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Document 62022CJ0291

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 14. März 2024.
Debregeas et associés Pharma (D & A Pharma) gegen Europäische Kommission und Europäische Arzneimittel-Agentur.
Rechtsmittel – Humanarzneimittel – Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen – Unabhängigkeit der vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) konsultierten Sachverständigen – Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Recht auf eine gute Verwaltung – Erfordernis der objektiven Unparteilichkeit – Kriterien zur Prüfung des Fehlens von Interessenkonflikten – Politik der EMA in Bezug auf konkurrierende Interessen – Tätigkeiten als leitender Forscher, Berater oder Strategieberater für die pharmazeutische Industrie – Konkurrierende Produkte – Überprüfungsverfahren – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Art. 56, 62 und 63 – Leitlinien der EMA – Konsultation einer wissenschaftlichen Beratergruppe (WBG) oder einer Ad-hoc-Sachverständigengruppe.
Rechtssache C-291/22 P.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:228

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

14. März 2024 ( *1 )

„Rechtsmittel – Humanarzneimittel – Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen – Unabhängigkeit der vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) konsultierten Sachverständigen – Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Recht auf eine gute Verwaltung – Erfordernis der objektiven Unparteilichkeit – Kriterien zur Prüfung des Fehlens von Interessenkonflikten – Politik der EMA in Bezug auf konkurrierende Interessen – Tätigkeiten als leitender Forscher, Berater oder Strategieberater für die pharmazeutische Industrie- Konkurrierende Produkte – Überprüfungsverfahren – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Art. 56, 62 und 63 – Leitlinien der EMA – Konsultation einer wissenschaftlichen Beratergruppe (WBG) oder einer Ad-hoc-Sachverständigengruppe“

In der Rechtssache C‑291/22 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 2. Mai 2022,

Debrégeas et associés Pharma SAS (D & A Pharma) mit Sitz in Paris (Frankreich), vertreten durch V. Durget, E. Gouesse und N. Viguié, Avocats,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch A. Sipos und G. Wils als Bevollmächtigte,

Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), vertreten durch C. Bortoluzzi, S. Drosos, H. Kerr und S. Marino als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), der Richterin O. Spineanu-Matei, der Richter J.‑C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2023,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. September 2023

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Debrégeas et associés Pharma SAS (im Folgenden: D & A Pharma) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 2. März 2022, D & A Pharma/Kommission und EMA (T‑556/20, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:111), mit dem das Gericht ihre Klage abgewiesen hat, die u. a. auf die Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses der Kommission vom 6. Juli 2020 (im Folgenden: streitiger Beschluss) gerichtet war, mit dem die beantragte Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen (im Folgenden: Zulassung) des Humanarzneimittels Hopveus – Natriumoxybat (im Folgenden: Hopveus) nach der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung der Verfahren der Union für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2019/5 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 (ABl. 2019, L 4, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 726/2004) verweigert wurde.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung Nr. 726/2004

2

In den Erwägungsgründen 19 und 23 der Verordnung Nr. 726/2004 heißt es:

„(19)

Die Hauptaufgabe der [Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA)] sollte darin bestehen, den [Organen der Europäischen Union] und den Mitgliedstaaten wissenschaftliche Gutachten auf möglichst hohem Niveau bereitzustellen, damit diese die Befugnisse hinsichtlich der Genehmigung und Überwachung von Arzneimitteln ausüben können, die ihnen durch die [Unionsvorschriften] im Arzneimittelbereich übertragen wurden. …

(23)

Die alleinige Zuständigkeit für die Ausarbeitung der Gutachten der [EMA] über sämtliche Fragen zu Humanarzneimitteln sollte einem Ausschuss für Humanarzneimittel übertragen werden. …“

3

Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt:

„Ziel dieser Verordnung ist die Festlegung von Verfahren der Union für die Genehmigung, Überwachung und Pharmakovigilanz im Bereich Humanarzneimittel sowie die Errichtung [der EMA], welche im Zusammenhang mit Human- und Tierarzneimitteln den Aufgaben nachkommt, die in dieser Verordnung sowie in anderen einschlägigen Rechtsvorschriften der Union festgelegt sind.“

4

Art. 5 der Verordnung Nr. 726/2004 sieht vor:

„(1)   Es wird ein Ausschuss für Humanarzneimittel [(im Folgenden: CHMP)] eingerichtet. Dieser Ausschuss ist Teil der [EMA].

(2)   Unbeschadet des Artikels 56 und anderer ihm gegebenenfalls durch das Unionsrecht übertragener Aufgaben ist der [CHMP] zuständig für die Formulierung des Gutachtens der [EMA] zu allen Fragen bezüglich der Zulässigkeit der nach dem zentralisierten Verfahren eingereichten Dossiers, der Erteilung, Änderung, Aussetzung oder des Widerrufs einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Humanarzneimittels entsprechend den Bestimmungen dieses Titels sowie bezüglich der Pharmakovigilanz. …

…“

5

In Art. 9 der Verordnung Nr. 726/2004 heißt es:

„(1)   Die [EMA] unterrichtet unverzüglich den Antragsteller, wenn das Gutachten des [CHMP] zu dem Ergebnis kommt, dass

a)

der Antrag die in dieser Verordnung festgelegten Genehmigungskriterien nicht erfüllt,

(2)   Innerhalb von 15 Tagen nach Erhalt des in Absatz 1 genannten Gutachtens kann der Antragsteller der [EMA] schriftlich mitteilen, dass er um Überprüfung des Gutachtens ersucht. In diesem Fall legt der Antragsteller der [EMA] binnen 60 Tagen nach Erhalt des Gutachtens eine ausführliche Begründung des Gesuchs vor.

(3)   Die [EMA] übermittelt das endgültige Gutachten des [CHMP] innerhalb von 15 Tagen nach seiner Verabschiedung der [Europäischen] Kommission, den Mitgliedstaaten und dem Antragsteller zusammen mit einem Bericht, der die Beurteilung des Arzneimittels durch den [CHMP] enthält und die Gründe für seine Schlussfolgerungen angibt.

…“

6

Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt:

„Die Kommission erlässt mittels Durchführungsrechtsakten innerhalb von 15 Tagen nach Einholung der Stellungnahme des [CHMP] einen endgültigen Beschluss. …“

7

Art. 56 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt:

„(1)   Die [EMA] umfasst:

a)

den [CHMP], der die Gutachten der [EMA] zu Fragen der Beurteilung von Humanarzneimitteln ausarbeitet;

(2)   Die in Absatz 1 … genannten Ausschüsse können jeweils eigene ständige und nicht ständige Arbeitsgruppen einsetzen. Der in Absatz 1 Buchstabe a des vorliegenden Artikels genannte Ausschuss kann im Zusammenhang mit der Beurteilung bestimmter Arten von Arzneimitteln oder Behandlungen wissenschaftliche Beratergruppen [(im Folgenden: WBG)] einrichten, denen der betreffende Ausschuss bestimmte Aufgaben übertragen kann, die mit der Erstellung von wissenschaftlichen Gutachten gemäß Artikel 5 zusammenhängen.

…“

8

In Art. 57 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 heißt es:

„Die [EMA] erteilt den Mitgliedstaaten und den Organen der Union den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln …

Die [EMA] nimmt, vor allem durch ihre Ausschüsse, folgende Aufgaben wahr:

a)

Koordinierung der wissenschaftlichen Beurteilung der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Human- und von Tierarzneimitteln, die den Zulassungsverfahren der Union unterliegen;

…“

9

Art. 62 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt:

„(1)   …

Wird um Überprüfung eines seiner Gutachten ersucht, sofern diese Möglichkeit im Unionsrecht vorgesehen ist, so benennt der zuständige Ausschuss einen Berichterstatter und gegebenenfalls einen Mitberichterstatter; dabei muss es sich um andere als die für das ursprüngliche Gutachten benannten Personen handeln. Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens können nur diejenigen Punkte des Gutachtens behandelt werden, die der Antragsteller zuvor benannt hat, und nur die wissenschaftlichen Daten können berücksichtigt werden, die bei Annahme des ursprünglichen Gutachtens durch den Ausschuss zur Verfügung standen. Der Antragsteller kann verlangen, dass der Ausschuss im Rahmen dieser Überprüfung eine [WBG] konsultiert.

(2)   Die Mitgliedstaaten übermitteln der [EMA] die Namen nationaler Sachverständiger, die nachweislich Erfahrung in der Beurteilung von Human- und Tierarzneimitteln erworben haben und unter Berücksichtigung von Artikel 63 Absatz 2 für eine Mitarbeit in den Arbeitsgruppen oder [WBG] der in Artikel 56 Absatz 1 genannten Ausschüsse zur Verfügung stehen; gleichzeitig übermitteln sie Angaben über Qualifikationen und spezielle Fachgebiete dieser Sachverständigen.

Die [EMA] erstellt und führt ein Verzeichnis akkreditierter Sachverständiger und hält es auf dem neuesten Stand. Dieses Verzeichnis umfasst die in Unterabsatz 1 genannten nationalen Sachverständigen sowie etwaige weitere durch die [EMA] oder die Kommission benannte Sachverständige …

…“

10

Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 lautet:

„Verwaltungsratsmitglieder, Ausschussmitglieder, Berichterstatter und Sachverständige dürfen keinerlei finanzielle oder sonstige Interessen in der pharmazeutischen Industrie haben, die ihre Unparteilichkeit beeinflussen könnten. Sie verpflichten sich dazu, unabhängig und im Interesse des Gemeinwohls zu handeln und jährlich eine Erklärung über ihre finanziellen Interessen abzugeben. Alle indirekten Interessen, die mit dieser Industrie in Zusammenhang stehen könnten, werden in ein von der [EMA] geführtes Register eingetragen, das von der Öffentlichkeit auf Wunsch bei den Dienststellen der [EMA] eingesehen werden kann.

Der Verhaltenskodex der [EMA] sieht die Durchführung dieses Artikels … vor.

Die … Ausschussmitglieder, Berichterstatter und Sachverständigen, die an den Sitzungen oder Arbeitsgruppen der [EMA] teilnehmen, erklären auf jeder Sitzung bezogen auf die Tagesordnungspunkte die besonderen Interessen, die als mit ihrer Unabhängigkeit unvereinbar betrachtet werden könnten. Diese Erklärungen sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

Verfahrensordnung des CHMP

11

Art. 11 Abs. 2 des Dokuments mit dem Titel „Committee for Medicinal Products for Human Use – Rules of Procedure“ ([CHMP] – Verfahrensordnung, im Folgenden: Verfahrensordnung des CHMP) sieht vor:

„Bei der in Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 726/2004 vorgesehenen Überprüfung des Gutachtens können nur diejenigen Punkte des Gutachtens behandelt werden, die der Antragsteller zuvor benannt hat, und nur die wissenschaftlichen Daten können berücksichtigt werden, die bei Annahme des ursprünglichen Gutachtens durch den [CHMP] zur Verfügung standen. Der Antragsteller kann verlangen, dass der [CHMP] im Zusammenhang mit dieser Überprüfung eine [WBG] konsultiert (sofern und sobald sie eingerichtet wird). In diesem Fall ersucht der [CHMP] verfügbare zusätzliche Sachverständige um Stellungnahme.“

Verfahrensvorschriften der WBG

12

Abschnitt II Abs. 3 des Dokuments der EMA mit dem Tiel „Mandate, objectives and rules of procedure for the scientific advisory groups (SAGs) and ad-hoc experts groups“ (Mandat, Ziele und Verfahrensvorschriften der WBG und der Ad-hoc-Sachverständigengruppen, im Folgenden: Verfahrensvorschriften der WBG) lautet:

„Beziehen sich die Streitfragen auf einen therapeutischen Bereich, für den keine spezielle WBG eingerichtet wurde, wird eine Ad‑hoc‑Sachverständigengruppe gebildet, die dem WBG-Mandat folgt.“

13

In Abschnitt IV der Verfahrensvorschriften der WBG heißt es:

„…

Die WBG besteht sowohl aus einer Kerngruppe – die für Kontinuität und Kohärenz innerhalb der Gruppe sorgt – als auch aus zusätzlichen Sachverständigen, die zur Teilnahme an einer bestimmten Sitzung oder einer Reihe von Sitzungen zu einer spezifischen Fragestellung herangezogen werden können, in Bezug auf die sie über einschlägige Berufsausbildung, Fortbildung und Berufserfahrung verfügen und damit im Einzelfall zusätzliches Fachwissen in spezifischen Bereichen beisteuern.

