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Document 62013CJ0423

    Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 10. September 2014.
    „Vilniaus energija“ UAB gegen Lietuvos metrologijos inspekcijos Vilniaus apskrities skyrius.
    Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Warenverkehr – Maßnahmen gleicher Wirkung – Richtlinie 2004/22/EG – Messtechnische Überprüfungen der Messanlagen – Warmwasserzähler, der alle Anforderungen der Richtlinie erfüllt und an ein Gerät mit (telemetrischer) Datenfernübertragung angeschlossen ist – Verbot, einen solchen Zähler ohne vorherige messtechnische Überprüfung der Anlage zu verwenden.
    Rechtssache C‑423/13.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:2186

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

    10. September 2014 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Freier Warenverkehr — Maßnahmen gleicher Wirkung — Richtlinie 2004/22/EG — Messtechnische Überprüfungen der Messanlagen — Warmwasserzähler, der alle Anforderungen der Richtlinie erfüllt und an ein Gerät mit (telemetrischer) Datenfernübertragung angeschlossen ist — Verbot, einen solchen Zähler ohne vorherige messtechnische Überprüfung der Anlage zu verwenden“

    In der Rechtssache C‑423/13

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Litauen) mit Entscheidung vom 25. Juni 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Juli 2013, in dem Verfahren

    „Vilniaus energija“ UAB

    gegen

    Lietuvos metrologijos inspekcijos Vilniaus apskrities skyrius

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts (Berichterstatter) sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev,

    Generalanwalt: M. Szpunar,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der „Vilniaus energija“ UAB, vertreten durch L. Samuolis,

    der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriaučiūnas und V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte,

    der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne und J.‑C. Halleux als Bevollmächtigte,

    der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Zavvos und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 34 AEUV sowie der Richtlinie 2004/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über Messgeräte (ABl. L 135, S. 1).

    2

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Vilniaus energija“ UAB (im Folgenden: Vilniaus energija) und der Lietuvos metrologijos inspekcijos Vilniaus apskrities skyrius (Dienststelle Vilnius des litauischen Kontrollamts für Messwesen, im Folgenden: Metrologijos inspekcija oder Kontrollamt für Messwesen) über eine Klage auf Aufhebung einer von dieser erlassenen Verwaltungsmaßnahme hinsichtlich der Verwendung von Messergebnissen von Wasserzählern, die an ein Gerät mit (telemetrischer) Datenfernübertragung angeschlossen sind.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Die Erwägungsgründe 3, 4, 10 und 17 der Richtlinie 2004/22 lauten:

    „(3)

    Die gesetzliche messtechnische Kontrolle sollte nicht zu Behinderungen des freien Verkehrs von Messgeräten führen. Die entsprechenden Bestimmungen sollten in allen Mitgliedstaaten identisch sein, und der Konformitätsnachweis sollte in der gesamten Gemeinschaft anerkannt werden.

    (4)

    Die gesetzliche messtechnische Kontrolle erfordert die Konformität mit bestimmten Leistungsanforderungen. Die von den Messgeräten einzuhaltenden Leistungsanforderungen sollten ein hohes Schutzniveau gewährleisten. Die Konformitätsbewertung sollte in hohem Maße zuverlässig sein.

    (10)

    Zur Berücksichtigung unterschiedlicher Klimaverhältnisse oder unterschiedlicher Ausprägungen des Verbraucherschutzes auf einzelstaatlicher Ebene können in den grundlegenden Anforderungen Umgebungs- oder Genauigkeitsklassen festgelegt werden.

    (17)

    Die Mitgliedstaaten sollten das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme von Messgeräten, die die ‚CE‘-Kennzeichnung und die zusätzliche Metrologie-Kennzeichnung gemäß dieser Richtlinie tragen, nicht behindern.“

    4

    Nach ihrem Art. 1 („Geltungsbereich“) gilt die Richtlinie 2004/22 für „die in den gerätespezifischen Anhängen genauer bezeichneten Geräte und Systeme mit einer Messfunktion, und zwar für Wasserzähler (MI‑001)“.

