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Document 62017CC0603

    Schlussanträge des Generalanwalts H. Saugmandsgaard Øe vom 24. Januar 2019.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:65

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE

    vom 24. Januar 2019 ( 1 )

    Rechtssache C‑603/17

    Peter Bosworth,

    Colin Hurley

    gegen

    Arcadia Petroleum Limited u. a.

    (Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court of the United Kingdom [Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Lugano‑II-Übereinkommen – Titel II Abschnitt 5 – Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge – Schadensersatzklagen von mehreren Gesellschaften derselben Gruppe gegen ehemalige Direktoren – Begriffe ‚individueller Arbeitsvertrag‘ und ‚Arbeitgeber‘ – Klagen, die auf Rechtsgrundlagen beruhen, die nach materiellem Recht deliktischer Natur sind – Voraussetzungen, unter denen bei solchen Klagen für die Zwecke des Lugano‑II-Übereinkommens ein Vertrag und/oder Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag und/oder Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden“

    I. Einleitung

    1.

    Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen hat der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) dem Gerichtshof vier Fragen zur Auslegung des am 30. Oktober 2007 unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ( 2 ) (im Folgenden: Lugano‑II-Übereinkommen) vorgelegt.

    2.

    Diese Fragen wurden im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Alleinaktionär sowie mehreren Gesellschaften einer multinationalen Gruppe und ehemaligen Direktoren über den Ersatz des Schadens gestellt, der durch einen zum Nachteil dieser Gesellschaften begangenen Betrug entstanden sein soll, dessen wichtigste Planer und Begünstigte diese Direktoren sein sollen.

    3.

    Beim jetzigen Stand des Ausgangsrechtsstreits muss das vorlegende Gericht feststellen, ob die Gerichte von England und Wales für die Entscheidung über diese Klagen zuständig sind oder ob die Schweizer Gerichte als Gerichte des Wohnsitzes der in Rede stehenden ehemaligen Direktoren mit allen oder einem Teil der Klagen befasst werden müssen. Die Antwort hängt davon ab, ob bei diesen Klagen im Sinne der Vorschriften von Titel II Abschnitt 5 des Lugano‑II-Übereinkommens (im Folgenden: Abschnitt 5) „ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden“.

    4.

    In diesem Zusammenhang werfen die Fragen dieses Gerichts drei komplexe Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Auslegung der Schlüsselbegriffe dieses Abschnitts 5 auf, nämlich der Begriffe „individueller Arbeitsvertrag“, „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“. Ferner stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsstreit zwischen Parteien eines solchen „Vertrags“, der auf einer Rechtsgrundlage beruht, die nach materiellem Recht deliktischer Natur ist, unter diesen Abschnitt fällt.

    5.

    In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich darlegen, warum Direktoren von Gesellschaften, die ihre Aufgaben vollkommen autonom wahrnehmen, mit der Gesellschaft, für die sie sie wahrnehmen, nicht durch einen „individuellen Arbeitsvertrag“ im Sinne der Vorschriften von Abschnitt 5 verbunden sind. Hilfsweise werde ich zum einen erläutern, warum ein Rechtsstreit, der zwischen den Parteien dieses „Vertrags“ geführt wird und auf einer deliktischen Rechtsgrundlage beruht, unter diesen Abschnitt fällt, sofern der Rechtsstreit anlässlich des Arbeitsverhältnisses entstanden ist, und zum anderen, warum ein „Arbeitgeber“ im Sinne der Vorschriften dieses Abschnitts nicht notwendigerweise ausschließlich die Person ist, mit der der Arbeitnehmer formal einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat.

    II. Lugano‑II-Übereinkommen

    6.

    Abschnitt 5 („Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge“) enthält u. a. die Art. 18 und 20 des Lugano‑II-Übereinkommens.

    7.

    Art. 18 Abs. 1 des Übereinkommens bestimmt: „Bilden ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5 nach diesem Abschnitt.“

    8.

    Nach Art. 20 Abs. 1 des Übereinkommens kann „[d]ie Klage des Arbeitgebers … nur vor den Gerichten des durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat“.

    III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

    9.

    Zur Arcadia-Gruppe gehören u. a. die Gesellschaften Arcadia London, Arcadia Switzerland und Arcadia Singapore. Diese Gruppe steht zu 100 % im Eigentum der Farahead Holdings Ltd (im Folgenden: Farahead). In dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum waren Herr Peter Bosworth und Herr Colin Hurley (im Folgenden gemeinsam: Beklagte des Ausgangsverfahrens), die nunmehr ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, Chief Executive Officer (CEO) bzw. Chief Financial Officer (CFO) dieser Gruppe. Sie waren zudem Direktoren der drei in Rede stehenden Arcadia-Gesellschaften. Jeder von ihnen hatte zudem einen Arbeitsvertrag mit einer dieser Gesellschaften, der von ihnen selbst oder unter ihrer Verantwortung abgefasst worden war.

    10.

    Am 12. Februar 2015 verklagten die drei oben genannten Arcadia-Gesellschaften und Farahead (im Folgenden: Arcadia) mehrere Personen, darunter die Beklagten des Ausgangsverfahrens, beim High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Commercial Court) (Obergericht für England und Wales, Kammer für Handelssachen). Mit ihren Klagen begehren sie den Ersatz des Schadens, der der Gruppe zwischen April 2007 und Mai 2013 durch eine Reihe betrügerischer Geschäfte unter Einbeziehung der Arcadia-Gesellschaften entstanden sein soll.

    11.

    Nach Ansicht von Arcadia sind die Beklagten des Ausgangsverfahrens die wichtigsten Planer und Begünstigten dieses Betrugs. In ihrer Eigenschaft als CEO und CFO der Gruppe hätten sie sich mit den übrigen beschuldigten Personen zusammengetan, um den größten Teil der Gewinne aus den streitigen Geschäften abzuschöpfen, und diese Geschäfte vor Farahead verheimlicht. Die Betroffenen bestreiten diese Anschuldigungen nachdrücklich.

    12.

    In ihrer ursprünglichen Klageschrift hatte Arcadia behauptet, die von den Beklagten des Ausgangsverfahrens begangenen Fehler stellten (1) eine unerlaubte Handlung („tort“) der Absprache mit rechtswidrigen Mitteln („unlawful means conspiracy“), (2) eine unerlaubte Handlung der Verletzung der Treuepflicht („breach of fiduciary duty“) und (3) einen Verstoß gegen die sich aus ihren Arbeitsverträgen ergebenden ausdrücklichen oder impliziten Vertragspflichten („breach of express and/or implied contractual duties“) dar.

    13.

    Mit einer Unzuständigkeitseinrede vom 9. März 2015 machten die Betroffenen geltend, die Gerichte von England und Wales seien nach dem Lugano‑II-Abkommen nicht für die Entscheidung über die sie betreffenden Klagen von Arcadia zuständig. Bei diesen Klagen bildeten „individuelle Arbeitsverträge oder Ansprüche aus individuellen Arbeitsverträgen den Gegenstand des Verfahrens“, so dass sie unter Abschnitt 5 fielen. Daher seien insoweit nur die Gerichte ihres Wohnsitzstaats, d. h. die Schweizer Gerichte, zuständig.

    14.

    In der Folge änderten die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens ihre Klageschrift. Sie machten nicht mehr die Verletzung der sich aus den Arbeitsverträgen der Beklagten des Ausgangsverfahrens ergebenden Pflichten geltend und unterließen jede Bezugnahme auf die Verletzung dieser Pflichten als rechtswidriges Mittel im Rahmen der unerlaubten Absprache.

    15.

    Mit Urteil vom 1. April 2015 bejahte der High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Commercial Court) (Obergericht für England und Wales, Kammer für Handelssachen), die Zuständigkeit der Gerichte von England und Wales für die Entscheidung über die Klagen von Arcadia, soweit sie auf die unerlaubte Handlung der Absprache mit rechtswidrigen Mitteln („unlawful means conspiracy“) gestützt seien. Zudem entschied er, dass diese Gerichte auch für die Prüfung der Klagen zuständig seien, soweit sie auf die unerlaubte Handlung einer Verletzung der Treuepflicht („breach of fiduciary duty“) gestützt seien, während sie nicht dafür zuständig seien, die auf dieser Grundlage von Arcadia London und Arcadia Singapore erhobenen Klagen hinsichtlich der Vorfälle zu prüfen, die sich zu der Zeit ereignet hätten, als zwischen diesen Gesellschaften und Herrn Bosworth oder Herrn Hurley ein Arbeitsvertrag bestanden habe. Insoweit, und nur insoweit, bildeten nämlich bei den Klagen von Arcadia „individuelle Arbeitsverträge oder Ansprüche aus individuellen Arbeitsverträgen den Gegenstand des Verfahrens“ im Sinne der Vorschriften von Abschnitt 5.

    16.

    Die Beklagten des Ausgangsverfahrens legten gegen dieses Urteil Berufung beim Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England und Wales] [Zivilabteilung], Vereinigtes Königreich) ein. Ihre Berufung wurde mit Urteil vom 19. August 2016 zurückgewiesen. Der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) gestattete den Betroffenen jedoch, Rechtsmittel einzulegen.

    17.

    Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Nach welchem Kriterium bestimmt sich, ob ein von einem Arbeitgeber gegen einen Arbeitnehmer oder einen früheren Arbeitnehmer (im Folgenden: Arbeitnehmer) geltend gemachter Anspruch unter den Begriff „Ansprüche aus“ einem individuellen Arbeitsvertrag im Sinne des Titels II Abschnitt 5 (Art. 18 bis 21) des Lugano‑II-Übereinkommens fällt?

    a)

    Fällt ein Anspruch eines Arbeitgebers gegen einen Arbeitnehmer bereits dann unter die Art. 18 bis 21 des Lugano‑II-Übereinkommens, wenn die zur Last gelegte Handlung von dem Arbeitgeber auch als Verletzung des individuellen Arbeitsvertrags durch den Arbeitnehmer geltend gemacht werden könnte – auch wenn der vom Arbeitgeber tatsächlich geltend gemachte Anspruch nicht auf eine Verletzung dieses Vertrags gestützt oder als eine solche Vertragsverletzung gerügt oder eingeklagt wird, sondern (z. B.) aufgrund einer oder mehrerer der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anspruchsgrundlagen geltend gemacht wird?

    b)

    Hilfsweise: Fällt ein von einem Arbeitgeber gegen einen Arbeitnehmer geltend gemachter Anspruch nur dann unter die Art. 18 bis 21, wenn es sich bei der Pflicht, auf die der Anspruch tatsächlich gestützt wird, um eine Pflicht aus dem Arbeitsvertrag handelt? Wenn dies das richtige Kriterium ist, folgt dann daraus, dass ein Anspruch, der nur auf die Verletzung einer Pflicht gestützt wird, die unabhängig von dem Arbeitsvertrag zur Entstehung gelangte (und, sofern relevant, auch keine vom Arbeitnehmer „freiwillig übernommene“ Pflicht darstellt) nicht unter Abschnitt 5 fällt?

    c)

    Wenn keines der oben genannten Kriterien richtig ist, welches ist dann das richtige Kriterium?

    2.

    Inwieweit bedarf es im Fall eines zwischen einer Gesellschaft und einer Einzelperson geschlossenen „Vertrags“ (im Sinne des Art. 5 Nr. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens) eines Über-/Unterordnungsverhältnisses zwischen der Gesellschaft und der Einzelperson, damit dieser Vertrag unter den Begriff des „individuellen Arbeitsvertrags“ im Sinne des Abschnitts 5 von Titel II des Übereinkommens fällt? Besteht ein solches Verhältnis auch dann, wenn die Einzelperson die Bedingungen des Vertrags mit der Gesellschaft selbst bestimmen kann und diese tatsächlich bestimmt und die Kontrolle und die Autonomie über das Tagesgeschäft der Gesellschaft sowie die Durchführung seiner eigenen Aufgaben besitzt, aber die Aktionäre der Gesellschaft dieses Verhältnis beenden können?

    3.

    Wenn Titel II Abschnitt 5 des Lugano‑II-Übereinkommens nur auf Ansprüche Anwendung findet, die, wenn es Abschnitt 5 nicht gäbe, unter Art. 5 Nr. 1 fallen würden, nach welchem Kriterium bestimmt sich dann, ob ein Anspruch unter Art. 5 Nr. 1 fällt?

    a)

    Besteht das richtige Kriterium darin, dass ein Anspruch unter Art. 5 Nr. 1 fällt, wenn die zur Last gelegte Handlung als Vertragsverletzung geltend gemacht werden könnte, auch wenn der vom Arbeitgeber geltend gemachte Anspruch tatsächlich nicht auf eine Verletzung dieses Vertrags gestützt oder als eine solche Vertragsverletzung gerügt oder eingeklagt wird?

    b)

    Oder besteht das richtige Kriterium darin, dass ein Anspruch nur dann unter Art. 5 Nr. 1 fällt, wenn es sich bei der Pflicht, auf die der Anspruch tatsächlich gestützt wird, um eine Vertragspflicht handelt? Für den Fall, dass dies das richtige Kriterium ist: Folgt dann daraus, dass ein Anspruch, der ausschließlich auf die Verletzung einer Pflicht gestützt wird, die unabhängig von dem Vertrag zur Entstehung gelangte (und auch, sofern relevant, keine Pflicht war, die der Beklagte „freiwillig übernommen“ hat), nicht unter Art. 5 Nr. 1 fällt?

    c)

    Wenn keines der oben genannten Kriterien richtig ist, welches ist dann das richtige Kriterium?

    4.

