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Document 62021CJ0302

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 24. November 2022.
Casilda gegen Banco Cetelem SA.
Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de Primera Instancia de Castellón de la Plana.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Gegenstandslos gewordener Ausgangsrechtsstreit – Erledigung.
Rechtssache C-302/21.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:919

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

24. November 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gegenstandslos gewordener Ausgangsrechtsstreit – Erledigung“

In der Rechtssache C‑302/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia no 4 de Castelló de la Plana (Gericht erster Instanz Nr. 4 von Castelló de la Plana, Spanien) mit Entscheidung vom 7. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2021, in dem Verfahren

Casilda

gegen

Banco Cetelem SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richterin L. S. Rossi, der Richter J.‑C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Banco Cetelem SA, vertreten durch D. Sarmiento Ramírez-Escudero und C. Vendrell Cervantes, Abogados,

der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz, I. Rubene und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts und der Rechtssicherheit, von Art. 120 AEUV sowie von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Verbraucherin Casilda und der Banco Cetelem SA wegen eines revolvierenden Kreditvertrags, den Banco Cetelem mit dieser Verbraucherin geschlossen hat und dessen Zinssatz wucherisch sein soll.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/13

3

Art. 4 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„(1)   Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.

(2)   Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.“

4

Art. 8 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Die Mitgliedstaaten können auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten.“

Richtlinie 2008/48/EG

5

Art. 22 („Harmonisierung und Unabdingbarkeit dieser Richtlinie“) der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66) bestimmt:

„(1)   Soweit diese Richtlinie harmonisierte Vorschriften enthält, dürfen die Mitgliedstaaten keine Bestimmungen in ihrem innerstaatlichen Recht aufrechterhalten oder einführen, die von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verbraucher auf die Rechte, die ihnen mit den innerstaatlichen Vorschriften eingeräumt werden, die zur Anwendung dieser Richtlinie erlassen wurden oder dieser Richtlinie entsprechen, nicht verzichten können.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen ferner sicher, dass die Vorschriften, die sie gemäß dieser Richtlinie verabschieden, nicht durch eine besondere Gestaltung der Verträge umgangen werden können, insbesondere durch die Einbeziehung der Inanspruchnahme von Kreditbeträgen oder von Kreditverträgen, die in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, in Kreditverträge, deren Eigenart oder Zweck es erlauben würde, sie ihrer Anwendung zu entziehen.

…“

Spanisches Recht

Zivilgesetzbuch

6

Nach Art. 1255 des Código civil (Zivilgesetzbuch): „[können d]ie Vertragsparteien … Vereinbarungen, Klauseln und Bedingungen festlegen, die sie für angemessen erachten, soweit sie nicht gegen die Gesetze, die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstoßen“.

Wuchergesetz

7

Art. 1 Abs. 1 der Ley sobre nulidad de los contratos de préstamos usurarios (Gesetz über die Nichtigkeit wucherischer Kreditverträge) vom 23. Juli 1908 (BOE Nr. 206 vom 24. Juli 1908, im Folgenden: Wuchergesetz) bestimmt:

„Ein Kreditvertrag ist nichtig, wenn er einen Zinssatz vorsieht, der deutlich höher ist als üblich und in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den Umständen des Falles steht oder unter solchen Bedingungen vereinbart wurde, dass der Zinssatz unzumutbar ist und Grund zur Annahme besteht, dass er vom Kreditnehmer nur aufgrund seiner Notlage, Unerfahrenheit oder eingeschränkten geistigen Fähigkeiten akzeptiert wurde.“

LGDCU

8

Art. 80 („Voraussetzungen für nicht einzeln ausgehandelte Klauseln“) der Neufassung des Allgemeinen Gesetzes über den Schutz der Verbraucher und Benutzer, die durch das Real Decreto Legislativo 1/2007, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley General para la Defensa de los Consumidores y Usuarios (Königliches Gesetzesdekret 1/2007 zur Billigung der Neufassung des Allgemeinen Gesetzes über den Schutz der Verbraucher und Benutzer) vom 16. November 2007 (BOE Nr. 287 vom 30. November 2007, im Folgenden: LGDCU) gebilligt wurde, bestimmt in Bezug auf diese Voraussetzungen in Buchst. c, dass sie „das Gebot von Treu und Glauben und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien beachten [müssen]“, was in jedem Fall die Verwendung missbräuchlicher Klauseln ausschließt.