    5

    Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2004/22 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten können für Messaufgaben die Verwendung von in Artikel 1 genannten Messgeräten aus Gründen des öffentlichen Interesses, des Gesundheitsschutzes, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Umweltschutzes, des Verbraucherschutzes, der Erhebung von Steuern und Abgaben, und des lauteren Handels vorschreiben, sofern sie dies für gerechtfertigt halten.“

    6

    Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/22 lautet:

    „Diese Richtlinie stellt die Anforderungen auf, die die in Artikel 1 genannten Geräte und Systeme im Hinblick auf deren Inverkehrbringen und/oder Inbetriebnahme und die in Artikel 2 Absatz 1 genannten Messaufgaben erfüllen müssen.“

    7

    Art. 4 Buchst. a, e und f der Richtlinie 2004/22 bestimmt:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

    a)

    ‚Messgerät‘ jedes Gerät oder System mit einer Messfunktion, das den Artikeln 1 und 3 entspricht;

    e)

    ‚Inverkehrbringen‘ das erste entgeltliche oder unentgeltliche Verfügbarmachen eines für einen Endnutzer bestimmten Geräts in der Gemeinschaft;

    f)

    ‚Inbetriebnahme‘ die erste Nutzung eines für den Endnutzer bestimmten Geräts für den beabsichtigten Zweck“.

    8

    Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2004/22 lautet:

    „Ein Messgerät muss die in Anhang I und dem entsprechenden gerätespezifischen Anhang festgelegten grundlegenden Anforderungen erfüllen.“

    9

    Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/22 sieht vor:

    „Die Konformität eines Messgeräts mit sämtlichen Bestimmungen dieser Richtlinie wird durch die ‚CE‘-Kennzeichnung und die zusätzliche Metrologie-Kennzeichnung gemäß Artikel 17 auf dem Gerät angegeben.“

    10

    Art. 8 Abs. 1 bis 4 der Richtlinie 2004/22 bestimmt:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme von Messgeräten, die die ‚CE‘-Kennzeichnung und die zusätzliche Metrologie-Kennzeichnung gemäß Artikel 7 tragen, nicht unter Berufung auf diese Richtlinie behindern.

    (2)   Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Messgeräte nur dann in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie den Anforderungen dieser Richtlinie genügen.

    (3)   Ein Mitgliedstaat kann verlangen, dass ein Messgerät Bestimmungen für seine Inbetriebnahme genügen muss, die durch die örtlichen klimatischen Gegebenheiten gerechtfertigt sind. Der Mitgliedstaat wählt in diesem Fall aus der Tabelle 1 in Anhang I die geeigneten oberen und unteren Temperaturgrenzen aus und kann zudem die Feuchtigkeitsbedingungen (Betauung bzw. keine Betauung) sowie die Beschaffenheit des vorgesehenen Verwendungsorts (offen bzw. geschlossen) angeben.

    (4)   Sind für ein Messgerät unterschiedliche Genauigkeitsklassen festgelegt,

    a)

    so kann in den gerätespezifischen Anhängen im Abschnitt ‚Inbetriebnahme‘ angegeben werden, welche Genauigkeitsklassen bei spezifischen Anwendungen zu verwenden sind;

    b)

    so kann in allen anderen Fällen ein Mitgliedstaat die für spezifische Anwendungen innerhalb der festgelegten Klassen zu verwendenden Genauigkeitsklassen unter der Bedingung vorgeben, dass er die Verwendung aller Genauigkeitsklassen in seinem Hoheitsgebiet gestattet.

    Sowohl in den in Buchstabe a) als auch in den in Buchstabe b) genannten Fällen können nach Wahl des Eigentümers Messgeräte einer höheren Genauigkeitsklasse verwendet werden.“

    11

    Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/22 lautet:

    „Die Bewertung der Konformität eines Messgeräts mit den entsprechenden grundlegenden Anforderungen erfolgt nach einem vom Hersteller auszuwählenden Konformitätsbewertungsverfahren, das in dem gerätespezifischen Anhang aufgeführt ist. …“

    12

    Anhang I der Richtlinie 2004/22 („Grundlegende Anforderungen“) sieht vor:

    „Ein Messgerät muss ein hohes Niveau an Messsicherheit gewährleisten, damit die Betroffenen den Messergebnissen vertrauen können; Entwurf und Herstellung müssen hinsichtlich der Messtechnik und der Sicherheit der Messdaten ein hohes Qualitätsniveau aufweisen.

    Im Folgenden sind die Anforderungen aufgeführt, die von den Messgeräten zu erfüllen sind, die gegebenenfalls durch gerätespezifische Anforderungen in den Anhängen MI-001 bis MI-010 ergänzt werden, in denen bestimmte Aspekte der allgemeinen Anforderungen ausführlicher beschrieben sind.

