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Document 62022CC0303

    Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 7. September 2023.
    CROSS Zlín, a.s. gegen Úřad pro ochranu hospodářské soutěže.
    Vorabentscheidungsersuchen des Krajský soud v Brně.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge – Richtlinie 89/665/EWG – Zugang zu den Nachprüfungsverfahren – Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Nachprüfungsverfahren mit Suspensiveffekt vorzusehen – Nachprüfungsstelle in erster Instanz – Nachprüfung der Entscheidung über die Vergabe eines Auftrags – Art. 2 Abs. 9 – Nachprüfungsstelle, die kein Gericht ist – Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag vor Erhebung einer Klage gegen eine Entscheidung dieser Stelle – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz.
    Rechtssache C-303/22.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:652

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

    vom 7. September 2023 ( 1 )

    Rechtssache C‑303/22

    CROSS Zlín a.s.

    gegen

    Úřad pro ochranu hospodářské soutěže,

    Beteiligte:

    Statutární město Brno

    (Vorabentscheidungsersuchen des Krajský soud v Brně [Regionalgericht Brno (Brünn), Tschechische Republik])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Nachprüfungsverfahren in Bezug auf öffentliche Liefer- und Bauaufträge – Richtlinie 89/665/EWG – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Nachprüfungsverfahren vorzusehen – Zugang zu Rechtsbehelfen – Vertragsschluss vor Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs – Wirksamkeit des Urteils – Vorläufige Maßnahme zur Aussetzung der Wirkungen des Vertrags“

    1.

    Ein Gericht der Tschechischen Republik fragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit der nationalen Regelung über Nachprüfungsverfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens mit der Richtlinie 89/665/EWG ( 2 ) und mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

    2.

    Konkret hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob die innerstaatlichen Vorschriften, die die Vergabe öffentlicher Aufträge ermöglichen, bevor ein Gericht über eine Klage entscheidet, mit der ein Bieter seinen Ausschluss vom Verfahren und die Vergabe des Auftrags an einen seiner Mitbewerber anficht, mit der Richtlinie 89/665 und mit Art. 47 der Charta vereinbar sind.

    I. Rechtlicher Rahmen

    A.   Unionsrecht. Richtlinie 89/665 ( 3 )

    3.

    Art. 1 („Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren“) bestimmt:

    „(1)   Diese Richtlinie gilt für Aufträge im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65)], sofern diese Aufträge nicht gemäß den Artikeln 7, 8, 9, 10, 11, 12, 15, 16, 17 und 37 jener Richtlinie ausgeschlossen sind.

    Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie [2014/24] … fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f dieser Richtlinie auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können.

    (3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.“

    4.

    Art. 2 („Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren“) sieht vor:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

    a)

    so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören auch Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Durchführung jeder sonstigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen;

    b)

    die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

    c)

    denjenigen, die durch den Verstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.

    (2)   Die in Absatz 1 und in den Artikeln 2d und 2e genannten Befugnisse können getrennt mehreren Stellen übertragen werden, die für das Nachprüfungsverfahren unter verschiedenen Gesichtspunkten zuständig sind.

    (3)   Wird eine gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Stelle in erster Instanz mit der Nachprüfung einer Zuschlagsentscheidung befasst, so sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass der öffentliche Auftraggeber den Vertragsschluss nicht vornehmen kann, bevor die Nachprüfungsstelle eine Entscheidung über einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen oder eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat. Diese Aussetzung endet frühestens mit Ablauf der Stillhaltefrist nach Artikel 2a Absatz 2 und Artikel 2d Absätze 4 und 5.

    (4)   Außer in den Fällen nach Absatz 3 und Artikel 1 Absatz 5 haben die Nachprüfungsverfahren als solche nicht notwendigerweise einen automatischen Suspensiveffekt auf die betreffenden Vergabeverfahren.

    (5)   Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Nachprüfungsstelle die voraussehbaren Folgen der vorläufigen Maßnahmen im Hinblick auf alle möglicherweise geschädigten Interessen sowie das Interesse der Allgemeinheit berücksichtigen kann und dass sie beschließen kann, diese Maßnahmen nicht zu ergreifen, wenn deren nachteilige Folgen die damit verbundenen Vorteile überwiegen könnten.

    (6)   Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass bei Schadensersatzansprüchen, die auf die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung gestützt werden, diese zunächst von einer mit den dafür erforderlichen Befugnissen ausgestatteten Stelle aufgehoben worden sein muss.

    (7)   Außer in den in den Artikeln 2d bis 2f genannten Fällen richten sich die Wirkungen der Ausübung der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Befugnisse auf den nach der Zuschlagsentscheidung geschlossenen Vertrag nach dem einzelstaatlichen Recht.

    Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 5, Absatz 3 des vorliegenden Artikels oder den Artikeln 2a bis 2f die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.

    (9)   Eine Nachprüfungsstelle, die kein Gericht ist, muss ihre Entscheidung stets schriftlich begründen. Ferner ist in diesem Falle sicherzustellen, dass eine behauptete rechtswidrige Maßnahme der Nachprüfungsstelle oder ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer anderen von dem öffentlichen Auftraggeber und der Nachprüfungsstelle unabhängigen Stelle, die ein Gericht im Sinne des Artikels 234 des Vertrags ist, gemacht werden können.

    …“

    5.

    Art. 2a („Stillhaltefrist“) lautet:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten legen nach Maßgabe der Mindestbedingungen in Absatz 2 und in Artikel 2c Fristen fest, die sicherstellen, dass die in Artikel 1 Absatz 3 genannten Personen gegen Zuschlagsentscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksame Nachprüfungsverfahren anstrengen können.

    (2)   Ein Vertrag im Anschluss an die Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag oder eine Konzession, der in den Anwendungsbereich der Richtlinie [2014/24] … fällt, darf frühestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem auf die Absendung der Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber folgenden Tag, bei Mitteilung per Fax oder auf elektronischem Weg, oder, falls andere Kommunikationsmittel genutzt werden, entweder frühestens 15 Kalendertage, gerechnet ab dem auf die Absendung der Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber folgenden Tag oder frühestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang der Zuschlagsentscheidung geschlossen werden.

    Bieter gelten als betroffen, wenn sie noch nicht endgültig ausgeschlossen wurden. Ein Ausschluss ist endgültig, wenn er den betroffenen Bietern mitgeteilt wurde und entweder von einer unabhängigen Nachprüfungsstelle als rechtmäßig anerkannt wurde oder keinem Nachprüfungsverfahren mehr unterzogen werden kann.

    Bewerber gelten als betroffen, wenn der öffentliche Auftraggeber ihnen keine Informationen über die Ablehnung ihrer Bewerbung zur Verfügung gestellt hat, bevor die Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter ergangen ist.

    …“

    B.   Recht der Tschechischen Republik

    1. Zákon č. 134/2016 Sb., o zadávání veřejných zakázek (Gesetz Nr. 134/2016 über das öffentliche Auftragswesen)

    6.

