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Document 62018CC0031

    Schlussanträge des Generalanwalts G. Pitruzzella vom 16. Mai 2019.
    „Elektrorazpredelenie Yug“ EAD gegen Komisia za energiyno i vodno regulirane (KEVR).
    Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2009/72/EG – Elektrizitätsbinnenmarkt – Art. 2 Nrn. 3 bis 6 – Begriffe Elektrizitätsübertragungs- und Elektrizitätsverteilernetz – Unterscheidungskriterien – Spannungsebene – Eigentum an den Anlagen – Art. 17 Abs. 1 Buchst. a – Unabhängiger Übertragungsnetzbetreiber – Art. 24 und 26 – Verteilernetzbetreiber – Art. 32 Abs. 1 – Freier Zugang Dritter – Zugang zu Mittelspannungsstrom – Verbindungspunkte zwischen dem Übertragungs- und dem Verteilernetz – Spielraum der Mitgliedstaaten.
    Rechtssache C-31/18.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:421

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    GIOVANNI PITRUZZELLA

    vom 16. Mai 2019 ( 1 )

    Rechtssache C‑31/18

    Elektrorazpredelenie Yug EAD

    gegen

    Komisia za energiyno i vodno regulirane (KEVR),

    Beteiligte:

    BMF Port Burgas EAD

    (Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad [Verwaltungsgericht Sofia, Bulgarien])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Elektrizitätsbinnenmarkt – Richtlinie 2009/72/EG – Art. 2 Nrn. 3, 4, 5 und 6 – Begriffe Übertragungsnetz und Verteilernetz – Abgrenzungskriterien zwischen den Netzen – Spannungsebene – Eigentum an den Anlagen – Freier Zugang Dritter – Zugang über eine Mittelspannungsanlage – Verbindungspunkte zwischen den Netzen“

    1. 

    Die vorliegende Rechtssache betrifft ein Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia, Bulgarien) zur Auslegung von Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG ( 2 ).

    2. 

    Die vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Vorlagefragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem ausschließlichen Stromverteiler im Südosten Bulgariens und einer Gesellschaft, die mittels Konzession einen Hafen betreibt und beabsichtigt, ihr Netz unmittelbar an das Übertragungsnetz anzuschließen und daher die Tarife für die Netzdienste unmittelbar an den Übertragungsnetzbetreiber zu zahlen.

    3. 

    Der vorliegende Fall bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, die Tragweite einiger grundlegender Begriffe der Richtlinie 2009/72 zu klären.

    I. Rechtlicher Rahmen

    A.   Unionsrecht

    4.

    In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2009/72 heißt es:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

    3.

    ‚Übertragung‘ den Transport von Elektrizität über ein Höchstspannungs- und Hochspannungsverbundnetz zum Zwecke der Belieferung von Endkunden oder Verteilern, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;

    4.

    ‚Übertragungsnetzbetreiber‘ eine natürliche oder juristische Person, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Übertragungsnetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Übertragung von Elektrizität zu decken;

    5.

    ‚Verteilung‘ den Transport von Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung über Verteilernetze zum Zwecke der Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;

    6.

    ‚Verteilernetzbetreiber‘ eine natürliche oder juristische Person, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Verteilung von Elektrizität zu decken.“

    B.   Bulgarisches Recht

    5.

    Art. 86 Abs. 1 des Zakon za energetikata (Energiegesetz, im Folgenden: ZE) (DV Nr. 107, 2003) bestimmt, dass „[d]er Transport von Elektrizität … durch den Betreiber des Stromübertragungsnetzes [erfolgt], der eine Lizenz für den Transport von Elektrizität erlangt hat und der zertifiziert wurde …“.

    6.

    Nach Art. 88 Abs. 1 ZE „[wird d]ie Verteilung von Elektrizität und der Betrieb der Elektrizitätsverteilernetze von Verteilernetzbetreibern ausgeübt, die Eigentümer solcher Netze in einem begrenzten Gebiet sind und eine Lizenz für die Verteilung von Elektrizität im entsprechenden Gebiet erhalten haben“.

    7.

    § 1 der Ergänzungsvorschriften zum ZE (DV Nr. 54, 2012) enthält folgende Begriffsbestimmungen:

    „20.   ‚Elektrizitätsübertragungsnetz‘: die Gesamtheit der Stromleitungen und Elektrizitätsanlagen, die der Übertragung und der Transformation der Elektrizität von Hoch- in Mittelspannung und der Umverteilung der Elektrizitätsströme dienen;

    22.   ‚Elektrizitätsverteilernetz‘: die Gesamtheit von Stromleitungen und Elektrizitätsanlagen mit Hoch‑, Mittel- und Niedrigspannung, die der Verteilung von Elektrizität dienen;

    44.   ‚Übertragung von Elektrizität …‘: der Transport von Elektrizität über das Übertragungsnetz …;

    49.   ‚Verteilung‘: der Transport von Elektrizität …. über die Verteilernetze.“

    II. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    8.

    Die Elektrorazpredelenie Yug EAD (im Folgenden: ER Yug) ist Inhaberin einer von der bulgarischen Regulierungsbehörde für Energie und Wasser (Komisia za energiyno i vodno regulirane, im Folgenden: KEVR) erteilten Exklusivlizenz, auf deren Grundlage sie Tätigkeiten der Stromverteilung über ein Verteilernetz in dem in der Lizenz bestimmten Gebiet, nämlich dem Südosten Bulgariens, ausübt.

    9.

    Der Bereich, der Gegenstand der Lizenz von ER Yug ist, umfasst das Gebiet, in dem sich die Anlagen der BMF Port Burgas EAD (im Folgenden: BMF) befinden, insbesondere die Hafenterminals Burgas West und Burgas Ost, die BMF von einem öffentlichen Unternehmen mittels Konzession zugewiesen wurden. In diesem Gebiet betreibt BMF den Hafen und erbringt die damit verbundenen Leistungen.

    10.

    Die Anlagen von BMF sind mit dem Stromnetz durch eine Mittelspannungsleitung (20 kV) namens „Novo pristanishte“ (Neuer Hafen) verbunden, die auf Mittelspannungsebene an eine Mittelspannungsanlage (ebenfalls 20 kV) des Umspannwerks „Ribari“ (Fischer) angeschlossen ist ( 3 ). Die Stromleitung „Novo pristanishte“ steht im Eigentum des Staates und ist BMF im Rahmen der Konzession über die angeführten Hafenterminals zugewiesen. Das Umspannwerk „Ribari“ steht im Eigentum des Übertragungsnetzbetreibers in Bulgarien, der Gesellschaft Elektroenergien sistemen operator (im Folgenden: ESO).

    11.

    Die Elektrizität fließt vom Übertragungsnetz der ESO mit einer Spannung von 110 kV (Hochspannung) ein und wird in den Transformatoren Nr. 1 und Nr. 2 in Mittelspannungsstrom (20 kV) umgewandelt, bevor sie in die Mittelspannungsanlage (20 kV) des Umspannwerks „Ribari“ gelangt. Die kommerziellen Messinstrumente für Strom aus dem Übertragungsnetz der ESO an das Verteilernetz der ER Yug sind unmittelbar hinter den Transformatoren Nr. 1 und Nr. 2 auf der Ebene der Anschlüsse betreffend die Zellen Nr. 26 und Nr. 39 der Mittelspannungsanlage des Umspannwerks „Ribari“ eingebaut. Die Leitung „Novo pristanishte“ ist an die geschlossene Verteileranlage mit Mittelspannung (20 kV) des Umspannwerks „Ribari“ auf Ebene der Zelle Nr. 44 angeschlossen. Diese Leitung wird für die Übertragung und Lieferung von Elektrizität ausschließlich an BMF genutzt.

    12.

    Im Jahr 2013 schlossen ER Yug und BMF einen Vertrag über Netzdienste, nach dem die Erstere der Letzteren den Zugang zum Stromverteilernetz und die Übertragung von Elektrizität über dieses Netz zur Stromversorgung der Anlagen von BMF im Hafen Burgas lieferte.

    13.