    Gegeben sei der folgende Sachverhalt:

    a)

    Die Gesellschaften A und B sind Teil einer Unternehmensgruppe.

    b)

    Für diese Unternehmensgruppe übt der Beklagte X de facto die Rolle des Chief Executive Officer aus (wie Herr Bosworth für die Arcadia-Unternehmensgruppe). X ist bei einer der Gesellschaften der Unternehmensgruppe, nämlich bei der Gesellschaft A, angestellt (und ist damit ein Arbeitnehmer der Gesellschaft A) (so wie zeitweise Herr Bosworth) und ist nach innerstaatlichem Recht nicht bei der Gesellschaft B angestellt.

    c)

    Von der Gesellschaft A werden gegen X Ansprüche geltend macht, die unter die Art. 18 bis 21 des Lugano‑II-Übereinkommens fallen.

    d)

    Wegen Handlungen, die von gleicher Art sind wie die, auf die die Gesellschaft A ihre Ansprüche gegen X stützt, werden auch von der anderen Gesellschaft in der Unternehmensgruppe, der Gesellschaft B, Ansprüche gegen X geltend gemacht.

    Nach welchem Kriterium bestimmt sich im Rahmen eines solchen Sachverhalts, ob die Ansprüche der Gesellschaft B unter Abschnitt 5 von Titel II des Lugano‑II-Abkommens fallen? Insbesondere:

    Hängt die Antwort auf diese Frage davon ab, ob zwischen X und der Gesellschaft B ein „individueller Arbeitsvertrag“ im Sinne des Abschnitts 5 von Titel II des Lugano‑II-Übereinkommens bestand und, wenn ja, nach welchem Kriterium bestimmt sich, ob ein solcher Vertrag bestand?

    Ist die Gesellschaft B als „Arbeitgeber“ des X im Sinne des Titels II Abschnitt 5 des Lugano‑II-Übereinkommens anzusehen, und/oder fallen die Ansprüche der Gesellschaft B gegen X (siehe Buchst. d der vierten Frage) in gleicher Weise unter die Art. 18 bis 21 des Lugano‑II-Übereinkommens wie die Ansprüche der Gesellschaft A gegen X? Insbesondere:

    a)

    Fällt der Anspruch der Gesellschaft B nur dann unter Art. 18 des Lugano‑II-Übereinkommens, wenn es sich bei der Pflicht, auf die er tatsächlich gestützt wird, um eine Pflicht aus dem Arbeitsvertrag zwischen der Gesellschaft B und X handelt?

    b)

    Oder fällt der Anspruch unter Art. 18 des Lugano‑II-Übereinkommens, wenn die zur Last gelegte Handlung, auf die der Anspruch gestützt wird, eine Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsvertrag zwischen der Gesellschaft A und X darstellen würde?

    Wenn keines der oben genannten Kriterien richtig ist, welches ist dann das richtige Kriterium?

    18.

    Die Vorlageentscheidung ist am 20. Oktober 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens, Arcadia, die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Europäische Kommission haben beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der Schweizerischen Eidgenossenschaft waren sie alle in der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2018 vertreten.

    IV. Würdigung

    A.   Vorbemerkungen

    19.

    Das Lugano‑II-Übereinkommen ist ein internationales Übereinkommen zwischen der Union, den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Der Gerichtshof ist noch nicht oft mit Fragen zu seiner Auslegung befasst worden. Es handelt sich um ein Parallelinstrument zur Verordnung (EG) Nr. 44/2001 ( 3 ) mit den gleichen Zielen und den gleichen Zuständigkeitsregeln wie diese. Daher ist die umfangreiche Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Verordnung auf die entsprechenden Vorschriften des Übereinkommens übertragbar ( 4 ).

    20.

    Die Fragen des vorlegenden Gerichts fügen sich in folgenden rechtlichen Rahmen ein. Arcadia vertritt die Ansicht, die englischen Gerichte seien gemäß Art. 6 Nr. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens für die Entscheidung über ihre Klagen gegen die Beklagten des Ausgangsverfahrens zuständig. Diese stünden in enger Beziehung zu ähnlichen Klagen gegen drei andere Personen mit Wohnsitz in England und Wales ( 5 ).

    21.

    Die Betroffenen bestreiten jedoch die Zuständigkeit dieser Gerichte. Sie tragen vor, bei diesen Klagen bildeten „ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens“, so dass sie unter Abschnitt 5 fielen.

    22.

    Insoweit weise ich darauf hin, dass nach Art. 18 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens die gerichtliche Zuständigkeit für solche Klagen den Vorschriften des Abschnitts 5 unterliegt. Nach Art. 20 Abs. 1 des Übereinkommens muss eine Klage eines „Arbeitgebers“ gegen einen „Arbeitnehmer“ vor den Gerichten des Staates erhoben werden, in dem Letzterer seinen Wohnsitz hat. Zudem haben die Vorschriften dieses Abschnitts nach Auffassung des Gerichtshofs abschließenden Charakter ( 6 ). Falls dieser Abschnitt anwendbar sein sollte, könnte sich Arcadia daher nicht auf Art. 6 Nr. 1 des Übereinkommens berufen.

    23.

    Abschnitt 5 soll vor allem ( 7 )den Arbeitnehmer, der als die schwächere Vertragspartei gilt, durch Zuständigkeitsvorschriften schützen, die für ihn günstiger sind ( 8 ). Zu diesem Zweck nimmt dieser Abschnitt dem Arbeitgeber jede Möglichkeit, die Zuständigkeit für die Erhebung seiner Klage zu wählen, und bietet dem Arbeitnehmer den Vorteil, grundsätzlich nur vor den Gerichten verklagt werden zu können, die als die ihm vertrautesten angesehen werden.

    24.

    Der Erfolg der von den Beklagten des Ausgangsverfahrens erhobenen Einrede der Unzuständigkeit hängt davon ab, wie weit der Anwendungsbereich von Abschnitt 5 ist. Dabei gilt Art. 18 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens wie gesagt für Klagen, bei denen „ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens“ bilden. Aus diesem Wortlaut ergeben sich zwei Voraussetzungen: Zum einen muss es einen solchen „Vertrag“ zwischen den Parteien geben; zum anderen muss die Klage in irgendeiner Weise an diesen „Vertrag“ anknüpfen.

    25.

    Die zweite und die vierte Frage des vorlegenden Gerichts betreffen im Wesentlichen die erste dieser Voraussetzungen, während sich die erste und die dritte Frage auf die zweite Voraussetzung beziehen. Ich werde die Auslegung des Begriffs „individueller Arbeitsvertrag“ prüfen (B) und sodann die Problematik der Verbindung, die zwischen der Klage und dem „Vertrag“ bestehen muss (C), bevor ich auf den Begriff „Arbeitgeber“ im Sinne von Abschnitt 5 eingehe (D).

    B.   Zum Begriff „individueller Arbeitsvertrag“ (zweite Frage)

    26.

    Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Verträge wie die zwischen den Beklagten des Ausgangsverfahrens und bestimmten Gesellschaften der Arcadia-Gruppe abgeschlossenen als „individuelle Arbeitsverträge“ im Sinne der Vorschriften von Abschnitt 5 eingestuft werden können. Es möchte wissen, inwiefern es für die Zwecke dieser Einstufung notwendig ist, dass zwischen einer Einzelperson und der Gesellschaft, die auf ihre Dienstleistungen zurückgreift, ein Unterordnungsverhältnis besteht. Es wirft die Frage auf, ob ein solches Verhältnis bestehen kann, wenn die Einzelperson die Bedingungen ihres Vertrags selbst bestimmt und die volle Kontrolle und Autonomie über das Tagesgeschäft der Gesellschaft sowie über die Wahrnehmung ihrer eigenen Aufgaben hat, aber die Aktionäre dieser Gesellschaft den Vertrag beenden können. Zudem fragt es, unter welchen Umständen man für die Zwecke dieses Abschnitts auf das Vorliegen solcher „Verträge“ zwischen den Beklagten des Ausgangsverfahrens und den Arcadia-Gesellschaften schließen kann, mit denen sie formal keinen Vertrag abgeschlossen hatten ( 9 ).

    1. Zur Zulässigkeit

    27.

    Wie das vorlegende Gericht ausführt, hat Arcadia vor den nationalen Untergerichten nicht bestritten, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens in Bezug auf jede der Gesellschaften, mit denen sie formal einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hatten, die Arbeitnehmereigenschaft besaßen. Nach Ansicht der Betroffenen ist es daher für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht notwendig, dass der Gerichtshof auf diese Problematik eingeht.

    28.

    Ich teile diese Ansicht nicht. Im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist es allein Sache des nationalen Gerichts, im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen ( 10 ).

    29.

    Im Übrigen scheint mir der Grund dafür, dass diese Tatsache nicht bestritten wurde, zum einen darin zu liegen, dass Arcadia ursprünglich davon ausging, dass das Vorhandensein eines Arbeitsvertrags im Sinne des materiellen Rechts automatisch zu einer Einstufung als „individueller Arbeitsvertrag“ im Sinne der Vorschriften von Abschnitt 5 führe. Die Gruppe hat jedoch mittlerweile ihre Ansicht geändert und bestreitet diese Einstufung nachdrücklich. Zum anderen haben die Parteien in allen Stadien des nationalen Verfahrens darüber debattiert, ob solche „Verträge“ zwischen den Beklagten des Ausgangsverfahrens und den Gesellschaften der Gruppe, mit denen sie formal keine Verträge abgeschlossen hatten, bestanden ( 11 ). Eine Antwort des Gerichtshofs ist daher offenkundig notwendig.

    2. Zur Beantwortung der Frage

    30.

    Es ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens zu der nach dem streitigen Sachverhalt maßgebenden Zeit für die Arcadia-Gruppe die Aufgaben von Direktoren eines Unternehmens im Sinne des Gesellschaftsrechts wahrnahmen. Genauer gesagt war Herr Bosworth de facto Chief Executive Officer (CEO) ( 12 ) der Gruppe, und Herr Hurley war de facto Chief Financial Officer (CFO). Zudem waren die Betroffenen rechtlich und/oder de facto Direktoren ( 13 ) von Arcadia London, Arcadia Switzerland und Arcadia Singapore.

    31.

    Jeder der Beklagten des Ausgangsverfahrens hatte überdies mit einer bestimmten Gesellschaft der Arcadia-Gruppe einen Arbeitsvertrag im Sinne des materiellen Rechts ( 14 ) abgeschlossen. Welche Gesellschaft dies war, änderte sich jedoch im Lauf der Zeit, wobei sie abwechselnd u. a. bei Arcadia London und Arcadia Singapore beschäftigt waren – nicht aber bei Arcadia Switzerland. Die verschiedenen Verträge sahen vor, dass die Betroffenen nur für die Gesellschaft, bei der sie beschäftigt waren, genau umschriebene Führungsaufgaben wahrzunehmen hatten. Die einzige Vergütung, die sie von der Gruppe erhielten, war in diesen Verträgen festgelegt und wurde für die genau umschriebenen Aufgaben von der Gesellschaft gezahlt, bei der sie beschäftigt waren.

    32.

    In diesem Zusammenhang stellt sich einleitend die Frage, ob für die Zwecke der Anwendung der im Lugano‑II-Übereinkommen vorgesehenen Zuständigkeitsregeln zunächst zwischen den Beziehungen, die zwischen den Beklagten des Ausgangsverfahrens und den Gesellschaften der Arcadia-Gruppe bestanden, mit denen sie formal einen Vertrag im Sinne des materiellen Rechts abgeschlossen hatten, und jenen zu unterscheiden ist, die zwischen ihnen und den übrigen Gesellschaften der Gruppe bestanden. Ich bin davon nicht überzeugt, und zwar aus zwei Gründen.

    33.

    Erstens ist der Begriff „individueller Arbeitsvertrag“ im Sinne von Art. 18 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens nicht anhand der lex causae oder der lex fori auszulegen, sondern autonom, um die einheitliche Anwendung der durch das Übereinkommen vorgesehenen Zuständigkeitsregeln in allen daran gebundenen Staaten sicherzustellen ( 15 ).

    34.

    Zu dieser autonomen Definition ergibt sich aus dem Urteil Holterman, dass ein solcher „individueller Arbeitsvertrag“ besteht, wenn jemand für bestimmte Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält ( 16 ). Solch ein „Vertrag“ besteht daher, wenn die Merkmale eines Arbeitsverhältnisses – Leistung, Vergütung und Unterordnung – tatsächlich vorliegen. Wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens, die Schweizerische Eidgenossenschaft sowie die Kommission geltend machen, kann somit zwischen zwei Personen ein solcher „Vertrag“ bestehen, obwohl kein Vertrag im Sinne des anwendbaren materiellen Rechts abgeschlossen wurde und es sich um ein reines De-facto-Arbeitsverhältnis handelt ( 17 ).

    35.

    Hinzuzufügen ist, dass diese Auslegung dem Wortlaut von Abschnitt 5 Rechnung trägt, da der Ausdruck „individueller Arbeitsvertrag“ nicht den formalen Abschluss eines Vertrags im Sinne des materiellen Rechts impliziert. Im Übrigen geht die Verwendung dieses Ausdrucks in den Rechtsakten, an die die Mitgliedstaaten und/oder die Union auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts gebunden sind, auf das am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegte Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ( 18 ) zurück. Bei Erlass dieses Übereinkommens wurde der genannte Ausdruck dem im Vorentwurf des Übereinkommens vorgeschlagenen Ausdruck „Arbeitsverhältnis“ im Wesentlichen mit der Begründung vorgezogen, dass Letzterer in bestimmten nationalen Rechtssystemen unbekannt sei ( 19 ). Es wäre daher falsch, im Rahmen von Abschnitt 5 einen Unterschied zwischen „Vertrag“ und „Verhältnis“ zu machen ( 20 ).

    36.

    Folglich schließt das Fehlen eines förmlichen Vertrags im Sinne des materiellen Rechts zwischen den Beklagten des Ausgangsverfahrens und einer bestimmten Arcadia-Gesellschaft nicht aus, dass aus dem Sachverhalt abzuleiten ist, dass ein „Vertrag“ im Sinne von Abschnitt 5 vorliegt. Umgekehrt sind die zwischen den Betroffenen und weiteren Gesellschaften der Gruppe abgeschlossenen Verträge nicht notwendigerweise als „individuelle Arbeitsverträge“ im Sinne dieses Abschnitts anzusehen.

