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Document 62017CC0517

    Schlussanträge des Generalanwalts G. Hogan vom 19. März 2020.
    Milkiyas Addis gegen Bundesrepublik Deutschland.
    Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Asylpolitik – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 14 und 34 – Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, vor dem Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben – Verletzung der Pflicht im erstinstanzlichen Verfahren – Folgen.
    Rechtssache C-517/17.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:225

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    GERARD HOGAN

    vom 19. März 2020 ( 1 )

    Rechtssache C‑517/17

    Milkiyas Addis

    gegen

    Bundesrepublik Deutschland

    (Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts [Deutschland])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Asylpolitik – Richtlinie 2013/32/EU – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Ablehnung des internationalen Schutzes – Art. 33 – Unzulässige Anträge – Art. 33 Abs. 2 Buchst. a – Ablehnung eines Asylantrags nach Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat – Art. 14 und 34 – Unterbliebene persönliche Anhörung – Folgen – Rechtsbehelfsverfahren – Art. 46 – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Umfassende Ex‑nunc-Prüfung – Möglichkeit für ein Gericht, das Versäumnis einer Asylbehörde, eine persönliche Anhörung durchzuführen, zu heilen“

    I. Einleitung

    1.

    Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft in seiner derzeitigen Form die Auslegung von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ( 2 ) und dessen Vorläufer, Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft ( 3 ). Nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 ist einer Person, die internationalen Schutz oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt, eine persönliche Anhörung zu gewähren, bevor die Asylbehörde eine Entscheidung erlässt.

    2.

    Das Ersuchen ergeht in einem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) zwischen Herrn Milkiyas Addis und der Bundesrepublik Deutschland, in dem es u. a. um einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Deutschland, im Folgenden: Bundesamt) vom Februar 2013 geht, mit dem der Antrag von Herrn Addis auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wurde.

    3.

    Der von Herrn Addis gestellte Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland wurde vom Bundesamt als unzulässig abgelehnt, weil ihm die Flüchtlingseigenschaft bereits in Italien zuerkannt worden war. Es ist jedoch unstreitig, dass diese Entscheidung unter Verstoß gegen den Herrn Addis sowohl nach nationalem Recht als auch nach Unionsrecht zustehenden Anspruch auf eine persönliche Anhörung durch die Asylbehörde – hier das Bundesamt – zur Frage der Zulässigkeit seines Antrags erging. Wie wir sehen werden, betrifft die durch das vorliegende Ersuchen aufgeworfene grundlegende Frage die Folgen dieses Verstoßes gegen eine ausdrückliche und zwingende Vorschrift der Verfahrensrichtlinie.

    4.

    In diesem Kontext fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof, ob die in der Verfahrensrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Erfordernis einer persönlichen Anhörung abschließend sind und ob insbesondere das Unterbleiben dieser Anhörung zur Aufhebung der Entscheidung führen muss, den von Herrn Addis gestellten Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässig abzulehnen. Das vorlegende Gericht möchte außerdem wissen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung durch das Bundesamt in dem von Herrn Addis eingeleiteten gerichtlichen Verfahren zur Anfechtung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abzulehnen, geheilt werden kann.

    5.

    Das Bundesverwaltungsgericht fragt ferner, ob die Entscheidung des Bundesamts über die Unzulässigkeit aufzuheben ist, wenn eine Person, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt, in einem späteren gerichtlichen Verfahren Gelegenheit hatte, alle gegen die Feststellung der Unzulässigkeit sprechenden Gründe oder Argumente vorzubringen, und auch bei Berücksichtigung dieses gesamten Vorbringens keine andere Entscheidung ergehen könnte.

    6.

    Bevor ich die anwendbaren Rechtsvorschriften und den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache darstelle, möchte ich kurz auf die etwas komplexe Verfahrensgeschichte der vorliegenden Rechtssache vor dem Gerichtshof eingehen. Sie resultiert daraus, dass sich die vom Bundesverwaltungsgericht in dieser Rechtssache vorgelegten Fragen in gewissem Maß – wenngleich nicht vollständig – mit den Fragen in den Rechtssachen überschneiden, die Gegenstand des Urteils vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. ( 4 ), waren.

    II. Verfahren vor dem Gerichtshof

    7.

    Das Vorabentscheidungsersuchen in der vorliegenden Rechtssache C‑517/17, das ursprünglich drei Fragen enthielt, ist am 28. August 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. Mit Beschluss vom 29. September 2017 hat der Präsident des Gerichtshofs die Rechtssachen C‑517/17 (die vorliegende Rechtssache), C‑540/17 und C‑541/17 miteinander verbunden. Mit Beschluss vom 4. April 2018 sind die verbundenen Rechtssachen C‑517/17, C‑540/17 und C‑541/17 bis zum Erlass einer Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17 ausgesetzt worden.

    8.

    Das Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. ( 5 ), wurde dem vorlegenden Gericht am 26. März 2019 mitgeteilt. Am 26. April 2019 hat das vorlegende Gericht seine Fragen in den verbundenen Rechtssachen C‑517/17, C‑540/17 und C‑541/17 teilweise zurückgenommen.

    9.

    Was speziell die Rechtssache C‑517/17 betrifft, hat das vorlegende Gericht die ersten beiden der dem Gerichtshof ursprünglich vorgelegten Fragen zurückgenommen. Bei diesen Fragen ging es darum, inwieweit ein Mitgliedstaat daran gehindert ist, einen Antrag auf internationalen Schutz einer Person, der bereits in einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, als unzulässig abzulehnen, wenn die Lebensbedingungen in diesem anderen Mitgliedstaat nicht den Anforderungen der Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ( 6 ) entsprechen, ohne jedoch gegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) zu verstoßen.

    10.

    Das vorlegende Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die ersten beiden der ursprünglich gestellten Fragen im Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. ( 7 ), beantwortet worden seien.

    11.

    Dagegen hat das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben, das am 2. Mai 2019 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, die Auffassung vertreten, dass in diesem Urteil auf seine dritte in der Rechtssache C‑517/17 gestellte Frage nicht eingegangen worden sei.

    12.

    Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 16. Mai 2019 wurden die Verbindung der Rechtssache C‑517/17 mit den verbundenen Rechtssachen C‑540/17 und C‑541/17 sowie die Aussetzung aller dieser Rechtssachen aufgehoben. Über die verbundenen Rechtssachen C‑540/17 und C‑541/17 wurde mit Beschluss vom 13. November 2019, Hamed und Omar ( 8 ), entschieden.

    13.

    In der vorliegenden Rechtssache C‑517/17 ist im Anschluss an einen Beschluss des Gerichtshofs vom 1. Oktober 2019 dem vorlegenden Gericht am 4. Oktober 2019 ein Ersuchen um Klarstellung zugeleitet worden. Eine Antwort auf dieses Ersuchen ist am 6. November 2019 beim Gerichtshof eingegangen ( 9 ).

    14.

    Vor der Aussetzung der Rechtssache C‑517/17 haben die deutsche, die französische, die ungarische und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen zur dritten Frage des Bundesverwaltungsgerichts eingereicht. Die deutsche, die ungarische und die niederländische Regierung sowie die Kommission sind der Ansicht, dass Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 der Anwendung einer nationalen Bestimmung, wonach das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung des Antragstellers im Fall einer Ablehnung eines Asylantrags durch die Asylbehörde als unzulässig nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung führe, nicht entgegenstehe, sofern der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren Gelegenheit habe, alle gegen eine Unzulässigkeitsentscheidung sprechenden Umstände vorzubringen, und auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens in der Sache keine andere Entscheidung ergehen könne.

    15.

    Dagegen ist die französische Regierung im Wesentlichen der Ansicht, dass Art. 14 der Richtlinie 2013/32 im Licht des allgemeinen Grundsatzes des Anspruchs auf rechtliches Gehör, der integraler Bestandteil der Verteidigungsrechte sei, einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehe, wonach ein erstinstanzlich im Verfahren vor der Asylbehörde begangener Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Erlass einer Entscheidung, mit der nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie die Unzulässigkeit festgestellt werde, nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung führe, sofern der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme habe.

    16.

    An der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof, die am 15. Januar 2020 stattgefunden hat, haben Herr Addis, das Bundesamt, die deutsche Regierung und die Kommission teilgenommen.

    III. Rechtlicher Rahmen

    A.   Unionsrecht

    1. Richtlinie 2013/32

    17.

    In den Erwägungsgründen 18 und 22 der Richtlinie 2013/32 heißt es:

    „(18)

    Es liegt im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die internationalen Schutz beantragen, dass über die Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge, entschieden wird.

    (22)

    Es liegt ferner im Interesse der Mitgliedstaaten wie der Antragsteller, dass das Bedürfnis nach internationalem Schutz bereits in der ersten Instanz ordnungsgemäß festgestellt wird. …“

    18.

    Nach Art. 1 der Richtlinie 2013/32 werden mit ihr gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes gemäß der Richtlinie 2011/95 (im Folgenden: Anerkennungsrichtlinie) eingeführt.

    19.

    Nach Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 bezeichnet der Ausdruck „Antrag auf internationalen Schutz“ das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und der nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs der Anerkennungsrichtlinie ersucht.

    20.

    Art. 14 („Persönliche Anhörung“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

    „(1)   Bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft, wird dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Antrag auf internationalen Schutz durch einen nach nationalem Recht für die Durchführung einer solchen Anhörung zuständigen Bediensteten gegeben. Persönliche Anhörungen zum Inhalt eines Antrags werden von einem Bediensteten der Asylbehörde durchgeführt. …

    Ist es der Asylbehörde wegen einer großen Zahl von gleichzeitig eingehenden Anträgen auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in der Praxis unmöglich, fristgerecht Anhörungen zum Inhalt jedes einzelnen Antrags durchzuführen, so können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass diese Anhörungen vorübergehend von Bediensteten einer anderen Behörde durchgeführt werden. In diesen Fällen erhalten die Bediensteten dieser anderen Behörde zuvor eine entsprechende Schulung, die sich auch auf die Gegenstände in Artikel 6 Absatz 4 Buchstaben a bis e der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (ABl. 2010, L 132, S. 11)] erstreckt. Personen, die die persönliche Anhörung von Antragstellern nach Maßgabe dieser Richtlinie durchführen, müssen außerdem allgemeine Kenntnisse über die Probleme erworben haben, die die Fähigkeit des Antragstellers, angehört zu werden, beeinträchtigen könnten, beispielsweise Anzeichen dafür, dass der Antragsteller in der Vergangenheit möglicherweise gefoltert worden sein könnte.

    (2)   Auf die persönliche Anhörung zum Inhalt des Antrags kann verzichtet werden, wenn

    a)

    die Asylbehörde anhand der verfügbaren Beweismittel eine positive Entscheidung im Hinblick auf die Flüchtlingseigenschaft treffen kann oder

    b)

    die Asylbehörde der Auffassung ist, dass der Antragsteller aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall konsultiert die Asylbehörde medizinisches Fachpersonal, um festzustellen, ob es sich bei dem Umstand, der dazu führt, dass der Antragsteller nicht zu einer Anhörung in der Lage ist, um einen vorübergehenden oder dauerhaften Zustand handelt.

