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Document 62016CJ0294

    Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 28. Juli 2016.
    JZ gegen Prokuratura Rejonowa Łódź - Śródmieście.
    Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy dla Łodzi - Śródmieścia w Łodzi.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss 2002/584/JI – Art. 26 Abs. 1 – Europäischer Haftbefehl – Wirkungen der Übergabe – Anrechnung der im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüßten Haft – Begriff ‚Haft‘ – Freiheitsbeschränkende Maßnahmen neben der Inhaftierung – Mittels elektronischer Fußfessel überwachter Hausarrest – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 6 und 49.
    Rechtssache C-294/16 PPU.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:610

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    28. Juli 2016 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Eilvorabentscheidungsverfahren — Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen — Rahmenbeschluss 2002/584/JI — Art. 26 Abs. 1 — Europäischer Haftbefehl — Wirkungen der Übergabe — Anrechnung der im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüßten Haft — Begriff ‚Haft‘ — Freiheitsbeschränkende Maßnahmen neben der Inhaftierung — Mittels elektronischer Fußfessel überwachter Hausarrest — Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Art. 6 und 49“

    In der Rechtssache C‑294/16 PPU

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla Łodzi – Śródmieścia w Łodzi (Bezirksgericht Lodz – Lodz-Stadtmitte, Polen) mit Entscheidung vom 24. Mai 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Mai 2016, in dem Verfahren

    JZ

    gegen

    Prokuratura Rejonowa Łódź – Śródmieście

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter C. Lycourgos (Berichterstatter), E. Juhász und C. Vajda sowie der Richterin K. Jürimäe,

    Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

    Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2016,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und J. Sawicka als Bevollmächtigte,

    der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und M. Hellmann als Bevollmächtigte,

    der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. R. Brodie als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Owsiany-Hornung und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Juli 2016

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss 2002/584).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen JZ und der Prokuratura Rejonowa Łódź – Śródmieście (Bezirksstaatsanwaltschaft Lodz-Stadtmitte, Polen) über den Antrag von JZ, auf die Gesamtdauer der Freiheitsstrafe, zu der er in Polen verurteilt wurde, den Zeitraum anzurechnen, in dem ihn der Mitgliedstaat der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, das Königreich Großbritannien und Nordirland, unter elektronische Überwachung des Aufenthaltsorts in Verbindung mit einem Hausarrest gestellt hatte.

    Rechtlicher Rahmen

    EMRK

    3

    Art. 5 („Recht auf Freiheit und Sicherheit“) der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) bestimmt in Abs. 1: „Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.“

    Charta

    4

    Art. 6 („Recht auf Freiheit und Sicherheit“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) lautet: „Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.“

    5

    Abs. 3 von Art. 49 („Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen“) der Charta lautet: „Das Strafmaß darf zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein.“

    6

    Art. 52 („Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze“) der Charta bestimmt in den Abs. 3 und 7:

    „(3)   Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die [EMRK] garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der [EMRK] verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.

    (7)   Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“

    Rahmenbeschluss 2002/584

    7

    Im zwölften Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2002/584 heißt es, dass er die Grundrechte achtet und die in Art. 6 EU anerkannten und in der Charta, insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommenden Grundsätze wahrt.

    8

    Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses lautet:

    „Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 [EU] niedergelegt sind, zu achten.“

    9

    Art. 12 („Inhafthaltung der gesuchten Person“) des Rahmenbeschlusses bestimmt:

    „Im Fall der Festnahme einer Person aufgrund eines Europäischen Haftbefehls entscheidet die vollstreckende Justizbehörde, ob die gesuchte Person nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaats in Haft zu halten ist. Eine vorläufige Haftentlassung nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ist jederzeit möglich, sofern die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaates die ihres Erachtens erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht der gesuchten Person trifft.“

    10

    Der zu Kapitel 3 („Wirkung der Übergabe“) des Rahmenbeschlusses 2002/584 gehörende Art. 26 („Anrechnung der im Vollstreckungsstaat verbüßten Haft“) lautet:

    „(1)   Der Ausstellungsmitgliedstaat rechnet die Dauer der Haft aus der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls auf die Gesamtdauer des Freiheitsentzugs an, die im Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung zu verbüßen wäre.

