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Document 62021CJ0513

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 22. Juni 2023.
DI gegen Europäische Zentralbank (EZB).
Rechtsmittel – Öffentlicher Dienst – Personal der Europäischen Zentralbank (EZB) – Beschäftigungsbedingungen – Disziplinarverfahren – Zuständige Stelle – Übertragung von Befugnissen – Rechtssicherheit – Verjährung der disziplinarischen Ahndung – Unschuldsvermutung – Strafverfahren – Verfälschung – Fehlen.
Rechtssache C-513/21 P.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:500

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

22. Juni 2023 ( *1 )

„Rechtsmittel – Öffentlicher Dienst – Personal der Europäischen Zentralbank (EZB) – Beschäftigungsbedingungen – Disziplinarverfahren – Zuständige Stelle – Übertragung von Befugnissen – Rechtssicherheit – Verjährung der disziplinarischen Ahndung – Unschuldsvermutung – Strafverfahren – Verfälschung – Fehlen“

In der Rechtssache C‑513/21 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 19. August 2021,

DI, vertreten durch L. Levi, Avocate,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Zentralbank (EZB), vertreten durch F. von Lindeiner, F. Malfrère und M. Van Hoecke als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter P. G. Xuereb, T. von Danwitz (Berichterstatter) und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Januar 2023

folgendes

Urteil

1

Mit seinem Rechtsmittel begehrt DI die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 9. Juni 2021, DI/EZB (T‑514/19, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2021:332), mit dem das Gericht seine auf Art. 270 AEUV und Art. 50a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union gestützte Klage abgewiesen hat. Mit dieser Klage begehrte DI erstens die Aufhebung der Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 7. Mai 2019, ihn aus disziplinarischen Gründen fristlos zu entlassen (im Folgenden: streitige Entlassungsentscheidung), und der Entscheidung der EZB vom 25. Juni 2019, mit der die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt wurde (im Folgenden zusammen mit der streitigen Entlassungsentscheidung: streitige Entscheidungen), zweitens die Anordnung seiner Wiedereinsetzung mit Wirkung vom 11. Mai 2019 und drittens den Ersatz des immateriellen Schadens, der ihm infolge dieser Entscheidungen und aufgrund der Dauer des Disziplinarverfahrens entstanden sein soll.

Rechtlicher Rahmen

Satzung des ESZB

2

Art. 12.3 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (ABl. 2016, C 202, S. 230) (im Folgenden: Satzung des ESZB) bestimmt:

„Der EZB-Rat beschließt eine Geschäftsordnung, die die interne Organisation der EZB und ihrer Beschlussorgane regelt.“

3

Art. 36.1 dieser Satzung lautet:

„Der EZB-Rat legt auf Vorschlag des Direktoriums die Beschäftigungsbedingungen für das Personal der EZB fest.“

Geschäftsordnung

4

Auf der Grundlage von Art. 12.3 der Satzung des ESZB erließ der EZB-Rat die Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank in der geänderten Fassung vom 22. April 1999 (ABl. 1999, L 125, S. 34, im Folgenden: Geschäftsordnung). Art. 21 („Beschäftigungsbedingungen“) der Geschäftsordnung bestimmt:

„21.1.   Die Beschäftigungsverhältnisse zwischen der EZB und ihren Mitarbeitern werden in den Beschäftigungsbedingungen und den Dienstvorschriften geregelt.

21.2.   Die Beschäftigungsbedingungen werden vom EZB-Rat auf Vorschlag des Direktoriums genehmigt und geändert. Der Erweiterte Rat wird nach Maßgabe der in dieser Geschäftsordnung festgelegten Verfahren angehört.

21.3.   Die Beschäftigungsbedingungen werden durch Dienstvorschriften umgesetzt, die vom Direktorium festgelegt und geändert werden.

21.4.   Die Personalvertretung ist vor der Festlegung neuer Beschäftigungsbedingungen oder Dienstvorschriften anzuhören. Ihre Stellungnahme ist dem EZB-Rat oder dem Direktorium vorzulegen.“

Beschäftigungsbedingungen

5

Auf der Grundlage von Art. 36.1 der Satzung des ESZB erließ der EZB-Rat den Beschluss vom 9. Juni 1998 über die Verabschiedung der Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank in der geänderten Fassung vom 31. März 1999 (ABl. 1999, L 125, S. 32, im Folgenden: Beschäftigungsbedingungen).

6

Art. 9 Buchst. a der Beschäftigungsbedingungen bestimmt:

„Die arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen der EZB und ihren Mitarbeitern werden durch im Rahmen der vorliegenden Beschäftigungsbedingungen geschlossene Arbeitsverträge geregelt. Die Einzelheiten der Umsetzung dieser Beschäftigungsbedingungen werden in den vom Direktorium festgelegten Dienstvorschriften geregelt.“

7

Art. 44 der Beschäftigungsbedingungen sieht vor:

„Folgende Disziplinarstrafen können gegebenenfalls gegen Mitarbeiter oder ehemalige Mitarbeiter, auf die die vorliegenden Beschäftigungsbedingungen anwendbar sind, verhängt werden, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig ihre Dienstpflichten verletzen:

i)

Der Generaldirektor für Personal, Budget und Organisation bzw. sein Stellvertreter (bei Mitarbeitern in den Gehaltsspannen A bis J) oder das Mitglied des Direktoriums, dem die Generaldirektion Personal Bericht erstattet (bei Mitarbeitern in den Gehaltsspannen K bis M), kann eine der folgenden Strafen verhängen:

eine schriftliche Verwarnung,

einen schriftlichen Verweis;

ii)

außerdem kann das Direktorium eine der folgenden Strafen verhängen:

Entlassung mit oder ohne Einhaltung einer Frist …;

vollständige oder teilweise, vorübergehende oder dauerhafte Aberkennung des Anspruchs eines Mitarbeiters, der ein Ruhegehalt oder Invalidengeld bezieht, auf ein solches Ruhegehalt oder Invalidengeld …

…“

Dienstvorschriften

8

Auf der Grundlage von Art. 21.3 der Geschäftsordnung und Art. 9 Buchst. a der Beschäftigungsbedingungen erließ das Direktorium der EZB die European Central Bank Staff Rules (im Folgenden: Dienstvorschriften), deren Art. 8.3.2 bestimmt:

„Auf der Grundlage eines Berichts, in dem die die Verletzung der Dienstpflichten begründenden Tatsachen und Umstände … dargelegt werden, … kann das Direktorium oder, je nach Fall, der Chief Services Officer [(Generalsekretär der Arbeitseinheiten)] im Namen des Direktoriums beschließen,

ein Disziplinarverfahren wegen Verletzung der Dienstpflichten einzuleiten, das bei Mitarbeitern oberhalb der Gehaltsspanne L vom Direktorium und bei Mitarbeitern in der Gehaltsspanne L oder darunter vom Chief Services Officer im Namen des Direktoriums geführt wird. Beschließt der Chief Services Officer im Namen des Direktoriums, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, so wird das Direktorium unverzüglich davon in Kenntnis gesetzt.

keine Disziplinarstrafe zu verhängen … Handelt es sich bei der in Betracht kommenden Disziplinarstrafe um eine schriftliche Verwarnung oder einen schriftlichen Verweis, so kann der Generaldirektor für Personal, Budget und Organisation bzw. sein Stellvertreter (bei Mitarbeitern in den Gehaltsspannen A bis J) oder das Mitglied des Direktoriums, dem die Generaldirektion Personal, Budget und Organisation Bericht erstattet (bei Mitarbeitern in den Gehaltsspannen K bis L), eine der vorgenannten Entscheidungen treffen. Das Disziplinarverfahren muss spätestens fünf Jahre nach Eintritt des betreffenden Sachverhalts und innerhalb eines Jahres nach seiner Aufdeckung eingeleitet werden, es sei denn, es handelt sich um ein schweres Fehlverhalten, für das die Entlassung in Betracht kommt; in diesem Fall betragen die Fristen zehn Jahre bzw. ein Jahr. …“

9

Art. 8.3.7 der Dienstvorschriften bestimmt, dass „[d]ie Mitglieder des Disziplinarausschusses … in persönlicher Eigenschaft [handeln] und ihre Pflichten in völliger Unabhängigkeit wahrnehmen“.

10

Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften sieht vor:

„Bei Mitarbeitern in der Gehaltsspanne I oder darunter entscheidet der Chief Services Officer im Namen des Direktoriums über die Disziplinarstrafe, die am angemessensten ist; bei Mitarbeitern oberhalb der Gehaltsspanne I entscheidet das Direktorium …“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

11

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 1 bis 26 des angefochtenen Urteils wie folgt dargestellt worden:

„1

Der Kläger, DI, wurde 1999 Mitarbeiter der [EZB]. Er war informationstechnischer Verwaltungsamtsrat in der Gehaltsspanne D, als gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, das sich auf Anträge auf Erstattung erstens von Rechnungen für Physiotherapieleistungen, zweitens von Quittungen über Apothekengebühren und drittens von Rechnungen für Nachhilfeunterricht bezog.

