-Suchmaschinen (im Folgenden: betroffene Diensteanbieter), die in Italien Dienste bereitstellen, ausgedehnt worden.

24

Die Übermittlung der IES sei ursprünglich für die Bedürfnisse des Garante per la radiodiffusione e l’editoria (Aufsicht für Rundfunk und Verlagswesen, Italien) vorgesehen worden, und zwar aufgrund von Rechtsvorschriften, die ihm die Befugnis verliehen hätten, Maßnahmen zur Festsetzung von Buchführungsdaten und sonstigen Informationen zu treffen, die ihm von bestimmten Einrichtungen zu übermitteln gewesen seien. Die Befugnisse dieser Aufsicht seien auf die AGCOM übertragen worden.

25

Mit dem Beschluss Nr. 161/21 habe die AGCOM die betroffenen Diensteanbieter verpflichtet, wichtige und spezifische Informationen über ihre wirtschaftliche Lage an sie zu übermitteln. So seien diese Anbieter etwa verpflichtet, Folgendes anzugeben: die Gesamteinnahmen aus Online-Verkaufswebsites, die Einnahmen sowohl aus Abonnementsgebühren als auch aus Registrierungs‑, Mitgliedschafts- oder Subskriptionsgebühren für die Nutzung der Online-Verkaufsplattform der Diensteanbieter durch in Italien niedergelassene Nutzer, die Verbrauchern Waren und Dienstleistungen anböten, die festen und variablen Provisionen für die über die Online-Verkaufsplattform getätigten Verkäufe, die von in Italien niedergelassenen gewerblichen Nutzern von Online-Vermittlungsdiensten im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Verordnung 2019/1150 (im Folgenden: gewerbliche Nutzer) angebotenen Waren oder Dienstleistungen, die von in Italien niedergelassenen gewerblichen Nutzern gezahlten festen und variablen Provisionen für die über die Online-Verkaufsplattform getätigten Verkäufe sowie die übrigen Einnahmen aus Vermittlungsdiensten außer Werbung, die an in Italien niedergelassene gewerbliche oder andere Nutzer erbracht würden, die Verbrauchern über die Online-Verkaufsplattform Waren oder Dienstleistungen anböten.

26

Eine unterbliebene oder unrichtige Übermittlung der IES an die AGCOM könne mit den in Art. 1 Abs. 29 und 30 des Gesetzes Nr. 249 vom 31. Juli 1997 vorgesehenen Sanktionen geahndet werden.

27

Das vorlegende Gericht ist in Anbetracht dieser Gesichtspunkte der Auffassung, dass die Verpflichtung zur Übermittlung der IES an die AGCOM mit der Verordnung 2019/1150 unvereinbar sein könne.

28

Die Verordnung enthalte Bestimmungen zur Kontrolle ihrer Durchsetzung und ihrer Wirkungen. Zum einen hätten die Mitgliedstaaten nach Art. 15 der Verordnung für eine angemessene und wirksame Durchsetzung dieser Verordnung zu sorgen und Maßnahmen zu treffen, die bei Verstößen gegen diese Verordnung anzuwenden seien und die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssten.

29

Zum anderen sei Art. 16 der Verordnung 2019/1150 anzuführen, wonach zunächst die Kommission sorgfältig und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die Auswirkungen der Verordnung auf die Beziehungen, namentlich zwischen Online-Vermittlungsdiensten und gewerblichen Nutzern, überwache. Zu diesem Zweck sammele sie sodann mit Hilfe der Mitgliedstaaten, die ihr auf Anfrage alle einschlägigen gesammelten Informationen, auch zu konkreten Fällen, übermittelten, relevante Informationen, mit deren Hilfe die Entwicklung dieser Beziehungen überwacht werden könne. Schließlich könne die Kommission Informationen von Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten einholen.