    § 246 Abs. 1 bestimmt:

    „Der öffentliche Auftraggeber darf mit dem Auftragnehmer einen Vertrag nicht schließen

    d)

    innerhalb der Frist von 60 Tagen nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens, sofern der Antrag nicht verspätet ist; der Auftraggeber kann den Vertrag jedoch auch innerhalb dieser Frist schließen, wenn der [Úřad pro ochranu hospodářské soutěže (Wettbewerbsbehörde; im Folgenden: ÚOHS)] den Antrag zurückgewiesen hat oder das Verwaltungsverfahren über den Antrag eingestellt wurde und diese Entscheidung rechtskräftig geworden ist.“

    7.

    § 257 Buchst. j lautet:

    „Der ÚOHS stellt ein eingeleitetes Verfahren durch Beschluss ein, wenn

    j)

    der Auftraggeber während des Verwaltungsverfahrens einen Vertrag über die Erfüllung des Gegenstands des geprüften öffentlichen Auftrags geschlossen hat

    …“

    2. Zákon č. 500/2004 Sb., správní řád (Gesetz Nr. 500/2004, Verwaltungsverfahrensordnung)

    8.

    § 61 sieht vor:

    „(1)   Eine Verwaltungsbehörde kann von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei vor Abschluss des Verfahrens durch eine Entscheidung eine vorläufige Maßnahme erlassen, wenn dies zur vorläufigen Regelung der Verhältnisse der Parteien erforderlich ist. … Mittels einer vorläufigen Maßnahme kann einer Partei oder einer anderen Person aufgegeben werden, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, oder eine Sache beschlagnahmt werden, die als Beweismittel dienen oder Gegenstand einer Vollstreckung sein kann.

    (3)   Die Verwaltungsbehörde hebt die vorläufige Maßnahme unverzüglich nach Wegfall des Anordnungsgrundes durch Entscheidung auf. Unterlässt sie dies, so tritt die vorläufige Maßnahme zu dem Zeitpunkt außer Kraft, in dem die Entscheidung in der Rechtssache vollstreckbar wird oder sonstige Rechtswirkungen entfaltet.

    …“

    3. Zákon č. 150/2002 Sb., soudní řád správní (Gesetz Nr. 150/2002, Verwaltungsgerichtsordnung)

    9.

    § 38 bestimmt:

    „(1)   Wenn ein Antrag auf Einleitung eines Verfahrens gestellt wurde und es notwendig ist, die Verhältnisse der Parteien wegen eines drohenden ernsthaften Schadens vorübergehend zu regeln, kann das Gericht auf Antrag durch einstweilige Anordnung den Parteien ein Tun, Dulden oder Unterlassen aufgeben. Aus denselben Gründen kann das Gericht auch einem Dritten eine solche Verpflichtung auferlegen, wenn ihm dies billigerweise zugemutet werden kann.

    …“

    10.

    § 72 Abs. 1 sieht vor:

    „Eine Klage kann innerhalb von zwei Monaten, nachdem die Entscheidung dem Kläger mittels schriftlicher Ausfertigung oder auf andere gesetzlich festgelegte Weise zugestellt worden ist, erhoben werden, sofern nicht durch ein besonderes Gesetz eine andere Frist bestimmt wird.“

    11.

    § 78 lautet:

    „(1)   Wenn die Klage begründet ist, hebt das Gericht die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit oder aufgrund von Verfahrensmängeln auf. Das Gericht hebt die angefochtene Entscheidung auch dann wegen Rechtswidrigkeit auf, wenn es feststellt, dass die Verwaltungsbehörde die gesetzlich festgelegten Grenzen ihres Ermessens überschritten oder dieses missbraucht hat.

    (4)   Wenn es die Entscheidung aufhebt, spricht das Gericht zugleich aus, dass die Rechtssache zur weiteren Verhandlung an die beklagte Partei zurückverwiesen wird.“

    II. Sachverhalt, Rechtsstreit und Vorlagefrage

    12.

    Am 27. September 2019 führte die Statutární město Brno (Stadt Brno [Brünn], Tschechische Republik) ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Erweiterung der Funktionen der Verkehrssteuerungszentrale Lichtsignalanlagen durch ( 4 ).

    13.

    Die Gesellschaften CROSS Zlín, a.s. (im Folgenden: CROSS), und Siemens Mobility, s.r.o., nahmen an dem Verfahren teil und reichten jeweils ein eigenes Angebot ein.

    14.

    Am 6. April 2020 schloss der öffentliche Auftraggeber CROSS wegen Nichterfüllung der Ausschreibungsbedingungen vom Verfahren aus.

    15.

    Am 7. April 2020 erhielt Siemens Mobility vom öffentlichen Auftraggeber den Zuschlag.

    16.

    CROSS legte gegen die Entscheidung vom 6. April 2020 beim öffentlichen Auftraggeber Widerspruch ein, der am 4. Mai 2020 zurückgewiesen wurde.

    17.

    CROSS stellte beim ÚOHS einen Antrag auf Nachprüfung der Entscheidung vom 4. Mai 2020 und beantragte die Aufhebung ihres Ausschlusses und des Zuschlags an Siemens Mobility.

    18.

    Am 3. Juli 2020 erließ der ÚOHS von Amts wegen eine vorläufige Maßnahme, die darin bestand, dem öffentlichen Auftraggeber den Vertragsschluss bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens zu untersagen.

    19.

    Am 5. August 2020 lehnte der ÚOHS den von CROSS gestellten Antrag auf Nachprüfung ab.

    20.

    CROSS legte gegen die Entscheidung vom 5. August 2020 einen Rechtsbehelf beim Vorsitzenden des ÚOHS ein.

    21.

    Am 9. November 2020 wies der Vorsitzende des ÚOHS den Rechtsbehelf zurück. Seine Entscheidung erlangte am 13. November 2020 Rechtskraft (im Verwaltungsverfahren) ( 5 ).

    22.

    Am 18. November 2020 schloss der Auftraggeber den Vertrag über den öffentlichen Auftrag mit Siemens Mobility.

    23.

    Am 13. Januar 2021 erhob CROSS beim Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno, Tschechische Republik) Klage gegen die Entscheidung des Vorsitzenden des ÚOHS vom 9. November 2020.

    24.

    CROSS beantragte, die aufschiebende Wirkung der Klage festzustellen und als vorläufige Maßnahme dem öffentlichen Auftraggeber den Vertragsschluss zu untersagen.

    25.

    Am 11. Februar 2021 wies der Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno) die Anträge von CROSS mit folgender Begründung zurück:

    Da der Vertrag bereits geschlossen worden sei, mache es keinen Sinn, dem Auftraggeber den Vertragsschluss zu untersagen.

    Selbst wenn die angefochtene Entscheidung aufgehoben würde, hätte das nur zur Folge, dass das Verfahren nach Zurückverweisung der Sache an den ÚOHS eingestellt werden würde.