    Findet eine persönliche Anhörung des Antragstellers – oder gegebenenfalls der vom Antragsteller abhängigen Person – gemäß Buchstabe b nicht statt, so müssen angemessene Bemühungen unternommen werden, damit der Antragsteller oder die von ihm abhängige Person weitere Informationen unterbreiten können.

    (3)   Die Tatsache, dass keine persönliche Anhörung gemäß diesem Artikel stattgefunden hat, hindert die Asylbehörde nicht daran, über den Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden.

    (4)   Die Tatsache, dass nach Absatz 2 Buchstabe b keine persönliche Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung der Asylbehörde nicht negativ beeinflussen.

    …“

    21.

    Art. 15 („Anforderungen an die persönliche Anhörung“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

    „…

    (2)   Eine persönliche Anhörung erfolgt unter Bedingungen, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten.

    (3)   Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass persönliche Anhörungen unter Bedingungen durchgeführt werden, die Antragstellern eine umfassende Darlegung der Gründe ihrer Anträge gestatten. Zu diesem Zweck

    b)

    sehen die Mitgliedstaaten, soweit möglich, vor, dass die Anhörung des Antragstellers von einer Person gleichen Geschlechts durchgeführt wird, wenn der Antragsteller darum ersucht, es sei denn, die Asylbehörde hat Grund zu der Annahme, dass das Ersuchen auf Gründen beruht, die nicht mit den Schwierigkeiten des Antragstellers in Verbindung stehen, die Gründe für seinen Antrag umfassend darzulegen;

    …“

    22.

    Art. 25 („Garantien für unbegleitete Minderjährige“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

    „(1)   Bei allen Verfahren nach Maßgabe dieser Richtlinie und unbeschadet der Bestimmungen der Artikel 14 bis 17

    b)

    stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Vertreter Gelegenheit erhält, den unbegleiteten Minderjährigen über die Bedeutung und die möglichen Konsequenzen seiner persönlichen Anhörung sowie gegebenenfalls darüber aufzuklären, wie er sich auf seine persönliche Anhörung vorbereiten kann. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Vertreter und/oder ein Rechtsanwalt oder ein sonstiger nach nationalem Recht zugelassener oder zulässiger Rechtsberater bei dieser Anhörung anwesend ist und innerhalb des von der anhörenden Person festgelegten Rahmens Gelegenheit erhält, Fragen zu stellen und Bemerkungen vorzubringen.

    (3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass

    a)

    die persönliche Anhörung eines unbegleiteten Minderjährigen zu seinem Antrag auf internationalen Schutz nach den Artikeln 14 bis 17 und 34 von einer Person durchgeführt wird, die mit den besonderen Bedürfnissen Minderjähriger vertraut ist;

    …“

    23.

    Art. 33 („Unzulässige Anträge“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

    „(1)   Zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31)] ein Antrag nicht geprüft wird, müssen die Mitgliedstaaten nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der [Anerkennungsrichtlinie] zuzuerkennen ist, wenn ein Antrag auf der Grundlage des vorliegenden Artikels als unzulässig betrachtet wird.

    (2)   Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn

    a)

    ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat;

    …“

    24.

    Art. 34 („Besondere Vorschriften für die Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten geben den Antragstellern Gelegenheit, sich zu der Anwendung der Gründe nach Artikel 33 in ihrem besonderen Fall zu äußern, bevor die Asylbehörde über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz entscheidet. Hierzu führen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eine persönliche Anhörung durch. Die Mitgliedstaaten dürfen nur dann eine Ausnahme nach Maßgabe von Artikel 42 machen, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt.

    Dieser Absatz gilt unbeschadet des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe a der vorliegenden [Richtlinie] und des Artikels 5 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013.

    …“

    25.

    Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um den Artikeln 1 bis 30, Artikel 31 Absätze 1, 2 und 6 bis 9, den Artikeln 32 bis 46, den Artikeln 49 und 50 sowie dem Anhang I bis spätestens 20. Juli 2015 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Maßnahmen mit.“

    26.

    Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten wenden die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Artikel 51 Absatz 1 auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz sowie auf eingeleitete Verfahren zur Aberkennung des internationalen Schutzes nach dem 20. Juli 2015 oder früher an. Für vor diesem Datum förmlich gestellte Anträge und vor diesem Datum eingeleitete Verfahren zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gelten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85/EG.“

    27.

    Nach Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 wird die Richtlinie 2005/85 im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, die durch diese Richtlinie gebunden sind, unbeschadet der Verpflichtungen dieser Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Teil B des Anhangs II der Richtlinie 2013/32 genannten Frist für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht mit Wirkung vom 21. Juli 2015 aufgehoben.

    28.

    Nach Art. 54 der Richtlinie 2013/32 trat sie am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, die am 29. Juni 2013 erfolgte, in Kraft.

    B.   Nationales Recht

    29.

    Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist für den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt das Asylgesetz (im Folgenden: AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 ( 10 ), geändert durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 ( 11 ), maßgebend.

    30.

    § 24 AsylG bestimmt:

    „Das Bundesamt klärt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. … Es hat den Ausländer persönlich anzuhören. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, wenn das Bundesamt den Ausländer als asylberechtigt anerkennen will oder wenn der Ausländer nach seinen Angaben aus einem sicheren Drittstaat … eingereist ist. …

    …“

    31.

    § 29 AsylG in der durch § 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 mit Wirkung vom 6. August 2016 geänderten Fassung ( 12 ) bestimmt:

    „(1)   Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

    2.

    ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz … gewährt hat,

    …“

    32.

    § 36 („Verfahren bei Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 und bei offensichtlicher Unbegründetheit“) AsylG bestimmt:

    „(1)   In den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.

    (2)   Das Bundesamt übermittelt mit der Zustellung der Entscheidung den Beteiligten eine Kopie des Inhalts der Asylakte. Der Verwaltungsvorgang ist mit dem Nachweis der Zustellung unverzüglich dem zuständigen Verwaltungsgericht zu übermitteln.

    (3)   Anträge nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsandrohung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen; dem Antrag soll der Bescheid des Bundesamtes beigefügt werden. Der Ausländer ist hierauf hinzuweisen. § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung ist entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung soll im schriftlichen Verfahren ergehen; eine mündliche Verhandlung, in der zugleich über die Klage verhandelt wird, ist unzulässig. Die Entscheidung soll innerhalb von einer Woche nach Ablauf der Frist des Absatzes 1 ergehen. Die Kammer des Verwaltungsgerichts kann die Frist nach Satz 5 um jeweils eine weitere Woche verlängern. Die zweite Verlängerung und weitere Verlängerungen sind nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe zulässig, insbesondere wenn eine außergewöhnliche Belastung des Gerichts eine frühere Entscheidung nicht möglich macht. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Die Entscheidung ist ergangen, wenn die vollständig unterschriebene Entscheidungsformel der Geschäftsstelle der Kammer vorliegt. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes und die Anordnung und Befristung nach § 11 Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes sind ebenso innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung bleibt hiervon unberührt.

    (4)   Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Ein Vorbringen, das nach § 25 Abs. 3 im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2, die der Ausländer im Verwaltungsverfahren nicht angegeben hat, kann das Gericht unberücksichtigt lassen, wenn andernfalls die Entscheidung verzögert würde.“

    33.

    § 77 Abs. 1 AsylG bestimmt:

    „In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. …“

    34.

    § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (im Folgenden: VwVfG) vom 25. Mai 1976 in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 ( 13 ), geändert durch Art. 1 des Vierten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 11. Dezember 2008 ( 14 ), bestimmt:

    „Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht … nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“

    35.

    § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung (im Folgenden: VwGO) in der Fassung der letzten Bekanntmachung vom 19. März 1991 ( 15 ), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22. Dezember 2010 ( 16 ), bestimmt:

    „(1)   Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

    (5)   Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

    …“

    36.

    § 86 VwGO bestimmt:

    „(1)   Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

    …“

    IV. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Ersuchen um Vorabentscheidung

    37.

    Herr Addis ist nach eigenen Angaben eritreischer Staatsangehöriger ( 17 ). Im Jahr 2009 stellte er bei den italienischen Behörden einen Asylantrag, in dem er jedoch einen anderen Namen und ein anderes Geburtsdatum angab und als äthiopischer Staatsangehöriger geführt wurde. Diesem Antrag wurde stattgegeben; ihm wurde ein Personalausweis ausgestellt und eine Aufenthaltserlaubnis bis Februar 2015 erteilt. Er hielt sich bis September 2011 in Italien auf, reiste dann nach Deutschland aus und beantragte dort die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

    38.

    Herr Addis gab zwar zunächst an, nicht in ein anderes europäisches Land eingereist zu sein, aber bei einer Überprüfung der Fingerabdrücke stellten sich die Einzelheiten des ursprünglichen, in Italien gestellten Antrags heraus. Das Bundesamt lehnte aufgrund dieser Informationen am 18. Februar 2013 seinen Asylantrag mit der Begründung ab, dass er aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an.

    39.

    Vor dem Erlass dieses Bescheids wurde Herr Addis jedoch, unter Verstoß u. a. gegen das einschlägige nationale Asylrecht, nicht persönlich angehört. Hierzu hat das vorlegende Gericht ausgeführt, er sei „weder zu seinen Verfolgungsgründen noch zu seinem Aufenthalt in Italien und der dort erfolgten Flüchtlingsanerkennung angehört worden“.

    40.

    Die von Herrn Addis gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Minden (Deutschland) am 15. April 2013 abgewiesen. Gegen dieses Urteil legte er Berufung beim Oberverwaltungsgericht Münster (Deutschland) ein. Das Oberverwaltungsgericht Münster hob die Abschiebungsanordnung am 19. Mai 2016 mit der Begründung auf, dass nicht feststehe, ob Italien bereit sei, Herrn Addis zu übernehmen. Die Berufung gegen den Bescheid, mit dem sein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wurde, wies es hingegen zurück.

    41.

    Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster hat Herr Addis Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Dort macht er insbesondere geltend, das Bundesamt habe nicht davon absehen dürfen, ihn vor dem Erlass des Bescheids vom 18. Februar 2013 persönlich anzuhören.

    42.

    Die Bundesrepublik Deutschland hat vor dem Bundesverwaltungsgericht die Ansicht vertreten, dass der Antrag von Herrn Addis auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft jedenfalls nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig sei, da ihm bereits in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung hindere die Asylbehörde nicht daran, über einen Asylantrag zu entscheiden.

    43.

    Das vorlegende Gericht – das Bundesverwaltungsgericht – hält die Folgen einer Verletzung der Anhörungspflicht für die Gültigkeit einer Entscheidung, mit der ein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für unzulässig erklärt wird, für klärungsbedürftig. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Antragsteller im Rechtsbehelfsverfahren Gelegenheit hat, alle gegen die angefochtene Entscheidung sprechenden rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte vorzubringen, und auch diese Gesichtspunkte nicht zu einer Aufhebung der Entscheidung führen würden.

    44.

    Vor dem Hintergrund, dass das Bundesamt seiner Pflicht zur persönlichen Anhörung nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 und den Art. 14 Abs. 1 und Art. 34 der Richtlinie 2013/32 nicht nachgekommen ist, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen um die Auslegung des Umfangs der Ausnahmen in Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2005/85 sowie in Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 und möchte wissen, ob sie abschließend sind oder ob das Unionsrecht unter Berücksichtigung der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten weitere im nationalen Recht ausdrücklich geregelte Ausnahmen zulässt.

