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Document 62020CJ0197

    Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 28. Oktober 2021.
    KAHL G.m.b.H. & Co. K.G. gegen Hauptzollamt Hannover und C. E. Roeper GmbH gegen Hauptzollamt Hamburg.
    Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Hamburg.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Gemeinsamer Zolltarif – Tarifierung – Kombinierte Nomenklatur – Tarifunterpositionen 1521 90 91 und 1521 90 99 – Auslegung der Erläuterungen zur Unterposition 1521 90 99 – Geschmolzenes und vor seiner Einfuhr wieder erstarrtes Bienenwachs.
    Verbundene Rechtssachen C-197/20 und C-216/20.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:892

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

    28. Oktober 2021 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Gemeinsamer Zolltarif – Tarifierung – Kombinierte Nomenklatur – Tarifunterpositionen 15219091 und 15219099 – Auslegung der Erläuterungen zur Unterposition 15219099 – Geschmolzenes und vor seiner Einfuhr wieder erstarrtes Bienenwachs“

    In den verbundenen Rechtssachen C‑197/20 und C‑216/20

    betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidungen vom 14. April 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Mai 2020, in den Verfahren

    KAHL GmbH & Co. KG

    gegen

    Hauptzollamt Hannover (C‑197/20)

    und

    C. E. Roeper GmbH

    gegen

    Hauptzollamt Hamburg (C‑216/20)

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

    unter Mitwirkung der Präsidentin der Dritten Kammer K. Jürimäe in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Neunten Kammer sowie der Richter S. Rodin und N. Piçarra (Berichterstatter),

    Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der KAHL GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt T. Peterka,

    der C. E. Roeper GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Hackert,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Mantl und M. Salyková als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Unterpositionen 15219091 und 15219099 der Kombinierten Nomenklatur (im Folgenden: KN) in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. 1987, L 256, S. 1) in ihren Fassungen aufgrund der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2014 der Kommission vom 16. Oktober 2014 (ABl. 2014, L 312, S. 1) und der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1754 der Kommission vom 6. Oktober 2015 (ABl. 2015, L 285, S. 1).

    2

    Sie ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der KAHL GmbH & Co. KG (im Folgenden: KAHL) und dem Hauptzollamt Hannover (Deutschland) bzw. der C. E. Roeper GmbH (im Folgenden: Roeper) und dem Hauptzollamt Hamburg (Deutschland) über die zolltarifliche Einreihung des von diesen Unternehmen nach Deutschland eingeführten geschmolzenen und erstarrten Bienenwachses.

    Rechtlicher Rahmen

    Internationales Recht

    3

    Das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) wurde mit dem am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossenen Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren im Rahmen der Weltzollorganisation (WZO) eingeführt und mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. 1987, L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt.

    4

    Die von der WZO gemäß den Bestimmungen dieses Übereinkommens ausgearbeiteten Erläuterungen zum HS enthalten in ihrer auf die Sachverhalte der Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung zu „Bienenwachs und andere Insektenwachse[n], auch raffiniert oder gefärbt“, die zur Unterposition 152190 des HS gehören, folgende Hinweise:

    „Bienenwachs ist der Stoff, aus dem die Bienen die sechseckigen Zellen der Honigwaben aufbauen. Im natürlichen Zustand ist es von körniger Struktur, hellgelb, orangefarben oder manchmal braun, mit besonders angenehmem Geruch; gebleicht und gereinigt ist es weiß oder schwach gelb, mit schwachem Geruch.

    Bienenwachs wird hauptsächlich zum Herstellen von Kerzen, Wachstuch, Wachspapier, Kitten oder Bohnermassen verwendet.

