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Document 62015CC0320

    Schlussanträge des Generalanwalts M. Bobek vom 30. März 2017.
    Europäische Kommission gegen Hellenische Republik.
    Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 91/271/EWG – Behandlung von kommunalem Abwasser – Art. 4 Abs. 1 und 3 – Zweitbehandlung oder gleichwertige Behandlung.
    Rechtssache C-320/15.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2017:246

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MICHAL BOBEK

    vom 30. März 2017 ( 1 )

    Rechtssache C‑320/15

    Europäische Kommission

    gegen

    Hellenische Republik

    „Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Behandlung von kommunalem Abwasser – Art. 4 Abs. 1 und 3 sowie Anhang I Abschnitt B und Abschnitt D der Richtlinie 91/271/EWG – Repräsentative Proben“

    I. Einleitung

    1.

    Mit der Richtlinie 91/271/EWG des Rates über die Behandlung von kommunalem Abwasser (im Folgenden: Abwasserrichtlinie oder Richtlinie) ( 2 ) soll die Umwelt insbesondere vor den schädlichen Auswirkungen der Einleitung von unzureichend gereinigtem kommunalem Abwasser geschützt werden. Sie legt die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der geeigneten Behandlung kommunaler Abwasser fest. Um nachzuweisen, dass das kommunale Abwasser den einschlägigen Anforderungen entspricht, haben die Mitgliedstaaten dem kommunalen Abwasser, das sie der vorgeschriebenen Behandlung unterzogen haben, Proben zu entnehmen.

    2.

    Die Kommission macht geltend, die Hellenische Republik habe ihre Verpflichtungen aus der Abwasserrichtlinie in Bezug auf acht Gemeinden verletzt. In Bezug auf fünf dieser Gemeinden wird der geltend gemachte Verstoß von diesem Mitgliedstaat eingeräumt. Streitig ist dagegen, ob die Hellenische Republik der Kommission für die anderen drei Gemeinden eine ausreichende Zahl von Proben des behandelten Abwassers gestellt hat.

    3.

    Die Frage, wie viele Proben nach der Abwasserrichtlinie erforderlich sind, ist nicht neu. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs dazu ist allerdings auch nicht immer einheitlich gewesen. In Abstimmung mit dem Gerichtshof konzentriere ich mich in den vorliegenden Schlussanträgen daher auf die Klärung dieses Gesichtspunkts.

    II. Rechtlicher Rahmen

    4.

    Die in der Abwasserrichtlinie geregelten Verpflichtungen bestimmen sich nach dem „Einwohnerwert“ (im Folgenden: EW) der betreffenden Gemeinde ( 3 ).

    5.

    Nach Art. 3 Abs. 1 der Abwasserrichtlinie hatten die Mitgliedstaaten u. a. dafür Sorge zu tragen, dass alle Gemeinden von 2000 bis 15000 EW ( 4 ) bis zum 31. Dezember 2005 mit einer Kanalisation ( 5 ) ausgestattet werden.

    6.

    Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten u. a. sicherzustellen, dass in Kanalisationen eingeleitetes kommunales Abwasser vor dem Einleiten in Gewässer einer Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung unterzogen wird. Gemeinden von 10000 bis 15000 EW und Gemeinden von 2000 bis 10000 EW, die in Binnengewässer und Ästuare einleiten, hatten diese Bestimmung bis zum 31. Dezember 2005 zu erfüllen.

    7.

    Nach Art. 4 Abs. 3 der Abwasserrichtlinie muss Abwasser im Ablauf kommunaler Behandlungsanlagen den einschlägigen Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B der Richtlinie entsprechen.

    8.

    In Anhang I Abschnitt B sind die Anforderungen an Einleitungen aus einer kommunalen Abwasserbehandlungsanlage in aufnehmende Gewässer wie folgt geregelt:

    „1.

    Abwasserbehandlungen müssen so ausgelegt oder umgerüstet werden, dass vor dem Einleiten in Gewässer repräsentative Proben des zugeleiteten Abwassers und des behandelten Abwassers entnommen werden können.

    2.

    Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen, die einer Behandlung nach den Artikeln 4 und 5 der Richtlinie unterliegen, müssen den Anforderungen in Tabelle 1 entsprechen.

    …“

    9.

    Nach Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 der Abwasserrichtlinie überwachen die zuständigen Behörden oder Stellen u. a. die Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen entsprechend dem Kontrollverfahren nach Anhang I Abschnitt D, um die Einhaltung der Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B zu überprüfen.

    10.

    In Anhang I Abschnitt D der Abwasserrichtlinie sind die Referenzmethoden für die Überwachung und Auswertung der Ergebnisse festgelegt. Nach Nr. 3 soll die Mindestzahl jährlicher Probenahmen entsprechend der Größe der Abwasserbehandlungsanlage festgesetzt werden, wobei die Proben in regelmäßigen zeitlichen Abständen zu entnehmen sind. Für Behandlungsanlagen mit einer Kapazität von 2000 bis 9999 EW gilt eine Mindestzahl von zwölf Proben im ersten Jahr. In den darauffolgenden Jahren werden vier Proben verlangt, wenn die Proben im ersten Jahr der Abwasserrichtlinie entsprechen. Wenn eine der vier Proben den Grenzwert überschreitet, sind im folgenden Jahr zwölf Proben zu entnehmen. Für Behandlungsanlagen mit einer Kapazität von 10000 bis 49000 EW beträgt die Mindestzahl zwölf Proben.

    III. Verfahren

    11.

    Mit Schreiben vom 29. Mai 2007 forderte die Kommission die Hellenische Republik auf, innerhalb von sechs Monaten Daten über die Durchführung der Abwasserrichtlinie zu übermitteln, damit die Einhaltung von Art. 4 der Abwasserrichtlinie überprüft werden könne. Die Aufforderung betraf Gemeinden mit einem EW von mehr als 2000.

    12.

    Nach Prüfung der von der Hellenischen Republik für das Jahr 2007 übersandten Daten gelangte die Kommission zu dem Ergebnis, dass in Bezug auf 62 Gemeinden ein Verstoß gegen Art. 4 der Abwasserrichtlinie vorliege.

