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Document 62020CC0665

Schlussanträge des Generalanwalts G. Hogan vom 15. April 2021.
X.
Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Amsterdam.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss 2002/584/JI – Europäischer Haftbefehl – Gründe, aus denen die Vollstreckung abgelehnt werden kann – Art. 4 Nr. 5 – Gesuchte Person, die wegen derselben Handlung in einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist – Sanktion, die bereits vollstreckt worden ist oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann – Umsetzung – Ermessen der vollstreckenden Justizbehörde – Begriff ‚dieselbe Handlung‘ – Straferlass durch eine Behörde, die keine Justizbehörde ist, im Rahmen einer allgemeinen Begnadigungsmaßnahme.
Rechtssache C-665/20 PPU.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section ; Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:303

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GERARD HOGAN

vom 15. April 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑665/20 PPU

Openbaar Ministerie

gegen

X

(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Amsterdam [Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäischer Haftbefehl – Rahmenbeschluss 2002/584/JI – Übergabe gesuchter Personen an die ausstellenden Justizbehörden – Art. 4 Nr. 5 – Gründe, aus denen die Vollstreckung abgelehnt werden kann – Gesuchte Person, die wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist – Grundsatz ne bis in idem – Sanktion, die bereits vollstreckt worden ist oder nicht mehr vollstreckt werden kann“

I. Einleitung

1.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ( 2 ) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 ( 3 ) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss 2002/584).

2.

Obwohl die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Europäischen Haftbefehl als umfangreich bezeichnet werden kann, tauchen aufgrund der Vielfalt der Situationen, in denen dieses Instrument eingesetzt wird, immer neue Fragen nach der Tragweite der für seine Anwendung erforderlichen Regeln und Grundsätze auf, wie dieses Vorabentscheidungsersuchen erneut veranschaulicht.

3.

Es ergeht im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in den Niederlanden. Der Haftbefehl wurde am 19. September 2019 vom Amtsgericht Tiergarten (Berlin, Deutschland) zur Strafverfolgung von X wegen schwerer Gewaltkriminalität erlassen, die in Berlin begangen worden sein soll, aber möglicherweise ganz oder zum Teil bereits vom Strafgericht Teheran (Iran) abgeurteilt wurde. X wurde dort zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, wobei ihm die letzten 338 Tage aufgrund einer vom Obersten Führer anlässlich des 40. Jahrestags der iranischen Revolution verkündeten Generalamnestie erlassen wurden.

4.

In diesem besonderen Kontext wird der Gerichtshof ersucht, seine Rechtsprechung zum Ermessen der Justizbehörden zu präzisieren, die mit einem fakultativen Grund für die Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in dem speziellen in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vorgesehenen Fall konfrontiert sind. Ferner soll er sich erstmals zur grenzüberschreitenden Anwendbarkeit des in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 zum Ausdruck kommenden Grundsatzes ne bis in idem und zur Auswirkung eines Straferlasses im Gnadenwege auf die Anwendung dieser Bestimmung äußern.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

5.

In den Erwägungsgründen 6, 10 und 12 des Rahmenbeschlusses 2002/584 heißt es:

„(6)

Der Europäische Haftbefehl im Sinne des vorliegenden Rahmenbeschlusses stellt im strafrechtlichen Bereich die erste konkrete Verwirklichung des vom Europäischen Rat als ‚Eckstein‘ der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung dar.

(10)

Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Anwendung dieses Mechanismus darf nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in Artikel 6 Absatz 1 [EUV] enthaltenen Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom Rat gemäß Artikel 7 Absatz 1 [EUV] mit den Folgen von Artikel 7 Absatz 2 festgestellt wird.

(12)

Der vorliegende Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in Artikel 6 [EUV] anerkannten Grundsätze, die auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen. …“

6.

Art. 1 („Definition des Europäischen Haftbefehls und Verpflichtung zu seiner Vollstreckung“) des Rahmenbeschlusses 2002/584 lautet:

„(1)   Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.

(2)   Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses.

(3)   Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 [EUV] niedergelegt sind, zu achten.“

7.

Art. 3 („Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist“) des Rahmenbeschlusses 2002/584 sieht vor:

„Die Justizbehörde des Vollstreckungsstaats (nachstehend ‚vollstreckende Justizbehörde‘ genannt) lehnt die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ab,

1.

wenn die Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war;

2.

wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Mitgliedstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsmitgliedstaats nicht mehr vollstreckt werden kann;

3.

wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund ihres Alters für die Handlung, die diesem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.“

8.

In Art. 4 („Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann“) des Rahmenbeschlusses 2002/584 heißt es:

„Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verweigern,

5.

wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann;

…“

B.   Niederländisches Recht

9.

Der Rahmenbeschluss 2002/584 wurde durch die Wet tot implementatie van het kaderbesluit van de Raad van de Europese Unie betreffende het Europees aanhoudingsbevel en de procedures van overlevering tussen de lidstaten van de Europese Unie (Gesetz zur Durchführung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten) vom 29. April 2004 ( 4 ), geändert durch das Gesetz vom 22. Februar 2017 ( 5 ) (im Folgenden: OLW), in niederländisches Recht umgesetzt.

10.

Als das Vorabentscheidungsersuchen erging, sah Art. 9 Abs. 1 OLW vor:

„Die Übergabe der betreffenden Person ist nicht zulässig, wenn

d)

sie von einem niederländischen Gericht freigesprochen oder straffrei gestellt wurde oder in Bezug auf sie eine entsprechende rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Drittstaats ergangen ist;

e)

sie durch gerichtliche Entscheidung verurteilt wurde, falls

1.

die verhängte Strafe oder Maßregel bereits vollstreckt wurde;

2.

die verhängte Strafe oder Maßregel nicht mehr vollstreckbar oder weiter vollstreckbar ist;

3.

die Verurteilung in einem Schuldspruch ohne Verhängung einer Strafe oder Maßregel besteht;

4.

die verhängte Strafe oder Maßregel in den Niederlanden vollstreckt wird;

…“

11.

Art. 28 Abs. 2 OLW bestimmte:

„Kommt die Rechtbank [Bezirksgericht] zu dem Ergebnis, … dass die Übergabe nicht gestattet werden kann …, so lehnt sie die Übergabe in ihrer Entscheidung ab.“

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

12.

Am 19. September 2019 erließ das Amtsgericht Tiergarten gegen X einen auf seine Übergabe zur Strafverfolgung wegen Handlungen, die er am 30. Oktober 2012 in Berlin begangen haben soll, gerichteten Europäischen Haftbefehl.

13.

An diesem Tag soll X seine damalige Lebensgefährtin Y und ihre zehnjährige Tochter Z mit einem Messer bedroht und gefesselt haben. Sodann habe er Y vergewaltigt und verstümmelt. Bevor er das Haus von Y verlassen habe, habe er die Zimmer, in denen sich die gefesselten Y und Z befunden hätten, in der Absicht verbarrikadiert, ihren Tod herbeizuführen.

14.

Seine Übergabe wird wegen folgender Straftaten begehrt:

versuchter Mord an seiner Lebensgefährtin;

versuchter Mord an der zum Tatzeitpunkt minderjährigen Tochter seiner Lebensgefährtin;

Vergewaltigung seiner Lebensgefährtin;

schwere Körperverletzung seiner Lebensgefährtin;

vorsätzliche Freiheitsberaubung im Fall seiner Lebensgefährtin;

vorsätzliche Freiheitsberaubung im Fall der minderjährigen Tochter seiner Lebensgefährtin.