    Da BMF jedoch der Ansicht war, direkt an das Übertragungsnetz angeschlossen zu sein, kündigte sie im Jahr 2016 einseitig den Vertrag mit ER Yug und schloss mit ESO Verträge über den Zugang zum Übertragungsnetz, die Bereitstellung von Netzdienstleistungen und die Energieübertragung für die Zwecke der Stromversorgung der angeführten Anlagen von BMF.

    14.

    Gleichwohl stellte ER Yug, da sie der Meinung war, dass die Anlagen der BMF weiterhin an das Verteilernetz angeschlossen seien, auch weiterhin die Tarife für den Zugang zum Verteilernetz und für die Übertragung von Elektrizität über dieses Netz in Rechnung.

    15.

    BMF wandte sich sodann an die KEVR, die mit Beschluss Nr. Zh-37 vom 28. Februar 2017 entschied, dass ER Yug aufgrund des Ablaufs der Kündigungsfrist des Vertrags nicht mehr das Recht habe, BMF die Tarife für den Zugang zum Elektrizitätsverteilernetz und die Übertragung über dieses Netz in Rechnung zu stellen. Die KEVR stellte, mit einer Mehrheit ihrer Mitglieder, fest, dass die Anlagen der BMF unmittelbar an das Elektrizitätsübertragungsnetz von ESO angeschlossen seien und BMF daher unmittelbar Zugang zu diesem Netz haben könne. Die KEVR forderte daher ER Yug auf, die Berechnung der Tarife für den Zugang zum Verteilernetz und für die Übertragung von Elektrizität über dieses Netz an BMF einzustellen und eine Überprüfung der berechneten Tarife nach Ablauf der Frist für die Kündigung des Vertrags mit BMF vorzunehmen.

    16.

    ER Yug legte gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein.

    17.

    Im Rahmen des vor diesem Gericht anhängigen Verfahrens bringt ER Yug vor, dass, solange BMF an das Elektrizitätsverteilernetz angeschlossen sei, sie den Vertrag über den Zugang und die Übertragung von Elektrizität über dieses Netz nicht kündigen könne. Nach der Systematik der Richtlinie 2009/72 sei das entscheidende Element für die Unterscheidung zwischen einem Übertragungsnetz und einem Verteilernetz von Elektrizität die Spannungsebene: Höchst- und Hochspannung für das Übertragungsnetz, Hoch‑, Mittel- und Niedrigspannung für das Verteilernetz. Die Definition der Übertragung von Elektrizität in § 1 Nr. 20 und 44 [der Ergänzungsvorschriften zum] ZE sei mit der Definition in Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie 2009/72 unvereinbar, die aufgrund ihrer unmittelbaren Wirkung und des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts unmittelbar anzuwenden sei. Dies führe dazu, dass die Bereitstellung von Netzdienstleistungen auf Mittelspannungsebene eine Tätigkeit der Verteilung von Elektrizität darstelle. Der Betreiber des Übertragungsnetzes, ESO, sei nicht berechtigt, seine Kunden mit dem Übertragungsnetz in Mittelspannung zu verbinden oder Netzdienstleistungen in Mittelspannung anzubieten, da solche Tätigkeiten unter die Dienste der Verteilung von Elektrizität fielen, für die ER Yug eine Exklusivlizenz in dem Gebiet besitze, auf dem sich die Anlagen von BMF befänden.

    18.

    BMF bringt hingegen vor, dass seine Anlagen über das Umspannwerk „Ribari“ unmittelbar an das Stromübertragungsnetz angeschlossen seien. Da weder dieses Umspannwerk noch die damit verbundene Leitung „Novo pristanishte“ im Eigentum der ER Yug stünden, stellten sie daher keine Bestandteile des Stromverteilernetzes dar. Somit erfülle die Lizenz der ER Yug nicht die erforderlichen Voraussetzungen für die Bereitstellung der Dienstleistungen des Zugangs zum und der Übertragung über das Elektrizitätsverteilernetz bzw. für die Erhebung von Entgelten für diese Dienstleistungen.

    19.

    Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass in der vorliegenden Rechtssache festgestellt werden müsse, an welches Netz – Verteiler- oder Übertragungsnetz – die Anlagen von BMF angeschlossen seien, und an welchen Betreiber daher diese Gesellschaft die Tarife für die Netzdienste zu zahlen habe. Das vorlegende Gericht hält es daher für entscheidend, die Tätigkeiten der Übertragung und der Verteilung von Elektrizität, bzw. die Begriffe „Elektrizitätsübertragungsnetz“ und „Elektrizitätsverteilernetz“ voneinander abzugrenzen. Sollte davon auszugehen sein, dass die Spannungsebene das einzige maßgebliche Kriterium für die Unterscheidung zwischen diesen Tätigkeiten sei, müsste BMF, da die Leitung „Novo pristanishte“ an das Umspannwerk „Ribari“ mit Mittelspannung angeschlossen sei, die Tarife für die Netzdienste an ER Yug, die das ausschließliche Recht habe, die Netzdienste für alle auf der Mittelspannungsebene im Gebiet ihrer Lizenz angeschlossenen Kunden zu erbringen, unabhängig davon zahlen, ob sie die Eigentümerin der jeweiligen Anlagen sei oder nicht.

    20.

    Das vorlegende Gericht legt auch dar, dass der nationale Gesetzgeber das Übertragungsnetz und das Verteilernetz auf der Grundlage des Kriteriums des Eigentums des Übertragungsnetzbetreibers oder Verteilernetzbetreibers an den Elektrizitätsanlagen abgegrenzt habe. Hinsichtlich der Spannungsebene sei die Position des nationalen Gesetzgebers hingegen nicht ebenso klar. Es ergebe sich jedoch aus den Definitionen in Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2009/72, dass für den Unionsgesetzgeber allein das Kriterium der Spannungsebene von übertragenem Strom maßgeblich sei, was der Gerichtshof im Urteil vom 22. Mai 2008, citiworks (C‑439/06, EU:C:2008:298), bestätigt habe.

    21.

    Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Sind die Bestimmungen von Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen, dass das einzige Kriterium für die Abgrenzung des Verteilernetzes vom Übertragungsnetz und, entsprechend, der Tätigkeiten „Verteilung“ und „Übertragung“ von Elektrizität die Spannungsebene ist und es den Mitgliedstaaten, trotz ihrer Handlungsfreiheit, die Netznutzer der einen oder der anderen Art von Netz (Übertragungs- oder Verteilernetz) zuzuordnen, nicht erlaubt ist, als zusätzliches Abgrenzungskriterium für die Tätigkeiten der Übertragung und der Verteilung das Eigentum an den Vermögensgegenständen, die zur Ausübung dieser Tätigkeiten genutzt werden, einzuführen?

    2.

    Falls die erste Frage bejaht wird: Sind die Stromkunden, die einen Anschluss an das Mittelspannungsnetz haben, immer als Kunden des Verteilernetzbetreibers, der eine Lizenz für das entsprechende Gebiet hat, zu behandeln, und zwar unabhängig von den Eigentumsverhältnissen an den Vorrichtungen, an die die elektrischen Anlagen dieser Kunden unmittelbar angeschlossen sind, und unabhängig von den Verträgen, die die Kunden unmittelbar mit dem Übertragungsnetzbetreiber haben?

    3.

    Falls die erste Frage verneint wird: Sind nach Sinn und Zweck der Richtlinie 2009/72 nationale Regelungen wie die des § 1 Nr. 44 in Verbindung mit Nr. 20 der Ergänzungsvorschriften zum ZE zulässig, wonach „Übertragung von Elektrizität“ der Transport von Elektrizität über das Übertragungsnetz ist und „Elektrizitätsübertragungsnetz“ die Gesamtheit von elektrischen Leitungen und Anlagen ist, die der Übertragung, der Stromtransformation von Hochspannung in Mittelspannung und der Umverteilung der Energieströme dienen? Sind unter den gleichen Voraussetzungen nationale Regelungen wie die des Art. 88 Abs. 1 ZE: „Die Verteilung von Elektrizität und der Betrieb der Elektrizitätsverteilernetze wird von Verteilernetzbetreibern ausgeübt, die Eigentümer solcher Netze in einem begrenzten Gebiet sind und eine Lizenz für die Verteilung von Elektrizität im entsprechenden Gebiet erhalten haben“ zulässig?