    13.

    Mit Schreiben vom 5. Oktober 2010 bat die Kommission um Erläuterungen. Mit Antwortschreiben vom 21. Dezember 2010 übermittelte die Hellenische Republik weitere Informationen.

    14.

    Am 17. Juni 2011 übersandte die Kommission ein Mahnschreiben, in dem sie feststellte, dass die Hellenische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus der Abwasserrichtlinie verstoßen habe. Die Hellenische Republik antwortete mit Schreiben vom 11. August 2011 und übermittelte weitere Informationen zu den betreffenden Gemeinden.

    15.

    Am 1. Juni 2012 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Hellenische Republik, in der sie feststellte, dass dieser Mitgliedstaat weiterhin gegen die Abwasserrichtlinie verstoße.

    16.

    Nach einem weiteren Austausch von Informationen richtete die Kommission am 21. Februar 2014 eine ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme an die Hellenische Republik, in der sie feststellte, dass acht Gemeinden, nämlich Prosotsani, Doxato, Eleftheroupoli, Vagia, Desfina, Galatista, Polychrono und Chaniotis, Art. 4 der Abwasserrichtlinie nicht einhielten.

    17.

    Am 26. Juni 2015 hat die Kommission eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV erhoben. Sie beantragt, festzustellen, dass die Hellenische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 1 und 3 der Abwasserrichtlinie verstoßen hat.

    18.

    Die Hellenische Republik und die Kommission haben schriftlich Stellung genommen. Beide Parteien haben in der Sitzung am 25. Januar 2017 mündliche Ausführungen gemacht.

    IV. Würdigung

    19.

    Die Schlussanträge gliedern sich wie folgt: Als Erstes gebe ich einen kurzen Überblick über die bisherige Rechtsprechung, die ausdrücklich oder implizit auf die Verbindung zwischen den Vorschriften der Abwasserrichtlinie und den Abschnitten B und D ihres Anhangs I eingeht (A). Als Zweites werde ich versuchen, diese Rechtsprechung in Bezug auf zwei Kernfragen, die im Mittelpunkt dieses Verfahrens stehen, zu strukturieren: die innere Logik und Struktur der Abwasserrichtlinie und das Verhältnis zwischen ihren Vorschriften und Anhang I (B.1) sowie die entsprechenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten bezüglich der zu stellenden Proben (B.2). Der dritte Teil (C) behandelt den vorliegenden Fall, und zwar zunächst die Gemeinden, für die unstreitig keine Proben gestellt wurden (C.1), und danach diejenigen, bei denen dies streitig ist (C.2).

    A. Stand der Rechtsprechung

    20.

    Die Frage, welche Proben nach der Abwasserrichtlinie zu stellen sind, hat zwei zentrale Aspekte: Erstens geht es um die besondere Art der Verbindung zwischen den Art. 4 und 15 der Abwasserrichtlinie einerseits und Anhang I Abschnitte B und D andererseits. Daraus ergibt sich die weitere Frage nach Quantität und Qualität der Proben, die von den Mitgliedstaaten nach diesen Vorschriften zu stellen sind.

    21.

    Der Gerichtshof hatte bereits wiederholt Gelegenheit, zur Frage der Verbindung zwischen den genannten Vorschriften der Abwasserrichtlinie und ihrem Anhang I Abschnitte B und D Stellung zu nehmen.

    22.

    Im Urteil Kommission/Italien ( 6 ) hat der Gerichtshof entschieden, dass aus der Tatsache, dass den Anforderungen nach Anhang I Abschnitt D der Abwasserrichtlinie genügt wurde, folgt, dass kein Verstoß gegen Art. 4 dieser Richtlinie vorliegt.

    23.

    Die Frage, ob auch der Umkehrschluss gerechtfertigt ist, dass nämlich Art. 4 nur dann eingehalten ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat die Anzahl von Proben stellt, die entsprechend der in Anhang I Abschnitt D beschriebenen Methode zu entnehmen sind, war später in der Rechtssache Kommission/Belgien streitig. Belgien war der Ansicht, „dass nach Art. 4 und Anhang I Abschnitt B der Richtlinie die aus dieser folgenden Verpflichtungen erfüllt seien, sobald eine Behandlungsanlage für eine Gemeinde in Betrieb genommen worden sei und die ersten Analyseresultate zeigten, dass die Zusammensetzung der Ableitungen den in Anhang I Tabelle 1 der Richtlinie genannten Normen entspreche“ ( 7 ).

    24.

    Der Gerichtshof hat diese Rechtssache entschieden, ohne ausdrücklich dazu Stellung zu nehmen. In Bezug auf die betreffenden Gemeinden stellte er fest, dass „sie zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift der Kommission zwar über Behandlungsanlagen verfügten, dass aber entgegen Anhang I Abschnitt D der Richtlinie im ersten Jahr ihres Betriebs keine zwölf Proben genommen worden waren“. Der Gerichtshof führte dann aber weiter aus, dass „die beiden in Rede stehenden Gemeinden bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht über Behandlungsanlagen verfügten und dass sie damit nicht den Anforderungen des Art. 4 der Richtlinie genügten“ ( 8 ).

    25.

    In der Rechtssache Kommission/Portugal (im Folgenden: Kommission/Portugal Nr. I) machte die Kommission geltend, dass „die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach Art. 4 der [Abwasserrichtlinie] die Durchführung der in Anhang I Abschnitt D dieser Richtlinie vorgesehenen Kontrollen [implizieren]. Insoweit müssten über den Zeitraum eines Jahres eine Mindestzahl von Proben … entnommen werden“ ( 9 ).

    26.