    8. Schutz gegen Verfälschungen

    8.1.

    Die messtechnischen Merkmale eines Messgeräts dürfen durch das Anschließen eines anderen Geräts, durch die Merkmale des angeschlossenen Geräts oder die Merkmale eines abgetrennten Geräts, das mit dem Messgerät in Kommunikationsverbindung steht, nicht in unzulässiger Weise beeinflusst werden.

    10. Anzeige des Ergebnisses

    10.4

    Ein Messgerät, das zur Abwicklung eines Direktverkaufs dient, ist so auszulegen, dass das Messergebnis bei bestimmungsgemäßer Aufstellung des Geräts beiden Parteien angezeigt wird. Soweit dies im Falle von Direktverkäufen von entscheidender Bedeutung ist, müssen Belegzettel, die von Peripheriegeräten, die den entsprechenden Anforderungen dieser Richtlinie nicht genügen, für den Kunden ausgegeben werden, einen entsprechenden einschränkenden Hinweis tragen.

    10.5

    Messgeräte zur Messung von Versorgungsleistungen sind unabhängig davon, ob sie fernabgelesen werden können, auf jeden Fall mit einer der messtechnischen Kontrolle unterliegenden Sichtanzeige auszustatten, die für den Verbraucher ohne Hilfsmittel zugänglich ist. Der Anzeigewert dieser Sichtanzeige gilt als Messergebnis, das die Grundlage für den zu entrichtenden Preis darstellt.

    …“

    13

    Anhang MI-001 („Wasserzähler“) der Richtlinie 2004/22 bestimmt:

    „Die maßgeblichen Anforderungen von Anhang I, die spezifischen Anforderungen des vorliegenden Anhangs und die im vorliegenden Anhang aufgeführten Konformitätsbewertungsverfahren gelten für Wasserzähler, die für die Volumenmessung von sauberem Kalt- oder Warmwasser bestimmt sind und im Haushalt, im Gewerbe oder in der Leichtindustrie verwendet werden.

    Begriffsbestimmungen

    Wasserzähler

    Ein Gerät, das für das Messen, Speichern und Anzeigen der Menge des den Messwertaufnehmer durchströmenden Wassers bei Betriebsbedingungen ausgelegt ist.

    …“

    14

    Anhang MI-005 („Messanlagen für die kontinuierliche und dynamische Messung von Mengen von Flüssigkeiten außer Wasser“) der Richtlinie 2004/22 definiert den Begriff „Messanlage“ als „[e]ine Anlage, die den Zähler und alle Einrichtungen umfasst, die erforderlich sind, um eine korrekte Messung zu gewährleisten, oder dazu dienen, die Messvorgänge zu erleichtern“.

    Litauisches Recht

    15

    Art. 2 Abs. 7 des Metrologijos įstatymas (Gesetz über das Messwesen, im Folgenden: Messwesengesetz) in der Fassung des Gesetzes Nr. X‑717 vom 22. Juni 2006 (Žin., 2006, Nr. 77‑2966) bestimmt:

    „Ein Messgerät ist ein Werkzeug, ein Gerät oder eine Anlage, das dazu dient, unabhängig oder in Verbindung mit anderen Zusatzgeräten Messungen durchzuführen.“

    16

    Art. 2 Abs. 15 Messwesengesetz lautet:

    „Eine Messanlage ist eine Gruppe von Messgeräten und verschiedenen Geräten, die miteinander verbunden wurden, um spezielle Messungen durchzuführen.“

    17

    Der Erlass Nr. V‑107 des Direktors des staatlichen Dienstes für Messwesen über die messtechnische Validierung von Messgeräten mit (telemetrischer) Datenfernübertragung (Įsakymas Dėl matavimo priemonių su nuotoliniu [telemetriniu] duomenų perdavimu metrologinio įteisinimo) vom 15. November 2010 (Žin., 2010, Nr. 135‑2010, im Folgenden: Erlass vom 15. November 2010) sieht vor:

    „1.

    Eine Baumusterzulassungsanerkennung für Messgeräte mit einer (telemetrischen) Datenfernübertragungsfunktion kann erst dann erteilt werden, wenn die erforderlichen Tests durchgeführt wurden und mit Sicherheit erwiesen ist, dass die auf telemetrischem Wege übertragenen Daten völlig dem entsprechen, was von dem Messgerät angezeigt wird.

