EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62013CJ0398

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 3. September 2015.
Inuit Tapiriit Kanatami u. a. gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel – Verordnung (EG) Nr. 737/2010 – Verordnung mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 – Handel mit Robbenerzeugnissen – Beschränkungen der Einfuhr und des Inverkehrbringens dieser Erzeugnisse – Gültigkeit – Rechtsgrundlage – Art. 95 EG – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 17 – Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker – Art. 19.
Rechtssache C-398/13 P.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:535

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

3. September 2015 ( *1 )

„Rechtsmittel — Verordnung (EG) Nr. 737/2010 — Verordnung mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 — Handel mit Robbenerzeugnissen — Beschränkungen der Einfuhr und des Inverkehrbringens dieser Erzeugnisse — Gültigkeit — Rechtsgrundlage — Art. 95 EG — Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Art. 17 — Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker — Art. 19“

In der Rechtssache C‑398/13 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 8. Juli 2013,

Inuit Tapiriit Kanatami mit Sitz in Ottawa (Kanada),

Nattivak Hunters’ and Trappers’ Organisation mit Sitz in Qikiqtarjuaq (Kanada),

Pangnirtung Hunters’ and Trappers’ Organisation mit Sitz in Pangnirtung (Kanada),

Jaypootie Moesesie, wohnhaft in Qikiqtarjuaq,

Allen Kooneeliusie, wohnhaft in Qikiqtarjuaq,

Toomasie Newkingnak, wohnhaft in Qikiqtarjuaq,

David Kuptana, wohnhaft in Ulukhattok (Kanada),

Karliin Aariak, wohnhaft in Iqaluit (Kanada),

Canadian Seal Marketing Group mit Sitz in Quebec (Kanada),

Ta Ma Su Seal Products Inc. mit Sitz in Cap-aux-Meules (Kanada),

Fur Institute of Canada mit Sitz in Ottawa,

NuTan Furs Inc. mit Sitz in Catalina (Kanada),

GC Rieber Skinn AS mit Sitz in Bergen (Norwegen),

Inuit Circumpolar Council Greenland (ICC‑Greenland) mit Sitz in Nuuk, Grönland (Dänemark),

Johannes Egede, wohnhaft in Nuuk,

Kalaallit Nunaanni Aalisartut Piniartullu Kattuffiat (KNAPK) mit Sitz in Nuuk,

William E. Scott & Son mit Sitz in Edinburgh (Vereinigtes Königreich),

Association des chasseurs de phoques des Îles-de-la-Madeleine mit Sitz in Cap-aux-Meules,

Hatem Yavuz Deri Sanayi iç Ve Diş Ticaret Ltd Şirketi mit Sitz in Istanbul (Türkei),

Northeast Coast Sealers’ Co-Operative Society Ltd mit Sitz in Fleur-de-Lys (Kanada),

Prozessbevollmächtigte: H. Viaene, J. Bouckaert und D. Gillet, advocaten,

Rechtsmittelführer,

andere Parteien des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch K. Mifsud-Bonnici und C. Hermes als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

unterstützt durch

Europäisches Parlament, vertreten durch L. Visaggio und J. Rodrigues als Bevollmächtigte,

Rat der Europäischen Union, vertreten durch K. Michoel und M. Moore als Bevollmächtigte,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie der Richter C. Vajda, A. Rosas, E. Juhász und D. Šváby,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2015,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. März 2015

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Inuit Tapiriit Kanatami, die Nattivak Hunters’ and Trappers’ Organisation, die Pangnirtung Hunters’ and Trappers’ Organisation, Herr Moesesie, Herr Kooneeliusie, Herr Newkingnak, Herr Kuptana, Frau Aariak, die Canadian Seal Marketing Group, die Ta Ma Su Seal Products Inc., das Fur Institute of Canada, die NuTan Furs Inc., die GC Rieber Skinn AS, der Inuit Circumpolar Council Greenland (ICC-Greenland), Herr Egede, die Kalaallit Nunaanni Aalisartut Piniartullu Kattuffiat (KNAPK), William E. Scott & Son, die Association des chasseurs de phoques des Îles-de-la-Madeleine, die Hatem Yavuz Deri Sanayi iç Ve Diş Ticaret Ltd Şirketi und die Northeast Coast Sealers’ Co-Operative Society Ltd, das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 25. April 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Kommission (T‑526/10, EU:T:2013:215, im Folgenden: angefochtenes Urteil), aufzuheben, mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Verordnung (EU) Nr. 737/2010 der Kommission vom 10. August 2010 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Handel mit Robbenerzeugnissen (ABl. L 216, S. 1, im Folgenden: streitige Verordnung) und auf Feststellung der Unanwendbarkeit der Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über den Handel mit Robbenerzeugnissen (ABl. L 286, S. 36, im Folgenden: Grundverordnung) abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