    37.

    Zweitens geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass sich unabhängig von den Bestimmungen der fraglichen Verträge durch die verschiedenen Zuweisungen der Beklagten des Ausgangsverfahrens als Beschäftigte zu der einen oder anderen Arcadia-Gesellschaft und durch ihre Wechsel innerhalb der Gruppe die Natur der dort von ihnen wahrgenommenen Aufgaben nicht änderte und dass dies keine Auswirkungen auf ihre jeweiligen Rollen als CEO und CFO aller Arcadia-Gesellschaften und der Gruppe selbst hatte. Letztlich waren diese Zuweisungen rein formaler Natur. Die Verträge wurden von den Betroffenen oder nach ihren Vorgaben abgefasst, und sie wählten nicht nur die Vertragsbedingungen, sondern auch, mit welcher Gesellschaft sie einen solchen Vertrag abschließen wollten und mit welcher nicht ( 21 ).

    38.

    Daher ist als nächstes festzustellen, ob das Verhältnis, das zwischen den Beklagten des Ausgangsverfahrens in ihrer Eigenschaft als Direktor eines Unternehmens und jeder der Arcadia-Gesellschaften – unabhängig davon, ob es zwischen ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt einen formalen Vertrag gab – bestand, als „individueller Arbeitsvertrag“ im Sinne der Vorschriften von Abschnitt 5 angesehen werden kann.

    39.

    Dadurch, dass eine Person die Aufgaben des Direktors eines Unternehmens übernimmt, akzeptiert sie freiwillig die damit verbundenen Pflichten. Ebenso übernimmt die Gesellschaft dadurch, dass sie diese Person in der Gesellschaft mit einem Mandat betraut, ihr gegenüber freiwillig bestimmte Pflichten. Insbesondere werden die Aufgaben des Direktors eines Unternehmens im Allgemeinen gegen Entgelt wahrgenommen ( 22 ). Es bestehen also freiwillig übernommene Pflichten zwischen der Gesellschaft und dem Direktor, die unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens und der Brüssel‑I-Verordnung fallen. Meiner Ansicht nach trifft dies unabhängig davon zu, ob der Direktor formal ernannt wurde (Direktorenamt ex iure) oder ob es sich nur tatsächlich wie ein solcher verhält (de facto Direktorenamt) ( 23 ).

    40.

    Im Rahmen der „vertraglichen Pflichten“, an die der Direktor und die Gesellschaft gebunden sind, erbringt er ihr eine Leistung gegen Entgelt. Wie in Nr. 34 der vorliegenden Schlussanträge erläutert, ist ihr Verhältnis nur dann als „individueller Arbeitsvertrag“ im Sinne von Abschnitt 5 einzustufen, wenn der Direktor bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben der Gesellschaft untergeordnet ist.

    41.

    Insoweit hat der Gerichtshof im Urteil Holterman entschieden, dass für die Zwecke von Abschnitt 5 das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses „in jedem Einzelfall anhand aller Gesichtspunkte und aller Umstände, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen, geprüft werden“ muss. Der Gerichtshof hat hinzugefügt, dass ein Direktor, dessen Anteil am Gesellschaftskapital ausreicht, um auf die Personen, die normalerweise dafür zuständig sind, ihm Anordnungen zu erteilten und deren Durchführung zu kontrollieren, einen „nicht unerheblichen“ Einfluss auszuüben, der Gesellschaft nicht untergeordnet sein kann ( 24 ).

    42.

    Es wäre falsch, aus dieser Argumentation den Umkehrschluss zu ziehen, dass ein Direktor, der wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens keinen Anteil am Gesellschaftskapital hält, allein deshalb der Gesellschaft untergeordnet ist. Der Gerichtshof hat im Urteil Holterman zwar einen Umstand angeführt, der eine Unterordnung jedenfalls ausschließt, sich aber nicht dazu geäußert, welche Merkmale für sie kennzeichnend sind.

    43.

    Hinsichtlich dieser Merkmale kann auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 45 AEUV und einiger Harmonisierungsrichtlinien zurückgegriffen werden. Nach dieser Rechtsprechung ist ein Unterordnungsverhältnis dadurch gekennzeichnet, dass ein Arbeitnehmer unter der Weisung einer anderen Person steht, die ihm nicht nur die zu erbringenden Leistungen, sondern vor allem die Art ihrer Erbringung vorschreibt, und deren Anordnungen und interne Vorschriften er zu befolgen hat. Um das Vorliegen eines solchen Unterordnungsverhältnisses festzustellen, ist daher auf die Autonomie und die Flexibilität abzustellen, über die der Arbeitnehmer bei der Bestimmung von Zeit, Ort und Durchführungsmodalitäten der ihm übertragenen Aufgaben verfügt und/oder auf die Überwachung und Kontrolle des Arbeitgebers in Bezug darauf, wie der Arbeitnehmer seine Aufgaben wahrnimmt ( 25 ).

    44.

    Wie die Arcadia-Gruppe und die Schweizerische Eidgenossenschaft geltend machen, ergibt sich daraus, dass der Direktor eines Unternehmens ihm nur dann untergeordnet ist, wenn er bei der Ausübung und Organisation seiner Aufgaben der tatsächlichen Weisungsbefugnis einer anderen Person unterliegt. Das Vorliegen einer solchen Weisungsbefugnis ist anhand der Art der fraglichen Aufgaben, des Rahmens, in dem sie ausgeführt werden, des Umfangs der Befugnisse des Betroffenen und der Kontrolle, der er tatsächlich innerhalb der Gesellschaft unterliegt, zu beurteilen ( 26 ).

    45.

    Direktoren eines Unternehmens wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens, die nach den Angaben des vorlegenden Gerichts in ihrer Eigenschaft als CEO und CFO sehr weite Befugnisse bei der Leitung der Gesellschaft sowie dem Handeln in ihrem Namen und auf ihre Rechnung und volle Kontrolle und Autonomie über das Tagesgeschäft der Gesellschaft und bei der Ausübung ihrer Aufgaben haben – was im vorliegenden Fall daraus ersichtlich wird, dass ihre diversen Arbeitsverträge von ihnen selbst oder unter ihrer Verantwortung verfasst wurden, wobei sie die Bedingungen der Verträge und ihren formalen Arbeitgeber wählten –, sind jedoch bei der Ausübung dieser Aufgaben der Gesellschaft definitionsgemäß nicht untergeordnet.

    46.

    Insbesondere ist die Unterordnung entgegen dem Vorbringen der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht mit den allgemeinen Weisungen zu verwechseln, die der Direktor von den Aktionären in Bezug auf die Ausrichtung der Geschäfte der Gesellschaft erhält. Diese allgemeinen Weisungen betreffen nicht die eigentliche Wahrnehmung der Aufgaben des Direktors oder die Art, wie er sie organisiert. Der Direktor eines Unternehmens hat den Auftrag, für das Unternehmen zu handeln, und kann insoweit geeignete seinen Auftrag betreffende Anordnungen erhalten. Aus denselben Gründen sind die für Aktionäre gesetzlich vorgesehenen Kontrollmechanismen an sich kein Merkmal für das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses. Jeder Auftragnehmer muss seinem Auftraggeber in bestimmtem Umfang Rechenschaft ablegen. Zudem reicht der bloße Umstand, dass die Aktionäre die Befugnis haben, den Direktor abzuberufen, nicht aus, um ein solches Verhältnis zu kennzeichnen. Die Tatsache, dass sie eine solche Abberufungsbefugnis besitzen, bedeutet nicht, dass sie in die Unternehmensführung eingreifen. Auch hier kann ein Auftraggeber im Rahmen jeglichen Mandats einseitig das Verhältnis mit seinem Auftragnehmer beenden, ohne dass dieser Umstand an sich auf eine Unterordnung hindeutet.

    47.

    Nach alledem bin ich der Auffassung, dass im vorliegenden Fall zwischen den Beklagten des Ausgangsverfahrens und jeder der Arcadia-Gesellschaften zwar gegenseitige „vertragliche Pflichten“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens bestanden. Diese Pflichten wurden bisweilen vertraglich festgehalten, bisweilen nicht. Jedenfalls können sie nicht als „individuelle Arbeitsverträge“ im Sinne der Vorschriften von Abschnitt 5 angesehen werden.

    48.

    Diese Auslegung wird entgegen dem Vorbringen der Beklagten des Ausgangsverfahrens durch die Urteile Danosa ( 27 ) und Balkaya ( 28 ) nicht in Frage gestellt. Im erstgenannten Urteil hat der Gerichtshof in Bezug auf die Richtlinie 92/85/EWG ( 29 ) entschieden, dass zwar „nicht auszuschließen“ ist, dass die Direktoren eines Unternehmens „in Anbetracht ihrer spezifischen Aufgaben und des Rahmens sowie der Art und Weise der Ausübung dieser Aufgaben“ nicht unter den Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Richtlinie fallen, dass ein Direktor jedoch der Gesellschaft untergeordnet ist, wenn er (1) in die Gesellschaft eingegliedert ist, (2) gegenüber einem anderen Unternehmensangehörigen über seine Geschäftsführung Rechenschaft ablegen und mit ihm zusammenarbeiten muss und (3) von der Gesellschafterversammlung abberufen werden kann ( 30 ). Im Urteil Balkaya ( 31 ) hat der Gerichtshof diese Erwägungen auf die Richtlinie 98/59/EG ( 32 ) übertragen und, gestützt auf ähnliche Indizien, einen Direktor als „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Richtlinie eingestuft.

    49.

    Die Auslegung, die der Gerichtshof einem Begriff in einem Regelungsbereich des Unionsrechts gibt, kann jedoch nicht automatisch auf einen anderen Bereich übertragen werden ( 33 ). Wie ich bereits ausgeführt habe, handelt es sich nur um eine Inspirationsquelle. Bei der Auslegung des Begriffs „individueller Arbeitsvertrag“ im Sinne der Vorschriften von Abschnitt 5 sind vor allem die Systematik und die Ziele des Lugano‑II-Übereinkommens und der Brüssel‑I-Verordnung ( 34 ) sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus den innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben ( 35 ), zu berücksichtigen. Diese Präzedenzfälle können daher auf diese Rechtsakte nur zurückhaltend übertragen werden. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil Holterman diese Rechtsprechung nicht expressis verbis angewendet hat, sondern sich darauf beschränkt hat, punktuell auf sie Bezug zu nehmen.

    50.

    Insoweit ist festzustellen, dass die drei vom Gerichtshof im Urteil Danosa ( 36 ) herangezogenen Indizien dafür, ob ein Direktor eines Unternehmens ein „Arbeitnehmer“ im Sinne der Richtlinie 92/85 ist, bei der großen Mehrheit von ihnen vorliegen. In bestimmtem Umfang ist ein solcher Direktor im Allgemeinen (1) in die Gesellschaft „eingegliedert“, (2) muss einem anderen Gesellschaftsorgan – Verwaltungs- oder Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung usw. – Rechenschaft ablegen und (3) kann von einem solchen Organ abberufen werden.

    51.

    Auch wenn der Gerichtshof in den Urteilen Danosa ( 37 ) und Balkaya ( 38 ) entschieden hat, den durch die Harmonisierungsrichtlinien der Union gewährten Schutz vor Kündigungen auf Direktoren eines Unternehmens auszudehnen, hätte eine Übertragung der sich aus diesen Urteilen ergebenden Logik auf die in der Brüssel‑I-Verordnung und im Lugano‑II-Übereinkommen vorgesehenen Zuständigkeitsregeln zur Folge, dass ein großer Teil der Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Gesellschaft und ihren Direktoren unter dem Blickwinkel des Begriffs „individueller Arbeitsvertrag“ gesehen würde und daher unter die Vorschriften des Abschnitts 5 fiele.

    52.

    Insoweit halte ich den Hinweis für geboten, dass in den nationalen Systemen der Mitgliedstaaten das Verhältnis zwischen Gesellschaften und ihren Direktoren nicht unter das Arbeitsrecht, sondern unter das Gesellschaftsrecht fällt. Die Direktoren einer Gesellschaft sind Gesellschaftsorgane. Die Aufgaben eines Geschäftsführers und die daraus resultierenden Befugnisse und Pflichten ergeben sich aus der Satzung der Gesellschaft und den auf diese Person anwendbaren Rechtsvorschriften. Zwar können Direktoren und Gesellschaften in bestimmten Mitgliedstaaten, zu denen das Vereinigte Königreich gehört, ihre jeweiligen Rechte und Pflichten vertraglich – sei es in einem Management‑, Mandats- oder Arbeitsvertrag ( 39 ) – festlegen. Das Gesellschaftsrecht bleibt allerdings das Herzstück ihres Verhältnisses.

    53.

    Insbesondere sind Streitigkeiten über die Haftung von Direktoren eines Unternehmens gegenüber der Gesellschaft und ihren Aktionären – um die es im vorliegenden Fall geht – Streitigkeiten, die unter das Gesellschaftsrecht fallen und für die es im Allgemeinen im Recht der Mitgliedstaaten spezielle Vorschriften gibt, die die Voraussetzungen und den Umfang dieser Haftung regeln ( 40 ).

    54.

    Eine derart eklatante Dissonanz zwischen den nationalen Einstufungen und jenen für die Zwecke des Lugano‑II-Übereinkommens und der Brüssel‑I-Verordnung würde die Anwendung dieser Rechtsakte und die Vorhersehbarkeit der von ihnen vorgesehenen Zuständigkeitsregeln nicht erleichtern. Zudem würde durch die praktischen Nachteile, die sich aus einer allgemeinen Anwendung von Abschnitt 5 auf Direktoren eines Unternehmens ergäben, den Besonderheiten des Rechtsstreits über ihre Haftung unzureichend Rechnung getragen, und sie wäre dem Ziel einer geordneten Rechtspflege abträglich. In diesem Bereich ist die gesamtschuldnerische Haftung der verschiedenen Direktoren eines Unternehmens für den dem Unternehmen durch ihre Geschäftsführung verursachten Schaden eine übliche Lösung ( 41 ). In Anwendung von Abschnitt 5 müsste jedoch jede dieser Personen gesondert vor den Gerichten ihres Wohnsitzes verklagt werden, ohne dass es möglich wäre, diese Streitsachen an einem einzigen Gerichtsstand zusammenzufassen.

