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Document 62020CO0089

Beschluss des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 1. Oktober 2020.
Vorabentscheidungsersuchen des Županijski sud u Puli.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 53 Abs. 2 und Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen – Art. 54 – Grundsatz ne bis in idem – Anwendungsbereich – Identität der materiellen Tat – Keine hinreichenden Angaben zum tatsächlichen Zusammenhang und zu den Gründen, aus denen sich die Notwendigkeit einer Antwort auf die Vorlagefrage ergibt – Offensichtliche Unzulässigkeit.
Rechtssache C-89/20.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:771

 BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

1. Oktober 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 53 Abs. 2 und Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen – Art. 54 – Grundsatz ne bis in idem – Anwendungsbereich – Identität der materiellen Tat – Keine hinreichenden Angaben zum tatsächlichen Zusammenhang und zu den Gründen, aus denen sich die Notwendigkeit einer Antwort auf die Vorlagefrage ergibt – Offensichtliche Unzulässigkeit“

In der Rechtssache C‑89/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Županijski sud u Puli (Gespanschaftsgericht Pula, Kroatien) mit Entscheidung vom 17. Februar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Februar 2020, in dem Strafverfahren gegen

GR,

HS,

IT,

INTER CONSULTING d.o.o., in Liquidation,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb (Berichterstatter) sowie der Richter T. von Danwitz und A. Kumin,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux‑Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ).

2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen GR, HS und IT sowie die Inter Consulting d.o.o., in Liquidation, denen vorgeworfen wird, in Kroatien im Rahmen von Handelsgeschäften Untreue begangen, zu deren Begehung angestiftet oder dazu Beihilfe geleistet zu haben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Beitrittsakte

3

Art. 4 Abs. 1 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2012, L 112, S. 21, im Folgenden: Beitrittsakte) lautet:

„Die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands, die in dem dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokoll über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen‑Besitzstand … aufgeführt sind, und die darauf aufbauenden oder anderweitig damit zusammenhängenden Rechtsakte, die in Anhang II aufgeführt sind, sowie alle weiteren vor dem Tag des Beitritts erlassenen Rechtsakte dieser Art sind ab dem Tag des Beitritts für Kroatien bindend und in Kroatien anzuwenden.“

4

Anhang II der Beitrittsakte trägt die Überschrift „Verzeichnis der Bestimmungen des in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen‑Besitzstands und der darauf beruhenden oder anderweitig damit zusammenhängenden Rechtsakte, die ab dem Beitritt für die Republik Kroatien bindend und in der Republik Kroatien anzuwenden sind (nach Artikel 4 Absatz 1 der Beitrittsakte)“. Hierzu sieht Nr. 2 dieses Anhangs vor: „Folgende Bestimmungen des [SDÜ] und zugehörige Schlussakte und gemeinsame Erklärungen …, geändert durch verschiedene der unter Nummer 8 dieses Anhangs aufgeführten Rechtsakte:

… Artikel 54 bis 58 …“

Das SDÜ

5

Art. 54 SDÜ gehört zu Kapitel 3 („Verbot der Doppelbestrafung“) und bestimmt:

„Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.“

Kroatisches Recht

6

Art. 31 Abs. 2 der Verfassung der Republik Kroatien lautet:

„Niemand darf wegen einer Handlung, wegen der er bereits durch eine rechtmäßig erlassene, rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts freigesprochen oder verurteilt worden ist, erneut abgeurteilt oder strafrechtlich verfolgt werden.“

7

Gemäß § 246 Abs. 1 und 2 des Kazneni zakon (Strafgesetzbuch) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung ist Untreue bei Handelsgeschäften eine Wirtschaftsstraftat.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

8

Zum Zeitpunkt des Sachverhalts im Ausgangsverfahren war GR Mitglied der Geschäftsführung der Skiper Hoteli d.o.o. und der Interco Umag d.o.o., Umag (im Folgenden: Interco), aus der in der Folge Inter Consulting hervorging. Außerdem war er Gesellschafter der Rezidencija Skiper d.o.o. sowie an der Alterius d.o.o. beteiligt. HS selbst war der Vorsitzende der Geschäftsführung von Interco und ebenfalls an Alterius beteiligt, während IT Schätzungen des Werts von Immobilien vornahm.

9

Am 28. September 2015 erhob die Županijsko državno odvjetništvo u Puli (Staatsanwaltschaft der Gespanschaft Pula, Kroatien, im Folgenden Staatsanwaltschaft Pula) Anklage gegen GR, HS, IT und Interco. In der Anklageschrift wurde GR und Interco vorgeworfen, Untreue bei Handelsgeschäften im Sinne von § 246 Abs. 1 und 2 des Strafgesetzbuchs in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung begangen zu haben, und HS und IT vorgeworfen, zur Begehung dieser Straftat angestiftet bzw. Beihilfe geleistet zu haben.