30

Folglich bestehe kein Zusammenhang zwischen der Einhaltung der in der Verordnung 2019/1150 vorgesehenen Verpflichtungen und den für die IES verlangten Informationen, die in erster Linie die Einnahmen der betroffenen Diensteanbieter beträfen und für die Gewährleistung von Transparenz und Fairness in den Beziehungen zwischen diesen Anbietern und den gewerblichen Nutzern nicht einschlägig seien. Das vorlegende Gericht ist folglich der Auffassung, dass die italienischen Behörden mit den nationalen Maßnahmen, nach denen die Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten nunmehr zur Übermittlung der IES an die AGCOM verpflichtet seien (im Folgenden: streitige nationale Maßnahmen) Bestimmungen in ihre nationale Rechtsordnung eingeführt hätten, mit denen eine Kontrolle vorgesehen werde, die sich auf für diese Anbieter charakteristische subjektive Merkmale beziehe, was einen grundlegenden Unterschied gegenüber der von dieser Verordnung vorgesehenen Kontrolle darstelle, die sich auf die Einhaltung der darin festgelegten Verpflichtungen durch die Anbieter beziehe.

31

Sollte die Verpflichtung, die IES an die AGCOM zu übermitteln, mit der Verordnung 2019/1150 unvereinbar sein, wäre der Beschluss Nr. 161/21 ungültig, da das Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020 der AGCOM allein die Aufgabe zuweise, die angemessene und wirksame Durchsetzung dieser Verordnung zu gewährleisten.

32

Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Stehen die Verordnung 2019/1150 und insbesondere ihr Art. 15 sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats oder einer von einer unabhängigen nationalen Behörde erlassenen Maßnahme entgegen, wonach ausländische Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten zur Abgabe einer Erklärung verpflichtet sind, die Informationen enthält, die den Zielen der Verordnung fremd sind?

2.

Können jedenfalls die Informationen, die mit der Übermittlung der IES verlangt werden, als für die angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung (EU) 2019/1150 relevant und zweckdienlich angesehen werden?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

33

Die italienische Regierung zieht die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens mit der Begründung in Zweifel, dass die beiden vorgelegten Fragen insoweit widersprüchlich seien, als das vorlegende Gericht einerseits, ohne die Gründe hierfür zu erläutern, ausführe, die Verpflichtung zur Übermittlung der IES an die AGCOM stehe in keinem Zusammenhang mit der Durchsetzung der Verordnung 2019/1150, und andererseits den Gerichtshof um eine Prüfung der Relevanz und der Zweckdienlichkeit der in die IES aufzunehmenden Informationen ersuche. Diese Prüfung falle aber in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts, insbesondere insoweit, als sie die Würdigung von Tatsachen einschließe.

34

Erstens ist daran zu erinnern, dass in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt. Um diesem eine sachdienliche Antwort zu geben, kann ihm der Gerichtshof jedoch im Geist der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten alle Hinweise geben, die er für erforderlich hält (Urteil vom 1. Juli 2008, MOTOE, C‑49/07, EU:C:2008:376, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Zudem kann der Gerichtshof, obgleich die Auslegung von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts eines Mitgliedstaats nicht seine Aufgabe ist, dem vorlegenden Gericht dennoch die erforderlichen Hinweise auf die Bestimmungen des Unionsrechts geben, die diesen Vorschriften möglicherweise entgegenstehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK, C‑243/15, EU:C:2016:838, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 8. Mai 2019, Rossato und Conservatorio di Musica F. A. Bonporti, C‑494/17, EU:C:2019:387, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die von der italienischen Regierung, wie in Rn. 33 des vorliegenden Urteils ausgeführt, geltend gemachte Widersprüchlichkeit – wie auch der Generalanwalt in Nr. 80 seiner Schlussanträge festgestellt hat – auf dem Umstand beruht, dass das vorlegende Gericht in seiner ersten Frage selbst ausführt, die mit der IES zu übermittelnden Informationen seien seiner Ansicht nach den Zielen der Verordnung 2019/1150 fremd, dabei aber mit seiner zweiten Frage geklärt wissen möchte, ob diese Informationen für eine angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung relevant und zweckdienlich sein können.

37

Die von der italienischen Regierung sowohl hinsichtlich der Grenzen der Zuständigkeit des Gerichtshofs als auch hinsichtlich der vermeintlichen Widersprüchlichkeit der Vorlagefragen geäußerten Zweifel können jedoch dadurch ausgeräumt werden, dass beide Fragen zusammen geprüft werden, und zwar dahin, ob die Verordnung 2019/1150 nationalen Maßnahmen wie den streitigen entgegensteht.