    Bienenwachs und andere Insektenwachse gehören hierher roh, auch als Waben, geschmolzen, gepresst oder raffiniert, auch gebleicht oder gefärbt.“

    Unionsrecht

    KN

    5

    Wie sich aus Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 254/2000 des Rates vom 31. Januar 2000 (ABl. 2000, L 28, S. 16) geänderten Fassung ergibt, regelt die von der Europäischen Kommission eingeführte KN die zolltarifliche Einreihung von Waren, die in die Europäische Union eingeführt werden. Sie übernimmt die Positionen und sechsstelligen Unterpositionen des HS, nur die siebte und die achte Stelle bilden eigene Unterteilungen.

    6

    Die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN in deren Teil I Titel I Abschnitt A bestimmen:

    „Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

    1.

    Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

    6.

    Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und – sinngemäß – die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften. Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.“

    7

    Nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung Nr. 254/2000 geänderten Fassung veröffentlicht die Kommission jährlich in Form einer Verordnung die vollständige Fassung der KN zusammen mit den Zollsätzen, wie sie sich aus den vom Rat der Europäischen Union oder von der Kommission beschlossenen Maßnahmen ergeben. Diese Verordnung wird spätestens bis zum 31. Oktober im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und gilt ab dem 1. Januar des darauffolgenden Jahres.

    8

    Auf Grundlage dieser Bestimmung wurden die Durchführungsverordnungen Nr. 1101/2014 und 2015/1754 erlassen, mit denen die KN zum 1. Januar 2015 bzw. 1. Januar 2016 geändert wurde. Am Wortlaut der für die Ausgangsverfahren relevanten Bestimmungen der Nomenklatur hat sich allerdings nichts geändert.

    9

    Teil II der KN („Zolltarif“) enthält in der Fassung, die sich aus diesen beiden Durchführungsverordnungen ergibt, einen Abschnitt III („Tierische und pflanzliche Fette und Öle; Erzeugnisse ihrer Spaltung; Genießbare verarbeitete Fette; Wachse tierischen und pflanzlichen Ursprungs“).

    10

    Unter diesem Abschnitt findet sich in dem ebenso betitelten Kapitel 15 die Position 1521 der KN, die wie folgt gegliedert ist:

    „KN-Code

    Warenbezeichnung

    Vertragsmäßiger Zollsatz (%)

    1521

    Pflanzenwachse (ausgenommen Triglyceride), Bienenwachs, andere Insektenwachse und Walrat, auch raffiniert oder gefärbt:

     

    1521 10 00

    – Pflanzenwachse

    1521 90

    – andere:

     

    1521 90 10

    – – Walrat, auch raffiniert oder gefärbt

     

    – – Bienenwachs und andere Insektenwachse, auch raffiniert oder gefärbt:

     

    1521 90 91

    – – – roh

    frei

    1521 90 99

    – – – andere

    2,5“

    Erläuterungen zur KN

    11

    Die Erläuterungen zur KN werden von der Kommission gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung Nr. 254/2000 geänderten Fassung erlassen.

    12

    In den im Amtsblatt der Europäischen Union vom 4. März 2015 (ABl. 2015, C 76, S. 1) veröffentlichten Erläuterungen heißt es:

    „1521 90 91

    roh

    Hierher gehören z. B. Wachse in Wabenform.

    1521 90 99

    andere

    Hierher gehören Wachse, die geschmolzen, gepresst oder raffiniert, auch gebleicht oder gefärbt sind.“

    Verordnung (EU) Nr. 142/2011

    13

    Nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) Nr. 142/2011 der Kommission vom 25. Februar 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte sowie zur Durchführung der Richtlinie 97/78/EG des Rates hinsichtlich bestimmter gemäß der genannten Richtlinie von Veterinärkontrollen an der Grenze befreiter Proben und Waren (ABl. 2011, L 54, S. 1) gilt für Bienenwachs in Wabenform ein Verbot der Einfuhr und Durchfuhr.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    Rechtssache C‑197/20

    14

    Am 11. Dezember 2015 beantragte KAHL, die Wachse in die Union einführt und verarbeitet, beim Hauptzollamt Hannover eine verbindliche Zollauskunft (im Folgenden: vZTA) zur Einreihung einer Ware, die sie als „Bienenwachs, roh“ bezeichnete und für die sie eine Einreihung in die Unterposition 15219091 der KN vorschlug, die eine Zollbefreiung vorsieht.