2

Mit mehreren Schreiben zwischen dem 13. Dezember 2013 und dem 23. November 2015 setzte die für das Krankenversicherungssystem der EZB zuständige Gesellschaft (im Folgenden: Gesellschaft A) die EZB über zwei verschiedene Vorfälle in Kenntnis. Zum einen habe der Kläger bei ihr unzulässigerweise Rechnungen für Physiotherapieleistungen zur Erstattung eingereicht, obwohl diese Leistungen von B, einer Kosmetikerin, erbracht worden seien, und zum anderen habe er bei ihr auch eine Erstattung unter Vorlage gefälschter Quittungen über Arzneimittelkosten beantragt.

3

Am 14. Mai 2014 erstattete die EZB bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main (Deutschland, im Folgenden: Staatsanwaltschaft) Anzeige betreffend die Erstattung der Physiotherapierechnungen.

4

Mit Entscheidung vom 21. Oktober 2014 beschloss das Direktorium der EZB, den Kläger vorläufig seines Dienstes zu entheben und für eine Dauer von höchstens vier Monaten ab November 2014 30 % seines Grundgehalts einzubehalten. Diese Entscheidung wurde mit den von der Gesellschaft A erteilten Informationen und der Notwendigkeit begründet, das Ermittlungsverfahren und die disziplinarrechtlichen Folgemaßnahmen abzuwarten.

5

Am 23. Januar 2015 übermittelte die EZB der Staatsanwaltschaft die zusätzlichen Informationen, die die Gesellschaft A ihr in Bezug auf die Anträge auf Erstattung der Apothekenquittungen erteilt hatte.

6

Nach Anhörung des Klägers am 3. Februar 2016 erstellte die Generaldirektion (GD) ‚Personal, Budget und Organisation‘ der EZB am 8. September 2016 einen ‚Bericht über eine etwaige Verletzung der Dienstpflichten‘ … gemäß Art. 8.3.2 der [Dienstvorschriften]. In diesem Bericht wurden dem Kläger zwei verschiedene Vorfälle zur Last gelegt. Erstens habe er der Gesellschaft A vom 12. November 2009 bis zum 29. September 2014 86 Rechnungen in Höhe von 61490 Euro über Physiotherapiesitzungen vorgelegt, die B mit seiner Ehefrau, ihren gemeinsamen Kindern sowie ihm selbst durchgeführt und für die er eine Erstattung in Höhe von 56041,09 Euro erhalten habe, obwohl B keine Physiotherapeutin, sondern Kosmetikerin sei. Zweitens habe der Kläger der Gesellschaft A zwischen Februar 2009 und September 2013 darüber hinaus in betrügerischer Absicht handgeschriebene Apothekenquittungen in Höhe von insgesamt 21289,08 Euro vorgelegt, wovon die Gesellschaft A 19427,86 Euro erstattet habe.

7

Am 12. September 2016 erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger Anklage wegen Betrugs im Sinne von § 263 Abs. 1 des deutschen Strafgesetzbuchs und Urkundenfälschung gemäß § 267 des Strafgesetzbuchs, weil er zu Unrecht die Erstattung von 71 Rechnungen für Physiotherapieleistungen beantragt habe. Den Teil des Verfahrens, der sich auf die Apothekenquittungen bezog, stellte die Staatsanwaltschaft nach § 154 der deutschen Strafprozessordnung ein, weil der Tatvorwurf weitere umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen erfordert hätte.

8

Am 18. November 2016 leitete der ‚im Namen des Direktoriums handelnde‘ Chief Services Officer der EZB gegen den Kläger ein Disziplinarverfahren wegen mutmaßlicher Verletzung seiner Dienstpflichten ein und ersuchte den Disziplinarausschuss, dessen Anrufung erforderlich war, gemäß Art. 8.3.15 der Dienstvorschriften um Abgabe einer Stellungnahme. Dieses in Anbetracht des [‚Berichts über eine etwaige Verletzung der Dienstpflichten‘ vom 8. September 2016] eingeleitete Verfahren bezog sich auf die Vorfälle im Zusammenhang mit den Physiotherapierechnungen und den Apothekenquittungen.

9

Der Disziplinarausschuss tauschte mehrere Schreiben mit dem Kläger aus und hörte ihn am 13. Februar 2017 an.

10

Am 5. September 2017 erstellte die GD ‚Personal, Budget und Organisation‘ der EZB einen zweiten ‚Bericht über eine etwaige Verletzung der Dienstpflichten‘ im Sinne von Art. 8.3.2 der Dienstvorschriften … Dieser Bericht betraf Rechnungen über Nachhilfeunterricht für die beiden Kinder des Klägers. Der Kläger hatte diese Rechnungen gemäß Art. 3.8.4 der Dienstvorschriften in den Jahren 2010, 2012 und 2014 sowie erneut im Januar 2017 zur Erstattung eingereicht. Dem Bericht zufolge bestand ein begründeter Verdacht, dass die von der Nachhilfelehrerin C für den Nachhilfeunterricht ausgestellten Rechnungen sachlich unrichtig waren.

11

In Anbetracht [dieses zweiten Berichts] beschloss der ‚im Namen des Direktoriums handelnde‘ Chief Services Officer am 19. September 2017, das Mandat des Disziplinarausschusses um diesen Vorfall zu erweitern.

12

Am 12. Oktober 2017 brachte die EZB bei der Staatsanwaltschaft den Teil des Sachverhalts zur Anzeige, der sich auf die Rechnungen für Nachhilfeunterricht bezog.

13

Der Disziplinarausschuss hörte den Kläger und seine Ehefrau am 17. Oktober 2017 an.

14

Am 18. Oktober 2017 sprach eine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (Deutschland) den Kläger vom Vorwurf im Zusammenhang mit den Physiotherapierechnungen aus ‚tatsächlichen Gründen‘ frei, da ‚nach der Hauptverhandlung … der Anklagevorwurf nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht‘.

15

Am 11. April 2018 gab der Disziplinarausschuss seine Stellungnahme ab. Er vertrat zunächst die Auffassung, dass die Unrichtigkeit der Physiotherapierechnungen nicht hinreichend nachgewiesen sei, der Kläger aber gewusst habe, dass B keine Physiotherapeutin, sondern eine Kosmetikerin sei, oder zumindest an ihrer Qualifikation hätte zweifeln müssen. Sodann sei auch der Sachverhalt, der dem Vorwurf betreffend die Vorlage der Apothekenquittungen und der Rechnungen für Nachhilfeunterricht zugrunde liege, nicht hinreichend nachgewiesen, so dass das Verfahren insoweit mit der Maßgabe einzustellen sei, dass es bei Vorlage neuer Beweise wieder aufgenommen werde. In Anbetracht dieser Erwägungen empfahl der Disziplinarausschuss als Strafe, die Bezüge des Klägers über einen Zeitraum von zwölf Monaten um 400 Euro pro Monat zu kürzen.

16

Nachdem sich der Kläger zur Stellungnahme des Disziplinarausschusses vom 11. April 2018 geäußert hatte, gab der Chief Services Officer ihm eine Entscheidung vom 10. Juli 2018 bekannt, mit der das Direktorium beschlossen hatte, im vorliegenden Fall selbst die Disziplinargewalt auszuüben (im Folgenden: Entscheidung vom 10. Juli 2018).

17

Der Chief Services Officer gab dem Kläger anschließend den Entwurf einer Entscheidung des Direktoriums bekannt, mit der er fristlos entlassen werden sollte. Darauf folgte ein Schriftwechsel.

18

Am 7. Mai 2019 beschloss das Direktorium, den Kläger [mit der streitigen Entlassungsentscheidung] fristlos zu entlassen …

19

Erstens war das Direktorium der Auffassung, zum einen habe ‚[der Kläger] fast fünf Jahre lang eine völlige, andauernde Gleichgültigkeit an den Tag gelegt, was die Frage anbelangte, ob [B] die erforderlichen Qualifikationen für die Erbringung von Physiotherapieleistungen besaß, obwohl es klare und objektive Gründe dafür gab, ihre Qualifikationen zu hinterfragen‘, und zum anderen habe er der Gesellschaft A und der EZB ‚Informationen zum Teil aktiv vorenthalten‘.

20

Zweitens habe es dem Kläger in Bezug auf die über 500 Apothekenquittungen nicht verborgen bleiben können, dass deren Ausstellung in handgeschriebener Form in Deutschland sehr unüblich sei und dass es objektive Anhaltspunkte für ihre Unrichtigkeit gegeben habe.