    2.

    Ein Messgerät mit (telemetrischer) Datenfernübertragung wird als Messanlage behandelt, und aus diesem Grund ist die messtechnische Überprüfung für die gesamte Messanlage durchzuführen, wobei die Ergebnisse dieser Überprüfung entsprechend dargestellt werden.

    3.

    Messgeräte im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Messwesen, die mit einer (telemetrischen) Datenfernübertragungsfunktion ausgestattet sind, deren Baumusterzulassungsanerkennung aber ohne Beurteilung dieser Funktion erteilt wurde, dürfen nicht für die (telemetrische) Datenfernübertragung verwendet werden.“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    18

    Vilniaus energija ist ein Unternehmen, das im Stadtgebiet Vilnius Wärme und Warmwasser liefert.

    19

    Bei der Prüfung des Antrags eines Verbrauchers vom 7. Februar 2012 stellten Bedienstete der Metrologijos inspekcija fest, dass Vilniaus energija in der Wohnung dieses Verbrauchers einen Warmwasserzähler vom Typ WFH 36 mit der Nummer 09532667 installiert hatte. Auf diesem Zähler war eine Kennzeichnung als Nachweis für eine gültige ursprüngliche Prüfung angebracht, die den Vilniaus metrologijos centras als Prüfeinrichtung auswies.

    20

    Der Zähler war an ein automatisches Gerät („Rubisafe“) zur Regulierung der Heizung und der (telemetrischen) Übertragung der Daten angeschlossen, wodurch die vom Zähler angezeigten Werte fernübertragen und für die Erstellung von Rechnungen verwendet wurden. Wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, wurde ein Großteil der Rubisafe-Geräte in Deutschland hergestellt.

    21

    Im Einklang mit Nr. 2 des Erlasses vom 15. November 2010 stellte die Metrologijos inspekcija fest, dass die Messergebnisse dieses Zählers nicht im Wege der Fernübertragung übermittelt werden könnten, da keine messtechnische Überprüfung der gesamten Messanlage, d. h. des Wasserzählers und des Datenfernübertragungsgeräts durchgeführt worden sei.

    22

    Mit der Verwaltungsmaßnahme Nr. PA‑954 (V 12) vom 22. März 2012 betreffend die Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen messtechnischen Anforderungen (im Folgenden: Kontrollmaßnahme) hat die Metrologijos inspekcija der Vilniaus energija die folgenden zwei Verpflichtungen auferlegt, nämlich

    die im Wege der Fernübertragung übermittelten Messergebnisse des Wasserzählers nicht für die Erstellung von Rechnungen zu verwenden, solange keine messtechnische Überprüfung der Anlage nach den geltenden Bestimmungen stattgefunden hat, und

    ausschließlich die von dem in der Wohnung installierten Warmwasserzähler, der messtechnisch zertifiziert und mit einem gültigen messtechnischen Prüfnachweis versehen ist, angezeigten Werte zu verwenden.

    23

    Vilniaus energija erhob beim Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionales Verwaltungsgericht Vilnius) Klage auf Aufhebung der Kontrollmaßnahme.

    24

    Mit Urteil vom 2. August 2012 wies der Vilniaus apygardos administracinis teismas die Klage der Vilniaus energija als unbegründet ab.

    25

    Gegen dieses Urteil legte Vilniaus energija beim Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) ein Rechtsmittel ein.

    26

    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ergibt sich aus dem Erlass vom 15. November 2010 und aus der zu dessen Umsetzung erlassenen Kontrollmaßnahme, dass ein Wasserzähler, auch wenn er als Messgerät alle Anforderungen der Richtlinie 2004/22 erfüllt und die in dieser Richtlinie vorgesehenen erforderlichen Kennzeichnungen trägt, normalerweise nicht verwendet werden kann, wenn er an ein (telemetrisches) Datenfernübertragungsgerät angeschlossen ist. Die nationale Regelung und Praxis setzten diesen Zähler qualitativ einem neuen Messgerät gleich, d. h. einer Messanlage, die als Anlage nach nationalem Recht eine Bewertung und Baumusterzulassungsanerkennung sowie eine messtechnische Überprüfung erhalten muss.