    (2)   Dazu sind der ausstellenden Justizbehörde zum Zeitpunkt der Übergabe von der vollstreckenden Justizbehörde oder der nach Artikel 7 bezeichneten Zentralbehörde alle Angaben zur Dauer der Haft der aufgrund des Europäischen Haftbefehls gesuchten Person zu übermitteln.“

    Polnisches Recht

    11

    Art. 63 § 1 des Kodeks karny (Strafgesetzbuch) vom 6. Juni 1997 (Dz. U. Nr. 88, Pos. 553) sieht vor, dass die Dauer des tatsächlichen Freiheitsentzugs, aufgerundet auf einen vollen Tag, auf die verhängte Strafe angerechnet wird, wobei ein Tag des tatsächlichen Freiheitsentzugs einem Tag Freiheitsstrafe, zwei Tagen freiheitsbeschränkender Strafe oder zwei Tagessätzen Geldstrafe entspricht. Als ein Tag im Sinne von Art. 63 Abs. 1 gilt ein Zeitraum von 24 Stunden des tatsächlichen Freiheitsentzugs.

    12

    Nach Art. 607f des Kodeks postępowania karnego (Strafprozessordnung) vom 6. Juni 1997 (Dz. U. Nr. 89, Pos. 555, im Folgenden: Strafprozessordnung), mit dem Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in polnisches Recht umgesetzt wird, wird auf die verhängte oder in Vollstreckung befindliche Freiheitsstrafe die Dauer des tatsächlichen Freiheitsentzugs im Mitgliedstaat der Vollstreckung des Haftbefehls im Zusammenhang mit der Übergabe angerechnet.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    13

    Am 27. März 2007 verurteilte der Sąd Rejonowy dla Łodzi – Śródmieścia w Łodzi (Bezirksgericht Lodz – Lodz-Stadtmitte, Polen) JZ zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten.

    14

    Da JZ sich der polnischen Justiz entzog, wurde gegen ihn ein Europäischer Haftbefehl erlassen. Am 18. Juni 2014 wurde JZ von den Behörden des Vereinigten Königreichs in Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls festgenommen und bis zum 19. Juni 2014 inhaftiert. Mit Beschluss vom 25. Juni 2015 rechnete das vorlegende Gericht diesen Zeitraum auf die von JZ in Polen zu verbüßende Freiheitsstrafe an.

    15

    Für die Zeit vom 19. Juni 2014 bis zum 14. Mai 2015 wurde JZ, der gegen Zahlung einer Kaution in Höhe von 2000 britischen Pfund (GBP) freigelassen worden war, auferlegt, sich zwischen 22 Uhr und 7 Uhr unter der von ihm angegebenen Anschrift aufzuhalten. Mit dieser Verpflichtung ging eine elektronische Überwachung einher. Darüber hinaus musste er sich anfangs täglich und dann, nach Ablauf von drei Monaten, dreimal wöchentlich zwischen 10 Uhr und 12 Uhr bei einer Polizeidienststelle melden. Ferner wurde ihm untersagt, die Ausstellung von Dokumenten für Reisen ins Ausland zu beantragen, und er musste ein Mobiltelefon ständig eingeschaltet und betriebsbereit halten. Diese Maßnahmen galten bis zum 14. Mai 2015, dem Tag seiner Übergabe an die polnischen Behörden.

    16

    JZ beantragte beim vorlegenden Gericht, die Dauer seines Hausarrests und der elektronischen Überwachung im Vereinigten Königreich auf die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen. Er macht u. a. geltend, dass nach Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 über die Anrechnung der Maßregel der Sicherung auf die verhängte Strafe anhand der Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs zu entscheiden sei; danach sei eine Maßregel der Sicherung in Form einer elektronischen Überwachung des Betroffenen im Umfang von acht Stunden oder mehr pro Tag als Freiheitsstrafe anzusehen.

    17

    Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, dass im britischen Recht die Anrechnung von Zeiten eines Hausarrests in Verbindung mit einer elektronischen Überwachung des Aufenthaltsorts auf die verhängte Strafe nur möglich sei, wenn die Dauer des Hausarrests mindestens neun Stunden pro Tag betragen habe, und dass in der Regel die Hälfte des Anwendungszeitraums der Maßnahme, aufgerundet auf den vollen Tag, angerechnet werde.