2

Mit der Resolution 61/295 vom 13. September 2007 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (EVNRIV) angenommen. Art. 19 EVNRIV hat folgenden Wortlaut:

„Die Staaten verständigen sich und kooperieren nach Treu und Glauben mit den betroffenen indigenen Völkern, über deren eigene repräsentative Institutionen, um ihre freiwillige und in Kenntnis der Sachlage erteilte vorherige Zustimmung zu erhalten, bevor sie Gesetzgebungs- oder Verwaltungsmaßnahmen beschließen und durchführen, die sich auf diese Völker auswirken können.“

Unionsrecht

3

Die Erwägungsgründe 4 bis 7 und 14 der Grundverordnung lauten:

„(4)

Die Jagd auf Robben hat bei auf Tierschutzfragen empfindlich reagierenden Bürgern und Regierungen Entrüstung hervorgerufen, da die am häufigsten praktizierten Methoden zum Töten und Häuten von Robben für diese Tiere mit Schmerzen, Qualen, Angst und anderen Formen von Leiden verbunden sind.

(5)

Angesichts der von Bürgern und Verbrauchern geäußerten Bedenken hinsichtlich der Tierschutzaspekte des Tötens und Häutens von Robben und der Möglichkeit, dass Erzeugnisse auf den Markt gelangen, die aus Tieren gewonnen wurden, die unter Herbeiführung von Schmerzen, Qualen, Angst und anderen Formen von Leiden getötet und gehäutet wurden, haben mehrere Mitgliedstaaten Vorschriften erlassen oder planen, Vorschriften zu erlassen, um den Handel mit Robbenerzeugnissen zu regeln, indem sie die Einfuhr und die Herstellung dieser Erzeugnisse verbieten, während in anderen Mitgliedstaaten keinerlei Handelsbeschränkungen für diese Erzeugnisse gelten.

(6)

Es bestehen daher Unterschiede zwischen den nationalen Vorschriften über den Handel, die Einfuhr, die Produktion und die Vermarktung von Robbenerzeugnissen. Diese Unterschiede beeinträchtigen das Funktionieren des Binnenmarktes für Erzeugnisse, die Robbenerzeugnisse enthalten oder enthalten könnten, und stellen Hindernisse für den Handel mit solchen Erzeugnissen dar.

(7)

Das Bestehen dieser unterschiedlichen Vorschriften könnte die Verbraucher ferner davon abhalten, Erzeugnisse zu kaufen, die nicht aus Robben hergestellt wurden, die aber nicht einfach zu unterscheiden sind von aus Robben hergestellten ähnlichen Waren oder von Erzeugnissen, die – ohne dass dies klar erkennbar wäre – aus Robben gewonnene Bestandteile oder Inhaltsstoffe enthalten können, wie etwa Felle, Omega-3-Kapseln sowie Öle und Lederwaren.

(14)

Die grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Interessen von Inuit-Gemeinschaften, die Robben für ihren Lebensunterhalt jagen, sollten nicht beeinträchtigt werden. Die Jagd ist fester Bestandteil der Kultur und der Identität der Angehörigen der Gesellschaft der Inuit und ist als solche in der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker anerkannt. Daher sollte es erlaubt sein, Robbenerzeugnisse aus einer Jagd, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt, in den Verkehr zu bringen.“

4

Art. 3 („Bedingungen für das Inverkehrbringen“) der Grundverordnung bestimmt in seinen Abs. 1 und 4:

„(1)   Das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen ist nur in Fällen gestattet, in denen die Robbenerzeugnisse aus einer Jagd stammen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt. Für eingeführte Erzeugnisse gelten diese Bedingungen zum Zeitpunkt oder am Ort der Einfuhr.

(4)   Unbeschadet des Absatzes 3 werden zur Durchführung dieses Artikels Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung nach dem in Artikel 5 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.“

5

Auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 4 der Grundverordnung hat die Europäische Kommission die streitige Verordnung erlassen. Sie regelt nach ihrem Art. 1 „das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen gemäß Artikel 3 der [Grundverordnung]“.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtenes Urteil

6

Mit Klageschrift, die am 11. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhoben die Inuit Tapiriit Kanatami u. a. Klage auf Nichtigerklärung der Grundverordnung. Mit dem Beschluss Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (T‑18/10, EU:T:2011:419) wies das Gericht die Klage als unzulässig ab. Das dagegen eingelegte Rechtsmittel wies der Gerichtshof mit dem Urteil Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (C‑583/11 P, EU:C:2013:625) zurück.