    Zur Frage der Verbindung zwischen Art. 4 und Anhang I Abschnitte B und D hat Generalanwalt Cruz Villalón in seinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache klärende Ausführungen gemacht. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 der Abwasserrichtlinie nach Maßgabe des Anhangs I Abschnitt B und nicht des Anhangs I Abschnitt D zu prüfen seien. Anhang I Abschnitt D beziehe sich nämlich auf Art. 15 der Abwasserrichtlinie, der die Überwachung nach der Inbetriebnahme betreffe. Damit sei „eine fortlaufende Verpflichtung [verbunden], die sicherstellen soll, dass das eingeleitete Abwasser langfristig den Qualitätsanforderungen entspricht, die ab der Inbetriebnahme der Anlage zu erfüllen sind“ ( 10 ). Um festzustellen, ob eine bestimmte Behandlungsanlage den Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B entspreche, „ist es nicht erforderlich, das Verfahren zur Probenahme gemäß Anhang I Abschnitt D durchzuführen“ ( 11 ).

    27.

    Generalanwalt Cruz Villalón wies zudem darauf hin, dass, wenn es zur Prüfung der Einhaltung von Art. 4 wirklich erforderlich wäre, über einen Zeitraum von einem Jahr Proben zu entnehmen, dies bedeuten würde, dass die Proben zu den in Art. 4 vorgesehenen Zeitpunkten gestellt werden müssten. Das würde aber bedeuten, dass der in Art. 3 festgelegte Termin, bis zu dem sämtliche Gemeinden über eine Kanalisation verfügen müssen, so zu verstehen wäre, dass er sich auf einen Zeitpunkt beziehe, der ein Jahr vor den tatsächlich vorgesehenen Zeitpunkten läge ( 12 ).

    28.

    Im Urteil Kommission/Portugal Nr. I folgte der Gerichtshof der vom Generalanwalt vertretenen Auslegung. Zum Vorbringen der Kommission, dass die Einhaltung des Art. 4 entsprechend einer Methode gemäß Anhang I Abschnitt D nachgewiesen werden müsse, führte der Gerichtshof aus, dass Art. 4 der Richtlinie nicht auf Anhang I Abschnitt D verweist. Unter Bezugnahme auf den Generalanwalt stellte der Gerichtshof fest, dass sich Anhang I Abschnitt D „auf eine laufende Verpflichtung [bezieht], die gewährleisten soll, dass die Einleitungen ‚im Laufe der Zeit‘“ die Qualitätsvoraussetzungen des Anhangs I Abschnitt B erfüllen ( 13 ). Art. 4 verlangt aber nicht, dass ein ganzes Jahr lang Proben genommen werden. Der Gerichtshof fügte hinzu, dass „die sich aus Art. 4 dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen als erfüllt anzusehen [sind], sobald ein Mitgliedstaat eine Probe vorlegen kann, die den Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B der [Abwasserrichtlinie] entspricht“ ( 14 ).

    29.

    Im Urteil Kommission/Spanien ( 15 ) hat der Gerichtshof dieselbe Auslegung vertreten. Er erinnerte daran, dass die Verpflichtungen aus Art. 4 eingehalten sind, wenn der Mitgliedstaat eine den Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B der Abwasserrichtlinie entsprechende Probe stellen kann. Denn diese Vorschrift erfordert nicht, die Probenahme ein ganzes Jahr lang durchzuführen. Dieser Auslegung folgte der Gerichtshof dann auch bei der Beurteilung der Verpflichtungen aus Art. 5 der Abwasserrichtlinie ( 16 ).

    30.

    Die Rechtsauffassung, dass eine Probe ausreicht, ist jedoch im Urteil Kommission/Hellenische Republik nicht klar zum Ausdruck gekommen ( 17 ). Der Gerichtshof stützte sich bei seiner Feststellung eines Verstoßes der Hellenischen Republik gegen Art. 4 Abs. 3 der Abwasserrichtlinie darauf, dass dieser Mitgliedstaat den Nachweis gemäß Anhang I Abschnitt D nicht erbracht hatte ( 18 ).

    31.

    In einer späteren, ebenfalls Portugal betreffenden Rechtssache (im Folgenden: Kommission/Portugal Nr. II) ( 19 ) war ein Verfahren nach Art. 260 Abs. 2 AEUV eingeleitet worden ( 20 ). Die Kommission machte erneut geltend, dass es zum Nachweis der Einhaltung von Art. 4 der Abwasserrichtlinie notwendig sei, Proben entsprechend Anhang I Abschnitt D, in dem die Mindestzahl jährlicher Probenahmen festgelegt sei, über einen Zeitraum von einem Jahr zu analysieren ( 21 ).

    32.

    Generalanwältin Kokott führte in ihren Schlussanträgen in dieser Rechtssache ( 22 ) aus, dass „[d]er Abwasserrichtlinie … allerdings nicht zu entnehmen [ist], dass die Umsetzung von Art. 4 in Bezug auf eine bestimmte Kläranlage überhaupt eine Beprobung voraussetzt. Vielmehr besteht die Pflicht zur regelmäßigen Beprobung unabhängig neben der Pflicht, eine wirksame Zweitbehandlung durchzuführen“ ( 23 ). Sie war der Auffassung, dass „die Beprobung ein geeigneter Beweis dafür ist, dass eine Kläranlage den Anforderungen der Abwasserrichtlinie genügt“ ( 24 ).

    33.

    Ohne zu den Ausführungen der Kommission in der Rechtssache Kommission/Portugal Nr. II ausdrücklich Stellung zu nehmen, stellte der Gerichtshof fest, dass, da Portugal bezüglich der betreffenden Gemeinde in regelmäßigen Zeitabständen Proben entnommen hatte, das in Rede stehende Abwasser den Vorgaben des Art. 4 Abs. 3 der Abwasserrichtlinie entspricht ( 25 ).

    34.

    Zusammenfassung: Nach einer anfänglichen Mehrdeutigkeit in Bezug auf die genaue rechtliche Tragweite des Anhangs I Abschnitt D in den Urteilen Kommission/Italien ( 26 ) und Kommission/Belgien ( 27 ) hat der Gerichtshof im Urteil Kommission/Portugal Nr. I zwischen einer einmaligen Verpflichtung bezüglich der Inbetriebnahme einer Anlage nach Art. 4 und der Verpflichtung zur fortlaufenden Überwachung nach der Inbetriebnahme gemäß Art. 15 der Abwasserrichtlinie unterschieden. Er hat festgestellt, dass zum Nachweis der Einhaltung des Art. 4 der Abwasserrichtlinie eine Probe ausreichend ist.