    45.

    Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das nationale Recht in § 46 VwVfG das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung als unerheblichen Verstoß behandele, wenn offensichtlich sei, dass dieser Verstoß die erlassene Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Es fügt hinzu, bei einer Unzulässigkeitsentscheidung auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bestehe kein Ermessensspielraum. In solchen Fällen habe das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung keine Auswirkungen, da das Bundesamt sowie die Verwaltungsgerichte alle Tatbestandsvoraussetzungen der betreffenden Rechtsnorm zu prüfen hätten. Das vorlegende Gericht verweist jedoch auf die Rechtsprechung einer Kammer des deutschen Bundesverfassungsgerichts ( 18 ), wonach der Anwendungsbereich von § 46 VwVfG dadurch beschränkt werden könnte, dass Art. 14 Abs. 2 und Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 Ausnahmen vom Anspruch auf eine persönliche Anhörung normierten und somit eine spezielle und insoweit abschließende Regelung des Verfahrens darstellten.

    46.

    Zum konkreten Fall von Herrn Addis weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das Bundesamt sowie die Verwaltungsgerichte zu prüfen hätten, ob die Lebensbedingungen einer in Italien als Flüchtling anerkannten Person u. a. mit Art. 4 der Charta im Einklang stünden.

    47.

    Das vorlegende Gericht legt im Einzelnen dar, wie die Vorinstanzen den Antrag von Herrn Addis auf Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 18. Februar 2013 nach der Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen und der Prüfung des Vorbringens von Herrn Addis und des Bundesamts ( 19 ) zu den Lebensbedingungen, denen er in Italien ausgesetzt wäre, zurückgewiesen haben.

    48.

    Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

    49.

    Die dritte Frage, die das Bundesverwaltungsgericht im Licht des Urteils vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. ( 20 ), als einzige nicht zurückgenommen hat, lautet:

    Steht Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32 bzw. die Vorgängerregelung in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2005/85 der Anwendung einer nationalen Bestimmung entgegen, wonach eine unterbliebene persönliche Anhörung des Antragstellers bei einer von der Asylbehörde in Umsetzung der Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 bzw. der Vorgängerregelung in Art. 25 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2005/85 ergangenen Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung wegen fehlender Anhörung führt, wenn der Antragsteller im Rechtsbehelfsverfahren Gelegenheit hat, alle gegen eine Unzulässigkeitsentscheidung sprechenden Umstände vorzubringen und auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens in der Sache keine andere Entscheidung ergehen kann?

    50.

    Mit dieser Frage werde ich mich nun befassen.

    V. Zeitliche Anwendbarkeit

    51.

    Wie bereits ausgeführt, beantragte Herr Addis im September 2011 die Anerkennung als Flüchtling in Deutschland; dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamts vom Februar 2013 abgelehnt. Die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids wird jetzt vor dem vorlegenden Gericht angefochten.

    52.

    In seinem Vorabentscheidungsersuchen hat das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf die Richtlinie 2005/85 als auch auf die Richtlinie 2013/32 Bezug genommen.

    53.

    Zur zeitlichen Anwendbarkeit der in dem bei ihm anhängigen Verfahren einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass es nach seiner ständigen Rechtsprechung Rechtsänderungen, die nach einer Berufungsentscheidung einträten, unter bestimmten Umständen zu berücksichtigen habe. Im Kontext des vorliegenden Asylverfahrens hat das Bundesverwaltungsgericht bestätigt, dass es nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Mai 2016 abstellen müsse.

    54.

    Demnach sei § 29 AsylG in der mit Wirkung vom 6. August 2016 durch § 6 („Unzulässige Anträge“) des Integrationsgesetzes geänderten Fassung auf das bei ihm anhängige Verfahren anwendbar ( 21 ). Überdies seien für den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt die Bestimmungen des AsylG in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert am 4. November 2016, maßgebend ( 22 ).

    55.

    Nach Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 müssen die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um den Art. 1 bis 30, Art. 31 Abs. 1, 2 und 6 bis 9, den Art. 32 bis 46, den Art. 49 und 50 sowie Anhang I der Richtlinie bis spätestens 20. Juli 2015 nachzukommen. Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32 wenden die Mitgliedstaaten jedoch die in Art. 51 Abs. 1 genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf „nach dem 20. Juli 2015 oder früher“ förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz an. Nach ständiger Rechtsprechung wollte der Unionsgesetzgeber mit der Hinzufügung der Worte „oder früher“ in Art. 52 Abs. 1 Satz 1 den Mitgliedstaaten gestatten, ihre zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen Vorschriften mit sofortiger Wirkung auf vor dem 20. Juli 2015 förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden ( 23 ).

    56.

    Da Herr Addis die Anerkennung als Flüchtling in Deutschland im September 2011 beantragte, wurde sein Antrag auf internationalen Schutz vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2013/32 am 19. Juli 2013 und lange vor dem 20. Juli 2015, bis zu dem die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden musste, gestellt.

    57.

    Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht dürften jedoch im Einklang mit § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG die Vorschriften des nationalen Rechts, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie 2013/32 umgesetzt werden oder die geeignet sind, ihre Umsetzung zu gewährleisten ( 24 ), im Ausgangsverfahren anwendbar sein ( 25 ).

    58.

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 74 des Urteils vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. ( 26 ), u. a. festgestellt hat, dass Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32, der Übergangsbestimmungen für die Anwendung der Bestimmungen zur Umsetzung dieser Richtlinie enthält, dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat gestattet, eine unmittelbare Anwendung der nationalen Bestimmung zur Umsetzung dieser Richtlinie auf noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge vorzusehen, die vor dem 20. Juli 2015 und vor dem Inkrafttreten der nationalen Bestimmung gestellt wurden ( 27 ). Der Gerichtshof hatte nicht zu klären, was genau in diesem Kontext unter „bestandskräftig“ zu verstehen ist, doch bezieht sich diese Formulierung meines Erachtens auf eine bestandskräftige Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörden (im vorliegenden Fall des Bundesamts) über den Antrag auf internationalen Schutz und nicht auf ein späteres gerichtliches Verfahren, in dem die Entscheidung, den Schutz zu gewähren oder nicht zu gewähren, angefochten wird.

    59.

    In der vorliegenden Rechtssache wurde die endgültige Entscheidung über den Asylantrag von Herrn Addis vom Bundesamt bereits im Februar 2013 getroffen, also mehrere Monate, bevor die Richtlinie 2013/32 im Juni 2013 im Amtsblatt veröffentlicht wurde und im Folgemonat in Kraft trat ( 28 ). Unter diesen Umständen kommt meines Erachtens eine vorgezogene Anwendung der Richtlinie 2013/32 in der nach Art. 52 der Richtlinie (gemäß seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. ( 29 )) zulässigen Weise in der vorliegenden Rechtssache schlicht nicht in Betracht. Zwar war nach diesem Urteil die vorgezogene Anwendung der Richtlinie auf Entscheidungen zulässig, die vor dem letztmöglichen Umsetzungszeitpunkt, dem 20. Juli 2015 ( 30 ), bereits anhängig waren, sofern das einschlägige nationale Recht dies zuließ, doch gilt dieser Grundsatz nicht, sofern die endgültige Verwaltungsentscheidung schon vor der Veröffentlichung der Richtlinie getroffen wurde. Meines Erachtens ist daher die frühere Fassung der Verfahrensrichtlinie, nämlich die Richtlinie 2005/85, in zeitlicher Hinsicht auf die vorliegende Rechtssache anwendbar.

    60.

    In der mündlichen Verhandlung haben allerdings alle Beteiligten, auch Herr Addis, eine andere Ansicht zur Frage der zeitlichen Anwendbarkeit der betreffenden Richtlinien vertreten und vorgebracht, dass die spätere Richtlinie, die Richtlinie 2013/32, für die vorliegende Rechtssache maßgebend sei. Ich halte gleichwohl daran fest, dass sie nicht anwendbar ist, möchte aber in Anbetracht der einhelligen Meinung der Beteiligten sowie der Auffassung des vorlegenden Gerichts den weiteren Ausführungen in den vorliegenden Schlussanträgen die Richtlinie 2013/32 zugrunde legen. Ich werde daher davon ausgehen, dass die Art. 1 bis 30, Art. 31 Abs. 1, 2 und 6 bis 9, die Art. 32 bis 46, die Art. 49 und 50 und Anhang I der Richtlinie 2013/32 im Kontext des Ausgangsverfahrens anwendbar sind.

    VI. Würdigung

    A.   Vorbemerkungen

    61.

    Der Anspruch auf eine persönliche Anhörung besteht nicht nur dann, wenn die Asylbehörde beabsichtigt, eine Entscheidung über die Begründetheit eines Antrags auf internationalen Schutz zu treffen, sondern auch dann, wenn sie, wie im Fall von Herrn Addis, eine Entscheidung nach Art. 33 der Richtlinie 2013/32 über die Zulässigkeit eines solchen Antrags zu erlassen gedenkt. Insoweit verpflichten sowohl Art. 14 als auch Art. 34 der Richtlinie 2013/32 ( 31 ) die Asylbehörde ( 32 ) ausdrücklich, den Antragsteller vor dem Erlass einer Entscheidung über die Begründetheit oder die Zulässigkeit eines Antrags persönlich anzuhören.

    62.

    Aus der Definition des Begriffs „Asylbehörde“ in Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2013/32 geht hervor, dass eine solche Anhörung von einer gerichtsähnlichen Behörde oder Verwaltungsstelle durchgeführt werden muss, die von einem Mitgliedstaat im Einklang mit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie benannt wurde ( 33 ). In der Richtlinie 2013/32 selbst ist die Durchführung einer persönlichen Anhörung durch ein Gericht nicht geregelt. Der Gerichtshof hat in Rn. 103 des Urteils vom 25. Juli 2018, Alheto ( 34 ), klar zwischen der in Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2013/32 definierten „Asylbehörde“ und dem in ihrem Art. 46 erwähnten „Gericht“ unterschieden. So unterliegt das Verfahren vor einer Asylbehörde den Vorschriften des Kapitels III („Erstinstanzliche Verfahren“) der Richtlinie, während das Verfahren vor einem Gericht den in Art. 46 der Richtlinie enthaltenen Vorschriften ihres Kapitels V („Rechtsbehelfe“) entsprechen muss.

    63.

    Es ist unstreitig, dass demnach der Anspruch von Herrn Addis auf eine persönliche, von der Asylbehörde im Einklang mit der Richtlinie 2013/32 durchgeführte Anhörung verletzt wurde ( 35 ).

    64.

    Nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen wurde Herr Addis zwar vom Bundesamt u. a. zu den Bedingungen, denen er in Italien ausgesetzt wäre, wenn er dorthin zurückgeführt würde, nicht persönlich angehört, doch wurde dieses Versäumnis nach Ansicht des vorlegenden Gerichts im nationalen Gerichtsverfahren, das im Einklang mit Kapitel V der Richtlinie 2013/32 durchgeführt wurde, vollständig geheilt oder ausgeglichen.

    65.