38

Damit ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zu den Vorlagefragen

39

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung 2019/1150 dahin auszulegen ist, dass sie den Erlass von Maßnahmen durch einen Mitgliedstaat rechtfertigt, nach denen unter Androhung von Sanktionen Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen in diesem Mitgliedstaat der Verpflichtung unterliegen, regelmäßig ein Dokument über ihre wirtschaftliche Lage an eine von dessen Behörden zu übermitteln, in dem zahlreiche Informationen, u. a. zu den Einnahmen der Anbieter, detailliert aufzuführen sind.

40

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Verordnungen nach ständiger Rechtsprechung gemäß Art. 288 AEUV sowie aufgrund ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Unionsrechts im Allgemeinen unmittelbare Wirkung in den nationalen Rechtsordnungen haben, ohne dass nationale Durchführungsmaßnahmen erforderlich wären. Allerdings kann es vorkommen, dass manche Bestimmungen einer Verordnung zu ihrer Durchführung des Erlasses von Durchführungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten bedürfen (Urteil vom 15. Juni 2021, Facebook Ireland u. a., C‑645/19, EU:C:2021:483, Rn. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Soweit die Durchführung bestimmter Vorschriften einer Verordnung es erfordert, können die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu deren Durchführung erlassen, wenn sie deren unmittelbare Anwendbarkeit nicht vereiteln, deren unionsrechtliche Natur nicht verbergen und die Ausübung des ihnen durch diese Verordnung verliehenen Wertungsspielraums innerhalb der Grenzen dieser Vorschriften konkretisieren (Urteil vom 22. Januar 2020, Ursa Major Services, C‑814/18, EU:C:2020:27, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Insofern ist unter Bezugnahme auf die einschlägigen Bestimmungen der fraglichen Verordnung, die im Licht der Ziele der Verordnung auszulegen sind, festzustellen, ob diese Bestimmungen es den Mitgliedstaaten verbieten, gebieten oder gestatten, bestimmte Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, und, insbesondere im letztgenannten Fall, ob sich die betreffende Maßnahme in den Rahmen des den einzelnen Mitgliedstaaten eingeräumten Ermessens einfügt (Urteil vom 22. Januar 2020, Ursa Major Services, C‑814/18, EU:C:2020:27, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Der Rechtsprechung kann weiterhin entnommen werden, dass die Mitgliedstaaten beim Erlass solcher Maßnahmen verpflichtet sind, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, den ihre gesetz- und verordnungsgebenden Stellen bei der Anwendung des Unionsrechts befolgen müssen und der verlangt, dass die aufgrund einer Bestimmung angewandten Mittel geeignet sind, das mit der fraglichen Unionsregelung angestrebte Ziel zu erreichen, und nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. April 2018, Kommission/Dänemark, C‑541/16, EU:C:2018:251, Rn. 49 und 50 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Zur Beantwortung der Vorlagefragen ist daher zu bestimmen, welches Ziel mit der Verordnung 2019/1150 verfolgt wird, sowie welche ihrer Vorschriften den Mitgliedstaaten eine Rolle bei ihrer Anwendung zuweisen.

45

Was zum einen das fragliche Ziel betrifft, so lässt sich den Erwägungsgründen 7 und 51 dieser Verordnung entnehmen, dass mit dieser gezielte Vorschriften auf Ebene der Union verbindlich festgelegt werden sollen, um ein faires, vorhersehbares, tragfähiges und vertrauenswürdiges Online-Geschäftsumfeld im Binnenmarkt zu schaffen. Insbesondere sollten gewerblichen Nutzern in der gesamten Union eine angemessene Transparenz und wirksame Abhilfemöglichkeiten geboten werden, um grenzüberschreitende Geschäfte innerhalb der Union zu erleichtern und auf diese Weise das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern.

46

Art. 1 Abs. 1 der genannten Verordnung führt aus, dass mit ihr zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beigetragen werden soll, indem Vorschriften festgelegt werden, mit denen sichergestellt wird, dass für gewerbliche Nutzer und Nutzer mit Unternehmenswebsite im Hinblick auf Suchmaschinen eine angemessene Transparenz, Fairness und wirksame Abhilfemöglichkeiten geschaffen werden.