10

Aus der Anklageschrift, wie sie im Vorabentscheidungsersuchen wiedergegeben ist, geht hervor, dass GR und HS zwischen Dezember 2004 und Juni 2006 darauf hingewirkt haben, dass Interco Immobilien auf verschiedenen angrenzenden Grundstücken in der Gemeinde Savudrija (Kroatien) erwirbt, auf deren Gebiet Skiper Hoteli ein Bauprojekt für Touristenunterkünfte umsetzen wollte. In der Folge organisierten diese Personen den Kauf dieser Immobilien durch Skiper Hoteli zu einem deutlich über dem Marktwert liegenden Preis, so dass Interco ein unrechtmäßiger Vorteil auf Kosten von Skiper Hoteli verschafft wurde.

11

In der Anklageschrift wird ferner ausgeführt, dass GR und HS zwischen November 2004 und November 2005 auch mit dem Ziel tätig gewesen seien, dass GR sowie andere von ihm vertretene Gesellschaften die von ihm und diesen anderen Gesellschaften an Alterius gehaltenen Gesellschaftsanteile zu einem im Vergleich zu ihrem tatsächlichen Wert deutlich höheren Preis an Skiper Hoteli verkaufen, wobei die von Alterius ursprünglich eingebrachten Vermögenswerte aus Immobilien bestanden hätten, die auf angrenzenden Grundstücken im Gebiet der Gemeinde Savudrija errichtet worden seien. Zu diesem Zweck hätten GR und HS über Rezidencija Skiper und unter Mitwirkung von IT eine Bewertung vornehmen lassen, die den Wert der betreffenden Immobilien übertroffen habe.

12

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Pula wurde von der Strafabteilung des vorlegenden Gerichts, dem Županijski sud u Puli (Gespanschaftsgericht Pula, Kroatien), mit Beschluss vom 5. Mai 2016 zugelassen.

13

In der ersten Anhörung vor dem vorlegenden Gericht beantragten GR und HS die Einstellung des Strafverfahrens, da der Grundsatz ne bis in idem der Strafverfolgung vor diesem Gericht entgegenstehe. Sie machten hierzu geltend, dass sie wegen derselben Tat bereits in Österreich strafrechtlich verfolgt worden seien und dass dieses Strafverfahren durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossen worden sei.

14

In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die österreichischen Strafverfolgungsbehörden tatsächlich Anklage gegen zwei ehemalige Vorstandsmitglieder der Hypo Alpe Adria Bank International AG (im Folgenden: Hypo Alpe Adria Bank), einer in Österreich ansässigen Bank, sowie gegen GR und HS als Komplizen dieser beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder erhoben hätten. Gemäß der Anklage der Staatsanwaltschaft Klagenfurt (Österreich) vor dem Landesgericht Klagenfurt (Österreich) vom 9. Januar 2015, wurde diesen ehemaligen Vorstandsmitgliedern vorgeworfen, Untreue im Sinne des Strafgesetzbuchs begangen zu haben, indem sie zwischen September 2002 und Juli 2005 an Rezidencija Skiper und Skiper Hoteli Kredite in Höhe von insgesamt mindestens 105 Mio. Euro vergeben hätten, ohne dass sie die Anforderungen im Hinblick auf die Einbringung von angemessenem Eigenkapital und die Kontrolle der Verwendung der Mittel beachtet oder berücksichtigt hätten, dass zum einen die Nachweise hinsichtlich der Umsetzung der Projekte gefehlt hätten, die die Gewährung dieser Kredite gerechtfertigt hätten, und dass zum anderen sowohl die Instrumente zur Zahlungsgarantie als auch die Rückzahlungsfähigkeit der betreffenden Gesellschaften unzureichend gewesen seien. GR und HS wurde außerdem vorgeworfen, die ehemaligen Vorstandsmitglieder durch diese Kreditanträge zur Begehung der vorgeworfenen Straftat angestiftet oder Beihilfe geleistet zu haben.

15

Auf Antrag von HS bestätigte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt außerdem mit Schreiben vom 16. Juli 2015 an dessen Anwälte, dass hinsichtlich des Strafverfahrens gegen GR und HS die von ihr eingebrachte Anklage auch den Verkauf von Immobilien an Skiper Hoteli durch Alterius zu einem überhöhten Preis sowie die fragwürdige Zahlung von Projektmanagementkosten umfasst habe.