21

Drittens stellte das Direktorium in Bezug auf die Rechnungen für Nachhilfeunterricht u. a. fest, dass die darin ausgewiesene Steuernummer mit der auf den Physiotherapierechnungen angegebenen Nummer nahezu identisch und, wie die Steuerverwaltung von Frankfurt am Main (Deutschland) bestätigt habe, nicht echt sei. Darüber hinaus sei auch die auf diesen Rechnungen angegebene Anschrift von C mit der von B nahezu identisch. Es sei daher höchst unwahrscheinlich, dass dem Kläger diese Ähnlichkeiten nicht aufgefallen seien. Im Ergebnis sei festzustellen, dass der Kläger Rechnungen für Nachhilfeunterricht zur Erstattung eingereicht habe, die sachlich unrichtig seien.

22

In Anbetracht all dieser Erwägungen führte das Direktorium im Wesentlichen aus, dass der Anspruch auf Erstattung von Arzneimittelausgaben und Kosten für Nachhilfeunterricht nicht bedeute, dass die Mitglieder des Personals Umstände im Zusammenhang mit der Ausstellung von Rechnungen oder Quittungen ignorieren könnten, die so augenfällig seien, dass sich jede angemessen umsichtige Person die Frage gestellt hätte, ob diese Rechnungen oder Quittungen eine ordnungsgemäße Dokumentation darstellten, die einen Erstattungsanspruch begründe. Bei Vorliegen derartiger Umstände obliege es den Mitgliedern des Personals, zumindest von sich aus die Verwaltung darüber zu informieren und mit dieser zusammenzuarbeiten. Das Direktorium gelangte daher zu dem Schluss, dass sich der Kläger schuldig gemacht habe, erstens seine Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Organ verletzt zu haben, zweitens seiner Verpflichtung zur Achtung der gemeinsamen Werte der EZB sowie zum Führen seines Berufs- und Privatlebens im Einklang mit deren Satzung nicht nachgekommen zu sein, drittens kontinuierlich gegen seine Pflicht verstoßen zu haben, die finanziellen Interessen des Organs zu wahren, und viertens das Ansehen der Bank gefährdet zu haben.

23

In der Zwischenzeit – am 30. April 2019 – setzte die Staatsanwaltschaft den Kläger davon in Kenntnis, dass das Ermittlungsverfahren betreffend die Rechnungen für Nachhilfeunterricht gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt werde, weil kein hinreichender Tatverdacht bestehe, um Anklage zu erheben.

24

Mit Schreiben vom selben Tag, das am darauffolgenden 15. Mai in das Register der EZB eingetragen wurde, setzte die Staatsanwaltschaft auch die EZB von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens in Kenntnis. In diesem Schreiben wies die Staatsanwaltschaft zudem darauf hin, dass die Ermittlungen ergeben hätten, dass es keine amtliche Eintragung von C gebe und die Steuernummer auf ihren Rechnungen nicht vergeben sei. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die fraglichen Rechnungen tatsächlich ausgestellt und vom Beschuldigten beglichen worden seien und sich die darin enthaltenen Falschangaben durch ‚andere Gründe‘ erklären ließen.

25

Mit Schreiben vom 12. Juni 2019 setzte der Kläger den Chief Services Officer vom Ergebnis des von der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Rechnungen für Nachhilfeunterricht eingeleiteten Verfahrens in Kenntnis und ersuchte die EZB darum, ihre Entlassungsentscheidung zu überdenken.

26

Mit Schreiben vom 26. Juni 2019 informierte der Chief Services Officer den Kläger über die am Vortag getroffene Entscheidung des Direktoriums, das Disziplinarverfahren nicht wieder aufzunehmen … Diese Entscheidung beruhte auf zwei Gründen. Die EZB verwies zum einen darauf, dass die Staatsanwaltschaft anhand des für Strafverfahren geltenden Beweisstandards ermitteln müsse, ob die mutmaßlichen Handlungen gegen das deutsche Strafrecht verstießen, wohingegen die EZB anhand eines anderen, für Disziplinarverfahren geltenden Beweisstandards ermitteln müsse, ob die mutmaßlichen Handlungen einen Verstoß gegen ihre eigenen Beschäftigungsvorschriften darstellten. Zum anderen habe die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass es keine amtliche Eintragung von C gebe und die Steuernummer auf den Rechnungen nicht echt sei.“

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

12

Mit Klageschrift, die am 18. Juli 2019 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob der Rechtsmittelführer Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidungen, auf Wiedereinsetzung und auf Ersatz des immateriellen Schadens, der ihm aufgrund dieser Entscheidungen und der Dauer des Disziplinarverfahrens entstanden sein soll.

13

Der Rechtsmittelführer stützte seinen Aufhebungsantrag formal auf neun Klagegründe, wobei das Gericht aber in Anbetracht des Inhalts der Klageschrift der Auffassung war, dass es sich tatsächlich um zehn Gründe handele, mit denen Folgendes geltend gemacht werde: erstens die Unzuständigkeit des Urhebers der streitigen Entscheidungen, zweitens ein Verstoß gegen Art. 8.3.2 der Dienstvorschriften und den Grundsatz der Rechtssicherheit, drittens ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass das Strafverfahren das Disziplinarverfahren hemmt, den Grundsatz der guten Verwaltung und die Fürsorgepflicht, viertens ein Verstoß gegen Art. 8.3.7 der Dienstvorschriften und den in Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerten Grundsatz der Unparteilichkeit, fünftens eine Verletzung der Verteidigungsrechte, sechstens offensichtliche Beurteilungsfehler, siebtens ein Verstoß gegen das Recht auf die Unschuldsvermutung und Art. 48 der Charta, achtens ein Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer und die Fürsorgepflicht, neuntens eine Verletzung der Begründungspflicht und zehntens, hilfsweise, ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

14

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die zehn geltend gemachten Klagegründe und folglich den Aufhebungsantrag, den zweiten und den dritten Klageantrag zurückgewiesen und infolgedessen die Klage insgesamt abgewiesen.

Anträge der Parteien

15

Der Rechtsmittelführer beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

die streitigen Entscheidungen aufzuheben;

jedenfalls die EZB zum Ersatz des ihm entstandenen und mit 20000 Euro bezifferten immateriellen Schadens zu verurteilen;

der EZB die vor dem Gericht und dem Gerichtshof entstandenen Kosten aufzuerlegen.

16

Die EZB beantragt,

das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen;

dem Rechtsmittelführer die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

17

Der Rechtsmittelführer stützt sein Rechtsmittel auf fünf Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt er einen Rechtsfehler in Bezug auf die Zuständigkeit des Urhebers der streitigen Entscheidungen, mit dem zweiten, der sich in zwei Teile gliedert, einen Rechtsfehler in Bezug auf Art. 8.3.2 der Dienstvorschriften und den Grundsatz der Rechtssicherheit, mit dem dritten einen Verstoß gegen das Recht auf die Unschuldsvermutung und Art. 48 der Charta, mit dem vierten einen Verstoß gegen Art. 8.3.7 der Dienstvorschriften und den Grundsatz der Unparteilichkeit und mit dem fünften eine Verletzung der Pflicht zur gerichtlichen Kontrolle.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

18

Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund, der sich auf die Rn. 45 bis 53 des angefochtenen Urteils bezieht, macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe zu Unrecht seinen ersten Klagegrund zurückgewiesen, mit dem er die Unzuständigkeit des Direktoriums für den Erlass der streitigen Entscheidungen gerügt habe.

19

Erstens sei mit der Entscheidung vom 10. Juli 2018, auch wenn sie als individueller Rechtsakt erachtet werden könne, durch Entzug der dem Chief Services Officer übertragenen Befugnis ein allgemeiner Rechtsakt, nämlich Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften, geändert worden. Wegen der Doppelnatur einer solchen Entscheidung hätte die Personalvertretung angehört werden müssen.

20

Zweitens bedeute die Auslegung des Gerichts, der zufolge das Direktorium die in dieser Vorschrift aufgestellte Regel im Einzelfall durch Rücknahme der Befugnisübertragung ändern könne, dass die Kompetenzverteilung innerhalb der EZB entgegen den Anforderungen des Urteils vom 9. Juli 2008, Kuchta/EZB (F‑89/07, EU:F:2008:97, Rn. 62), nicht klar definiert sei. Folglich seien der Grundsatz der Rechtssicherheit und die Regeln einer guten Verwaltungspraxis nicht beachtet worden, wobei der Umstand, dass der Rechtsmittelführer über die Entscheidung vom 10. Juli 2018 informiert worden sei, nicht ausreiche, um diesem Missstand abzuhelfen.

21

Drittens habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, soweit es angenommen habe, dass dem Rechtsmittelführer keine Garantie vorenthalten worden sei. Auch wenn der Erlass einer Entscheidung durch ein Kollegialorgan eine Garantie der Unparteilichkeit darstelle, würden damit nämlich nicht alle gesetzlichen Garantien gewährt.

22

Die EZB vertritt die Auffassung, der erste Rechtsmittelgrund sei als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet zurückzuweisen.