Ernennung der Kernmitglieder

Zwölf Kernmitglieder werden anhand ihres klinischen/technischen Fachwissens und ihrer Unabhängigkeit im Interessengebiet ausgewählt und für drei Jahre ernannt.

Die Kerngruppe sollte in Bezug auf das wissenschaftliche Fachwissen ausgewogen besetzt sein, und daher sollten die Mitglieder über vielfältige Berufsausbildungen, Fortbildungen und Berufserfahrungen verfügen. Die Zusammensetzung der Kerngruppe sollte so weit wie möglich die verschiedenen Denkansätze oder therapeutischen Praktiken in Europa widerspiegeln.

Ein Sachverständiger für die Methodik bei klinischen Studien und für Biostatistik sollte stets zu den Kernmitgliedern gehören und kann mehr als einer WBG angehören.

…“

14

Abschnitt VII Nr. 4 der Verfahrensvorschriften der WBG bestimmt:

„Teilnahme zusätzlicher Sachverständiger an WBG-Sitzungen

Mitglieder des CHMP, der Vorsitzende der WBG und die EMA machen Vorschläge für zusätzliche Sachverständige auf der Basis ihres Fachwissens in dem therapeutischen Bereich oder auf dem Gebiet, auf den oder das sich die konkrete WBG-Sitzung erstreckt, im Einklang mit der Liste der Fragen des CHMP an die WBG.

…“

Leitlinien für das Überprüfungsverfahren

15

In Abschnitt 6.1 des Dokuments mit dem Titel „Procedural advice on the Re-examination of CHMP Opinions“ (Leitlinien für das Verfahren zur Überprüfung der Gutachten des CHMP, im Folgenden: Leitlinien für das Überprüfungsverfahren) heißt es:

„Die Entscheidung über die Konsultation einer WBG in einem Überprüfungsverfahren hängt unter anderem vom CHMP oder von dem Antrag des [Antragstellers] auf Konsultation der WBG durch den CHMP ab.

Falls der [Antragsteller] die Konsultation einer WBG beantragt, sollte er den CHMP so früh wie möglich davon in Kenntnis setzen. Ein solcher Antrag ist hinreichend zu begründen. Stellt der [Antragsteller] keinen Antrag, entscheidet der CHMP, ob zusätzliches Fachwissen benötigt wird. Falls der Antragsteller die Konsultation der WBG beantragt, wird der CHMP die WBG systematisch konsultieren.

In einem therapeutischen Bereich, für den keine WBG eingerichtet wurde, wird zusätzliches verfügbares Fachwissen in Form der Konsultation einer Ad-hoc-Sachverständigengruppe eingeholt.

Während der Sitzung des CHMP im Anschluss an den Eingang der schriftlichen Mitteilung des [Antragstellers] bei der [EMA] oder der ausführlichen Begründung des Antrags auf Überprüfung des Gutachtens entscheidet der CHMP über die Konsultation der WBG und deren Zusammensetzung (in Bezug auf Sachverständige, die nicht der WBG-Kerngruppe angehören), und der CHMP verabschiedet eine Liste mit Fragen an die WBG.

…“

Verhaltenskodex der EMA

16

In Abschnitt 2.3.2 des in Art. 63 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 726/2004 angesprochenen Verhaltenskodex der EMA heißt es:

„Die Definition des Interesses wird für die spezifischen Politikbereiche der EMA festgelegt. …“

17

Abschnitt 2.3.3 des Verhaltenskodex der EMA lautet:

„Bei Mitgliedern des Verwaltungsrats oder wissenschaftlicher Ausschüsse, Berichterstattern und Sachverständigen sowie Mitarbeitern der EMA ist Voraussetzung für die Beteiligung an den Tätigkeiten der [EMA] das Vorliegen einer unterzeichneten Interessenerklärung und einer Beurteilung der erklärten Interessen. Die geltenden Einschränkungen im Hinblick auf Aktivitäten des Einzelnen im Kontext der Rolle und Verantwortlichkeiten der EMA hängen von dem konkurrierenden Interesse und der besonderen Rolle der konkreten Person ab. Die Einzelheiten der relevanten Einschränkungen sind in den Positionspapieren der EMA festgelegt.“

Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen

18

Abschnitt 3.2.1 des von der EMA veröffentlichten Dokuments mit dem Titel „European Medicines Agency policy on the handling of competing interests of scientific committees’ members and experts“ (Politik der [EMA] zum Umgang mit konkurrierenden Interessen von Mitgliedern wissenschaftlicher Ausschüsse und Sachverständigen) in seiner auf den Überprüfungsantrag der Rechtsmittelführerin anwendbaren Fassung vom 6. Oktober 2016 (im Folgenden: Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen) sieht vor:

„…

Direkte Interessen in der pharmazeutischen Industrie sind:

Beratungstätigkeit für ein Unternehmen

Funktion als Strategieberater für ein Unternehmen

Indirekte Interessen in der pharmazeutischen Industrie sind:

leitender Forscher

…“

19

In Abschnitt 3.2.1.1 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen heißt es:

„‚Beratungstätigkeit für ein pharmazeutisches Unternehmen‘ bedeutet: jede Tätigkeit, bei der der betreffende Sachverständige einem pharmazeutischen Unternehmen Ratschläge gibt (einschließlich eines individuellen Trainings), unabhängig von vertraglichen Vereinbarungen oder jeder Form des Entgelts.

‚Funktion als Strategieberater für ein pharmazeutisches Unternehmen‘ bedeutet: jede Tätigkeit, bei der der Sachverständige (mit Stimmrecht/Einfluss auf das Ergebnis) an einem (wissenschaftlichen) Beirat, Lenkungsausschuss oder Exekutivausschuss in der Rolle teilnimmt, Ratschläge zu geben/Meinungen zu äußern zur (künftigen) Strategie, zur Ausrichtung und zu Entwicklungsmaßnahmen pharmazeutischer Unternehmen, sei es in Form einer allgemeinen oder produktbezogenen Strategie, unabhängig von vertraglichen Vereinbarungen oder jeder Form des Entgelts.

…“

20

Abschnitt 3.2.1.2 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen sieht vor:

„…

‚Leitender Forscher‘ bedeutet: ein Forscher, der für die Koordinierung von Forschern in verschiedenen Zentren verantwortlich ist, die an einer von der pharmazeutischen Industrie initiierten/geförderten multizentrischen Studie mitwirken, oder der koordinierende (leitende) Forscher, der den Bericht über die klinische Studie unterzeichnet.

…“

21

Abschnitt 3.2.2 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen sieht vor:

„…

‚Konkurrierendes Produkt‘ bedeutet: ein Arzneimittel, das mit demselben klinischen Ziel (eine bestimmte Krankheit zu behandeln, zu verhindern oder zu diagnostizieren) auf eine ähnliche Patientengruppe abzielt und potenziell im wirtschaftlichen Wettbewerb steht.

…“

22

In Abschnitt 4.1 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen heißt es:

„Das hauptsächliche Ziel der Politik besteht darin, sicherzustellen, dass die Mitglieder der wissenschaftlichen Ausschüsse und die an den Tätigkeiten der [EMA] beteiligten Sachverständigen keine Interessen in der pharmazeutischen Industrie, die ihre Unparteilichkeit beeinflussen könnten, im Sinne der Anforderungen des [Unionsrechts] haben. Dieser Aspekt ist gegen die Notwendigkeit abzuwägen, das beste (spezialisierte) wissenschaftliche Fachwissen für die Beurteilung und Überwachung von [Arzneimitteln] zu erhalten. …

…“

23

In Abschnitt 4.2.1.1 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen heißt es:

„Bei den Interessenerklärungen können drei Stufen von Interessen unterschieden werden:

‚erklärte direkte Interessen‘ (d. h. Interessenstufe 3);

‚erklärte indirekte Interessen‘ (d. h. Interessenstufe 2);

‚keine erklärten Interessen‘ (d. h. Interessenstufe 1).

Der Hauptschwerpunkt liegt bei direkten Interessen in der pharmazeutischen Industrie, die zu den stärksten Einschränkungen bei der Mitwirkung an den Tätigkeiten der [EMA] führen.

Die indirekten Interessen in der pharmazeutischen Industrie sind Gegenstand von Maßnahmen zur Risikominimierung, um das bestmögliche Gleichgewicht zwischen einer Begrenzung der Mitwirkung an den Tätigkeiten der [EMA] und dem Erfordernis zu erreichen, über das beste (spezialisierte) wissenschaftliche Fachwissen zu verfügen.

…“

24

Abschnitt 4.2.1.2 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen bestimmt:

„…

Sonderfall konkurrierender Produkte

Im Sonderfall konkurrierender Produkte (vormals als Mitbewerberprodukte bezeichnet) gilt ein zweistufiger Ansatz:

Der Begriff ‚konkurrierende Produkte‘ bezieht sich auf Situationen, in denen es nur eine ganz geringe Zahl (ein oder zwei) konkurrierender Produkte gibt. …

Bei breiten Indikationen verwässert das bestehende Wettbewerbsvolumen potenzielle Interessen in adäquater Weise, da viele Produkte für die gleiche Indikation zugelassen sind.

In Situationen, die durch eine ganz geringe Zahl konkurrierender Produkte im oben genannten Sinne gekennzeichnet sind, betreffen die Konsequenzen die (stellvertretenden) Vorsitzenden der wissenschaftlichen Ausschüsse und der Arbeitsgruppen sowie die Berichterstatter und andere Mitglieder mit Leitungs‑/Koordinationsfunktion und die förmlich ernannten Peer Reviewer.“

25

In Abschnitt 4.4 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen heißt es:

„Die Konsequenzen der Anwendung der in dieser Politik aufgestellten Grundsätze in Bezug auf die zulässigen Interessen werden in Anhang I ‚Mitglieder wissenschaftlicher Ausschüsse und Sachverständige, denen gestattet ist, an Angelegenheiten in Bezug auf Arzneimittel mitzuwirken‘ zusammengefasst.

…“

26

Anhang I der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen enthält eine Tabelle, in der für jede Form der Beteiligung an der Beurteilung pharmazeutischer Produkte im Rahmen der Verfahren vor der EMA die Beschränkungen aufgeführt sind, die je nach der Art der erklärten Interessen und des Zeitraums, in dem diese Interessen bestanden haben, gelten.