15.

Aufgrund dieses Europäischen Haftbefehls wurde X in den Niederlanden festgenommen und am 18. März 2020 dem vorlegenden Gericht vorgeführt. Er teilte diesem Gericht mit, dass er seiner Übergabe an die deutschen Justizbehörden nicht zustimme, und wurde sodann bis zu einer entsprechenden Entscheidung in Haft genommen. Zur Begründung seines Widerstands gegen die Übergabe berief sich X auf den Grundsatz ne bis in idem und machte u. a. geltend, er sei wegen derselben Tat in einem Drittstaat, dem Iran, rechtskräftig verurteilt worden.

16.

Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts wurde X wegen der oben genannten Taten im Iran verurteilt, mit Ausnahme der Freiheitsberaubung von Y, die in ihren materiellen Elementen gleichwohl in die Bewertung des Mordversuchs an Y einbezogen wurde. Am Ende des im Iran durchgeführten Verfahrens wurde X durch rechtskräftiges Strafurteil wegen schwerer Körperverletzung von Y sowie wegen versuchten Mordes von Y und Z verurteilt. Vom Vorwurf der Vergewaltigung von Y und der Freiheitsberaubung von Z wurde er dagegen rechtskräftig freigesprochen.

17.

Nach iranischem Recht musste X nur die höchste der in diesem Land rechtskräftig gegen ihn verhängten Freiheitsstrafen – eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten – verbüßen. X verbüßte den größten Teil davon. Die Reststrafe wurde ihm aufgrund einer vom Obersten Führer anlässlich des 40. Jahrestags der iranischen Revolution verkündeten Generalamnestie erlassen.

18.

Wegen der schweren Körperverletzung von Y wurde X außerdem zur Zahlung einer „Diya“ an Y verurteilt. Aufgrund seiner Zahlungsunfähigkeit wurde ihm gestattet, zunächst eine Anzahlung von 200000000 iranischen Rial (etwa 4245 Euro) und dann Monatsraten in Höhe von 2 % der „Diya“ zu entrichten. Nach der Anzahlung und der ersten Monatsrate wurde X am 5. Mai 2019 im Iran auf freien Fuß gesetzt. Am 7. September 2020 erließen die iranischen Behörden gegen ihn einen Haftbefehl wegen Nichteinhaltung der späteren Zahlungsfristen.

19.

Vor dem vorlegenden Gericht macht X geltend, er sei wegen der Taten, die Gegenstand des Übergabeersuchens gemäß dem gegen ihn ergangenen Europäischen Haftbefehl seien, im Iran verfolgt und rechtskräftig verurteilt worden. Von einem Teil der Vorwürfe sei er rechtskräftig freigesprochen worden, und wegen des anderen Teils sei er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, die er vollständig verbüßt habe. Bei der „Diya“ handele es sich im Übrigen nicht um eine Strafe oder Maßregel, sondern um eine Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz an das Opfer.

20.

Seiner Übergabe an die deutschen Behörden aufgrund des gegen ihn erlassenen Europäischen Haftbefehls stehe daher Art. 9 Abs. 1 Buchst. d und e Nr. 1 OLW entgegen. Art. 9 Abs. 1 OLW unterscheide insbesondere nicht zwischen einem in einem Mitgliedstaat und einem in einem Drittstaat ergangenen rechtskräftigen Urteil. Damit habe der niederländische Gesetzgeber von der den Mitgliedstaaten durch den Rahmenbeschluss 2002/584 eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, die Übergabe abzulehnen, wenn in einem Drittstaat ein rechtskräftiges Urteil ergangen und die Strafe vollständig verbüßt worden sei. Daran seien die niederländischen Gerichte gebunden.

21.

Die Staatsanwaltschaft vertritt dagegen die Auffassung, der von X erhobene Einwand einer früheren Verurteilung im Iran könne nicht durchgreifen. Da es sich um eine Verurteilung in einem Drittstaat handele, müsse das vorlegende Gericht als vollstreckende Justizbehörde gemäß Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 Art. 9 Abs. 1 Buchst. e OLW unangewendet lassen und beurteilen, ob die Verurteilung im Iran aufgrund eines gegenseitigen, auf Übereinkünften oder Rechtspraxis beruhenden Vertrauens für die gegenseitige Anerkennung in Betracht komme. Da es weder diplomatische Beziehungen zur Islamischen Republik Iran noch eine justizielle Zusammenarbeit mit ihr gebe und da zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Union und der Rechtsordnung der Islamischen Republik Iran erhebliche Unterschiede bestünden, fehle ein solches Vertrauen in die iranische Rechtsordnung. Deshalb könne die Verurteilung von X im Iran keinen triftigen Grund für die Ablehnung der Vollstreckung des gegen ihn erlassenen Europäischen Haftbefehls darstellen.

22.

Angesichts dieser konträren Argumentationen äußert das vorlegende Gericht mehrere Zweifel in Bezug auf die Auslegung von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 und seine Umsetzung in niederländisches Recht.

23.

Hierzu führt es aus, Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2002/584 zähle Gründe auf, aus denen die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden könne, während das OLW vorsehe, dass bei Vorliegen solcher Gründe die Vollstreckung abgelehnt werden müsse, ohne dass der vollstreckenden Justizbehörde insoweit ein Ermessen zustehe. Überdies sei fraglich, ob die vom Gerichtshof herausgearbeitete Auslegung des Begriffs „dieselbe Handlung“ in Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 auf die Auslegung dieses Begriffs in Art. 4 Nr. 5 übertragbar sei, obwohl die letztgenannte Bestimmung eine rechtskräftige Verurteilung in einem Drittstaat betreffe, die erstgenannte Bestimmung hingegen eine rechtskräftige Verurteilung in einem anderen Mitgliedstaat. Schließlich sei zu klären, ob ein Gnadenakt wie die Amnestie, die X im Iran gewährt worden sei, dazu führe, dass die gegen ihn verhängte Sanktion im Sinne von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vollstreckt worden sei oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden könne.

24.

Da für die Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande) die Antwort auf die Frage, ob der gegen X erlassene Europäische Haftbefehl vollstreckt werden kann, letztlich von der Auslegung von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 abhängt, hat sie beschlossen, das Verfahren auszusetzen und den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

IV. Vorlagefragen und Eilverfahren vor dem Gerichtshof

25.

Mit Entscheidung vom 7. Dezember 2020, die am gleichen Tag beim Gerichtshof eingegangen ist, hat die Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam) beschlossen, dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen, dass die vollstreckende Justizbehörde, wenn ein Mitgliedstaat beschließt, diese Bestimmung in innerstaatliches Recht umzusetzen, über ein gewisses Ermessen hinsichtlich der Frage verfügen muss, ob die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zu verweigern ist?

2.

Ist der Begriff „dieselbe Handlung“ in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 im gleichen Sinn auszulegen wie in Art. 3 Nr. 2 dieses Rahmenbeschlusses, und, falls nicht, wie ist dieser Begriff in der erstgenannten Bestimmung auszulegen?

3.