    B. Zum Nachweis der Einhaltung des Art. 4 der Abwasserrichtlinie

    35.

    Die vorstehende Zusammenfassung lässt erkennen, dass die älteren Urteile vielleicht nicht gerade Beispiele besonderer Klarheit sind. Seit dem Urteil Kommission/Portugal Nr. I ist die Frage jedoch geklärt.

    36.

    In diesem Abschnitt werde ich die wesentlichen Bestandteile des rechtlichen Rahmens noch einmal kurz darstellen, wobei es wieder vor allem um die beiden Kernelemente geht: um die innere Struktur und Logik der einschlägigen Vorschriften der Abwasserrichtlinie (1) und dann um die Einzelheiten der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Probenahme (2).

    1. Innere Struktur der Abwasserrichtlinie

    37.

    Wie in dem vorstehenden Abschnitt dargestellt, hat Generalanwalt Cruz Villalón in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Portugal Nr. I klar zwischen Art. 4 und Anhang I Abschnitt B einerseits und Art. 15 und Anhang I Abschnitt D andererseits unterschieden. Dieser Differenzierung hat sich der Gerichtshof in seinem Urteil angeschlossen.

    38.

    Die Kommission hat bisher – und auch jetzt noch in ihren Schriftsätzen in der vorliegenden Rechtssache – die Ansicht vertreten, dass die Methode, die der Unionsgesetzgeber für die Anlagenüberwachung nach Inbetriebnahme gemäß Anhang I Abschnitt D vorgesehen habe, auch anzuwenden sei, um zu überprüfen, ob die einmalige Verpflichtung gemäß Art. 4 eingehalten worden sei.

    39.

    Diese Auffassung widerspricht jedoch der inneren Struktur und der Logik der Abwasserrichtlinie.

    40.

    Die Art. 4 und 15 dienen unterschiedlichen Zielen. Mit Art. 4 soll erreicht werden, dass die Mitgliedstaaten das kommunale Abwasser in bestimmten Gemeinden bis zu einem bestimmten Datum einer Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung unterziehen. Mit Art. 15 soll erreicht werden, dass die Mitgliedstaaten dieses kommunale Abwasser über die gesamte Betriebsdauer einer bestimmten Behandlungsanlage hinweg einer Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung unterziehen.

    41.

    Diesen unterschiedlichen Zielsetzungen entsprechend verweisen diese Vorschriften auf unterschiedliche Abschnitte des Anhangs I der Abwasserrichtlinie. Diese Abschnitte regeln die Einzelheiten der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Probenahme. Inhaltlich entsprechen sie den unterschiedlichen Zielsetzungen von Art. 4 und Art. 15.

    42.

    Art. 4 Abs. 3 verweist auf Anhang I Abschnitt B, in dem die konkreten Werte für die Zweitbehandlung oder gleichwertige Behandlung festgelegt sind, die im Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Kanalisation einzuhalten sind.

    43.

    Art. 15 verweist auf Anhang I Abschnitt D, in dem das Kontrollverfahren geregelt ist, um nach der Inbetriebnahme der Kanalisation die kontinuierliche Einhaltung der in Anhang I Abschnitt B genannten Werte zu überwachen. Diese Regelung über die Überwachung nach der Inbetriebnahme stellt auf den Zeitraum eines Jahres ab. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, im Laufe des Jahres und in regelmäßigen Abständen Proben des gereinigten Abwassers zu entnehmen.

    44.

    Zusammenfassung: Für die Frage, welche Verpflichtungen nach Art. 4 und Anhang I Abschnitt B bestehen, ist folgerichtig ein bestimmter Zeitpunkt maßgebend: der Zeitpunkt in dem die Kanalisation in Betrieb genommen wird. Bei der Frage, welche Verpflichtungen nach Art. 15 und Anhang I Abschnitt D bestehen, geht es dagegen um einen kontinuierlichen Prozess von unbestimmter Dauer. Darüber hinaus bleibt Anhang I Abschnitt B für die konkreten materiellen Anforderungen (Werte) maßgebend, die während der gesamten Betriebsdauer der Kanalisation eingehalten werden müssen.

    2. Verpflichtung zur Probenahme gemäß Art. 4 der Abwasserrichtlinie

    45.

    Welche Pflichten im Hinblick auf die Probenahme im Einzelnen bestehen, ergibt sich naturgemäß aus der oben dargestellten inneren Struktur der Abwasserrichtlinie.

    46.

    Es wurde bereits geklärt, dass die Kommission nicht verlangen kann, dass die Mitgliedstaaten gemäß Anhang I Abschnitt D während eines Jahres zwölf Proben entnehmen müssen, um die Einhaltung des Art. 4 der Abwasserrichtlinie zu überprüfen.

    47.

    Die Kommission scheint ihre bisherige Auffassung, dass zwölf Proben erforderlich sind, nunmehr aufgegeben zu haben. In der mündlichen Verhandlung konzentrierte sie sich vielmehr auf das Argument, dass die von den Mitgliedstaaten gestellten Proben repräsentativ sein müssten.

    48.

    Tatsächlich bestimmt Nr. 1 des Anhangs I Abschnitt B, dass „Abwasserbehandlungen … so ausgelegt oder umgerüstet werden [müssen], dass vor dem Einleiten in Gewässer repräsentative Proben des zugeleiteten Abwassers und des behandelten Abwassers entnommen werden können“ ( 28 ).

    49.

    Die Kommission hat daher Recht, wenn sie sagt, dass die nach Art. 4 in Verbindung mit Anhang I Abschnitt B erforderlichen Proben repräsentativ sein müssen. In Anhang I Abschnitt B (oder anderswo in der Abwasserrichtlinie) ist jedoch nicht im Einzelnen bestimmt, was unter dem Begriff der repräsentativen Proben zu verstehen ist.

    50.

    Was also sind „repräsentative Proben“? Dieser Begriff hat zwei Dimensionen, die der Klärung bedürfen: eine quantitative und eine qualitative Dimension.

    51.

    Was die quantitative Dimension, also die Anzahl der Proben, betrifft, sind drei Gesichtspunkte hervorzuheben.