    27

    Vor diesem Hintergrund stellt sich das vorlegende Gericht die Frage nach der Vereinbarkeit dieser nationalen Regelung und Praxis mit Art. 34 AEUV und der Richtlinie 2004/22.

    28

    Unter diesen Umständen hat der Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Sind Art. 34 AEUV und/oder die Richtlinie 2004/22 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung und Praxis entgegenstehen, wonach ein alle Anforderungen der Richtlinie 2004/22 erfüllender Warmwasserzähler, der an ein (telemetrisches) Datenfernübertragungsgerät angeschlossen ist, als Messanlage gilt und aufgrund dessen nicht bestimmungsgemäß verwendet werden kann, solange keine messtechnische Überprüfung dieses Zählers mit dem (telemetrischen) Datenfernübertragungsgerät als Messanlage durchgeführt wurde?

    Zur Vorlagefrage

    29

    Zunächst ist zu prüfen, ob das Anschließen eines alle Anforderungen der Richtlinie 2004/22 erfüllenden Warmwasserzählers an ein (telemetrisches) Datenfernübertragungsgerät bewirkt, dass der Zähler dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie entzogen ist.

    30

    Nach ihrem Art. 1 gilt die Richtlinie für die im gerätespezifischen Anhang für Wasserzähler, d. h. in Anhang MI‑001, genauer bezeichneten Geräte und Anlagen mit einer Messfunktion.

    31

    In diesem Anhang wird der Begriff „Wasserzähler“ definiert als „[e]in Gerät, das für das Messen, Speichern und Anzeigen der Menge des den Messwertaufnehmer durchströmenden Wassers bei Betriebsbedingungen ausgelegt ist“.

    32

    In diesem Zusammenhang sieht Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2004/22 vor, dass ein Wasserzähler im Sinne der Richtlinie die in deren Anhang I und im entsprechenden gerätespezifischen Anhang für Wasserzähler, d. h. in Anhang MI‑001 der Richtlinie, festgelegten grundlegenden Anforderungen erfüllen muss.

    33

    Zu diesen grundlegenden Anforderungen zählt nach Nr. 8.1 des Anhangs I, dass die messtechnischen Merkmale des Messgeräts durch das Anschließen an ein Datenfernübertragungsgerät nicht in unzulässiger Weise beeinflusst werden dürfen. Nr. 10.5 des Anhangs I sieht vor, dass im Fall von Abweichungen zwischen den vom Messgerät und den vom Datenfernübertragungsgerät angezeigten Werten für die Bestimmung des vom Verbraucher zu entrichtenden Preises der vom Messgerät angezeigte Wert maßgeblich ist.

    34

    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass ein alle Anforderungen der Richtlinie 2004/22 erfüllender Warmwasserzähler nicht deshalb von deren Geltungsbereich ausgenommen sein kann, weil er an ein (telemetrisches) Datenfernübertragungsgerät angeschlossen ist.

    35

    Somit fällt ein solcher Zähler in den Geltungsbereich der Richtlinie 2004/22.

    36

    Dagegen ist hinsichtlich des (telemetrischen) Datenfernübertragungsgeräts festzustellen, dass sich seine Funktion auf die Fernübertragung der zuvor vom Warmwasserzähler gemessenen Werte beschränkt. Da dieses Gerät kein „Gerät mit einer Messfunktion“ im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2004/22 darstellt, fällt es nicht in deren Geltungsbereich.

    37

    Des Weiteren findet diese Richtlinie auch keine Anwendung auf die aus dem Wasserzähler und dem (telemetrischen) Datenfernübertragungsgerät bestehende Anlage. Im Unterschied zu Anhang MI‑005 der Richtlinie 2004/22, der Messanlagen für die kontinuierliche und dynamische Messung von Mengen von Flüssigkeiten außer Wasser betrifft und den Begriff „Messanlage“ definiert als „[e]ine Anlage, die den Zähler und alle Einrichtungen umfasst, die erforderlich sind, um eine korrekte Messung zu gewährleisten, oder dazu dienen, die Messvorgänge zu erleichtern“, nimmt Anhang MI‑001 der Richtlinie 2004/22 auf den Begriff der Messanlage keinen Bezug. Dies rührt daher, dass ein dem Geltungsbereich der Richtlinie 2004/22 unterfallender Wasserzähler als ein komplettes Messgerät ausgelegt ist, das keine anderen Geräte benötigt, um als Anlage eine korrekte Messung gewährleisten oder die Messvorgänge erleichtern zu können.