    15

    Mit Entscheidung vom 10. Februar 2016 erteilte das Hauptzollamt Hannover KAHL eine vZTA, mit der die in Rede stehende Ware in die Unterposition 15219099 der KN eingereiht wurde, die sich auf „andere“ Bienenwachse bezieht und für die ein Zoll von 2,5 % gilt.

    16

    Nachdem ihr am 22. Februar 2016 eingelegter Einspruch zurückgewiesen worden war, erhob KAHL am 30. August 2017 beim vorlegenden Gericht Klage gegen diese Entscheidung. Zur Stützung ihres Antrags auf Einreihung der in Rede stehenden Ware in die Unterposition 15219091 der KN machte sie geltend, dass die Einreihung eines Bienenwachses nicht vom Grad der vorhandenen Verunreinigungen abhängen könne und dass die Entfernung einiger Fremdstoffe beim Schmelzvorgang insoweit ohne Belang sei.

    17

    Das Hauptzollamt Hannover hält an seiner Auffassung fest, nach der die in Rede stehende Ware, da sie nicht in Wabenform vorliege und nicht die für Wachs in Wabenform typischen Verunreinigungen aufweise, nicht unter die Unterposition 15219091 der KN falle, sondern unter deren Unterposition 15219099.

    18

    Das vorlegende Gericht beschreibt die in Rede stehende Ware als im Ausfuhrland eingeschmolzenes, grob gefiltertes und dann vor der Ausfuhr erstarrtes Bienenwachs, das aus geschmolzenen, nach Bienenwachs riechenden, honiggelben, schnittfesten Bruchstücken von etwa 15 x 5 Zentimetern (cm) und Brocken von etwa 7 x 4 cm mit Rissen und Strukturen bestehe, die beim Erstarren von eingeschmolzenem Wachs entstünden, und das wenige äußerlich anhaftende, dunkle Verunreinigungen aufweise. Es sei nicht aufklärbar, ob es sich hierbei um Fremdstoffe handle, die sich vor dem Einschmelzen im Wachs befunden hätten, oder ob es sich um Verschmutzungen der Formen handle, in denen das flüssige Wachs erkaltet sei. Mit bloßem Auge seien keine Einschlüsse von Fremdkörpern im Wachs sichtbar.

    19

    Das vorlegende Gericht weist außerdem darauf hin, dass es eine Abweichung zwischen den Sprachfassungen der Erläuterungen zur Unterposition 15219099 der KN gebe. Während nämlich in bestimmten Fassungen der Erläuterungen wie denen in spanischer, deutscher, französischer, italienischer, niederländischer, portugiesischer und rumänischer Sprache die Begriffe „gepresst oder raffiniert“ durch den Begriff „geschmolzen“ ergänzt würden, stünden diese ersteren Begriffe in anderen Fassungen der Erläuterungen wie denen in tschechischer, dänischer, englischer, maltesischer, polnischer und schwedischer Sprache allein. Das vorlegende Gericht hält es für erforderlich, den Gerichtshof mit der Frage zu befassen, ob die Erläuterungen zur Unterposition 15219099 der KN in der Sprachfassung anzuwenden sind, die den Begriff „geschmolzen“ enthält.

    20

    Falls der Gerichtshof diese Frage verneinen sollte, käme der Auslegung des Begriffs „roh“ in Unterposition 15219091 der KN für die tarifliche Einreihung von Bienenwachs, das teilweise von Fremdstoffen befreit wurde, entscheidende Bedeutung zu. In Anbetracht der gewöhnlichen Bedeutung dieses Begriffs sowie seiner fachspezifischen Definitionen neigt das vorlegende Gericht dazu, die in Rede stehende Ware in die Unterposition 15219091 der KN einzureihen, zumal eine solche Einreihung auch der Verkehrsauffassung entspreche.