    III. Rechtliche Würdigung

    22.

    Die Fragen, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof stellt, werfen bedeutende Probleme auf, die die Auslegung verschiedener grundlegender Begriffe der Richtlinie 2009/72, insbesondere der Begriffe „Übertragungsnetz“ und „Verteilernetz“, betreffen.

    23.

    Bevor ich mich mit diesen Fragen befasse, halte ich es für sinnvoll, zunächst die von dieser Richtlinie verfolgten Ziele im Licht der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs darzulegen.

    A.   Ziele der Richtlinie 2009/72 im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs

    24.

    Mit der Richtlinie 2009/72, die im Rahmen des dritten Energiepakets erlassen wurde, werden, wie aus ihrem Art. 1 hervorgeht, gemeinsame Vorschriften für die Elektrizitätsübertragung und ‑verteilung sowie Vorschriften im Bereich des Verbraucherschutzes erlassen, um in der Union für die Verbesserung und Integration von durch Wettbewerb geprägten Strommärkten zu sorgen ( 4 ).

    25.

    Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 8 der Richtlinie 2009/72 hervorgeht, soll mit dieser ein vollständig geöffneter Markt erreicht werden, der allen Verbrauchern die freie Wahl ihrer Lieferanten und allen Anbietern die freie Belieferung ihrer Kunden gestattet ( 5 ), in dem der Wettbewerb gewährleistet und die Stromversorgung zu den wettbewerbsfähigsten Preisen sichergestellt wird.

    26.

    Zu diesem Zweck soll die Richtlinie 2009/72 auch den grenzüberschreitenden Zugang für neue Stromversorger begünstigen, was, wie im fünften Erwägungsgrund der Richtlinie erläutert wird, auch dazu beiträgt, eine gesicherte Stromversorgung, die für das Entstehen einer europäischen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist, zu gewährleisten. Aus diesem Grund sollten nach der Richtlinie 2009/72 grenzüberschreitende Verbindungsleitungen weiter ausgebaut werden.

    27.

    In diesem Kontext ist die Gewährleistung eines nicht diskriminierenden, transparenten und zu angemessenen Preisen gewährleisteten Netzzugangs Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb und von größter Bedeutung für die Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarkts ( 6 ).

    28.

    Um diese Ziele zu erreichen, sieht die Richtlinie 2009/72 Bestimmungen vor, die eine wirksame rechtliche und funktionale Trennung des Netzbetriebs von der Erzeugung und Versorgung sicherstellen, um, wie sich aus dem neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergibt, eine Diskriminierung nicht nur in der Ausübung des Netzgeschäfts, sondern auch in Bezug auf die Schaffung von Anreizen für vertikal integrierte Unternehmen, ausreichend in ihre Netze zu investieren, zu vermeiden.

    29.

    In diesem Rahmen enthält Art. 2 der Richtlinie 2009/72 eine Reihe von Definitionen der in der Richtlinie verwendeten grundlegenden Begriffe.

    30.

    Die Richtlinie 2009/72 definiert die Begriffe „Übertragungsnetz“ und „Verteilernetz“ als solche nicht, aber sie definiert in Art. 2 Nrn. 3 und 5 die Begriffe „Übertragung“ und „Verteilung“ von Elektrizität. Die Übertragung von Elektrizität ist definiert als der „Transport von Elektrizität über ein Höchstspannungs- und Hochspannungsverbundnetz zum Zwecke der Belieferung von Endkunden oder Verteilern, jedoch mit Ausnahme der Versorgung“. Die Verteilung von Elektrizität ist hingegen als der „Transport von Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung über Verteilernetze zum Zwecke der Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung“, definiert. Der Begriff „Versorgung“ ist nach Art. 2 Nr. 19 dieser Richtlinie als der Verkauf von Elektrizität an Kunden zu verstehen ( 7 ).

    31.

    Aus den angegebenen Definitionen der Begriffe „Übertragung“ und „Verteilung“ hat der Gerichtshof die Definitionen der Begriffe „Übertragungsnetz“ und „Verteilernetz“ abgeleitet. So hat der Gerichtshof zum einen das Übertragungsnetz als ein Verbundnetz definiert, das zur Weiterleitung von Elektrizität mit sehr hoher und hoher Spannung dient, die zum Verkauf an Endkunden oder Verteiler bestimmt ist, und zum anderen das Verteilernetz als ein Netz definiert, das zur Weiterleitung von Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung dient, die zum Verkauf an Großhändler und Endkunden bestimmt ist ( 8 ).

    32.

    Folglich hat der Gerichtshof festgestellt, dass, was die Natur der Übertragungs- und der Verteilernetze und die über diese Netze übertragene Strommenge angeht, allein das Kriterium der Spannung dieses Stroms für die Unterscheidung zwischen Übertragung und Verteilung maßgeblich ist und das maßgebliche Kriterium darstellt, um festzustellen, ob ein Netz ein Übertragungsnetz oder ein Verteilernetz im Sinne dieser Richtlinie ist ( 9 ).

    33.

    Auf der Grundlage dieser Definitionen hat der Gerichtshof hingegen die Maßgeblichkeit anderer Kriterien für die Bestimmung, ob ein Netz in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/72 fällt, wie den Zeitpunkt, zu dem ein solches Netz eingerichtet worden ist, oder den Umstand, dass dieses Netz für den Eigenverbrauch bestimmt ist und von einem privaten Rechtsträger betrieben wird, an das eine begrenzte Zahl von Erzeugungs- und Verbrauchseinheiten angeschlossen ist, oder die Größe des Netzes, ausgeschlossen ( 10 ).

    34.

    Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass Netze, die zur Weiterleitung von Elektrizität zum einen mit sehr hoher und hoher Spannung, die zum Verkauf an Endkunden oder Verteiler bestimmt ist, oder zum anderen mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung, die zum Verkauf an Endkunden bestimmt ist, dienen, jeweils als „Übertragungsnetze“ oder „Verteilernetze“ anzusehen sind, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/72 fallen ( 11 ).

    35.

    Insoweit hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Richtlinie 2009/72 den Mitgliedstaaten zwar einen Ermessensspielraum für ihre Umsetzung und daher für die Modalitäten lässt, mit denen diese die von ihr gesetzten Ziele erreichen können, die Mitgliedstaaten jedoch in jedem Fall verpflichtet sind, die Wahrung der Grundsätze und der Systematik dieser Richtlinie in ihrem Anwendungsbereich sicherzustellen. Mit anderen Worten können die Mitgliedstaaten, wenn die Richtlinie 2009/72 anwendbar ist, in ihren Anwendungsbereich fallende Elemente oder Aspekte betreffend die Organisation und Funktionsweise des Elektrizitätssektors nicht von der von dieser vorgesehenen Regelung ausschließen ( 12 ).

    36.

    Der Gerichtshof hat diesen Grundsatz im Hinblick auf die Bestimmung eines Verteilernetzes im Sinne der Richtlinie 2009/72 zum Ausdruck gebracht und hervorgehoben, dass die Mitgliedstaaten Netze, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/72 fallen, nicht in eine andere Kategorie als die der durch diese Richtlinie ausdrücklich festgelegten Verteilernetze aufnehmen können, um ihnen Freistellungen zu gewähren, die in dieser Richtlinie nicht vorgesehen sind ( 13 ). Diese Überlegungen lassen sich mutatis mutandis auf die Übertragungsnetze übertragen ( 14 ).

    37.

    Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass für Stromnetze, die als Übertragungs- oder Verteilernetze nach der Richtlinie 2009/72 eingestuft werden können, trotz des Ermessensspielraums, der den Mitgliedstaaten von dieser eingeräumt wird, keine „Grauzonen“ bestehen können, d. h. Netze, die als Übertragungs- oder Verteilernetze im Sinne der Richtlinie 2009/72 eingestuft werden können, die jedoch nach Wahl der Mitgliedstaaten der von dieser vorgesehenen Regelung entzogen sind.

    38.