    So habe Herr Addis im Rahmen der Nichtigkeitsklage gegen die Zulässigkeitsentscheidung eingehend dargelegt, welchen Schwierigkeiten er in Italien ausgesetzt wäre. Das Verwaltungsgericht Minden habe entschieden, dass die gegen ihn erlassene Abschiebungsanordnung nicht vollzogen werden könne. Es habe im Einklang mit seiner Befugnis nach § 86 Abs. 1 VwGO von Amts wegen beschlossen, Informationen über die Rechte heranzuziehen, die ein anerkannter Flüchtling in Italien in Bezug auf Aufenthalt, Freizügigkeit sowie Zugang zur Arbeit und zur medizinischen Versorgung habe. Das Verwaltungsgericht habe die Klage von Herrn Addis auf der Grundlage seiner eigenen Tatsachen- und Beweiswürdigung abgewiesen. Es sei nach Prüfung des Vorbringens und der allgemeinen Umstände von Herrn Addis zu dem Ergebnis gelangt, dass er als alleinstehender junger Mann nach und nach in Italien werde Fuß fassen können und dass es ihm auch möglich sei, jedenfalls zu Beginn auf die Hilfe karitativer Einrichtungen zurückzugreifen. Viele Flüchtlinge, insbesondere junge Männer, fänden häufig als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft eine Beschäftigung.

    66.

    Das Verwaltungsgericht habe ferner von Amts wegen geprüft, ob Herr Addis im Fall einer Abschiebung an die italienische Grenze Gefahr laufe, einer gegen Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (im Folgenden: EMRK) verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Es sei nach Auswertung der einschlägigen Informationen über Herkunftsländer des deutschen Auswärtigen Amts, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sowie von Nichtregierungsorganisationen wie der Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione (Vereinigung für Studien zum Zuwanderungsrecht) zu dem Ergebnis gelangt, dass die Möglichkeiten des Zugangs von Flüchtlingen sowohl zu öffentlichen als auch zu privaten Fürsorgeleistungen zwar begrenzter seien als bei Italienern, ohne dass sich diese beschränkten Möglichkeiten aber auf einem Niveau befänden, das auf einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK hinauslaufen würde, etwa weil sie zu seiner völligen Mittellosigkeit führten.

    67.

    Im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens hat der Gerichtshof zu prüfen, ob die Ausnahmen vom Anspruch auf eine persönliche Anhörung nach den Art. 14 und 34 der Richtlinie 2013/32 abschließenden Charakter haben und, wenn ja, welche Folgen eine Verletzung der Verfahrensrechte von Herrn Addis durch die Asylbehörde letztlich hat. Insbesondere wird der Gerichtshof gefragt, ob das Unterbleiben dieser Anhörung zur Aufhebung der Entscheidung führen muss, mit der der Antrag von Herrn Addis auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässig abgelehnt wurde, oder ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Versäumnis der Asylbehörde im gerichtlichen Verfahren nach Kapitel V der Richtlinie 2013/32 geheilt werden kann.

    B.   Haben die Ausnahmen vom Anspruch auf eine persönliche Anhörung nach den Art. 14 und 34 der Richtlinie 2013/32 abschließenden Charakter?

    68.

    In Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 ist geregelt, unter welchen Umständen die Asylbehörde eines Mitgliedstaats auf eine persönliche Anhörung verzichten kann. Überdies bestimmt Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32: „Die Tatsache, dass keine persönliche Anhörung gemäß diesem Artikel stattgefunden hat, hindert die Asylbehörde nicht daran, über den Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden.“ ( 36 ) Wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 und der Formulierung „[d]ie Tatsache, dass keine persönliche Anhörung gemäß diesem Artikel stattgefunden hat“, ergibt, darf eine Asylbehörde ohne persönliche Anhörung nicht über die Begründetheit eines Antrags auf internationalen Schutz entscheiden, es sei denn, eine der beiden in Art. 14 ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen ist anwendbar. Es wird nicht vorgebracht, dass die vorliegende Rechtssache unter eine dieser Ausnahmen falle.

    69.

    Schon nach dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 besteht kein Zweifel daran, dass die dort genannten Ausnahmen abschließenden Charakter haben. Folglich dürfen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine zusätzlichen Ausnahmen vorsehen.

    70.

    Für den Fall einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz bestimmt Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 nämlich, dass die Asylbehörde ( 37 ) eines Mitgliedstaats im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eines solchen Antrags vor dem Erlass einer Entscheidung in der Sache eine persönliche Anhörung durchführen muss. Weiter heißt es dort, dass die Mitgliedstaaten von diesem Anspruch nur dann eine Ausnahme nach Maßgabe von Art. 42 der Richtlinie vorsehen dürfen, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt. Somit ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32, dass die für einen Folgeantrag geltende Ausnahme abschließenden Charakter hat.

    71.

    Meines Erachtens ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, neben den vom Unionsgesetzgeber in den Art. 14 und 34 der Richtlinie 2013/32 ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen vom Anspruch auf eine persönliche Anhörung weitere Ausnahmen zu schaffen.

    72.

    Aus dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 geht somit eindeutig hervor, dass eine Asylbehörde ohne eine persönliche Anhörung nicht über die Begründetheit eines Antrags auf internationalen Schutz entscheiden darf, es sei denn, dass eine der in Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie genannten Ausnahmen Anwendung findet. Das Gleiche gilt meines Erachtens, wenn nach Art. 33 der Richtlinie 2013/32 über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz entschieden wird, ohne eine persönliche Anhörung nach Art. 34 der Richtlinie durchzuführen.

    73.

    Wie bereits ausgeführt, deuten die dem Gerichtshof vorliegenden Akten darauf hin, dass im Fall von Herrn Addis keine der in der Richtlinie 2013/32 geregelten Ausnahmen vom Anspruch auf eine persönliche Anhörung Anwendung findet. Hinzuzufügen ist, dass keiner der Beteiligten dies in Abrede gestellt hat.

    C.   Folgen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur persönlichen Anhörung – Kann ein solcher Verstoß im gerichtlichen Verfahren geheilt werden?

    74.

    Diese Frage steht im Mittelpunkt des vorliegenden Rechtsstreits zwischen den Parteien. Hervorzuheben ist, dass – wie sowohl die Erwägungsgründe 11 und 12 als auch Art. 1 der Richtlinie 2013/32 zeigen – der Rahmen für die Zuerkennung internationalen Schutzes auf dem Konzept eines einheitlichen Verfahrens beruht und auf gemeinsame Mindestnormen gestützt ist ( 38 ). Auch wenn die Richtlinie 2013/32 selbst nicht regelt, welche Folgen es haben kann, wenn eine Asylbehörde eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Art und Weise anhört, dürfte der Systematik der Richtlinie gleichwohl innewohnen, dass das ausdrückliche Erfordernis einer persönlichen Anhörung ein integraler und wesentlicher Bestandteil des gesamten Asylverfahrens ist ( 39 ).

    75.

    Vor diesem Hintergrund wird der Gerichtshof im Wesentlichen gefragt, ob das im Unterbleiben einer persönlichen Anhörung bestehende Versäumnis der Asylbehörde grundsätzlich durch das Gericht, das später eine sowohl den Sachverhalt als auch Rechtsfragen einbeziehende umfassende Ex-nunc-Prüfung gemäß Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 vornimmt, geheilt werden kann, wenn es die persönliche Anhörung selbst durchführt und sodann die Entscheidung der Asylbehörde bestätigt. Oder muss es gleichwohl die Entscheidung der Asylbehörde aufheben und die Sache zur Durchführung einer solchen Anhörung und zum Erlass einer – möglicherweise neuen – Entscheidung an sie zurückverweisen?

    76.

    Die Frage des vorlegenden Gerichts ist neu, und über sie wurde, ungeachtet gewisser Ähnlichkeiten, nicht bereits in den Urteilen vom 26. Juli 2017, Sacko ( 40 ), vom 25. Juli 2018, Alheto ( 41 ), und vom 29. Juli 2019, Torubarov ( 42 ), entschieden, auch wenn sie damit verbundene Punkte betreffen. Aus diesen Rechtssachen lassen sich gleichwohl Lehren für das Verhältnis zwischen den in Kapitel III der Richtlinie 2013/32 geregelten „erstinstanzlichen Verfahren“ und den in ihrem Kapitel V geregelten „Rechtsbehelfen“ ziehen. Ich werde daher im Rahmen der vorliegenden Rechtssache kurz auf sie eingehen.

    1. Bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs – Richtlinie 2013/32

    a) Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko (C‑348/16, EU:C:2017:591)

    77.

    In den Rn. 33 bis 35 des Urteils vom 26. Juli 2017, Sacko ( 43 ), hat der Gerichtshof seine ständige Rechtsprechung zu den von Kapitel III der Richtlinie 2013/32 erfassten erstinstanzlichen Verfahren bekräftigt. Er hat darauf hingewiesen, dass die Verwaltungen der Mitgliedstaaten, wenn sie Maßnahmen treffen, die in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen, grundsätzlich zur Wahrung der Verteidigungsrechte der Adressaten von Entscheidungen, die ihre Interessen spürbar beeinträchtigen, verpflichtet sind. Im Einzelnen hat der Gerichtshof entschieden, dass der untrennbar zum allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte gehörende Anspruch, in jedem Verfahren gehört zu werden, gewährleistet, dass jede Person in einem Verwaltungsverfahren sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorbringen kann, bevor eine für ihre Interessen möglicherweise nachteilige Entscheidung erlassen wird. Dabei soll die Regel, wonach der Adressat einer ihn beschwerenden Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten muss, bevor die Entscheidung getroffen wird, es ihm insbesondere ermöglichen, einen Fehler zu berichtigen oder Umstände, die seine persönliche Situation betreffen, vorzutragen, die für oder gegen den Erlass oder für oder gegen einen bestimmten Inhalt der Entscheidung sprechen.

    78.

    In Rn. 49 des Urteils vom 26. Juli 2017, Sacko ( 44 ), hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Richtlinie 2013/32 und insbesondere ihre Art. 12, 14, 31 und 46 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, mit der ein offensichtlich unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, befasste nationale Gericht nicht daran hindern, den Rechtsbehelf ohne Anhörung des Antragstellers zurückzuweisen, wenn die tatsächlichen Umstände keinen Zweifel an der Begründetheit der ablehnenden Entscheidung lassen. Dies galt allerdings nur dann, wenn dem Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren im Einklang mit Art. 14 der Richtlinie Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Antrag auf internationalen Schutz gegeben und die Niederschrift oder das Wortprotokoll dieser Anhörung, falls sie stattfand, gemäß Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie zu den Akten genommen wurde, und wenn das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht eine solche Anhörung anordnen kann, sofern es sie als erforderlich ansieht, um die in Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene umfassende Ex-nunc-Prüfung sowohl der Tatsachen als auch von Rechtsfragen vorzunehmen.

    79.

    So hatte die Asylbehörde in der Rechtssache, in der das Urteil Sacko ergangen ist, eine persönliche Anhörung durchgeführt ( 45 ), und es ging darum, ob und inwieweit sich ein mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, mit der ein offensichtlich unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, befasstes nationales Gericht auf das Wortprotokoll dieser Anhörung stützen konnte.

    80.