23

Der Rechtsmittelführer bezeichne nicht hinreichend genau die beanstandeten Randnummern des angefochtenen Urteils, beschränke sich darauf, den im ersten Rechtszug dargelegten Standpunkt zu wiederholen, und versuche, Tatsachenfeststellungen des Gerichts anzugreifen, wonach die Entscheidung vom 10. Juli 2018 nicht zu einer Änderung der Dienstvorschriften geführt habe.

24

In der Sache tritt die EZB dem Vorbringen des Rechtsmittelführers entgegen und macht insbesondere geltend, dass das Direktorium in der Entscheidung vom 10. Juli 2018 Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften nicht geändert, sondern lediglich gemäß seinem Regelungsgehalt angewandt habe.

Würdigung durch den Gerichtshof

25

Aus Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie Art. 168 Abs. 1 Buchst. d und Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs geht hervor, dass in einer Rechtsmittelschrift die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die konkreten rechtlichen Argumente, die diesen Antrag stützen, genau bezeichnet werden müssen; andernfalls ist das Rechtsmittel oder der betreffende Rechtsmittelgrund unzulässig (Urteil vom 15. Dezember 2022, Picard/Kommission, C‑366/21 P, EU:C:2022:984, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Im vorliegenden Fall werden in der Rechtsmittelschrift entgegen dem Vorbringen der EZB die im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes beanstandeten Randnummern des angefochtenen Urteils sowie die Gründe, aus denen diese Randnummern nach Ansicht des Rechtsmittelführers fehlerhaft sind, genau bezeichnet, so dass der Gerichtshof seine Rechtmäßigkeitskontrolle ausüben kann.

27

Soweit die EZB dem Rechtsmittelführer außerdem vorwirft, lediglich die vor dem Gericht dargelegten Argumente zu wiederholen und somit nur eine erneute Prüfung dieser Argumente zu beantragen, so ist festzustellen, dass der Rechtsmittelführer mit diesem Rechtsmittelgrund die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts durch das Gericht beanstandet.

28

Im ersten Rechtszug geprüfte Rechtsfragen können aber im Rechtsmittelverfahren erneut aufgeworfen werden, wenn der Rechtsmittelführer die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts durch das Gericht beanstandet. Könnte nämlich ein Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel nicht in dieser Weise auf bereits vor dem Gericht geltend gemachte Klagegründe und Argumente stützen, würde dies dem Rechtsmittelverfahren einen Teil seiner Bedeutung nehmen (Urteil vom 15. Juli 2021, DK/EAD, C‑851/19 P, EU:C:2021:607, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29

Im Übrigen handelt es sich, wie der Generalanwalt in Nr. 27 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, entgegen dem, was die EZB offenbar meint, bei der Bestimmung der Rechtsnatur einer auf die einschlägige Unionsregelung gestützten Verwaltungshandlung und der Ermittlung ihrer Wirkungen um Rechtsfragen, die der Kontrolle durch den Gerichtshof unterliegen.

30

Der erste Rechtsmittelgrund ist folglich zulässig.

31

Was die Begründetheit dieses Rechtsmittelgrundes betrifft, so ist erstens festzustellen, dass das Vorbringen des Rechtsmittelführers, der Erlass der Entscheidung vom 10. Juli 2018 habe die vorherige Anhörung der Personalvertretung erfordert, auf der Prämisse beruht, dass das Direktorium durch Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften die ihm nach Art. 44 Ziff. ii der Beschäftigungsbedingungen zustehende Befugnis aufgegeben habe, eine Disziplinarstrafe wie die Entlassung gegen EZB-Mitarbeiter in der Gehaltsspanne I oder darunter selbst zu verhängen. Daher ist zu prüfen, ob unter der Geltung der vom Direktorium selbst erlassenen Dienstvorschriften – mit denen, wie sich aus Art. 21.3 der Geschäftsordnung ergibt, die Beschäftigungsbedingungen umgesetzt werden – das Direktorium weiterhin dafür zuständig war, die Strafe der Entlassung auszusprechen.

32

Insoweit geht zum einen aus dem Wortlaut von Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften, insbesondere der darin enthaltenen Wendung „im Namen des Direktoriums“, klar hervor, dass die Entscheidungen des Chief Services Officer in Disziplinarangelegenheiten Entscheidungen des Direktoriums zum Ausdruck bringen, das dafür die volle Verantwortung übernimmt und dem sie rechtlich zuzurechnen sind, wie das Gericht in Rn. 49 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt hat, ohne dass der Rechtsmittelführer dem in seiner Rechtsmittelschrift entgegengetreten wäre. Somit handelt es sich bei Entscheidungen, die der Chief Services Officer nach der fraglichen Vorschrift trifft, weiterhin um Entscheidungen, die diejenigen des Direktoriums zum Ausdruck bringen.

33

Aus der wörtlichen Auslegung von Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften ergibt sich also, dass das Direktorium entgegen der Prämisse, auf der das Vorbringen des Rechtsmittelführers beruht, mit dem Erlass dieser Vorschrift keine eigene Entscheidungsbefugnis auf den Chief Services Officer übertragen hat, die es daran hindern würde, im Einzelfall selbst über die angemessenste Strafe gegen Mitarbeiter zu entscheiden.

34

Was zum anderen die kontextbezogene und teleologische Auslegung von Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften betrifft, so sieht Art. 8.3.2 der Dienstvorschriften vor, dass bei Mitarbeitern oberhalb der Gehaltsspanne L das Direktorium und bei Mitarbeitern in dieser oder einer niedrigeren Gehaltsspanne der Chief Services Officer „im Namen des Direktoriums“ beschließen kann, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Nach diesem Art. 8.3.2 muss, wenn das Verfahren vom Chief Services Officer eingeleitet wird, das Direktorium unverzüglich davon in Kenntnis gesetzt werden.

35

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 60 und 62 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, ergibt sich daraus, dass diese Informationspflicht es dem Direktorium ermöglichen soll, sich gegebenenfalls in das Verfahren einzuschalten und selbst über die Disziplinarstrafe zu entscheiden. Eine solche Befugnis des Direktoriums, sich in ein vom Chief Services Officer eingeleitetes Verfahren einzuschalten, ist daher inhärenter Bestandteil der mit Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften geschaffenen Ermächtigungsregelung.

36

Nach Art. 44 Ziff. ii der Beschäftigungsbedingungen ist die Verhängung der schwersten Strafen nämlich dem Direktorium als Kollegialinstanz vorbehalten. Nur zwei mildere Strafen, nämlich die schriftliche Verwarnung und der schriftliche Verweis, können von einer Einzelperson, nämlich je nach Gehaltsspanne der betreffenden Mitarbeiter vom Generaldirektor für Personal oder von einem Mitglied des Direktoriums, getroffen werden, was sich auch aus Art. 8.3.2 der Dienstvorschriften ergibt.

37

Daher kann, wie der Generalanwalt in Nr. 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht davon ausgegangen werden, dass das Direktorium durch den Erlass von Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften seine Entscheidungsbefugnis in Bezug auf Einzelentscheidungen über Disziplinarstrafen aufgegeben hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Mai 2005, Tralli/EZB, C‑301/02 P, EU:C:2005:306, Rn. 60 und 61).

38

Wie das Gericht in Rn. 49 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt hat, verfügen die Organe und Einrichtungen der Union intern über ein weites Ermessen, um sich entsprechend ihren Aufgaben und Bedürfnissen zu organisieren. Die Notwendigkeit, die Funktionstüchtigkeit des Entscheidungsorgans zu gewährleisten, entspricht auch einem Grundsatz, der jedem institutionellen System innewohnt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Mai 2005, Tralli/EZB, C‑301/02 P, EU:C:2005:306, Rn. 58 und 59 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass das Direktorium auch unter der Geltung der Dienstvorschriften weiterhin befugt ist, gegenüber Mitarbeitern, die, wie der Rechtsmittelführer, zur Gehaltsspanne I oder darunter gehören, selbst die Disziplinargewalt auszuüben, wie es dies in Bezug auf den Rechtsmittelführer mit der Entscheidung vom 10. Juli 2018 beschlossen hat.

40

Daraus folgt, dass diese Entscheidung keine Doppelnatur aufweist und ihr Erlass nicht die Anhörung der Personalvertretung erforderte.

41

Was zweitens die Frage betrifft, ob diese Auslegung, wie der Rechtsmittelführer geltend macht, zur Folge hat, dass die Kompetenzverteilung in Disziplinarangelegenheiten innerhalb der EZB nicht klar definiert ist, was einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und die Regeln der guten Verwaltungspraxis darstellen könnte, so ist darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz verlangt, dass eine Unionsregelung es den Betroffenen ermöglicht, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen. Der Einzelne muss nämlich in der Lage sein, seine Rechte und Pflichten eindeutig zu erkennen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2022, Stichting Rookpreventie Jeugd u. a., C‑160/20, EU:C:2022:101, Rn. 41).