    18

    Die JZ auferlegte Verpflichtung, nachts zuhause zu bleiben, habe zum Verlust seiner Tätigkeit geführt, da diese befristet gewesen sei und sein Arbeitgeber die Arbeitszeiten nicht seiner Verfügbarkeit habe anpassen müssen. Darüber hinaus sei JZ während der ersten drei Monate des Hausarrests verpflichtet gewesen, sich täglich zwischen 10 Uhr und 12 Uhr bei einer ungefähr 16 km von seinem Wohnort entfernten Polizeidienststelle zu melden. Erst nach Ablauf dieser drei Monate habe er sich nur noch dreimal wöchentlich melden müssen und dies dann bei einer näher an seinem Wohnort gelegenen Polizeidienststelle tun können. Während dieser Zeit habe er keine mit seiner zeitlichen Verfügbarkeit vereinbare Arbeit finden können. Er sei daher bei seinen Kindern zuhause geblieben, während nur seine Frau gearbeitet habe.

    19

    Das vorlegende Gericht misst der Auslegung des Begriffs „Haft“ in Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 entscheidende Bedeutung für die richtige Auslegung und Anwendung der eine Verringerung der Dauer von Freiheitsstrafen ermöglichenden nationalen Vorschriften bei, zu denen der zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2002/584 in das polnische Recht eingefügte Art. 607f der Strafprozessordnung gehöre.

    20

    Die Auslegung des Begriffs „tatsächlicher Freiheitsentzug“ in Art. 607f der Strafprozessordnung in Rechtsprechung und Lehre sei insoweit nicht einheitlich.

    21

    In Anbetracht des zwölften Erwägungsgrundes des Rahmenbeschlusses 2002/584 und nach Maßgabe von Art. 6 EUV habe die Auslegung von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses unter Berücksichtigung von Art. 5 EMRK und dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erfolgen.

    22

    Daraus ergebe sich, dass das nationale Gericht die Möglichkeit haben müsse, zu prüfen, ob in der ihm vorliegenden Rechtssache die Gesamtheit der für den Verurteilten geltenden Maßnahmen und deren Dauer die Annahme zuließen, dass diese Maßnahmen einen Freiheitsentzug darstellten, so dass auf der Grundlage aller einschlägigen Rechtsvorschriften und nach Anwendung des Grundsatzes der unionsrechtskonformen Auslegung der Zeitraum, in dem die Maßnahmen angewandt worden seien, auf die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe anzurechnen sein könnte.

    23

    Darüber hinaus könnte eine enge Auslegung des Begriffs „Haft“, wonach die Anwendung von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 auf klassische Formen des Freiheitsentzugs wie die Gefängnisstrafe oder die Untersuchungshaft beschränkt wäre, gegen den in Art. 49 Abs. 3 der Charta niedergelegten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

    24

    Das Ausgangsverfahren sei durch eine Anhäufung verschiedener Maßregeln der Sicherung gekennzeichnet, die zusammen genommen einen Freiheitsentzug darstellen könnten. Die Anwendung dieser Maßregeln über mehrere Monate könnte letztlich als zusätzliche Strafe für die Tat angesehen werden, wegen der gegen den Verurteilten bereits eine Freiheitsstrafe von langer Dauer verhängt worden sei. Insoweit sei darauf hinzuweisen, dass JZ während des Hausarrests keine entgeltliche Tätigkeit habe finden können, die mit den ihm auferlegten zeitlichen Beschränkungen vereinbar gewesen sei, und dass seine Ehefrau die gesamten im Haushalt angefallenen Kosten getragen habe.

    25

    Unter diesen Umständen hat der Sąd Rejonowy dla Łodzi – Śródmieścia w Łodzi (Bezirksgericht Lodz – Lodz-Stadtmitte) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Ist Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 und 3 EUV sowie Art. 49 Abs. 3 der Charta dahin auszulegen, dass der Begriff „Haft“ auch Maßnahmen des Vollstreckungsmitgliedstaats umfasst, die in der elektronischen Überwachung des Aufenthaltsorts der im Haftbefehl bezeichneten Person in Verbindung mit einem Hausarrest bestehen?