    Meines Erachtens unterstreicht das Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko, eindeutig die Bedeutung einer persönlichen Anhörung durch die Asylbehörde im Kontext der Richtlinie 2013/32. Der Gerichtshof hat überdies hervorgehoben, dass sich diese Verpflichtung „ausschließlich an die für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständige und zum Erlass erstinstanzlicher Entscheidungen über diese Anträge befugte Behörde [richtet] und … somit nicht für Rechtsbehelfsverfahren [gilt]“ ( 46 ).

    81.

    Der Sachverhalt des Urteils vom 26. Juli 2017, Sacko ( 47 ), ist in diesem Kontext ebenfalls relevant. Dort war der Antragsteller erstinstanzlich von der Örtlichen Kommission für die Anerkennung des internationalen Schutzes angehört worden. Diese Kommission kam zu dem Ergebnis, dass er ein Wirtschaftsmigrant und deshalb nicht asylberechtigt sei. Ihre Entscheidung wurde sodann vor den italienischen Gerichten angefochten, die daraufhin dem Gerichtshof die Frage vorlegten, ob sie im Rahmen der von den nationalen Gerichten nach Art. 46 Abs. 2 vorzunehmenden „umfassenden Ex-nunc-Prüfung …, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt“, verpflichtet seien, den Antragsteller persönlich anzuhören ( 48 ).

    82.

    Wie soeben ausgeführt, hat der Gerichtshof diese Frage (unter bestimmten Voraussetzungen) verneint; Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona trug hierzu vor:

    „Da die Richtlinie 2013/32 verlangt, dass in dem im Rahmen der Behandlung des Antrags auf internationalen Schutz durchzuführenden Verwaltungsverfahren eine persönliche Anhörung stattfindet, bin ich der Auffassung, dass die Notwendigkeit, sie im gerichtlichen Verfahren zu wiederholen, nur besteht, wenn die (erste) Anhörung für den über den Rechtsbehelf erkennenden Richter letztlich nicht aufschlussreich genug war und er Zweifel hat, wie über den Rechtsbehelf zu entscheiden ist.“ ( 49 )

    83.

    Entscheidend ist jedoch, dass die hier vorliegende Situation, in der erstinstanzlich von der für die Prüfung des Asylantrags von Herrn Addis zuständigen Asylbehörde keine Anhörung durchgeführt wurde, im Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko ( 50 ), nicht unmittelbar behandelt wurde.

    b) Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584)

    84.

    Im Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto ( 51 ), hat der Gerichtshof festgestellt, dass nach Art. 47 der Charta das Erfordernis einer umfassenden Ex-nunc ( 52 )-Prüfung gemäß Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 voraussetzt, dass das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht den Antragsteller anhört, es sei denn, es ist der Ansicht, dass es die Prüfung allein auf der Grundlage des Akteninhalts vornehmen kann, gegebenenfalls einschließlich der Niederschrift oder des Wortprotokolls der persönlichen Anhörung bei der Asylbehörde ( 53 ). Im Fall neuer, nach Erlass der angefochtenen Entscheidung aufgetretener Gesichtspunkte ist das Gericht indes nach Art. 47 der Charta verpflichtet, dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn sich diese Gesichtspunkte für ihn nachteilig auswirken können ( 54 ).

    85.

    Hat die Asylbehörde einen Unzulässigkeitsgrund nicht geprüft und folglich die in Art. 34 der Richtlinie 2013/32 vorgesehene persönliche Anhörung nicht durchgeführt, muss das Gericht sie vornehmen, wenn der Unzulässigkeitsgrund seines Erachtens von der Asylbehörde hätte geprüft werden müssen oder geprüft werden sollte, weil neue Gesichtspunkte aufgetreten sind ( 55 ). Wie der Gerichtshof im Urteil Alheto ausgeführt hat, „[muss] das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht, wenn es die Prüfung eines Unzulässigkeitsgrundes in Betracht zieht, der von der Asylbehörde nicht geprüft wurde, den Antragsteller anhören …, damit er in einer Sprache, die er beherrscht, persönlich zur Anwendbarkeit des Unzulässigkeitsgrundes auf seine besondere Situation Stellung nehmen kann“ ( 56 ).

    86.

    Aus dem Sachverhalt der Rechtssache, in der das Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto ( 57 ), ergangen ist, geht somit hervor, dass die Asylbehörde dort keine Unzulässigkeitsentscheidung erlassen hatte. Sie war somit nicht nach Art. 34 der Richtlinie 2013/32 zur Durchführung einer persönlichen Anhörung verpflichtet. Da die Frage der Unzulässigkeit erstmals von einem Gericht im Rahmen einer umfassenden Ex-nunc-Prüfung, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckte, nach Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 aufgeworfen wurde, stellte der Gerichtshof fest, dass es diesem Gericht obliege, den Antragsteller selbst persönlich anzuhören, um die durch Art. 47 der Charta garantierten Rechte zu wahren ( 58 ). Wenn ein Gericht eine von der Asylbehörde zuvor nicht geprüfte Zulässigkeitsfrage von Amts wegen im Rechtsbehelfsverfahren aufwirft, muss dieses Gericht somit selbst eine persönliche Anhörung durchführen.

    87.

    Außerdem hat der Gerichtshof im Urteil Alheto ausgeführt, dass Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 nur die „Prüfung“ des Rechtsbehelfs betrifft und somit nicht regelt, was nach einer etwaigen Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung geschieht ( 59 ). Der Gerichtshof entschied im Wesentlichen, dass ein im ersten Rechtszug befasstes Gericht, das eine Entscheidung für nichtig erklärt, nicht verpflichtet ist, über den Antrag auf internationalen Schutz selbst zu entscheiden ( 60 ), da der Unionsgesetzgeber keine gemeinsame Vorschrift einführen wollte, wonach die gerichtsähnliche Behörde bzw. Verwaltungsstelle im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie nach der Nichtigerklärung ihrer ursprünglichen Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz ihre Zuständigkeit verlieren sollte. Die Mitgliedstaaten können somit vorsehen, dass die Akte im Anschluss an eine solche Nichtigerklärung zur erneuten Entscheidung an diese Stelle zurückzusenden ist. Diese Stelle muss jedoch innerhalb kurzer Zeit eine neue Entscheidung im Einklang mit der im Nichtigkeitsurteil enthaltenen Beurteilung erlassen ( 61 ).

    88.

    Diese Rechtsprechung verdeutlicht demnach, dass das im ersten Rechtszug befasste Gericht unter bestimmten Umständen eine persönliche Anhörung durchführen muss, sofern es von Amts wegen Gesichtspunkte aufwirft, die von der Asylbehörde zuvor nicht geprüft wurden. Außerdem kann das im ersten Rechtszug befasste Gericht, das eine Entscheidung für nichtig erklärt, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz für unzulässig erklärt wird, weil die Asylbehörde gegen das Recht des Antragstellers auf eine persönliche Anhörung verstoßen hat, die Akte zur erneuten Entscheidung an die gerichtsähnliche Behörde oder Verwaltungsstelle im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2013/32 – hier das Bundesamt – zurücksenden.

    89.

    Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich die Rechtssache, in der das Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto ( 62 ), ergangen ist, in mindestens zwei wichtigen Aspekten von der vorliegenden Rechtssache unterscheidet. Erstens hat in der vorliegenden Rechtssache die Asylbehörde die Frage der Zulässigkeit im ersten Rechtszug aufgeworfen, ohne jedoch eine persönliche Anhörung durchzuführen. Zweitens hat das Bundesverwaltungsgericht bestätigt, dass eine persönliche Anhörung der in Art. 15 der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Art selbst dann nicht gewährleistet werden könne, wenn eine Anhörung durch das überprüfende Gericht durchgeführt werden sollte.

    2. Nach nationalem Recht zu bestimmende Folgen – Grundsatz der Äquivalenz und der Effektivität

    90.

    In dieser Rechtsprechung wurde bislang nicht behandelt, ob ein Gericht in einem Verfahren, in dem die Nichtigerklärung einer Entscheidung, einen Antrag auf internationalen Schutz für unzulässig zu erklären, begehrt wird, weil die Asylbehörde gegen das Recht des Antragstellers auf eine persönliche Anhörung verstoßen hat, verpflichtet ist, diese Entscheidung für nichtig zu erklären und die Akte zur erneuten Entscheidung an diese Behörde zurückzusenden. Alternativ stellt sich die Frage, ob das Gericht die persönliche Anhörung selbst durchführen und, nachdem es sich mit allen vom Antragsteller gegen die Unzulässigkeit angeführten Argumenten auseinandergesetzt hat, die Entscheidung der Asylbehörde bestätigen kann.

    91.

    Meines Erachtens ist, analog zur ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Anspruch auf rechtliches Gehör ( 63 ), davon auszugehen, dass für die Folgen des Verstoßes gegen das Recht auf eine persönliche Anhörung, wenn sie weder in der Richtlinie 2013/32 noch in einer anderen Bestimmung des Unionsrechts geregelt sind, grundsätzlich das nationale Recht maßgeblich ist. Dies gilt jedoch unter der Voraussetzung, dass die zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen denen entsprechen, die für den Einzelnen in vergleichbaren unter das nationale Recht fallenden Situationen gelten (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) ( 64 ).

    92.

    In diesem Kontext ist auch zu bedenken, dass die Richtlinie 2013/32 gewährleisten soll, dass über Anträge auf internationalen Schutz „so bald wie möglich und unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung“ ( 65 ) entschieden wird.

    93.

    Außerdem hat der Gerichtshof im Urteil vom 9. Februar 2017, M ( 66 ), klargestellt, dass eine persönliche Anhörung gewährleisten soll, dass die Asylbehörde objektiv in der Lage ist, in voller Kenntnis der Sache darüber zu befinden, ob einem Antrag auf internationalen Schutz stattzugeben ist oder nicht. Bei besonderer Schutzbedürftigkeit eines Antragstellers wird eine persönliche Anhörung umso zwingender.

    94.

    In den Rn. 38 ff. des Urteils vom 10. September 2013, G. und R. ( 67 ), hat der Gerichtshof festgestellt, dass nach dem Unionsrecht eine Verletzung der Verteidigungsrechte, insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör, nur dann zur Nichtigerklärung führt, wenn das Verfahren ohne diese Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Daraus folgt, dass nicht jede Regelwidrigkeit bei der Wahrnehmung der Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren zur Nichtigerklärung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt.

    95.

    Wie aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, sind im nationalen Recht u. a. § 46 VwVfG und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG einschlägig. Wie das vorlegende Gericht ausführt, wird in § 46 VwVfG das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung als unerheblicher Verstoß eingestuft, wenn offensichtlich ist, dass es die erlassene Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Ferner führt das vorlegende Gericht aus, dass bei einer Unzulässigkeitsentscheidung auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kein Ermessensspielraum bestehe. In diesen Fällen habe das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung keine Auswirkungen, da das Bundesamt sowie die Verwaltungsgerichte alle Tatbestandsvoraussetzungen der betreffenden Rechtsnorm zu prüfen hätten.

    96.

    Da die dem Gerichtshof vorgelegten Akten keinen Anhaltspunkt dafür enthalten, dass das nationale gerichtliche Verfahren den Äquivalenzgrundsatz nicht wahrt, ist dieses Verfahren anhand des Effektivitätsgrundsatzes zu prüfen.

    97.