    Was spezifisch den Zugang zu den Übertragungsnetzen und Verteilernetzen betrifft, hat der Gerichtshof schon mehrfach betont, dass der freie Zugang Dritter zu diesen Netzen gemäß Art. 32 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Richtlinie 2009/72 ( 15 ) eines der grundlegenden Ziele dieser Richtlinie ( 16 ) sowie eine der Hauptmaßnahmen ist, die die Mitgliedstaaten durchzuführen haben, um zur Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarkts zu gelangen ( 17 ).

    39.

    Angesichts der Bedeutung des Grundsatzes des freien Zugangs zu den Übertragungs- und Verteilernetzen berechtigt der den Mitgliedstaaten nach Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2009/72 im Einklang mit Art. 288 AEUV überlassene Ermessensspielraum, die Maßnahmen zu treffen, die zur Einführung eines Systems für den Zugang Dritter zu den Übertragungs- oder Verteilernetzen erforderlich sind, diese keineswegs, diesen Grundsatz nicht anzuwenden, abgesehen von den Fällen, in denen die Richtlinie Ausnahmen oder Abweichungen vorsieht ( 18 ).

    40.

    Der Zugang Dritter zu den Übertragungs- und Verteilernetzen hat jedenfalls auf objektive, nicht diskriminierende und transparente Kriterien sowie auf Tarife gestützt zu sein, die vor ihrem Inkrafttreten veröffentlicht werden, und darf nicht auf einer Ermessensentscheidung beruhen ( 19 ).

    41.

    Der Gerichtshof hat außerdem zum einen auf die enge Verbindung zwischen dem Recht auf Zugang und der freien Wahl des Verbrauchers in Bezug auf die Lieferanten und zum anderen auf die entsprechende Freiheit jedes Anbieters, seine Kunden mit Strom zu beliefern, die einem vollständig geöffneten Markt eigen sind, hingewiesen. Damit nämlich die zugelassenen Kunden ihren Lieferanten frei wählen können, muss den Anbietern der Zugang zu den jeweiligen Übertragungs- und Verteilernetzen, die die Elektrizität zu den Kunden leiten, möglich sein ( 20 ).

    42.

    Die freie Wahl des Versorgungsunternehmens steht jedoch nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Art von Netz, an das der Kunde angeschlossen ist. Schließt der Lieferant die Kunden an ein Übertragungsnetz an, ist diese Wahlfreiheit, wie der Gerichtshof festgestellt hat, ebenso gewährleistet, wie wenn er sie an ein Verteilernetz anschließt ( 21 ).

    43.

    Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten jedoch einen Handlungsspielraum behalten, um die Netzbenutzer zu der einen oder der anderen Art von Netz hinzulenken, unter der Voraussetzung, dass sie dies aufgrund nicht diskriminierender Motive und nach objektiven Erwägungen tun ( 22 ). Daher hat der Gerichtshof die Bedeutung des Bestrebens anerkannt, zu verhindern, dass sich Großkunden unmittelbar an die Übertragungsnetze anschließen, was dazu führen würde, dass die mit den Verteilernetzen zusammenhängende Kostenbelastung allein von den Kleinkunden zu tragen wäre und mithin die Strompreise stiegen, was die Verpflichtung rechtfertigen kann, sich vorrangig an ein Verteilernetz anzuschließen ( 23 ).

    44.

    Schließlich hat der Gerichtshof im Urteil vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961), klargestellt, dass ein geschlossenes Verteilernetz im Sinne von Art. 28 der Richtlinie 2009/72 von der in Art. 32 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zum freien Zugang Dritter nicht freigestellt ist und auch nicht freigestellt werden kann ( 24 ).

    45.

    Im Licht der vorstehenden Erwägungen werde ich die drei Fragen des vorlegenden Gerichts prüfen.

    B.   Zu den Vorlagefragen

    1. Zur ersten Vorlagefrage

    46.

    Die erste Vorlagefrage gliedert sich in zwei Teile.

    47.

    Mit dem ersten Teil möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen von Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen sind, dass das einzige Kriterium für die Abgrenzung des Übertragungsnetzes vom Verteilernetz und, entsprechend, der Tätigkeiten der Verteilung und der Übertragung von Elektrizität die Spannungsebene ist.

    48.

    Im zweiten Teil der ersten Vorlagefrage fragt das vorlegende Gericht, ob es den Mitgliedstaaten erlaubt ist oder nicht, als zusätzliches Abgrenzungskriterium für die Übertragungstätigkeiten (und das Übertragungsnetz) und die Verteilungstätigkeiten (und das Verteilungsnetz) das Eigentum an den Vermögensgegenständen, die zur Ausübung dieser Tätigkeiten genutzt werden, einzuführen.

    a) Zur Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, neben der Spannung zusätzliche Kriterien für die Unterscheidung zwischen Übertragungsnetz und Verteilernetz vorzusehen

    49.

    Aus den in den vorstehenden Nrn. 30 bis 32 dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass die Richtlinie 2009/72 für die rechtliche Regelung, der die Stromnetze durch diese unterliegen, eine grundlegende Unterscheidung zwischen dem Übertragungsnetz und dem Verteilernetz vorsieht.

    50.

    Wie in diesen Nummern dargelegt, definiert die Richtlinie 2009/72 die Begriffe Übertragungsnetz und Verteilernetz selbst nicht. Der Gerichtshof hat jedoch die Definition dieser Begriffe aus den Definitionen der Tätigkeiten der „Übertragung“ und der „Verteilung“ in Art. 2 Nrn. 3 und 5 dieser Richtlinie abgeleitet, wobei das vorlegende Gericht nach der Auslegung dieser Bestimmungen fragt.

    51.

    Aus den oben in Nr. 31 angeführten Definitionen ergibt sich, dass die Begriffe Übertragungsnetz und Verteilernetz beide objektiven Charakter in dem Sinn haben, dass sie sich auf das Netz als solches beziehen und nicht auf die Person, die es betreibt, und sich beide auf ein zweifaches Kriterium gründen: eines rein objektiv, nämlich die Spannungsebene – Höchst- und Hochspannung für das Übertragungsnetz, sowie Hoch‑, Mittel- und Niedrigspannung für das Verteilernetz – und das andere funktional, das sich auf die Funktion bezieht, die jedes der beiden Arten von Netzen in der Organisation und der Funktionsweise des Elektrizitätsnetzes erfüllt, nämlich die Weiterleitung von Strom zum Verkauf an Endkunden oder Verteiler für das Übertragungsnetz bzw. zum Verkauf an Großhändler und Endkunden für das Verteilernetz.

    52.

    Zum ersten Kriterium, nämlich der Spannungsebene, hat der Gerichtshof, wie oben in Nr. 32 dargelegt, jüngst bestätigt, dass, was die Natur der Übertragungs- und der Verteilernetze im Sinne der Richtlinie 2009/72 und der über diese Netze übertragenen Strommenge anbelangt, allein das Kriterium der Spannung dieses Stroms für die Unterscheidung zwischen Übertragung und Verteilung maßgeblich ist und daher das maßgebliche Kriterium darstellt, um festzustellen, ob ein Netz ein Übertragungsnetz oder ein Verteilernetz im Sinne dieser Richtlinie ist.

    53.

    Was hingegen das zweite, funktionale Kriterium betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass beide Arten von Netzen bei der Organisation und der Funktionsweise des Elektrizitätssektors unterschiedliche Funktionen erfüllen.

    54.

    Die Übertragungsnetze dienen nämlich dem Transport von Elektrizität über große Entfernungen, von den Kraftwerken bis zu den Orten der Nutzung. Es handelt sich um Netze, die zwangsläufig bedeutende Größe haben und im Allgemeinen zwischen mehreren Mitgliedstaaten verbunden sind, über die der Strom mit Höchst- und Hochspannung befördert wird, um die Verluste während des Transports möglichst zu verringern.

    55.

    Die Verteilernetze erfüllen hingegen eine andere Funktion. Sie dienen dazu, den Strom zu den Kunden im Allgemeinen für den Eigenverbrauch zu transportieren. Sie sind allgemein durch eine geringere Größe gekennzeichnet und werden typischerweise auf lokaler Ebene und engmaschig errichtet, um die Nutzer oder Endnutzer zu erreichen. Sie sind auch durch eine niedrigere Spannungsebene als die des Übertragungsnetzes gekennzeichnet, die aus Sicherheitsgründen erforderlich ist, nämlich der Verringerung der Gefahr eines Stromschlags in der Nähe von Wohngebieten, und der Anbindung der privaten und industriellen Endverbraucher an das Netz, die im Allgemeinen mit Nieder- bzw. Mittelspannung verbunden sind.