27

Aus dieser Tabelle geht insbesondere für Sachverständige, die ein aktuelles Interesse als „leitender Forscher“ im Sinne dieser Politik erklärt haben, hervor, dass sie einer WBG oder einer Ad‑hoc‑Sachverständigengruppe angehören dürfen, sofern ihre Beteiligung im Fall eines von einem solchen Interesse betroffenen Arzneimittels begrenzt ist:

„Mitwirkung nur an den Erörterungen bei Verfahren, in denen es um das betreffende Arzneimittel geht, d. h. keine Beteiligung an den abschließenden Beratungen und gegebenenfalls der Abstimmung in Bezug auf das Arzneimittel.“

28

Bei Sachverständigen, die ein aktuelles Interesse als Berater oder Strategieberater für ein pharmazeutisches Unternehmen erklärt haben, wird in der Tabelle unterschieden zwischen der Fallgruppe, bei der dieses Interesse darin besteht, Beratungsleistungen allgemeiner Art oder für mehrere Arzneimittel zu erbringen, und der Fallgruppe, bei der dieses Interesse darin besteht, Beratungsleistungen für ein individuelles Arzneimittel zu erbringen. Bei der ersten Fallgruppe ist jede Beteiligung an einer WBG oder einer Ad‑hoc‑Sachverständigengruppe untersagt, während bei der zweiten Fallgruppe die Möglichkeit, einer WBG oder einer Ad‑hoc‑Sachverständigengruppe anzugehören, nur in folgender Weise beschränkt wird:

„Keine Mitwirkung an Verfahren, in denen es um das betreffende Arzneimittel geht, d. h. keine Beteiligung an den Erörterungen, den abschließenden Beratungen und gegebenenfalls der Abstimmung in Bezug auf das Arzneimittel“.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

29

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist vom Gericht in den Rn. 2 bis 12 des angefochtenen Urteils dargelegt worden und lässt sich für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens wie folgt zusammenfassen.

30

Am 26. Juni 2018 stellte D & A Pharma bei der EMA einen Antrag auf bedingte Zulassung von Hopveus gemäß der Verordnung (EG) Nr. 507/2006 der Kommission vom 29. März 2006 über die bedingte Zulassung von Humanarzneimitteln, die unter den Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates fallen (ABl. 2006, L 92, S. 6).

31

Hopveus, das als Wirkstoff Natriumoxybat enthält, soll die Alkoholabhängigkeit bekämpfen.

32

Am 17. Oktober 2019 erstattete der CHMP ein ablehnendes Gutachten zu diesem Antrag.

33

Am 29. Oktober 2019 ersuchte D & A Pharma gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 um eine Überprüfung des Gutachtens des CHMP (im Folgenden: Überprüfungsantrag).

34

Für diese Überprüfung berief der CHMP eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe ein.

35

Nach einem weiteren ablehnenden Gutachten des CHMP vom 30. April 2020 lehnte die Kommission den Antrag auf bedingte Zulassung mit dem streitigen Beschluss ebenfalls ab.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

36

D & A Pharma erhob Klage gegen die Kommission und die EMA, mit der sie die Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses sowie die Anordnung begehrte, dass die WBG Psychiatrie im Anschluss an die Nichtigerklärung in ihrer Besetzung zum Zeitpunkt der Stellung des Überprüfungsantrags einberufen wird.

37

In den Rn. 21 und 22 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass der streitige Beschluss von der Kommission erlassen worden sei, so dass die Klage unzulässig sei, soweit sie sich gegen die EMA richte. Es hat allerdings insofern die Rechtmäßigkeit des Verfahrens vor der EMA geprüft, als sich die Kommission auf das Gutachten des CHMP stützte, der integraler Bestandteil der EMA ist.

38

D & A Pharma stützte ihre Klage auf sechs Gründe. Mit dem ersten Klagegrund machte sie einen Verfahrensfehler geltend, der darin bestehen soll, dass der CHMP für die Zwecke der Überprüfung des Antrags auf Zulassung von Hopveus eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe und nicht die WBG Psychiatrie einberufen habe. Mit dem zweiten Klagegrund wurde die mangelnde Unparteilichkeit zweier Mitglieder der Ad-hoc-Sachverständigengruppe (im Folgenden: Sachverständiger A bzw. Sachverständiger B oder gemeinsam Sachverständige A und B) geltend gemacht. Mit dem dritten Klagegrund wurde ein Verfahrensfehler in Form eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Arbeitsweise der Ad-hoc-Sachverständigengruppe und einer Verletzung des Grundsatzes der kontradiktorischen Prüfung des Zulassungsantrags gerügt. Die Klagegründe 4 bis 6 waren auf einen Rechtsfehler, offensichtliche Beurteilungsfehler und Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt.

39

Im angefochtenen Urteil sah das Gericht diese Klagegründe als unbegründet an und wies die Klage ab.

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

40

Mit Schriftsatz, der am 2. Mai 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat D & A Pharma das vorliegende Rechtsmittel eingelegt.

41

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,

das angefochtene Urteil aufzuheben,

über die vor dem Gericht erhobene, insbesondere auf die Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses gerichtete Klage endgültig zu entscheiden und

der Kommission und der EMA die Kosten aufzuerlegen.

42

Die Kommission und die EMA beantragen,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

43

Im Anschluss an einen Antrag der Rechtsmittelführerin vom 9. August 2022 hat der Präsident des Gerichtshofs ihr gestattet, eine Erwiderung einzureichen.

44

Nach Einreichung der Gegenerwiderungen der Kommission und der EMA ist das schriftliche Verfahren in der vorliegenden Rechtssache am 25. November 2022 abgeschlossen worden.

45

Am 14. April 2023 hat die Rechtsmittelführerin die Wiedereröffnung des schriftlichen Verfahrens beantragt. Sie hat diesen Antrag darauf gestützt, dass es zusätzliche Gesichtspunkte gebe, die für ein gutes Verständnis der Akte wichtig seien, und zwar eine Dissertation zur Wirksamkeit von Natriumoxybat bei der Behandlung von Alkoholabhängigkeit sowie deren Beurteilung durch den Prüfungsausschuss.

46

Dieser Antrag ist vom Präsidenten der Vierten Kammer des Gerichtshofs aus folgenden Gründen zurückgewiesen worden.

47

Art. 128 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der zu ihrem die Klageverfahren betreffenden Teil gehört, sieht vor, dass die Parteien des Rechtsstreits ausnahmsweise noch nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens Beweise oder Beweisangebote vorlegen können, was dazu führen kann, dass der Gegenpartei eine Frist zur Stellungnahme zu diesen Beweisen gesetzt wird. Für Rechtsmittel ist jedoch in der Verfahrensordnung keine vergleichbare Bestimmung vorgesehen, da der Gerichtshof in diesem Rahmen grundsätzlich nicht zur Prüfung solcher Beweise befugt ist, abgesehen vom Fall ihrer Verfälschung durch das Gericht, der bei neuen Beweisen, die erstmals dem Gerichtshof vorgelegt werden, definitionsgemäß nicht vorliegen kann.

48

Da die Rechtsmittelführerin im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels nicht geltend macht, dass das Gericht die ihm zur Würdigung unterbreiteten Tatsachen und Beweise verfälscht habe, indem es im Widerspruch zu diesen Tatsachen und Beweisen entschieden habe, dass Natriumoxybat bei der Behandlung von Alkoholabhängigkeit nicht wirksam sei, ist der Gerichtshof überdies für die Prüfung dieser Frage nicht zuständig. Daraus folgt, dass die zusätzlichen Gesichtspunkte, auf die sich die Rechtsmittelführerin beruft, jedenfalls unerheblich sind.

49

Daher hat der Präsident der Vierten Kammer des Gerichtshofs entschieden, dass der Antrag auf Wiedereröffnung des schriftlichen Verfahrens zurückzuweisen ist, ohne dass die von der Rechtsmittelführerin in ihrem Antrag aufgeworfene Frage geprüft zu werden braucht, ob die Unanwendbarkeit von Art. 128 Abs. 2 der Verfahrensordnung in Rechtsmittelverfahren unter bestimmten Umständen gegen das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verstößt.

Zum Rechtsmittel

50

Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt sie, dem Gericht sei ein Rechtsfehler unterlaufen, als es die Entscheidung des CHMP, die WBG Psychiatrie nicht einzuberufen, für rechtmäßig erklärt habe, und mit der Feststellung, dass diese Entscheidung den Inhalt des streitigen Beschlusses nicht habe beeinflussen können, habe es einen Fehler bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts begangen. Der zweite Rechtsmittelgrund wird darauf gestützt, dass das Gericht einen Rechtsfehler und einen Fehler bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts begangen habe, als es im Rahmen seiner Prüfung des Erfordernisses der objektiven Unparteilichkeit zu dem Ergebnis gekommen sei, dass bei den Sachverständigen A und B kein Interessenkonflikt vorgelegen habe.

Vorbringen der Parteien

51

Mit dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes, der zuerst zu prüfen ist, wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, einen Rechtsfehler begangen zu haben, indem es den Nachweis verlangt habe, dass bei den Sachverständigen A und B Voreingenommenheit oder persönliche Vorurteile vorgelegen hätten.

52

Voreingenommenheit oder persönliche Vorurteile stellten einen Mangel an subjektiver Unparteilichkeit dar. Da sie sich auf mangelnde objektive Unparteilichkeit berufen habe, hätte das Gericht prüfen müssen, ob hinreichende Garantien bestanden hätten, um jeden berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit dieser Sachverständigen auszuschließen.

53

Das Erfordernis der objektiven Unparteilichkeit gelte entgegen den Feststellungen des Gerichts in den Rn. 132 und 133 des angefochtenen Urteils für alle an einem Verwaltungsverfahren Beteiligten und nicht nur für Personen mit besonderen Verantwortlichkeiten.

54

Das Gericht habe zu Unrecht darauf abgestellt, welchen Einfluss die Sachverständigen A und B möglicherweise ausgeübt hätten – was nicht geklärt werden könne, da die Beratungen der Sachverständigengruppen vertraulich seien; stattdessen hätte es prüfen müssen, ob die zwischen diesen Sachverständigen und der pharmazeutischen Industrie bestehenden Verbindungen geeignet gewesen seien, objektiv begründete Zweifel an ihrer Unparteilichkeit aufkommen zu lassen.

55

Mit dem zweiten Teil des Rechtsmittelgrundes wird geltend gemacht, dass zu diesem Rechtsfehler, der eine Verletzung des in Art. 41 der Charta verankerten Rechts auf eine gute Verwaltung darstelle, ein Fehler bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts hinzugekommen sei, da das Gericht zu Unrecht angenommen habe, dass sich die Sachverständigen A und B nicht in einem Interessenkonflikt befunden hätten.

56

Bei seiner Prüfung der Situation dieser Sachverständigen habe das Gericht insbesondere den Begriff „konkurrierendes Produkt“ falsch ausgelegt.

57

Außerdem habe das Gericht den Inhalt von Anhang I der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen verkannt. Aus ihm gehe u. a. hervor, dass Personen, die wie der Sachverständige A Beratungsleistungen für mehrere Arzneimittel erbrächten, nicht Mitglied einer vom CHMP konsultierten Sachverständigengruppe sein könnten.

58

Der Sachverständige B sei für das von der Firma Adial Pharmaceuticals entwickelte Produkt AD 04 leitender Forscher gewesen. Als er an der Ad-hoc-Sachverständigengruppe zur Bewertung von Hopveus teilgenommen habe, sei AD 04 Gegenstand eines Prüfverfahrens vor der EMA gewesen. AD 04 ziele auf die Behandlung von Alkoholabhängigkeit ab und sei daher wegen der Übereinstimmung des klinischen Ziels und der Ähnlichkeit der Zielpatienten ein mit Hopveus konkurrierendes Produkt. Rn. 103 des angefochtenen Urteils sei mit einem Rechtsfehler behaftet, da sie darauf hinauslaufe, Arzneimittel zur Behandlung derselben Erkrankung künstlich voneinander abzuschotten, was der Definition des Begriffs „konkurrierendes Produkt“ ihre praktische Wirksamkeit nehme.

59

Auch Rn. 104 des angefochtenen Urteils sei mit einem Rechtsfehler behaftet, da sie darauf hinauslaufe, dass nur Sachverständige, die an dem Produkt, das Gegenstand des Überprüfungsverfahrens sei, gearbeitet hätten, nicht der konsultierten Sachverständigengruppe angehören könnten, wohl aber Sachverständige, die an konkurrierenden Produkten gearbeitet hätten.