42

Der Grundsatz der Rechtssicherheit und die notwendige Transparenz von Verwaltungsentscheidungen gebieten es grundsätzlich, dass die Kompetenzverteilung innerhalb der Organe und die entsprechenden Ermächtigungsentscheidungen veröffentlicht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 1986, AKZO Chemie und AKZO Chemie UK/Kommission, 5/85, EU:C:1986:328, Rn. 39).

43

Wie das Gericht in Rn. 50 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, ist Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften aber veröffentlicht worden, und die EZB hat ihre Wahl, die Entscheidung vom 10. Juli 2018 im Interesse des Rechtsmittelführers nicht zu veröffentlichen, begründet. Der Rechtsmittelführer hat diese Wahl in seiner Rechtsmittelschrift nicht beanstandet.

44

Außerdem ist Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften in Anbetracht seines Wortlauts und seines Kontexts (vgl. die entsprechende Prüfung in den Rn. 31 bis 37 des vorliegenden Urteils), wie der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hinreichend klar, damit die Mitglieder des Personals verstehen können, dass Disziplinarstrafen stets im Namen des Direktoriums verhängt werden, das dafür die Verantwortung trägt, und dass das Direktorium gegebenenfalls in ein Disziplinarverfahren eingreifen kann, um eine solche Strafe zu verhängen.

45

Folglich hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es in den Rn. 45 und 51 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, dass das Direktorium nach den Dienstvorschriften nicht verpflichtet gewesen sei, vor dem Erlass der Entscheidung vom 10. Juli 2018 und der streitigen Entlassungsentscheidung die Personalvertretung anzuhören, da die Dienstvorschriften durch diese Entscheidungen nicht geändert worden seien.

46

Drittens ist das Vorbringen des Rechtsmittelführers, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, soweit es in Rn. 52 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass ihm dadurch, dass die streitigen Entscheidungen vom Direktorium erlassen worden seien, keinerlei Garantie genommen worden sei, als ins Leere gehend zurückzuweisen. Die Ausführungen des Gerichts in dieser Randnummer tragen nämlich den Urteilstenor nicht.

47

Nach ständiger Rechtsprechung können aber im Rahmen eines Rechtsmittels Rügen, die gegen nicht tragende Gründe eines Urteils des Gerichts gerichtet sind, nicht zur Aufhebung dieses Urteils führen und sind daher als ins Leere gehend zurückzuweisen (Urteil vom 21. Oktober 2021, Parlament/UZ, C‑894/19 P, EU:C:2021:863, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Nach alledem ist der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

Zum ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes

– Vorbringen der Parteien

49

Mit dem ersten Teil seines zweiten Rechtsmittelgrundes macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe in den Rn. 93 bis 96 des angefochtenen Urteils im Hinblick auf den in Art. 8.3.2 der Dienstvorschriften verwendeten Begriff „Aufdeckung des Sachverhalts“ eine fehlerhafte rechtliche Qualifizierung der Tatsachen vorgenommen, weshalb es seinen zweiten Klagegrund, mit dem er einen Verstoß gegen diese Vorschrift und den Grundsatz der Rechtssicherheit gerügt habe, zu Unrecht zurückgewiesen habe. Mit demselben Rechtsfehler seien auch die Rn. 132 und 241 des angefochtenen Urteils behaftet.

50

Insoweit trägt der Rechtsmittelführer vor, dass seine Personalakte weder „Zahlungen“ noch „Zahlungsnachweise“ enthalten habe, dass die auf der Grundlage dieser Akte bekannten Tatsachen spätestens im Oktober 2014 vollständig verfügbar gewesen seien und dass die EZB daher zu diesem Zeitpunkt in der Lage gewesen sei, die nach dem Begriff „Aufdeckung des Sachverhalts“ erforderliche Prima-facie-Beurteilung vorzunehmen, was sie aber unterlassen habe. Daraus folge, dass entgegen dem, was das Gericht in den fraglichen Randnummern ausgeführt habe, der die Rechnungen für Nachhilfeunterricht betreffende Sachverhalt bereits verjährt gewesen sei, als am 19. September 2017 der entsprechende Teil des Disziplinarverfahrens eingeleitet worden sei. Der Rechtsmittelführer beanstandet außerdem die Beurteilung des Gerichts, der zufolge die sensible Natur der Daten in seiner Personalakte insoweit eine Rolle gespielt hat, und trägt vor, dass für den Disziplinarausschuss kein echter Grund bestanden habe, seine Personalakte eingehend zu prüfen.

51

In seiner Erwiderung fügt der Rechtsmittelführer hinzu, das Gericht habe, soweit es zum Zweck der Subsumtion unter den Begriff „Aufdeckung des Sachverhalts“ auf die Rechnungen für Nachhilfeunterricht in Verbindung mit der Würdigung des Vorbringens, er bezahle B in bar, abgestellt habe, nicht nur Art. 8.3.2 der Dienstvorschriften falsch ausgelegt, sondern auch die Akten verfälscht.

52

Nach Ansicht der EZB ist dieser Teil des Rechtsmittelgrundes als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

53

Es ist sogleich daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren nicht für die Feststellung der Tatsachen und grundsätzlich auch nicht für die Prüfung der vom Gericht als Beleg für diese Tatsachen berücksichtigten Beweise zuständig ist. Sind diese Beweise ordnungsgemäß erhoben und die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die Vorschriften über die Beweislast und die Beweisaufnahme eingehalten worden, so ist es allein Sache des Gerichts, den Wert der ihm vorgelegten Beweise zu beurteilen, es sei denn, es liegt ein Fall der Beweisverfälschung vor (Urteile vom 26. Mai 2005, Tralli/EZB, C‑301/02 P, EU:C:2005:306, Rn. 78, sowie vom 30. Juni 2022, Camerin/Kommission, C‑63/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:516, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Soweit das Gericht die Tatsachen festgestellt oder gewürdigt hat, ist der Gerichtshof auch befugt, die rechtliche Qualifizierung dieser Tatsachen und die rechtlichen Schlüsse, die das Gericht aus ihnen gezogen hat, zu kontrollieren (Urteil vom 18. Juni 2020, Kommission/RQ, C‑831/18 P, EU:C:2020:481, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54

Im vorliegenden Fall macht der Rechtsmittelführer zwar geltend, dass die für den Begriff der (die Verjährungsfrist in Gang setzenden) „Aufdeckung des Sachverhalts“ maßgeblichen Tatsachen fehlerhaft gewürdigt worden seien. Er beanstandet jedoch nicht die vom Gericht in Rn. 64 des angefochtenen Urteils vorgenommene Auslegung dieses Begriffs, wonach „anzuerkennen [ist], dass die Aufdeckung des Sachverhalts im Sinne von Art. 8.3.2 der Dienstvorschriften … erfolgt, [wenn] die bekannten Tatsachen ausreichen, um eine Prima-facie-Beurteilung des Vorliegens einer Dienstpflichtverletzung zu ermöglichen“.

55

Mit seinem Vorbringen will der Rechtsmittelführer nur dartun, dass die für eine solche Beurteilung ausreichenden Tatsachen spätestens im Oktober 2014 bekannt gewesen seien, indem er vorträgt, dass sich die Rechnungen für Nachhilfeunterricht in seiner Personalakte befunden hätten und dass diese Akte keine Zahlungsnachweise enthalten habe.

56

Mit diesem Vorbringen begehrt der Rechtsmittelführer aber lediglich eine erneute Prüfung seiner Klage, was nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fällt (Urteil vom 15. Juli 2021, DK/EAD, C‑851/19 P, EU:C:2021:607, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Im Übrigen ist ein solches Vorbringen, soweit es darauf gerichtet ist, die vom Gericht festgestellten und gewürdigten Tatsachen zu bestreiten, auch nach der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unzulässig.

58

Soweit der Rechtsmittelführer schließlich in seiner Erwiderung geltend macht, das Gericht habe „die Akten verfälscht“, genügt der Hinweis, dass nach Art. 127 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 190 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens unzulässig ist, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Da der Rechtsmittelführer eine solche Verfälschung bereits in seiner Rechtsmittelschrift geltend machen konnte, ist das fragliche Vorbringen unzulässig.

59

Nach alledem ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes

– Vorbringen der Parteien

60

Mit dem hilfsweise vorgebrachten zweiten Teil seines zweiten Rechtsmittelgrundes macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe in den Rn. 98 bis 100 des angefochtenen Urteils sowie in dessen Rn. 203, soweit dort auf Rn. 99 dieses Urteils Bezug genommen werde, erstens der streitigen Entlassungsentscheidung Elemente hinzugefügt und seine Zuständigkeit überschritten, soweit es festgestellt habe, dass die Verjährung des ersten und des zweiten Teils des Verfahrens nicht ausreiche, um seinem zweiten Klagegrund in vollem Umfang stattzugeben und diese Entscheidung aufzuheben. In dieser Entscheidung werde nämlich, insbesondere in Bezug auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in keiner Weise erläutert, warum jeder der drei Sachverhaltskomplexe das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien irreparabel zerstört und jeweils eine Entlassung gerechtfertigt habe.