    21

    Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Hamburg (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Sind die Erläuterungen zur Unterposition 15219099 der KN anwendbar, soweit darin das Wort „geschmolzen“ verwendet wird?

    2.

    Falls die erste Frage verneint werden sollte: Ist der Begriff „roh“ im Sinne der Unterposition 15219091 der KN so auszulegen, dass Bienenwachs, das im Ausfuhrland eingeschmolzen worden ist und von dem anlässlich des Einschmelzens Fremdkörper mechanisch abgeschieden wurden, wobei noch Fremdkörper im Bienenwachs verbleiben, in diese Unterposition einzureihen ist?

    Rechtssache C‑216/20

    22

    Roeper führt Bienenwachs in die Union ein, um es an Unternehmen weiterzuverkaufen, die es für die kosmetische und die pharmazeutische Industrie sowie die Lebensmittelindustrie umfangreich raffinieren. Am 7. Januar 2015 meldete sie beim Hauptzollamt Hamburg 800 Sack Bienenwachs zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an.

    23

    Nach Untersuchung einer Probe ging das Hauptzollamt Hamburg davon aus, dass die in Rede stehende Ware als „andere[s]“ Bienenwachs in die Unterposition 15219099 der KN einzureihen sei. Unter diesen Umständen setzte es gegen Roeper einen Betrag von 2614 Euro fest, was einem Zoll von 2,5 % auf die Ware entspricht.

    24

    Nachdem ihr am 1. Dezember 2015 gegen diesen Bescheid eingelegter Einspruch zurückgewiesen worden war, erhob Roeper am 25. September 2017 beim vorlegenden Gericht Klage. Zur Begründung ihres Standpunkts, dass die in Rede stehende Ware „roh[es]“ Bienenwachs darstelle, das in die Unterposition 15219091 der KN einzureihen sei, machte sie geltend, dass der Begriff „geschmolzen“ im Sinne der Unterposition 15219099 der KN nicht lediglich die thermische Behandlung und die mechanische Filterung von Bienenwachs bezeichne, sondern auch die spätere Verarbeitung unter Reinigung und Aussonderung von Inhaltsstoffen umfasse, wobei diese Verarbeitungsschritte erst nach der Einfuhr stattfänden. Roeper zieht außerdem die Heranziehung des Verunreinigungsgrades als Kriterium zur Abgrenzung von „roh[em]“ und „andere[m]“ Bienenwachs in Zweifel.

    25

    Das Hauptzollamt Hamburg hält an seiner Auffassung fest, nach der die in Rede stehende Ware unter die Unterposition 15219099 der KN falle, die sich auf „andere[s]“ Bienenwachs beziehe, und nicht unter die Unterposition 15219091 der KN, die sich auf „roh[es]“ Bienenwachs beziehe.

    26

    Die Begründung des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C‑216/20 entspricht derjenigen des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C‑197/20, wie sie in den Rn. 18 bis 20 des vorliegenden Urteils zusammengefasst ist.

    27

    Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Hamburg (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, die mit den in Rn. 21 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Vorlagefragen in der Rechtssache C‑197/20 übereinstimmen.

    28

    Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 29. Juni 2020 sind die Rechtssachen C‑197/20 und C‑216/20 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

    Zu den Vorlagefragen

    29

    Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die KN dahin auszulegen ist, dass Bienenwachs, das eingeschmolzen worden ist und von dem anlässlich des Einschmelzens ein Teil der Fremdkörper mechanisch abgeschieden wurde und das dann zu Blöcken oder Platten erstarrt ist, unter die Unterposition 15219091 der KN fallen, die sich auf „roh[e]“ Wachse bezieht, oder unter deren Unterposition 15219099, die sich auf „andere“ Wachse bezieht.