    52.

    Erstens ist, wie bereits ausgeführt, nach der inneren Struktur der Abwasserrichtlinie zwischen Art. 4 und Art. 15 zu unterscheiden. Diese Vorschriften beziehen sich auf unterschiedliche Abschnitte des Anhangs I. Das hat zur Folge, dass die Anzahl der Proben, die jeweils verlangt wird, logischerweise unterschiedlich sein muss. Hätte der Unionsgesetzgeber die Absicht gehabt, die Möglichkeit des Nachweises der Einhaltung von Art. 4 Abs. 3 von der Probenahme während eines ganzen Jahres abhängig zu machen, hätte er dasselbe Verfahren wie das in Anhang I Abschnitt D verwendete gewählt.

    53.

    Zweitens muss die Anzahl der Proben, die gemäß Anhang I Abschnitt B zu stellen sind, auch niedriger sein als die nach Anhang I Abschnitt D. Dies ergibt sich wiederum aus der unterschiedlichen Zielsetzung der beiden Vorschriften: die Anforderungen an die Überwachungspflichten für die Zeit nach der Inbetriebnahme, die sich auf Jahresperioden beziehen, sind notwendigerweise höher als an den Nachweis, dass die Anlage zu einem bestimmten Zeitpunkt in Betrieb genommen wurde und begonnen hat, kommunale Abwässer einer Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung zu unterziehen.

    54.

    Die Wertmenge „weniger als 12“ mag im Bereich der Arithmetik der natürlichen Zahlen ohne Weiteres eindeutig sein, in Bezug auf den von den Mitgliedstaaten vorzulegenden Nachweis im Rahmen der Abwasserrichtlinie bedarf sie jedoch weiterer Klärung.

    55.

    Drittens sind insoweit Logik und Ziel von Art. 4 der Abwasserrichtlinie von Bedeutung. Wie bereits im vorstehenden Abschnitt der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, knüpfen Art. 4 und Anhang I Abschnitt B an einen bestimmten Zeitpunkt und die entsprechende Kontrolle an: die Inbetriebnahme der erforderlichen Zweitbehandlung kommunaler Abwässer zu den festgelegten Zeitpunkten. Da es sich dabei im Gegensatz zu der späteren kontinuierlichen Überwachung nach Art. 15 der Abwasserrichtlinie um eine einmalige Überprüfung handelt, die sich auf einen konkreten Zeitpunkt bezieht, sollte eine Probe ausreichen.

    56.

    Der Gerichtshof hat daher im Urteil Kommission/Portugal Nr. I hinsichtlich der genauen Anzahl der Proben ausdrücklich bestätigt, dass eine Probe, die die in Anhang I Abschnitt B genannten Werte einhält, zum Nachweis der Einhaltung des Art. 4 der Abwasserrichtlinie ausreichend ist.

    57.

    In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen kann nur noch einmal wiederholt werden, dass die Beweiswürdigung zwangsläufig vom Einzelfall abhängt. Sie muss die Umstände des jeweiligen Falles berücksichtigen. Zum Nachweis, dass die Kanalisation eines Mitgliedstaats den Anforderungen von Art. 4 Abs. 3 und Anhang I Abschnitt B entspricht, ist aber im Allgemeinen eine Probe ausreichend.

    58.

    Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass in Anhang I Abschnitt B der Plural verwendet wird. Dort ist die Rede von repräsentativen Proben und nicht von einer repräsentativen Probe.

    59.

    Diese Formulierung knüpft jedoch, was auf den ersten Blick überraschend erscheinen mag, nicht an die Quantität der Proben, sondern an die innere Qualität und Zusammensetzung der erforderlichen Probe an.

    60.

    Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung hilfreich erläutert hat, beruht die Verwendung des Plurals in Anhang I Abschnitt B darauf, dass es für die Überprüfung der Einhaltung des Anhang I Abschnitt B für die Zwecke des Art. 4 der Richtlinie zweier unterschiedlicher Arten von Proben bedarf: einer Probe für das zugeleitete Abwasser und einer Probe für das ausgeleitete behandelte Abwasser.

    61.

    Die Kommission hat damit zwischen der Qualität der Proben und ihrer Quantität unterschieden. Sie räumt ein, dass in Bezug auf die Quantität der Proben nach dem Urteil Kommission/Portugal Nr. I ( 29 ) eine Probe ausreichend ist. Diese Probe müsse aber die erforderliche Qualität aufweisen.

    62.

    Vorbehaltlich der – in Abschnitt C.2 der vorliegenden Schlussanträge (Nrn. 84 ff.) behandelten – Frage, ob dieses Argument im Rahmen des vorliegenden Verfahrens geltend gemacht werden kann, entspricht ein solcher Ansatz im Allgemeinen dem Wortlaut des Anhangs I Abschnitt B. Tatsächlich spricht Nr. 1 des Anhangs I Abschnitt B von „Proben des zugeleiteten Abwassers und des behandelten Abwassers“.

    63.

    Zusammenfassend lässt sich daher feststellen: Um die Einhaltung des Art. 4 der Abwasserrichtlinie nachzuweisen, muss der Mitgliedstaat mindestens eine repräsentative Probe stellen. Grundsätzlich kann die Kommission gemäß dem Wortlaut des Anhangs I Abschnitt B Nr. 1 verlangen, dass der Mitgliedstaat ein Probenpaar, und zwar eine Probe des zugeleiteten Abwassers und eine Probe des behandelten Abwassers, stellt. Nach dem Urteil Kommission/Portugal Nr. I können beide Teile dieses Probenpaars, soweit dies technisch machbar ist, jedoch zum selben Zeitpunkt entnommen werden. Die Probe ist insoweit eine „Mehrzahl“, als sie aus den zwei genannten Teilen besteht und daher repräsentativ ist, kann aber eine „Einzahl“ in dem Sinne sein, dass die beiden Teile zur gleichen Zeit entnommen werden.

    C. Der vorliegende Fall

    64.