    Es sei auch nicht möglich, dem Auftraggeber die Durchführung des Vertrags zu untersagen, weil zum fraglichen Zeitpunkt – nach Rechtskraft der Entscheidung des Vorsitzenden des ÚOHS – kein rechtliches Hindernis für den Vertragsabschluss bestanden habe.

    26.

    Am 28. März 2022 gab der Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno) den Verfahrensparteien Gelegenheit, sich angesichts der Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften mit der Richtlinie 89/665 und mit Art. 47 der Charta zur Zweckdienlichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens zu äußern.

    27.

    Seiner Ansicht nach könnten die nationalen Vorschriften, die den Abschluss eines öffentlichen Auftrags ermöglichten, sobald die Entscheidung des Vorsitzenden des ÚOHS (im Verwaltungsverfahren) rechtskräftig geworden sei, in Widerspruch zu Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665 stehen, da sie den vom Auswahlverfahren ausgeschlossenen Bietern keinen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisteten.

    28.

    Nach Anhörung der Parteien hat der Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno) beschlossen, dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Ist es mit Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665, ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta, vereinbar, wenn die tschechische Regelung dem öffentlichen Auftraggeber erlaubt, einen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag zu schließen, bevor bei einem Gericht, das für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der zweitinstanzlichen Entscheidung des ÚOHS über den Ausschluss eines Bieters zuständig ist, Klage erhoben worden ist?

    III. Verfahren vor dem Gerichtshof

    29.

    Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 9. Mai 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

    30.

    Der ÚOHS, die tschechische und die zyprische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie alle haben, ebenso wie CROSS, an der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2023 teilgenommen.

    IV. Würdigung

    A.   Vorbemerkungen

    1. Der ÚOHS ist kein Gericht

    31.

    Nach der Vorlageentscheidung kann der ÚOHS, auch wenn er nach den tschechischen Rechtsvorschriften eine „Nachprüfungsstelle“ im Sinne der Richtlinie 89/665 ist, nicht als unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta und Rn. 73 des Urteils vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia ( 6 ), eingestuft werden.

    32.

    Der Gerichtshof hat sich an den vom vorlegenden Gericht beschriebenen nationalen rechtlichen Rahmen zu halten, denn dieses Gericht ist das zur Auslegung seines innerstaatlichen Rechts befugte Organ ( 7 ). Daher sind die Ausführungen des vorlegenden Gerichts zur Rechtsnatur des ÚOHS zugrunde zu legen.

    33.

    Tatsächlich hat der ÚOHS in seinen schriftlichen Erklärungen an den Gerichtshof gar nicht geltend gemacht, ein Gericht zu sein ( 8 ), sondern sich lediglich als „Nachprüfungsstelle“ im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 89/665 bezeichnet.

    2. Gegenstand der Anfechtung von CROSS

    34.

    Trotz der von der Kommission geäußerten Zweifel ( 9 ) richtet sich die Anfechtung von CROSS auch gegen die Vergabe des Auftrags an Siemens Mobility. Dies lässt sich der Vorlageentscheidung entnehmen ( 10 ).

    35.

    Dieser Umstand steht im Einklang mit dem Inhalt der Vorlagefrage, in der der Gerichtshof um Auslegung von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 ersucht wird, d. h. der Vorschrift, die die aufschiebende Wirkung von „[Verfahren zur] Nachprüfung einer Zuschlagsentscheidung“ regelt.

    B.   Zur Auslegung von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665

    36.

    Die Mitgliedstaaten müssen gewährleisten, dass die Beteiligten im Hinblick auf die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber (wenn es sich offenkundig um Aufträge handelt, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 fallen) über geeignete Mechanismen verfügen, um schnell und effizient nachprüfen zu lassen, ob diese Entscheidungen gegen das Vergaberecht der Union oder die Vorschriften zu seiner Umsetzung in die jeweiligen Rechtsordnungen verstoßen. Dies ist letztendlich das Ziel der Richtlinie 89/665.

    37.

    Nach Art. 1 Abs. 5 dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten verlangen, dass eine Person, die beabsichtigt, gegen eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers ein Nachprüfungsverfahren anzustrengen, zunächst beim öffentlichen Auftraggeber selbst eine Nachprüfung beantragt.

    38.

    Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten erstreckt sich folglich auf die – fakultative – Einführung eines erstinstanzlichen Rechtsbehelfs (Beschwerde) ( 11 ), der beim öffentlichen Auftraggeber einzulegen ist. Seine Einlegung führt zu einem Suspensiveffekt hinsichtlich des Vertragsschlusses, wie es hier der Fall war.

    39.

    Neben einer solchen Beschwerde beim öffentlichen Auftraggeber sieht die Richtlinie 89/665 echte Rechtsbehelfe vor, die bei den „Nachprüfungsstellen“ eingelegt werden. Auf diese Stellen bezieht sich Art. 2 dieser Richtlinie, soweit er bestimmt, dass sie ein Gericht oder „kein Gericht“ sein können, was in Abs. 9 bestätigt wird (der vorsieht, welche Regelungen anzuwenden sind, wenn sie keine Gerichte sind) ( 12 ).

    40.

    Konkret sieht Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 vor, dass „eine gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Stelle in erster Instanz“ mit der Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung befasst wird. Wie ich im Folgenden darlegen werde, ist nach dieser Vorschrift weder erforderlich noch ausgeschlossen, dass es sich bei der erstinstanzlichen Nachprüfungsstelle um ein Gericht handelt.

    1. Zum Ausdruck „gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Stelle … erster Instanz“

    41.

    Der in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 verwendete Ausdruck ist weit gefasst ( 13 ). Darunter können fallen:

    Stellen, die keine Gerichte sind, denen die Kontrolle (Überprüfung) der Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers im Verwaltungsverfahren übertragen ist ( 14 );

    Gerichte, denen in den Verfahrensvorschriften des Mitgliedstaats in erster Instanz die Zuständigkeit zur unmittelbaren Prüfung der Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers, für die keine Anfechtungsmöglichkeit vor den Verwaltungsbehörden vorgesehen ist, übertragen wird. Solche Gerichte sind definitionsgemäß vom öffentlichen Auftraggeber unabhängig.

    42.

    Der Schwerpunkt der Formulierung in Art. 2 Abs. 3 liegt auf der Wortfolge „Stelle … erster Instanz“ (und gegebenenfalls auf deren Unabhängigkeit vom öffentlichen Auftraggeber), nicht aber, wie ich nochmals betonen möchte, darauf, ob es sich bei dieser Stelle um ein Gericht handelt oder nicht.

    43.

    Ein Gericht kann daher, wenn die nationalen Rechtsvorschriften dies vorsehen (was in der Tschechischen Republik nicht der Fall zu sein scheint), als erstinstanzliche Stelle im Sinne von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 tätig werden.

    2. Aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen vor den Stellen erster Instanz

    44.

    Das Recht des Mitgliedstaats muss nach Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 gewährleisten, dass der öffentliche Auftraggeber den Vertragsschluss nicht vornimmt, bevor die Nachprüfungsstelle in erster Instanz eine Entscheidung über den Antrag auf vorläufige Maßnahmen oder eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat. Dieser Suspensiveffekt endet nicht vor dem Ablauf der in anderen Vorschriften der Richtlinie 89/665 geregelten Frist ( 15 ).