9

Art. 82 Abs. 1 LGDCU lautet:

„Als missbräuchlich anzusehen sind alle nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklauseln und alle sich nicht aus einer ausdrücklichen Vereinbarung ergebenden Praktiken, die entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers und Nutzers ein erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursachen.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10

Am 8. April 2011 schloss die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine Verbraucherin, mit Banco Cetelem einen revolvierenden Verbraucherkreditvertrag ab, der einen effektiven Jahreszins von 23,14 % und die Zurverfügungstellung einer Kreditkarte vorsah (im Folgenden: in Rede stehender Kreditvertrag).

11

Diese Verbraucherin klagte beim vorlegenden Gericht, dem Juzgado de Primera Instancia no 4 de Castelló de la Plana (Gericht erster Instanz Nr. 4 von Castelló de la Plana, Spanien), auf Feststellung der Nichtigkeit des in Rede stehenden Kreditvertrags und rügte dabei in erster Linie, bei seinem Abschluss habe es an Transparenz und Informationen hinsichtlich der Festlegung eines effektiven Jahreszinses von 23,14 % gefehlt; hilfsweise trägt sie vor, dieser Zinssatz sei als wucherisch zu erachten. Mit dieser Klage wird außerdem die Verurteilung von Banco Cetelem zur Erstattung der bereits gezahlten Zinsen an der Klägerin des Ausgangsverfahrens begehrt, da Letztere nur zur Rückzahlung der Darlehensvaluta verpflichtet sei.

12

Banco Cetelem bestreitet die fehlende Transparenz und den wucherischen Charakter des in Rede stehenden Kreditvertrags. Hierzu beruft sie sich u. a. auf das eine Auslegung des Wuchergesetzes betreffende Urteil Nr. 149/2020 des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) vom 4. März 2020 (ES:TS:2020:600). Aus diesem Urteil ergebe sich, dass der in dem in Rede stehenden Kreditvertrag vereinbarte Zinssatz nicht als wucherisch angesehen werden könne. Denn nach diesem Urteil sei zur Beurteilung des wucherischen Charakters eines Zinssatzes auf den für die Kategorie des fraglichen Geschäfts angewandten durchschnittlichen Zinssatz abzustellen, wie er in den amtlichen Statistiken der spanischen Nationalbank bekannt gemacht sei. Im vorliegenden Fall liege der in dem in Rede stehenden Kreditvertrag genannte effektive Jahreszins von 23,14 % unter dem durchschnittlichen Zinssatz, der bei dieser Kategorie von Verträgen, d. h. revolvierenden Kreditverträgen, allgemein angewandt werde.

13

Das vorlegende Gericht zweifelt an der Vereinbarkeit der Urteile Nr. 628/2015 vom 25. November 2015 (ES:TS:2015:4810) und Nr. 149/2020 vom 4. März 2020 (ES:TS:2020:600) des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) mit den Grundsätzen des Vorrangs des Unionsrechts und der Rechtssicherheit sowie mit den Richtlinien 93/13 und 2008/48.

14

Das vorlegende Gerichts vertritt die Ansicht, dass die in den genannten Urteilen des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) entwickelten Grundsätze nicht nur den Begriff des Wuchers insofern verfälschten, als sie dessen subjektive Komponente, nämlich die Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers, ausblendeten, sondern dass sie auch mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 unvereinbar seien, da sie – ohne Rechtsgrundlage und außerhalb des Rahmens der Feststellung der Nichtigkeit des Vertrags wegen Wuchers – die gerichtliche Festsetzung bzw. Kontrolle des Preises oder der Kosten des Verbraucherkredits gestatteten. Daher möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits in Einklang mit dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts diese Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) unangewendet lassen muss.

15

Zudem sei diese Rechtsprechung in Anbetracht dessen, dass das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) im Urteil Nr. 149/2020 vom 4. März 2020 (ES:TS:2020:600) entschieden habe, dass ein Gericht die Missbräuchlichkeit der den Zinssatz festsetzenden Klausel nur dann prüfen dürfe, wenn der Verbraucher einen entsprechenden Antrag gestellt habe, auch mit der sich aus der Richtlinie 93/13 ergebenden Pflicht des Gerichts unvereinbar, die Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Verbraucherkreditvertrags von Amts wegen zu prüfen.