61

Zweitens sei das Gericht nicht auf die Rügen eingegangen, die er in Rn. 158 seiner Klageschrift im Rahmen seines zehnten Klagegrundes vorgebracht habe und denen zufolge die EZB nicht erläutert habe, warum nach Maßgabe dieses Grundsatzes jeder dieser drei Sachverhaltskomplexe das Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört habe.

62

In seiner Erwiderung präzisiert der Rechtsmittelführer, er beanstande die Nichtberücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Entscheidungsprozess und mache geltend, dass das Gericht ultra petita entschieden habe, indem es eine in der streitigen Entlassungsentscheidung nicht enthaltene Begründung hinzugefügt und den Vertrauensverlust in den Rn. 212 bis 241 des angefochtenen Urteils als erschwerenden Umstand eingestuft habe.

63

Die EZB beantragt, diesen Teil des Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

64

Zum einen ist das Vorbringen des Rechtsmittelführers, das Gericht sei auf die von ihm in Rn. 158 seiner Klageschrift im Rahmen des zehnten Klagegrundes erhobenen Rügen nicht eingegangen, als unbegründet zurückzuweisen. Das Gericht ist nämlich in den Rn. 208 bis 214 des angefochtenen Urteils sehr wohl auf die Rüge eingegangen, dass sich der in der streitigen Entlassungsentscheidung angeführte erschwerende Umstand des Verlusts des Vertrauensverhältnisses nicht von den dem Rechtsmittelführer ohnehin vorgeworfenen Verfehlungen unterscheide und offensichtlich verfehlt sei. Zudem hat das Gericht, wie der Rechtsmittelführer in Rn. 38 seiner Rechtsmittelschrift selbst einräumt, in den Rn. 98 und 99 des angefochtenen Urteils die Rüge geprüft, dass die EZB nicht erläutert habe, inwiefern jeder der drei Sachverhaltskomplexe für sich genommen „das Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört“ habe. Im Übrigen hat das Gericht im Rahmen des zehnten Klagegrundes, den es in Rn. 244 des angefochtenen Urteils zurückgewiesen hat, die Verhältnismäßigkeit der streitigen Entlassungsentscheidung im Hinblick auf die Verfehlungen im Zusammenhang mit den Rechnungen für Nachhilfeunterricht geprüft und in den Rn. 182 bis 193 dieses Urteils, die im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels nicht beanstandet werden, untersucht, ob die Entlassungsentscheidung hinreichend begründet war.

65

Zum anderen ist zu der gegen Rn. 99 des angefochtenen Urteils gerichteten Rüge festzustellen, dass die Kritik des Rechtsmittelführers auf einer isolierten Betrachtung dieser Randnummer beruht. In Rn. 98 des angefochtenen Urteils hat das Gericht nämlich die von der EZB in der streitigen Entlassungsentscheidung angeführten Gründe dargelegt, um zu erläutern, weshalb bei jedem der drei Verfahrensteile davon auszugehen sei, dass er das Vertrauen, das dem Verhältnis der EZB zu ihrem Personal zugrunde liege, irreparabel beeinträchtigt habe.

66

Im Übrigen ist das Vorbringen des Rechtsmittelführers, das Gericht habe der streitigen Entlassungsentscheidung Elemente hinzugefügt, seine Zuständigkeit überschritten und ultra petita entschieden, gemäß der in Rn. 25 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung als unzulässig zurückzuweisen. Der Rechtsmittelführer gibt nämlich weder die Elemente, die das Gericht seiner Ansicht nach dieser Entscheidung hinzugefügt hat, noch die Gründe, aus denen das Gericht seine Zuständigkeit überschritten oder ultra petita entschieden haben soll, mit der nach dieser Rechtsprechung erforderlichen Genauigkeit an.

67

Folglich greift der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes nicht durch, so dass dieser Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen ist.

Zum dritten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

68

Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, als es in den Rn. 119 bis 121, 124, 125 und 132 des angefochtenen Urteils den siebten Klagegrund zurückgewiesen habe, mit dem eine Verletzung des Rechts auf die Unschuldsvermutung und ein Verstoß gegen Art. 48 der Charta gerügt worden seien. Dieser Rechtsfehler betreffe in gleicher Weise die Rn. 163 und 164 des angefochtenen Urteils. Zwar sei der Rechtsmittelführer in der streitigen Entlassungsentscheidung nicht ausdrücklich dafür verantwortlich gemacht worden, dass die Rechnungen für Nachhilfeunterricht sachlich unrichtig gewesen seien, doch seien die Rechnungen in dieser Entscheidung gleichwohl als unrichtig eingestuft worden und die streitigen Entscheidungen seien notwendigerweise hierauf gestützt, obwohl das wegen desselben Sachverhalts gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts eingestellt worden sei.

69

Demnach sei eine offensichtliche Verfälschung der Akten und der streitigen Entscheidungen ursächlich dafür, dass das Gericht die Unrichtigkeit dieser Rechnungen nicht als wesentliche Voraussetzung für seine Entlassung angesehen, die Rechnungen als „ungeeignet“ eingestuft und nicht berücksichtigt habe, dass die EZB darüber informiert worden sei, dass kein Betrugsverdacht bestehen könne, so dass die Rechnungen nicht als unrichtig angesehen werden könnten. Das Gericht habe zu Unrecht angenommen, dass sein Recht auf die Unschuldsvermutung durch den Erlass der streitigen Entscheidungen nicht verletzt worden sei.

70

In seiner Erwiderung fügt der Rechtsmittelführer hinzu, dass die Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung, die Ermittlungen einzustellen, zwangsläufig der Ansicht gewesen sein müsse, dass die Rechnungen für Nachhilfeunterricht nicht als gefälscht angesehen werden könnten. Überdies behaupte die EZB zu Unrecht, dass die Staatsanwaltschaft bestätigt habe, dass die Nachhilfelehrerin C nicht registriert sei und keine Steuernummer habe.

71

Die EZB beantragt, diesen Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

72

Zunächst begehrt der Rechtsmittelführer mit seinem Vorbringen zur Stützung seines dritten Rechtsmittelgrundes in Wirklichkeit, dass der Gerichtshof die Tatsachen und Beweise, insbesondere die streitigen Entscheidungen und die Feststellungen der Staatsanwaltschaft, erneut prüft, wofür der Gerichtshof aber, wie sich aus der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, im Rechtsmittelverfahren nicht zuständig ist, sofern die Tatsachen und Beweise nicht verfälscht worden sind.

73

Was sodann eine solche Verfälschung anbelangt, so muss der Rechtsmittelführer nach ständiger Rechtsprechung genau angeben, welche Beweise das Gericht verfälscht haben soll, und die Beurteilungsfehler darlegen, die das Gericht seines Erachtens zu dieser Verfälschung veranlasst haben. Eine solche Verfälschung muss sich in offensichtlicher Weise aus den Akten ergeben, ohne dass es einer neuen Tatsachen- und Beweiswürdigung bedarf (Urteil vom 1. August 2022, Kerstens/Kommission, C‑447/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:612, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

74

Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung beschränkt sich die Kontrolle, die der Gerichtshof bei der Würdigung eines auf die Verfälschung eines Beweises gestützten Rechtsmittelgrundes ausübt, auf die Prüfung, ob das Gericht, soweit es auf diesen Beweis abgestellt hat, die Grenzen einer vernünftigen Beweiswürdigung offensichtlich überschritten hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. November 2019, LS Cable & System/Kommission, C‑596/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1025, Rn. 25, sowie vom 23. März 2023, PV/Kommission, C‑640/20 P, EU:C:2023:232, Rn. 134 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75

Im vorliegenden Fall macht der Rechtsmittelführer im Wesentlichen geltend, das Gericht habe die Akten und die streitigen Entscheidungen verfälscht, als es in Rn. 120 des angefochtenen Urteils die Rechnungen für Nachhilfeunterricht als „ungeeignet“ eingestuft habe. Nach Ansicht des Rechtsmittelführers hätte das Gericht feststellen müssen, dass die Unrichtigkeit der Rechnungen eine wesentliche Voraussetzung für seine Entlassung gewesen sei und dass die EZB die Rechnungen nach der Einstellung des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens wegen Betrugs und in Anbetracht der Feststellungen der Staatsanwaltschaft nicht mehr als unrichtig hätte ansehen dürfen.