    56.

    Die Übertragungs- und Verteilernetze sind miteinander auf der Ebene der Umspannwerke verbunden, in denen der Strom, der mit Höchst- und Hochspannung aus dem Übertragungsnetz kommt, in Mittelspannung umgewandelt wird, um über das Verteilernetz verteilt zu werden. Diese Umspannwerke sind die Verbindungspunkte zwischen den Netzen und enthalten im Allgemeinen Hochspannungskomponenten, die als primäres System bezeichnet werden, sowie Mittel- und Niederspannungskomponenten, die als sekundäres System bezeichnet werden.

    57.

    Vor diesem Hintergrund ist die Frage des vorlegenden Gerichts zu beantworten, ob die Richtlinie 2009/72 den Mitgliedstaaten erlaubt, in ihrer nationalen Regelung zur Umsetzung der Richtlinie zusätzliche Kriterien für die Unterscheidung zwischen Übertragungsnetz und Verteilernetz einzuführen, oder nicht.

    58.

    Erstens ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die Begriffe Übertragungsnetz und Verteilernetz, die der Gerichtshof aus den Definitionen in der Richtlinie 2009/72 abgeleitet hat, keinen Verweis auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten enthalten und als autonome Begriffe des Unionsrechts zu verstehen sind, die als solche im Gebiet der Union einheitlich und auf eine Weise auszulegen sind, dass die Erreichung der Ziele dieser Richtlinie, die in den vorstehenden Nrn. 24 bis 28 dargelegt worden sind, gewährleistet wird.

    59.

    Zweitens ist es besonders wichtig, zwischen Stromübertragungstätigkeit (und ‑netz) sowie Stromverteilungstätigkeit (und ‑netz) genau zu unterscheiden, da die Richtlinie 2009/72 unterschiedliche rechtliche Regelungen für die Übertragung und die Verteilung sowie unterschiedliche Verantwortlichkeiten für die Betreiber der jeweiligen Netze vorsieht. Dies bedeutet auch, dass diese Unterscheidung in allen Mitgliedstaaten einheitlich sein muss.

    60.

    Obwohl, wie die Kommission zu Recht darlegt, die Richtlinie 2009/72 keine vollständige Harmonisierung aller von ihr geregelten Aspekte einführt ( 25 ) und daher den Mitgliedstaaten Ermessensspielräume hinsichtlich der Mittel überlässt, die für die Erreichung der Ziele, die diese sich setzt, am geeignetsten sind, bin ich jedoch der Ansicht, dass sie einige grundlegende Begriffe festlegt, deren Tragweite für die Erreichung dieser Ziele zwangsläufig einheitlich sein muss.

    61.

    Diese Begriffe umfassen sicher diejenigen der „Übertragung“ und „Verteilung“ von Elektrizität im Sinne von Art. 2 Nrn. 3 und 5 der angeführten Richtlinie, aus denen der Gerichtshof die Begriffe Übertragungsnetz und Verteilernetz abgeleitet hat. Diese Begriffe spielen nämlich eine grundlegende Rolle im System der Richtlinie.

    62.

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2009/72 ein kohärentes System vorsieht, das sich aus Begriffen zusammensetzt, die miteinander durch die Erreichung der Ziele verbunden sind, die der Unionsgesetzgeber mit ihrem Erlass verfolgen wollte. In diesem Zusammenhang bin ich der Auffassung, dass die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, Änderungen an grundlegenden Begriffen wie denen der „Übertragung“ und „Verteilung“ vorzunehmen, auf die sich die Systematik der Richtlinie gründet, zu einer uneinheitlichen Anwendung dieser Begriffe führte, mit der Folge einer regulatorischen Fragmentierung, die die Erreichung dieser Ziele und insbesondere des grundlegenden Ziels der Schaffung eines Elektrizitätsbinnenmarkts gefährden würde.

    63.

    Im Licht dieser Erwägungen meine ich, dass Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen ist, dass das Kriterium der Spannung für die Unterscheidung zwischen Übertragung und Verteilung von Strom maßgeblich ist und, gemeinsam mit der Funktion des fraglichen Netzes, das maßgebliche Kriterium darstellt, um festzustellen, ob ein Netz ein Übertragungsnetz oder ein Verteilernetz im Sinne dieser Richtlinie ist.

    64.

    Die Mitgliedstaaten können daher in ihrer nationalen Regelung keine zusätzlichen Kriterien für die Unterscheidung zwischen einem Übertragungsnetz und einem Verteilernetz vorsehen. Die Richtlinie 2009/72 lässt den Mitgliedstaaten jedoch einen gewissen Handlungsspielraum bei der Umsetzung dieser Begriffe, sofern die von der Richtlinie verfolgten Ziele nicht beeinträchtigt werden, indem sie z. B. Grenzen für die verschiedenen Spannungsebenen (sehr hohe, hohe, mittlere und niedrige) bestimmen.

    65.

    Insoweit ist noch darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus den Definitionen von „Übertragungsnetzbetreiber“ und „Verteilernetzbetreiber“ in Art. 2 Nrn. 4 und 6 der Richtlinie 2009/72 ergibt, sowohl der Übertragungsnetzbetreiber als auch der Verteilernetzbetreiber für die Verbindungsleitungen zwischen den Netzen verantwortlich sein können. Aus dieser Definition folgt, dass die Richtlinie 2009/72 den Mitgliedstaaten die Wahl lässt, zu bestimmen, ob die Verbindungspunkte zwischen Übertragungsnetzen und Verteilernetzen, wie die in der vorstehenden Nr. 56 angeführten Umspannwerke, Teil des Übertragungsnetzes oder Teil des Verteilernetzes sind.

    2. Zum Erfordernis, dass der Verteilernetzbetreiber Eigentümer der zur Ausübung der Tätigkeiten der Verteilung genutzten Vermögensgegenstände ist

    66.

    Aus der Antwort auf den ersten Teil der ersten Vorlagefrage, die ich in den vorstehenden Absätzen vorgeschlagen habe, ergibt sich, dass, da die Mitgliedstaaten kein zusätzliches Kriterium neben Spannung und Funktion für die Unterscheidung zwischen Übertragungsnetz und Verteilernetz vorsehen können, auf den zweiten Teil dieser Frage zu antworten ist, dass ein Mitgliedstaat nicht als zusätzliches Kriterium für die Unterscheidung zwischen diesen Netzen das Eigentum des Betreibers an den Vermögensgegenständen, die zur Ausübung der jeweiligen Tätigkeiten genutzt werden, in seine nationale Regelung einführen kann.

    67.

    Allerdings bin ich der Auffassung, dass der zweite Teil der ersten Vorlagefrage einer genaueren Untersuchung bedarf.

    68.

    In der Systematik der Richtlinie 2009/72 wird das Erfordernis, dass der Betreiber eines Netzes der Eigentümer der zur Ausübung der jeweiligen Tätigkeiten genutzten Vermögensgegenstände ist, also im Wesentlichen der Eigentümer des Netzes ist, nicht als Kriterium für die Abgrenzung zwischen den Tätigkeiten der Übertragung und der Verteilung und daher zwischen den beiden Arten von Netzen angesehen. Dieses Erfordernis stellt eher eine subjektive Anforderung betreffend die rechtliche Regelung der Einheiten dar, die als Betreiber der beiden Arten von Netzen angesehen oder bestimmt werden können. Sie betrifft nämlich die rechtliche Stellung des Netzbetreibers im Verhältnis zu den für die Tätigkeit verwendeten Vermögensgegenständen, insbesondere in Bezug auf das Netz.

    69.

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2009/72 in Art. 17 Abs. 1 Buchst. a als notwendiges Erfordernis vorsieht, dass das Übertragungsnetz und die anderen Vermögenswerte, die für die Geschäftstätigkeit der Elektrizitätsübertragung erforderlich sind, Eigentum des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers sind.

    70.