47

Die Verordnung 2019/1150 erlegt den betroffenen Diensteanbietern, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 100 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, in diesem Zusammenhang spezifische Verpflichtungen auf, die sich auf Transparenz und Fairness der Bedingungen für gewerbliche Nutzer beziehen. Sie sieht auch Bestimmungen über die außergerichtliche und gerichtliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen Anbietern und gewerblichen Nutzern vor.

48

Zum anderen ist zu den Bestimmungen der Verordnung 2019/1150, die den Mitgliedstaaten eine Rolle bei ihrer Anwendung zuweisen, erstens darauf zu verweisen, dass nach Art. 15 Abs. 1 der Verordnung jeder „Mitgliedstaat … für eine angemessene und wirksame Durchsetzung [dieser Verordnung] sorgt“. In Art. 15 Abs. 2 wird klargestellt, dass die „Mitgliedstaaten … Vorschriften über die Maßnahmen [erlassen], die bei Verstößen gegen diese Verordnung anwendbar sind, und … deren Umsetzung sicher[stellen]“, wie auch, dass diese Maßnahmen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein [müssen]“.

49

Art. 15 der Verordnung 2019/1150 ist unter Beachtung von deren 46. Erwägungsgrund zu lesen, wonach u. a. die „Mitgliedstaaten … die Möglichkeit haben [sollten], bereits bestehende Behörden, einschließlich Gerichten, mit der Durchsetzung dieser Verordnung zu betrauen“, wobei jedoch klargestellt wird, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … mit dieser Verordnung nicht verpflichtet werden [sollten], eine Durchsetzung von Amts wegen vorzusehen oder Geldbußen festzusetzen“.

50

Zweitens heißt es in Art. 16 der Verordnung 2019/1150 u. a., dass die „Kommission … sorgfältig und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die Auswirkungen dieser Verordnung auf die Beziehungen zwischen Online-Vermittlungsdiensten und ihren gewerblichen Nutzern [überwacht]“. Zu diesem Zweck „sammelt die Kommission … relevante Informationen, mit deren Hilfe die Entwicklung dieser Beziehungen überwacht werden kann“. Was die Mitgliedstaaten betrifft, sieht Art. 16 der Verordnung vor, dass sie „die Kommission [unterstützen], indem sie auf Anfrage alle einschlägigen gesammelten Informationen, auch zu konkreten Fällen, übermitteln“. Außerdem kann „[d]ie Kommission … Informationen von Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten einholen.“

51

Drittens präzisiert Art. 18 Abs. 3 der Verordnung 2019/1150, dass die „Mitgliedstaaten … der Kommission alle ihnen vorliegenden einschlägigen Informationen [übermitteln], die diese für die Ausarbeitung des … Berichts benötigt“, den sie im Rahmen der Überprüfung der Verordnung, die in deren Art. 18 Abs. 1 vorgesehen ist, regelmäßig zu erstellen hat.

52

Zunächst ergibt sich aus den Rn. 50 und 51 des vorliegenden Urteils, dass die Informationen, die die Kommission nach den Art. 16 und 18 der Verordnung 2019/1150 von den Mitgliedstaaten anfordern kann, für die Überwachung der Entwicklung der Beziehungen, namentlich zwischen Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten und gewerblichen Nutzern, oder für die Erstellung von Berichten zur Evaluierung dieser Verordnung einschlägig sein müssen.

53

Da die Verordnung 2019/1150, wie sich aus den Rn. 45 bis 47 des vorliegenden Urteils ergibt, das Ziel hat, ein faires, vorhersehbares, tragfähiges und vertrauenswürdiges Online-Geschäftsumfeld im Binnenmarkt zu schaffen, in dem für gewerbliche Nutzer eine angemessene Transparenz, Fairness und wirksame Abhilfemöglichkeiten geschaffen werden, können die von den nationalen Behörden gesammelten Informationen nur dann als „einschlägig“ im Sinne der Art. 16 und 18 der Verordnung qualifiziert werden, wenn sie einen hinreichend unmittelbaren Zusammenhang mit diesem Ziel aufweisen.