60

Sollte die Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen, wie das Gericht entschieden habe, so zu verstehen sein, dass der leitende Forscher eines Produkts an der Sachverständigengruppe teilnehmen könne, die prüfe, ob einem konkurrierenden Produkt die Zulassung zu erteilen sei, würde diese Politik gegen das Gebot der objektiven Unparteilichkeit verstoßen, das sich aus Art. 41 der Charta ergebe. Der Auslegung dieser Politik durch das Gericht könne daher nicht gefolgt werden.

61

Die Kommission und die EMA machen geltend, das in Art. 41 der Charta verankerte Erfordernis der Unparteilichkeit spiegele sich in Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 und in dem auf dessen Grundlage erlassenen Verhaltenskodex der EMA wider. Die Entscheidung des Unionsgesetzgebers, die EMA zur Umsetzung von Art. 63 Abs. 2 zu ermächtigen, bringe zum Ausdruck, dass die EMA am besten in der Lage sei, die widerstreitenden Interessen zu beurteilen. Die EMA habe eine sehr detaillierte Abwägung zwischen den Erfordernissen der Unparteilichkeit und eines hohen Fachwissens vorgenommen. In Anhang I der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen komme diese Abwägung zum Ausdruck.

62

Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, das Gericht habe den Klagegrund einer Verletzung der objektiven Unparteilichkeit anhand des für die Beurteilung der Wahrung der subjektiven Unparteilichkeit geltenden Kriteriums geprüft, beruhe auf einem Fehlverständnis des angefochtenen Urteils.

63

Insbesondere habe das Gericht in den Rn. 130 und 131 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt, dass die Schlussfolgerungen der Ad-hoc-Sachverständigengruppe von allen Mitgliedern gemeinsam angenommen worden seien und dass das Kollegialprinzip die objektive Unparteilichkeit der abgegebenen Stellungnahmen gewährleiste. Dies stehe im Einklang mit der auf die Urteile vom 1. Juli 2008, Chronopost und La Poste/UFEX u. a. (C‑341/06 P und C‑342/06 P, EU:C:2008:375), und vom 19. Februar 2009, Gorostiaga Atxalandabaso/Parlament (C‑308/07 P, EU:C:2009:103), zurückgehende Rechtsprechung des Gerichtshofs.

64

Zwar ergebe sich aus den Rn. 34 und 38 des Urteils vom 27. März 2019, August Wolff und Remedia/Kommission (C‑680/16 P, EU:C:2019:257), dass Zweifel an der Unparteilichkeit eines Sachverständigen, der in der Sachverständigengruppe eine wichtige Rolle spiele, nicht allein auf der Grundlage des Kollegialprinzips ausgeräumt werden könnten. Im vorliegenden Fall hätten die Sachverständigen A und B jedoch keine solche Rolle in der Ad-hoc-Sachverständigengruppe gespielt.

65

Das Gericht sei auch zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass keines der konkurrierenden Interessen des Sachverständigen A oder des Sachverständigen B zu einem Interessenkonflikt habe führen können.

66

In Bezug auf den Sachverständigen B tragen die Kommission und die EMA vor, AD 04 sei zum Zeitpunkt der Sitzung der Ad-hoc-Sachverständigengruppe für Hopveus noch nicht Gegenstand eines Zulassungsantrags gewesen. Jedenfalls habe das Gericht fehlerfrei entschieden, dass AD 04 und Hopveus keine konkurrierenden Produkte seien, da die Patienten, für die AD 04 gedacht sei, ihren Alkoholkonsum nur einschränken wollten.

67

Die Kommission und die EMA fügen hinzu, selbst wenn AD 04 und Hopveus als konkurrierende Produkte anzusehen wären, gehe aus der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen klar hervor, dass einem Sachverständigen, der zur Entwicklung eines Arzneimittels beigetragen habe, die Mitgliedschaft in Sachverständigengruppen, die der CHMP zur Prüfung eines konkurrierenden Produkts einberufen habe, nicht untersagt sei. Das Gericht habe in Rn. 104 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt, dass der Sachverständige B nur dann an der Mitgliedschaft in einer solchen Gruppe gehindert gewesen wäre, wenn das Überprüfungsverfahren das Produkt betroffen hätte, bei dem er leitender Forscher sei.

68

In Bezug auf den Sachverständigen A machen die Kommission und die EMA geltend, die konkurrierenden Interessen dieses Sachverständigen, wie seine Tätigkeiten als Berater für die pharmazeutischen Unternehmen Lundbeck und Janssen, hätten nicht zu einem Interessenkonflikt geführt.

69

Insoweit hat die EMA in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hervorgehoben, dass der Sachverständige A in seiner Erklärung konkurrierender Interessen klar angegeben habe, auf welche konkreten Arzneimittel sich seine Beratungstätigkeiten für die Unternehmen Lundbeck und Janssen bezogen hätten. Die Rolle dieses Sachverständigen bestehe darin, Beratungsleistungen zu erbringen, die weder allgemeiner Art seien noch sich auf mehrere Arzneimittel im Sinne von Anhang I der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen erstreckten, sondern auf ein individuelles Arzneimittel im Sinne von Anhang I. Daraus folge, dass der Sachverständige A jeder vom CHMP einberufenen Sachverständigengruppe habe angehören können, außer denen, die die von seinen Beratungstätigkeiten betroffenen Arzneimittel geprüft hätten.

70

Die Rechtsmittelführerin habe im Übrigen keine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen die Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen erhoben. Das Gericht habe sich daher zu Recht auf die Feststellung beschränkt, dass diese Politik die Beteiligung der Sachverständigen A und B an der Ad-hoc-Sachverständigengruppe nicht ausschließe und dass sie und die von ihr vorgesehene eingehende Prüfung der widerstreitenden Interessen auf der in Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 vorgesehenen Ermächtigung beruhten.

Würdigung durch den Gerichtshof

71

Mit dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, einen Rechtsfehler begangen zu haben, indem es den Nachweis verlangt habe, dass bei den Sachverständigen A und B Voreingenommenheit oder persönliche Vorurteile vorgelegen hätten.

72

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das in Art. 41 der Charta verankerte Grundrecht auf eine gute Verwaltung nach Art. 41 Abs. 1 das Recht jeder Person einschließt, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch behandelt werden.

73

Dieses Erfordernis der Unparteilichkeit umfasst eine subjektive und eine objektive Komponente. Die objektive Komponente, auf die sich die Rechtsmittelführerin beruft, besagt, dass die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union ausreichende Garantien bieten müssen, um jeden berechtigten Zweifel hinsichtlich etwaiger Vorurteile auszuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. März 2019, August Wolff und Remedia/Kommission, C‑680/16 P, EU:C:2019:257, Rn. 27, und vom 12. Januar 2023, HSBC Holdings u. a./Kommission, C‑883/19 P, EU:C:2023:11, Rn. 77).

74

Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ist die objektive Unparteilichkeit des CHMP und damit der EMA beeinträchtigt, wenn sich aus einer Ämterkollision ein Interessenkonflikt bei einem der Mitglieder des CHMP ergeben kann, und zwar unabhängig vom persönlichen Verhalten dieses Mitglieds. Ein solcher Verstoß kann zur Rechtswidrigkeit des am Ende des Verfahrens von der Kommission erlassenen Beschlusses führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 2019, August Wolff und Remedia/Kommission, C‑680/16 P, EU:C:2019:257, Rn. 28 und 30).

75

Die objektive Unparteilichkeit des CHMP wird auch dann beeinträchtigt, wenn ein Sachverständiger, der sich in einem Interessenkonflikt befindet, zu der Sachverständigengruppe gehört, die vom CHMP im Rahmen der Überprüfung konsultiert wird, die zum Gutachten der EMA und zum Beschluss der Kommission über den Zulassungsantrag führt.

76

Hierzu ist festzustellen, dass die Meinungsäußerung der vom CHMP einberufenen Sachverständigengruppe einen potenziell entscheidenden Einfluss auf das Gutachten der EMA und mittels dieses Gutachtens auf den Beschluss der Kommission hat. Jedes Mitglied dieser Gruppe kann die vertraulichen Erörterungen und Beratungen in dieser Gruppe, unter Umständen erheblich, beeinflussen. Folglich entsteht dadurch, dass eine Person, die sich in einem Interessenkonflikt befindet, an einer vom CHMP einberufenen Sachverständigengruppe teilnimmt, eine Situation, die keine ausreichenden Garantien bietet, um jeden berechtigten Zweifel hinsichtlich etwaiger Vorurteile im Sinne der oben in Rn. 73 angeführten Rechtsprechung auszuschließen.

77

Daher führt entgegen den Ausführungen des Gerichts in den Rn. 130 bis 132 des angefochtenen Urteils ein Interessenkonflikt bei einem Mitglied der vom CHMP konsultierten Sachverständigengruppe zu einem wesentlichen Verfahrensfehler. Der Umstand, dass diese Sachverständigengruppe am Ende ihrer Erörterungen und Beratungen ihre Meinung als Kollegium zum Ausdruck bringt, beseitigt diesen Mangel nicht. Dieser Umstand kann nämlich weder den Einfluss neutralisieren, den das Mitglied, das sich in einem Interessenkonflikt befindet, in der Gruppe ausüben kann, noch die legitimen Zweifel an der Unparteilichkeit dieser Gruppe, die darauf beruhen, dass das betreffende Mitglied zu den Debatten beitragen konnte.

78

Diesen Erwägungen stehen die vom Gerichtshof in den von der Kommission und der EMA angeführten Urteilen vom 1. Juli 2008, Chronopost und La Poste/UFEX u. a. (C‑341/06 P und C‑342/06 P, EU:C:2008:375), und vom 19. Februar 2009, Gorostiaga Atxalandabaso/Parlament (C‑308/07 P, EU:C:2009:103), herausgearbeiteten Grundsätze nicht entgegen. Im Unterschied zur vorliegenden Rechtssache betrafen die Rechtssachen, in denen diese Urteile ergangen sind, keinen möglichen Interessenkonflikt aufgrund von anderen Tätigkeiten der betreffenden Person als den im Rahmen von Verfahren vor einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union ausgeübten.

79

Die oben in den Rn. 75 bis 77 dargelegten Erwägungen werden auch nicht dadurch entkräftet, dass die Mitglieder der Sachverständigengruppe, deren Beteiligung wegen des Erfordernisses der objektiven Unparteilichkeit beanstandet wird, in dieser Gruppe keine Leitungs- oder Koordinierungsfunktion ausüben. Entgegen den Ausführungen des Gerichts in den Rn. 131 und 132 des angefochtenen Urteils kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass nur Mitglieder, die eine solche Funktion ausüben, erheblichen Einfluss auf den Ablauf oder den Ausgang des Verfahrens haben können.

80

Überdies kann von Personen, deren Angelegenheiten von einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union bearbeitet werden, nicht verlangt werden, dass sie zur Stützung ihres Vorbringens, dass das Erfordernis der objektiven Unparteilichkeit in einem Verwaltungsverfahren der Union nicht beachtet worden sei, konkrete Indizien für die Parteilichkeit wie Erklärungen oder Stellungnahmen des betreffenden Sachverständigen in der Sachverständigengruppe, der er angehört, beibringen. Die objektive Unparteilichkeit ist nämlich unabhängig vom spezifischen Verhalten der betreffenden Person zu beurteilen. Davon abgesehen sind die Erklärungen und Stellungnahmen im Rahmen der Arbeiten dieser Gruppe vertraulich. Wie das Gericht in Rn. 132 des angefochtenen Urteils anerkannt hat, lässt sich der von den betreffenden Sachverständigen ausgeübte Einfluss nicht ermitteln. Infolgedessen war der Umstand, dass die Rechtsmittelführerin im vorliegenden Fall keine Beweise für eine konkrete Erklärung oder Stellungnahme des Sachverständigen A oder des Sachverständigen B erbringen konnte, für die Beurteilung der Begründetheit des Klagegrundes eines Verstoßes gegen das Erfordernis der objektiven Unparteilichkeit unerheblich, so dass sich das Gericht in Rn. 133 des angefochtenen Urteils bei der Zurückweisung des zweiten von der Rechtsmittelführerin zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage geltend gemachten Klagegrundes zu Unrecht u. a. auf eine solche Erwägung gestützt hat.