    55.

    Zudem müssen die Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel‑I-Verordnung und damit auch die des Lugano‑II-Übereinkommens im Einklang mit den in der Rom‑I-Verordnung ( 42 ) vorgesehenen Kollisionsnormen ausgelegt werden. Diese Verordnung enthält zwar in ihrem Art. 8 Vorschriften über „Individualarbeitsverträge“, sieht aber in Art. 1 Abs. 2 Buchst. f auch vor, dass „Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht“, vor allem in Bezug auf ihre „innere Verfassung“, davon ausgenommen sind.

    56.

    Insoweit ist allgemein anerkannt, dass zu dieser Kategorie Fragen im Zusammenhang mit den Befugnissen und der Funktionsweise der Gesellschaftsorgane, einschließlich der Direktoren, und mit ihrer Haftung gegenüber der Gesellschaft und den Aktionären oder Gesellschaftern im Fall eines Missbrauchs dieser Befugnisse fallen ( 43 ). Unter Berücksichtigung des somit in der Rom‑I-Verordnung vorgesehenen Ausschlusses gelten für die Bestimmung des auf diese Fragen anwendbaren Rechts die Kollisionsnormen jedes Mitgliedstaats.

    57.

    Nach alledem bezweifle ich stark, dass der Unionsgesetzgeber und die Verfasser des Lugano‑II-Übereinkommens den Anwendungsbereich von Abschnitt 5 auf Rechtsstreitigkeiten über die zivilrechtliche Haftung der Direktoren von Gesellschaften ausdehnen wollten. Die in diesem Bereich bestehenden Interessen sind ganz anders geartet als die Interessen im Rahmen der Haftung von Arbeitnehmern gegenüber ihren Arbeitgebern. Das anzustrebende Gleichgewicht ist nicht dasselbe, und die Vorschriften des internationalen Privatrechts tragen zu diesem Gleichgewicht bei ( 44 ).

    58.

    Mit anderen Worten ist es nicht möglich, für die Zwecke der Vorschriften von Abschnitt 5 eine Auslegung des Begriffs „Unterordnung“ zu verwenden, die mit der vom Gerichtshof in den Urteilen Danosa ( 45 ) und Balkaya ( 46 ) gewählten Auslegung übereinstimmt, denn sonst würden die Vorschriften des Arbeitsrechts und des Gesellschaftsrechts miteinander vermengt, was im Kontext dieser Urteile gerechtfertigt sein mag, aber im Rahmen der im Lugano‑II-Übereinkommen vorgesehenen Zuständigkeitsregeln besonders unangebracht wäre.

    59.

    Die in den Nrn. 45 bis 47 der vorliegenden Schlussanträge vorgeschlagene Auslegung wird auch nicht durch das Vorbringen der Beklagten des Ausgangsverfahrens in Frage gestellt, wonach die Vorschriften von Abschnitt 5 keinen Unterschied zwischen Kategorien von Arbeitnehmern machten. Ich schlage dem Gerichtshof nämlich nicht vor, von den Verfassern des Lugano‑II-Übereinkommens nicht vorgesehene Unterscheidungen zwischen untergeordneten Arbeitnehmern zu treffen. Ich schlage ihm lediglich vor, für die Zwecke der Anwendung dieses Abschnitts eine Auslegung des Begriffs „Unterordnung“ zu wählen, die den Besonderheiten des Gesellschaftsrechts und den tatsächlichen Gegebenheiten der Mandate in Gesellschaften Rechnung trägt.

    60.

    In Anbetracht aller vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite Frage zu antworten, dass der Direktor einer Gesellschaft, der die volle Kontrolle und Autonomie über das Tagesgeschäft der von ihm vertretenen Gesellschaft und die Wahrnehmung seiner eigenen Aufgaben hat, dieser Gesellschaft nicht untergeordnet ist und daher mit ihr keinen „individuellen Arbeitsvertrag“ im Sinne von Art. 18 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens hat. Der Umstand, dass die Aktionäre der Gesellschaft den Direktor abberufen können, stellt diese Auslegung nicht in Frage.

    C.   Zu der Prüfung, mit der geklärt werden kann, ob bei einer Klage ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den „Gegenstand des Verfahrens“ bilden (erste und dritte Frage)

    61.

    Vorauszuschicken ist, dass es, falls der Gerichtshof, wie ich ihm vorschlage, entscheiden sollte, dass zwischen Direktoren von Gesellschaften, die so umfassende Befugnisse besitzen wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens, und den Gesellschaften, für die sie ihre Aufgaben wahrnehmen, keine „individuellen Arbeitsverträge“ im Sinne von Art. 18 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens bestehen können, nicht nötig wäre, die erste und die dritte Frage des vorlegenden Gerichts zu beantworten. Daher werde ich sie nur hilfsweise prüfen.

    62.

    Nach dieser Klarstellung weise ich darauf hin, dass im vorliegenden Fall die von Arcadia gegen die Beklagten des Ausgangsverfahrens eingereichten Klagen im Wesentlichen auf der unerlaubten Handlung der Absprache mit rechtswidrigen Mitteln („unlawful means conspiracy“) und auf der unerlaubten Handlung der Verletzung von Treuepflichten („breach of fiduciary duty“) beruhen. Im englischen Recht sind diese Rechtsgrundlagen deliktischer Natur („tort“).

    63.

    In diesem Kontext möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten und seiner dritten Frage wissen, ob ein Rechtsstreit zwischen den Parteien eines „individuellen Arbeitsvertrags“, der auf solchen deliktischen Rechtsgrundlagen beruht, unter Abschnitt 5 fallen kann und, wenn ja, nach welchen Kriterien.

    64.

    Nach Ansicht von Arcadia ist Abschnitt 5 nicht auf ihre Klagen anwendbar, weil sie sich nicht auf eine Pflicht stützen, die sich aus den Arbeitsverträgen der Beklagten des Ausgangsverfahrens ergibt ( 47 ), sondern auf die Verletzung rechtlicher Pflichten, die unabhängig von diesen Verträgen bestehen. Dieser Abschnitt sei seiner Natur nach ein Unterabschnitt der Kategorie „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens. Eine Klage, die auf solchen Rechtsgrundlagen beruhe, falle unter den Begriff „unerlaubte Handlung … oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne von Art. 5 Nr. 3 des Übereinkommens und sei daher von diesem Abschnitt ausgenommen.

    65.

    Demgegenüber tragen die Beklagten des Ausgangsverfahrens vor, für die Zwecke der Anwendung von Abschnitt 5 bestehe das entscheidende Kriterium darin, festzustellen, ob unabhängig von der Vorschrift des materiellen Rechts, auf die der Arbeitgeber seine Klage stütze, das vorgeworfene Verhalten einen Verstoß gegen vertragliche Pflichten aus einem individuellen Arbeitsvertrag darstellen könne, auf den er sich berufen könne ( 48 ). Dies sei hier der Fall. Insoweit sei unstreitig, dass Arcadia ihre Klagen auf einen Verstoß gegen die sich aus den Arbeitsverträgen der Betroffenen ergebenden ausdrücklichen oder impliziten Vertragspflichten („breach of express and/or implied contractual duties“) hätte stützen können ( 49 ). Der genannte Abschnitt komme also im Ausgangsverfahren zur Anwendung.

    66.

    Angesichts des Vorbringens der Parteien des Ausgangsverfahrens halte ich es, um die Fragen des vorlegenden Gerichts erschöpfend zu beantworten, für angebracht, zunächst allgemein auf die Problematik deliktischer Ansprüche gegen Vertragspartner zurückzukommen und die für diesen Bereich im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 und von Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung und des Lugano‑II-Übereinkommens bestehenden Lösungen zu analysieren (1). Sodann werde ich erläutern, aus welchen Gründen meiner Ansicht nach Abschnitt 5 eine andere Lösung verlangt (2).

    1. Die Problematik deliktischer Ansprüche gegen Vertragspartner

    67.

    In theoretischer Hinsicht hängt im Bereich der zivilrechtlichen Haftung die Unterscheidung zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen von der Art der Pflicht ab, auf die sich der Kläger gegen den Beklagten beruft. Letztlich geht es darum, festzustellen, ob sich diese Pflicht aus einem Verstoß gegen eine unmittelbar aus dem Gesetz herzuleitende und gegenüber jedermann bestehende Verpflichtung ergibt (so dass sie deliktischer Art ist), oder ob sie aus einer Willenseinigung zwischen zwei Personen hervorgeht (und damit vertraglicher Art ist) ( 50 ).

    68.

    Es kommt allerdings vor, dass dasselbe schädigende Verhalten sowohl eine Zuwiderhandlung gegen eine vertragliche Pflicht als auch eine Zuwiderhandlung gegen eine gesetzliche, gegenüber jedermann bestehende Pflicht ist. Es liegt also Haftungskonkurrenz (oder Konkurrenz zwischen vertraglichen und deliktischen Pflichten) vor.

    69.

    Der den Beklagten des Ausgangsverfahrens von der Arcadia-Gruppe vorgeworfene Betrug führt zu einer solchen Haftungskonkurrenz. Im englischen Recht besteht nämlich eine allgemeine Pflicht, keine Absprachen zu treffen, um anderen Schaden zuzufügen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht ist ein zivilrechtliches Delikt („tort of conspiracy“). Unabhängig davon ist es ein Verstoß gegen die vertragliche Treuepflicht, wenn ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber schädigt. Das schädigende Verhalten führt daher potenziell zu zwei gesonderten Haftungen.

    70.

    Angesichts einer solchen Haftungskonkurrenz lassen bestimmte nationale Systeme, darunter das englische Recht, dem Kläger die Wahl, die Klage gegen seinen Vertragspartner auf die deliktische Haftung und/oder auf die vertragliche Haftung zu stützen ( 51 ). Andere Systeme hingegen, darunter das französische Recht, schließen eine solche Wahl grundsätzlich aus, aufgrund des sogenannten Kumulierungsverbots: Ein Kläger kann sich gegen seinen Vertragspartner nicht auf eine außervertragliche Pflicht stützen, wenn die von ihm geltend gemachten Tatsachen auch eine Vertragsverletzung darstellen.

    71.

    Die Brüssel‑I-Verordnung und das Lugano‑II-Übereinkommen übernehmen die Unterscheidung zwischen einem „Vertrag oder Ansprüche[n] aus einem Vertrag“ (Art. 5 Nr. 1) und „unerlaubte[r] Handlung … oder … Ansprüche[n] aus einer solchen Handlung“ (Art. 5 Nr. 3) und sehen unterschiedliche Zuständigkeitsvorschriften vor, je nachdem, ob der Anspruch in die eine oder die andere dieser Kategorien fällt. Die Problematik der Haftungskonkurrenz erstreckt sich also auf diese Instrumente. In diesem Zusammenhang ist zu klären, ob die Wahl eines Klägers, seine Klage gegen seinen Vertragspartner auf die vertragliche und/oder auf die deliktische Haftung zu stützen, für die gerichtliche Zuständigkeit entscheidend ist.

    72.

    Der Gerichtshof hat sich mit der Frage erstmals in seinem Urteil Kalfelis ( 52 ) befasst. In der Rechtssache, zu der dieses Urteil ergangen ist, ging es um eine Privatperson, die gegen ihre Bank auf Ersatz des Schadens klagte, den sie im Rahmen von Börsengeschäften erlitten hatte, und sich dabei kumulativ auf (1) vertragliche Haftung, (2) deliktische Haftung und (3) ungerechtfertigte Bereicherung (quasivertraglich) stützte. Fraglich war vor allem, ob das nach Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens für die Entscheidung über die deliktische Haftung zuständige Gericht auch für die vertragliche und die quasivertragliche Grundlage zuständig war.

    73.

    Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass die Wendung „unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ autonom zu verstehen ist und sich auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens anknüpfen. Für sich allein betrachtet deutet diese Passage darauf hin, dass die Wahl des Klägers, seine Klage gegen seinen Vertragspartner auf die deliktische Haftung zu stützen, für die Zwecke der gerichtlichen Zuständigkeit irrelevant ist: Diese wird jedenfalls in die Kategorie „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ fallen. Der Gerichtshof hat jedoch weiter ausgeführt, „dass ein Gericht, das nach Artikel 5 Nr. 3 [des genannten Übereinkommens] für die Entscheidung über eine Klage unter einem auf deliktischer Grundlage beruhenden Gesichtspunkt zuständig ist, nicht auch zuständig ist, über diese Klage unter anderen, nichtdeliktischen Gesichtspunkten zu entscheiden“ ( 53 ).

    74.

    Auch wenn seine Antwort nicht ganz eindeutig ist, scheint der Gerichtshof in diesem Urteil davon ausgegangen zu sein, dass alle Rechtsgrundlagen, auf die sich der Kläger berief, d. h., die verschiedenen Vorschriften des materiellen Rechts, die als Grund für seine Ansprüche dienten, entweder unter die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ oder unter die Wendung „unerlaubte Handlung … oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“ fielen. Die gerichtliche Zuständigkeit kann daher variieren, je nachdem, auf welche Vorschrift des materiellen Rechts sich der Kläger beruft ( 54 ). Hinzuzufügen ist, dass es nicht darum geht, für die Zwecke der Brüssel‑I-Verordnung oder des Lugano‑II-Übereinkommens die im nationalen Recht vorgesehene Einstufung zu übernehmen. In Wirklichkeit verweist die geltend gemachte Vorschrift für den Gerichtshof auf eine Pflicht. Und diese Pflicht muss für die Zwecke dieser Instrumente autonom als „vertraglich“ – wenn sie von den Parteien freiwillig übernommen wurde ( 55 ) – oder als „deliktisch oder quasideliktisch“ – wenn sie nicht an die erste Kategorie anknüpft – eingestuft werden. Führt der Kläger im Rahmen ein und derselben Klage unterschiedliche Rechtsgrundlagen an, dann beruft er sich auf unterschiedliche Pflichten – vertragliche, deliktische usw. –, für die ebenso viele Gerichte zuständig sein können ( 56 ).