54

Ein Mitgliedstaat darf hingegen, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 113 und 114 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, für die Durchführung der Verordnung 2019/1150 nicht willkürlich ausgewählte Informationen mit der Begründung sammeln, dass die Kommission sie in Ausübung ihrer Aufgabe zur Überwachung und Überprüfung der Verordnung eventuell später anfordern könnte. Die Möglichkeit, unter einem solchen Vorwand Informationen zu erheben, würde es einem Mitgliedstaat nämlich ermöglichen, die in den Rn. 41 bis 43 des vorliegenden Urteils genannten Grundsätze für den Erlass von mitgliedstaatlichen Maßnahmen zur Durchführung einer Verordnung zu umgehen. Überdies verpflichtet die Verordnung 2019/1150 die Mitgliedstaaten nicht dazu, aus eigener Initiative Informationen zu sammeln, die die Kommission für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen könnte, da solche Informationen nur „auf Anfrage“ dieses Organs vorgelegt werden müssen, das außerdem Informationen unmittelbar bei Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten einholen kann.

55

Wenn ein Mitgliedstaat die Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 gemäß deren Art. 15 einer Verwaltungsbehörde überträgt, sind die Informationen, die diese Behörde in Wahrnehmung dieser Aufgabe sammeln darf, außerdem nur dann zur Erreichung des Ziels der Verordnung geeignet, wenn sie einen hinreichend unmittelbaren Zusammenhang mit dieser aufweisen.

56

Insoweit weisen die Informationen zur wirtschaftlichen Lage von Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 121 bis 123 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, keinen hinreichend unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ziel der Verordnung 2019/1150, wie es in den Rn. 45 bis 47 des vorliegenden Urteils dargestellt wurde, auf. Denn die von den Anbietern dieser Dienste auf Grundlage der Verordnung 2019/1150 verlangten Informationen müssen sich auf die Bedingungen der Diensterbringung beziehen, um es den zuständigen Behörden u. a. zu ermöglichen, die Fairness der gewerblichen Nutzern von diesen Anbietern in der Union vorgegebenen Vertragsbedingungen zu eruieren und zu bewerten. Ein Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Lage eines Anbieters solcher Dienste und den Modalitäten, nach denen diese Dienste zugunsten gewerblicher Nutzer erbracht werden, kann aber – sein Vorliegen unterstellt – nur mittelbarer Natur sein. Die Prüfung der Richtigkeit der Informationen zur wirtschaftlichen Lage, auf die sich die italienische Regierung beruft, ist daher im Hinblick auf die Verordnung 2019/1150 nicht von Belang. Die Aufdeckung etwaiger „Wettbewerbsverzerrungen“, auf die sich die italienische Regierung ebenfalls bezieht, gehört nicht zum Ziel dieser Verordnung, da sie, wie in ihrem Art. 1 Abs. 5 ausgeführt, unbeschadet der Rechtsvorschriften der Union für den Bereich des Wettbewerbs gilt.

57

In Anbetracht der Angaben, die das vorlegende Gericht beispielhaft, wie in Rn. 25 des vorliegenden Urteils wiedergegeben, zum Inhalt der IES gemacht hat, zeigt sich daher, dass die Anwendung der Verordnung 2019/1150, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 125 bis 128 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Maßnahmen wie die streitigen nationalen Maßnahmen nicht rechtfertigt.

58

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Verordnung 2019/1150 dahin auszulegen ist, dass sie im Hinblick auf die angemessene und wirksame Durchsetzung dieser Verordnung nicht den Erlass von Maßnahmen durch einen Mitgliedstaat rechtfertigt, nach denen unter Androhung von Sanktionen Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen in diesem Mitgliedstaat der Verpflichtung unterliegen, regelmäßig ein Dokument über ihre wirtschaftliche Lage an eine von dessen Behörden zu übermitteln, in dem zahlreiche Informationen, u. a. zu den Einnahmen der Anbieter, detailliert aufzuführen sind.

Kosten

59

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten

 

ist dahin auszulegen, dass

 

sie im Hinblick auf die angemessene und wirksame Durchsetzung dieser Verordnung nicht den Erlass von Maßnahmen durch einen Mitgliedstaat rechtfertigt, nach denen unter Androhung von Sanktionen Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen in diesem Mitgliedstaat der Verpflichtung unterliegen, regelmäßig ein Dokument über ihre wirtschaftliche Lage an eine von dessen Behörden zu übermitteln, in dem zahlreiche Informationen, u. a. zu den Einnahmen der Anbieter, detailliert aufzuführen sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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