16

Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. November 2016 wurden die beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Alpe Adria Bank hinsichtlich der ihnen vorgeworfenen Taten teilweise schuldig gesprochen und dafür verurteilt, dass sie einen der Skiper Hoteli gewährten Kredite in Höhe von mehr als 70 Mio. Euro genehmigt hatten. GR und HS wurden hingegen vom Vorwurf freigesprochen, die ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Alpe Adria Bank zur Begehung der ihnen vorgeworfenen Straftaten angestiftet bzw. dazu Beihilfe geleistet zu haben. Dieses Urteil wurde rechtskräftig, nachdem das dagegen beim Obersten Gerichtshof (Österreich) eingelegte Rechtsmittel am 4. März 2019 zurückgewiesen worden war.

17

Im Übrigen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft Pula, die auch mit anderen Straftaten im Zusammenhang mit der Hypo Alpe Adria Bank befasst sei, die Staatsanwaltschaft Klagenfurt im Laufe des Jahres 2014 mehrfach ersucht habe, zu prüfen, ob in Österreich ein Parallelverfahren zu dem in Kroatien geführten Verfahren anhängig sei. In Anbetracht der von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt übermittelten Informationen, die im Wesentlichen mit denen identisch seien, die später in der in Rn. 14 des vorliegenden Beschlusses genannten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Klagenfurt dargelegt wurden, war die Staatsanwaltschaft Pula der Ansicht, dass der von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt und dem Landesgericht Klagenfurt untersuchte Sachverhalt für die Einstufung der Straftat, die Gegenstand des strafrechtlichen Ausgangsverfahrens sei, rechtlich nicht relevant sei, keinen Zusammenhang mit dem in ihrer Anklage vom 28. September 2015 dargelegten Sachverhalt aufweise und somit nicht als bereits abgeurteilt anzusehen sei.

18

Vor diesem Hintergrund hat das Županijski sud u Puli (Gespanschaftsgericht Pula) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Betrifft ein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem nur den in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Pula vom 28. September 2015 geschilderten maßgeblichen Sachverhalt im Verhältnis zu dem in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Klagenfurt vom 9. Januar 2015 und im Tenor des Urteils des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. November 2016, das mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 4. März 2019 bestätigt wurde, genannten maßgeblichen Sachverhalt oder betrifft ein solcher Verstoß auch eine andere Feststellung hinsichtlich

des in der Begründung des Urteils des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. November 2016, das mit Urteil des Obersten Gerichtshofs bestätigt wurde, dargelegten Sachverhalts;

des Sachverhalts, zu dem die Staatsanwaltschaft Klagenfurt ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Personen, insbesondere gegen GR und HS, durchgeführt hat, und der in der Folge nicht in die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Klagenfurt vom 9. Januar 2015 aufgenommen wurde?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

19

Gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn ein Vorabentscheidungsersuchen offensichtlich unzulässig ist, nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.

20

Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

21

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22

Im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 4. Juni 2020, Kancelaria Medius, C‑495/19, EU:C:2020:431, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23

Daraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und tatsächlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann zurückweisen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 4. Juni 2020, Kancelaria Medius, C‑495/19, EU:C:2020:431, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Da die Vorlageentscheidung die Grundlage des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof darstellt, ist es somit unerlässlich, dass das nationale Gericht darin den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsverfahrens darlegt und ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Vorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Vorschriften und der auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Regelung herstellt (Urteil vom 4. Juni 2020, C.F. [Steuerprüfung], C‑430/19, EU:C:2020:429, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

Diese kumulativen Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens sind ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung aufgeführt, von dem das vorlegende Gericht Kenntnis haben sollte und den es sorgfältig zu beachten hat (Urteil vom 7. November 2019, UNESA u. a., C‑80/18 bis C‑83/18, EU:C:2019:934, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Anforderungen sind u. a. in die Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen übernommen worden (ABl. 2019, C 380, S. 1).

26

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die in den Vorlageentscheidungen enthaltenen Informationen es dem Gerichtshof nicht nur ermöglichen, sachdienliche Antworten zu geben, sondern auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit geben, Erklärungen gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gewahrt bleibt, und zwar in Anbetracht der Tatsache, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (vgl. u. a. Urteil vom 20. Dezember 2017, Asociación Profesional Elite Taxi, C‑434/15, EU:C:2017:981, Rn. 25, sowie Beschluss vom 15. Mai 2019, MC, C‑827/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:416, Rn. 35).

27

Im vorliegenden Fall entspricht das Vorabentscheidungsersuchen offensichtlich nicht den in den Rn. 24 und 25 des vorliegenden Beschlusses dargestellten Anforderungen.

28

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht nämlich im Wesentlichen wissen, ob Art. 54 SDÜ dahin auszulegen ist, dass die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem ein Strafverfahren noch anhängig ist, zur Feststellung, ob aufgrund der Identität der materiellen Tat im Rahmen von Strafverfahren in zwei Mitgliedstaaten ein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem vorliegt, nicht nur den in der Anklageschrift der zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaats sowie im Tenor des dort ergangenen rechtskräftigen Urteils beschriebenen Sachverhalt, sondern auch den, der in der Begründung dieses Urteils dargestellt ist, sowie den Sachverhalt, der Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war, aber nicht in die Anklageschrift übernommen wurde, berücksichtigen müssen.