    30

    Vorab ist klarzustellen, dass in zeitlicher Hinsicht auf die Ausgangsverfahren die Fassungen der KN anwendbar sind, die sich aus der Durchführungsverordnung 2015/1754, die am 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist, und aus der Durchführungsverordnung Nr. 1101/2014, die am 1. Januar 2015 in Kraft getreten ist, ergeben, da die Rechtssache C‑197/20 auf eine vZTA zurückgeht, die das Hauptzollamt Hannover am 10. Februar 2016 erteilte, und sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑216/20 im Jahr 2015 zugetragen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. September 2016, Schenker, C‑409/14, EU:C:2016:643, Rn. 10, und vom 2. Mai 2019, Onlineshop, C‑268/18, EU:C:2019:353, Rn. 22 bis 24). Wie in Rn. 8 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat sich am Wortlaut der für die Ausgangsverfahren einschlägigen Bestimmungen der Nomenklatur allerdings nichts geändert.

    31

    Zur erbetenen Auslegung der KN ist darauf hinzuweisen, dass nach den Allgemeinen Vorschriften zu ihrer Auslegung der Wortlaut der Positionen und Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln der KN maßgebend ist. Im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit ist das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der KN-Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Der Verwendungszweck des Erzeugnisses kann ein objektives Einreihungskriterium sein, sofern er dem Erzeugnis innewohnt, was anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses zu beurteilen ist (Urteil vom 3. Juni 2021, Flavourstream, C‑822/19, EU:C:2021:444, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    32

    Des Weiteren hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Erläuterungen zur KN und zum HS zwar nicht verbindlich sind, aber wichtige Hilfsmittel für die Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs darstellen und als solche wertvolle Hinweise für dessen Auslegung liefern (Urteil vom 18. Juni 2020, Hydro Energo, C‑340/19, EU:C:2020:488, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    33

    Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung kann die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den übrigen Sprachfassungen beanspruchen, da die Vorschriften des Unionsrechts im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden müssen (vgl. u. a. Urteil vom 24. März 2021, A, C‑950/19, EU:C:2021:230, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    34

    Was die in den Ausgangsverfahren einschlägigen Bestimmungen der KN betrifft, gliedert sich die Position 1521, die „Pflanzenwachse (ausgenommen Triglyceride), Bienenwachs, andere Insektenwachse und Walrat, auch raffiniert oder gefärbt“ umfasst, in zwei Unterpositionen, nämlich die Unterposition 15211000 („Pflanzenwachse“) und die Unterposition 152190 („andere“). Zu den Erzeugnissen, die unter letztere Unterposition fallen, gehören u. a. „Bienenwachs und andere Insektenwachse, auch raffiniert oder gefärbt“. Für diese sind zwei Unterpositionen der KN vorgesehen, und zwar Unterposition 15219091 („roh“) und Unterposition 15219099 („andere“). Bei der zuletzt genannten handelt es sich, wie sich ihrem Wortlaut entnehmen lässt, um eine Auffangunterposition, die Bienenwachs und andere Insektenwachse abdeckt, die nicht unter die Unterposition 15219091 der KN fallen.

    35

    Die Bestimmungen der KN enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, bis zu welchem Verarbeitungsgrad Bienenwachs oder andere Insektenwachse die Eigenschaft „roh“ für die Einreihung in die Unterposition 15219091 der KN behalten und ab welchem Verarbeitungsgrad diese Wachse als „andere“ Wachse in die Unterposition 15219099 der KN einzureihen sind. In Ermangelung einer entsprechenden Präzisierung in der KN ist auf die gewöhnliche Bedeutung des Begriffs „roh“ im allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen, mit dem etwas bezeichnet wird, das sich in seinem natürlichen Zustand befindet und noch nicht behandelt oder verarbeitet wurde.