    45.

    Nach Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 hält die Wirkung des automatischen Suspensiveffekts nur so lange an, bis die Stelle erster Instanz (im vorliegenden Fall der ÚOHS) über den Antrag auf vorläufige Maßnahmen oder in der Hauptsache entschieden hat.

    46.

    Von Art. 2 Abs. 3 (und Art. 1 Abs. 5) abgesehen, sieht die Richtlinie 89/665 für die übrigen Rechtsbehelfsverfahren nicht zwingend einen automatischen Suspensiveffekt vor. Das folgt aus Art. 2 Abs. 4.

    47.

    Der automatische Suspensiveffekt gilt daher für solche Rechtsbehelfe, die Art. 2 Abs. 3 als Verfahren vor einer Stelle erster Instanz einstuft. Dieses Merkmal (sowie die Unabhängigkeit vom öffentlichen Auftraggeber) ist entscheidend dafür, dass ein vorläufiges Verbot des Vertragsschlusses zum Tragen kommt.

    48.

    Nach der Richtlinie 89/665 müssen, wie ich nochmals herausstellen möchte, spätere gerichtliche Rechtsbehelfe, die gegen die Entscheidung der Stelle erster Instanz eingelegt werden, sofern es sich dabei um eine Verwaltungsbehörde handelt, nicht notwendigerweise einen automatischen Suspensiveffekt haben. Für solche gerichtlichen Rechtsbehelfe gilt die allgemeine Vorschrift des Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 89/665.

    49.

    Ich werde später darauf eingehen, ob Art. 47 der Charta verlangt, dass solche gerichtlichen Rechtsbehelfe (die nach der Entscheidung der „Stelle … erster Instanz“ eingelegt werden) denselben Suspensiveffekt aufweisen müssen, wie er in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 vorgesehen ist.

    3. Für Rechtsbehelfe zuständige Stellen nach tschechischem Recht und Suspensiveffekt der bei ihnen eingelegten Rechtsbehelfe

    50.

    Aus den dem Gerichtshof zur Verfügung gestellten Informationen geht hervor, dass Betroffene in der Tschechischen Republik auf die folgenden Rechtsbehelfe („Rechtsbehelfe“ im weiteren Sinne) gegen Zuschlagsentscheidungen zurückgreifen können:

    Eine erste Beschwerde beim öffentlichen Auftraggeber selbst. In der vorliegenden Rechtssache legte CROSS sie bei der Statutární město Brno (Stadt Brno) ein, die als öffentlicher Auftraggeber handelte. Ihre Beschwerde fällt somit unter Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 89/665, und in Einklang mit dieser Bestimmung hat der öffentliche Auftraggeber den Vertrag nicht geschlossen, solange die Beschwerde anhängig war.

    Eine spätere Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung, die beim ÚOHS als „[vom] öffentlichen Auftraggeber unabhängige[r] Stelle … erster Instanz“ zu beantragen ist. Diese Nachprüfung, die kein gerichtlicher Rechtsbehelf ist, fällt unter Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665. Aus diesem Grund untersagte der ÚOHS dem öffentlichen Auftraggeber vorläufig den Vertragsschluss.

    Einen abschließenden gerichtlichen Rechtsbehelf, der bei den Verwaltungsgerichten einzulegen ist, wie es vorliegend geschehen ist. Dieser entfaltet nicht notwendigerweise und automatisch die in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 vorgesehene aufschiebende Wirkung, wenn zuvor von dem beim ÚOHS einzulegenden „Verwaltungsrechtsbehelf“ Gebrauch gemacht worden ist.

    51.

    Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 89/665 dem nicht grundsätzlich entgegensteht, dass der Vertrag vor oder während des laufenden Klageverfahrens geschlossen wird, wenn vor der Klage die Nachprüfung durch den ÚOHS durchgeführt und über sie entschieden worden ist.

    C.   Wirksame gerichtliche Rechtsbehelfe. Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie 89/665 und Art. 47 der Charta

    52.

    Was die Richtlinie 89/665 anbelangt, hat der Gerichtshof festgestellt, „dass … das in Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht insbesondere dann relevant ist, wenn die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verpflichtung die Modalitäten gerichtlicher Verfahren zum Schutz der Rechte festlegen, die das Unionsrecht den durch Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber geschädigten Bewerbern und Bietern einräumt“ ( 16 ).

    53.

    Art. 1 der Richtlinie 89/665 verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen legislativen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam nach Maßgabe der Art. 2 bis 2f dieser Richtlinie nachgeprüft werden können.

    54.

    Der Imperativ der Wirksamkeit erstreckt sich denknotwendig auf die bei den Gerichten einzulegenden Rechtsbehelfe, für die Art. 47 der Charta gilt. Aus diesem Imperativ ergeben sich Folgen für den vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen dieser Rechtsbehelfe.

    55.

    Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 sieht, wie ich bereits ausgeführt habe, für die Nachprüfung durch die Stellen erster Instanz eine aufschiebende Wirkung vor. Der Suspensiveffekt erstreckt sich jedoch nicht automatisch auf spätere gerichtliche Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung der (Verwaltungs‑)Stelle erster Instanz. Für sie gilt Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 89/665.

    56.

    Allerdings dürfte es angebracht sein, sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dem gebotenen vorläufigen Rechtsschutz in Verfahren, in denen aus dem Unionsrecht hergeleitete Rechte geltend gemacht werden, in Erinnerung zu rufen:

    Grundsätzlich gilt: „[E]in mit einem nach Unionsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes nationales Gericht [muss] in der Lage sein, vorläufige Maßnahmen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen“ ( 17 ).

    „[D]er Grundsatz effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte [ist] dahin auszulegen, dass er verlangt, dass die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats die Möglichkeit vorsieht, vorläufige Maßnahmen zu treffen, bis das zuständige Gericht über die Vereinbarkeit nationaler Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht entschieden hat, wenn der Erlass solcher Maßnahmen erforderlich ist, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der betreffenden Rechte sicherzustellen“ ( 18 ).

    57.

    Im Einklang mit dem Ziel, „die uneingeschränkte Achtung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf … nach Artikel 47 Absätze 1 und 2 der Charta sicher[zu]stellen“ ( 19 ), verknüpft der Gerichtshof diese Garantien mit dem Schutz der Rechte, die das Unionsrecht den durch Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber geschädigten Bewerbern und Bietern einräumt ( 20 ). Daher hat er entschieden, dass die Betroffenen „über eine tatsächliche Möglichkeit verfügen [müssen], einen Rechtsbehelf, insbesondere einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen, … einzulegen“, bevor der Vertragsschluss erfolgt ( 21 ).

    58.

    Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Nachprüfungsstelle kein Gericht (d. h. nicht Teil des Rechtsschutzsystems im engeren Sinne) ist, verlangt die soeben angeführte Rechtsprechung, dass ein Gericht angerufen werden kann, um ihre Entscheidungen zu prüfen.