7

Am 10. August 2010 erließ die Kommission die streitige Verordnung mit Durchführungsvorschriften zur Grundverordnung.

8

Mit Klageschrift, die am 9. November 2010 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhoben die Rechtsmittelführer Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Verordnung und auf Feststellung der Unanwendbarkeit dieser Verordnung gemäß Art. 277 AEUV.

9

Mit Beschluss vom 13. April 2011 ließ der Präsident der Siebten Kammer des Gerichts das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zu.

10

Die Rechtsmittelführer stützten ihre Klage auf zwei Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund rügten sie die Rechtswidrigkeit der Grundverordnung – durch die der streitigen Verordnung die Rechtsgrundlage entzogen werde – aufgrund der fehlerhaften Wahl von Art. 95 EG als Rechtsgrundlage für den Erlass der Grundverordnung, einen Verstoß gegen die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie einen Verstoß gegen Grundrechte. Im Rahmen ihres zweiten Klagegrundes warfen die Rechtsmittelführer der Kommission vor, sie habe beim Erlass der streitigen Verordnung ihr Ermessen missbraucht.

11

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht diese beiden Klagegründe zurückgewiesen und die Klage daher insgesamt abgewiesen.

Anträge der Parteien

12

Die Rechtsmittelführer beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben, die Grundverordnung für rechtswidrig und gemäß Art. 277 AEUV nicht anwendbar zu erklären sowie die streitige Verordnung gemäß Art. 263 AEUV für nichtig zu erklären;

hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen und

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

13

Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführern die Kosten gesamtschuldnerisch aufzuerlegen.

14

Das Parlament beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführern die Kosten aufzuerlegen.

15

Der Rat beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführern die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

16

Die Rechtsmittelführer stützen ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe, mit denen sie dem Gericht Rechtsfehler bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Grundverordnung vorwerfen. Der erste Rechtsmittelgrund besteht aus zwei Teilen und der zweite aus drei Teilen.

Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

Vorbringen der Parteien

17

Die Rechtsmittelführer machen geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es in den Rn. 28, 29, 37 bis 40, 50 und 64 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass die Voraussetzungen für die Heranziehung von Art. 95 EG zum Zeitpunkt des Erlasses der Grundverordnung erfüllt gewesen seien.

18

Diese Voraussetzungen hätten bereits zu dem Zeitpunkt vorliegen müssen, zu dem die Kommission den Vorschlag vorgelegt habe, der zum Erlass der Grundverordnung geführt habe. Art. 95 EG solle nämlich einer Situation abhelfen, in der Unterschiede zwischen den nationalen Regelungen den Binnenmarkt unmittelbar beeinträchtigten, nicht aber dazu führen, dass unterschiedliche nationale Regelungen entstünden und damit dem Gesetzgeber der Europäischen Union „freie Hand“ gegeben werde, in allen Bereichen gesetzgeberisch tätig zu werden. Wäre der Zeitpunkt des Erlasses des in Aussicht genommenen Rechtsakts für die Prüfung dieser Voraussetzungen maßgebend, könnte die Kommission ihren Vorschlag auf die bloße Prognose gründen, dass solche Unterschiede zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Rechtsakts vorliegen würden, was zu dem in Art. 5 Abs. 1 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung in Widerspruch stünde.

19

Hilfsweise tragen die Rechtsmittelführer für den Fall, dass bei einer Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Grundverordnung im Hinblick auf Art. 95 EG auf den Zeitpunkt des Erlasses dieser Verordnung abzustellen wäre, vor, auch dann seien die Voraussetzungen für die Heranziehung dieser Vorschrift nicht erfüllt gewesen. Die Ausführungen in den Erwägungsgründen der Grundverordnung, die nur vage und allgemeine Aussagen zu den Unterschieden zwischen den nationalen Regelungen und zur Gefahr von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder von Wettbewerbsverzerrungen enthielten, genügten nämlich nicht, um die Heranziehung von Art. 95 EG zu rechtfertigen. Insbesondere würden im fünften Erwägungsgrund dieser Verordnung nicht die Mitgliedstaaten bezeichnet, die ein Verbot der Einfuhr oder der Herstellung von Robbenerzeugnissen erlassen hätten oder zu erlassen beabsichtigten. Insoweit könnten die zusätzlichen Informationen, die die Kommission während des gerichtlichen Verfahrens geliefert habe, das Fehlen hinreichender Angaben in der Grundverordnung selbst nicht heilen.