Ist die in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 aufgestellte Voraussetzung, dass die Sanktion „bereits vollstreckt worden ist … oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann“, dahin auszulegen, dass darunter eine Situation fällt, in der die gesuchte Person wegen derselben Handlung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die sie teilweise im Urteilsstaat verbüßt hat und die ihr im Übrigen von einer Behörde dieses Staates, die keine Justizbehörde ist, im Rahmen einer allgemeinen, auch für Verurteilte, die wie die gesuchte Person schwere Straftaten begangen haben, geltenden und nicht auf rationalen Erwägungen strafrechtspolitischer Art beruhenden Begnadigungsmaßnahme erlassen wurde?

26.

Das vorlegende Gericht hat ferner beantragt, das in Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehene Eilverfahren anzuwenden.

27.

Es hat diesen Antrag damit begründet, dass die gestellten Fragen die Auslegung des Rahmenbeschlusses 2002/584 beträfen, der zu Titel V des Dritten Teils des AEU-Vertrags gehöre, und hinzugefügt, X sei bis zu einer Entscheidung über seine Übergabe an die deutschen Behörden in Haft genommen worden. Eine rasche Antwort des Gerichtshofs würde sich somit unmittelbar und entscheidend auf die Dauer seiner Inhaftierung auswirken.

28.

Die Fünfte Kammer des Gerichtshofs hat am 17. Dezember 2020 beschlossen, diesem Antrag stattzugeben.

29.

Die Staatsanwaltschaft, X, die niederländische und die deutsche Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der deutschen Regierung haben sie in der Sitzung vom 3. März 2021 mündlich verhandelt.

V. Würdigung

A.   Vorbemerkungen

30.

Wie ich in der Einleitung zu diesen Schlussanträgen ausgeführt habe, gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung zum Rahmenbeschluss 2002/584. Der Rahmen, in dem seine Bestimmungen auszulegen sind, ist mittlerweile bekannt ( 6 ).

31.

Vorab ist daher hervorzuheben, dass das Unionsrecht auf der grundlegenden Prämisse beruht, dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt – und anerkennt, dass sie sie mit ihm teilen –, auf die sich, wie es in Art. 2 EUV heißt, die Union gründet. Diese Prämisse impliziert und rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten in die Anerkennung dieser Werte und damit in die Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden ( 7 ).

32.

Diese beiden Grundsätze – sowohl der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten als auch der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung – haben im Unionsrecht umso grundlegendere Bedeutung, als sie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglichen. Konkret verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die im Unionsrecht anerkannten Grundrechte beachten ( 8 ).

33.

In diesem Kontext soll der Rahmenbeschluss 2002/584 das multilaterale Auslieferungssystem, das auf dem am 13. Dezember 1957 in Paris unterzeichneten Europäischen Auslieferungsübereinkommen beruht, durch ein vereinfachtes und wirksameres System der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der Vollstreckung von Urteilen oder der Strafverfolgung zwischen den Justizbehörden ersetzen. Als erste Konkretisierung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im strafrechtlichen Bereich beruht der Mechanismus des Europäischen Haftbefehls nach den eigenen Worten des Unionsgesetzgebers zwangsläufig auf einem hohen Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten ( 9 ).

34.

Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der, wie u. a. aus dem sechsten Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2002/584 hervorgeht, den „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen darstellt, findet in Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses eine besondere Ausprägung. Dort wird nämlich die Regel aufgestellt, dass die Mitgliedstaaten jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses vollstrecken müssen. Die vollstreckenden Justizbehörden können somit die Vollstreckung eines solchen Haftbefehls grundsätzlich nur aus den im Rahmenbeschluss 2002/584 abschließend aufgezählten Gründen für die Ablehnung der Vollstreckung verweigern. Außerdem kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls nur an die in Art. 5 des Rahmenbeschlusses erschöpfend aufgeführten Bedingungen geknüpft werden. Folglich stellt die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls den Regelfall dar, während ihre Ablehnung als eng auszulegende Ausnahme ausgestaltet ist ( 10 ).

35.

Der Rahmenbeschluss 2002/584 nennt somit ausdrücklich die Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist (Art. 3) oder abgelehnt werden kann (Art. 4 und 4a), sowie die vom Ausstellungsmitgliedstaat in bestimmten Fällen zu gewährenden Garantien (Art. 5) ( 11 ).

36.

Die Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung, auf denen der Rahmenbeschluss beruht, dürfen jedoch keinesfalls die den Betroffenen garantierten Grundrechte beeinträchtigen ( 12 ). Somit ist der Rahmenbeschluss 2002/584 logischerweise so auszulegen, dass seine Vereinbarkeit mit den Erfordernissen der Achtung der Grundrechte der Betroffenen sichergestellt ist, ohne die Wirksamkeit des Systems der gerichtlichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, zu dessen wesentlichen Bausteinen der Europäische Haftbefehl in seiner Ausgestaltung durch den Unionsgesetzgeber gehört, zu beeinträchtigen ( 13 ).

B.   Zur ersten Vorlagefrage

37.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, der sich dafür entscheidet, diese Bestimmung in sein innerstaatliches Recht umzusetzen, verpflichtet ist, der vollstreckenden Justizbehörde ein Ermessen bei der Entscheidung einzuräumen, ob die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls aus dem in dieser Bestimmung genannten Grund abzulehnen ist.

38.

Wie Generalanwalt Bot bereits in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache, in der das Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juni 2017, Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:503), ergangen ist, zusammenfassend dargelegt hat, stellt sich die Frage, was unter dem „fakultativen“ Charakter des Europäischen Haftbefehls zu verstehen ist. Geht es um eine Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, die beinhaltet, dass sie bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2002/584 in ihr innerstaatliches Recht entscheiden können, ob sie die Gründe, aus denen die Vollstreckung abgelehnt werden kann, übernehmen wollen, oder um eine Möglichkeit für die vollstreckende Justizbehörde, die dann bei der Entscheidung, ob sie nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalls ihr Vorliegen bejaht, über ein Ermessen verfügen würde ( 14 )?

39.

Insoweit hat der Gerichtshof zwar mehrfach bestätigt, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, die Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann, in nationales Recht umzusetzen ( 15 ). Inzwischen hatte der Gerichtshof aber auch Gelegenheit, sich zu verschiedenen Fallgruppen, in denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann, zu äußern. Dabei ist er stets der Auslegung gefolgt, wonach die Justizbehörde über ein Ermessen verfügen muss ( 16 ). Im vorliegenden Fall komme ich nach einer Analyse des Wortlauts, des Kontexts und des Ziels von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 zum gleichen Ergebnis.

40.

Erstens weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Nr. 30 der Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:116) entschieden hat, dass nach dem Wortlaut von Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584 die vollstreckende Justizbehörde, wenn ein Mitgliedstaat beschlossen hat, diese Bestimmung in innerstaatliches Recht umzusetzen, gleichwohl über einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Frage verfügen muss, ob die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zu verweigern ist ( 17 ).

41.

Generalanwalt Bot hat seine Prüfung in Nr. 30 seiner Schlussanträge aber nicht auf den Wortlaut von Art. 4 Nr. 6 des Beschlusses 2002/584 beschränkt. Er hat sich zum einen mit der Überschrift von Art. 4 des Rahmenbeschlusses befasst und zum anderen mit dessen Einleitungssatz, der für alle in den Nrn. 1 bis 7 aufgeführten fakultativen Ablehnungsgründe gilt.