76

In den Rn. 119 und 120 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt:

„119

Im vorliegenden Fall liefen gegen den Kläger Ermittlungen wegen Betrugs im Sinne von § 263 Abs. 1 des deutschen Strafgesetzbuchs im Hinblick auf die Rechnungen für Nachhilfeunterricht. In seiner Entlassungsentscheidung hat das Direktorium dem Kläger zur Last gelegt, auf die Ähnlichkeiten zwischen den Steuernummern und Anschriften auf den Physiotherapierechnungen von B und den von C für Nachhilfeunterricht ausgestellten Rechnungen nicht hingewiesen zu haben, obwohl sich aus diesen Ähnlichkeiten hätte ableiten lassen, dass die Rechnungen unrichtig seien. … Bei Vorliegen objektiver Umstände, die Zweifel am Erstattungsanspruch aufkommen ließen, müsse das fragliche Mitglied des Personals deshalb zumindest die Verwaltung darüber informieren. …

120

[Demnach hat] die EZB die Auffassung vertreten …, die vom Kläger vorgelegten Rechnungen seien im Hinblick auf die Erstattung der Kosten für Nachhilfeunterricht ungeeignet, ohne dem Kläger ausdrücklich die Verantwortung dafür zuzuschreiben, dass sie sachlich unrichtig waren. Die [EZB] hat sich in ihrer Entlassungsentscheidung im Wesentlichen darauf beschränkt, eine Nachlässigkeit zu ahnden, die ihr bei einem Bediensteten eines Finanzinstituts besonders gravierend erschien. Diese Entscheidung enthält daher keinerlei Feststellung der Schuld des Klägers im Hinblick auf das Betrugsdelikt, das Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen war (vgl. in diesem Sinne EGMR, 25. August 1987, Englert/Deutschland, CE:ECHR:1987:0825JUD001028283, § 39), und ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Verwaltung bei der rechtlichen Einordnung eines disziplinarischen Fehlverhaltens im Verhältnis zur Strafverfolgung wegen derselben Taten autonom agiert.“

77

Da diese beiden Randnummern eine exakte Zusammenfassung der Rn. 29 bis 32 der streitigen Entlassungsentscheidung enthalten, lassen sie keine Verfälschung dieser Entscheidung erkennen.

78

Außerdem ergibt sich aus diesen Randnummern, dass die Unrichtigkeit der Rechnungen für Nachhilfeunterricht entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers keine wesentliche Voraussetzung für seine Entlassung war, da die EZB diese Entscheidung, wie das Gericht in Rn. 120 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, nicht auf eine solche Unrichtigkeit, sondern auf eine als besonders schwerwiegend eingestufte Nachlässigkeit des Rechtsmittelführers gestützt hat.

79

Ferner hat das Gericht in Rn. 124 des angefochtenen Urteils zwar festgestellt, dass die Weigerung des Direktoriums, das Verfahren wieder aufzunehmen, nachdem es von der Einstellung der Ermittlungen zu den Rechnungen für Nachhilfeunterricht erfahren habe, insbesondere darauf beruht habe, dass die Staatsanwaltschaft bestätigt habe, dass C nicht amtlich registriert sei und die Steuernummer auf ihren Rechnungen nicht echt sei. Diese Feststellung, die, wie sich aus Rn. 24 des angefochtenen Urteils ergibt, auf dem am 30. April 2019 an die EZB gerichteten und am 15. Mai 2019 registrierten Schreiben der Staatsanwaltschaft beruht, lässt aber weder eine offensichtliche Verfälschung noch eine Fehlinterpretation dieses Schreibens durch das Gericht erkennen.

80

Schließlich ist die Unschuldsvermutung nach ständiger Rechtsprechung ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der in Art. 48 Abs. 1 der Charta niedergelegt ist. Dieser Grundsatz ist verletzt, wenn eine gerichtliche Entscheidung oder eine amtliche Erklärung über einen Beschuldigten, ohne dass eine rechtskräftige Verurteilung vorläge, eine eindeutige Erklärung enthält, dass die betroffene Person die in Rede stehende Straftat begangen hat. In diesem Zusammenhang ist – worauf das Gericht in Rn. 118 des angefochtenen Urteils zu Recht hingewiesen hat – die Bedeutung hervorzuheben, die der Wortwahl der Behörden sowie den besonderen Umständen, unter denen die Äußerung getätigt wurde, und der Art und dem Kontext des fraglichen Verfahrens zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. März 2021, Pometon/Kommission, C‑440/19 P, EU:C:2021:214, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81

Wie auch das Gericht in Rn. 123 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, soll die Unschuldsvermutung u. a. verhindern, dass Personen, deren strafrechtliche Verfolgung eingestellt worden ist, behördlich so behandelt werden, als hätten sie die Straftat, die ihnen zur Last gelegt worden war, tatsächlich begangen (EGMR, 28. Juni 2018, G.I.E.M. S.R.L. u. a./Italien, CE:ECHR:2018:0628JUD000182806, § 314).

82

Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass nicht automatisch ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vorliegt, wenn eine Person wegen eines Sachverhalts, der zuvor auch Gegenstand einer strafrechtlichen Beschuldigung war, aber nicht zu einer Verurteilung geführt hat, eines Disziplinarvergehens für schuldig erklärt wird. Sofern sie nicht behaupten, dass diese Person strafrechtlich verantwortlich sei, sind Disziplinarorgane nämlich befugt und befähigt, den Sachverhalt der Verfahren, mit denen sie befasst sind, unabhängig festzustellen (EGMR, 13. April 2021, Istrate/Rumänien, CE:ECHR:2021:0413JUD004454613, § 59).

83

Wie das Gericht in den Rn. 120 und 125 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, ergibt sich aus den streitigen Entscheidungen keine Feststellung der Schuld in Bezug auf das Betrugsdelikt, das Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen war, so dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es in den Rn. 121 und 125 dieses Urteils befunden hat, dass das Recht des Rechtsmittelführers auf die Unschuldsvermutung durch den Erlass der streitigen Entscheidungen nicht verletzt worden sei.

84

Nach alledem ist der dritte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

85

Mit seinem vierten Rechtsmittelgrund, der sich auf die Rn. 139 bis 146 des angefochtenen Urteils bezieht, macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe den vierten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 8.3.7 der Dienstvorschriften und den Grundsatz der Unparteilichkeit gerügt worden sei, zu Unrecht zurückgewiesen. Zunächst habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, soweit es entschieden habe, dass der Disziplinarausschuss weder unangemessen gehandelt noch eine parteiische Recherche durchgeführt habe, als er das Vorbringen des Rechtsmittelführers überprüft habe, dass er seine Rechnungen gewöhnlich in bar begleiche. Die eigentliche Rechtsfrage, die das Gericht hätte prüfen müssen, wäre diejenige gewesen, ob der Disziplinarausschuss nach dem vorgesehenen Verfahren überhaupt berechtigt gewesen sei, diese Überprüfungen vorzunehmen. Das Gericht hätte feststellen müssen, dass dies nicht der Fall gewesen sei, da das Mandat, das der Disziplinarausschuss erhalten habe, nur die Physiotherapierechnungen und die Apothekenquittungen betroffen habe.

86

Der Rechtsmittelführer führt weiter aus, dass sich der Disziplinarausschuss als parteiisch erwiesen habe, dass aus seiner Personalakte keine Informationen hätten hervorgehen können und dass die vom Gericht angeführte Rechtsprechung seine Erwägungen nicht stütze. Im Übrigen habe das Gericht die Akten insofern verfälscht, als der von ihm in Rn. 141 des angefochtenen Urteils angeführte Umstand, dass sein früherer Anwalt bezweifelt habe, dass jeder Zahlung an B eine Abhebung entsprochen habe, in den streitigen Entscheidungen nicht erwähnt worden sei. Das Gericht habe sich an die Stelle des Disziplinarausschusses gesetzt, indem es Gründe angeführt habe, bei denen es sich nicht um diejenigen handele, die für den Disziplinarausschuss ausschlaggebend gewesen seien. Daraus folge, dass die Rechnungen für Nachhilfeunterricht unter Verstoß gegen wesentliche Verfahrenserfordernisse herangezogen worden seien und rechtswidrige Beweise darstellten.

87

Die EZB hält diesen Rechtsmittelgrund für unbegründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

88

Mit seinem vierten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer im Wesentlichen geltend, dass die vom Disziplinarausschuss gewählte Vorgehensweise, um die Rechnungen für Nachhilfeunterricht als Beweise zu erheben, rechtswidrig gewesen sei und dass diese Rechnungen nicht ordnungsgemäß erlangt worden seien. Gemäß der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist ein solches Vorbringen im Rahmen eines Rechtsmittels zulässig.

89

Soweit der Rechtsmittelführer mit diesem Vorbringen rügt, das Gericht habe weder diese Rechtsfrage noch den vor ihm geltend gemachten Klagegrund geprüft, kann dies jedoch keinen Erfolg haben.