    Diese Vorschrift gehört zu den Bestimmungen der Richtlinie 2009/72, die das Vorliegen einer wirksamen Trennung der Versorgung und Erzeugung vom Netzbetrieb sicherstellen soll ( 26 ).

    71.

    Die Richtlinie 2009/72 sieht diese Anforderung für den Betreiber des Verteilernetzes nicht vor ( 27 ).

    72.

    Diese beschränkt sich darauf, in Art. 26 Abs. 1 vorzusehen, dass, wenn der Verteilernetzbetreiber Teil eines vertikal integrierten Unternehmens ist, „keine Verpflichtung [besteht], eine Trennung in Bezug auf das Eigentum des vertikal integrierten Unternehmens an Vermögenswerten des Verteilernetzes vorzunehmen“, sondern es ist nach Art. 26 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie nur erforderlich, dass „[d]er Verteilernetzbetreiber … in Bezug auf Vermögenswerte, die für den Betrieb, die Wartung oder den Ausbau des Netzes erforderlich sind, tatsächliche Entscheidungsbefugnisse [hat], die er unabhängig von dem integrierten Elektrizitätsunternehmen ausübt“.

    73.

    In diesem Zusammenhang stellt sich, da die nationalen bulgarischen Rechtsvorschriften und insbesondere Art. 88 Abs. 1 ZE das Erfordernis des Eigentums des Verteilernetzbetreibers am Verteilernetz vorsehen, die Frage, ob die Bestimmung dieses Erfordernisses im Einklang mit der Richtlinie 2009/72 steht oder nicht.

    74.

    Insoweit bin ich der Auffassung, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts, nach der der Verteilernetzbetreiber der Eigentümer dieses Netzes sein muss, für sich genommen grundsätzlich nicht gegen Sinn und Zweck der Richtlinie 2009/72 verstößt. Sie scheint abstrakt im Einklang mit den von der Letzteren verfolgten Zielen zu stehen, soweit sie der Logik entspricht, die Trennung zwischen den verschiedenen Ebenen von Tätigkeiten im Stromsektor zu verstärken. In dieser Hinsicht erstreckt eine derartige Bestimmung des nationalen Rechts eine Anforderung auf den Verteilernetzbetreiber, die in der Richtlinie bereits für den Übertragungsnetzbetreiber vorgesehen ist.

    75.

    Daher bin ich der Meinung, dass die Einführung der Anforderung, dass die Vermögensgegenstände, mit denen die Tätigkeit der Verteilung ausgeübt wird, Eigentum des Verteilernetzbetreibers sind, in einer nationalen Regelung grundsätzlich in den Ermessensspielraum fällt, den die Richtlinie 2009/72 den Mitgliedstaaten für ihre Umsetzung überlässt.

    76.

    Allerdings ist es erforderlich, dass die Vorschrift einer solchen subjektiven Anforderung an den Verteilernetzbetreiber im nationalen Recht konkret die Verwirklichung der von der Richtlinie 2009/72 verfolgten Ziele nicht gefährdet, was das nationale Gericht im Einzelfall zu prüfen hat.

    77.

    Insoweit scheinen einige Bemerkungen angebracht zu sein.

    78.

    Erstens müssen, wie sich aus den vorstehenden Nrn. 35 bis 37 ergibt, die Übertragungs- und Verteilernetze insgesamt der rechtlichen Regelung der Richtlinie unterliegen. Es können daher keine „Grauzonen“ bestehen, d. h. Teile des Stromnetzes, die als Übertragungs- oder Verteilernetze im Sinne der Richtlinie 2009/72 eingestuft werden können, die jedoch der von dieser vorgesehenen rechtlichen Regelung entzogen sind. Die Richtlinie 2009/72 sieht im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen dem Übertragungsnetz und dem Verteilernetz kein tertium genus vor und geht davon aus, dass das gesamte Stromnetz ihren Bestimmungen unterliegt.

    79.

    Daraus folgt, dass für den Fall, dass ein Stromnetz in Anwendung der oben in den Nrn. 31 und 51 ff. beschriebenen Kriterien der Spannung und der Funktion als Verteilernetz eingestuft werden kann, es, unabhängig von der Anwendung des gegebenenfalls von der nationalen Regelung vorgesehenen zusätzlichen Erfordernisses des Eigentums, der von der Richtlinie 2009/72 vorgesehenen rechtlichen Regelung betreffend die Verteilung wird unterliegen müssen.

    80.

    Die Möglichkeit, Teile des Netzes in Anwendung etwaiger von der nationalen Regelung vorgesehener zusätzlicher Anforderungen der Regelung der Richtlinie 2009/72 zu entziehen, würde nämlich das System der Richtlinie 2009/72 untergraben und die von dieser verfolgten Ziele, wie die Schaffung eines Elektrizitätsbinnenmarkts, den freien Zugang Dritter und die Versorgungssicherheit, beeinträchtigen.

    81.

    Meines Erachtens ist daher eine Auslegung des nationalen Rechts, wonach aus dem Begriff des Verteilernetzes alle Vermögensgegenstände und alle Netze, die nicht Eigentum des Verteilers sind, unabhängig von ihrer Einstufung als Verteilernetz in Anwendung der Kriterien der Richtlinie 2009/72, rechtlich ausgeschlossen sind, nicht mit den Bestimmungen der Richtlinie 2009/72 vereinbar. Daraus folgt, dass ein Netz, das zur Weiterleitung von Strom in Hoch‑, Mittel- und Niedrigspannung für den Verkauf an Großhändler und Endkunden dient, ein Verteilernetz im Sinne der Richtlinie 2009/72 darstellt und daher der von dieser vorgesehenen Regelung unterliegt, unabhängig davon, ob es im Eigentum des Betreibers des Verteilernetzes steht oder nicht.

    82.

    Zweitens darf die gesetzliche Bestimmung des Erfordernisses des Eigentums des Verteilernetzbetreibers am Verteilernetz das grundlegende Ziel der Richtlinie 2009/72, einen vollständig geöffneten Markt zu schaffen, in dem der Wettbewerb gewährleistet ist, nicht beeinträchtigen. Insbesondere könnte die Bestimmung eines solchen Erfordernisses eine Art normative Barriere für den Eintritt in den Sektor der Stromverteilung schaffen, wodurch die Gefahr besteht, dass der Eigentümer des Verteilernetzes rechtlich eine Art ewiges Monopol der Verteilung in einem bestimmten Gebiet erhält.

    83.

    Wenn nämlich das Eigentum am Verteilernetz eine gesetzlich vorgeschriebene Anforderung ist, um Tätigkeiten der Verteilung in einem bestimmten Gebiet auszuüben, kann nur der Eigentümer dieses Netzes als Netzbetreiber bestimmt werden, und es könnten keine Ausschreibungen zur Vergabe dieses Betriebs vorgesehen sein, was in Ermangelung eines Wettbewerbs die Anreize für den Eigentümer des Netzes zur Steigerung dessen Effizienz verringern könnte.

    84.

    Es ist im Übrigen Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies konkret im Rahmen der fraglichen nationalen Rechtsordnung der Fall ist.

    85.

    Nach alledem ist meines Erachtens der Schluss zu ziehen, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2009/72 grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die als subjektives zusätzliches Erfordernis für den Verteilernetzbetreiber vorsieht, dass dieser Eigentümer dieses Netzes ist, sofern die Anwendung dieses von der nationalen Regelung vorgesehenen zusätzlichen Erfordernisses die Erreichung der von der Richtlinie verfolgten Ziele nicht beeinträchtigt, was das nationale Gericht konkret im Einzelfall festzustellen hat.

    C.   Zur dritten Vorlagefrage

    86.

    Mit der dritten Vorlagefrage, die meiner Ansicht nach vor der zweiten zu prüfen ist ( 28 ), fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof, ob mit der Richtlinie 2009/72 nationale Bestimmungen wie zum einen § 1 Nrn. 20 und 44 der Ergänzungsvorschriften zum ZE, die die Begriffe „Elektrizitätsübertragungsnetz“ und „Übertragung von Elektrizität“ definieren, und zum anderen Art. 88 Abs. 1 ZE, der dem Eigentümer des Verteilernetzes die Tätigkeit der Verteilung und den Betrieb des Netzes vorbehält, vereinbar sind.

    87.