    Zum Eilverfahren

    26

    Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

    27

    Es begründet diesen Antrag damit, dass sich JZ in Haft befinde und die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe am 9. März 2017 ende. Sollte auf diese Freiheitsstrafe der volle Zeitraum des Hausarrests in Verbindung mit einer elektronischen Überwachung, d. h. der Zeitraum vom 19. Juni 2014 bis zum 14. Mai 2015, anzurechnen sein, müsste er unverzüglich aus dem Gefängnis entlassen werden. Der Zeitpunkt der möglichen Entlassung von JZ hänge daher unmittelbar vom Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtshofs über die ihm unterbreitete Vorlage zur Vorabentscheidung ab.

    28

    Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass sich das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen auf die Auslegung des Rahmenbeschlusses 2002/584 bezieht, der unter die Bestimmungen des den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffenden Titels V des Dritten Teils des AEU-Vertrags fällt. Es kommt daher für ein Eilvorabentscheidungsverfahren in Betracht.

    29

    Zweitens ist hinsichtlich des Kriteriums der Dringlichkeit nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen, dass der im Ausgangsverfahren Betroffene derzeit seiner Freiheit beraubt ist und dass seine weitere Inhaftierung von der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits abhängt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Mai 2016, Dworzecki, C‑108/16 PPU, EU:C:2016:346, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den in Rn. 27 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Angaben des vorlegenden Gerichts, dass sich JZ derzeit in Haft befindet und dass seine weitere Inhaftierung von der Entscheidung des Gerichtshofs abhängt, weil eine Bejahung der ihm vorgelegten Frage zur sofortigen Entlassung von JZ führen könnte.

    30

    Unter diesen Umständen hat die Vierte Kammer des Gerichtshofs auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts am 6. Juni 2016 entschieden, dem Antrag des vorlegenden Gerichts, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen, stattzugeben.

    Zur Vorlagefrage

    31

    Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen ist, dass Maßnahmen wie ein nächtlicher Hausarrest von neun Stunden in Verbindung mit der Überwachung des Betroffenen mittels einer elektronischen Fußfessel, der Verpflichtung, sich täglich oder mehrmals pro Woche zu festgelegten Zeiten bei einer Polizeidienststelle zu melden, sowie dem Verbot, die Ausstellung von Dokumenten für Reisen ins Ausland zu beantragen, als „Haft“ im Sinne von Art. 26 Abs. 1 eingestuft werden können.

    32

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der verbindliche Charakter des Rahmenbeschlusses 2002/584 für das Gericht des Mitgliedstaats, das den Europäischen Haftbefehl erlassen hat, eine Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts begründet. Dabei muss es sein nationales Recht so weit wie möglich am Wortlaut und am Zweck des Rahmenbeschlusses ausrichten, um das mit ihm angestrebte Ergebnis zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. September 2012, Lopes Da Silva Jorge, C‑42/11, EU:C:2012:517, Rn. 53 und 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    33

    Zwar findet diese Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen. Gleichwohl gebietet es der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das im Einklang mit dem mit ihm verfolgten Ziel steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. September 2012, Lopes Da Silva Jorge, C‑42/11, EU:C:2012:517, Rn. 55 und 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    34

    Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 bestimmt, dass der Ausstellungsmitgliedstaat die Dauer der Haft aus der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls auf die Gesamtdauer des Freiheitsentzugs anrechnet, die in diesem Mitgliedstaat aufgrund der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung zu verbüßen wäre.

    35

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes, dass die Begriffe einer Bestimmung des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihrer Bedeutung und Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Juli 2008, Kozłowski, C‑66/08, EU:C:2008:437, Rn. 42, und vom 24. Mai 2016, Dworzecki, C‑108/16 PPU, EU:C:2016:346, Rn. 28).

    36

    Die in Rede stehende Vorschrift enthält jedoch für die Ermittlung ihrer Bedeutung und Tragweite keinerlei Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten.

    37

    Daher ist der Begriff „Haft“ in Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 als autonomer unionsrechtlicher Begriff zu verstehen, der unter Berücksichtigung sowohl des Wortlauts dieser Bestimmung als auch ihres Kontexts und der mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgten Ziele im gesamten Unionsgebiet autonom und einheitlich auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Oktober 2015, Saudaçor, C‑174/14, EU:C:2015:733, Rn. 52).