    Die jetzt zu stellende entscheidende Frage ist, ob das mit dem Rechtsbehelf befasste nationale Gericht in der Lage ist, eine neue persönliche Anhörung vorzunehmen und dabei zu gewährleisten, dass alle einschlägigen zwingenden Anforderungen und Garantien nach der Richtlinie 2013/32 beachtet werden.

    98.

    Hierzu ist zu prüfen, ob zum einen eine persönliche Anhörung durch ein Gericht nach nationalem Recht tatsächlich in allen Fällen gewährleistet ist, in denen die Asylbehörde eine solche Anhörung unterlassen hat, und zum anderen, ob, falls eine persönliche Anhörung gewährleistet ist, die einschlägigen besonderen zwingenden Anforderungen der Richtlinie 2013/32 dazu, wie diese Anhörung durchzuführen ist, erfüllt sind.

    a) Ist nach nationalem Recht eine persönliche Anhörung gewährleistet?

    99.

    Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 gewährleistet für Personen, die internationalen Schutz beantragen, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht gegen Entscheidungen über ihren Antrag. Insoweit müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 46 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 sicherstellen, dass ein Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht hat, wenn sein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachtet wird ( 68 ). Das Gericht muss eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vornehmen, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt.

    100.

    Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass eine der Folgen für die Person, deren Antrag mit der Begründung abgelehnt wird, dass er nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 unzulässig sei ( 69 ), darin besteht, dass sie, anders als im Fall einer einfachen Ablehnung, möglicherweise nicht bis zur Entscheidung über ihren Rechtsbehelf im Hoheitsgebiet des Staates verbleiben darf, in dem der Antrag gestellt wurde. Dies ergibt sich aus Art. 46 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2013/32 ( 70 ).

    101.

    Der Gerichtshof hat jedoch in Rn. 53 des Beschlusses vom 5. Juli 2018, C u. a. ( 71 ), ausgeführt, dass der Betroffene im Einklang mit den Anforderungen von Art. 46 Abs. 6 letzter Unterabsatz der Richtlinie 2013/32 in der Lage sein muss, ein Gericht anzurufen, das darüber zu entscheiden hat, ob er im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, bis in der Sache über seinen Rechtsbehelf entschieden wurde. Nach Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie muss der betreffende Mitgliedstaat dem Antragsteller gestatten, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben, bis in dem gerichtlichen Verfahren über seinen Verbleib eine Entscheidung ergangen ist.

    102.

    Insoweit hat, vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, ein Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung des Bundesamts, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz eines Drittstaatsangehörigen nach § 29 AsylG als unzulässig abgelehnt wird, offenbar keine aufschiebende Wirkung ( 72 ). Überdies hat das vorlegende Gericht in seiner am 6. November 2019 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenen Antwort auf eine ihm vom Gerichtshof gestellte Frage ( 73 ) mitgeteilt, dass die Abschiebungsentscheidung vor Eintritt der Rechtskraft vollzogen werden könne, wenn gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamts kein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt werde ( 74 ). Gleiches gelte, wenn ein rechtzeitig gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO keinen Erfolg habe. Außerdem hat das vorlegende Gericht darauf hingewiesen, dass nach § 36 Abs. 3 Satz 4 AsylG in den Fällen, in denen der Asylantrag nach § 29 AsylG wegen der Schutzgewährung in einem anderen Mitgliedstaat unzulässig sei, die Entscheidung im Regelfall im schriftlichen Verfahren ergehe; dann finde jedenfalls grundsätzlich keine mündliche Anhörung statt, und für den Antragsteller gebe es auch keine wirksame Gelegenheit, im Sinne einer persönlichen Anhörung gehört zu werden.

    103.

    Aus der Antwort des vorlegenden Gerichts dürfte sich daher ergeben, dass im Fall des Unterbleibens einer persönlichen Anhörung und der Ablehnung eines Antrags als unzulässig durch die Asylbehörde – hier das Bundesamt – eine persönliche Anhörung durch ein Gericht im Rechtsbehelfsverfahren nicht gewährleistet ist. Allein aus diesem Grund kann folglich der Effektivitätsgrundsatz nicht gewahrt sein, da die Rechte des Antragstellers nicht zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens, unter Einschluss des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens, gewährleistet sind. Sonst würde nämlich der in der Richtlinie 2013/32 ausdrücklich vorgesehene Anspruch des Antragstellers auf eine persönliche Anhörung durch die Gerichte quasi beseitigt, und eine vom Unionsgesetzgeber als grundlegend angesehene Schutzmaßnahme würde außer Kraft gesetzt.

    104.

    Hat die Asylbehörde wegen der Unzulässigkeit eines Antrags keine persönliche Anhörung durchgeführt, wohl aber ein Gericht im Rechtsbehelfsverfahren, muss geprüft werden, ob bei der Art und Weise dieser Anhörung der Effektivitätsgrundsatz gewahrt wurde.

    105.

    Bevor diese Frage beantwortet wird, erscheint es angebracht, zunächst die in der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Modalitäten der Durchführung einer persönlichen Anhörung durch eine Verwaltungsstelle oder gerichtsähnliche Behörde zu prüfen.

    b) Regeln für die Durchführung einer persönlichen Anhörung nach der Richtlinie 2013/32

    106.

    Der Unionsgesetzgeber hat sich in den Art. 14 und 34 der Richtlinie 2013/32 nicht darauf beschränkt, der Asylbehörde eine persönliche Anhörung einer Person, die internationalen Schutz beantragt, vorzuschreiben, und die hierfür geltenden Modalitäten sodann völlig den Mitgliedstaaten überlassen. Er hat vielmehr konkrete, detaillierte und zwingende Regeln für die Durchführung dieser Anhörungen aufgestellt. Dies belegt die wiederholte Verwendung von Formulierungen wie „[e]ine persönliche Anhörung erfolgt …“ und „[d]ie Mitgliedstaaten [gewährleisten] …“ in Art. 15 der Richtlinie 2013/32 ( 75 ).

    107.

    Dabei enthält Art. 15 der Richtlinie 2013/32 insbesondere eine Reihe von Erfordernissen oder Garantien für die Durchführung einer persönlichen Anhörung. Hervorzuheben ist insbesondere das Erfordernis in Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32, wonach eine persönliche Anhörung unter Bedingungen erfolgen muss, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten ( 76 ). Nach Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2013/32 können die Mitgliedstaaten jedoch Vorschriften über die Anwesenheit Dritter bei der persönlichen Anhörung erlassen.

    108.

    Nach Art. 15 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die anhörende Person befähigt ist, die persönlichen und allgemeinen Umstände des Antrags einschließlich der kulturellen Herkunft, der Geschlechtszugehörigkeit, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität oder der Schutzbedürftigkeit des Antragstellers zu berücksichtigen ( 77 ).

    c) Würdigung

    109.

    Vor diesem Hintergrund erscheint offen gesagt zweifelhaft, ob in Fällen, in denen gegen die Art. 14 und 34 der Richtlinie 2013/32 verstoßen wurde, ein Gericht stets befähigt ist, die Rolle einer Asylbehörde zu übernehmen und eine persönliche Anhörung im Einklang mit ihrem Art. 15 durchzuführen ( 78 ). Schließlich wollte der Unionsgesetzgeber eindeutig erreichen, dass im erstinstanzlichen Verfahren, in vertraulicher Umgebung und durch besonders geschulte Verwaltungsmitarbeiter eine detaillierte persönliche Anhörung stattfindet und nicht mittels einer Befragung durch Richter (die möglicherweise nicht über eine solche Schulung verfügen) vor Gericht und in öffentlicher Verhandlung. Nach dem in Art. 47 der Charta verankerten Grundsatz der Effektivität darf von diesen zwingenden Anforderungen nicht ohne Weiteres abgewichen werden, da nach der klaren Absicht des Unionsgesetzgebers die Gültigkeit jeder späteren ablehnenden Asylentscheidung von der Einhaltung dieser ausdrücklichen Bestimmung abhängen sollte.

    110.

    Insoweit müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2013/32 dafür Sorge tragen, dass das Personal der Asylbehörde hinreichend geschult ist ( 79 ). Wie sich aus Art. 4 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 439/2010 ergibt, muss das Personal der Asylbehörde in Gesprächsführungstechniken geschult sein ( 80 ).

    111.

    Der Gerichtshof hat wiederholt anerkannt, dass die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige, mit besonderen Mitteln und Fachpersonal ausgestattete nationale Verwaltungsstelle oder gerichtsähnliche Behörde eine wesentliche Phase der mit der Richtlinie 2013/32 eingeführten gemeinsamen Verfahren ist ( 81 ).

    112.

    Auch wenn ein Gericht nach Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorzunehmen hat, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt, und meines Erachtens bestimmte Versäumnisse der Asylbehörde im Verwaltungsverfahren heilen kann ( 82 ), ist zweifelhaft, ob die Richter, die später – und zwar anstelle der Asylbehörde – möglicherweise eine persönliche Anhörung nach der Richtlinie 2013/32 durchzuführen haben, in Bezug auf Gesprächsführungstechniken Schulungen durchlaufen oder Fähigkeiten erworben haben, die denen der Asylbehörde gleichwertig sind ( 83 ). Dies ist jedoch letztlich eine Tatsachenfrage, über die das vorlegende Gericht zu entscheiden hat.

    113.

    Nach Art. 15 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 sehen die Mitgliedstaaten, soweit möglich, vor, dass die Anhörung des Antragstellers von einer Person gleichen Geschlechts durchgeführt wird, wenn der Antragsteller darum ersucht, es sei denn, die Asylbehörde hat Grund zu der Annahme, dass das Ersuchen auf Gründen beruht, die nicht mit den Schwierigkeiten des Antragstellers in Verbindung stehen, die Gründe für seinen Antrag umfassend darzulegen. Es sind jedoch Zweifel angebracht, ob die in Art. 15 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 aufgestellten Anforderungen in bestimmten Mitgliedstaaten erfüllt werden können, denn es kann sehr strikte Vorschriften für die Geschäftsverteilung unter den Richtern geben, und eine Ablehnung wegen des Geschlechts wird unter Umständen nicht möglich sein.

    114.

    Insofern ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht selbst Bedenken äußert, ob alle in Art. 15 der Richtlinie 2013/32 aufgestellten Anforderungen und Garantien an die Durchführung einer persönlichen Anhörung im Lauf von Gerichtsverfahren in Deutschland erfüllt werden können.

    115.

    Meines Erachtens ist der Grundsatz der Effektivität nicht gewahrt, wenn nicht alle in Art. 15 der Richtlinie 2013/32 relevanten Anforderungen und Garantien für eine persönliche Anhörung ( 84 ) in Rechtsbehelfsverfahren nach Kapitel V der Richtlinie erfüllt sind. Dies ist nicht abstrakt zu prüfen, sondern anhand des konkreten Einzelfalls, da bestimmte in Art. 15 der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Anforderungen und Garantien im Einzelfall möglicherweise schlicht nicht relevant sind. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass eine angemessene und vollständige Prüfung des Falls eines Antragstellers durchgeführt werden muss und dass das Unterbleiben einer solchen Prüfung grundsätzlich zumindest als zwingender Grund für die Ungültigkeit einer Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wird, angesehen werden muss ( 85 ).