    Die Antwort auf die dritte Vorlagefrage ergibt sich unmittelbar aus den Antworten, die ich zur ersten Frage vorgeschlagen habe.

    88.

    Was die Vereinbarkeit von nationalen Bestimmungen wie § 1 Nrn. 20 und 44 der Ergänzungsvorschriften zum ZE mit der Richtlinie 2009/72 anbelangt, ergibt sich aus der vorstehenden Nr. 65, dass Art. 2 Nrn. 4 und 6 der Richtlinie 2009/72 den Mitgliedstaaten die Wahl lässt, zu bestimmen, ob die Verbindungspunkte zwischen Übertragungsnetzen und Verteilernetzen – wie die in der vorstehenden Nr. 56 angeführten Umspannwerke, die die Elektrizität von Höchst- und Hochspannung in Mittelspannung umwandeln – Teil des Übertragungsnetzes oder Teil des Verteilernetzes sind. Daraus folgt, dass die Richtlinie 2009/72 nationalen Bestimmungen nicht entgegensteht, die vorsehen, dass das Elektrizitätsübertragungsnetz die Gesamtheit der Elektroleitungen und Elektrizitätsanlagen umfasst, die der Übertragung von Elektrizität und der Transformation der Elektrizität von Hoch- in Mittelspannung dienen ( 29 ).

    89.

    Was die Vereinbarkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts wie Art. 88 Abs. 1 ZE mit der Richtlinie 2009/72 betrifft, so ergibt sich diese klar aus der vorstehenden Nr. 85.

    D.   Zur zweiten Vorlagefrage

    90.

    Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen sind, dass ein Stromkunde, der einen Anschluss an das Mittelspannungsnetz hat, immer als Kunde des Verteilernetzbetreibers, der eine Lizenz für das entsprechende Gebiet hat, zu behandeln ist, und zwar unabhängig von der Person des Eigentümers der Vorrichtungen, an die dieser Kunde unmittelbar angeschlossen ist, und unabhängig von den Verträgen, die dieser Kunde unmittelbar mit dem Übertragungsnetzbetreiber hat.

    91.

    Diese Vorlagefrage stellt sich in einer tatsächlichen Situation, in der eine Mittelspannungsleitung, die den Kunden an das Stromnetz anschließt (die Leitung „Novo pristanishte“, die in den Rahmen der Konzession der BMF fällt), an die Mittelspannungsanlage eines Umspannwerks angeschlossen ist, das Eigentum des Betreibers des Übertragungsnetzes ist (das Umspannwerk „Ribari“ im Eigentum der ESO).

    92.

    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass in einer solchen Situation der Umstand, dass der Anschluss auf der Mittelspannungsebene erfolgt, für sich genommen nicht zwangsläufig bedeutet, dass der fragliche Kunde an das Verteilernetz angeschlossen ist.

    93.

    Aus der vorstehenden Nr. 56 geht nämlich hervor, dass es möglich ist, dass der Anschluss des Kunden auf der Ebene einer Mittelspannungsanlage erfolgt, die Teil eines Umspannwerks ist. Nach der nationalen Regelung des betreffenden Mitgliedstaats, der, wie sich oben aus den Nrn. 65 und 88 ergibt, insoweit über einen Ermessensspielraum verfügt, könnte dieses Umspannwerk Teil des Übertragungsnetzes sein.

    94.

    In einem solchen Fall wäre der Kunde, obwohl er auf der Mittelspannungsebene an das Stromnetz angeschlossen ist, unmittelbar an das Übertragungsnetz angeschlossen, zu dem er nach Art. 32 der Richtlinie 2009/72 im Einklang mit den vom Gerichtshof festgestellten und oben in den Nrn. 38 bis 43 dargelegten Kriterien ein Recht auf freien Zugang hätte. In einem solchen Fall würden die Netzdienste diesem Kunden vom Übertragungsnetzbetreiber bereitgestellt.

    95.

    Es ist im Übrigen Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies hier der Fall ist. Insbesondere wird das vorlegende Gericht festzustellen haben, ob die Mittelspannungsanlage, an die die Leitung „Novo pristanishte“ angeschlossen ist, ein internes Mittelspannungselement des Umspannwerks „Ribari“ ist (das Teil des sekundären Systems dieses Umspannwerks ist), was auf der Grundlage der Darstellung des vorlegenden Gerichts in seinem Vorabentscheidungsersuchen der Fall zu sein scheint, oder ob diese Anlage hingegen ein Element außerhalb des Umwandlungsnetzes des Umspannwerks „Ribari“ ist, das strukturell Teil des Verteilernetzes ist.

    96.

    Im ersten Fall wird der Kunde, wenn auch auf der Mittelspannungsebene, unmittelbar an das Übertragungsnetz angeschlossen sein und die Netzdienste würden ihm durch den Betreiber dieses Netzes bereitgestellt, so dass der Kunde ein Kunde dieses Betreibers wird. Im zweiten Fall wird der Nutzer umgekehrt an das Verteilernetz angeschlossen sein, in welchem Fall ihm die Netzdienste vom Verteilernetzbetreiber bereitgestellt werden, als dessen Kunde er zu betrachten wäre, unabhängig davon, wer Eigentümer der Anlage ist, mit der der Kunde verbunden ist.

    97.

    Schließlich halte ich es für angebracht, ergänzend darauf hinzuweisen, dass sich zur Mittelspannungsleitung „Novo pristanishte“ aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, dass diese ausschließlich zur Lieferung von Strom an BMF genutzt wird. Sollte dies nicht der Fall sein ( 30 ), würde sich das Problem ihrer möglichen Einstufung als geschlossenes Verteilernetz im Sinne von Art. 28 der Richtlinie 2009/72, wenn die Voraussetzungen für eine solche Einstufung vorliegen, oder gegebenenfalls einfach als Verteilernetz stellen. Jedenfalls ergibt sich aus den Erwägungen in den vorstehenden Nrn. 35 bis 37 und 78 bis 81, dass für den Fall, dass diese Mittelspannungsleitung für die Versorgung von anderen Kunden als BMF genutzt werden sollte und somit als Verteilernetz einzustufen wäre, sie keinesfalls der von der Richtlinie 2009/72 vorgesehenen Regelung entzogen werden könnte.

    98.

    Nach alledem ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass sich aus einer Auslegung von Art. 2 Nrn. 3, 4, 5 und 6 der Richtlinie 2009/72 ergibt, dass ein Stromkunde, der einen Anschluss an das Mittelspannungsnetz hat, nicht zwangsläufig immer als Kunde des Verteilernetzbetreibers, der eine Lizenz für das entsprechende Gebiet hat, zu behandeln ist, sondern es Sache des nationalen Gerichts ist, unter Berücksichtigung aller relevanten rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu prüfen, ob dieser Kunde an ein Umspannwerk angeschlossen ist, das Teil des Übertragungsnetzes ist, oder ob er an das Verteilernetz angeschlossen ist, und das unabhängig davon, wer Eigentümer der Anlage ist, mit der der Kunde verbunden ist. Im ersten Fall wird dieser Kunde als Kunde des Übertragungsnetzbetreibers anzusehen sein, während er im zweiten Fall als Kunde des Verteilernetzbetreibers zu betrachten sein wird.

    IV. Ergebnis

    99.

    Nach alledem schlage ich vor, auf die Vorlagefragen des Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia, Bulgarien) wie folgt zu antworten:

    1.

    Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2009/72 ist dahin auszulegen, dass das Kriterium der Stromspannung für die Unterscheidung zwischen Übertragung und Verteilung von Strom maßgeblich ist und, gemeinsam mit der Funktion des fraglichen Netzes, das maßgebliche Kriterium darstellt, um festzustellen, ob ein Netz ein Übertragungsnetz oder ein Verteilernetz im Sinne dieser Richtlinie ist. Die Mitgliedstaaten können daher in ihrer nationalen Regelung keine zusätzlichen Kriterien für die Unterscheidung zwischen einem Übertragungsnetz und einem Verteilernetz vorsehen. Die Mitgliedstaaten verfügen jedoch über einen gewissen Handlungsspielraum bei der Umsetzung dieser Begriffe, sofern die von der Richtlinie verfolgten Ziele nicht beeinträchtigt werden, indem sie z. B. Grenzen für die verschiedenen Spannungsebenen (sehr hohe, hohe, mittlere und niedrige) bestimmen. Nach Art. 2 Nrn. 4 und 6 der Richtlinie 2009/72 steht es den Mitgliedstaaten auch frei, zu bestimmen, ob die Verbindungspunkte zwischen Übertragungsnetzen und Verteilernetzen, wie die Umspannwerke, Teil des Übertragungsnetzes oder des Verteilernetzes sind.