42.

Insoweit mag der Hinweis angebracht sein, dass sich das Adjektiv „facultative“ in der Überschrift der französischen Fassung von Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2002/584 auf die „non-exécution“ des Europäischen Haftbefehls bezieht und nicht auf die „motifs“, die dies rechtfertigen können. Fakultativ ist mithin die Ablehnung der Vollstreckung des Haftbefehls, während sie in den in Art. 3 des Rahmenbeschlusses genannten Fällen zwingend ist ( 18 ). Da die Ablehnung fakultativ ist, spiegelt sie notwendigerweise eine bewusste Entscheidung wider und bringt folglich das Ergebnis der angestellten Erwägungen zum Ausdruck.

43.

Außerdem ergibt sich, wie auch Generalanwalt Bot in Nr. 30 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, aus dem Einleitungssatz von Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2002/584, dass die Möglichkeit, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen, unmittelbar den nationalen vollstreckenden Justizbehörden verliehen wird. Während es nämlich im Einleitungssatz von Art. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 heißt, dass die vollstreckende Justizbehörde in den dort genannten Fällen „die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ab[lehnt]“ ( 19 ), bestimmt der Einleitungssatz von Art. 4, dass sie „die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verweigern [kann]“ ( 20 ). Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ergibt sich aus der Wahl des Wortes „kann“, dass die vollstreckende Justizbehörde, wenn ein Mitgliedstaat beschlossen hat, diese Bestimmung in innerstaatliches Recht umzusetzen, gleichwohl über einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Frage verfügen muss, ob die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zu verweigern ist ( 21 ).

44.

Zweitens wird diese Auslegung von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 durch den Kontext bestätigt, in den er sich einfügt. Wie ich im Rahmen meiner Vorbemerkungen ausgeführt habe, stellt nämlich die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls den Regelfall dar, während ihre Ablehnung die Ausnahme ist und als solche eng ausgelegt werden muss ( 22 ). Wäre es zulässig, Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der Weise umzusetzen, dass die vollstreckende Justizbehörde in den dort genannten Fällen verpflichtet wäre, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls zu verweigern, würde dieser Behörde aufgrund des damit verbundenen Automatismus die Möglichkeit genommen, die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen, aufgrund deren sie zu der Auffassung gelangen könnte, dass die Voraussetzungen für die Ablehnung der Übergabe nicht erfüllt seien. Durch die Umwandlung einer bloßen Ablehnungsbefugnis in eine echte Verpflichtung würde mit einer derartigen Bestimmung zugleich die Ausnahme in Form der Ablehnung der Übergabe zur Grundregel gemacht ( 23 ).

45.

Außerdem darf der Gerichtshof im Rahmen der systematischen Auslegung von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 die von Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses erfasste Fallgruppe nicht außer Acht lassen. Die beiden Fallgruppen sind nämlich identisch, abgesehen davon, dass die erste das Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils in einem Drittstaat betrifft, während sich die zweite auf ein rechtskräftiges Urteil in einem Mitgliedstaat bezieht. Wie die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend ausführt, verlöre der Unterschied zwischen beiden Bestimmungen seinen Sinn, wenn die Mitgliedstaaten die von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 erfasste Fallgruppe in einen zwingenden Ablehnungsgrund umwandeln könnten.

46.

Drittens scheint mir auch das mit der Einführung des Europäischen Haftbefehls verfolgte Ziel die Auslegung zu bestätigen, wonach den Justizbehörden ein Ermessen zusteht. Nach Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 soll der Mechanismus des Europäischen Haftbefehls nämlich die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person ermöglichen, damit in Anbetracht des mit dem Rahmenbeschluss verfolgten Ziels die begangene Straftat nicht straflos bleibt, sondern die betreffende Person strafrechtlich verfolgt wird oder die gegen sie verhängte Freiheitsstrafe verbüßt ( 24 ).

47.

Würde Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 so ausgelegt, dass er es den Mitgliedstaaten gestattet, die Justizbehörden zu verpflichten, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls zu verweigern, wenn die gesuchte Person wegen derselben Tat in einem Drittstaat rechtskräftig abgeurteilt wurde (sofern im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann), ohne dass diesen Behörden irgendein Ermessen zustünde, obwohl sich die Rechtsordnung und die Verfahren im Drittstaat erheblich von denen der Mitgliedstaaten unterscheiden können, bestünde die Gefahr, dass die gesuchte Person straflos bliebe. Eine solche Auslegung kann daher nicht als mit dem Rahmenbeschluss 2002/584 vereinbar angesehen werden ( 25 ).

48.

Ebenso wie es den vollstreckenden Justizbehörden im Fall von Art. 4a des Rahmenbeschlusses 2002/584 möglich sein muss, alle Umstände zu berücksichtigen, die es ihnen erlauben, sich zu vergewissern, dass die Übergabe einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl ergangen ist, nicht zu einer Verletzung ihrer Verteidigungsrechte führt, da diese Bestimmung wie Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 einen fakultativen Fall der Ablehnung der Vollstreckung vorsieht ( 26 ), müssen in diesem Zusammenhang die zuständigen Justizbehörden die Möglichkeit haben, alle Umstände zu berücksichtigen, die es ihnen erlauben, sich zu vergewissern, dass die Ablehnung der Übergabe nicht zur Straflosigkeit der gesuchten Person führt.

49.

Ein solches Ermessen ist im Rahmen der Anwendung von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 umso wichtiger, als diese Bestimmung den Grundsatz ne bis in idem auf Urteile der Gerichte von Drittstaaten erstreckt. Anders als im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten sind die dem Mechanismus des Europäischen Haftbefehls zugrunde liegenden Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung aber nicht automatisch auf Drittstaaten übertragbar ( 27 ). Diese Besonderheit steht im Mittelpunkt der zweiten Vorlagefrage, so dass ich dort auf sie eingehen werde.

50.

Im Hinblick darauf und in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen scheint mir aus der wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegung von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 hervorzugehen, dass er dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, der beschließt, diese Bestimmung in seinem innerstaatlichen Recht umzusetzen, verpflichtet ist, der vollstreckenden Justizbehörde ein Ermessen bei der Entscheidung darüber einzuräumen, ob die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls aus dem in dieser Bestimmung genannten Grund abzulehnen ist oder nicht.

C.   Zur zweiten Vorlagefrage

51.

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff „dieselbe Handlung“ in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 ebenso auszulegen ist wie der formal identische Begriff in Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses. Sollte dies nicht der Fall sein, möchte es wissen, wie er zu verstehen ist.

52.

Zunächst ist festzustellen, dass Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 ebenso wie dessen Art. 3 Nr. 2 hinsichtlich des Begriffs „dieselbe Handlung“ nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist. Aufgrund des Erfordernisses einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts kann dieser Begriff daher nicht der Beurteilung durch die Justizbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten anhand ihres nationalen Rechts überlassen bleiben. Er stellt einen autonomen Begriff des Unionsrechts dar ( 28 ).

53.