20

Die Kommission, das Parlament und der Rat treten dem Vorbringen der Rechtsmittelführer entgegen.

Würdigung durch den Gerichtshof

21

Im Rahmen des ersten Teils ihres ersten Rechtsmittelgrundes bringen die Rechtsmittelführer im Wesentlichen zwei Argumente vor, die zum einen den bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Heranziehung von Art. 95 EG maßgeblichen Zeitpunkt und zum anderen die Voraussetzungen für die Heranziehung dieser Vorschrift betreffen, da die Grundverordnung ihrer Ansicht nach keine hinreichend genauen Angaben zur Gefahr von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder von Wettbewerbsverzerrungen enthalte.

22

Zum ersten Argument ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts der Union anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen ist (Urteile Agrana Zucker, C‑309/10, EU:C:2011:531, Rn. 31 und 45 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und Schaible, C‑101/12, EU:C:2013:661, Rn. 50). Insbesondere stellt der Gerichtshof bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Heranziehung von Art. 95 EG als Rechtsgrundlage erfüllt waren, auf den Zeitpunkt des Erlasses des betreffenden Rechtsakts der Union ab (vgl. Urteile Arnold André, C‑434/02, EU:C:2004:800, Rn. 38, Swedish Match, C‑210/03, EU:C:2004:802, Rn. 37, Deutschland/Parlament und Rat, C‑380/03, EU:C:2006:772, Rn. 45 bis 51 und 55, sowie Vodafone u. a., C‑58/08, EU:C:2010:321, Rn. 39 und 41).

23

Hingegen kann für diese Prüfung entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführer nicht der Zeitpunkt des Verordnungsvorschlags der Kommission maßgeblich sein. Im Rahmen einer gegen einen Rechtsakt wie die Grundverordnung gerichteten Klage bildet nämlich nicht dieser Vorschlag, der im Lauf des Rechtsetzungsverfahrens Änderungen unterliegt, den Gegenstand der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Unionsrichter, sondern der am Ende dieses Verfahrens vom Unionsgesetzgeber erlassene Rechtsakt.

24

Im Übrigen ist die Zahl der Mitgliedstaaten, die zum Zeitpunkt des Vorschlags der Kommission im betreffenden Bereich gesetzgeberisch tätig waren oder tätig werden wollten, als solche nicht entscheidend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Heranziehung von Art. 95 EG durch den Unionsgesetzgeber, wenn die Voraussetzungen für eine Heranziehung dieser Vorschrift zum Zeitpunkt des Erlasses des in Rede stehenden Rechtsakts erfüllt waren.

25

Demnach ist das erste Argument der Rechtsmittelführer als unbegründet zurückzuweisen.

26

Hinsichtlich des zweiten Arguments ist auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, nach der die von Art. 95 Abs. 1 EG erfassten Maßnahmen tatsächlich das Ziel verfolgen müssen, die Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern (Urteile British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco, C‑491/01, EU:C:2002:741, Rn. 60, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C‑217/04, EU:C:2006:279, Rn. 42, sowie Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C‑270/12, EU:C:2014:18, Rn. 113). Zwar genügen die bloße Feststellung von Unterschieden zwischen den nationalen Regelungen und die abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder von Wettbewerbsverzerrungen nicht, um die Wahl von Art. 95 EG als Rechtsgrundlage zu rechtfertigen, doch kann der Unionsgesetzgeber ihn u. a. im Fall von Unterschieden zwischen den nationalen Regelungen heranziehen, wenn diese Unterschiede geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen und sich damit unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken oder zu spürbaren Wettbewerbsverzerrungen führen können (Urteil Vodafone u. a., C‑58/08, EU:C:2010:321, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Art. 95 EG kann ferner herangezogen werden, um der Entstehung solcher Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen. Ihre Entstehung muss jedoch wahrscheinlich sein, und die fragliche Maßnahme muss ihre Vermeidung bezwecken (Urteile Deutschland/Parlament und Rat, C‑380/03, EU:C:2006:772, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Vodafone u. a., C‑58/08, EU:C:2010:321, Rn. 33).