    2.

    Die Bestimmungen der Richtlinie 2009/72 stehen grundsätzlich einer nationalen Bestimmung nicht entgegen, die als subjektives zusätzliches Erfordernis für den Verteilernetzbetreiber vorsieht, dass dieser Eigentümer dieses Netzes ist, sofern die Anwendung dieses von der nationalen Regelung vorgesehenen zusätzlichen Erfordernisses die Erreichung der von der Richtlinie verfolgten Ziele konkret nicht beeinträchtigt, was das nationale Gericht im Einzelfall festzustellen hat.

    3.

    Die Bestimmungen der Richtlinie 2009/72 stehen einer nationalen Bestimmung nicht entgegen, die vorsieht, dass das Elektrizitätsübertragungsnetz die Gesamtheit der Elektroleitungen und Elektrizitätsanlagen umfasst, die der Übertragung von Elektrizität und der Transformation der Elektrizität von Hoch- in Mittelspannung dienen.

    4.

    Art. 2 Nrn. 3, 4, 5 und 6 der Richtlinie 2009/72 ist dahin auszulegen, dass ein Stromkunde, der einen Anschluss an das Mittelspannungsnetz hat, nicht zwangsläufig immer als Kunde des Verteilernetzbetreibers, der eine Lizenz für das entsprechende Gebiet hat, zu behandeln ist, sondern es ist Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller relevanten rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu prüfen, ob dieser Kunde an ein Umspannwerk angeschlossen ist, das Teil des Übertragungsnetzes ist, oder ob er an das Verteilernetz angeschlossen ist, und das unabhängig davon, wer Eigentümer der Anlage ist, mit der der Kunde verbunden ist. Im ersten Fall wird dieser Kunde als Kunde des Übertragungsnetzbetreibers anzusehen sein, während er im zweiten Fall als Kunde des Verteilernetzbetreibers zu betrachten sein wird.


    ( 1 ) Originalsprache: Italienisch.

    ( 2 ) ABl. 2009, L 211, S. 55.

    ( 3 ) Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Anlagen der BMF im Hafen Burgas auch durch zwei andere Leitungen an das Stromnetz angeschlossen sind: die Leitung „Komi“ und die Stromleitung „Parova tsentrala“ (Dampfkraftwerk). Diese beiden Stromleitungen sind jedoch von dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit nicht betroffen.

    ( 4 ) Vgl. dazu Urteil vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 27). Am 30. November 2016 veröffentlichte die Kommission einen Vorschlag für eine Neufassung der Richtlinie (vgl. COM[2016] 864 final [Berichtigung (betrifft nicht die deutsche Fassung)]).

    ( 5 ) Vgl. dazu Urteil vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 55).

    ( 6 ) Vgl. dazu in Bezug auf die vorherige Richtlinie 2003/54/EG die Urteile vom 22. Mai 2008, citiworks (C‑439/06, EU:C:2008:298, Rn. 40 bis 44), und vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a. (C‑239/07, EU:C:2008:551, Rn. 31).

    ( 7 ) Urteile vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 28), sowie, entsprechend, vom 22. Mai 2008, citiworks (C‑439/06, EU:C:2008:298, Rn. 45).

    ( 8 ) Vgl. in Bezug auf die Richtlinie 2003/54 Urteil vom 22. Mai 2008, citiworks (C‑439/06, EU:C:2008:298, Rn. 46). Vgl. auch Urteil vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 29).

    ( 9 ) Ebd., Rn. 48 bzw. Rn. 30.

    ( 10 ) Urteil vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 31 und 35).

    ( 11 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 37).

    ( 12 ) Dieser Grundsatz ist klar aus den Urteilen vom 22. Mai 2008, citiworks (C‑439/06, EU:C:2008:298, Rn. 44, 49 und 55), und vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 48 und 51), zum Zugang Dritter und zur Kategorisierung der von der Richtlinie vorgesehenen Elektrizitätsnetze herzuleiten. Siehe hierzu auch unten, Fn. 25.

    ( 13 ) Urteil vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 48).

    ( 14 ) Vgl. dazu in Bezug auf die Richtlinie 2003/54 Urteil vom 22. Mai 2008, citiworks (C‑439/06, EU:C:2008:298, Rn. 49 a. E.).

    ( 15 ) Art. 32 („Zugang Dritter“) der Richtlinie 2009/72 bestimmt in seinem Abs. 1, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … die Einführung eines Systems für den Zugang Dritter zu den Übertragungs- und Verteilernetzen auf der Grundlage veröffentlichter Tarife [gewährleisten]; die Zugangsregelung gilt für alle zugelassenen Kunden und wird nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung zwischen den Netzbenutzern angewandt“.

    ( 16 ) Urteil vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a. (C‑239/07, EU:C:2008:551, Rn. 46).

    ( 17 ) Vgl. zuletzt Urteil vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961 Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 18 ) Urteil vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 56).

    ( 19 ) Urteil vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a. (C‑239/07, EU:C:2008:551, Rn. 46).

    ( 20 ) Vgl. Urteile vom 22. Mai 2008, citiworks (C‑439/06, EU:C:2008:298, Rn. 43), vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a. (C‑239/07, EU:C:2008:551, Rn. 33), sowie vom 28. November 2018, Solvay Chimica Italia u. a. (C‑262/17, C‑263/17 und C‑273/17, EU:C:2018:961, Rn. 55).

    ( 21 ) Vgl. Urteil vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a. (C‑239/07, EU:C:2008:551, Rn. 43), sowie Nr. 41 der Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in dieser Rechtssache (EU:C:2008:344).

    ( 22 ) Urteil vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a. (C‑239/07, EU:C:2008:551, Rn. 47).

    ( 23 ) Urteil vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a. (C‑239/07, EU:C:2008:551, Rn. 48).

    ( 24 ) Rn. 59.

    ( 25 ) Zu einer Beurteilung des vollständigen Charakters oder seines Fehlens der von der Richtlinie 2009/72 eingeführten Harmonisierung vgl. entsprechend die Erwägungen der Generalanwältin Sharpston in den Nrn. 28 ff. der Schlussanträge in der Rechtssache FENS (C‑305/17, EU:C:2018:536). Vgl. dazu auch Rn. 23 ff. des Urteils vom 6. Dezember 2018, FENS (C‑305/17, EU:C:2018:986), sowie Nr. 50 der Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Renerga (C‑238/17, EU:C:2018:571).

    ( 26 ) Vgl. insoweit den elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72.

    ( 27 ) Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist darauf zurückzuführen, dass, wie aus dem 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72 hervorgeht, in Bezug auf den Netzzugang und Investitionen Dritter sich die Diskriminierungsproblematik weniger auf der Ebene der Verteilung als vielmehr auf der Ebene der Übertragung stellt.

    ( 28 ) Das vorlegende Gericht ersucht um eine Antwort auf die dritte Frage, falls die erste Vorlagefrage verneint wird, und auf die zweite Frage, falls diese erste Frage bejaht wird. In Anbetracht der Antworten, die ich auf die erste Vorlagefrage vorschlage, ist es jedoch meines Erachtens erforderlich, alle vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen zu beantworten, um diesem Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben.

    ( 29 ) Meiner Ansicht nach ist zu dem von § 1 Nr. 20 der Ergänzungsvorschriften zum ZE vorgesehenen Element betreffend die Umverteilung der Elektrizitätsströme nicht Stellung zu nehmen, das von den Fragen, die sich vor dem vorlegenden Gericht stellen, nicht betroffen scheint.

    ( 30 ) Es geht nämlich aus den von BMF beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen nicht klar hervor, ob ein anderer Nutzer (Pristanishte Burgas EAD) Strom über dieselbe Leitung erhält.

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