In Bezug auf den Begriff „dieselbe Handlung“ in Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 hat der Gerichtshof entschieden, dass er dieselbe Bedeutung hat wie der Begriff „dieselbe Tat“ in Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen ( 29 ) (im Folgenden: SDÜ) ( 30 ). Er ist daher dahin auszulegen, dass er nur auf die tatsächliche Handlung abstellt, unabhängig von ihrer rechtlichen Qualifizierung oder dem geschützten rechtlichen Interesse, und einen Komplex konkreter, untrennbar miteinander verbundener Umstände umfasst ( 31 ).

54.

Der Gerichtshof hat diese Identität der Konzepte mit der gemeinsamen Zielsetzung von Art. 54 SDÜ und Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 begründet, die darin besteht, zu vermeiden, dass eine Person wegen derselben Tat bzw. Handlung erneut strafrechtlich verfolgt oder verurteilt wird ( 32 ). Für mich ist nicht ersichtlich, welches andere Ziel sich hinter Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 verbergen könnte, da diese Bestimmung, wie bereits ausgeführt, in jeder Hinsicht Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses entspricht, abgesehen von dem Staat, in dem das frühere Urteil wegen derselben Handlung ergangen ist.

55.

Unter diesen Umständen ist in Anbetracht dieses gemeinsamen Ziels und der vom Gerichtshof anerkannten Notwendigkeit, die Kohärenz zwischen den Auslegungen der verschiedenen Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/584 zu gewährleisten ( 33 ), der Begriff „dieselbe Handlung“ in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses meines Erachtens ebenso auszulegen wie in dessen Art. 3 Nr. 2.

56.

Ich möchte noch hinzufügen, dass kaum Zweifel daran bestehen, dass mit Art. 3 Nr. 2 und Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 der Grundsatz ne bis in idem umgesetzt wird, auch wenn der Unionsgesetzgeber diesen Grundsatz im Rahmenbeschluss nicht ausdrücklich erwähnt hat. Belege dafür sehe ich zum einen in der Überschrift des Kapitels, zu dem Art. 54 SDÜ gehört („Verbot der Doppelbestrafung“), und zum anderen in der identischen Auslegung von Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), mit dem dieser Grundsatz formal in der Charta verankert wird ( 34 ).

57.

Mehr noch als um eine innere Kohärenz des Rahmenbeschlusses 2002/584 geht es somit darum, eine transversale Kohärenz mit dem Unionsrecht zu gewährleisten. Da es sich um einen tragenden Grundsatz des Unionsrechts handelt, der auch in Art. 50 der Charta niedergelegt ist ( 35 ) und nunmehr in so unterschiedlichen Bereichen wie der Mehrwertsteuer ( 36 ), der Bekämpfung von Geldwäsche ( 37 ) oder dem Europäischen Haftbefehl in gleicher Weise ausgelegt wird, kann seine Definition nicht je nach dem in Rede stehenden Rechtsinstrument und erst recht nicht innerhalb ein und desselben Rechtsinstruments variieren. Dies wäre umso widersprüchlicher, um nicht zu sagen anachronistisch, als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte letztlich eine Auslegung des Grundsatzes ne bis in idem gewählt hat, in deren Mittelpunkt das Erfordernis identischer oder im Wesentlichen übereinstimmender Handlungen steht ( 38 ).

58.

Es trifft zu, dass Art. 4 des am 22. November 1984 in Straßburg unterzeichneten Protokolls Nr. 7 zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie andere völkerrechtliche Instrumente ( 39 ), die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem auf Urteile beschränkt, die im selben Staat ergangen sind ( 40 ). Desgleichen heißt es in Art. 50 der Charta, dass niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits „in der Union“ verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Diese eingeschränkte grenzüberschreitende Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem hängt innerhalb der Unionsrechtsordnung damit zusammen, dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens von jedem Mitgliedstaat verlangt, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen davon auszugehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die im Unionsrecht anerkannten Grundrechte beachten ( 41 ). Ich verkenne auch nicht, dass der Gerichtshof im Rahmen des SDÜ die notwendige Verknüpfung zwischen dem in Art. 54 SDÜ verankerten Grundsatz ne bis in idem und dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme hervorgehoben hat ( 42 ).

59.

Auch wenn kein völkerrechtlicher Grundsatz die grenzüberschreitende Anwendung des Prinzips ne bis in idem vorschreibt ( 43 ), verbietet sie meines Wissens jedoch keine Rechtsnorm ( 44 ). Der Unionsgesetzgeber hat aber, indem er in Bezug auf die in Drittstaaten ergangenen Urteile mit dem gleichen Wortlaut wie in Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 einen Grund für die Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls vorgesehen hat, diese Wahl getroffen.

60.

Gleichwohl darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 im Licht seines Art. 1 Abs. 3 auszulegen ist, der vorschreibt, dass bei der Umsetzung des Mechanismus des Europäischen Haftbefehls die Grundrechte und die in Art. 6 EUV niedergelegten allgemeinen Rechtsgrundsätze in vollem Umfang zu achten sind. Die grenzüberschreitende Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem darf daher die Grundrechte der Betroffenen in keiner Weise beeinträchtigen ( 45 ).

61.

Aus einer Gesamtschau dieser beiden Bestimmungen ergibt sich somit, dass die vollstreckende Justizbehörde das rechtskräftige Urteil eines Gerichts eines Drittstaats nur dann berücksichtigen muss, wenn es am Ende eines Verfahrens ergangen ist, bei dem insbesondere die den Mitgliedstaaten gemeinsamen Standards eines fairen Verfahrens gewahrt wurden, die geeignet sind, die Rechte aller Prozessparteien zu gewährleisten ( 46 ).

62.

Die Tatsache, dass Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 einen fakultativen Grund für die Ablehnung der Vollstreckung enthält, während Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses einen zwingenden Ablehnungsgrund vorsieht, hat noch zwei weitere Konsequenzen in Form von Garantien, die geeignet sind, das gegenüber Drittstaaten fehlende gegenseitige Vertrauen auszugleichen.

63.

Zum einen bleibt es letztlich jedem Mitgliedstaat überlassen, ob er Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 umsetzen und den Grundsatz ne bis in idem auf grenzüberschreitende Sachverhalte außerhalb der Union erstrecken möchte ( 47 ). Zum anderen steht, wie ich bei meiner Analyse der ersten Frage des vorlegenden Gerichts dargelegt habe, die konkrete Anwendung der in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vorgesehenen Ausnahme im Ermessen der vollstreckenden Justizbehörde.

64.

Es ist daher Sache der zuständigen Justizbehörde, zu klären, ob das im Drittstaat durchgeführte Verfahren fair abgelaufen ist und ob die materiellen Taten, um die es geht, einen Komplex von Tatsachen darstellen, die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck untrennbar miteinander verbunden sind ( 48 ).

65.

Bei ihrer Beurteilung wird die Justizbehörde schließlich das Ziel des Rahmenbeschlusses 2002/584 zu berücksichtigen haben, das darin besteht, dass die begangene Straftat nicht straflos bleibt, sondern die gesuchte Person entweder strafrechtlich verfolgt wird oder die gegen sie verhängte Freiheitsstrafe verbüßt ( 49 ). Wie bereits ausgeführt, müssen die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/584 nämlich so ausgelegt werden, dass seine Vereinbarkeit mit den Erfordernissen der Achtung der Grundrechte der Betroffenen – zu denen der Grundsatz ne bis in idem gehört – gewährleistet ist, ohne die Wirksamkeit des Systems der gerichtlichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, zu dessen wesentlichen Bausteinen der Europäische Haftbefehl gehört, zu beeinträchtigen ( 50 ).