28

Insoweit machen die Rechtsmittelführer zu Unrecht geltend, dass die Ausführungen in den Erwägungsgründen der Grundverordnung nicht genügten, um die Heranziehung von Art. 95 EG zu rechtfertigen, und dass das Gericht die von der Kommission während des gerichtlichen Verfahrens gemachten Angaben nicht habe berücksichtigen dürfen.

29

Da sich die Begründung von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung nämlich darauf beschränken kann, die Gesamtlage anzugeben, die zum Erlass der Maßnahme geführt hat, und die allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit ihr erreicht werden sollen (vgl. Urteil AJD Tuna, C‑221/09, EU:C:2011:153, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung), kann dem Unionsgesetzgeber nicht vorgeworfen werden, dass er in den Erwägungsgründen 4 bis 7 der Grundverordnung die Unterschiede zwischen den nationalen Regelungen über die Vermarktung von Robbenerzeugnissen und die sich daraus ergebenden, die Heranziehung von Art. 95 EG rechtfertigenden Störungen des Funktionierens des Binnenmarkts nur allgemein dargestellt hat. Insbesondere war der Unionsgesetzgeber entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführer nicht verpflichtet, Zahl und Identität der Mitgliedstaaten, deren nationale Regelung zum Erlass der Grundverordnung führte, in den Erwägungsgründen dieses Rechtsakts anzugeben.

30

Da die Begründung der Grundverordnung für sich genommen ausreicht, kann dem Gericht nicht vorgeworfen werden, dass es bei seiner Prüfung in Rn. 50 des angefochtenen Urteils die von der Kommission während des gerichtlichen Verfahrens unterbreiteten zusätzlichen Informationen zum Stand der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die zum Erlass dieser Verordnung führten, berücksichtigt hat, denn mit diesen Informationen wird im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Begründung der Grundverordnung lediglich präzisiert. Im Rahmen der Prüfung der Wahl von Art. 95 EG als Rechtsgrundlage sind nach dieser Rechtsprechung nämlich derartige Präzisierungen der Begründung des betreffenden Rechtsakts, die während des gerichtlichen Verfahrens vorgenommen werden, zu berücksichtigen (vgl. u. a. Urteile British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco, C‑491/01, EU:C:2002:741, Rn. 68, 70 und 73, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C‑217/04, EU:C:2006:279, Rn. 61, sowie Deutschland/Parlament und Rat, C‑380/03, EU:C:2006:772, Rn. 46 und 47).

31

Auf der Grundlage der Informationen, die sich sowohl aus der Begründung der Grundverordnung als auch aus den von der Kommission vorgenommenen und von den Rechtsmittelführern vor dem Gerichtshof nicht beanstandeten Präzisierungen ergeben, konnte das Gericht aber in den Rn. 36 bis 40 und 50 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei feststellen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Grundverordnung Unterschiede zwischen den nationalen Vorschriften über den Handel mit Robbenerzeugnissen bestanden, die geeignet waren, den freien Verkehr dieser Erzeugnisse zu behindern.

32

Das Gericht hat daraus in Rn. 58 des angefochtenen Urteils zu Recht geschlossen, dass diese Unterschiede das Tätigwerden des Unionsgesetzgebers auf der Grundlage von Art. 95 EG rechtfertigen konnten.

33

Der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist daher insgesamt zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

Vorbringen der Parteien

34

Die Rechtsmittelführer machen geltend, das Gericht habe in Rn. 56 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen, indem es sich auf die Erwägung gestützt habe, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten bei Robbenerzeugnissen und ähnlichen Erzeugnissen sicher nicht zu vernachlässigen sei. Es seien jedoch Zweifel daran angebracht, dass der Handel mit Robbenerzeugnissen und ähnlichen Erzeugnissen zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu vernachlässigen sei. Außerdem dürfe der Unionsgesetzgeber Art. 95 EG nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann heranziehen, wenn der Handel mit den jeweiligen Erzeugnissen eine verhältnismäßig wichtige Rolle spiele, was bei Robbenerzeugnissen noch weniger der Fall sei.

35

Die Kommission und das Parlament halten den zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

– Zur Zulässigkeit

36

Wie die Kommission und das Parlament hervorgehoben haben, fällt die Feststellung des Gerichts in Rn. 56 des angefochtenen Urteils, dass der Handel mit Robbenerzeugnissen und ähnlichen Erzeugnissen zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu vernachlässigen sei, nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittels.