81

Nach alledem ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes begründet.

82

Die oben angeführten Rn. 130 bis 133 des angefochtenen Urteils, die mit den von der Rechtsmittelführerin im Rahmen des ersten Teils ihres zweiten Rechtsmittelgrundes geltend gemachten Rechtsfehlern behaftet sind, stellen jedoch nur eine der beiden Grundlagen dar, auf denen die Erwägungen des Gerichts beruhen. Es ist nämlich in den Rn. 99 bis 129 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Sachverständigen A und B bei ihrer Beteiligung an den Erörterungen und Beratungen des vom CHMP im Rahmen der Überprüfung des Zulassungsantrags für Hopveus konsultierten Ad-hoc-Sachverständigenausschusses nicht in einem Interessenkonflikt im Sinne der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen befunden hätten und dass diese Politik ausreiche, um die Wahrung des aus Art. 41 der Charta resultierenden Erfordernisses der objektiven Unparteilichkeit zu gewährleisten.

83

Daher ist der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zu prüfen, mit dem die Rechtsmittelführerin geltend macht, das Gericht habe auch dadurch Rechtsfehler begangen, dass es das Vorliegen eines auf den konkurrierenden Interessen dieser Sachverständigen beruhenden Interessenkonflikts verneint habe.

84

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich der Unionsgesetzgeber in Bezug auf das Erfordernis der Unparteilichkeit von Sachverständigen der EMA dafür entschieden hat, in der Verordnung Nr. 726/2004 wesentliche Kriterien festzulegen und sodann die EMA mit ihrer Umsetzung zu betrauen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2023, Deutschland und Estland/Pharma Mar und Kommission, C‑6/21 P und C‑16/21 P, EU:C:2023:502, Rn. 50).

85

Dabei obliegt es der EMA, eine Abwägung zwischen dem in Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 aufgestellten doppelten Erfordernis der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ihrer Sachverständigen und dem in Art. 57 Abs. 1 der Verordnung angesprochenen öffentlichen Interesse im Zusammenhang mit der Notwendigkeit vorzunehmen, über den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle an sie herangetragenen Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln oder Tierarzneimitteln zu verfügen (Urteil vom 22. Juni 2023, Deutschland und Estland/Pharma Mar und Kommission, C‑6/21 P und C‑16/21 P, EU:C:2023:502, Rn. 51).

86

Um es der EMA zu ermöglichen, das ihr gesetzte Ziel angesichts der von ihr vorzunehmenden komplexen technischen Beurteilungen wirksam zu erreichen, kommt das ihr zuerkannte weite Ermessen u. a. in der Festlegung der für die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Personen, die zur Erstellung ihrer wissenschaftlichen Gutachten beitragen, maßgebenden Kriterien zum Ausdruck (Urteil vom 22. Juni 2023, Deutschland und Estland/Pharma Mar und Kommission, C‑6/21 P und C‑16/21 P, EU:C:2023:502, Rn. 52).

87

Ungeachtet dieses weiten Ermessens und der Bedeutung des oben erwähnten öffentlichen Interesses ist die EMA jedoch im Einklang mit Art. 51 Abs. 1 der Charta verpflichtet, bei der Ausübung ihrer Befugnisse die in der Charta genannten Rechte und Grundsätze zu beachten.

88

Die EMA ist insbesondere an die Anforderungen von Art. 52 Abs. 1 der Charta gebunden. Dieser sieht vor, dass jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss und dass unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Einschränkungen nur vorgenommen werden dürfen, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

89

Daraus folgt, dass die EMA für die Einhaltung der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung in Art. 57 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 Sorge zu tragen hat, die es, wie sich aus der oben in Rn. 85 angeführten Rechtsprechung ergibt, rechtfertigen kann, das dem Grundrecht auf eine gute Verwaltung zu entnehmende Erfordernis der objektiven Unparteilichkeit der an der Bearbeitung eines Zulassungsantrags beteiligten Personen zu relativieren, dass sie dabei aber den Wesensgehalt dieses Grundrechts und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten muss. Insbesondere darf sie nicht unter dem Deckmantel, die Zahl verfügbarer Sachverständiger maximieren zu wollen, Beschränkungen für die Ausübung ihres Mandats vorsehen, die unzureichend erscheinen, um im Rahmen der Mandatsausübung ein unparteiisches Verfahren zu gewährleisten. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn Sachverständige, deren Tätigkeiten zeigen, dass ein aktuelles Interesse in Bezug auf ein Produkt besteht, das mit dem Produkt, für das ein Zulassungsantrag gestellt wurde, konkurriert, ohne jede Beschränkung oder Relativierung der Sachverständigengruppe angehören können, die vom CHMP zur Überprüfung dieses Zulassungsantrags einberufen wird.

90

Daher müssen die in der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen aufgestellten Kriterien, die zu den in der Tabelle in Anhang I dieser Politik aufgeführten Beschränkungen und Relativierungen führen, insbesondere der jeweiligen Bedeutung der betreffenden konkurrierenden Interessen entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2023, Deutschland und Estland/Pharma Mar und Kommission, C‑6/21 P und C‑16/21 P, EU:C:2023:502, Rn. 53).

91

Im Licht der oben in den Rn. 84 bis 90 dargelegten Gründe ist zu prüfen, ob das Gericht im vorliegenden Fall bei seiner Beurteilung der Rügen der Rechtsmittelführerin in Bezug auf die Beteiligung der Sachverständigen A und B an der vom CHMP im Rahmen der Überprüfung des Antrags auf Zulassung von Hopveus konsultierten Ad-hoc-Sachverständigengruppe einen Rechtsfehler begangen hat.

92

Zur Beteiligung des Sachverständigen B, die das Gericht zuerst geprüft hat, geht aus den Rn. 99, 100, 103 und 105 des angefochtenen Urteils hervor, dass dieser Sachverständige, als sich die Ad-hoc-Sachverständigengruppe mit Hopveus befasste, bei der europäischen klinischen Phase-3-Studie von AD 04 „leitender Forscher“ im Sinne der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen war. Dieses Produkt wurde von der Firma Adial Pharmaceuticals entwickelt, und seine therapeutische Indikation besteht wie bei Hopveus in der Bekämpfung von Alkoholabhängigkeit.

93

Wie aus Abschnitt 3.2.1.2 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen hervorgeht, ist ein leitender Forscher im Sinne dieser Politik eine Person, die eine von der pharmazeutischen Industrie initiierte und/oder geförderte Tätigkeit ausübt.

94

Um zu klären, ob der Sachverständige B von der Ad-hoc-Sachverständigengruppe hätte ausgeschlossen werden müssen, hat das Gericht zunächst geprüft, ob AD 04 als ein „Mitbewerberprodukt“ von Hopveus einzustufen war.

95

Angesichts der Klarstellung in Abschnitt 4.2.1.2 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen, wonach „Mitbewerberprodukte“ nunmehr als „konkurrierende Produkte“ bezeichnet werden, ist davon auszugehen, dass mit dem vom Gericht verwendeten Begriff „Mitbewerberprodukt“ ein „konkurrierendes Produkt“ im Sinne dieser Politik gemeint ist. Das Gericht hat im Übrigen in den Rn. 101 und 102 des angefochtenen Urteils ausdrücklich auf die Abschnitte dieser Politik Bezug genommen, die den Begriff „konkurrierendes Produkt“ betreffen.

96

In Rn. 103 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, AD 04 und Hopveus seien keine konkurrierenden Produkte, da sich AD 04 an Patienten richte, „die ihren Alkoholkonsum kontrollieren möchten, aber nicht völlig auf das Trinken verzichten können oder wollen“, während Hopveus „Patienten unterstützen soll, die bestrebt sind, gar keinen Alkohol mehr zu trinken“.

97

In Abschnitt 3.2.2 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen wird der Begriff „konkurrierendes Produkt“ definiert als „ein Arzneimittel, das mit demselben klinischen Ziel (eine bestimmte Krankheit zu behandeln, zu verhindern oder zu diagnostizieren) auf eine ähnliche Patientengruppe abzielt und potenziell im wirtschaftlichen Wettbewerb steht“.

98

Auch wenn diese Definition im vorliegenden Fall auf ein Verfahren zur Überprüfung eines Zulassungsantrags Anwendung findet und keine bereits auf dem Markt befindlichen Produkte betrifft, spiegelt sie gleichwohl das Kriterium wider, anhand dessen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs beurteilt wird, ob zwei Arzneimittel auf einem bestimmten Markt miteinander konkurrieren. Nach dieser Rechtsprechung ist das der Fall, wenn die Produkte für dieselbe therapeutische Indikation austauschbar oder substituierbar sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a.,C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 51 und 65, sowie vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 129).

99

Daher ist auf der Grundlage einer Prüfung, mit der geklärt werden soll, welchen Grad der Austauschbarkeit oder Substituierbarkeit AD 04 und Hopveus, die beide zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit entwickelt wurden, im Fall ihrer Vermarktung hätten, auf das Bestehen oder das Fehlen eines potenziellen wirtschaftlichen Wettbewerbs zu schließen.

100

Diese Beurteilung der Austauschbarkeit oder Substituierbarkeit von zwei Produkten, die für eine wegen derselben Erkrankung behandelte Patientenpopulation bestimmt sind, darf nicht allein anhand ihrer objektiven Eigenschaften vorgenommen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 129 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zwar können die Nachfrage- und Angebotsbedingungen vor dem Inverkehrbringen nicht bekannt sein. Gleichwohl muss die Prüfung des potenziellen wirtschaftlichen Wettbewerbs zwischen den in Rede stehenden Produkten auf einer Gesamtwürdigung der bei der Beurteilung, ob die Patienten und ihre verschreibenden Ärzte in dem einen Produkt eine echte Alternative zum anderen sehen können, in Betracht kommenden Gesichtspunkte beruhen.

101

Das Gericht hat keine solche Gesamtwürdigung vorgenommen, denn es hat die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Wettbewerbs mit der Begründung ausgeschlossen, dass AD 04 und Hopveus unterschiedliche klinische Ziele verfolgten und auf unterschiedliche Patientengruppen abzielten, und zwar AD 04 auf diejenigen, die ihren Alkoholkonsum einschränken wollten, und Hopveus auf diejenigen, die ganz auf Alkohol verzichten wollten.

102

Insoweit ist davon auszugehen, dass der bloße Intensitätsunterschied beim Umfang der therapeutischen Wirkung von zwei Produkten zur Behandlung derselben Erkrankung gerade dazu angetan ist, einige an dieser Erkrankung leidende Patienten zu veranlassen, im Rahmen ihrer Behandlung nach Maßgabe der Entwicklung ihrer Symptome oder von Erwägungen ihrer verschreibenden Ärzte zur therapeutischen Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit eines der Produkte durch das andere zu ersetzen.