66.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen komme ich zu dem Ergebnis, dass der Begriff „dieselbe Handlung“ in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in gleicher Weise auszulegen ist wie in Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses. Er ist somit dahin auszulegen, dass er nur auf die tatsächliche Handlung abstellt, unabhängig von ihrer rechtlichen Qualifizierung oder dem geschützten rechtlichen Interesse, und einen Komplex konkreter, untrennbar miteinander verbundener Umstände umfasst.

D.   Zur dritten Vorlagefrage

67.

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vorgesehene Voraussetzung für die Vollstreckung der Strafe dahin auszulegen ist, dass sie erfüllt ist, wenn die gesuchte Person wegen derselben Tat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die sie im Urteilsstaat teilweise verbüßt hat und deren verbleibender Teil ihr von einer Behörde dieses Staates, die keine Justizbehörde ist, im Rahmen einer auch für Verurteilte, die schwere Straftaten begangen haben, geltenden und nicht auf rationalen Erwägungen strafrechtspolitischer Art beruhenden allgemeinen Begnadigungsmaßnahme erlassen wurde.

68.

Es ist wichtig, welcher Sinn dieser Voraussetzung beizumessen ist, denn sie kann einer Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls entgegenstehen. Ist die Strafe nicht im Sinne von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vollstreckt worden, schreibt er nämlich die Rückkehr zum Regelfall, d. h. zur Übergabe des Betroffenen, vor.

69.

Einleitend möchte ich klarstellen, dass ich das rechtliche Phänomen des Gnadenakts in der vom vorlegenden Gericht definierten Weise verstehen werde, d. h. als Maßnahme, die von einer Behörde, die keine Justizbehörde ist, einer Reihe von Verurteilten, die schwere Straftaten begangen haben, gewährt wurde und die nicht auf rationalen Erwägungen strafrechtspolitischer Art beruht. Diese neutrale und allgemeine Herangehensweise an die Definition des Problems erscheint mir in Anbetracht der Vielzahl bestehender Begnadigungsmaßnahmen ( 51 ) und der Variabilität ihrer Definition in den Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten ( 52 ) besonders angebracht.

70.

Nachdem der Prüfungsrahmen in dieser Weise definiert wurde, ist darauf hinzuweisen, dass die Vollstreckungsvoraussetzung in Art. 3 Nr. 2 und in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584, aber auch in Art. 54 SDÜ, den gleichen Wortlaut hat. Zur letztgenannten Bestimmung hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Vollstreckungsvoraussetzung erfüllt ist, wenn sich herausstellt, dass zum Zeitpunkt der Einleitung des zweiten Strafverfahrens gegen dieselbe Person wegen der Tat, die bereits zu einer Verurteilung im ersten Vertragsstaat geführt hat, die dort verhängte Sanktion nach dem Recht dieses Staates nicht mehr vollstreckt werden kann ( 53 ).

71.

Man darf sich jedoch bei der Auslegung von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 nicht mit dieser, auf den Wortlaut von Art. 54 SDÜ gestützten Feststellung begnügen, ohne dessen Kontext und die vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele zu berücksichtigen. Auch wenn nämlich „der Wortlaut einer Bestimmung … stets Ausgangspunkt und zugleich Grenze jeder Auslegung ist“ ( 54 ), sind die übrigen Auslegungsmethoden nur dann fakultativ, wenn der Wortlaut völlig klar und eindeutig ist ( 55 ). Im vorliegenden Fall ist jedoch festzustellen, dass allein anhand des Wortlauts des genannten Artikels der Anwendungsbereich der die Vollstreckung betreffenden Voraussetzung nicht ermittelt werden kann.

72.

Zunächst geht in Bezug auf den Kontext von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 aus dessen Art. 3 Nr. 1 zweifelsfrei hervor, dass dem Unionsgesetzgeber der potenzielle Einfluss von Begnadigungsmaßnahmen auf die Anwendung des Europäischen Haftbefehls nicht verborgen geblieben war.

73.

Nach dieser Bestimmung muss die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ablehnen, wenn die Straftat, aufgrund deren er ergangen ist, im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Mitgliedstaat nach seinem eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war. Der Unionsgesetzgeber hat dies jedoch auf den Fall einer Amnestie im Vollstreckungsmitgliedstaat beschränkt und nur als zwingenden Grund für die Ablehnung der Vollstreckung ausgestaltet. Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 kann deshalb nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Berücksichtigung einer allgemeinen Begnadigungsmaßnahme gestattet, denn nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs enthält der Rahmenbeschluss 2002/584 eine erschöpfende Aufzählung der Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ( 56 ), wobei die Ablehnung der Vollstreckung als eng auszulegende Ausnahme konzipiert ist ( 57 ).

74.

Sodann kann hinsichtlich der vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele darauf hingewiesen werden, dass der Mechanismus des Europäischen Haftbefehls die erste konkrete Verwirklichung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im strafrechtlichen Bereich ist. Der Rahmenbeschluss 2002/584 soll dabei das frühere multilaterale Auslieferungssystem durch ein vereinfachtes und wirksameres System der Übergabe zwischen den Justizbehörden ersetzen ( 58 ). Es handelt sich somit um eine „Justizialisierung“ der Auslieferung: Die Auslieferung ist ein Hoheitsakt, der Europäische Haftbefehl dagegen eine gerichtliche Handlung ( 59 ).

75.

Deshalb wurde mit dem Rahmenbeschluss 2002/584 ein Mechanismus der Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden der Mitgliedstaaten geschaffen ( 60 ), die in diesem Rahmen als Behörden zu verstehen sind, die – unabhängig ( 61 ) – an der Strafrechtspflege mitwirken ( 62 ).

76.

Die Begnadigungsmaßnahme in dem vom vorlegenden Gericht definierten Sinn wird jedoch zum einen von einer Behörde gewährt, die keine Justizbehörde ist, und beruht zum anderen nicht auf Erwägungen strafrechtspolitischer Art. Folglich liefe die Berücksichtigung einer solchen Maßnahme bei der Anwendung von Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 der Philosophie eines Systems zuwider, das den Europäischen Haftbefehl zu einem Instrument der Strafrechtspflege macht und die Justizbehörden der Mitgliedstaaten in den Mittelpunkt seiner Funktionsweise stellt.

77.

Außerdem wäre eine solche Auslegung nicht mit dem Grundsatz ne bis in idem vereinbar, der auf dem Gedanken des gegenseitigen Vertrauens beruht und nur in der Sphäre gerichtlicher Rechtsanwendung zum Tragen kommen kann ( 63 ). Die Justizbehörden sind nämlich am besten in der Lage, nach einer konkreten und individualisierten Analyse die Grundrechte der Betroffenen mit der Wirksamkeit des Systems der gerichtlichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in Einklang zu bringen.