    59.

    Dies bestätigt Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie 89/665 für den Bereich des öffentlichen Auftragswesens: Wenn sich die Mitgliedstaaten entscheiden, als Nachprüfungsstelle eine Verwaltungsbehörde vorzusehen, müssen die Entscheidungen dieser Behörde „zum Gegenstand einer Klage … gemacht werden können“.

    60.

    In solchen Fällen verlangt Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie 89/665, dass die Möglichkeit einer gerichtlichen Nachprüfung als Mittel besteht, um „eine behauptete rechtswidrige Maßnahme der Nachprüfungsstelle oder ein[en] behauptete[n] Verstoß bei der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse“ anzufechten.

    61.

    Diese gerichtliche Kontrolle muss also die Möglichkeit umfassen, dass das Gericht vorläufige Maßnahmen trifft (oder die von den Vorinstanzen bereits getroffenen Maßnahmen überprüft), damit die Fehlentscheidung der Nachprüfungsstelle, die das rechtswidrige Handeln des öffentlichen Auftraggebers nicht korrigiert hat, nicht unumkehrbar wird ( 22 ). Nur so ist der durch Art. 47 der Charta gewährleistete Rechtsschutz wirksam.

    62.

    In diesem Zusammenhang ist die Möglichkeit zu sehen (Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 2 der Richtlinie 89/665), dass sich die gerichtliche Reaktion auf die Zuerkennung von Schadensersatz beschränkt, worauf ich später zurückkommen werde.

    63.

    Eine isolierte Betrachtung von Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 2 der Richtlinie 89/665 könnte zu der Auffassung verleiten (die von einem Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten worden ist), dass die Mitgliedstaaten ohne Weiteres vorsehen dürften, dass die Reaktion auf die Rechtswidrigkeit sich auf Schadensersatz beschränke.

    64.

    Ich halte diese Auffassung jedoch für unzutreffend; nur eine Gesamtbetrachtung von Art. 2 Abs. 7 und Abs. 9 der Richtlinie 89/665 wahrt das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Jeder behauptete Verstoß und jede behauptete rechtswidrige Maßnahme einer Nachprüfungsstelle erster Instanz, die kein Gericht ist, muss der Kontrolle durch ein Gericht im engeren Sinne unterliegen, das die Möglichkeit hatte, eine vorläufige Maßnahme zu treffen, bevor es entscheidet, ob die Nichtigerklärung des Vertrags nur einen Schadensersatzanspruch auslöst.

    65.

    Logischerweise bedeutet das Bestehen einer solchen Möglichkeit nicht, dass in jedem Fall eine vorläufige Maßnahme getroffen werden muss: Es ist Sache des Gerichts, nach Prüfung der widerstreitenden Interessen zu beurteilen, ob periculum in mora besteht und ob die Rechtsstellung dessen, der die Maßnahme beantragt, zumindest einen fumus boni iuris aufweist. Worauf es ankommt, ist, wie ich nochmals betonen möchte, dass das Gericht die uneingeschränkte Befugnis besitzt, über die vorläufige Maßnahme zu entscheiden.

    66.

    Meines Erachtens gibt es keinen Grund, von diesem vorläufigen Rechtsschutz die Fälle auszunehmen, in denen der Vertrag vor Erhebung der Klage geschlossen wurde. Zwar kann das Gericht in einem solchen Fall den Abschluss von etwas, das bereits stattgefunden hat, nicht aussetzen, doch es stehen ihm andere Maßnahmen zur Verfügung, auf die es zurückgreifen kann, z. B. die vorläufige Aussetzung der Wirkungen des bereits unterzeichneten Vertrags.

    67.

    In der mündlichen Verhandlung haben die tschechische Regierung und der ÚOHS geltend gemacht, dass die Zulassung dieser Möglichkeit zur Folge haben könne, dass das öffentliche Interesse an einer schnellen und effizienten öffentlichen Auftragsvergabe beeinträchtigt werde, da Gerichtsverfahren im Allgemeinen langsam seien und die Verzögerung nicht tragbar sei.

    68.

    Ich halte diesen Einwand nicht für unüberwindbar:

    Zum einen umfasst die infolge des gerichtlichen Eingreifens entstehende Verzögerung nicht das gesamte Gerichtsverfahren, sondern lediglich den kurzen Zeitraum bis zum Erlass oder zur Ablehnung der vorläufigen Maßnahme ( 23 ). Da die angefochtenen Entscheidungen üblicherweise vollstreckbar sind, beschränkt sich die Verzögerung auf den Zeitraum, den das Gericht benötigt, um über die vorläufige Maßnahme zu entscheiden ( 24 ).

    Zum anderen wurden die angesprochenen praktischen Schwierigkeiten auf einen Vergleich zwischen den personellen Mitteln des ÚOHS und den personellen Mitteln der tschechischen Verwaltungsgerichte gestützt. Treffen diese Angaben zu, so ist es Sache des Staats, der möchte, dass die öffentliche Auftragsvergabe zügig abläuft, geeignete prozessuale Maßnahmen zu ergreifen, um solche Verzögerungen zu vermeiden. Ein solcher Umstand kann nicht ins Feld geführt werden, um eine Auslegung der Richtlinie zu rechtfertigen, die den durch Art. 47 der Charta garantierten gerichtlichen Rechtsschutz schwächt.

    69.

    Die von mir vorgeschlagene Lösung ist im tschechischen Rechtssystem möglich, da § 38 des Gesetzes Nr. 150/2002, wie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt worden ist, dem Gericht erlaubt, „eine vorläufige Maßnahme an[zu]ordnen und den Parteien ein Tun, Dulden oder Unterlassen auf[zu]geben“. Diese Bestimmung schließt für sich genommen nicht aus, die Wirkungen eines bereits geschlossenen Vertrags auszusetzen.

    70.

    Ich stimme der Kommission ( 25 ) darin zu, dass von dieser Möglichkeit mit Vorsicht Gebrauch zu machen ist und dass missbräuchliche oder schikanöse Anträge abzulehnen sind. Meines Erachtens muss das Gericht über die Feststellung des periculum in mora hinaus streng darauf achten, dass eine rechtliche Begründung vorliegt, die für sich genommen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg des Antrags in der Hauptsache erkennen lässt (fumus boni iuris).

    71.

    Außerdem wird das für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Gericht sorgfältig zu prüfen haben, ob zwingende Gründe des Allgemeininteresses (die nicht ohne Weiteres mit den unmittelbar mit dem Vertrag zusammenhängenden wirtschaftlichen Interessen gleichzusetzen sind) ( 26 ) es erfordern, dass die Wirkungen des geschlossenen Vertrags vorläufig aufrechterhalten werden.

    72.