    Nach ständiger Rechtsprechung trägt bei einer von der Kommission nach Art. 258 AEUV erhobenen Vertragsverletzungsklage die Kommission die Beweislast. Ihr obliegt es, dem Gerichtshof alle für die Prüfung der Vertragsverletzung erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern. Ob der Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat, ist anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war ( 30 ).

    65.

    Im vorliegenden Fall lief diese Frist, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, am 21. April 2014 ab.

    1. Die Gemeinden Prosotsani, Doxatou, Eleftheroupoli, Vagia und Galatista

    66.

    In Bezug auf die Gemeinden Prosotsani, Doxatou, Eleftheroupoli, Vagia und Galatista ist die Hellenische Republik dem geltend gemachten Verstoß nicht entgegengetreten. Sie räumt ein, dass die erforderlichen Arbeiten für den Bau oder die Anpassung der Kanalisationen noch nicht beendet sind. Hinsichtlich der Gemeinden Prosotsani, Doxatou, Eleftheroupoli und Vagia räumt sie ein, dass die Anforderungen nach der Abwasserrichtlinie erst nach Abschluss der gegenwärtigen Bauarbeiten erfüllt sein werden. Hinsichtlich der Gemeinde Galatista räumt sie ein, dass die Kanalisation den Anforderungen der Abwasserrichtlinie nicht entspricht und ersetzt werden muss.

    67.

    Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 258 AEUV ist es Sache des Gerichtshofs, festzustellen, ob die beanstandete Vertragsverletzung vorliegt oder nicht, auch wenn der betroffene Mitgliedstaat die Vertragsverletzung nicht bestreitet ( 31 ).

    68.

    Vorliegend räumt die Hellenische Republik ein, dass die Kanalisationen in den genannten Gemeinden noch nicht fertiggestellt bzw. noch anzupassen sind. Dies wurde in der mündlichen Verhandlung grundsätzlich bestätigt. Soweit es darum geht, dass die kommunalen Abwasser in diesen fünf Gemeinden vor Einleitung in die Gewässer keiner Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung unterzogen wurden, gibt es also keinen Widerspruch gegen die von der Kommission für den Verstoß gegen Art. 4 der Abwasserrichtlinie angeführten Beweise.

    2. Die Gemeinden Polychrono, Chaniotis und Desfina

    69.

    Umstritten ist, ob in Bezug auf die drei nachstehend genannten Gemeinden ein Verstoß vorliegt:

    70.

    Für Polychrono stellte die Hellenische Republik zwölf Proben für das Jahr 2012 und zwölf Proben für das Jahr 2013. Die Kommission trägt vor, dass vier Proben für 2012 die vorgeschriebenen Werte überschritten. Auch drei Proben für 2013 lägen über diesen Werten. Damit sei die nach Tabelle 3 des Anhangs I höchstzulässige Anzahl von Proben, bei denen Abweichungen zulässig seien, überschritten. Nach Ansicht der Kommission können die gestellten Proben nicht als repräsentative Proben angesehen werden, weil sie nicht entsprechend Anhang I Abschnitt D entnommen worden seien. Für die Monate Januar bis April 2012 sowie Januar bis April, November und Dezember 2013 seien keine Proben gestellt worden. Die Kommission hat ihren Standpunkt, dass die Hellenische Republik keine Proben gestellt habe, die die Einhaltung der Anforderungen belegten, auch im Licht der 16 Proben, die der Mitgliedstaat im Jahr 2013 während des schriftlichen Vorverfahrens zu seiner Verteidigung stellte, grundsätzlich unverändert aufrechterhalten.

    71.

    Für die Gemeinde Chaniotis stellte die Hellenische Republik zwölf Proben für das Jahr 2012. Nach Angaben der Kommission wurden die vorgeschriebenen Werte nur bei einer Probe nicht eingehalten. Die gestellten Proben könnten jedoch nicht als repräsentativ und in regelmäßigen Abständen entnommen angesehen werden, weil zwischen Januar und April 2012 keine Probenahme erfolgt sei. Außerdem sei zunächst keine Probe für 2013 gestellt worden. Zu den Proben, die die Hellenische Republik im schriftlichen Vorverfahren zu ihrer Verteidigung stellte, trägt die Kommission vor, dass die Proben für 2013 die vorgeschriebenen Werte nicht eingehalten hätten und die Proben für 2014 nicht in regelmäßigen Abständen entnommen worden seien.

    72.

    Für Desfina stellte die Hellenische Republik vier Proben für 2011, zwei Proben für 2012 und acht Proben für 2013. Die Kommission macht geltend, dass gemäß Anhang I Abschnitt D im Jahr 2012 zwölf Proben zu entnehmen gewesen wären, da eine der Proben von 2011 die vorgeschriebenen Werte nicht eingehalten habe. Auch im Jahr 2012 habe eine der Proben die vorgeschriebenen Werte nicht eingehalten, so dass die Hellenische Republik im Jahr 2013 zwölf Proben hätte entnehmen müssen. Die entnommenen Proben seien außerdem nicht in regelmäßigen Abständen entnommen worden, da ihre Anzahl nicht ausreichend gewesen sei. Ferner habe einer der Parameter einer der für 2013 gestellten Proben nicht die in Anhang I Abschnitt D Nr. 4 der Abwasserrichtlinie vorgeschriebenen Werte eingehalten.

    73.

    In ihrem schriftlichen Vortrag macht die Kommission mit anderen Worten geltend, dass es für eine zuverlässige Beurteilung gemäß Art. 4 der Abwasserrichtlinie erforderlich gewesen wäre, dass die Hellenische Republik für jede der betroffenen Gemeinden zufriedenstellende Ergebnisse entsprechend den in Anhang I Abschnitt D festgelegten Methoden über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr nach Inbetriebnahme der jeweiligen Kanalisation hätte übermitteln müssen.

    74.

    Aus den im vorstehenden Abschnitt angeführten Gründen ist die Auffassung der Kommission unzutreffend. Wie immer man die für diese drei Gemeinden gestellten Proben betrachten will, sie entsprechen in quantitativer Hinsicht den Anforderungen von Art. 4 in Verbindung mit Anhang I Abschnitt B. Es wurde mehr als nur eine Probe gestellt.

    75.