    36

    Insoweit ist aufgrund der gewöhnlichen Bedeutung des Begriffs „roh“ im allgemeinen Sprachgebrauch, auf den gemäß der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit und der Erleichterung von Zollkontrollen abzustellen ist, eine Auslegung der Unterposition 15219091 der KN dahin geboten, dass Wachse, die einer thermischen Behandlung unterzogen wurden, bei der ein Teil der Fremdstoffe abgeschieden wurde und die den ersten Schritt des Prozesses der Verarbeitung und Raffination dieser Wachse bildet, nicht unter den Begriff von „roh[en]“ Wachsen und damit nicht unter diese Unterposition fallen.

    37

    Eine solche Auslegung der Unterposition 15219091 der KN wird durch die Erläuterungen zum HS für dessen Unterposition 152190 bestätigt, die in ihrer amtlichen Fassung in französischer Sprache, wie auch u. a. in ihrer Fassung in deutscher Sprache, klarstellen, dass hierunter „Bienenwachs und andere Insektenwachse“ fallen, „roh, auch als Waben, geschmolzen, gepresst oder raffiniert, auch gebleicht oder gefärbt“. Die Aufzählung der Wachse in geschmolzener Form unter anderen Wachsen, die durch Pressung oder Raffination Verarbeitungsschritte durchlaufen haben, zeigt, dass geschmolzene Wachse nicht als „roh[e]“ Wachse angesehen werden.

    38

    Es trifft zwar zu, dass der Begriff „geschmolzen“ („melted“) in der amtlichen Fassung der Erläuterungen zum HS zu deren Unterposition 152190 in englischer Sprache fehlt, in der sich lediglich die Begriffe „pressed or refined“ finden. Aus der Unterscheidung, die in dieser Fassung wie auch in der amtlichen Fassung der Erläuterungen in französischer Sprache zwischen „roh[en]“ Wachsen einerseits und „gepresst[en] oder raffiniert[en], auch gebleicht[en] oder gefärbt[en]“ Wachsen vorgenommen wird, ergibt sich allerdings, dass unbehandelte oder unverarbeitete Wachse von Wachsen zu unterscheiden sind, die zu ihrer Verarbeitung einer chemischen oder nichtchemischen Behandlung unterzogen wurden.

    39

    Die in Rn. 36 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung wird zudem durch die Erläuterungen zur KN bestätigt. Dort wird klargestellt, dass zur Unterposition 15219091„z. B. Wachse in Wabenform“ und zur Unterposition 15219099„Wachse, die geschmolzen, gepresst oder raffiniert, auch gebleicht oder gefärbt sind“ gehören. Schon aus dem Wortlaut dieser Erläuterungen in den Sprachfassungen, in denen der Begriff „geschmolzen“ aufgeführt ist, d. h. zumindest in den Fassungen in spanischer, deutscher, französischer, italienischer, niederländischer, portugiesischer und rumänischer Sprache, ergibt sich, dass Wachse, die einer Behandlung durch ein Schmelzverfahren unterzogen wurden, zur Unterposition 15219099 der KN gehören.

    40

    Auch wenn der Begriff „geschmolzen“ in anderen Sprachfassungen der Erläuterungen zur KN, wie den Fassungen in tschechischer, dänischer, englischer, maltesischer, polnischer und schwedischer Sprache fehlt, kann die Unterposition 15219091 selbst bei einer solchen Abweichung zwischen den Sprachfassungen der Erläuterungen nicht dahin ausgelegt werden, dass Bienenwachs, das den in den Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts genannten Verfahren unterzogen wurde, zu dieser Unterposition gehört.

    41

    Zunächst liegt Bienenwachs, das derartigen Verfahren unterzogen wurde, im Gegensatz zu den in den Erläuterungen zur Unterposition 15219091 der KN genannten Wachsen „in Wabenform“ nicht in seinem natürlichen Zustand vor, wie es der Wortlaut dieser Unterposition unter Berücksichtigung der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Zielsetzung verlangt.