103

Daraus folgt, dass das Gericht es unterlassen hat, zu prüfen, ob die genannten Produkte in Anbetracht aller dafür relevanten Gesichtspunkte – insbesondere des Umstands, dass die Entwicklung der Behandlung desselben Patienten seinen Arzt dazu veranlassen kann, ihm während der Behandlung nach Maßgabe der Symptome und von Erwägungen zur therapeutischen Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit alternativ beide Produkte zu verschreiben – miteinander in Wettbewerb treten konnten.

104

Somit hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, als es zu dem Ergebnis gelangt ist, dass zwischen AD 04 und Hopveus kein potenzieller wirtschaftlicher Wettbewerb bestehe, ohne eine Gesamtwürdigung aller relevanten Gesichtspunkte vorzunehmen.

105

Diese Schlussfolgerung wird nicht dadurch entkräftet, dass in Rn. 102 des angefochtenen Urteils auf Abschnitt 4.2.1.2 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen verwiesen wird, wonach der Begriff „konkurrierende Produkte“ sich „auf Situationen [bezieht], in denen es nur eine ganz geringe Zahl (ein oder zwei) konkurrierender Produkte gibt“, wobei die Konsequenzen einer solchen Situation zudem nur „die (stellvertretenden) Vorsitzenden der wissenschaftlichen Ausschüsse und der Arbeitsgruppen sowie die Berichterstatter und andere Mitglieder mit Leitungs‑/Koordinationsfunktion und die förmlich ernannten Peer Reviewer“ betreffen.

106

Hierzu ist – ohne dass der Gerichtshof zu der Frage Stellung nehmen müsste, ob Abschnitt 4.2.1.2 dieser Politik den Anwendungsbereich der Grundsätze im Bereich konkurrierender Produkte und das Erfordernis der objektiven Unparteilichkeit möglicherweise übermäßig einschränkt – festzustellen, dass sich das Gericht bei seiner Beurteilung in Rn. 103 des angefochtenen Urteils nicht auf Abschnitt 4.2.1.2 gestützt hat, sondern auf die oben in Rn. 96 genannten Gesichtspunkte.

107

Der Rechtsfehler, der unabhängig von Rn. 102 des angefochtenen Urteils in dessen Rn. 103 begangen worden ist, haftet der Argumentation des Gerichts trotz der in Rn. 104 seines Urteils dargelegten Erwägung an, wonach die Teilnahme des Sachverständigen B an der Sitzung der Ad-hoc-Sachverständigengruppe zu Hopveus selbst dann, wenn AD 04 und Hopveus konkurrierende Produkte sein sollten, nicht verboten wäre, da die Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen die Beteiligung eines leitenden Forschers an der vom CHMP konsultierten Sachverständigengruppe nur bei den abschließenden Beratungen und der Abstimmung in einem Überprüfungsverfahren verbiete, in dem es um das Produkt gehe, bei dem der Sachverständige als leitender Forscher tätig sei.

108

Rn. 104 des angefochtenen Urteils ist nämlich ebenfalls mit einem Rechtsfehler behaftet, so dass sie für sich genommen nicht ausreicht, um davon ausgehen zu können, dass der Tenor des angefochtenen Urteils trotz des Rechtsfehlers in dessen Rn. 103 rechtlich nicht zu beanstanden ist.

109

In Rn. 104 hat das Gericht die Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen dahin ausgelegt, dass ein Sachverständiger, der leitender Forscher bei einem Produkt sei, dessen Entwicklung von der pharmazeutischen Industrie initiiert und/oder gefördert worden sei und das mit dem Produkt, das Gegenstand eines Verfahrens zur Überprüfung eines Zulassungsantrags vor der EMA sei, konkurriere, Mitglied der vom CHMP in diesem Überprüfungsverfahren konsultierten Sachverständigengruppe sein könne.

110

Ferner hat das Gericht in Rn. 104 diese Politik dahin ausgelegt, dass ein leitender Forscher überdies Mitglied der vom CHMP im Fall der Überprüfung eines Zulassungsantrags für das Produkt, bei dessen Entwicklung er als leitender Forscher tätig sei, konsultierten Sachverständigengruppe sein könne, sofern er nicht an den abschließenden Beratungen und der Abstimmung in dieser Gruppe mitwirke.

111

Diese Erwägungen des Gerichts sind in Verbindung mit den Rn. 127 bis 129 des angefochtenen Urteils zu sehen, wonach die Vereinbarkeit der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen mit dem Grundsatz der objektiven Unparteilichkeit in Art. 41 der Charta nicht habe in Frage gestellt werden müssen, da die EMA eine eingehende Prüfung aller möglicherweise auftretenden Interessenkonflikte vorgenommen habe und die Rechtsmittelführerin zudem keine Einrede der Rechtswidrigkeit dieser Politik nach Art. 277 AEUV erhoben habe.

112

Zwar hat das Gericht zutreffend entschieden, dass die Rechtmäßigkeit der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen mangels einer von der Rechtsmittelführerin gegen sie erhobenen Einrede der Rechtswidrigkeit nicht geprüft zu werden brauchte, doch durfte es nicht außer Acht lassen, dass die EMA bei der Ausübung ihrer Befugnisse an die Charta gebunden ist und ihre Politik daher jedenfalls im Einklang mit der Charta auszulegen und anzuwenden hat.

113

Im vorliegenden Fall kann unabhängig davon, welche Tragweite dem nicht definierten Begriff „betreffendes Arzneimittel“ beizumessen ist, der in der Maßnahme zur Risikominimierung – im Sinne von Abschnitt 4.2.1.1 Abs. 3 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen – enthalten ist, die nach Anhang 1 dieser Politik für Sachverständige gilt, die ein aktuelles konkurrierendes Interesse als leitender Forscher haben, eine solche Maßnahme zur Risikominimierung, wonach diese Sachverständigen bei Verfahren, in denen es um das „betreffende Arzneimittel“ geht, „nur an den Erörterungen“ mitwirken, was bedeutet, dass ihnen lediglich die Beteiligung an „den abschließenden Beratungen und … der Abstimmung“ untersagt ist, nicht in dem Sinne ausgelegt oder angewandt werden, dass ein solcher Sachverständiger an den Arbeiten einer Sachverständigengruppe teilnehmen kann, die vom CHMP im Verfahren zur Überprüfung eines Zulassungsantrags für ein Produkt konsultiert wird, das mit dem Produkt konkurriert, bei dem der Sachverständige gleichzeitig auf Initiative und/oder mit Förderung der pharmazeutischen Industrie als leitender Forscher tätig ist, denn sonst würde der Schutz der objektiven Unparteilichkeit in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt.

114

Bei einer solchen Beteiligung wäre naturgemäß nicht gewährleistet, dass das fragliche Überprüfungsverfahren unparteiisch abläuft. Insoweit genügt der Hinweis, dass die Versagung einer Zulassung des konkurrierenden Produkts, das Gegenstand der Überprüfung ist, für das Unternehmen, das die von einem solchen Sachverständigen ausgeübte Tätigkeit als leitender Forscher initiiert und/oder fördert, von erheblichem wirtschaftlichem Interesse sein kann. Seine Beteiligung an der vom CHMP im Rahmen dieser Überprüfung konsultierten Sachverständigengruppe würde zu berechtigten Zweifeln hinsichtlich des Bestehens etwaiger Vorurteile führen.

115

Daraus folgt, dass Rn. 104 des angefochtenen Urteils mit einem Rechtsfehler behaftet ist, da die vom Gericht vorgenommene Auslegung der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen mit dem in Art. 41 Abs. 1 der Charta verankerten Grundsatz der objektiven Unparteilichkeit unvereinbar ist.

116

Desgleichen können die Einschränkungen – im Sinne von Abschnitt 4.2.1.1 Abs. 2 der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen –, die nach Anhang I dieser Politik für Sachverständige gelten, die ein aktuelles Interesse als Berater oder Strategieberater für individuelle Arzneimittel eines oder mehrerer pharmazeutischer Unternehmen erklärt haben, entgegen den Ausführungen des Gerichts in Rn. 119 des angefochtenen Urteils nicht dahin ausgelegt und angewandt werden, dass ein solcher Sachverständiger der vom CHMP zur Überprüfung des Zulassungsantrags für ein Produkt, das mit einem dieser individuellen Arzneimittel konkurriert, einberufenen Ad-hoc-Sachverständigengruppe angehören kann, sofern es sich nicht um den Vorsitzenden, den stellvertretenden Vorsitzenden, den Berichterstatter oder ein anderes Mitglied mit Leitungs- oder Koordinationsfunktion in der betreffenden Sachverständigengruppe handelt. Diese Auslegung, die das Gericht im Rahmen seiner Prüfung der Beteiligung des Sachverständigen A an den Arbeiten der zu Hopveus konsultierten Ad-hoc-Sachverständigengruppe herangezogen hat, ist nämlich ebenfalls mit dem Grundsatz der objektiven Unparteilichkeit unvereinbar.

117

Nach alledem ist auch der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes begründet.

118

Folglich ist, ohne dass der erste Rechtsmittelgrund geprüft zu werden braucht, das angefochtene Urteil aufzuheben; davon ausgenommen ist allerdings die Abweisung der Klage, soweit sie sich gegen die EMA richtet, als unzulässig. Da das Gericht die Klage für unzulässig erklärt hat, soweit sie gegen die EMA gerichtet war, und da diese Beurteilung, die vom Tenor des angefochtenen Urteils erfasst wird, im Rahmen des Rechtsmittels nicht beanstandet worden ist, ist dieser Teil des angefochtenen Urteils rechtskräftig (vgl. entsprechend Urteil vom 4. März 2021, Kommission/Fútbol Club Barcelona,C‑362/19 P, EU:C:2021:169, Rn. 109 und 110).

Zur Klage vor dem Gericht

119

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn er zur Entscheidung reif ist.

120

Im vorliegenden Fall ist über den vorliegenden Rechtsstreit endgültig zu entscheiden. Er ist zur Entscheidung reif, da sich die von der Rechtsmittelführerin vor dem Gericht erhobene Nichtigkeitsklage auf Klagegründe stützt, die vor dem Gericht kontradiktorisch erörtert wurden und deren Prüfung keine weitere prozessleitende Maßnahme oder Beweisaufnahme erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2020, Kommission und Rat/Carreras Sequeros u. a., C‑119/19 P und C‑126/19 P, EU:C:2020:676, Rn. 130).

121

Wie oben in Rn. 38 ausgeführt, hat D & A Pharma ihre Klage vor dem Gericht auf sechs Klagegründe gestützt.

122

Vor der inhaltlichen Prüfung dieser Klagegründe ist auf die oben in Rn. 118 getroffenen Feststellungen hinzuweisen, aus denen sich ergibt, dass die Klage unzulässig ist, soweit sie sich gegen die EMA richtet.

123

Unter diesen Umständen ist über die Nichtigkeitsklage der Rechtsmittelführerin endgültig zu entscheiden, soweit der Rechtsstreit noch beim Gerichtshof anhängig ist.

Vorbringen der Parteien

124

Mit ihrem ersten Klagegrund macht D & A Pharma geltend, der streitige Beschluss sei am Ende eines regelwidrigen Verfahrens erlassen worden, weil der CHMP die Konsultation der WBG Psychiatrie im Überprüfungsverfahren nicht hätte ablehnen dürfen.

125

Aus Art. 62 Abs. 1 letzter Satz der Verordnung Nr. 726/2004 sowie aus Art. 11 der Verfahrensordnung des CHMP und aus Abschnitt 6.1 der Leitlinien für das Überprüfungsverfahren ergebe sich, dass der CHMP auf Verlangen der Person, die eine Überprüfung beantrage, eine WBG konsultieren müsse, sofern das fragliche Produkt zum therapeutischen Zuständigkeitsbereich einer solchen Sachverständigengruppe gehöre. Daher hätte, da es sich im vorliegenden Fall um ein Produkt zur Behandlung einer psychiatrischen Erkrankung handele, die WBG Psychiatrie einberufen werden müssen.