78.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist die in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 aufgestellte Vollstreckungsvoraussetzung meines Erachtens dahin auszulegen, dass sie sich nicht auf den Straferlass erstreckt, der in dem Drittstaat, in dem das rechtskräftige Strafurteil ergangen ist, von einer Behörde dieses Staates, die keine Justizbehörde ist, im Rahmen einer auch für Verurteilte, die schwere Straftaten begangen haben, geltenden und nicht auf rationalen Erwägungen strafrechtspolitischer Art beruhenden allgemeinen Begnadigungsmaßnahme ausgesprochen wurde.

VI. Ergebnis

79.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande) wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der beschließt, diese Bestimmung in seinem innerstaatlichen Recht umzusetzen, verpflichtet ist, der vollstreckenden Justizbehörde ein Ermessen bei der Entscheidung darüber einzuräumen, ob die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls aus dem in dieser Bestimmung genannten Grund abzulehnen ist oder nicht.

2.

Der Begriff „dieselbe Handlung“ in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist in gleicher Weise auszulegen wie in Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses. Er stellt nur auf die tatsächliche Handlung ab und umfasst, unabhängig von ihrer rechtlichen Qualifizierung oder dem geschützten rechtlichen Interesse, einen Komplex konkreter, untrennbar miteinander verbundener Umstände.

3.

Die in Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung aufgestellte Vollstreckungsvoraussetzung ist dahin auszulegen, dass sie sich nicht auf den Straferlass erstreckt, der in dem Drittstaat, in dem das rechtskräftige Strafurteil ergangen ist, von einer Behörde dieses Staates, die keine Justizbehörde ist, im Rahmen einer auch für Verurteilte, die schwere Straftaten begangen haben, geltenden und nicht auf rationalen Erwägungen strafrechtspolitischer Art beruhenden allgemeinen Begnadigungsmaßnahme ausgesprochen wurde.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 2002, L 190, S. 1.

( 3 ) ABl. 2009, L 81, S. 24.

( 4 ) Stb. 2004, Nr. 195.

( 5 ) Stb. 2017, Nr. 82.

( 6 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2020, SF (Europäischer Haftbefehl – Garantie der Rücküberstellung in den Vollstreckungsstaat) (C‑314/18, EU:C:2020:191, Rn. 42).

( 7 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 35), und vom 11. März 2020, SF (Europäischer Haftbefehl – Garantie der Rücküberstellung in den Vollstreckungsstaat) (C‑314/18, EU:C:2020:191, Rn. 35).

( 8 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 36), und vom 17. Dezember 2020, Openbaar Ministerie (Unabhängigkeit der ausstellenden Justizbehörde) (C‑354/20 PPU und C‑412/20 PPU, EU:C:2020:1033, Rn. 35).

( 9 ) Vgl. die Erwägungsgründe 6 und 10 des Rahmenbeschlusses 2002/584. Vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 39 und 40), und vom 11. März 2020, SF (Europäischer Haftbefehl – Garantie der Rücküberstellung in den Vollstreckungsstaat) (C‑314/18, EU:C:2020:191, Rn. 37 und 38).

( 10 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 41), vom 11. März 2020, SF (Europäischer Haftbefehl – Garantie der Rücküberstellung in den Vollstreckungsstaat) (C‑314/18, EU:C:2020:191, Rn. 39), und vom 17. Dezember 2020, Openbaar Ministerie (Unabhängigkeit der ausstellenden Justizbehörde) (C‑354/20 PPU und C‑412/20 PPU, EU:C:2020:1033, Rn. 37).

( 11 ) Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 42), und vom 11. März 2020, SF (Europäischer Haftbefehl – Garantie der Rücküberstellung in den Vollstreckungsstaat) (C‑314/18, EU:C:2020:191, Rn. 40).

( 12 ) Vgl. Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584. Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 10. August 2017, Tupikas (C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 59).

( 13 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. August 2017, Tupikas (C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 63).

( 14 ) Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:116, Nr. 26).

( 15 ) So heißt es u. a. im Urteil vom 5. September 2012, Lopes Da Silva Jorge (C‑42/11, EU:C:2012:517, Rn. 50): „… wenn sie Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in ihr innerstaatliches Recht umsetzen …“ (Hervorhebung nur hier), sowie im Urteil vom 29. Juni 2017, Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:503, Rn. 21): „… wenn ein Mitgliedstaat beschlossen hat, [Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584] in innerstaatliches Recht umzusetzen …“ (Hervorhebung nur hier). Vgl. auch Urteil vom 13. Dezember 2018, Sut (C‑514/17, EU:C:2018:1016, Rn. 33).

( 16 ) Vgl. u. a., zu Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584, Urteile vom 29. Juni 2017, Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:503, Rn. 21), vom 13. Dezember 2018, Sut (C‑514/17, EU:C:2018:1016, Rn. 33), und vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 86 und 99); zu Art. 4a dieses Beschlusses vgl. Urteile vom 24. Mai 2016, Dworzecki (C‑108/16 PPU, EU:C:2016:346, Rn. 50), vom 10. August 2017, Tupikas (C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 96), und vom 17. Dezember 2020, Generalstaatsanwaltschaft Hamburg (C‑416/20 PPU, EU:C:2020:1042, Rn. 51).

( 17 ) Urteil vom 29. Juni 2017, Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:503, Rn. 21).

( 18 ) Vgl. in diesem Sinne die Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:116, Nr. 30).

( 19 ) Hervorhebung nur hier.

( 20 ) Hervorhebung nur hier.

( 21 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2018, Sut (C‑514/17, EU:C:2018:1016, Rn. 33).

( 22 ) Siehe oben, Nr. 34 und die in Fn. 10 angeführten Fundstellen.

( 23 ) Vgl. in diesem Sinne, zu Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584, die Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:116, Nr. 31).

( 24 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2020, SF (Europäischer Haftbefehl – Garantie der Rücküberstellung in den Vollstreckungsstaat) (C‑314/18, EU:C:2020:191, Rn. 47).

( 25 ) Vgl. in diesem Sinne, zu Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584, Urteil vom 29. Juni 2017, Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:503, Rn. 23). Vgl. auch, für eine Bestätigung und eine Anwendung des Grundsatzes, wonach die Straflosigkeit der gesuchten Person mit dem Ziel, das mit dem Rahmenbeschluss 2002/584 verfolgt wird, unvereinbar wäre, Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 82 und 103).

( 26 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. August 2017, Tupikas (C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 96), und vom 17. Dezember 2020, Generalstaatsanwaltschaft Hamburg (C‑416/20 PPU, EU:C:2020:1042, Rn. 51). Vgl. auch, in Bezug auf die Auswirkung des Vorliegens eines Falls der fakultativen Ablehnung der Vollstreckung – konkret von Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584 – auf die Notwendigkeit, den Justizbehörden ein Ermessen einzuräumen, Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 86 und 99).

( 27 ) Vgl. in diesem Sinne die Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache JR (Haftbefehl – Verurteilung in einem EWR-Drittstaat) (C‑488/19, EU:C:2020:738, Nr. 34).

( 28 ) Vgl. entsprechend, zum Begriff „dieselbe Handlung“ in Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584, Urteil vom 16. November 2010, Mantello (C‑261/09, EU:C:2010:683, Rn. 38).

( 29 ) ABl. 2000, L 239, S. 19.

( 30 ) Urteil vom 16. November 2010, Mantello (C‑261/09, EU:C:2010:683, Rn. 40).