    75.

    Der Gerichtshof hat sich dieser Problematik erneut im Urteil Brogsitter ( 57 ) gewidmet. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, verklagte eine Person ihre Vertragspartner auf der Grundlage der Vorschriften des deutschen Rechts gegen unlauteren Wettbewerb vor allem wegen deliktischer Haftung auf Schadensersatz. In diesem Rahmen warf sie ihnen insbesondere vor, gegen eine aus ihrem Vertrag resultierende Ausschließlichkeitspflicht verstoßen zu haben. Der Gerichtshof wurde gefragt, wie diese Klageanträge im Sinne der Brüssel‑I-Verordnung einzustufen seien.

    76.

    Ausgehend von den Ausführungen im Urteil Kalfelis ( 58 ), wonach sich der Begriff „unerlaubte Handlung … oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“ auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ anknüpfen, hat der Gerichtshof festgestellt, dass für die Einordnung der betreffenden Klageanträge in eine dieser Kategorien zu prüfen ist, „ob sie unabhängig von ihrer Qualifizierung nach nationalem Recht vertraglicher Natur sind“ ( 59 ).

    77.

    Der Gerichtshof bejahte dies, „wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen“ ( 60 ), was „grundsätzlich der Fall [ist], wenn eine Auslegung des Vertrags … unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das … vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist“ ( 61 ). Daher war es Sache des nationalen Gerichts, „festzustellen, ob die Klageanträge … einen Ersatzanspruch zum Gegenstand haben, dessen Grund ( 62 ) bei vernünftiger Betrachtungsweise in einem Verstoß gegen die Rechte und Pflichten aus dem … Vertrag gesehen werden kann, so dass dessen Berücksichtigung für die Entscheidung über die Klage zwingend erforderlich wäre“ ( 63 ).

    78.

    Das Urteil Brogsitter ( 64 ) stellt in meinen Augen eine Abkehr von dem im Urteil Kalfelis ( 65 ) gewählten Ansatz dar. Der Gerichtshof scheint nämlich bei der Einstufung für die Zwecke der in Art. 5 Nr. 1 und in Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung und des Lugano‑II-Übereinkommens vorgesehenen Zuständigkeitsregeln den Blickwinkel geändert zu haben. Er hat sich von einer Einstufung abgewandt, die von der materiell-rechtlichen Grundlage ausging, auf die sich der Kläger beruft, und eine Einstufung herangezogen, die auf dem Sachverhalt beruht, auf den sich die Klage stützt. Die Art und Weise, wie der Kläger seine Klage formuliert, scheint dabei irrelevant zu sein.

    79.

    Die genaue Tragweite des Urteils Brogsitter ( 66 ) ist jedoch unklar. Insoweit macht Arcadia geltend, die „Brogsitter-Prüfung“ ergebe sich aus Rn. 25 dieses Urteils: Eine Klage betreffe einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“, wenn eine Auslegung des Vertrags unerlässlich erscheine, um zu klären, ob das in deliktischer Hinsicht vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich sei. Ich teile diese Auffassung. Meiner Ansicht nach wollte der Gerichtshof die deliktischen Ansprüche, deren Begründetheit vom Inhalt der vertraglichen Pflichten abhängt, an die die Parteien des Rechtsstreits gebunden sind, als „vertraglich“ einstufen ( 67 ).

    80.

    Demgegenüber sind die Beklagten des Ausgangsverfahrens der Ansicht, die „Brogsitter-Prüfung“ befinde sich in den Rn. 24 und 29 des genannten Urteils: Eine Klage betreffe einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden könne – d. h., einen solchen Verstoß darstellen könne –, unabhängig davon, ob sich der Kläger darauf berufe. Demnach gehe es nicht darum, ob es unerlässlich erscheine, den Inhalt der vertraglichen Pflichten zu klären, um über die Rechtsmäßigkeit des in deliktischer Hinsicht vorgeworfenen Verhaltens zu entscheiden, sondern darum, ob eine mögliche Entsprechung zwischen diesem Verhalten und dem Inhalt dieser Pflichten bestehe. Wenn das Verhalten in Anbetracht des Sachverhalts zugleich eine unerlaubte Handlung und eine Vertragsverletzung sein könne und der Kläger sich daher auf das eine und/oder das andere berufen könne, habe die vertragliche Einstufung für die Zwecke der gerichtlichen Zuständigkeit Vorrang.

    81.

    Der Gerichtshof scheint in einigen jüngeren Urteilen das Urteil Brogsitter ( 68 ) ebenso aufgefasst zu haben wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens. Insbesondere hat der Gerichtshof im Urteil Holterman, in dem es wie gesagt ebenfalls um eine Situation ging, in der verschiedene Rechtsgrundlagen zur Stützung derselben Schadensersatzklage geltend gemacht wurden, entschieden, dass zur Klärung, ob bei einer solchen Klage „ein Vertrag oder vertragliche Ansprüche“ oder „eine unerlaubte Handlung … oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“ den Gegenstand des Verfahrens bilden, nur zu prüfen ist, ob das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann ( 69 ). Der Gerichtshof hat sich allerdings darauf beschränkt, dieses Kriterium zu bestätigen, ohne es wirklich anzuwenden (oder zu erläutern), so dass Gewissheit über den Sinn, den ihm der Gerichtshof beinmessen wollte, schwer zu erlangen ist.

    82.

    Aus alledem ergibt sich meines Erachtens, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zumindest mehrdeutig ist, wenn es darum geht, wie Art. 5 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung und des Lugano‑II-Übereinkommens im Fall von Haftungskonkurrenz anzuwenden sind. Es wäre nützlich, wenn der Gerichtshof insoweit seine Position klarstellt.

    83.

    Meiner Ansicht nach ist es für die Zwecke der Abstimmung zwischen Art. 5 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung und des Lugano‑II-Übereinkommens unter Berücksichtigung der mit diesen Rechtsakten verfolgten Ziele der Rechtssicherheit, der Vorhersehbarkeit und der geordneten Rechtspflege vorzuziehen, der sich aus dem Urteil Kalfelis ( 70 ) ergebenden Logik zu folgen und eine Klage als „vertraglich“ oder „deliktisch“ einzustufen, je nachdem, auf welche materiell-rechtliche Grundlage sich der Kläger stützt. Zumindest sollte der Gerichtshof die in Nr. 79 der vorliegenden Schlussanträge dargelegte enge Auslegung des Urteils Brogsitter ( 71 ) heranziehen. Mit anderen Worten müsste eine Klage unter Vertragspartnern, wenn sie nicht auf eine Pflicht gestützt wird, die sich aus dem Vertrag ergibt, sondern auf die Vorschriften der zivilrechtlichen deliktischen Haftung, und es nicht unerlässlich erscheint, den Inhalt der vertraglichen Pflichten zu klären, um über die Rechtsmäßigkeit des vorgeworfenen Verhaltens zu entscheiden, unter Art. 5 Nr. 3 der genannten Rechtsakte fallen ( 72 ).

    84.

    Ich muss zwar einräumen, dass bis zu einem gewissen Grad ein „forum shopping“ ermöglicht wird, wenn man die gerichtliche Zuständigkeit von der vom Kläger angeführten materiell-rechtlichen Grundlage abhängig macht, da dieser in gewissem Maße sein Gericht wählen kann, indem er die passenden Vorschriften heranzieht. Zudem könnte dasselbe schädigende Verhalten, auf das der Kläger aus dem Blickwinkel verschiedener Rechtsgrundlagen abstellt, theoretisch in die Zuständigkeit verschiedener Gerichte fallen, wodurch die Gefahr einer Aufsplitterung des Rechtsstreits bestünde. Vor diesem Hintergrund schließt eine Lösung wie die von den Beklagten des Ausgangsverfahrens vorgeschlagene ein solches 2forum shopping“ aus und bietet den Vorteil, eine Konzentration von Rechtsstreitigkeiten, die anlässlich eines Vertragsverhältnisses entstanden sind, vor dem Vertragsgerichtsstand zu ermöglichen.

    85.

    Die soeben hervorgehobenen Probleme müssen jedoch relativiert werden. Die Verfasser des Lugano‑II-Übereinkommens und der Brüssel‑I-Verordnung haben selbst ein gewisses „forum shopping“ zugelassen, indem sie dem Kläger die Möglichkeit gegeben haben, die Zuständigkeit zu wählen. Im Fall von Haftungskonkurrenz stehen sowohl der Vertragsgerichtsstand als auch der Deliktsgerichtsstand in enger Verbindung zum Rechtsstreit, und diese Rechtsakte sehen keine Hierarchie zwischen den fraglichen Gerichtsständen vor. Was die Gefahr der Aufsplitterung des Rechtsstreits angeht, könnte der Kläger, wie der Gerichtshof selbst im Urteil Kalfelis ( 73 ) festgestellt hat, stets gemäß Art. 2 der genannten Rechtsakte seine Klage vor den Gerichten am Wohnsitz des Beklagten erheben, die dann für die Entscheidung über den gesamten Rechtsstreit zuständig wären.

    86.

    Ich erkenne auch an, dass ein praktischer Aspekt in die Abwägung einfließt. Während nämlich bestimmte Rechtsordnungen, darunter das englische Recht, den Klägern die Vorschriften des „strict pleading“ auferlegen, wonach sie in ihrer Klageschrift nicht nur den Sachverhalt und den Gegenstand ihrer Klage angeben müssen, sondern auch die Rechtsgrundlagen, auf die sie sich stützen, stellen andere Rechtsordnungen, darunter das französische Recht, keine solchen Anforderungen an die Kläger. Gleichwohl ist auch hier eine gewisse Relativierung angebracht. Die Tatsache, dass ein Kläger nicht verpflichtet ist, die Rechtsgrundlage anzugeben, auf die er sich beruft, bedeutet nicht, dass sie nicht zu berücksichtigen ist, wenn er es getan hat.

    87.

    Abgesehen von diesen Erwägungen liegt der Grund für meinen Standpunkt aber vor allem darin, dass Zuständigkeitsregeln einfach sein müssen. Das Ziel der Rechtssicherheit verlangt, dass das angerufene nationale Gericht in der Lage ist, ohne Schwierigkeiten über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden, ohne in eine inhaltliche Prüfung des Falles eintreten zu müssen ( 74 ).

    88.

    Insoweit kann das angerufene Gericht einer einfachen Logik folgen, wenn es die Zuständigkeit von der vom Kläger angeführten materiell-rechtlichen Grundlage (oder Pflicht) abhängig macht: Wie gesagt ist es diese Pflicht, die das Gericht im Sinne der Brüssel‑I-Verordnung oder des Lugano‑II-Übereinkommens als „vertraglich“ oder als „deliktisch“ einstufen muss. Würde man hingegen vom Gericht verlangen, dass es die Klage anhand des Sachverhalts einordnet – besteht eine Vertragsverletzung, auf die sich der Kläger berufen kann? –, würde seine Aufgabe erheblich komplexer. Wie Arcadia geltend macht, liefe dies auf die Verpflichtung hinaus, Hypothesen darüber aufzustellen, wie in einer Rechtssache hätte plädiert werden können. Im Stadium der Zuständigkeit zu prüfen, ob es in der Sache eine etwaige Entsprechung zwischen dem vorgeworfenen Verhalten und dem Inhalt der vertraglichen Pflichten gibt, ist nicht immer eine leichte Aufgabe. In vielen Fällen wäre es besonders mühsam für das Gericht, schon in diesem Stadium den Inhalt der Pflichten zu bestimmen oder sich auch nur ein Bild von ihm zu machen; dazu müsste das anwendbare Recht bestimmt werden, das nicht nur über die Methode zur Auslegung des Vertrags – die für die Ermittlung seines Inhalts wesentlich ist – entscheidet, sondern auch über alle impliziten Vertragsbedingungen („implied terms“), die das Gesetz bei einem derartigen Vertrag vorschreibt. Es bestünde die Gefahr, dass die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln durch diese Schwierigkeit gemindert würde.

    89.

    Überdies muss das angerufene Gericht grundsätzlich seine Zuständigkeit ausschließlich auf der Grundlage der Behauptungen des Klägers bestimmen können ( 75 ). Umgekehrt würde eine Verpflichtung des Gerichts, eine umfassende Würdigung des Sachverhalts vorzunehmen, in der Praxis bedeuten, dass der Beklagte die Zuständigkeitsregel für eine „unerlaubte Handlung … oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“ in Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung und des Lugano‑II-Übereinkommens einfach dadurch umgehen könnte, dass er vorbringt, es gebe einen Vertrag zwischen den Parteien, und es bestehe eine mögliche Entsprechung zwischen dem vorgeworfenen Verhalten und den vertraglichen Pflichten ( 76 ).

    90.

    Hinzu kommt schließlich, dass dann, „wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden“, im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung und des Lugano‑II-Übereinkommens, abgesehen von den speziellen in Nr. 1 Buchst. b genannten Verträgen, das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Ich frage mich jedoch, wie diese Regel umgesetzt werden soll, wenn sich die Klage nicht speziell auf eine ganz bestimmte vertragliche Verpflichtung stützt, aber gleichwohl aufgrund des Sachverhalts als „vertraglich“ einzustufen wäre.

    2. Übertragung dieser Problematik auf Abschnitt 5

    91.

    Wie zuvor ausgeführt, erfordert die Problematik deliktischer Klagen zwischen Vertragspartnern meines Erachtens hinsichtlich der Anwendung von Abschnitt 5 eine andere Antwort.