    38

    Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, ist daher die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung und Praxis erstens im Hinblick auf die Warmwasserzähler sowie zweitens im Hinblick auf die (telemetrischen) Datenfernübertragungsgeräte zu prüfen.

    39

    Was erstens die Warmwasserzähler anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale Maßnahme in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde, anhand der Bestimmungen dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht der des Primärrechts zu beurteilen ist (vgl. Urteil Kommission/Deutschland, C‑463/01, EU:C:2004:797, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    40

    Dies ist in Bezug auf die Richtlinie 2004/22 der Fall, die, wie sich insbesondere aus ihrem dritten Erwägungsgrund ergibt, darauf abzielt, in allen Mitgliedstaaten dieselben Leistungsanforderungen aufzustellen, die die in Art. 1 dieser Richtlinie genannten Geräte und Anlagen im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen und/oder ihre Inbetriebnahme erfüllen müssen.

    41

    So sieht Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/22 vor, dass das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme eines Messgeräts, das infolge einer positiven Bewertung seiner Konformität mit allen Anforderungen dieser Richtlinie die „CE“-Kennzeichnung und die zusätzliche Metrologie-Kennzeichnung trägt, von den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht behindert werden darf. Erfüllt ein Messgerät die Anforderungen der Richtlinie 2004/22 hingegen nicht, darf es nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie nicht in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen werden.

    42

    Außerdem können die Mitgliedstaaten zur Berücksichtigung unterschiedlicher Klimaverhältnisse oder unterschiedlicher Ausprägungen des Verbraucherschutzes auf einzelstaatlicher Ebene nach Art. 8 Abs. 3 und 4 in Verbindung mit dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/22 unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen die Umgebungs- oder Genauigkeitsklassen angeben, denen ein Messinstrument für seine Inbetriebnahme genügen muss.

    43

    Hieraus ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten Messgeräte, die die „CE“‑Kennzeichnung und die zusätzliche Metrologie‑Kennzeichnung tragen, nur in den in dieser Vorschrift genannten Fällen zusätzlichen nationalen Anforderungen unterwerfen können.

    44

    Eine nationale Regelung und Praxis, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, betreffen jedoch nicht diese Fälle.

    45

    Daher behindern eine solche nationale Regelung und Praxis die Inbetriebnahme eines an ein (telemetrisches) Datenfernübertragungsgerät angeschlossenen Warmwasserzählers, der alle Anforderungen der Richtlinie 2004/22 erfüllt, soweit ein solcher Zähler einer messtechnischen Überprüfung unterworfen ist.

    46

    Hieraus ergibt sich, dass die Richtlinie 2004/22 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung und Praxis wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht.

    47

    Was zweitens die (telemetrischen) Datenfernübertragungsgeräte anbelangt, ist, wie in Rn. 36 des vorliegenden Urteils ausgeführt, darauf hinzuweisen, dass sie nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2004/22 fallen. Somit sind die nationale Regelung und Praxis anhand der Vorschriften des AEU-Vertrags über den freien Warenverkehr zu prüfen.

    48

    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale Regelung und Praxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten (telemetrischen) Datenfernübertragungsgeräte einer messtechnischen Überprüfung unterwerfen, den Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats beschränken und daher als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV anzusehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Radiosistemi, C‑388/00 und C‑429/00, EU:C:2002:390, Rn. 43, ATRAL, C‑14/02, EU:C:2003:265, Rn. 62 und 63, und Kommission/Portugal, C‑432/03, EU:C:2005:669, Rn. 41).

    49

    Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshofs kann eine solche Maßnahme nur durch einen der in Art. 36 AEUV aufgeführten Gründe des Gemeinwohls oder eines der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten zwingenden Erfordernisse gerechtfertigt sein, sofern sie u. a. die Verwirklichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was für dessen Erreichung erforderlich ist (vgl. Urteil Kommission/Portugal, EU:C:2005:669, Rn. 42).

    50

    Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung und Praxis haben das Ziel, die Verbraucher zu schützen. In diesem Sinne hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Schutz der Verbraucher einen berechtigten Grund des Allgemeininteresses darstellt, der grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung einer durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit, wie der des freien Warenverkehrs, zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil Canal Satélite Digital, C‑390/99, EU:C:2002:34, Rn. 34).