16

Schließlich vertritt das vorlegende Gericht die Ansicht, dass das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) in dem genannten Urteil den Beurteilungsspielraum, über den das nationale Gericht bei der Prüfung des etwaigen wucherischen Charakters eines Verbraucherkreditvertrags verfüge, dadurch eingeschränkt habe, dass es hierfür Kriterien festgelegt habe, die weder objektiv noch präzise seien, und damit gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen habe, wie die widersprüchliche Rechtsprechung der nationalen Gerichte zeige. Diese Rechtsunsicherheit sei mit dem mit der Richtlinie 2008/48 und mit Art. 120 AEUV verfolgten Ziel des wirksamen Funktionierens des Binnenmarkts für Verbraucherkredite unvereinbar.

17

Unter diesen Umständen hat der Juzgado de Primera Instancia no 4 de Castelló de la Plana (Gericht erster Instanz Nr. 4 von Castelló de la Plana) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

a)

Hat nach dem Grundsatz des „Vorrangs“ des Unionsrechts im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union, insbesondere im Rahmen der Regulierung der Verbraucherkredite und Verbraucherkreditverträge, das nationale Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob die zum Wuchergesetz als nationaler Rechtsnorm ergangene Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) insoweit mit dem Unionsrecht vereinbar ist, als sie nicht nur die Ungültigkeit des abgeschlossenen Vertrags, sondern auch die Festlegung des „Hauptgegenstands“ des Verbraucherkreditvertrags als revolvierender Kreditvertrag und die Angemessenheit des „Preis-Leistungs-Verhältnisses“ der erbrachten Leistung betrifft, oder ist im Gegenteil, wie das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) erklärt, diese Pflicht zur Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht und seinen Richtlinien durch den Klageantrag bedingt bzw. diesem untergeordnet (Dispositionsgrundsatz) mit der Folge, dass, wenn ein Anspruch aus einer nationalen Vorschrift „allein oder hauptsächlich“ auf die Nichtigkeit des Verbraucherkredits wegen Wuchers gestützt wird, der Vorrang des Unionsrechts und seine harmonisierende Wirkung „nicht zum Tragen kommen“, selbst wenn die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung und Anwendung des genannten Wuchergesetzes die Festlegung des Hauptgegenstands und die Angemessenheit des Preis-Leistungs-Verhältnisses des Verbraucherkredits betrifft, der Gegenstand des vom nationalen Gericht zu entscheidenden Rechtsstreits ist?

b)

Verstößt es im Hinblick auf den Vorrang und die harmonisierende Wirkung des Unionsrechts im Regulierungsrahmen der Verbraucherkredite und Verbraucherkreditverträge, auf den Umstand, dass in der Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) in zahlreichen Urteilen wiederholt festgestellt worden ist, dass die in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vorgesehene „Ausnahme“ als harmonisierte Norm in vollem Umfang in spanisches Recht umgesetzt wurde und das nationale Gericht die Preise somit nicht zu prüfen hat, auf den Umstand, dass im spanischen Rechtssystem – einschließlich des Wuchergesetzes – keine Rechtsvorschrift existiert, die eine gerichtliche Überprüfung der Preise erlauben oder eine allgemeine Rechtsgrundlage dafür bilden würde, und auf den Umstand, dass ferner nicht geprüft wurde, ob es der den Preis des Verbraucherkredits regelnden Klausel möglicherweise an Transparenz fehlt, gegen Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13, wenn das nationale Gericht in Anwendung des genannten Wuchergesetzes und außerhalb seiner natürlichen Zuständigkeit im Rahmen der Feststellung der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags aufgrund einer Ermächtigung „ex novo“ eine „gerichtliche Überprüfung“ des Hauptgegenstands des Vertrags vornimmt und allgemein entweder den Preis des Verbraucherkredits in Bezug auf seinen Kreditzinssatz (Nominalzinssatz) bzw. die Kosten des Verbraucherkredits in Form des effektiven Jahreszinses bestimmt?

c)

Ist in Einklang mit den vorstehenden Ausführungen und unter Berücksichtigung des durch den AEU-Vertrag geschaffenen harmonisierenden rechtlichen Rahmens – insbesondere im Bereich der Zuständigkeiten der Union in Bezug auf das Funktionieren des Binnenmarkts – eine Kontrolle und allgemeine Festlegung des Preises oder der Kosten von Verbraucherkrediten durch das nationale Gericht, ohne dass eine nationale Regelung dies ausdrücklich regelt, mit dem in Art. 120 AEUV verankerten Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft und dem Grundsatz der Vertragsfreiheit der Parteien vereinbar?