    42

    Sodann schließt der Wortlaut der Erläuterungen zur Unterposition 15219099 der KN, die sich auf „andere“ Wachse bezieht, in sämtlichen Sprachfassungen dieser Erläuterungen „gepresst[e] oder raffiniert[e], auch gebleicht[e] oder gefärbt[e]“ Wachse ein und bezeichnet somit Erzeugnisse, die im Hinblick auf ihre Verarbeitung einer Behandlung unterzogen wurden. Daher kann diese Unterposition entgegen dem Vortrag der Klägerinnen der Ausgangsverfahren nicht restriktiv dahin ausgelegt werden, dass sie sich nur auf Behandlungen bezöge, die die Substanz oder die stoffliche Zusammensetzung des Wachses veränderten und von einer bloßen thermischen Behandlung zu unterscheiden seien, die die Substanz oder die stoffliche Zusammensetzung unberührt lasse.

    43

    Schließlich lässt sich den Erläuterungen zu den Unterpositionen 15219091 und 15219099 der KN kein Hinweis darauf entnehmen, dass für die Einreihung in die eine oder die andere dieser Unterpositionen zwischen Verfahren zu unterscheiden wäre, die die Substanz oder die stoffliche Zusammensetzung der Wachse verändern – wodurch ein unter die zweite Unterposition fallendes Erzeugnis entstünde – und Verfahren, die keine solche Veränderung mit sich bringen – was zu einem Erzeugnis führen würde, das unter die erste Unterposition fiele. Der Wortlaut der Erläuterungen zur Unterposition 15219091 der KN legt vielmehr nahe, dass diese Unterposition restriktiv zu verstehen ist, so dass Wachse, die im Hinblick auf ihre Verarbeitung oder Raffination irgendeiner Behandlung unterzogen wurden, von ihr auszunehmen und daher als „andere“ Wachse unter die Unterposition 15219099 der KN einzureihen sind.

    44

    Im vorliegenden Fall lässt sich den Vorlageentscheidungen entnehmen, dass es sich bei den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnissen um Bienenwachs handelt, das eingeschmolzen wurde und von dem anlässlich des Einschmelzens ein Teil der Fremdkörper mechanisch abgeschieden wurde, bevor es dann erneut auf bis zu 120 Grad Celsius erhitzt und durch Siebe, Moskitonetze oder einfache Baumwolltücher in Formen gegossen wurde, in denen es zu Blöcken oder Platten erstarrt ist. Solches Wachs, das zu seiner Verarbeitung unterschiedlichen Behandlungen wie z. B. Schmelz- und Filterverfahren unterzogen wurde, liegt aber nicht in seinem natürlichen Zustand vor, so dass seine Einreihung als „roh[es]“ Wachs in die Unterposition 15219091 der KN ausscheidet. Folglich fällt solches Wachs unter die Unterposition 15219099 der KN.

    45

    Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die KN dahin auszulegen ist, dass Bienenwachs, das eingeschmolzen worden ist und von dem anlässlich des Einschmelzens ein Teil der Fremdkörper mechanisch abgeschieden wurde und das dann zu Blöcken oder Platten erstarrt ist, unter die Unterposition 15219099 der KN fällt, die sich auf „andere“ Wachse bezieht, und nicht unter die Unterposition 15219091 der KN, die sich auf „roh[e]“ Wachse bezieht.

    Kosten

    46

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in ihren Fassungen aufgrund der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2014 der Kommission vom 16. Oktober 2014 und der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1754 der Kommission vom 6. Oktober 2015 ist dahin auszulegen, dass Bienenwachs, das eingeschmolzen worden ist und von dem anlässlich des Einschmelzens ein Teil der Fremdkörper mechanisch abgeschieden wurde und das dann zu Blöcken oder Platten erstarrt ist, unter die Unterposition 15219099 dieser Nomenklatur fällt, die sich auf „andere “ Wachse bezieht, und nicht unter Unterposition 15219091 dieser Nomenklatur, die sich auf „roh[e] “ Wachse bezieht.

     

    Jürimäe

    Rodin

    Piçarra

    Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. Oktober 2021.

    Der Kanzler

    A. Calot Escobar

    Der Präsident

    K. Lenaerts


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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