29

Im Hinblick auf die Antwort auf diese Frage ist daran zu erinnern, dass das maßgebliche Kriterium für die Feststellung, ob Art. 54 SDÜ Anwendung findet, das der Identität der materiellen Tat ist, das dahin zu verstehen ist, dass die materiellen Taten, die den Strafverfahren in den beiden betreffenden Mitgliedstaaten zugrunde liegen, einen Komplex von Tatsachen darstellen müssen, die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbunden sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 18. Juli 2007, Kraaijenbrink, C‑367/05, EU:C:2007:444, Rn. 26 bis 28).

30

Damit der Gerichtshof eine sachdienliche Antwort auf die vorgelegte Frage geben kann, ist es erforderlich, dass die tatsächlichen Umstände, die den Strafverfahren in Kroatien bzw. Österreich zugrunde liegen, sowie die Gründe, aus denen das vorlegende Gericht feststellen könnte, dass diese Umstände untrennbar miteinander verbunden sind, im Vorabentscheidungsersuchen hinreichend klar und genau dargelegt sind, abgesehen davon, dass es, wie aus der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, nicht Sache des Gerichtshofs, sondern ausschließlich des vorlegenden Gerichts ist, festzustellen, ob eine Identität der materiellen Tat vorliegt oder nicht.

31

Im vorliegenden Fall unterlässt es das vorlegende Gericht aber zum einen, wenigstens in summarischer, aber präziser Form darzulegen, welcher Zusammenhang zwischen dem im Rahmen der jeweiligen Strafverfahren untersuchten Sachverhalt, dem in der Begründung des rechtskräftigen Urteils des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. November 2016 dargestellten Sachverhalt, dem von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt untersuchten Sachverhalt, den diese aber nicht formell in ihre Anklageschrift aufgenommen hat, und den Gründen besteht, aus denen die Staatsanwaltschaft Pula aufgrund von Straftaten ermittelt hat, die mit solchen im Zusammenhang stehen, die bereits Gegenstand eines Strafverfahrens in Österreich gewesen waren. Zum anderen beschränkt sich dieses Gericht darauf, den Inhalt der Anklageschriften der beiden nationalen Staatsanwaltschaften sowie des Tenors des Urteils des Landesgerichts Klagenfurt wiederzugeben, ohne den Sachverhalt in solcher Weise zu erläutern, dass sich daraus ein logischer und verständlicher Überblick ergäbe. Daraus folgt, dass das vorlegende Gericht den maßgeblichen Sachverhalt oder die tatsächlichen Umstände, auf denen die Vorlagefrage beruht, insgesamt nicht hinreichend klar und genau dargestellt und somit die in Art. 94 Buchst. a der Verfahrensordnung verankerte Voraussetzung nicht erfüllt hat.

32

Im Übrigen hat das vorlegende Gericht dadurch, dass es sich damit begnügt hat, das Vorbringen von GR und HS, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem vorliege, zusammenfassend wiederzugeben, ohne im Hinblick auf die Dokumente, auf die von diesen beiden Personen verwiesen wurde, auszuführen, inwieweit die Identität der materiellen Tat eventuell festzustellen sei, und dadurch, dass es außerdem den Gegenstand der Vorlagefrage weder rechtlich noch im Hinblick auf den maßgeblichen Sachverhalt sowie seine Zweifel hinsichtlich der Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem im Verhältnis zu dem Kriterium der Identität der materiellen Tat und gegebenenfalls zur Rechtsprechung des Gerichtshofs hierzu nicht dargelegt hat, die Gründe für die Vorlage dieser Frage nicht hinreichend klar und genau dargestellt und somit nicht der in Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung verankerten Voraussetzung entsprochen.

33

Nach alledem ist gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung festzustellen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen offensichtlich unzulässig ist.

34

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es dem vorlegenden Gericht unbenommen bleibt, ein neues Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, wenn es dem Gerichtshof alle Angaben zu liefern vermag, die ihm eine Entscheidung über die vorgelegte Frage ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 23. Mai 2019, Trapeza Peiraios, C‑105/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:452, Rn. 17, und vom 11. Juli 2019, Jadransko osiguranje, C‑651/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:613, Rn. 31).

Kosten

35

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) beschlossen:

 

Das vom Županijski sud u Puli (Gespanschaftsgericht Pula, Kroatien) mit Entscheidung vom 17. Februar 2020 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist offensichtlich unzulässig.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Kroatisch.

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