    38

    Erstens ist hinsichtlich des Wortlauts von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 darauf hinzuweisen, dass die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den übrigen Sprachfassungen beanspruchen kann. Die Bestimmungen des Unionsrechts müssen nämlich im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2015, Léger, C‑528/13, EU:C:2015:288, Rn. 35).

    39

    Insoweit ist festzustellen, dass Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachfassungen von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 bestehen. Während nämlich beispielsweise in der deutschen, der griechischen und der französischen Sprachfassung für die Maßnahme, der der Betroffene im Ausstellungsmitgliedstaat unterworfen werden soll, die Begriffe „Freiheitsentzug“, „στέρηση της ελευθερίας“ und „privation de liberté“ und für den auf die Verurteilung anzurechnenden Zeitraum die Begriffe „Haft“, „άτηση“ und „détention“ verwendet werden, werden in der englischen und der polnischen Sprachfassung von Art. 26 Abs. 1 nur die Begriffe „detention“ bzw. „zatrzymania“ verwendet. In der niederländischen Sprachfassung der Bestimmung wird dagegen ausschließlich der Begriff „vrijheidsbeneming“ verwendet, der dem Begriff „Freiheitsentzug“ entspricht.

    40

    Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Begriffe „Haft“ und „Freiheitsentzug“ in den verschiedenen Sprachfassungen von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 als Synonyme verwendet werden, und zum anderen darauf, dass es sich um ähnliche Begriffe handelt, die nach ihrer üblichen Bedeutung auf eine Ingewahrsamnahme oder eine Inhaftierung Bezug nehmen und nicht auf eine bloße Beschränkung der Bewegungsfreiheit.

    41

    Zweitens ist zum Kontext, in den sich Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 einfügt, festzustellen, dass nach dessen Art. 12 im Fall der Festnahme einer Person aufgrund eines Europäischen Haftbefehls die vollstreckende Justizbehörde nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaats entscheidet, ob diese Person in Haft zu halten ist, wobei jederzeit nach Maßgabe dieses Rechts ihre vorläufige Haftentlassung angeordnet werden kann, sofern die zuständige Behörde die ihres Erachtens erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht dieser Person trifft. Nach dieser Bestimmung gibt es somit eine Alternative zur „Haft“, und zwar die vorläufige Haftentlassung, verbunden mit Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht der betreffenden Person.

    42

    Drittens ist hinsichtlich des mit Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 verfolgten Ziels darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge im Wesentlichen festgestellt hat, mit der in dieser Vorschrift vorgesehenen Pflicht, auf die von der betreffenden Person im Ausstellungsmitgliedstaat zu verbüßende Gesamtdauer des Freiheitsentzugs die Dauer der Haft aus der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls anzurechnen, das im zwölften Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2002/584 genannte und durch dessen Art. 1 Abs. 3 bekräftigte allgemeine Ziel der Wahrung der Grundrechte konkretisiert werden soll, indem das in Art. 6 der Charta verankerte Recht des Betroffenen auf Freiheit sowie die praktische Wirksamkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Strafvollstreckung im Sinne von Art. 49 Abs. 3 der Charta gewährleistet werden.

    43

    Durch die Verpflichtung, alle Zeiträume zu berücksichtigen, in denen der Verurteilte im Vollstreckungsmitgliedstaat inhaftiert war, stellt Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 nämlich sicher, dass diese Person nicht letztlich eine Haft verbüßen muss, deren Gesamtdauer – sowohl im Vollstreckungsmitgliedstaat als auch im Ausstellungsmitgliedstaat – die Dauer der Freiheitsstrafe überschreitet, zu der sie im Ausstellungsmitgliedstaat verurteilt wurde.

    44

    Wie die polnische Regierung und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Stellungnahmen und in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht haben, kann insoweit die ein Wesensmerkmal der Haft bildende freiheitsbeschränkende Wirkung sowohl bei einer Inhaftierung vorliegen als auch, in Ausnahmefällen, bei anderen Maßnahmen, die, ohne streng genommen eine Inhaftierung darzustellen, gleichwohl so belastend sind, dass sie ihr gleichzustellen sind. Das wäre der Fall bei Maßnahmen, die aufgrund ihrer Art, ihrer Dauer, ihrer Wirkungen und der Modalitäten ihrer Durchführung von solcher Intensität sind, dass sie den Betroffenen in einer mit einer Inhaftierung vergleichbaren Weise seiner Freiheit berauben.