    Die vorstehenden Erwägungen sind nicht so zu verstehen, dass der in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 vorgesehene automatische Suspensiveffekt auf das Klageverfahren ausgedehnt wird. Ich halte es nicht für erforderlich, diese Bestimmung weiter auszulegen, als es ihrem Wortlaut entspricht, um die Wirkungen des automatischen Suspensiveffekts auf einen Bereich auszudehnen, für den der Gesetzgeber sie nicht vorgesehen hat. Für den Fall, dass es sich bei der unabhängigen Nachprüfungsstelle nicht um ein Gericht handelt, verlangt Art. 47 der Charta schlicht, dass das Gericht die uneingeschränkte Befugnis zur Entscheidung über vorläufige Maßnahmen nach den Vorschriften seines nationalen Rechts behalten muss.

    73.

    In diesem Szenario sind zwei Fälle möglich:

    Der Vertrag zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Zuschlagsempfänger wurde noch nicht unterzeichnet. Die Entscheidung über vorläufige Maßnahmen wird sich auf die vorläufige Aussetzung der Möglichkeit des Vertragsschlusses konzentrieren.

    Ist der Vertrag bereits unterzeichnet worden, kann die Entscheidung über vorläufige Maßnahmen die Wirkungen des Vertrags betreffen, zu deren Aussetzung das Gericht befugt ist.

    D.   Wirksamkeit der Urteile, mit denen der Vertrag für nichtig erklärt wird

    74.

    Die vorstehenden Ausführungen beantworten die Frage des vorlegenden Gerichts zur Auslegung von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 89/665.

    75.

    Das vorlegende Gericht hat jedoch in seinem Vorabentscheidungsersuchen Zweifel geäußert, die, auch wenn sie mit den vorläufigen Maßnahmen zusammenhängen, nicht in diesen Bereich gehören, sondern eher die Wirksamkeit des den Rechtsstreit beendenden Urteils betreffen. Insoweit hat es ausgeführt:

    Wird die Entscheidung des ÚOHS gerichtlich aufgehoben, so wird der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung an diesen zurückverwiesen. Wenn der Vertragsschluss jedoch bereits stattgefunden hat, wird der ÚOHS den Rechtsbehelf gegen das Vorgehen des öffentlichen Auftraggebers nicht erneut prüfen, sondern das Verfahren einstellen.

    Es ist daher möglich, dass der ausgeschlossene Bieter, obwohl er vor Gericht obsiegt hat, keine Chance hat, den Zuschlag zu erhalten, da der Vertrag bereits während des laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geschlossen worden ist.

    In diesem Fall wäre der Kläger, der die gerichtliche Nichtigerklärung der Vergabe erwirkt hat, nur berechtigt, in einem zivilrechtlichen Verfahren den Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihm durch das rechtswidrige Vorgehen des öffentlichen Auftraggebers entstanden ist ( 27 ).

    76.

    Ich werde auf diese Zweifel der Vollständigkeit halber eingehen, auch wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass dies unbedingt erforderlich ist, um eine sachdienliche Antwort auf die Frage zu geben, die das vorlegende Gericht am Ende seines Vorabentscheidungsersuchens zusammenfassend stellt.

    77.

    Ich habe bereits bei anderer Gelegenheit ausgeführt ( 28 ), dass es die Logik des Systems der Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen von Stellen (wie dem ÚOHS), die einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen, grundsätzlich mit sich bringt, dass sich ihre Nichtigkeit im Fall ihrer Aufhebung durch das zuständige Gericht auch auf ihre Wirkungen erstrecken muss, denn es wird ihnen ihre Rechtsgrundlage entzogen.

    78.

    Mit anderen Worten, das Urteil, mit dem die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für nichtig erklärt wird, sollte grundsätzlich zur Folge haben, dass der Vertrag keine Wirkungen entfalten darf. Die Nichtigerklärung der Vergabe sollte auf den Zeitpunkt zurückwirken (Wirkung ex tunc), in dem der Zuschlag erteilt wurde. Dies ist im Übrigen die allgemein in der Richtlinie 89/665 – seit ihrer Reform im Jahr 2007 – vorgesehene Folge bei Verträgen, bei denen schwerwiegende Verstöße gegen diese Richtlinie vorliegen ( 29 ).

    79.

    Von dieser allgemeinen Folge sind jedoch Ausnahmen zulässig; eine solche ist in der Richtlinie 89/665 (insbesondere für bereits geschlossene Verträge über öffentliche Aufträge) wegen der mit der Feststellung ihrer Unwirksamkeit verbundenen Nachteile vorgesehen ( 30 ). Die Mitgliedstaaten können z. B. bei Nichteinhaltung formeller Anforderungen „den Grundsatz der Unwirksamkeit als ungeeignet betrachten. In diesen Fällen sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, alternative Sanktionen vorzusehen.“ ( 31 )

    80.

    Seit ihrer Reform durch die Richtlinie 2007/66 lässt die Richtlinie 89/665 zu (Erwägungsgründe 21 ( 32 ) und 22 ( 33 ) der Richtlinie 2007/66 sowie Art. 2d und 2e der geänderten Richtlinie 89/665), bei Verträgen, die grundsätzlich wegen rechtswidriger Vergabe für unwirksam erklärt werden müssten, „einige oder alle zeitlichen Wirkungen des Vertrags anzuerkennen“, d. h., dass die Wirkungen des Vertrags unbeschadet der Verhängung entsprechender Sanktionen und einer Schadensersatzpflicht aufrechterhalten werden.

    81.

    Die Richtlinie 89/665 sieht also die Möglichkeit vor, dass das Urteil, mit dem einer Nichtigkeitsklage stattgegeben wird, die sich auf einen bereits geschlossenen Vertrag bezieht, davon absieht, die sich aus seiner Nichtigkeit ergebenden Folgen auszusprechen.

    82.

    In diesem Sinne sieht die Richtlinie 89/665 je nach Fall unterschiedliche Lösungen vor:

    Die allgemeine Regel (Art. 2 Abs. 7) lautet: „Außer in den in den Artikeln 2d bis 2f genannten Fällen richten sich die Wirkungen der Ausübung der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Befugnisse auf den nach der Zuschlagsentscheidung geschlossenen Vertrag nach dem einzelstaatlichen Recht.“

    Art. 2d Abs. 2 bestätigt: „Die Folgen der Unwirksamkeit eines Vertrags richten sich nach einzelstaatlichem Recht.“ Dieses kann wiederum „vorsehen, dass alle vertraglichen Verpflichtungen rückwirkend aufgehoben werden oder dass die Wirkung der Aufhebung auf die Verpflichtungen beschränkt ist, die noch zu erfüllen sind“ ( 34 ).

    Art. 2d Abs. 3 gestattet es den Mitgliedstaaten auch, vorzusehen, dass „die von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle einen Vertrag nicht als unwirksam erachten kann, selbst wenn der Auftrag aus den in Absatz 1 genannten Gründen rechtswidrig vergeben wurde, wenn die Nachprüfungsstelle nach Prüfung aller einschlägigen Aspekte zu dem Schluss kommt, dass zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es rechtfertigen, die Wirkung des Vertrags zu erhalten. …“

    Art. 2e Abs. 1 legt fest, dass unter bestimmten Umständen ( 35 )„die Mitgliedstaaten die Unwirksamkeit gemäß Artikel 2d Absätze 1 bis 3 oder alternative Sanktionen vor[sehen]“.