2.

Verstößt nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts in dem Bereich, für dessen Harmonisierung die Union zuständig ist, insbesondere im Bereich der Richtlinien zur Regelung der Verbraucherkredite und der Verbraucherkreditverträge, im Hinblick darauf, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit eine Voraussetzung für das ordnungsgemäße und wirksame Funktionieren des Binnenmarkts für Verbraucherkredite darstellt, eine Begrenzung des effektiven Jahreszinses, der dem Verbraucher in Verbraucherkreditverträgen allgemein auferlegt werden kann, die durch das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) für den Zweck der Bekämpfung von Wucher vorgenommen wird und nicht auf objektiven und präzisen Kriterien beruht, sondern auf einem bloß annäherungsweise festgelegten Kriterium, so dass es dem Ermessen jedes nationalen Gerichts überlassen bleibt, den konkreten Wert dieser Begrenzung zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu bestimmen, gegen den genannten Grundsatz der Rechtssicherheit?

Verfahren vor dem Gerichtshof

18

Das vorlegende Gericht hat beantragt, die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Zur Stützung seines Antrags hat das vorlegende Gericht ausgeführt, die Vorlagefragen hätten erhebliche Auswirkungen auf den aktuellen Kontext des Finanzmarkts für Verbraucherkredite.

19

Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

20

Was insoweit den Umstand betrifft, dass die von der vorliegenden Rechtssache aufgeworfenen Fragen potenziell eine große Zahl von Staatsangehörigen und Rechtsverhältnissen betreffen, ist darauf hinzuweisen, dass das in dieser Bestimmung vorgesehene beschleunigte Verfahren ein Verfahrensinstrument ist, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2022, Veridos, C‑669/20, EU:C:2022:684, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21

Die beträchtliche Zahl von Personen oder Rechtsverhältnissen, die möglicherweise von der Entscheidung betroffen sind, die ein vorlegendes Gericht zu treffen hat, nachdem es den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, kann aber als solche keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen, der die Anwendung eines beschleunigten Verfahrens rechtfertigen könnte (Urteil vom 3. März 2022, Presidenza del Consiglio dei Ministri u. a. [Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt], C‑590/20, EU:C:2022:150, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22

Unter diesen Umständen hat der Präsident des Gerichtshofs am 12. Mai 2021 nach Anhörung der Berichterstatterin und des Generalanwalts entschieden, diesem Antrag nicht stattzugeben.

Die nach der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens eingetretenen Entwicklungen

23

Mit Schreiben vom 1. August 2022 hat Banco Cetelem dem Gerichtshof unter Vorlage von Unterlagen zum einen mitgeteilt, dass am 29. April 2021 beim vorlegenden Gericht ein Anerkenntnis eingereicht worden sei, mit dem Banco Cetelem alle Ansprüche der Klägerin des Ausgangsverfahrens anerkannt habe. Zum anderen legt Banco Cetelem dar, die Parteien des Ausgangsverfahrens hätten einen Vergleich geschlossen, mit dem die Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen Zahlung des geforderten Betrags durch Banco Cetelem auf die Weiterverfolgung all ihrer Anträge verzichte. Diesem Schreiben waren eine Kopie des am 10. Mai 2021 beim vorlegenden Gericht gestellten Antrags auf gerichtliche Bestätigung dieses Vergleichs und eine Kopie des Belegs vom 12. Mai 2021 über die Zahlung des vereinbarten Betrags beigefügt.

24

Nach dem Wortlaut des genannten Vergleichs wird der in Rede stehende Kreditvertrag beendet und erklärt jede Partei, keine Forderungen gegenüber der anderen Partei mehr zu haben.