( 31 ) Urteil vom 16. November 2010, Mantello (C‑261/09, EU:C:2010:683, Rn. 39).

( 32 ) Urteil vom 16. November 2010, Mantello (C‑261/09, EU:C:2010:683, Rn. 40).

( 33 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2016, Özçelik (C‑453/16 PPU, EU:C:2016:860, Rn. 33).

( 34 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. März 2018, Menci (C‑524/15, EU:C:2018:197, Rn. 25, 34 und 35). Im Übrigen nimmt der Gerichtshof in Rn. 35 dieses Urteils u. a. auf die Rn. 39 und 40 des die Auslegung von Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 betreffenden Urteils vom 16. November 2010, Mantello (C‑261/09, EU:C:2010:683), Bezug.

( 35 ) Urteil vom 25. Februar 2021, Slovak Telekom (C‑857/19, EU:C:2021:139, Rn. 39).

( 36 ) Vgl. z. B. Urteil vom 20. März 2018, Menci (C‑524/15, EU:C:2018:197).

( 37 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache LG und MH (Selbstgeldwäsche) (C‑790/19, EU:C:2021:15, Nrn. 50 und 51).

( 38 ) Vgl. in diesem Sinne EGMR, 10. Februar 2009, Zolotoukhine gegen Russland, CE:ECHR:2009:0210JUD001493903, §§ 78 bis 82, und aus jüngerer Zeit EGMR, 19. Dezember 2017, Ramda gegen Frankreich, CE:ECHR:2017:1219JUD007847711.

( 39 ) Vgl. Art. 14 Abs. 7 des am 16. Dezember 1966 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommenen und am 23. März 1976 in Kraft getretenen Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.

( 40 ) Vgl. in diesem Sinne Rafaraci, T., „The principle of non bis in idem in the jurisprudence of the European Court of Justice“, in Le contrôle juridictionnel dans l’espace pénal européen, Éditions de l’Université de Bruxelles, Brüssel, 2009, S. 93 bis 110, insbesondere S. 93.

( 41 ) Siehe oben, Nr. 32 und die in Fn. 8 angeführten Fundstellen.

( 42 ) Vgl. hierzu Urteile vom 11. Februar 2003, Gözütok und Brügge (C‑187/01 und C‑385/01, EU:C:2003:87, Rn. 33), und vom 9. März 2006, Van Esbroeck (C‑436/04, EU:C:2006:165, Rn. 30).

( 43 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2006, Showa Denko/Kommission (C‑289/04 P, EU:C:2006:431, Rn. 58).

( 44 ) Vgl. in diesem Sinne Art. 58 SDÜ, wonach dessen Bestimmungen „der Anwendung weitergehender Bestimmungen des nationalen Rechts über die Geltung des Verbots der Doppelbestrafung in Bezug auf ausländische Justizentscheidungen nicht entgegen[stehen]“.

( 45 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 10. August 2017, Tupikas (C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 59 und 63).

( 46 ) Insoweit deuten die schriftlichen und mündlichen Erklärungen von X darauf hin, dass das Strafverfahren, das im Iran zu seiner Verurteilung führte, kein Scheinprozess war. Desgleichen dürfte die verhängte Strafe angesichts der von X geschilderten Haftbedingungen von gewisser Schwere sein. Sollte das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Europäische Haftbefehl vollstreckt werden muss, wären diese Umstände sicher geeignet, auch von den deutschen Gerichten berücksichtigt zu werden.

( 47 ) Siehe oben, Nr. 39 und die in Fn. 15 angeführten Fundstellen.

( 48 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. März 2006, Van Esbroeck (C‑436/04, EU:C:2006:165, Rn. 38), und vom 18. Juli 2007, Kraaijenbrink (C‑367/05, EU:C:2007:444, Rn. 27).

( 49 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2020, SF (Europäischer Haftbefehl – Garantie der Rücküberstellung in den Vollstreckungsstaat) (C‑314/18, EU:C:2020:191, Rn. 47).

( 50 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. August 2017, Tupikas (C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 63).

( 51 ) Spontan ist an die Amnestie und den Gnadenakt zu denken. Manche zählen noch die Verjährung und die Freilassung unter Auflagen hinzu, wobei dies jedoch nicht die einzigen in Betracht kommenden Maßnahmen sind (vgl. in diesem Sinne Mathieu, B., und Verpeaux, M., „Conclusions comparatives“, in Ruiz Fabri, H., Della Morte, G., Lambert Abdelgawad, E., Martin-Chenut, K., La clémence saisie par le droit. Amnistie, prescription et grâce en droit international et comparé, Société de législation comparée, coll. de l’UMR de droit comparé de Paris, Bd. 14, Paris, 2007, S. 311 bis 318).

( 52 ) Sei es auch nur aufgrund einer etwaigen Unterscheidung zwischen Begnadigungsmaßnahmen im engeren Sinne („executive clemency“) – die der Exekutive vorbehalten sind – und der Amnestie – einem Rechtsetzungsakt (in diesem Sinne, für die Systeme des Common law, Pascoe, D., und Manikis, M., „Making Sense of the Victim’s Role in Clemency Decision Making“, International Review of Victimology, Bd. 26(I), 2020, S. 3 bis 28, insbesondere S. 4 und 5 sowie S. 8 und 9). Vgl. auch, als Beleg für das Fehlen einer gemeinsamen Definition, die Diskussionen über die Begriffe „Gnadenakt“, „Amnestie“ und „Verjährung“, „Les institutions de clémence, regards de droit comparé“, in Ruiz Fabri, H., Della Morte, G., Lambert Abdelgawad, E., Martin-Chenut, K., La clémence saisie par le droit. a. a. O., S. 275 bis 309).

( 53 ) Urteil vom 11. Dezember 2008, Bourquain (C‑297/07, EU:C:2008:708, Rn. 48).

( 54 ) Schlussanträge von Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache Agrana Zucker (C‑33/08, EU:C:2009:99, Nr. 37).

( 55 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge von Generalanwalt Wathelet in der Rechtssache Frankreich/Parlament (Ausübung der Haushaltsbefugnis) (C‑73/17, EU:C:2018:386, Nr. 25).

( 56 ) Vgl. in diesem Sinne die oben in Fn. 11 angeführten Urteile.

( 57 ) Vgl. in diesem Sinne die oben in Fn. 10 angeführten Urteile.

( 58 ) Siehe oben, Nr. 33.

( 59 ) Vgl. in diesem Sinne Jegouzo, I., „Le mandat d’arrêt européen, acte de naissance de l’Europe judiciaire pénale“, in Cartier, M.‑E., Le mandat d’arrêt européen, Bruylant, Brüssel, 2005, S. 33 bis 45, insbesondere S. 42; Bot, S., Le mandat d’arrêt européen, Larcier, Nr. 215, Brüssel, 2009.

( 60 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 96).

( 61 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Openbaar Ministerie (Unabhängigkeit der ausstellenden Justizbehörde) (C‑354/20 PPU und C‑412/20 PPU, EU:C:2020:1033, Rn. 38).

( 62 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2016, Özçelik (C‑453/16 PPU, EU:C:2016:860, Rn. 32).

( 63 ) Vgl. in diesem Sinne die Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Bourquain (C‑297/07, EU:C:2008:206, Nr. 83).

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