    116.

    Im Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht zu beurteilen, ob bei der Durchführung der persönlichen Anhörung von Herrn Addis durch das Verwaltungsgericht Minden die einschlägigen Bestimmungen von Art. 15 der Richtlinie 2013/32 gewahrt wurden. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sein Antrag von der Asylbehörde als unzulässig angesehen wurde. Der Umfang der durchzuführenden persönlichen Anhörung könnte deshalb begrenzter sein, und einige der in Art. 15 der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Anforderungen und Garantien könnten irrelevant gewesen sein.

    117.

    Im Kern trägt Herr Addis jedoch vor, dass er der Sache nach von Armut und einem sehr niedrigen Lebensstandard bedroht wäre, so dass er, wie es der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. ( 86 ), formuliert hat, „extremer materieller Not [ausgesetzt wäre], die es [ihm] nicht erlaubte, [seine] elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen“, und dass deshalb seine Rechte aus Art. 4 der Charta verletzt würden, wenn er abgeschoben oder anderweitig nach Italien zurückgeführt würde. Die Heranziehung von Länderberichten und Berichten von Nichtregierungsorganisationen ist zwar zweifelsohne für jede Beurteilung dieser Frage von erheblicher Bedeutung, doch sind sie kein Ersatz für eine persönliche Anhörung, in der der Antragsteller seine eigenen persönlichen Erfahrungen und persönlichen Umstände schildern kann ( 87 ). Dies ist es jedenfalls, was der Unionsgesetzgeber angeordnet hat.

    118.

    Dies lehrt uns letzten Endes auch die menschliche Erfahrung: Wie oft haben wir erlebt, dass sich durch ein persönliches Gespräch oder einen Dialog mit einem anderen Menschen unsere Meinung geändert hat? Gerade wir als Richter und Juristen sollten uns dessen bewusst sein: Wie oft haben wir erlebt, was der englische Richter Megarry mit folgenden unvergessenen Worten ausdrückte: „Der Weg des Rechts ist mit Beispielen für scheinbar klare Fälle gepflastert, die es dann doch nicht waren; für unwiderlegbare Vorwürfe, die letztlich vollständig widerlegt wurden; für unerklärliches Verhalten, das restlos geklärt wurde; für feste und unabänderliche Entschlüsse, die durch Diskussionen geändert wurden.“ ( 88 )?

    119.

    Zwar hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. September 2013, G. und R. ( 89 ), bestätigt, dass nicht jede Verletzung der Verteidigungsrechte zur Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung führen muss, sondern dass hierfür im Allgemeinen dargetan werden muss, dass das Verwaltungsverfahren ohne diesen Verstoß zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Berührt jedoch, wie im vorliegenden Fall, der Verstoß die im Unionsrecht vorgesehenen wesentlichen Verfahrensgarantien im Kern, dann kann, außer unter besonderen und außergewöhnlichen Umständen, kaum jemals davon die Rede sein, dass Verwaltungsentscheidungen nicht anders ausgefallen wären oder anders hätten ausfallen können. Dies hat jedoch letztlich das vorlegende Gericht anhand der konkreten Umstände der vorliegenden Rechtssache zu beurteilen und zu prüfen.

    120.

    Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, darauf zu erkennen, dass das vorlegende Gericht zu beurteilen hat, ob das nach Art. 46 der Richtlinie 2013/32 mit einem Rechtsbehelf befasste nationale Gericht nach den nationalen Verfahrensregeln in der Lage ist, eine vollständige neue persönliche Anhörung gemäß Art. 14 oder Art. 34 der Richtlinie vorzunehmen und dabei zu gewährleisten, dass alle einschlägigen zwingenden Anforderungen und Garantien, die der Unionsgesetzgeber in Art. 15 der Richtlinie festlegt hat, beachtet werden. Falls eine solche persönliche Anhörung nicht in angemessener Weise neu vorgenommen werden kann, muss die Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, aus diesem Grund aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Asylbehörde zurückverwiesen werden.

    VII. Ergebnis

    121.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, darauf zu erkennen, dass das Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) zu beurteilen hat, ob das nach Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes mit einem Rechtsbehelf befasste nationale Gericht nach den nationalen Verfahrensregeln in der Lage ist, eine vollständige neue persönliche Anhörung gemäß Art. 14 oder Art. 34 der Richtlinie vorzunehmen und dabei zu gewährleisten, dass alle einschlägigen zwingenden Anforderungen und Garantien, die der Unionsgesetzgeber in Art. 15 der Richtlinie festgelegt hat, beachtet werden. Falls eine solche persönliche Anhörung nicht in angemessener Weise neu vorgenommen werden kann, muss die Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, aus diesem Grund aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Asylbehörde zurückverwiesen werden.


    ( 1 ) Originalsprache: Englisch.

    ( 2 ) ABl. 2013, L 180, S. 60.

    ( 3 ) ABl. 2005, L 326, S. 13. Der Einfachheit halber werde ich für diese Richtlinien bisweilen auch den Oberbegriff „Verfahrensrichtlinie“ verwenden.

    ( 4 ) C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219.

    ( 5 ) C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219.

    ( 6 ) ABl. 2011, L 337, S. 9.

    ( 7 ) C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219. Insoweit möchte ich darauf hingewiesen haben, dass der Gerichtshof u. a. in Rn. 101 dieses Urteils ausgeführt hat, dass „Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der [Richtlinie 2013/32] … dahin auszulegen [ist], dass er es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, die durch diese Bestimmung eingeräumte Befugnis auszuüben, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden ist, wenn der Antragsteller keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als subsidiär Schutzberechtigten erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta zu erfahren. Der Umstand, dass Personen, denen solch ein subsidiärer Schutz zuerkannt wird, in dem Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch insofern anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände.“

    ( 8 ) C‑540/17 und C‑541/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:964.

    ( 9 ) Siehe Nr. 102 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 10 ) BGBl. 2008 I S. 1798.

    ( 11 ) BGBl. 2016 I S. 2460.

    ( 12 ) BGBl. 2016 I S. 1939.

    ( 13 ) BGBl. 2003 I S. 102.

    ( 14 ) BGBl. 2008 I S. 2418.

    ( 15 ) BGBl. 1991 I S. 686.

    ( 16 ) BGBl. 2010 I S. 2248.

    ( 17 ) Dies ergibt sich aus seinem Vorbringen.

    ( 18 ) Vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 (2 BvR 2013/16, DE:BVerfG:2017:rk20170117.2bvr201316, Rn. 20).

    ( 19 ) Das vorlegende Gericht hat betont, dass nach dem Urteil vom 15. Oktober 2015, Kommission/Deutschland (C‑137/14, EU:C:2015:683, Rn. 60 bis 62), das Bundesamt die Beweislast trage.

    ( 20 ) C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219.

    ( 21 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. (C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 67).

    ( 22 ) Siehe Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 23 ) Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 24 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 77 bis 81).

    ( 25 ) Die Akten enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie 2013/32, insbesondere ihre Bestimmungen, die sich auf das Erfordernis einer persönlichen Anhörung beziehen, nicht umgesetzt hätte. Überdies hält das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren die 2016 und somit nach dem 20. Juli 2015 geänderten Rechtsvorschriften für anwendbar.

    ( 26 ) C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219. Vgl. auch Urteile vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 73), und vom 29. Juli 2019, Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 40).

    ( 27 ) Der Gerichtshof hat jedoch in den Rn. 70 bis 74 des Urteils vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. (C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219), u. a. ausgeführt, dass Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 einer solchen unmittelbaren Anwendung in einer Situation entgegensteht, in der sowohl der gestellte Asylantrag als auch ein Wiederaufnahmegesuch nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1), vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2013/32 gestellt wurden. Die dem Gerichtshof vorliegenden Akten enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, dass in Bezug auf Herrn Addis ein solches Wiederaufnahmegesuch gestellt worden wäre. Vielmehr führt das vorlegende Gericht in Rn. 3 des Vorabentscheidungsersuchens aus, dass ein solches Ersuchen nach der Dublin-Regelung nicht in Betracht gekommen sei. Insoweit weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass Herr Addis möglicherweise aufgrund eines Rückübernahmeabkommens nach Italien zurückgewiesen werden könne. In Rn. 5 des Vorabentscheidungsersuchens führt es jedoch aus, dass die Anordnung, Herrn Addis nach Italien abzuschieben, rechtswidrig gewesen sei, weil nicht festgestanden habe, ob die Übernahmebereitschaft Italiens für ihn fortbestehe, nachdem die Gültigkeit des ihm ausgestellten Reisedokuments am 5. Februar 2015 abgelaufen sei.

    ( 28 ) Vgl. Art. 54 der Richtlinie 2013/32.

    ( 29 ) C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219. Vgl. auch Urteile vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 73 ff.), und vom 29. Juli 2019, Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 40 ff.).

    ( 30 ) Vgl. Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32.

    ( 31 ) Da es im Ausgangsverfahren um die Zulässigkeit eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geht, ist Art. 34 der Richtlinie 2013/32 und nicht deren Art. 14 anwendbar. Ich werde jedoch der Vollständigkeit halber im Allgemeinen beide Bestimmungen anführen, sofern nicht bestimmte relevante Unterschiede hervorzuheben sind.

    ( 32 ) Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist in Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 und in Art. 34 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 vorgesehen. Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie bestimmt: „Ist es der Asylbehörde wegen einer großen Zahl von gleichzeitig eingehenden Anträgen auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in der Praxis unmöglich, fristgerecht Anhörungen zum Inhalt jedes einzelnen Antrags durchzuführen, so können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass diese Anhörungen vorübergehend von Bediensteten einer anderen Behörde durchgeführt werden. In diesen Fällen erhalten die Bediensteten dieser anderen Behörde zuvor eine entsprechende Schulung, die sich auch auf die Gegenstände in Artikel 6 Absatz 4 Buchstaben a bis e der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 erstreckt. Personen, die die persönliche Anhörung von Antragstellern nach Maßgabe dieser Richtlinie durchführen, müssen außerdem allgemeine Kenntnisse über die Probleme erworben haben, die die Fähigkeit des Antragstellers, angehört zu werden, beeinträchtigen könnten, beispielsweise Anzeichen dafür, dass der Antragsteller in der Vergangenheit möglicherweise gefoltert worden sein könnte.“ Art. 34 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 bestimmt: „Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Bediensteten anderer Behörden als der Asylbehörde die persönliche Anhörung zu der Zulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz durchführen. In diesen Fällen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Bediensteten zuvor die erforderliche Grundschulung insbesondere in Bezug auf das internationale Recht auf dem Gebiet der Menschenrechte, den Besitzstand der Union im Asylbereich und Gesprächsführungstechniken erhalten.“ Hervorhebungen nur hier.

    ( 33 ) Zu einer Ausnahme von dieser Regel vgl. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32.

    ( 34 ) C‑585/16, EU:C:2018:584.

    ( 35 ) Vgl. Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32.

    ( 36 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 37 ) Vorbehaltlich des Art. 34 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32.

    ( 38 ) Urteil vom 25. Juli 2018, A (C‑404/17, EU:C:2018:588, Rn. 30).

    ( 39 ) Vgl. in diesem Sinne auch das in Nr. 87 der vorliegenden Schlussanträge angeführte Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 145 bis 149).