25

Auf die Frage des Gerichtshofs, ob eine Beantwortung der Vorlagefragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits immer noch erforderlich sei, hat das vorlegende Gericht in seiner Antwort vom 31. August 2022 darauf hingewiesen, dass es am 7. Mai 2021 entschieden habe, dass das Vorabentscheidungsersuchen ungeachtet des Vergleichs aufrechtzuerhalten sei, da ihm ein offensichtliches Allgemeininteresse zugrunde liege. Ferner hat es am 11. Mai 2021 entschieden, dass dem Antrag auf gerichtliche Bestätigung des Vergleichs solange nicht stattgegeben werden könne, wie das Verfahren in Erwartung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt sei.

Zur Erledigung

26

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Es entspricht jedoch auch ständiger Rechtsprechung, dass das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 44).

28

Ferner kann der Gerichtshof gemäß Art. 100 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung jederzeit feststellen, dass die Voraussetzungen für seine Zuständigkeit nicht mehr erfüllt sind.

29

Im vorliegenden Fall ergibt sich zum einen aus dem von Banco Cetelem dem Gerichtshof übermittelten Schreiben vom 1. August 2022, dass die Parteien des Ausgangsverfahrens einen Vergleich geschlossen haben, mit dem die Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen Zahlung eines Betrags durch Banco Cetelem auf alle Forderungen gegenüber Banco Cetelem aus dem in Rede stehenden Kreditvertrag verzichtet. Wie aus seinem Schreiben vom 31. August 2022 und den ihm beigefügten Unterlagen hervorgeht, wird die Existenz dieses Vergleichs vom vorlegenden Gericht bestätigt.

30

Zum anderen ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht in seinem Schreiben vom 31. August 2022 darauf hingewiesen hat, dass es sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wolle, weil seine Fragen von allgemeinem Interesse seien. Die Antworten könnten eine durch die Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) geschaffene Situation der Rechtsunsicherheit beenden und für die Entscheidung zahlreicher ähnlicher, u. a. bei ihm anhängiger Rechtsstreitigkeiten relevant sein.

31

Allerdings liegt die Rechtfertigung eines Vorabentscheidungsersuchens nach ständiger Rechtsprechung nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist. Stellt sich heraus, dass die vorgelegten Fragen für die in diesem Rechtsstreit zu treffende Entscheidung offensichtlich nicht mehr erheblich sind, muss der Gerichtshof daher feststellen, dass er keine Entscheidung treffen kann (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Insbesondere muss der Gerichtshof in Anbetracht dessen, dass sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Aufbau des Art. 267 AEUV folgt, dass das Vorabentscheidungsverfahren voraussetzt, dass bei den nationalen Gerichten tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sie eine Entscheidung erlassen müssen, bei der das Vorabentscheidungsurteil berücksichtigt werden kann, zu dem Schluss kommen, dass Erledigung eingetreten ist, wenn der Ausgangsrechtsstreit gegenstandslos geworden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. März 1998, Djabali, C‑314/96, EU:C:1998:104, Rn. 21 und 22, sowie Beschluss vom 1. Oktober 2019, YX [Übermittlung eines Urteils an den Mitgliedstaat der Staatsangehörigkeit der verurteilten Person], C‑495/18, EU:C:2019:808, Rn. 19 und 24 bis 26).

33

Auch wenn im vorliegenden Fall der Ausgangsrechtsstreit vor dem vorlegenden Gericht formal noch anhängig ist, da es beschlossen hat, für die Zwecke des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens das Verfahren über diesen Rechtsstreit auszusetzen, ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen, dass die Parteien des Ausgangsverfahrens einen Vergleich geschlossen haben, der durchgeführt wurde, und beim vorlegenden Gericht einen Antrag auf gerichtliche Bestätigung dieses ihre Streitigkeit beendenden Vergleichs gestellt haben. Folglich wäre eine Antwort des Gerichtshofs auf die Fragen des vorlegenden Gerichts diesem von keinerlei Nutzen für dessen Entscheidung über diesen Rechtsstreit, der gegenstandslos geworden ist.

34

Unter diesen Umständen hat sich das Vorabentscheidungsersuchen erledigt.

Kosten

35

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Über das vom Juzgado de Primera Instancia no 4 de Castelló de la Plana (Gericht erster Instanz Nr. 4 von Castelló de la Plana, Spanien) mit Entscheidung vom 7. Mai 2021 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist nicht zu entscheiden.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.

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