126

Diese Verpflichtung gelte auch dann, wenn die Mitglieder der Kerngruppe der WBG für den betreffenden therapeutischen Bereich allein nicht in der Lage seien, umfassendes Fachwissen anzubieten. Sofern ein fundiertes Gutachten zu spezifischen Problemen benötigt werde, könnten von der Kerngruppe nämlich zusätzliche Sachverständige hinzugezogen werden.

127

Diese Regeln ermöglichten es, die Kontinuität und Kohärenz der Gutachten über Arzneimittel, die zu demselben therapeutischen Bereich gehörten, zu wahren. Sie gewährleisteten somit im Einklang mit der der EMA durch Art. 57 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 übertragenen Aufgabe, dass der bestmögliche wissenschaftliche Rat erteilt wird.

128

Sie habe beim CHMP wiederholt darauf bestanden, dass er die WBG Psychiatrie konsultiere, insbesondere nachdem im Anschluss an von ihr gerügte Unregelmäßigkeiten die ursprünglich vom CHMP einberufene Ad-hoc-Sachverständigengruppe aufgelöst worden sei. In einer E‑Mail vom 6. März 2020 habe die EMA aber mitgeteilt, dass der CHMP beschlossen habe, eine zweite Ad-hoc-Sachverständigengruppe einzuberufen, und somit an seiner Weigerung festgehalten habe, dem Verlangen nach Konsultation der WBG Psychiatrie nachzukommen.

129

Die Kommission macht geltend, die anwendbare Regelung ermächtige die Antragsteller nicht dazu, vom CHMP zu verlangen, die wissenschaftliche Gruppe ihrer Wahl zu konsultieren. Das Fehlen eines solchen Rechts stehe im Einklang mit dem Zweck dieser Regelung, dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Damit der CHMP im Einklang mit Art. 57 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 im Licht ihres 19. Erwägungsgrundes den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat erteilen könne, sei es unabdingbar, dass er je nach den Besonderheiten des betreffenden Produkts die geeignetste Sachverständigengruppe einberufe.

130

Ungeachtet des Wortlauts von Abschnitt 6.1 der Leitlinien für das Überprüfungsverfahren könne eine WBG nicht systematisch konsultiert werden, wenn für den betreffenden therapeutischen Bereich keine WBG errichtet worden sei. Alkoholabhängigkeit könne zwar als psychiatrische Störung charakterisiert werden, sei aber eine Erkrankung, die mehrere medizinische Fachbereiche berühre.

131

Mit Hopveus solle die Alkoholabhängigkeit bekämpft werden. Die Bewertung von Produkten zur Behandlung dieser Erkrankung erfordere einen Fachbeitrag von Sachverständigen im Bereich der Suchtmedizin.

132

Überdies fielen Komorbiditäten wie Leberkrankheiten und neurologische Komplikationen, die zur Alkoholabhängigkeit hinzutreten könnten, nicht in den Bereich der Psychiatrie.

133

Die Rechtsmittelführerin behaupte auch zu Unrecht, dass die Konsultation von Ad-hoc-Sachverständigengruppen die Kohärenz der Gutachten beeinträchtige. Die WBG Psychiatrie sei nur ein einziges Mal zu einem Arzneimittel zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit konsultiert worden. Jedenfalls könne die Notwendigkeit, ein kohärentes Gutachten abzugeben, nicht die Befugnis oder die Pflicht des CHMP einschränken, die zur Erteilung des bestmöglichen wissenschaftlichen Rates geeignetste Sachverständigengruppe zu konsultieren. Da die Mitglieder der WBG Psychiatrie im vorliegenden Fall aufgefordert worden seien, an der Sitzung der Ad-hoc-Sachverständigengruppe teilzunehmen, und drei ihrer Mitglieder der Einladung gefolgt seien, könne auch kein Kohärenzproblem bestehen.

Würdigung durch den Gerichtshof

134

Wie aus Art. 56 der Verordnung Nr. 726/2004 hervorgeht, kann der CHMP, der zur EMA gehört, im Zusammenhang mit der Beurteilung bestimmter Arten von Arzneimitteln oder Behandlungen eine WBG einrichten und ihr bestimmte Aufgaben übertragen, die mit der Erstellung von Gutachten gemäß Art. 5 dieser Verordnung zusammenhängen.

135

Aus einer Gesamtschau dieser beiden Artikel ergibt sich, dass der CHMP, der u. a. die Gutachten der EMA zu Zulassungsanträgen von Humanarzneimitteln erstellt, zur Erstellung eines solchen Gutachtens die von ihm für den therapeutischen Bereich, zu dem das Produkt gehört, dessen Zulassung beantragt wird, errichtete WBG konsultieren kann.

136

Art. 62 Abs. 1 letzter Satz der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt, dass im Fall eines Antrags auf Überprüfung eines Gutachtens der Antragsteller vom CHMP die Konsultation einer WBG verlangen kann. Wie Art. 11 Abs. 2 der Verfahrensordnung des CHMP bestätigt, besteht diese Möglichkeit u. a. im Fall eines Antrags auf Überprüfung eines ablehnenden Gutachtens zu einem Zulassungsantrag.

137

Die Verordnung Nr. 726/2004 und die Verfahrensordnung des CHMP sehen keine Verpflichtung für den CHMP vor, einem solchen Antrag auf Konsultation einer WBG stattzugeben. Daher kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der CHMP über ein Ermessen hinsichtlich der Frage verfügt, ob es zweckmäßig ist, die für den Bereich, zu dem gegebenenfalls das Produkt, dessen Zulassung beantragt wird, gehört, errichtete WBG zu konsultieren.

138

Aus Abschnitt 6.1 der von der EMA veröffentlichten Leitlinien für das Überprüfungsverfahren geht jedoch ausdrücklich hervor, dass die EMA selbst dieses Ermessen eingeschränkt hat.

139

Zwar lässt der erste Absatz von Abschnitt 6.1, in dem es heißt, dass „[d]ie Entscheidung über die Konsultation einer WBG in einem Überprüfungsverfahren … unter anderem vom CHMP oder von dem Antrag des [Antragstellers] auf Konsultation der WBG durch den CHMP ab[hängt]“, für sich genommen nicht den Schluss zu, dass der CHMP im Fall eines entsprechenden Antrags eine WBG konsultieren muss.

140

Der Wortlaut dieses Absatzes wird jedoch durch den zweiten Absatz von Abschnitt 6.1 konkretisiert. Darin heißt es, dass der CHMP so früh wie möglich vom Antrag auf Konsultation einer WBG in Kenntnis gesetzt werden sollte, dass der Antrag hinreichend zu begründen ist und dass, falls ein solcher Antrag gestellt wird, „der CHMP die WBG systematisch konsultieren [wird]“.

141

Im dritten Absatz von Abschnitt 6.1 wird hinzugefügt, dass in einem therapeutischen Bereich, für den keine WBG errichtet wurde, zusätzliches verfügbares Fachwissen „in Form der Konsultation einer Ad-hoc-Sachverständigengruppe eingeholt [wird]“.

142

Somit ergibt sich aus Abschnitt 6.1 der von der EMA veröffentlichten Leitlinien für das Überprüfungsverfahren eine Verpflichtung der EMA, dass der CHMP systematisch eine WBG konsultiert, wenn der Antragsteller rechtzeitig und mit hinreichender Begründung eine solche Konsultation verlangt. Ferner geht aus ihm hervor, dass es sich dabei um die für den therapeutischen Bereich, zu dem das fragliche Produkt gehört, errichtete WBG handeln muss und dass eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe einberufen wird, wenn es für diesen Bereich keine WBG gibt.

143

Der CHMP muss in seiner Eigenschaft als zuständiger Ausschuss der EMA die von ihr aufgestellten Verhaltensregeln anwenden, zu denen u. a. Abschnitt 6.1 der Leitlinien für das Überprüfungsverfahren gehört, da sonst die Gefahr einer Beeinträchtigung der Rechte bestünde, die demjenigen, der die Überprüfung beantragt hat, nach dem Unionsrecht zustehen. Nach ständiger Rechtsprechung beschränken Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, wenn sie Verhaltensnormen erlassen und durch deren Veröffentlichung ankündigen, dass sie diese auf die von ihnen erfassten Fälle anwenden werden, nämlich die Ausübung ihres Ermessens und können grundsätzlich nicht von diesen Normen abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls wegen eines Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die Gleichbehandlung oder den Vertrauensschutz geahndet würde (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 11. September 2008, Deutschland u. a./Kronofrance, C‑75/05 P und C‑80/05 P, EU:C:2008:482, Rn. 60, und vom 10. November 2022, Kommission/Valencia Club de Fútbol, C‑211/20 P, EU:C:2022:862, Rn. 35).

144

Daher ist der CHMP gemäß Abschnitt 6.1 der Leitlinien für das Überprüfungsverfahren bei jedem hinreichend begründeten und rechtzeitig gestellten Antrag auf Konsultation einer WBG verpflichtet, die für den therapeutischen Bereich, zu dem das fragliche Produkt gehört, errichtete WBG zu befassen; nur wenn in diesem Bereich keine WBG errichtet wurde, kann er eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe konsultieren.

145

Folglich obliegt es im Fall eines solchen Antrags dem CHMP, zu beurteilen, ob die therapeutische Indikation des fraglichen Produkts zumindest überwiegend zu einem therapeutischen Bereich gehört, für den eine WBG errichtet wurde.

146

Da diese Beurteilung wissenschaftlicher Natur ist, muss sich die Kontrolle durch die Unionsgerichte auf die Prüfung beschränken, ob diese Beurteilung tatsächlich vorgenommen wurde und nicht mit einem offensichtlichen Fehler oder einem Ermessensmissbrauch behaftet ist oder ob die Grenzen des Ermessens nicht offensichtlich überschritten wurden (vgl. entsprechend Urteil vom 9. März 2023, Plastics Europe/ECHA, C‑119/21 P, EU:C:2023:180, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

147

Aufgrund der von der EMA sich selbst auferlegten Beschränkung ihres Ermessens, deren Konturen oben in den Rn. 140 bis 145 dargelegt worden sind und die gleichermaßen für den CHMP gilt, ist davon auszugehen, dass der CHMP die Grenzen seines Ermessens u. a. dann offensichtlich überschreitet, wenn er beschließt, eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe einzuberufen, obwohl er festgestellt hat, dass die therapeutische Indikation des fraglichen Produkts zumindest überwiegend zu einem therapeutischen Bereich gehört, für den eine WBG errichtet wurde, oder wenn er seinen Beschluss, eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe einzuberufen, nicht darauf stützt, dass es für den therapeutischen Bereich, zu dem das Produkt gehört, keine WBG gibt, sondern auf Elemente, die wie die Fragen, die der CHMP den Sachverständigen zu stellen beabsichtigt, bereits seine Behandlung des Überprüfungsantrags in der Sache betreffen, oder auf hypothetische Erwägungen wie den Umstand, dass eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe zur Beantwortung dieser Fragen besser in der Lage sein soll als die bestehende WBG.

148

Insoweit ergibt sich aus Art. 56 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 in Verbindung mit den Abschnitten IV und VII der Verfahrensvorschriften der WBG, dass die Konsultation der für den therapeutischen Bereich, zu dem das fragliche Produkt gehört, errichteten WBG es dem CHMP ermöglicht, eine Stellungnahme der ständigen Sachverständigen dieser WBG zu erhalten, die verschiedene Denkansätze und therapeutische Praktiken in Europa repräsentieren und u. a. Fachwissen für die Methodik bei klinischen Studien und für Biostatistik bereitstellen. Im Übrigen kann diese sogenannte „Kerngruppe“ der WBG durch zusätzliche Sachverständige ergänzt werden, die auf die Behandlung der durch die Fragen, die der CHMP zu stellen beabsichtigt, aufgeworfenen spezifischen Probleme spezialisiert sind.