    ( 40 ) C‑348/16, EU:C:2017:591.

    ( 41 ) C‑585/16, EU:C:2018:584.

    ( 42 ) C‑556/17, EU:C:2019:626.

    ( 43 ) C‑348/16, EU:C:2017:591.

    ( 44 ) C‑348/16, EU:C:2017:591.

    ( 45 ) Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko (C‑348/16, EU:C:2017:591). In Rn. 18 dieses Urteils heißt es: „Am 10. März 2016 wurde Herr Sacko von der Commissione Territoriale bei der Prefettura di Milano (Präfektur Mailand, Italien) zu seiner Situation und den Gründen seines Antrags angehört.“

    ( 46 ) Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko (C‑348/16, EU:C:2017:591, Rn. 26).

    ( 47 ) C‑348/16, EU:C:2017:591.

    ( 48 ) Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko (C‑348/16, EU:C:2017:591, Rn. 50).

    ( 49 ) Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Sacko (C‑348/16, EU:C:2017:288, Nr. 65).

    ( 50 ) C‑348/16, EU:C:2017:591.

    ( 51 ) C‑585/16, EU:C:2018:584.

    ( 52 ) In Rn. 52 des Urteils vom 29. Juli 2019, Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:626), hat der Gerichtshof bekräftigt, dass durch die Wendung ex nunc hervorgehoben wird, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beurteilung vorzunehmen, bei der gegebenenfalls neue, nach Erlass der angefochtenen Entscheidung aufgetretene Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Das Adjektiv „umfassend“ bestätigt, dass das Gericht verpflichtet ist, sowohl die Gesichtspunkte zu prüfen, die die Asylbehörde berücksichtigt hat oder hätte berücksichtigen können, als auch die Gesichtspunkte, die nach Erlass ihrer Entscheidung aufgetreten sind. Um zu gewährleisten, dass Anträge so rasch wie möglich bearbeitet werden, muss das Gericht unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge in der Lage sein, alle tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu prüfen, die ihm eine Beurteilung des Einzelfalls anhand des aktuellen Standes ermöglichen, so dass der Antrag auf internationalen Schutz vollständig bearbeitet werden kann, ohne dass die Akte an die Asylbehörde zurückgesandt zu werden braucht. (Vgl. Rn. 53 des Urteils Torubarov). Die dem Gericht obliegende umfassende Ex-nunc-Prüfung hat nicht zwingend eine inhaltliche Prüfung des Bedürfnisses nach internationalem Schutz zum Gegenstand und kann somit die Zulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz betreffen, wenn das nationale Recht dies gemäß Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 erlaubt. Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 115).

    ( 53 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 114). In Rn. 126 dieses Urteils hat der Gerichtshof ausgeführt, dass sich das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht, wenn der von ihm geprüfte Unzulässigkeitsgrund auch von der Asylbehörde vor Erlass der mit dem Rechtsbehelf angefochtenen Entscheidung geprüft wurde, auf die Niederschrift der persönlichen Anhörung bei der Asylbehörde stützen kann, ohne den Antragsteller anhören zu müssen, es sei denn, es hält dies für erforderlich. Vgl. auch Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko (C‑348/16, EU:C:2017:591, Rn. 48).

    ( 54 ) Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 114).

    ( 55 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 127). In Rn. 128 dieses Urteils hat der Gerichtshof ferner darauf hingewiesen, dass – ebenso wie es Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 für die persönlichen Anhörungen durch die Asylbehörde vorsieht – bei der Anhörung des Antragstellers vor dem Gericht, damit er seinen Fall darlegen kann, erforderlichenfalls ein Dolmetscher beizuziehen ist. Vgl. auch Art. 15 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2013/32.

    ( 56 ) Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 130). Hervorhebung nur hier.

    ( 57 ) C‑585/16, EU:C:2018:584.

    ( 58 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 130).

    ( 59 ) Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 145 bis 149). Vgl. auch Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 54).

    ( 60 ) Der Gerichtshof hat in Rn. 69 des Urteils vom 29. Juli 2019, Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:626), bekräftigt, dass Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, den für die Entscheidung über Klagen nach dieser Bestimmung zuständigen Gerichten die unionsrechtliche Befugnis zu übertragen, die Entscheidung der Asylbehörde durch ihre eigene Entscheidung zu ersetzen. Die Mitgliedstaaten haben jedoch in jedem Einzelfall zu gewährleisten, dass das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewahrt ist.

    ( 61 ) Insoweit hat der Gerichtshof in Rn. 58 des Urteils vom 29. Juli 2019, Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:626), festgestellt, dass Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 jede praktische Wirksamkeit genommen würde, wenn es zulässig wäre, dass die gerichtsähnliche Behörde bzw. Verwaltungsstelle im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie nach einem Urteil, in dem das erstinstanzliche Gericht gemäß dieser Bestimmung eine umfassende Ex-nunc-Beurteilung der Frage vorgenommen hat, ob der Antragsteller internationalen Schutzes bedarf, eine dieser Beurteilung zuwiderlaufende Entscheidung erlassen könnte.

    ( 62 ) C‑585/16, EU:C:2018:584.

    ( 63 ) In seinem Urteil vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 45), hat der Gerichtshof festgestellt, dass dieses Recht integraler Bestandteil der Achtung der Verteidigungsrechte ist, die einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt.

    ( 64 ) Urteile vom 10. September 2013, G. und R. (C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 35), vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 51), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 41).

    ( 65 ) 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32. Hervorhebung nur hier. Vgl. auch Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 109).

    ( 66 ) C‑560/14, EU:C:2017:101, Rn. 49 ff..

    ( 67 ) C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533.

    ( 68 ) Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 115 und 120).

    ( 69 ) Da ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat.

    ( 70 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 25. Juli 2018, A (C‑404/17, EU:C:2018:588, Rn. 27). Vgl. auch Beschluss vom 5. Juli 2018, C u. a. (C‑269/18 PPU, EU:C:2018:544, Rn. 55).

    ( 71 ) C‑269/18 PPU, EU:C:2018:544.

    ( 72 ) Vgl. § 75 Abs. 1 des AsylG.

    ( 73 ) Siehe Nr. 13 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 74 ) Die Vertreterin von Herrn Addis hat in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2020 darauf hingewiesen, dass ein Antrag in diesen Fällen innerhalb von einer Woche zu stellen sei.

    ( 75 ) Die in Art. 15 der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen detaillierten Modalitäten der Durchführung einer persönlichen Anhörung gelten für alle Anträge auf internationalen Schutz. In der Richtlinie 2013/32 wird in Bezug auf die Anwendung dieser Modalitäten nicht zwischen einer persönlichen Anhörung nach Art. 14 und nach Art. 34 der Richtlinie unterschieden.

    ( 76 ) Dies könnte etwa dadurch gewährleistet werden, dass die persönliche Anhörung vom Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt wird.

    ( 77 ) Hinzuweisen ist darauf, dass nach dem 29. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 „[b]estimmte Antragsteller … unter Umständen besondere Verfahrensgarantien [benötigen], unter anderem aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Ausrichtung, ihrer Geschlechtsidentität, einer Behinderung, einer schweren Erkrankung, einer psychischen Störung oder infolge von Folter, Vergewaltigung oder sonstigen schweren Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt. Die Mitgliedstaaten sollten bestrebt sein, Antragsteller, die besondere Verfahrensgarantien benötigen, als solche zu erkennen, bevor eine erstinstanzliche Entscheidung ergeht.“ Hervorhebung nur hier. Überdies sollten nach dem 32. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 u. a. „[d]ie Prüfungsverfahren … geschlechtsspezifischen Anforderungen Rechnung tragen, um eine tatsächliche Gleichbehandlung weiblicher und männlicher Antragsteller zu gewährleisten. Insbesondere sollten persönliche Anhörungen in einer Weise abgehalten werden, die es weiblichen und männlichen Antragstellern gleichermaßen ermöglicht, über ihre Erfahrungen in Fällen geschlechtsspezifischer Verfolgung zu sprechen.“

    ( 78 ) Dies gilt insbesondere, soweit das Gericht einen Antrag auf internationalen Schutz in der Sache prüfen muss.

    ( 79 ) Vgl. auch den 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32, wonach „[e]s … von entscheidender Bedeutung [ist], dass sämtliche Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz auf der Grundlage von Tatsachen ergehen und erstinstanzlich von Behörden getroffen werden, deren Bedienstete über angemessene Kenntnisse in Fragen des internationalen Schutzes verfügen oder die hierzu erforderliche Schulung erhalten haben“.

    ( 80 ) Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 nimmt konkret auf Art. 6 Abs. 4 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 439/2010 Bezug.

    ( 81 ) Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 82 ) Um das Verfahren nicht unnötig zu verzögern und das konkrete Ziel der Richtlinie 2013/32 nicht zu beeinträchtigen, dass Anträge so rasch wie möglich bearbeitet werden.

    ( 83 ) Meines Erachtens ergibt sich aus dem Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584), eindeutig, dass das Gericht unter bestimmten Umständen eine persönliche Anhörung durchführen kann, sofern bestimmte in der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Garantien wie das Recht auf einen Dolmetscher erfüllt sind.

    ( 84 ) Auch unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 3 und 4 der Richtlinie.

    ( 85 ) Vgl. den 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 und das Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 109).

    ( 86 ) C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 90.

    ( 87 ) In der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2020 hat die Rechtsanwältin von Herrn Addis erklärt, dass er an einer psychiatrischen Störung leide, aufgrund deren er dann, wenn er nach Italien zurückgeschickt würde, besonders schutzbedürftig sei, u. a. weil er kein Italienisch spreche. Der Gerichtshof ist jedoch eindeutig nicht in der Lage, die Richtigkeit dieser Behauptung oder auch das ihr beizumessende Gewicht zu beurteilen. Betont sei jedoch, dass einer Person, die internationalen Schutz beantragt, gerade wegen solcher Belange Gelegenheit gegeben werden sollte, sie in einer persönlichen Anhörung nach den Art. 14 und 34 der Richtlinie 2013/32 geltend zu machen. Außerdem muss ein solcher Antrag von geschulten und erfahrenen Mitarbeitern der Asylbehörde beurteilt werden. Das richtige Forum für diese Fragen ist gewiss nicht der Gerichtshof und sind meines Erachtens auch nicht die Gerichte eines Mitgliedstaats in Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 46 der Richtlinie 2013/32. Nach dem Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a. (C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 68), kann der Tatsache, dass eine Person, die internationalen Schutz begehrt, an einer physischen oder psychischen Erkrankung leidet, Bedeutung für ihre Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 zukommen. In Rn. 68 des Urteils C. K. u. a. hat der Gerichtshof ferner klargestellt, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK, die bei der Auslegung von Art. 4 der Charta zu berücksichtigen ist, das durch eine natürlich auftretende physische oder psychische Erkrankung entstehende Leiden unter Art. 3 EMRK fallen kann, wenn es durch eine von den Behörden zu verantwortende Behandlung – die sich aus Haftbedingungen, einer Ausweisung oder anderen Maßnahmen ergeben kann – verschlimmert wird oder zu werden droht, sofern das dadurch entstehende Leiden das nach diesem Artikel erforderliche Mindestmaß der Schwere erreicht.

    ( 88 ) Urteil John/Rees [1970] Ch. 345 [402].

    ( 89 ) C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533.

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