    92.

    Insoweit ist unter Berücksichtigung insbesondere des Vorliegens einer sprachlichen Abweichung zwischen der deutschen, der englischen und der französischen Fassung von Art. 18 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens und der Brüssel‑I-Verordnung ( 77 ) vor allem auf die Systematik dieser Rechtsakte und den mit Abschnitt 5 verfolgten Schutzzweck abzustellen ( 78 ).

    93.

    Aufgrund des autonomen und zwingenden Charakters dieses Abschnitts in den genannten Rechtsakten ist es, da sie denselben Schutzzweck verfolgen, meiner Ansicht nach geboten, dass dieser Abschnitt vom Arbeitgeber nicht einfach dadurch umgangen werden kann, dass er seine Klage auf deliktische Ansprüche stützt ( 79 ). In diesem Zusammenhang darf der Arbeitgeber keine Wahl haben. Andernfalls verlöre dieser Abschnitt jede praktische Wirksamkeit ( 80 ). Diese Anhaltspunkte fallen auf diesem Gebiet zugunsten einer Einstufung ins Gewicht, die nicht auf den vom Kläger behaupteten materiell-rechtlichen Grundlagen beruht, sondern auf dem Sachverhalt des Rechtsstreits.

    94.

    Ich bin infolgedessen der Ansicht, dass für die Zwecke von Abschnitt 5 „ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens“ bilden, wenn nach dem Sachverhalt ein bestimmter sachlicher Zusammenhang zwischen der Klage und einem solchen „Vertrag“ besteht. Dies ist der Fall, wenn es bei der Klage um einen Rechtsstreit geht, der anlässlich des Arbeitsverhältnisses entstanden ist, unabhängig davon, ob der Kläger seine Klage auf den „Vertrag“ stützt oder nicht, und es ist unerheblich, ob es unerlässlich erscheint, den Inhalt der vertraglichen Pflichten zu klären, um über ihre Stichhaltigkeit zu entscheiden. Diese Voraussetzung ist weit auszulegen. Mit anderen Worten fällt, sofern sie erfüllt ist, auch ein Vorbringen, das auf den Vorschriften der deliktischen Haftung beruht (wie der „conspiracy claim“ von Arcadia) und damit grundsätzlich in den Anwendungsbereich von Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung oder des Lugano‑II-Übereinkommens fiele, unter Abschnitt 5 ( 81 ).

    95.

    Was speziell die den Fragen des vorlegenden Gerichts zugrunde liegende Problematik betrifft – eine Schadensersatzklage eines Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer –, bin ich der Ansicht, dass diese Klage unter Abschnitt 5 fällt, wenn sich der Arbeitgeber, wie der Gerichtshof im Urteil Holterman entschieden hat, auf angeblich vom Arbeitnehmer in Wahrnehmung seiner Aufgaben begangene Fehler beruft ( 82 ).

    96.

    Damit ist jedoch noch nicht alles gesagt. Wenngleich es Situationen gibt, in denen der behauptete Fehler klar dem Bereich der Ausführung der dem Arbeitnehmer zugewiesenen Aufgaben zuzuordnen ist, und umgekehrt Fälle, in denen der Fehler keinerlei Bezug zu diesen Aufgaben aufweist ( 83 ), gibt es auch zahlreiche „Grauzonen“. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer, als er den streitigen Fehler beging, nicht in Erfüllung seiner Aufgaben tätig wurde, dieser Fehler aber gleichwohl in zeitlicher, örtlicher oder sachlicher Hinsicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden kann ( 84 ). Muss also die in Nr. 95 vorgeschlagene Prüfung verfeinert werden?

    97.

    Ich glaube nicht. Meiner Ansicht nach sind zwar im materiellen Recht Verfeinerungen möglich, wenn es um die Voraussetzungen für die Entstehung der Haftung des Arbeitnehmers geht, doch wäre es unangebracht, die Analyse für die Zwecke der gerichtlichen Zuständigkeit komplexer zu machen. Es ist darauf hinzuweisen, dass das angerufene Gericht in diesem Bereich leicht entscheiden können muss, ohne eine eingehende Analyse des Sachverhalts vorzunehmen

    98.

    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, vom Anwendungsbereich des Abschnitts 5 nur Klagen eines Arbeitgebers gegen einen Arbeitnehmer auszunehmen, die ein schädigendes Verhalten betreffen, das durch keinen objektiven Umstand – Ort, Zeit, Mittel oder Zweck – mit den vom Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben in Verbindung gebracht werden kann ( 85 ).

    99.

    Diese Auslegung wird nicht durch das Vorbringen von Arcadia in Frage gestellt, dass die besonderen Zuständigkeitsvorschriften nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eng auszulegen seien, so dass nicht über die von ihnen erfassten Fälle hinausgegangen werde ( 86 ).

    100.

    Meiner Ansicht impliziert diese Rechtsprechung lediglich, dass es nicht möglich ist, über den klaren Wortlaut der Sonderregeln hinauszugehen, selbst wenn dies mit dem von ihnen verfolgen Ziel im Einklang stünde.

    101.

    Die Auslegung, die ich vorschlage, geht aber in keiner Weise über den Wortlaut von Art. 18 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens hinaus, dessen Stellenwert in Anbetracht der oben angeführten linguistischen Unterschiede im Übrigen relativiert werden muss. In einer Situation, in der ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber einen Schaden zufügt, ist das Arbeitsverhältnis im Allgemeinen ein entscheidender Bestandteil des Kontexts. Es wird dazu geführt haben, dass sich der Arbeitnehmer an dem Ort befand, an dem der Fehler begangen wurde – beispielsweise in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers –, oder es wird ihm die Mittel verschafft haben, ihn zu begehen – wie den Zugang zu bestimmten vertraulichen Informationen des Arbeitgebers. Alles in allem besteht abgesehen von Fällen, in denen jede Form der Anknüpfung an die Aufgaben des Arbeitnehmers ausgeschlossen ist, zwischen einer Schadensersatzklage des Arbeitgebers und den Pflichten, die sich aus dem „individuellen Arbeitsvertrag“ ergeben, ein hinreichender sachlicher Zusammenhang, um zu rechtfertigen, dass sich die Klage auf diesen „Vertrag“ bezieht, wie es der Wortlaut der genannten Vorschrift verlangt.

    102.

    Diese Auslegung wird auch nicht durch das Vorbringen von Arcadia in Frage gestellt, wonach nur bei einer Klage, die von Natur aus einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens und der Brüssel‑I-Verordnung zum Gegenstand habe, „individuelle Arbeitsverträge oder Ansprüche aus individuellen Arbeitsverträgen“ für die Zwecke der Vorschriften von Abschnitt 5 den Gegenstand des Verfahrens bilden könnten. Zwar ist ein „individueller Arbeitsvertrag“ eine Vertragskategorie, die unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ fällt. In dieser Hinsicht ist Abschnitt 5 eine lex specialis gegenüber Art. 5 Nr. 1. Jedoch verhindert diese Feststellung nicht, dass die Verbindung zwischen einer Klage und dem „Vertrag“ im Rahmen von Abschnitt 5 großzügiger beurteilt wird, sofern dies notwendig ist, um dessen Unabdingbarkeit sicherzustellen.

    103.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste und die dritte Frage zu antworten, dass bei einer Klage eines Arbeitgebers gegen einen Arbeitnehmer unabhängig von den vom Arbeitgeber angeführten materiell-rechtlichen Grundlagen ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den „Gegenstand des Verfahrens“ im Sinne von Art. 18 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens bilden, sofern es dabei um einen Rechtsstreit geht, der anlässlich des Arbeitsverhältnisses entstanden ist. Insbesondere fällt eine Schadensersatzklage des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer unter Abschnitt 5, sofern das dem Arbeitnehmer vorgeworfene Verhalten der Sache nach an die von ihm wahrgenommenen Aufgaben anknüpft.

    D.   Zum Begriff „Arbeitgeber“, insbesondere in einer Unternehmensgruppe (vierte Frage)

    104.

    Die Beklagten des Ausgangsverfahrens wurden wie gesagt von Arcadia London, Arcadia Singapore und Arcadia Switzerland sowie vom Alleinaktionär der Gruppe, Farahead, vor den Gerichten von England und Wales verklagt. Die Betroffenen hatten aber mit nur einer Arcadia-Gesellschaft, deren Identität sich im Lauf der Zeit änderte, Arbeitsverträge im Sinne des materiellen Rechts. Daher möchte das vorlegende Gericht mit seiner vierten Frage im Wesentlichen wissen, ob Klagen gegen einen Arbeitnehmer, die von einer Person erhoben werden, die nicht sein Arbeitgeber im Sinne des materiellen Rechts ist – was im vorliegenden Fall auf die Gesellschaften der Gruppe, die nicht der Arbeitgeber waren, zutraf –, unter Abschnitt 5 fallen können und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen.

    105.

    Natürlich müsste auch diese Frage nicht beantwortet werden, falls der Gerichtshof, wie ich vorschlage, die Ansicht vertreten sollte, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens mit keiner der Arcadia-Gesellschaften „individuelle Arbeitsverträge“ im Sinne der Vorschriften von Abschnitt 5 besaßen. Ich beantworte diese Frage daher ebenfalls hilfsweise, ausgehend von der Annahme, dass die Betroffenen „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Vorschriften sind.

    106.

    Nach dieser Klarstellung weise ich darauf hin, dass eine Klage nach den Vorschriften von Abschnitt 5 nur dann unter diesen Abschnitt fällt, wenn sie von einer der Parteien eines „individuellen Arbeitsvertrags“ – Arbeitnehmer oder Arbeitgeber – gegen die andere Partei erhoben wird. In diesem Rahmen ist der Arbeitgeber typischerweise die natürliche oder juristische Person, für die der Arbeitnehmer für bestimmte Zeit zu seinen Gunsten und nach seiner Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.

    107.

    Hingegen fällt eine Klage, die von einem Dritten, der nicht Partei dieses „Vertrags“ ist, gegen den Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber erhoben wird, oder eine Klage, die vom Arbeitnehmer oder Arbeitgeber gegen einen Dritten erhoben wird, nicht unter diesen Abschnitt. Es gibt aber zwei Nuancen, vor allem im Fall einer Unternehmensgruppe.

    108.

    Zum einen lassen, wie ich im Rahmen der Prüfung der zweiten Frage ausgeführt habe, die autonome Einstufung des „individuellen Arbeitsvertrags“ und insoweit die Prüfung des Unterordnungsverhältnisses die Annahme zu, dass eine Gesellschaft, mit der der Arbeitnehmer keinen Vertrag im Sinne des materiellen Rechts abgeschlossen hat, dennoch einen solchen „Vertrag“ mit ihm hat. In einer Unternehmensgruppe kann daher der „Arbeitgeber“ eines Arbeitnehmers, der formal einen Arbeitsvertrag mit einer Gesellschaft A besitzt, eine Gesellschaft B sein oder auch beide Gesellschaften, je nachdem, wer die tatsächliche Weisungsbefugnis ausübt ( 87 ).

    109.

    Zum anderen rechtfertigt das mit Abschnitt 5 verfolgte Schutzziel dann, wenn aufgrund dieser Prüfung ein Arbeitnehmer einen „individuellen Arbeitsvertrag“ nur mit der Gesellschaft A besitzt, er jedoch von der Gesellschaft B verklagt wird, einen Ansatz, der der Realität des Rechtsstreits Rechnung trägt: Wenn es bei der Klage der Gesellschaft B um ein Verhalten des Arbeitnehmers bei der Durchführung seines „Vertrags“ mit der Gesellschaft A geht, müsste die Gesellschaft B auch als „Arbeitgeberin“ im Sinne von Art. 20 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens angesehen werden. Gesellschaften derselben Gruppe müssten denselben Beschränkungen in Bezug auf die gerichtliche Zuständigkeit unterliegen ( 88 ). Andernfalls würde, fürchte ich, den internationalen Arbeitgebern wiederum ein gewisser Spielraum für eine Umgehung von Abschnitt 5 gelassen. Solange zwischen diesen beiden Gesellschaften eine organische und wirtschaftliche Verbindung besteht und die zweite ein Interesse an der ordnungsgemäßen Erfüllung des Vertrags hat, würde das dem Ziel der Rechtssicherheit nicht zuwiderlaufen ( 89 ). Dies würde es im Übrigen ermöglichen, in sachgerechter Weise zu verhindern, dass eine Vielzahl von Gerichtsständen für ein und dasselbe Arbeitsverhältnis zuständig wäre, und somit zu einer geordneten Rechtspflege beitragen.

    110.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vierte Frage zu antworten, dass in einem Fall, in dem innerhalb einer Unternehmensgruppe ein Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag im Sinne des materiellen Rechts mit einer bestimmten Gesellschaft hat, er aber von einer anderen Gesellschaft verklagt wird, die andere Gesellschaft als „Arbeitgeberin“ des Arbeitnehmers für die Zwecke der Bestimmungen von Abschnitt 5 angesehen werden kann, wenn

    der Arbeitnehmer seine Funktionen der Sache nach zugunsten und auf Weisung der anderen Gesellschaft wahrnimmt oder

    die andere Gesellschaft den Arbeitnehmer wegen eines Verhaltens anlässlich der Erfüllung seines Vertrags mit der ersten Gesellschaft verklagt.

    V. Ergebnis

    111.

    In Anbetracht aller vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

    1.

    Art. 18 Abs. 1 des am 30. Oktober 2007 unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, dessen Abschluss im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom 27. November 2008 genehmigt wurde (Lugano‑II-Übereinkommen), ist dahin auszulegen, dass der Direktor einer Gesellschaft, der die volle Kontrolle und Autonomie über das Tagesgeschäft der von ihm vertretenen Gesellschaft und die Wahrnehmung seiner eigenen Aufgaben hat, dieser Gesellschaft nicht untergeordnet ist und daher mit ihr keinen „individuellen Arbeitsvertrag“ im Sinne dieser Vorschrift hat. Der Umstand, dass die Aktionäre der Gesellschaft den Direktor abberufen können, stellt diese Auslegung nicht in Frage.