    45

    Folglich darf Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 nicht dahin ausgelegt werden, dass er sich darauf beschränkt, den Ausstellungsmitgliedstaat des Europäischen Haftbefehls zur Anrechnung allein der im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüßten Haftzeiten zu verpflichten, nicht aber von Zeiträumen, in denen andere, mit einem Freiheitsentzug von ähnlicher Wirkung wie eine Inhaftierung verbundene Maßnahmen angewendet wurden.

    46

    Aus dem Wortlaut, dem Kontext und dem Ziel von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 ergibt sich somit, dass der Begriff „Haft“ im Sinne dieser Bestimmung keine freiheitsbeschränkende, sondern eine freiheitsentziehende Maßnahme bezeichnet, die nicht zwangsläufig die Form einer Inhaftierung haben muss.

    47

    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und insbesondere der zwischen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen einerseits und freiheitsentziehenden Maßnahmen andererseits zu treffenden Unterscheidung ist der Begriff „Haft“ im Sinne von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen, dass er neben der Inhaftierung jede dem Betroffenen auferlegte Maßnahme oder Gesamtheit von Maßnahmen umfasst, durch die ihm aufgrund ihrer Art, ihrer Dauer, ihrer Wirkungen und ihrer Durchführungsmodalitäten die Freiheit in einer der Inhaftierung vergleichbaren Weise entzogen wird.

    48

    Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Begriff „Recht auf Freiheit“ in Art. 5 Abs. 1 EMRK, der Art. 6 der Charta entspricht, bestätigt diese Auslegung.

    49

    In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die darin enthaltenen Rechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird.

    50

    Hierzu ergibt sich aus den nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta bei deren Auslegung zu berücksichtigenden Erläuterungen zu Art. 52 Abs. 3 der Charta (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 20, sowie vom 27. Mai 2014, Spasic, C‑129/14 PPU, EU:C:2014:586, Rn. 54), dass durch diese Bestimmung die notwendige Kohärenz zwischen den in der Charta enthaltenen Rechten und den entsprechenden durch die EMRK garantierten Rechten geschaffen werden soll, ohne dass dadurch die Eigenständigkeit des Unionsrechts und des Gerichtshofs der Europäischen Union berührt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Februar 2016, N., C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 47).

    51

    Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betrifft das in Art. 5 Abs. 1 EMRK niedergelegte „Recht auf Freiheit“ keine bloßen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, sondern erfasst nur freiheitsentziehende Maßnahmen. Zur Klärung der Frage, ob einer Person im Sinne von Art. 5 EMRK „die Freiheit entzogen“ wurde, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass von ihrer konkreten Situation auszugehen sei und ein Bündel von Kriterien, wie die Art, die Dauer, die Wirkungen und die Durchführungsmodalitäten der in Rede stehenden Maßnahme, zu berücksichtigen seien (vgl. in diesem Sinne EGMR, 6. November 1980, Guzzardi/Italien, CE:ECHR:1980:1106JUD000736776, § 92, und 5. Juli 2016, Buzadji/Republik Moldawien, CE:ECHR:2016:0705JUD002375507, § 103).

    52

    Hierzu hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 20. April 2010, Villa/Italien (CE:ECHR:2010:0420JUD001967506, §§ 43 und 44), ausgeführt, dass Maßnahmen, die den Betroffenen verpflichteten, sich einmal monatlich bei der für die Überwachung zuständigen Polizeidienststelle zu melden, mit der psychiatrischen Abteilung des betreffenden Krankenhauses in Verbindung zu bleiben, an einem bestimmten Ort zu wohnen, sich nicht von der Wohnsitzgemeinde zu entfernen sowie von 22 Uhr bis 7 Uhr zuhause zu bleiben, keinen Freiheitsentzug im Sinne von Art. 5 Abs. 1 EMRK darstellten.