    In derselben Bestimmung heißt es: „Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die vom öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle nach Bewertung aller einschlägigen Aspekte entscheidet, ob der Vertrag als unwirksam erachtet oder alternative Sanktionen verhängt werden sollten.“

    83.

    Aus der Gesamtheit dieser Bestimmungen ergibt sich, dass nach der Richtlinie 89/665 unter bestimmten Umständen im nationalen Recht vorgesehen werden kann, dass das Urteil, mit dem die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für nichtig erklärt wird, a) entweder Rückwirkung entfaltet, so dass es (ex tunc) alle vertraglichen Verpflichtungen betrifft, b) oder dass es nicht unbedingt zum Wegfall der Wirkungen dieses Vertrags führt.

    84.

    Diese Bestimmungen der Richtlinie 89/665 verfolgen das Ziel, einen Ausgleich zwischen den normalen Folgen eines Nichtigkeitsurteils und dem Schutz anderer öffentlicher Interessen an der Erbringung der Leistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, zu finden. In diesem Bereich – wie auch in anderen – kann das nationale Recht bestimmen, dass dem Urteil, in dem die Nichtigkeit festgestellt wird, seine „natürliche“ Wirkung genommen und diese durch eine Schadensersatzpflicht oder sonstige alternative Maßnahmen ersetzt wird.

    85.

    Die angeführten Bestimmungen der Richtlinie 89/665 (und die sie umsetzenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften) stehen nicht in Widerspruch zu Art. 47 der Charta ( 36 ), soweit der gerichtliche Rechtsschutz, auf den jeder Bieter Anspruch hat, ihm im Fall der nachträglichen Aufhebung der für ihn ungünstigen Zuschlagsentscheidung ermöglicht, Ersatz für den ihm entstandenen Schaden zu erlangen.

    86.

    Das in Art. 47 der Charta geschützte Recht sieht keine eindeutige Lösung für die Probleme vor, die im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von Urteilen auftreten, durch die Verwaltungsakte (oder Verträge) aufgehoben werden. Aus eben jenem Art. 47 lässt sich sicherlich die von mir angeführte allgemeine Regel ableiten, aber diese Regel steht der Möglichkeit, die genannten Ausnahmen zu berücksichtigen, nicht entgegen ( 37 ).

    87.

    Es bleibt jedoch bei der Unwirksamkeit solcher Verträge, wenn das nationale Gericht eines Mitgliedstaats (der dies in seinen Rechtsvorschriften vorgesehen hat) ein Urteil erlässt, in dem es die Zuschlagsentscheidung für nichtig erklärt, und Ex-tunc-Wirkungen an die Urteilsverkündung geknüpft werden.

    88.

    Im vorliegenden Fall können die vorstehenden Erwägungen eine besondere Bedeutung haben, wenn das für die Nachprüfung der Entscheidungen des ÚOHS zuständige Gericht nach dem Vertragsschluss keine vorläufige Maßnahme trifft. In diesem Fall muss der ÚOHS, wenn durch das Urteil, mit dem das verwaltungsgerichtliche Verfahren beendet wird, die Entscheidung des ÚOHS (sowie der von ihm bestätigte Vertrag) für nichtig erklärt wird und die nationalen Vorschriften die Zurückverweisung des Rechtsstreits an diese Behörde verlangen, nach Art. 2d der Richtlinie 89/665 prüfen, welche Folgen sich aus der Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags ergeben.

    V. Ergebnis

    89.

    Nach alledem schlage ich vor, dem Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno, Tschechische Republik) wie folgt zu antworten:

    Art. 2 Abs. 3 und 9 sowie Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

    sind dahin auszulegen, dass

    sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der der öffentliche Auftraggeber nach Ausschöpfung des Verfahrens vor einer unabhängigen (nicht gerichtlichen) Nachprüfungsstelle einen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag schließen kann, bevor eine verwaltungsgerichtliche Klage vor dem Gericht, das für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung über den Ausschluss eines Bieters oder die Erteilung des Zuschlags für diesen Auftrag zuständig ist, erhoben wird, sofern das mit der Klage befasste Gericht im Rahmen dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens befugt ist, vorläufige Maßnahmen zu treffen, die gegebenenfalls in der Aussetzung der Wirkungen des bereits unterzeichneten Vertrags bestehen.


    ( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

    ( 2 ) Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33).

    ( 3 ) Der angeführte Text entspricht der sich aus der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. 2007, L 335, S. 31) und der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1) ergebenden Fassung.

    ( 4 ) Die Ausschreibung wurde im Věstník veřejných zakázek (Informationssystem für das öffentliche Auftragswesen) unter der Nr. Z2019‑034002 und im Amtsblatt der Europäischen Union unter der Nr. 2019/S 190‑461538 bekannt gemacht. Der geschätzte Wert des öffentlichen Auftrags ohne Mehrwertsteuer betrug 13805000 tschechische Kronen (CZK) (ca. 566000 Euro).

    ( 5 ) Unter Rechtskraft „im Verwaltungsverfahren“ verstehe ich die Ausschöpfung der Rechtsbehelfe in diesem Verfahren, d. h., dass es vor den Verwaltungsbehörden keine weiteren Anfechtungsmöglichkeiten gab.

    ( 6 ) Rechtssache C‑497/20, EU:C:2021:1037. Im Folgenden: Urteil Randstad Italia.

    ( 7 ) In einem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, ist allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig (Urteil vom 26. April 2017, Farkas, C‑564/15, EU:C:2017:302, Rn. 37).

    ( 8 ) In Rn. 22 dieser Erklärungen räumt er als unstreitig ein, „dass der [ÚOHS], der zur Exekutive gehört, kein Gericht ist“. In Rn. 35 wiederholt er, dass er „kein Gericht, sondern eine zentrale Behörde ist, was nach der Richtlinie 89/665 zulässig ist“.

    ( 9 ) Rn. 12 ihrer schriftlichen Erklärungen.

    ( 10 ) Vorlageentscheidung, Rn. 2: „CROSS stellte … [beim ÚOHS] einen Antrag auf Nachprüfung des Vorgehens des öffentlichen Auftraggebers und beantragte die Aufhebung der Entscheidung über ihren Ausschluss und des Zuschlags an das Unternehmen Siemens Mobility.“ Hervorhebung nur hier.

    ( 11 ) Ich ziehe es vor, in diesem Zusammenhang den Ausdruck „Beschwerde“ zu verwenden. In Wirklichkeit handelt es sich um einen an den Urheber der Entscheidung gerichteten Antrag, diese Entscheidung zu überprüfen.

    ( 12 ) Entscheidungen von Nachprüfungsstellen, die keine Gerichte sind, müssen stets schriftlich begründet sein und zum Gegenstand „einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer anderen … Stelle, die ein Gericht im Sinne des Artikels [267 AEUV] ist, gemacht werden können“.