    In der mündlichen Verhandlung ist die Kommission aufgefordert worden, zum Urteil des Gerichtshofs Kommission/Portugal Nr. I Stellung zu nehmen. Sie hat eingeräumt, dass auf der Grundlage dieses Urteils eine Probe ausreichen kann, um die Einhaltung von Art. 4 der Abwasserrichtlinie nachzuweisen.

    76.

    Obwohl die Kommission in diesem Punkt nachgibt, macht sie doch geltend, dass die im vorliegenden Fall gestellten Proben in Bezug auf ihre Qualität nicht repräsentativ gewesen seien.

    77.

    Erstens erläutert die Kommission, dass eine Probe, um als repräsentativ gelten zu können, zu einem bestimmten Zeitpunkt entnommen werden müsse, der nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen sei und bei dem es sich im Grundsatz um den Zeitpunkt handeln müsse, zu dem das Abwasser in der betreffenden Gemeinde aller Voraussicht nach am stärksten belastet sei (im Sommer bei Gemeinden nahe des Meeres, in der auf die Weinlese folgenden Periode bei Weinregionen und im Winter bei Gemeinden im Gebirge).

    78.

    Einer solchen Ausweitung des Begriffs „repräsentativ“ muss widersprochen werden. Tatsächlich will die Kommission mit dieser Forderung die Überwachungsvorgaben des Anhangs I Abschnitt D, die auf die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach Art. 4 der Abwasserrichtlinie eindeutig keine Anwendung finden, durch die Hintertür in den Anhang I Abschnitt B einführen.

    79.

    Wie bereits festgestellt, ist zum Nachweis der Einhaltung von Art. 4 der Abwasserrichtlinie eine Probe ausreichend, die den Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B entspricht. Art. 4 und Anhang I Abschnitt B enthalten nichts dazu, zu welchem Zeitpunkt die Probe entnommen werden muss. Nach der inneren Struktur der Abwasserrichtlinie ist eine einmalige Entnahme erforderlich, die zu erfolgen hat, wenn die Kanalisation in Betrieb genommen wird.

    80.

    Es muss betont werden, dass die Kommission den betreffenden Mitgliedstaat ohne Weiteres auffordern könnte, Beweise dafür vorzulegen, dass die in Anhang I Abschnitt D festgelegten Anforderungen eingehalten werden. Eine solche Aufforderung müsste aber auf der Grundlage von Art. 15 der Abwasserrichtlinie ergehen und nicht auf der Grundlage von Art. 4. Im vorliegenden Fall macht die Kommission aber, worauf die Hellenische Republik zu Recht hinweist, einen Verstoß gegen Art. 4 und nicht gegen Art. 15 geltend.

    81.

    Zweitens hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt, sie müsse, um beurteilen zu können, ob eine Probe repräsentativ sei, über Elemente verfügen, die miteinander verglichen werden könnten, nämlich Informationen über das zugeleitete Abwasser und über das behandelte Abwasser. Ohne diese Daten könnten die Sachverständigen die Repräsentativität der gestellten Probe nicht bewerten.

    82.

    Wie ich in den Nrn. 60 bis 62 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, lässt sich diese Auffassung in Anbetracht des Wortlauts der Nr. 1 von Anhang I Abschnitt B im Allgemeinen vertreten. Tatsächlich ist in Nr. 1 des Anhangs I Abschnitt B von „repräsentativen Proben des zugeleiteten Abwassers und des behandelten Abwassers“ die Rede.

    83.

    Die Kommission hat dies im Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren aber erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen.

    84.

    Nach ständiger Rechtsprechung kann die Klage nach Art. 258 AEUV nicht auf andere Gründe als die im Vorverfahren angeführten gestützt werden. Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage den gleichen Gegenstand haben und auf die gleichen Rügen gestützt sein müssen. Das Vorverfahren soll nämlich dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit geben, zum einen seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und zum anderen von seinem Recht Gebrauch zu machen, sich gegen die Rügen der Kommission zu verteidigen ( 32 ).

    85.

    Formal ließe sich gewiss die Auffassung vertreten, dass der Klagegegenstand, nämlich ein Verstoß der Hellenischen Republik gegen Art. 4 Abs. 1 und 3 der Abwasserrichtlinie, unverändert geblieben ist. Tatsächlich ist jedoch das Vorbringen, dass die von der Hellenischen Republik gestellten Proben qualitativ nicht repräsentativ seien, völlig neu. Materiell entspricht es in keiner Weise der Begründung, auf die sich die Kommission bis dahin gestützt hat und die in Bezug auf die fraglichen Gemeinden in den Nrn. 70 bis 73 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegeben ist.

    86.

    Dieses Vorbringen ist daher zurückzuweisen. Der Gerichtshof ist in dieser Phase des Verfahrens nicht in der Lage, die Argumente der Kommission zu prüfen. Noch wichtiger ist, dass die Möglichkeit des betroffenen Mitgliedstaats, Stellung zu nehmen und seine Verteidigungsrechte wirksam wahrzunehmen, beschnitten würde, wenn der Kommission gestattet würde, so erheblich von dem Eckpfeiler ihrer Klage abzuweichen. Die Hellenische Republik hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sie zu dem Vorbringen der Kommission nicht im Vorhinein habe Stellung nehmen können und dass die Kommission die in der mündlichen Verhandlung geforderten Nachweise in Bezug auf die anderen Gemeinden, mit denen sie sich in der vorgerichtlichen Phase des vorliegenden Verfahrens ursprünglich befasst habe ( 33 ), nicht verlangt habe.

    87.

    Es ist daher abschließend festzustellen, dass die Kommission im Grundsatz anerkennt, dass die Hellenische Republik bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, für die Gemeinden Polychrono, Chaniotis und Desfina jeweils mindestens eine Probe gestellt hat, die den Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B, so wie sie von der Kommission bisher verstanden wurden, entsprach.

    88.

    Ich bin daher der Ansicht, dass die Kommission den Nachweis eines Verstoßes der Hellenischen Republik gegen Art. 4 der Abwasserrichtlinie in Bezug auf diese Gemeinden nicht erbracht hat. Insoweit ist die vorliegende Klage abzuweisen.