90

Aus Rn. 145 des angefochtenen Urteils geht nämlich eindeutig hervor, dass das Gericht zwangsläufig der Ansicht gewesen sein muss, dass der Disziplinarausschuss berechtigt gewesen sei, die Personalakte des Rechtsmittelführers einzusehen und Untersuchungen darin vorzunehmen, und dass die Vorgehensweise, die der Disziplinarausschuss zur Erlangung der Rechnungen für Nachhilfeunterricht gewählt habe, rechtmäßig sei.

91

Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Begründung des Gerichts implizit erfolgen kann, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erkennen, aus denen ihrer Argumentation nicht gefolgt wurde, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann, was hier der Fall ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2017, Ellinikos Chrysos/Kommission, C‑100/16 P, EU:C:2017:194, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

92

Zum anderen weist die fragliche Begründung entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers keinen Rechtsfehler auf.

93

Zwar bezog sich das Mandat des Disziplinarausschusses in der Tat, wie der Rechtsmittelführer im ersten Rechtszug geltend gemacht hatte, auf Physiotherapierechnungen und Apothekenquittungen, doch hat das Gericht insbesondere in den Rn. 136 und 145 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt, dass es nach den Dienstvorschriften Aufgabe des Disziplinarausschusses ist, den Sachverhalt so gründlich wie möglich zu ermitteln und festzustellen, anzugeben, inwieweit der Sachverhalt feststeht, die Schwere des Sachverhalts zu beurteilen und gegebenenfalls eine Strafe vorzuschlagen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe kann der Disziplinarausschuss Zugang zur Personalakte der betroffenen Person benötigen.

94

Entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers hat sich das Gericht mit diesen Feststellungen auch keineswegs an die Stelle des Disziplinarausschusses gesetzt.

95

Im Übrigen beschränkt sich der Rechtsmittelführer darauf, Argumente zu wiederholen, die er bereits vor dem Gericht vorgebracht hat, ohne genau zu erläutern, inwiefern das Gericht bei ihrer Zurückweisung einen Rechtsfehler begangen haben soll. Auf diese Weise versucht er offenbar, eine neue Tatsachen- und Beweiswürdigung durch den Gerichtshof zu erreichen, wofür dieser aber, wie sich aus der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, im Rechtsmittelverfahren nicht zuständig ist, sofern keine Verfälschung vorliegt.

96

Soweit der Rechtsmittelführer tatsächlich eine solche Rüge der Verfälschung erhebt, gibt er entgegen den Anforderungen der in Rn. 73 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nicht genau an, welche Beweise das Gericht verfälscht haben soll, und legt erst recht nicht dar, welche Beurteilungsfehler das Gericht begangen haben soll.

97

Folglich ist der vierte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum fünften Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

98

Mit seinem fünften Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, soweit es den sechsten Klagegrund zurückgewiesen habe, mit dem offensichtliche Beurteilungsfehler gerügt worden seien. Abgesehen davon, dass die Rn. 163 und 164 des angefochtenen Urteils aus den zur Stützung seines dritten Rechtsmittelgrundes angeführten Gründen fehlerhaft seien, habe das Gericht in den Rn. 165, 166 und 173 dieses Urteils insofern einen Rechtsfehler begangen, als der Rechtsmittelführer dargetan habe, dass die EZB zahlreiche Beweise, insbesondere die Aussagen seiner Ehefrau und seiner Töchter, nicht berücksichtigt habe. Entgegen den Ausführungen in Rn. 160 des angefochtenen Urteils habe das Gericht nicht die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta garantierten gerichtlichen Kontrolle gewährleistet, da es den Sachverhalt und den Beweiswert der Beweise nicht umfassend geprüft, die sachliche Richtigkeit, die Zuverlässigkeit und die Kohärenz der Beweise nicht kontrolliert und auch keine eingehende Prüfung der Beweise vorgenommen habe.

99

Die EZB trägt vor, dieser Rechtsmittelgrund sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

100

Wie aus den Rn. 158 bis 162 des angefochtenen Urteils hervorgeht, die im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels nicht beanstandet werden, hat das Gericht den sechsten Klagegrund dahin umgedeutet, dass mit ihm keine offensichtlichen Beurteilungsfehler der EZB in der Begründung der streitigen Entlassungsentscheidung, sondern eine unvollständige Prüfung der Umstände des Falles, Fehler in der Beweiswürdigung und ein Rechtsfehler gerügt werden. Wie sich aus Rn. 160 des angefochtenen Urteils ergibt, war das Gericht der Ansicht, dass eine solche Umdeutung erforderlich sei, weil es gemäß dem Erfordernis der Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta garantierten gerichtlichen Kontrolle u. a. die Aufgabe habe, den Sachverhalt umfassend zu prüfen, die sachliche Richtigkeit, die Zuverlässigkeit und die Kohärenz der angeführten Beweise zu kontrollieren, die Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments umfassend zu überprüfen und die Beweise eingehend zu würdigen.

101

Im Rahmen der Prüfung dieses Klagegrundes hat das Gericht in den Rn. 163 und 164 des angefochtenen Urteils die Rüge des Rechtsmittelführers, die EZB habe die Einstellung der Strafverfolgung in Bezug auf die Rechnungen für Nachhilfeunterricht nicht berücksichtigt, mit der Begründung zurückgewiesen, dass sie sich mit dem dritten und dem siebten Klagegrund überschneide, die für unbegründet erachtet worden seien. In den Rn. 165 und 166 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass der Rechtsmittelführer, soweit er geltend mache, dass die EZB seine Aussagen und die seiner Familie außer Acht gelassen habe, als sie davon ausgegangen sei, dass die Rechnungen der Nachhilfelehrerin C sachlich unrichtig seien, lediglich die von ihm und seiner Ehefrau im Verwaltungsverfahren getätigten Aussagen wiederhole, ohne zu erläutern, weshalb die EZB einen Beurteilungsfehler begangen haben solle, als sie die Aussagen für nicht überzeugend gehalten und festgestellt habe, dass er keinen stichhaltigen Beweis zu ihrer Stützung vorgelegt habe. Außerdem hat das Gericht in Rn. 173 des angefochtenen Urteils das Vorbringen des Rechtsmittelführers als nicht stichhaltig angesehen, soweit er geltend gemacht hatte, die EZB habe verkannt, dass es aufgrund der Verfassung eines seiner Kinder nicht erforderlich gewesen sei, die Kontaktdaten von C zu kennen, um den Unterricht zu organisieren.

102

Soweit der Rechtsmittelführer in seiner Rechtsmittelschrift auf das Vorbringen zur Stützung des dritten Rechtsmittelgrundes verweist, um die Rn. 163 und 164 des angefochtenen Urteils anzugreifen, ist dieses Vorbringen aus ähnlichen Gründen wie den in den Rn. 72 bis 84 des vorliegenden Urteils dargelegten zurückzuweisen.

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Soweit der Rechtsmittelführer ferner die Rn. 165, 166 und 173 des angefochtenen Urteils mit der Begründung beanstandet, die EZB habe zahlreiche Beweise wie seine Aussagen und die seiner Familie nicht berücksichtigt, so ist festzustellen, dass er abgesehen von diesen Aussagen, auf die er allgemein Bezug nimmt, nicht näher angibt, welche Beweise er der EZB oder dem Gericht vorgelegt haben will, die vom Gericht nicht berücksichtigt worden seien. Außerdem wiederholt der Rechtsmittelführer mit diesem Vorbringen lediglich Argumente, die er bereits dem Gericht vorgetragen hat, und versucht in Wirklichkeit, vom Gerichtshof eine neue Würdigung der Tatsachen und Beweise sowie des ihnen vom Gericht beigemessenen Wertes zu erlangen, was aber, wie sich aus der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, von der Kontrollbefugnis des Gerichtshofs nicht gedeckt ist, sofern keine Verfälschung vorliegt. Der Rechtsmittelführer macht aber im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittelgrundes keine solche Verfälschung geltend.

104

Schließlich trägt der Rechtsmittelführer zwar vor, das Gericht habe die umfassende Prüfung, zu der es nach der in Rn. 160 des angefochtenen Urteils angeführten Rechtsprechung verpflichtet gewesen sei, nicht durchgeführt; er beschränkt sich jedoch in seiner Rechtsmittelschrift auf eine allgemeine Behauptung, ohne näher anzugeben, welche Randnummern des angefochtenen Urteils hiervon betroffen sein sollen, und ohne hierzu rechtliche Argumente zu entwickeln. Nach der in Rn. 25 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung müssen in einer Rechtsmittelschrift aber die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die konkreten rechtlichen Argumente, die diesen Antrag stützen, genau bezeichnet werden; andernfalls ist der betreffende Rechtsmittelgrund unzulässig. Folglich ist das fragliche Vorbringen als unzulässig zurückzuweisen.

105

Nach alledem ist der fünfte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

106

Da keiner der Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

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Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

108

Da die EZB die Verurteilung des Rechtsmittelführers beantragt hat und dieser mit seinem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihm neben seinen eigenen Kosten die Kosten der EZB aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

DI trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Zentralbank.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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