    ( 13 ) Die unterschiedlichen Sprachfassungen stimmen in ihrer weiten Formulierung überein: „Stelle in erster Instanz“ heißt es in der deutschen, „body of first instance“ in der englischen, „instances de premier ressort“ in der französischen und „organo di prima istanza“ in der italienischen Sprachfassung.

    ( 14 ) Offenkundig müssen diese Stellen im Verhältnis zum öffentlichen Auftraggeber eigenständig sein. Es kann sich um unabhängige Behörden wie z. B. die Wettbewerbsbehörde handeln.

    ( 15 ) Die Stillhaltefrist ist in Art. 2a detailliert geregelt.

    ( 16 ) Urteil Randstad Italia, Rn. 49, unter Anführung des Urteils vom 7. September 2021, Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras (C‑927/19, EU:C:2021:700, Rn. 128). Hervorhebung nur hier.

    ( 17 ) Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 297), unter Anführung der Urteile vom 19. Juni 1990, Factortame u. a. (C‑213/89, EU:C:1990:257, Rn. 21) und vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 107).

    ( 18 ) Urteil vom 13. März 2007, Unibet (C‑432/05, EU:C:2007:163, Rn. 77 und Tenor Nr. 2).

    ( 19 ) 36. Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/66.

    ( 20 ) Urteil Randstad Italia, Rn. 49, unter Anführung des Urteils vom 7. September 2021, Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras (C‑927/19, EU:C:2021:700, Rn. 128).

    ( 21 ) Beschluss vom 23. April 2015, Kommission/Vanbreda Risk & Benefits (C‑35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 29) unter Anführung des Urteils vom 11. September 2014, Fastweb (C‑19/13, EU:C:2014:2194, Rn. 60), Hervorhebung nur hier.

    ( 22 ) Eines der Ziele der Richtlinie 2007/66 besteht gerade darin, die Vorgehensweise zu bekämpfen, „dass öffentliche Auftraggeber und Auftrag[nehmer] sehr rasch die Vertragsunterzeichnung vornehmen, um die Folgen einer strittigen Zuschlagsentscheidung unumkehrbar zu machen“ (vierter Erwägungsgrund).

    ( 23 ) In der Tschechischen Republik kann die Klage vor dem Verwaltungsgericht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der in zweiter Instanz ergangenen Verwaltungsentscheidung an den Kläger erhoben werden (§ 72 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 150/2002). Sie kann den Antrag auf Erlass einer vorläufigen Maßnahme umfassen, die darin besteht, dem öffentlichen Auftraggeber den Vertragsschluss während des laufenden Gerichtsverfahrens zu untersagen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann nicht vor Klageerhebung gestellt werden (§ 38 des Gesetzes Nr. 150/2002).

    ( 24 ) Nach dem Vorlagebeschluss (Rn. 18) hat das Gericht innerhalb von 30 Tagen nach Klageerhebung über den Antrag auf vorläufige Maßnahmen zu entscheiden.

    ( 25 ) Rn. 17 und 18 ihrer schriftlichen Erklärungen.

    ( 26 ) Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, die Vorgaben in Art. 2d der Richtlinie 89/665, nach denen das Vorliegen zwingender Gründe eines Allgemeininteresses oder die betroffenen wirtschaftlichen Interessen als Kriterien für eine Anpassung der Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags herangezogen werden können, mutatis mutandis in der Phase des vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes anzuwenden.

    ( 27 ) Gemäß dem Zákon č. 99/1963 Sb., občanský soudní řád (Gesetz Nr. 99/1963, Zivilprozessordnung). Dem vorlegenden Gericht zufolge hat diese Art von Klagen nur selten Erfolg.

    ( 28 ) Schlussanträge in der Rechtssache Polkomtel (C‑231/15, EU:C:2016:440, Nr. 64).

    ( 29 ) Diese Folge kommt z. B. bei der „rechtswidrige[n] freihändige[n] Vergabe von Aufträgen“ (13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/66) oder bei Verträgen, „deren Abschluss gegen die Stillhaltefrist oder den automatischen Suspensiveffekt verstößt“ (18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/66), zum Tragen. Für solche Fälle soll „[m]it der Festlegung von Regeln durch die Mitgliedstaaten, die gewährleisten, dass ein Vertrag als unwirksam gilt, … erreicht werden, dass die Rechte und Verpflichtungen der Parteien im Rahmen des Vertrags nicht mehr ausgeübt und nicht mehr durchgesetzt werden“ (21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/66).

    ( 30 ) Urteil vom 26. November 2015, MedEval (C‑166/14, EU:C:2015:779, Rn. 40): „[E]inem Vertrag im Anschluss an ein Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe die Wirksamkeit [zu entziehen], … [stellt] einen wesentlichen Eingriff der Verwaltungsbehörde oder des Gerichts in die vertraglichen Beziehungen zwischen den Einzelnen und den staatlichen Stellen dar … Eine solche Entscheidung kann daher zu einer beträchtlichen Störung und zu wirtschaftlichen Verlusten nicht nur auf Seiten des Empfängers des Zuschlags für den betreffenden öffentlichen Auftrag, sondern auch auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers und folglich der Öffentlichkeit als dem durch die Erbringung von Bau‑ oder Dienstleistungen, die Gegenstand des betreffenden öffentlichen Auftrags sind, letztlich Begünstigten führen. Wie aus den Erwägungsgründen 25 und 27 der Richtlinie 2007/66 hervorgeht, hat der Unionsgesetzgeber dem Erfordernis der Rechtssicherheit bei Nachprüfungen mit dem Ziel, einem Vertrag die Wirksamkeit zu entziehen, größere Bedeutung beigemessen als bei Schadensersatzklagen.“

    ( 31 ) 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/66.

    ( 32 )

    ( 33 ) „[D]ie Mitgliedstaaten [können] der für die Nachprüfungsverfahren zuständigen Stelle die Möglichkeit geben, den Vertrag nicht für unwirksam zu erklären oder einige oder alle zeitlichen Wirkungen des Vertrags anzuerkennen, wenn zwingende Gründe eines Allgemeininteresses dies in Ausnahmesituationen rechtfertigen.“ Hervorhebung nur hier.

    ( 34 ) Im letzteren Fall tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass auch alternative Sanktionen im Sinne des Art. 2e Abs. 2 Anwendung finden.

    ( 35 ) Bei Verstößen gegen Art. 1 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 oder Art. 2a Abs. 2, die nicht von Art. 2d Abs. 1 Buchst. b erfasst sind.

    ( 36 ) Im Urteil vom 11. September 2014, Fastweb (C‑19/13, EU:C:2014:2194, Rn. 64), hat der Gerichtshof festgestellt, dass „Art. 2d Abs. 4 der Richtlinie 89/665, soweit er die Aufrechterhaltung der Wirksamkeit eines Auftrags vorsieht, nicht gegen die Erfordernisse aus Art. 47 der Charta verstößt“.

    ( 37 ) Ich nehme Bezug auf Nrn. 61 bis 70 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Polkomtel (C‑231/15, EU:C:2016:440).

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