    53

    Bei der Umsetzung von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 muss die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats des Europäischen Haftbefehls prüfen, ob die gegenüber dem Betroffenen im Vollstreckungsmitgliedstaat angeordneten Maßnahmen einem Freiheitsentzug in dem in Rn. 47 des vorliegenden Urteils genannten Sinne gleichzustellen sind und daher eine Haft im Sinne von Art. 26 Abs. 1 darstellen. Kommt die Justizbehörde im Rahmen ihrer Prüfung zu dem Ergebnis, dass dies der Fall ist, ist sie nach Art. 26 Abs. 1 verpflichtet, die Gesamtdauer des Zeitraums, in dem die Maßnahmen angewendet wurden, auf die Dauer der von dieser Person im Ausstellungsmitgliedstaat des Europäischen Haftbefehls zu verbüßenden Freiheitsstrafe anzurechnen.

    54

    Insoweit ist hervorzuheben, dass Maßnahmen wie ein nächtlicher Hausarrest von neun Stunden, verbunden mit der Überwachung des Betroffenen mittels einer elektronischen Fußfessel, einer Verpflichtung, sich täglich oder mehrmals pro Woche zu festgelegten Zeiten bei einer Polizeidienststelle zu melden, sowie dem Verbot, Dokumente für Reisen ins Ausland zu beantragen, zweifellos die Bewegungsfreiheit des Betroffenen beschränken, aber grundsätzlich keine so starke Zwangswirkung haben, dass mit ihnen eine freiheitsentziehende Wirkung verbunden wäre und sie daher als „Haft“ im Sinne von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 einzustufen wären.

    55

    Da sich Art. 26 Abs. 1 darauf beschränkt, ein Mindestschutzniveau der Grundrechte der im Europäischen Haftbefehl bezeichneten Person vorzuschreiben, kann er jedoch, wie der Generalanwalt in Nr. 72 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats des Haftbefehls daran hindert, auf der Grundlage allein des nationalen Rechts einen Zeitraum, in dem die Person im Vollstreckungsmitgliedstaat keinen freiheitsentziehenden, sondern freiheitsbeschränkenden Maßnahmen unterworfen war, ganz oder teilweise auf die Gesamtdauer des von ihr im Ausstellungsmitgliedstaat zu verbüßenden Freiheitsentzugs anzurechnen.

    56

    Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats des Europäischen Haftbefehls bei der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angesprochenen Prüfung auf der Grundlage von Art. 26 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats um alle Informationen ersuchen kann, deren Übermittlung für notwendig erachtet wird.

    57

    Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen ist, dass Maßnahmen wie ein nächtlicher Hausarrest von neun Stunden in Verbindung mit der Überwachung des Betroffenen mittels einer elektronischen Fußfessel, der Verpflichtung, sich täglich oder mehrmals pro Woche zu festgelegten Zeiten bei einer Polizeidienststelle zu melden, sowie dem Verbot, die Ausstellung von Dokumenten für Reisen ins Ausland zu beantragen, in Anbetracht der Art, der Dauer, der Wirkungen und der Durchführungsmodalitäten dieses Bündels von Maßnahmen grundsätzlich keine so starke Zwangswirkung haben, dass mit ihnen eine mit einer Inhaftierung vergleichbare freiheitsentziehende Wirkung verbunden wäre und sie daher als „Haft“ im Sinne der genannten Bestimmung eingestuft werden können; dies zu prüfen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.

    Kosten

    58

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Maßnahmen wie ein nächtlicher Hausarrest von neun Stunden in Verbindung mit der Überwachung des Betroffenen mittels einer elektronischen Fußfessel, der Verpflichtung, sich täglich oder mehrmals pro Woche zu festgelegten Zeiten bei einer Polizeidienststelle zu melden, sowie dem Verbot, die Ausstellung von Dokumenten für Reisen ins Ausland zu beantragen, in Anbetracht der Art, der Dauer, der Wirkungen und der Durchführungsmodalitäten dieses Bündels von Maßnahmen grundsätzlich keine so starke Zwangswirkung haben, dass mit ihnen eine mit einer Inhaftierung vergleichbare freiheitsentziehende Wirkung verbunden wäre und sie daher als „Haft“ im Sinne der genannten Bestimmung eingestuft werden können; dies zu prüfen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

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