    2.

    Bei einer Klage eines Arbeitgebers gegen einen Arbeitnehmer bilden unabhängig von den vom Arbeitgeber angeführten materiell-rechtlichen Grundlagen ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den „Gegenstand des Verfahrens“ im Sinne von Art. 18 Abs. 1 des Lugano‑II-Übereinkommens, sofern es dabei um einen Rechtsstreit geht, der anlässlich des Arbeitsverhältnisses entstanden ist. Insbesondere fällt eine Schadensersatzklage des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer unter Titel II Abschnitt 5 des Übereinkommens, sofern das dem Arbeitnehmer vorgeworfene Verhalten der Sache nach an die von ihm wahrgenommenen Aufgaben anknüpft.

    3.

    In einem Fall, in dem innerhalb einer Unternehmensgruppe ein Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag im Sinne des materiellen Rechts mit einer bestimmten Gesellschaft hat, er aber von einer anderen Gesellschaft verklagt wird, kann die andere Gesellschaft als „Arbeitgeberin“ des Arbeitnehmers für die Zwecke der Bestimmungen von Titel II Abschnitt 5 des Lugano‑II-Übereinkommens angesehen werden, wenn

    der Arbeitnehmer seine Funktionen der Sache nach zugunsten und auf Weisung der anderen Gesellschaft wahrnimmt oder

    die andere Gesellschaft den Arbeitnehmer wegen eines Verhaltens anlässlich der Erfüllung seines Vertrags mit der ersten Gesellschaft verklagt.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) ABl. 2007, L 339, S. 1. Der Abschluss dieses Übereinkommens wurde durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom 27. November 2008 (ABl. 2009, L 147, S. 1) im Namen der Gemeinschaft genehmigt.

    ( 3 ) Verordnung des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Brüssel‑I-Verordnung). Diese Verordnung hat das am 27. September 1968 in Brüssel unterzeichnete Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32, im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) ersetzt. Sie wurde ihrerseits durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) ersetzt.

    ( 4 ) Bei der Auslegung des Übereinkommens ist zudem nationalen Entscheidungen zu diesen Rechtsakten Rechnung zu tragen. Vgl. Art. 1 des Protokolls 2 über die einheitliche Auslegung des [Lugano‑II-Übereinkommens] und den ständigen Ausschuss (ABl. 2007, L 339, S. 27) sowie Urteile vom 2. April 2009, Gambazzi (C‑394/07, EU:C:2009:219, Rn. 36), und vom 20. Dezember 2017, Schlömp (C‑467/16, EU:C:2017:993, Rn. 46 bis 51).

    ( 5 ) Die genannte Bestimmung sieht vor, dass eine Person, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes verklagt werden kann, „an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten“.

    ( 6 ) Vgl. Urteile vom 22. Mai 2008, Glaxosmithkline und Laboratoires Glaxosmithkline (C‑462/06, EU:C:2008:299, Rn. 19 und 20), vom 14. September 2017, Nogueira u. a. (C‑168/16 und C‑169/16, EU:C:2017:688, Rn. 51), sowie vom 21. Juni 2018, Petronas Lubricants Italy (C‑1/17, EU:C:2018:478, Rn. 25).

    ( 7 ) Die im Lugano‑II-Übereinkommen und in der Brüssel‑I-Verordnung vorgesehenen Zuständigkeitsvorschriften verfolgen im Allgemeinen das Ziel, die Rechtssicherheit zu gewährleisten. Sie müssen daher in hohem Maße vorhersehbar sein: Dem Kläger muss die Feststellung erleichtert werden, welche Gerichte er anrufen kann, und dem Beklagten muss ermöglicht werden, bei vernünftiger Betrachtung vorherzusehen, vor welchen Gerichten er verklagt werden kann. Zudem sollen diese Vorschriften eine geordnete Rechtspflege sichern. Vgl. Urteile vom 19. Februar 2002, Besix (C‑256/00, EU:C:2002:99, Rn. 26), und vom 10. April 2003, Pugliese (C‑437/00, EU:C:2003:219, Rn. 16).

    ( 8 ) Vgl. den 13. Erwägungsgrund der Brüssel‑I-Verordnung sowie Urteile vom 19. Juli 2012, Mahamdia (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 44), und vom 21. Juni 2018, Petronas Lubricants Italy (C‑1/17, EU:C:2018:478, Rn. 23).

    ( 9 ) Dieser zweite Teil der Frage wird vom vorlegenden Gericht im Rahmen seiner vierten Frage aufgeworfen. Ich erachte es jedoch für zweckmäßig, ihn bereits hier zu prüfen.

    ( 10 ) Vgl. u. a. Urteil vom 14. März 2013, Allianz Hungária Biztosító u. a. (C‑32/11, EU:C:2013:160, Rn. 19 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 11 ) Vgl. Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England und Wales] [Zivilabteilung]), 19. August 2016, Peter Miles Bosworth und Colin Hurley v Arcadia Petroleum Ltd u. a., [2016] EWCA Civ 818, Rn. 90 und 91.

    ( 12 ) Ein De-facto-Direktor ist eine Person, die, ohne formal dazu ernannt worden zu sein, tatsächlich diese Aufgaben wahrnimmt.

    ( 13 ) Herr Bosworth wurde für gewisse Zeit zum Direktor von Arcadia Singapore ernannt, und Herr Hurley wurde zum Verwalter von Arcadia London und dann von Arcadia Singapore ernannt. Unabhängig von diesen Ernennungen übten die Betroffenen diese Funktionen für alle betreffenden Arcadia-Gesellschaften während des im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitraums de facto aus.

    ( 14 ) Aus der Vorlageentscheidung geht nicht genau hervor, ob diese Einstufung anhand der lex causae oder der lex fori erfolgte.

    ( 15 ) Vgl. Urteil vom 10. September 2015, Holterman Ferho Exploitatie u. a. (C‑47/14, im Folgenden: Urteil Holterman, EU:C:2015:574, Rn. 35 bis 37).

    ( 16 ) Vgl. Urteil Holterman, Rn. 39 bis 45 und 49. Der Gerichtshof hat in den ersten beiden Randnummern auch darauf abgestellt, dass der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber durch eine dauerhafte Beziehung verbunden sind, durch die Ersterer in bestimmter Weise in den Betrieb des Letzteren eingegliedert wird, Dass der Gerichtshof diesen Gesichtspunkt in seiner Antwort in Rn. 49 dieses Urteils und im Tenor nicht wieder aufgegriffen hat, deutet meines Erachtens aber darauf hin, dass er ihn nicht als Voraussetzung für die Einstufung als „individueller Arbeitsvertrag“ im Sinne des Abschnitts 5 erachtet, sondern als bloße Beschreibung derartiger Verträge.

    ( 17 ) Vgl. entsprechend Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von Herrn Mario Giuliano, Professor an der Universität Mailand, und Herrn Paul Lagarde, Professor an der Universität Paris I (ABl. 1980, C 282, S. 1), speziell S. 25. Vgl. auch Baker Chiss, C., „Compétence judiciaire, reconnaissance et exécution des décisions en matière civile et commerciale – Compétence – Règles de compétences spéciales – Règles de compétence protectrices des parties faibles – Contrat de travail – Articles 20 à 23 du règlement (UE) no 1215/2012“, JurisClasseur Droit international, fasc. 584‑155, 15. September 2014, §§ 29 bis 38 und 46, Merrett, L., Employment Contracts in Private International Law, Oxford University Press, 2011, S. 62‑77, und Grušić, U., The European Private International Law of Employment, Cambridge University Press, 2015, S. 78‑83.

    ( 18 ) ABl. 1980, L 266, S. 1.

    ( 19 ) Vgl. Grušić, U., a. a. O., S. 61-62.

    ( 20 ) Eine solche Auslegung ist überdies unabdingbar, um das mit Abschnitt 5 verfolgte Schutzziel zu erreichen. Die Auslegung des Begriffs „individueller Arbeitsvertrag“ im Sinne dieses Abschnitts muss hinreichend weit sein, um alle schutzbedürftigen Arbeitnehmer zu erfassen, einschließlich derjenigen, die sich in „atypischen“ Arbeitsverhältnissen ohne echten Vertrag befinden, aber ebenso von ihren Arbeitgebern abhängig sind.

    ( 21 ) Arcadia machte im Übrigen vor den nationalen Gerichten geltend, die Wahl der Beklagen des Ausgangsverfahrens, von Arcadia London oder Arcadia Singapore, nicht aber von Arcadia Switzerland formal angestellt zu werden, sei einfach dadurch zu erklären, dass sie in der Schweiz nach einer Steuerregelung besteuert würden, die jede entgeltliche Tätigkeit in diesem Staat untersage. Vgl. Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England und Wales] [Zivilabteilung]), 19. August 2016, Peter Miles Bosworth und Colin Hurley v Arcadia Petroleum Ltd u. a., [2016] EWCA Civ 818, Rn. 71.

    ( 22 ) Dies war hier der Fall. Die Tatsache, dass die Vergütung der Beklagten des Ausgangsverfahrens nur von bestimmten Gesellschaften der Arcadia-Gruppe gezahlt wurde, ist meiner Ansicht nach irrelevant. Es kommt nicht darauf an, welcher Art die Vergütung ist und wie sie gezahlt wird. Vgl. entsprechend Urteil vom 19. Dezember 2013, Corman-Collins (C‑9/12, EU:C:2013:860, Rn. 39 und 40).

    ( 23 ) Vgl. Urteil Holterman, Rn. 53 und 54. Vgl. auch, zum Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung, Urteile vom 17. Juni 1992, Handte (C‑26/91, EU:C:1992:268, Rn.15), und vom 17. September 2002, Tacconi (C‑334/00, EU:C:2002:499, Rn. 23).

    ( 24 ) Vgl. Urteil Holterman, Rn. 46 und 47.

    ( 25 ) Vgl. Urteile vom 3. Juli 1986, Lawrie-Blum (66/85, EU:C:1986:284, Rn. 18), vom 13. Januar 2004, Allonby (C‑256/01, EU:C:2004:18, Rn. 72), vom 4. Dezember 2014, FNV Kunsten Informatie en Media (C‑413/13, EU:C:2014:2411, Rn. 36 und 37), sowie vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a. (C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 45).

    ( 26 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 47), und in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Holterman Ferho Exploitatie u. a. (C‑47/14, EU:C:2015:309, Nr. 32).

    ( 27 ) Urteil vom 11. November 2010 (C‑232/09, EU:C:2010:674).

    ( 28 ) Urteil vom 9. Juli 2015 (C‑229/14, EU:C:2015:455).

    ( 29 ) Richtlinie des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1992, L 348, S. 1).

    ( 30 ) Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 48 bis 51).

    ( 31 ) Urteil vom 9. Juli 2015 (C‑229/14, EU:C:2015:455, Rn. 37 bis 41).

    ( 32 ) Richtlinie des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16).

    ( 33 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2009, Falco Privatstiftung und Rabitsch (C‑533/07, EU:C:2009:257, Rn. 33 bis 40), sowie meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Nogueira u. a. (C‑168/16 und C‑169/16, EU:C:2017:312, Nr. 112).

    ( 34 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Holterman Ferho Exploitatie u. a. (C‑47/14, EU:C:2015:309, Nr. 25).

    ( 35 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Oktober 2013, Schneider (C‑386/12, EU:C:2013:633, Rn. 18), vom 19. Dezember 2013, Corman-Collins (C‑9/12, EU:C:2013:860, Rn. 28), und vom 14. Juli 2016, Granarolo (C‑196/15, EU:C:2016:559, Rn. 23).

    ( 36 ) Urteil vom 11. November 2010 (C‑232/09, EU:C:2010:674).

    ( 37 ) Urteil vom 11. November 2010 (C‑232/09, EU:C:2010:674).

    ( 38 ) Urteil vom 9. Juli 2015 (C‑229/14, EU:C:2015:455).

    ( 39 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Holterman Ferho Exploitatie u. a. (C‑47/14, EU:C:2015:309, Fn. 28). Vgl. Companies Act 2006, Teil 10, Kapitel 5, § 227 („Director’s service contracts“). Hingegen ist es in anderen Mitgliedstaaten, vor allem in Frankreich, nur dann möglich, ein Direktorenamt mit einem Arbeitsvertrag zu verbinden, wenn der Direktor technische Aufgaben wahrnimmt, die sich von den mit einem solchen Amt einhergehenden Aufgaben unterscheiden. Gegebenenfalls hat der Betroffene dann zwei unabhängige Rechtsstellungen: Die Aufgaben als Direktor sind den Vorschriften des Gesellschaftsrechts unterworfen, während die Aufgaben als Arbeitnehmer den Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts unterliegen, und er erhält zwei verschiedene Vergütungen. Vgl. Bavozet, F., „Dirigeants salariés et assimilés. – Affiliation au régime des salariés. – Conditions de cumul d'un contrat de travail et d'un mandat social“, JurisClasseur, fasc. S‑7510, 7. Februar 2018.

    ( 40 ) Vgl. beispielsweise Art. L. 223-22 des Code de commerce (französisches Handelsgesetzbuch), Art. 236 ff. der Ley de Sociedades de Capital (spanisches Gesetz über Kapitalgesellschaften) vom 2. Juli 2010 (BOE Nr. 161 vom 3. Juli 2010, S. 58472) sowie die Art. 361 und 363 bis 365 der Selskabsloven (dänisches Gesetz über Gesellschaften). Diese Vorschriften wurden in geringem Umfang durch die Art. 106 und 152 der Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl. 2017, L 169, S. 46) harmonisiert. Vgl. auch Art. 51 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABl. 2001, L 294, S. 1).

    ( 41 ) Vgl. beispielsweise Art. L. 223-22 des französischen Handelsgesetzbuchs und Art. 237 des spanischen Gesetzes über Kapitalgesellschaften.