    V. Kosten

    89.

    Da jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, schlage ich vor, dass der Gerichtshof gemäß Art. 138 Abs. 3 Satz 1 der Verfahrensordnung entscheidet, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.

    VI. Ergebnis

    90.

    Aus den oben dargelegten Gründen schlage ich dem Gerichtshof folgende Entscheidung vor:

    a)

    Es wird festgestellt, dass die Hellenische Republik in Bezug auf die Gemeinden Prosotsani, Doxato, Eleftheroupoli, Vagia und Galatista gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 91/271/EWG des Rates vom 21. Mai 1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser verstoßen hat. Bezüglich dieser Gemeinden hat die Hellenische Republik bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzten Frist nicht sichergestellt, dass Abwasser im Ablauf kommunaler Behandlungsanlagen entsprechend den Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B dieser Richtlinie einer angemessenen Behandlung unterzogen wird.

    b)

    In Bezug auf die Gemeinden Polychrono, Chaniotis und Desfina wird die Klage abgewiesen.

    c)

    Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.


    ( 1 ) Originalsprache: Englisch.

    ( 2 ) Richtlinie des Rates vom 21. Mai 1991 (ABl. 1991, L 135, S. 40).

    ( 3 ) Ein EW ist in Art. 2 Nr. 6 definiert als „organisch-biologisch abbaubare Belastung mit einem biochemischen Sauerstoffbedarf in 5 Tagen (BSB5) von 60 g Sauerstoff pro Tag“.

    ( 4 ) Alle Gemeinden, die von dieser Rechtssache betroffen sind, haben einen EW, der zwischen 2000 und 15000 EW liegt, wobei der niedrigste 2024 EW (Gemeinde Desfina) und der höchste 10786 EW (Gemeinde Chaniotis) beträgt.

    ( 5 ) Nach Art. 2 Abs. 5 der Abwasserrichtlinie ist eine „Kanalisation“ ein „Leitungssystem, in dem kommunales Abwasser gesammelt und transportiert wird“.

    ( 6 ) Urteil vom 19. Juli 2012, Kommission/Italien (C‑565/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:476, Rn. 37).

    ( 7 ) Urteil vom 6. November 2014, Kommission/Belgien (C‑395/13, EU:C:2014:2347, Rn. 22).

    ( 8 ) Urteil vom 6. November 2014, Kommission/Belgien (C‑395/13, EU:C:2014:2347, Rn. 46 und 48).

    ( 9 ) Urteil vom 28. Januar 2016, Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2016:61, Rn. 33).

    ( 10 ) Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2015:625, Nr. 43).

    ( 11 ) Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2015:625, Nr. 44).

    ( 12 ) Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2015:625, Nr. 37).

    ( 13 ) Urteil vom 28. Januar 2016, Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2016:61, Rn. 37).

    ( 14 ) Urteil vom 28. Januar 2016, Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2016:61, Rn. 39). Hervorhebung nur hier.

    ( 15 ) Urteil vom 10. März 2016, Kommission/Spanien (C‑38/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:156, Rn. 24).

    ( 16 ) Art. 5 der Abwasserrichtlinie betrifft „empfindliche Gebiete“. Art. 5 Abs. 3 verweist ebenfalls auf Anhang I Abschnitt B.

    ( 17 ) Urteil vom 15. Oktober 2015, Kommission/Hellenische Republik (C‑167/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:684).

    ( 18 ) Im Wesentlichen vertrat der Gerichtshof die Ansicht, dass die Hellenische Republik den Nachweis nicht erbracht habe, dass sie, wie in Anhang I Abschnitt D vorgeschrieben, Proben in regelmäßigen zeitlichen Abständen entnommen habe. Deswegen lasse sich nicht nachprüfen, ob die Anforderungen nach Art. 4 Abs. 3 der Abwasserrichtlinie erfüllt seien. Urteil vom 15. Oktober 2015, Kommission/Hellenische Republik (C‑167/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:684, Rn. 48).

    ( 19 ) Urteil vom 22. Juni 2016, Kommission/Portugal (C‑557/14, EU:C:2016:471).

    ( 20 ) Diese Klage betraf die Durchführung des Urteils des Gerichtshofs vom 7. Mai 2009, Kommission/Portugal (C‑530/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:292).

    ( 21 ) Urteil vom 22. Juni 2016, Kommission/Portugal (C‑557/14, EU:C:2016:471, Rn. 43).

    ( 22 ) Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Portugal (C‑557/14, EU:C:2016:119).

    ( 23 ) Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Portugal (C‑557/14, EU:C:2016:119, Nr. 29).

    ( 24 ) Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Portugal (C‑557/14, EU:C:2016:119, Nr. 30).

    ( 25 ) Urteil vom 22. Juni 2016, Kommission/Portugal (C‑557/14, EU:C:2016:471, Rn. 63).

    ( 26 ) Urteil vom 19. Juli 2012, Kommission/Italien (C‑565/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:476).

    ( 27 ) Urteil vom 6. November 2014, Kommission/Belgien (C‑395/13, EU:C:2014:2347).

    ( 28 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 29 ) Urteil vom 28. Januar 2016, Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2016:61).

    ( 30 ) Vgl. Urteil vom 28. Januar 2016, Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2016:61, Rn. 47 bis 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 31 ) Urteile vom 22. Juni 1993, Kommission/Dänemark (C‑243/89, EU:C:1993:257, Rn. 30), vom 3. März 2005, Kommission/Deutschland (C‑414/03, EU:C:2005:134, Rn. 9 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 6. Oktober 2009, Kommission/Schweden (C‑438/07, EU:C:2009:613, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 32 ) Urteile vom 24. November 1992, Kommission/Deutschland (C‑237/90, EU:C:1992:452, Rn. 20), vom 22. September 2005, Kommission/Belgien (C‑221/03, EU:C:2005:573, Rn. 36 bis 38 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 11. September 2014, Kommission/Deutschland (C‑525/12, EU:C:2014:2202, Rn. 21).

    ( 33 ) Im Vorverfahren ging es ursprünglich um 62 Gemeinden (vgl. Nr. 12 der vorliegenden Schlussanträge).

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