    51

    Soweit eine messtechnische Überprüfung Verzerrungen und Verfälschungen bei der Datenübertragung vermeiden kann, sind eine nationale Regelung und Praxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden geeignet, den Verbraucherschutz zu gewährleisten.

    52

    Jedoch gehen die genannte nationale Regelung und Praxis über das hinaus, was für die Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

    53

    Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung und Praxis sehen eine messtechnische Überprüfung nämlich sowohl für die an (telemetrische) Datenfernübertragungsgeräte angeschlossenen Warmwasserzähler als auch für die (telemetrischen) Datenfernübertragungsgeräte selbst vor. Es ist aber erstens festzustellen, dass nach Art. 9 der Richtlinie 2004/22 die Bewertung der Konformität eines Warmwasserzählers mit den entsprechenden grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie vor dessen Inverkehrbringen und Inbetriebnahme durchzuführen ist. Erst nach einer positiven Bewertung kann der Hersteller dieses Zählers die zusätzliche Metrologie-Kennzeichnung anbringen. Ein Warmwasserzähler, der alle Anforderungen der Richtlinie 2004/22 erfüllt, war folglich bereits Gegenstand einer messtechnischen Überprüfung. Zweitens sieht, wie in Rn. 33 des vorliegenden Urteils ausgeführt, Nr. 8.1 des Anhangs I der Richtlinie 2004/22 vor, dass die messtechnischen Merkmale der Warmwasserzähler, die alle Anforderungen der Richtlinie 2004/22 erfüllen, durch ihr Anschließen an ein (telemetrisches) Datenfernübertragungsgerät nicht in unzulässiger Weise beeinflusst werden dürfen. Drittens stellt Nr. 10.5 des Anhangs I der Richtlinie 2004/22 klar, dass im Fall einer Abweichung zwischen den vom Messgerät und den vom Datenfernübertragungsgerät angezeigten Werten für die Bestimmung des vom Verbraucher zu entrichtenden Preises der vom Messgerät angezeigte Wert gilt.

    54

    Daraus ergibt sich, dass es zur Erreichung des Ziels, den Verbraucherschutz zu gewährleisten, nicht erforderlich ist, einen allen Anforderungen dieser Richtlinie entsprechenden Warmwasserzähler, der an ein (telemetrisches) Datenfernübertragungsgerät angeschlossen ist, einer erneuten messtechnischen Überprüfung zu unterwerfen. Dieses Ziel kann durch weniger einschneidende Maßnahmen als die der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung und Praxis erreicht werden, etwa dadurch, dass sich die messtechnische Überprüfung auf das (telemetrische) Datenfernübertragungsgerät beschränkt.

    55

    Überdies ist, selbst wenn die zuständigen nationalen Behörden, d. h. im Ausgangsverfahren die Metrologijos inspekcija, in der Folge entschieden, die messtechnische Überprüfung auf die (telemetrischen) Datenfernübertragungsgeräte zu beschränken, darauf hinzuweisen, dass diese Behörden jedenfalls nicht unnötig technische Analysen verlangen dürfen, wenn die gleichen Analysen bereits in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführt worden sind und ihre Ergebnisse diesen Behörden zur Verfügung stehen oder auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Portugal, EU:C:2005:669, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    56

    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 34 AEUV und die Richtlinie 2004/22 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung und Praxis entgegenstehen, wonach ein alle Anforderungen der Richtlinie 2004/22 erfüllender Warmwasserzähler, der an ein (telemetrisches) Datenfernübertragungsgerät angeschlossen ist, als Messanlage gilt und aufgrund dessen nicht bestimmungsgemäß verwendet werden kann, solange keine messtechnische Überprüfung dieses Zählers mit dem (telemetrischen) Datenfernübertragungsgerät als Messanlage durchgeführt wurde.

    Kosten

    57

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 34 AEUV und die Richtlinie 2004/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über Messgeräte sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung und Praxis entgegenstehen, wonach ein alle Anforderungen dieser Richtlinie erfüllender Warmwasserzähler, der an ein (telemetrisches) Datenfernübertragungsgerät angeschlossen ist, als Messanlage gilt und aufgrund dessen nicht bestimmungsgemäß verwendet werden kann, solange keine messtechnische Überprüfung dieses Zählers mit dem (telemetrischen) Datenfernübertragungsgerät als Messanlage durchgeführt wurde.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Litauisch.

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