    ( 42 ) Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6). Vgl. den siebten Erwägungsgrund dieser Verordnung sowie Urteil vom 21. Januar 2016, ERGO Insurance und Gjensidige Baltic (C‑359/14 und C‑475/14, EU:C:2016:40, Rn. 43 bis 45).

    ( 43 ) Ebenso ist allgemein anerkannt, dass diese Fragen unter die lex societatis fallen. Vgl. Bericht Giuliano-Lagarde, a. a. O., S. 12, Cour de cassation (Kassationshof), 1. Zivilkammer (Frankreich), 1. Juli 1997, Nr. 95‑15.262, M. X c. Société Africatours, Cohen, D., „La responsabilité civile des dirigeants sociaux en droit international privé“, Revue critique de droit international privé, 2003, S. 585, und Menjucq, M., Droit international et européen des sociétés, LGDJ, Paris, 2011 (3. Aufl.), S. 116-117.

    ( 44 ) Es geht darum, einen schwierigen Ausgleich vorzunehmen zwischen dem Ziel, die Interessen der Gesellschafter zu schützen und das notwendige Vertrauen in das gute Funktionieren des gesamten Unternehmens sicherzustellen, indem unter Androhung von Haftung bzw. Sanktionen gewährleistet wird, dass sich die Direktoren angemessen verhalten, und der Notwendigkeit, die Führungsebene von Gesellschaften nicht durch eine systematische und exzessive Haftung zu lähmen, da bei der Wahrnehmung solcher Führungsaufgaben auch Risiken eingegangen werden müssen. Vgl. Guyon, Y., „Responsabilité civile des dirigeants“, JurisClasseur Sociétés Traité, § 1 und das dort angeführte Schrifttum.

    ( 45 ) Urteil vom 11. November 2010 (C‑232/09, EU:C:2010:674).

    ( 46 ) Urteil vom 9. Juli 2015 (C‑229/14, EU:C:2015:455).

    ( 47 ) Um dieses Kriterium geht es im Wesentlichen bei den Vorlagefragen 1 und 3 Buchst. b.

    ( 48 ) Um dieses Kriterium geht es im Wesentlichen bei den Vorlagefragen 1 und 3 Buchst. a.

    ( 49 ) Was die Gruppe im Übrigen in ihrer ursprünglichen Klageschrift getan hatte, bevor sie den Kurs änderte, nachdem sich die Beklagten auf Abschnitt 5 berufen hatten.

    ( 50 ) Wobei die primäre Quelle aller Pflichten das Gesetz ist, da es keine Pflichten gäbe, wenn das Gesetz sie nicht zuließe (durch die Aufstellung von Regeln, die Übereinkünften zwingende Wirkung und Gültigkeit verleihen, usw.).

    ( 51 ) Im materiellen Recht der Mitgliedstaaten können die vertragliche und die deliktische Haftung verschiedenen Regelungen in Bezug auf die Beweislast, den Umfang des möglichen Schadensersatzes, die Verjährung usw. unterliegen. Es kann daher im Interesse eines Klägers liegen, eine bestimmte Rechtsgrundlage zu wählen.

    ( 52 ) Urteil vom 27. September 1988 (189/87, EU:C:1988:459).

    ( 53 ) Urteil vom 27. September 1988, Kalfelis (189/87, EU:C:1988:459, Rn. 16 bis 19).

    ( 54 ) Der Gerichtshof hat diesen Ansatz im Übrigen in der Folge bestätigt. Vgl. insbesondere Urteil vom 16. Mai 2013, Melzer (C‑228/11, EU:C:2013:305, Rn. 21). Vgl. auch Zogg, S., „Accumulation of Contractual and Tortious Causes of Action Under the Judgments Regulation“, Journal of Private International Law, 9:1, S. 39‑76, speziell S. 42 und 43.

    ( 55 ) Urteil vom 17. Juni 1992, Handte (C‑26/91, EU:C:1992:268, Rn. 15).

    ( 56 ) Nach diesem Ansatz beruhen in der vorliegenden Rechtssache die verschiedenen claims von Arcadia gegen die Beklagten des Ausgangsverfahrens auf den verschiedensten Gründen – breach of fiduciary duty, conspiracy usw. –, die separat eingestuft werden müssen. Insoweit verweist die unerlaubte Handlung „conspiracy“, wie ausgeführt, auf den Verstoß gegen eine gesetzliche, gegenüber jedermann bestehende Pflicht und fällt daher unter die Wendung „unerlaubte Handlung … oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“. Hingegen ist die unerlaubte Handlung „breach of fiduciary duty“ ein Grund, der unter „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ fällt. Die fraglichen treuhänderischen Pflichten wurden nämlich von den Beklagten des Ausgangsverfahrens gegenüber Arcadia freiwillig übernommen (vgl. Nr. 39 der vorliegenden Schlussanträge).

    ( 57 ) Urteil vom 13. März 2014 (C‑548/12, EU:C:2014:148).

    ( 58 ) Urteil vom 27. September 1988 (189/87, EU:C:1988:459, Rn. 17).

    ( 59 ) Urteil vom 13. März 2014, Brogsitter (C‑548/12, EU:C:2014:148, Rn. 20 und 21) (Hervorhebung nur hier).

    ( 60 ) Urteil vom 13. März 2014, Brogsitter (C‑548/12, EU:C:2014:148, Rn. 24). Diese Erwägungen wurden im Wesentlichen in die Antwort in Rn. 29 des Urteils und in dessen Tenor übernommen.

    ( 61 ) Urteil vom 13. März 2014, Brogsitter (C‑548/12, EU:C:2014:148, Rn. 25).

    ( 62 ) Der Gerichtshof scheint hier den Begriff „Grund“ so zu verstehen, dass er sich nicht auf die vom Kläger zur Stützung seines Vorbringens angeführte Vorschrift des materiellen Rechts bezieht (in diesem Sinne wird der Begriff in Nr. 74 der vorliegenden Schlussanträge verwendet), sondern auf den in der Klageschrift geschilderten Sachverhalt.

    ( 63 ) Urteil vom 13. März 2014, Brogsitter (C‑548/12, EU:C:2014:148, Rn. 26).

    ( 64 ) Urteil vom 13. März 2014 (C‑548/12, EU:C:2014:148).

    ( 65 ) Urteil vom 27. September 1988 (189/87, EU:C:1988:459).

    ( 66 ) Urteil vom 13. März 2014 (C‑548/12, EU:C:2014:148).

    ( 67 ) Zu einem ähnlichen Verständnis vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Holterman Ferho Exploitatie u. a. (C‑47/14, EU:C:2015:309, Nr. 48) sowie Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Granarolo (C‑196/15, EU:C:2015:851, Nrn. 14 und 18). So hatte Generalanwalt Cruz Villalón in seinen Schlussanträgen vorgeschlagen, diese Prüfung auf Abschnitt 5 zu übertragen.

    ( 68 ) Urteil vom 13. März 2014 (C‑548/12, EU:C:2014:148).

    ( 69 ) Urteil Holterman, Rn. 32 und 71, unter Bezugnahme auf die Rn. 24 bis 27 des Urteils vom 13. März 2014, Brogsitter (C‑548/12, EU:C:2014:148). Der Gerichtshof hat zwar auf diese vier Randnummern Bezug genommen, sich letztlich aber nur auf die erste von ihnen gestützt. Vgl. auch Urteil vom 14. Juli 2016, Granarolo (C‑196/15, EU:C:2016:559, Rn. 21).

    ( 70 ) Urteil vom 27. September 1988 (189/87, EU:C:1988:459, Rn. 20).

    ( 71 ) Urteil vom 13. März 2014 (C‑548/12, EU:C:2014:148).

    ( 72 ) Nach diesem Ansatz würden die Klagen von Arcadia, soweit sie sich auf die unerlaubte Handlung der conspiracy stützen, in diese Kategorie fallen, wenn man davon ausgeht, dass Abschnitt 5 nicht anwendbar ist. Es ist nämlich nicht notwendig, den Inhalt der vertraglichen Pflichten festzustellen, die zwischen den Beklagten des Ausgangsverfahrens und Arcadia bestehen, um zu entscheiden, dass ein Verhalten, bei dem diese unerlaubte Handlung vorliegt, rechtswidrig ist.

    ( 73 ) Urteil vom 27. September 1988 (189/87, EU:C:1988:459, Rn. 20).

    ( 74 ) Urteile vom 3. Juli 1997, Benincasa (C‑269/95, EU:C:1997:337, Rn. 27), und vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 61).

    ( 75 ) Vgl. Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 62).

    ( 76 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 4. März 1982, Effer (38/81, EU:C:1982:79, Rn. 7).

    ( 77 ) Während der Wortlaut der beiden letztgenannten Fassungen nämlich relativ weit gefasst ist („in matters relating to individual contracts of employment“; „en matière de contrat individuel de travail“), ist jener der erstgenannten Fassung deutlich enger („[b]ilden ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens“).

    ( 78 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 30. Mai 2013, Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos (C‑604/11, EU:C:2013:344, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof hat hervorgehoben, dass dieser Schutzzweck bei der Auslegung der Vorschriften von Abschnitt 5 zu berücksichtigen ist. Vgl. Urteil vom 19. Juli 2012, Mahamdia (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 60).

    ( 79 ) Die „Plädoyertaktiken“, zu denen ein solcher Ansatz führen würde, werden vor allem dann deutlich, wenn der Kläger, wie im vorliegenden Fall, zunächst eine Vertragsverletzung geltend macht, dann seine Klageschrift ändert und daraus jeden vertraglichen Aspekt entfernt.

    ( 80 ) Die Gerichte von England und Wales haben in diesem Zusammenhang aufschlussreiche Präzedenzfälle geschaffen. Ursprünglich hatte der High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Commercial Court) (Obergericht für England und Wales, Kammer für Handelssachen) in seinem Urteil Swithenbank Foods Ltd. v Bowers, Richter McGonigal ([2002] 2 All ER [Comm] 974, Rn. 24 bis 26), entschieden, dass Abschnitt 5 nur anwendbar sei, wenn der Arbeitgeber seine Klage gegen einen Arbeitnehmer auf den Arbeitsvertrag stütze. Von diesem Urteil wich der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England und Wales] [Zivilabteilung]) in seinem Urteil Alfa Laval Tumba v Separator Spares ([2012] EWCA Civ 1569, Rn. 24 und 25) gerade deshalb zugunsten eines breiten, auf den Inhalt des Rechtsstreits fokussierten Ansatzes ab, um jegliche Gefahr einer Umgehung dieses Abschnitts zu vermeiden.

    ( 81 ) Vgl. in diesem Sinne Hess, B., Pfeiffer, T., und Schlosser, P., The Brussels I Regulation 44/2001: Application and Enforcment in the EU (Bericht Heidelberg), C. H. Beck, München, 2008, Rn. 356 bis 359; Merrett, L., „Jurisdiction Over Individual Contracts of Employment“, in Dickinson, A., und Lein, E. (Hrsg.), The Brussels I Regulation Recast, Oxford University Press, Oxford, 2015, S. 242‑243; Grušić, U., a. a. O., S. 92; Baker Chiss, C., a. a. O., §§ 49 und 50. Die Tatsache, dass eine Klage auf die Verletzung vertraglicher Pflichten hätte gestützt werden können, ist insoweit ein guter Indikator. Dennoch kann es sich angesichts ihrer Komplexität nicht um eine Prüfung an sich handeln, wie ich in Nr. 88 der vorliegenden Schlussanträge hervorgehoben habe.

    ( 82 ) Urteil Holterman, Rn. 49. Da dieselbe Person in einem Unternehmen mehrere Aufgaben haben kann, ist auf die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ausgeführten Aufgaben abzustellen.

    ( 83 ) Man kann zwei Extrembeispiele einander gegenüberstellen. Zum einen das eines Fernfahrers, der bei einer Lieferung einen Unfall verursacht, während er im Zustand der Trunkenheit einen Lastwagen des Unternehmens lenkt. Zum anderen das eines anderen Fahrers, der an einem Urlaubstag außerhalb der Arbeitszeit mit seinem persönlichen Fahrzeug einen seinen Arbeitgeber schädigenden Unfall verursacht.

    ( 84 ) Dabei denke ich an Fälle, in denen der Fehler während der Arbeitszeit oder am Arbeitsplatz begangen wurde oder nur aufgrund der Aufgaben möglich wurde oder auch, wenn seine Begehung durch die Aufgaben erleichtert wurde.

    ( 85 ) In einer Situation, in der ein Arbeitnehmer seine Aufgaben als Arbeitnehmer und weitere Aufgaben in anderer Eigenschaft wahrnimmt, ist zu prüfen, mit welchen Aufgaben der angebliche Fehler verknüpft ist; Abschnitt 5 ist nur anwendbar, wenn es sich um Aufgaben handelt, die in der Eigenschaft als Arbeitnehmer wahrgenommen werden.

    ( 86 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 27. September 1988, Kalfelis (189/87, EU:C:1988:459, Rn. 19), vom 20. Januar 2005, Engler (C‑27/02, EU:C:2005:33, Rn. 43), sowie vom 22. Mai 2008, Glaxosmithkline und Laboratoires Glaxosmithkline (C‑462/06, EU:C:2008:299, Rn. 28).

    ( 87 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 15. Dezember 2011, Voogsgeerd (C‑384/10, EU:C:2011:842, Rn. 59 bis 65).

    ( 88 ) Vgl. in diesem Sinne Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England und Wales] [Zivilabteilung]), Samengo-Turner v J & H Marsh & McLennan (Services) Ltd, [2007] EWCA Civ 732, Rn. 32 bis 35, und James Petter v EMC Europe Limited, EMC Corporation, [2015] EWCA Civ 828, Rn. 20 und 21.

    ( 89 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 10. April 2003, Pugliese (C‑437/00, EU:C:2003:219, Rn. 23 und 24).

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