149

Die Konsultation eines solchen Kreises von Sachverständigen, der zum einen eine Gruppe umfasst, die aufgrund ihres ständigen Charakters und ihrer ausgewogenen Zusammensetzung für Kontinuität und Kohärenz bei der Behandlung der Dossiers in dem therapeutischen Bereich, für den die WBG errichtet wurde, sorgt, und zum anderen zusätzliche Sachverständige, die auf die Behandlung spezifischer, im Rahmen der Überprüfung aufgeworfener Probleme spezialisiert sind, gewährleistet bei allen zu diesem Bereich gehörenden Angelegenheiten die Erteilung des „bestmöglichen wissenschaftlichen Rates“ und ermöglicht es damit der EMA, der ihr durch Art. 57 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 übertragenen Aufgabe nachzukommen.

150

Unter diesen Umständen ist es nicht zulässig, in einem therapeutischen Bereich, für den eine WBG errichtet wurde, eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe einzuberufen, weil der CHMP sie für besser geeignet hält, seine Fragen zu beantworten, als die errichtete, gegebenenfalls durch zusätzliche Sachverständige verstärkte WBG, denn sonst würden sowohl die praktische Wirksamkeit der Errichtung der WBG als auch die von der EMA in Abschnitt 6.1 der Leitlinien für das Überprüfungsverfahren übernommenen Verpflichtungen sowie die Kohärenz bei der Bearbeitung von Zulassungsanträgen beeinträchtigt.

151

Diese Schlussfolgerung wird durch Abschnitt 6.1 Abs. 4 der Leitlinien für das Überprüfungsverfahren bestätigt. Wie die Generalanwältin in Nr. 68 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, geht aus dieser Bestimmung hervor, dass der CHMP die Entscheidung, ob eine ständige oder eine Ad-hoc- Sachverständigengruppe konsultiert wird, grundsätzlich trifft, bevor er festlegt, welche Fragen den Sachverständigen gestellt werden. Auch aus diesem Grund kann der Inhalt dieser Fragen kein Kriterium dafür sein, ob eine bestehende WBG oder eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe einzuberufen ist. Welche Art von Sachverständigengruppe zu konsultieren ist, muss allein davon abhängen, ob die therapeutische Indikation des fraglichen Produkts zu einem therapeutischen Bereich gehört, für den eine WBG errichtet wurde. Der Inhalt der vom CHMP formulierten Fragen kann allerdings, wie sich aus Abschnitt VII Nr. 4 der Verfahrensvorschriften der WBG ergibt, maßgebend dafür sein, ob eine WBG im Fall ihrer Einberufung um zusätzliche Sachverständige zu ergänzen ist.

152

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den der Klageschrift beigefügten Unterlagen, dass der CHMP im Anschluss an den von D & A Pharma gestellten Antrag auf Überprüfung, in dem die Konsultation einer Sachverständigengruppe verlangt wurde, eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe einberief, deren Arbeiten jedoch eingestellt wurden, bevor sie eine Stellungnahme formuliert hatte. In der Folge beschloss der CHMP, eine andere Ad-hoc-Sachverständigengruppe einzuberufen. Insoweit wollte die EMA in einer an D & A Pharma gerichteten E‑Mail vom 6. März 2020 klarstellen, weshalb der CHMP entgegen dem Verlangen von D & A Pharma beschlossen hatte, diese andere Ad-hoc-Sachverständigengruppe und nicht die WBG Psychiatrie einzuberufen.

153

In ihrer E‑Mail führte die EMA zunächst aus, dass im vorliegenden Fall „spezifische wissenschaftliche oder klinische Fragen“ zu erörtern seien. Sodann wies sie darauf hin, dass die Mitglieder der Ad-hoc-Sachverständigengruppe anhand ihrer Befähigung zur Beantwortung der vom CHMP gestellten Fragen ausgewählt würden und dass der CHMP es angesichts des spezifischen Charakters dieser Fragen vorgezogen habe, eine solche Gruppe und nicht die WBG Psychiatrie zu konsultieren. Schließlich teilte die EMA mit, dass die Mitglieder dieser WBG gleichwohl kontaktiert würden, damit sie – sofern verfügbar – an der für den 6. April 2020 angesetzten Sitzung der Ad-hoc-Sachverständigengruppe teilnehmen könnten.

154

Wie oben in den Rn. 142 bis 145 dargelegt, ergibt sich aber aus dem Verhaltenskodex der EMA selbst und speziell aus Abschnitt 6.1 der Leitlinien für das Überprüfungsverfahren, dass der CHMP, wenn die therapeutische Indikation des fraglichen Produkts überwiegend zu dem therapeutischen Bereich gehört, für den eine WBG errichtet wurde, im Fall eines dahin gehenden, hinreichend begründeten und rechtzeitig geäußerten Verlangens diese WBG konsultieren und gegebenenfalls zusätzliche Sachverständige hinzuziehen muss, die auf die Behandlung der spezifischen, durch die Fragen, die der CHMP der WBG vorzulegen beabsichtigt, aufgeworfenen Probleme spezialisiert sind.

155

Wie die Generalanwältin in Nr. 59 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, bestreitet weder die Kommission noch die EMA, dass die Bekämpfung von Alkoholabhängigkeit – wie es auch der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellten Internationalen Klassifikation der Krankheiten entspricht – in den therapeutischen Bereich der Psychiatrie fällt. Daraus folgt, dass der CHMP der Rechtsmittelführerin die Konsultation der WBG Psychiatrie nicht aus den von der EMA in ihrer E‑Mail vom 6. März 2020 angeführten Gründen verweigern durfte.

156

Da auch nicht bestritten wird, dass die Entscheidung des CHMP, eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe einzuberufen, erst nach dem klar zum Ausdruck gebrachten und hinreichend begründeten Verlangen der Rechtsmittelführerin nach Konsultation der WBG Psychiatrie erging, hätte der CHMP eine solche Entscheidung erst treffen – und damit das Verlangen der Rechtsmittelführerin zurückweisen – dürfen, nachdem er am Ende einer eingehenden und nicht mit einem offensichtlichen Fehler behafteten Prüfung festgestellt hatte, dass die therapeutische Indikation von Hopveus – Bekämpfung von Alkoholabhängigkeit – nicht überwiegend zum therapeutischen Bereich der Psychiatrie gehörte. Aus den Akten, insbesondere aus der E‑Mail der EMA vom 6. März 2020, geht jedoch hervor, dass der CHMP weder eine solche Prüfung vornahm noch eine solche Feststellung traf.

157

Daraus folgt, dass die Entscheidung, anstelle der WBG Psychiatrie eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe einzuberufen, einen Fehler darstellt, mit dem das in Art. 5 Abs. 2 und Art. 9 der Verordnung Nr. 726/2004 geregelte Verfahren zur Verabschiedung des Gutachtens der EMA behaftet ist. Aufgrund dessen ist das Verfahren zum Erlass des streitigen Beschlusses selbst mit einem Formfehler behaftet.

158

Insoweit stellt nach gefestigter Rechtsprechung die Nichtbeachtung der Verfahrensvorschriften über den Erlass eines beschwerenden Rechtsakts eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften im Sinne von Art. 263 Abs. 2 AEUV dar, so dass die Unionsgerichte, wenn sie feststellen, dass der angefochtene Rechtsakt nicht ordnungsgemäß erlassen wurde, die Konsequenzen aus der Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift zu ziehen und diesen Rechtsakt somit für nichtig zu erklären haben (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 24. Juni 2015, Spanien/Kommission, C‑263/13 P, EU:C:2015:415, Rn. 56, und vom 20. September 2017, Tilly-Sabco/Kommission, C‑183/16 P, EU:C:2017:704, Rn. 115). Da im vorliegenden Fall der streitige Beschluss auf der Grundlage eines Gutachtens der EMA erlassen wurde, das als nichtig hätte angesehen werden müssen, ist dieser Beschluss selbst nichtig.

159

Folglich ist der erste Klagegrund begründet, so dass der streitige Beschluss entsprechend den dahin gehenden von D & A Pharma vor dem Gericht gestellten Anträgen für nichtig zu erklären ist, ohne dass die übrigen Klagegründe geprüft zu werden brauchen.

160

Dagegen ist die Klage abzuweisen, soweit D & A Pharma in ihrer Klageschrift beantragt hat, im Fall der Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses anzuordnen, dass die WBG Psychiatrie in ihrer Besetzung zum Zeitpunkt der Stellung des Überprüfungsantrags einberufen wird. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Unionsgerichte nämlich im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV nicht befugt, den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union Anordnungen zu erteilen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 5. Juli 1995, Parlament/Rat, C‑21/94, EU:C:1995:220, Rn. 33, und Beschluss vom 22. September 2016, Gaki/Kommission,C‑130/16 P, EU:C:2016:731, Rn. 14).

Kosten

161

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist oder wenn es begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

162

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Ferner sieht Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 ebenfalls auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, vor, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Der Gerichtshof kann jedoch entscheiden, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.

163

Im vorliegenden Fall wird dem Rechtsmittel stattgegeben. Der streitige Beschluss wird für nichtig erklärt, und das angefochtene Urteil wird aufgehoben, soweit der Gerichtshof mit dem Rechtsstreit befasst worden ist. Hierzu ergibt sich aus den Rn. 118 und 122 des vorliegenden Urteils, dass der Teil des angefochtenen Urteils, mit dem das Gericht die Klage für unzulässig erklärt hat, soweit sie gegen die EMA gerichtet war, rechtskräftig ist.

164

Unter diesen Umständen kann die EMA, die sich aufgrund eines Interesses an der Zurückweisung des Rechtsmittels im Sinne von Art. 172 der Verfahrensordnung am Rechtsmittelverfahren beteiligt hat, nicht als mit ihrem Vorbringen unterlegen angesehen werden und trägt nur ihre eigenen durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten.

165

Da die Kommission ungeachtet der oben in Rn. 160 angestellten Erwägungen im Wesentlichen sowohl im Verfahren vor dem Gericht als auch im Rechtsmittelverfahren unterlegen ist, sind ihr neben ihren eigenen Kosten die der Rechtsmittelführerin durch diese Verfahren entstandenen Kosten aufzuerlegen.

166

Da die Rechtsmittelführerin mit ihrer Klage unterlegen ist, soweit diese gegen die EMA gerichtet war, sind ihr die der EMA durch das Verfahren vor dem Gericht entstandenen Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 2. März 2022, D & A Pharma/Kommission und EMA (T‑556/20, EU:T:2022:111), wird – mit Ausnahme der Abweisung der Klage, soweit sie sich gegen die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) richtete, als unzulässig – aufgehoben.

 

2.

Der Durchführungsbeschluss der Kommission vom 6. Juli 2020, mit dem die beantragte Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen des Humanarzneimittels Hopveus – Natriumoxybat nach der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung der Verfahren der Union für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur in der durch die Verordnung (EU) 2019/5 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 geänderten Fassung verweigert wurde, wird für nichtig erklärt.

 

3.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

4.

Die Debrégeas et associés Pharma SAS (D & A Pharma) wird verurteilt, die der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) durch das Verfahren vor dem Gericht der Europäischen Union entstandenen Kosten zu tragen.

 

5.

Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen durch das Verfahren vor dem Gericht der Europäischen Union und durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten die der Debrégeas et associés Pharma SAS (D & A Pharma) im Rahmen dieser beiden Verfahren entstandenen Kosten.

 

6.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) trägt ihre eigenen durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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