37

Nach Art. 256 Abs. 1 AEUV und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Rechtsmittel nämlich auf Rechtsfragen beschränkt. Daher ist allein das Gericht für die Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen sowie für die Beweiswürdigung zuständig, vorbehaltlich einer Verfälschung des Sachverhalts oder der Beweise (Urteil Ryanair/Kommission, C‑287/12 P, EU:C:2013:395, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Da die Rechtsmittelführer keine Verfälschung geltend machen, ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als unzulässig zurückzuweisen, soweit er die die Bedeutung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten betreffende Feststellung des Gerichts betrifft.

– Zur Begründetheit

39

Aus dem Wortlaut von Art. 95 EG ergibt sich nicht, dass der Unionsgesetzgeber diese Bestimmung nur heranziehen darf, wenn der Handel mit den betreffenden Erzeugnissen eine verhältnismäßig wichtige Rolle spielt.

40

Des Weiteren hat der Gerichtshof zwar in einigen Rechtssachen dem Handel auf den betreffenden Märkten eine verhältnismäßig wichtige Rolle beigemessen (vgl. Urteile Arnold André, C‑434/02, EU:C:2004:800, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, Swedish Match, C‑210/03, EU:C:2004:802, Rn. 38, sowie Deutschland/Parlament und Rat, C‑380/03, EU:C:2006:772, Rn. 53), doch hat er kein rechtliches Kriterium aufgestellt, nach dem die auf der Grundlage von Art. 95 EG getroffenen Maßnahmen allein auf die Märkte der Erzeugnisse beschränkt sind, deren Handel eine verhältnismäßig wichtige Rolle spielt.

41

Im vorliegenden Fall hat das Gericht in den Rn. 39, 40 und 56 des angefochtenen Urteils – gestützt auf Erwägungen, die speziell die Märkte für Robbenerzeugnisse und andere mit ihnen verwechselbare Erzeugnisse betreffen – festgestellt, dass die zwischen den nationalen Regelungen für den Handel mit Robbenerzeugnissen bestehenden Unterschiede den Binnenmarkt für diese Erzeugnisse stören könnten. Das Gericht war daher zu der in Rn. 58 des angefochtenen Urteils gezogenen Schlussfolgerung berechtigt, dass diese Unterschiede es erlaubten, Maßnahmen auf der Grundlage von Art. 95 EG zu ergreifen, ohne dass es, um die Heranziehung dieser Vorschrift zu rechtfertigen, prüfen musste, ob der Handel mit den betreffenden Erzeugnissen eine verhältnismäßig wichtige Rolle spielt.

42

Folglich ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als teils unzulässig und teils unbegründet zurückzuweisen.

Zum ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes

Vorbringen der Parteien

43

Die Rechtsmittelführer werfen dem Gericht vor, es habe einen Rechtsfehler begangen, indem es in Rn. 105 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass nur die Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) heranzuziehen seien, nicht aber die Bestimmungen der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Nach Ansicht der Rechtsmittelführer ergibt sich u. a. aus Art. 6 Abs. 3 EUV sowie den Art. 52 Abs. 3 und 53 der Charta, dass die durch die EMRK garantierten Rechte bei der Anwendung der Verträge als allgemeine Rechtsgrundsätze gebührend zu berücksichtigen seien und dass die Bestimmungen der EMRK Vorrang hätten, wenn sie einen weiter gehenden Schutz als die Bestimmungen der Charta gewährten.

44

Die Kommission, das Parlament und der Rat treten dem Vorbringen der Rechtsmittelführer entgegen.

Würdigung durch den Gerichtshof

45

Es ist darauf hinzuweisen, dass die EMRK – auch wenn die durch sie anerkannten Grundrechte, wie Art. 6 Abs. 3 EUV bestätigt, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die darin enthaltenen Rechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden –, solange die Union ihr nicht beigetreten ist, kein Rechtsinstrument darstellt, das formell in die Unionsrechtsordnung übernommen worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 44, Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 32, sowie Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 41).

46

Das Gericht hat daher in Rn. 105 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt, dass die Art. 17, 7, 10 und 11 der Charta im Unionsrecht den Schutz gewähren, der durch die von den Rechtsmittelführern angeführten Bestimmungen der EMRK verliehen wird, und dass im vorliegenden Fall die Prüfung der Gültigkeit der Grundverordnung ausschließlich auf die durch die Charta garantierten Grundrechte zu stützen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Otis u. a., C‑199/11, EU:C:2012:684, Rn. 47, sowie Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 126 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47

Jedenfalls ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführer dem Gericht im Rahmen des ersten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes lediglich vorwerfen, allein die Bestimmungen der Charta und nicht die der EMRK herangezogen zu haben, ohne jedoch zu präzisieren, wodurch das Gericht bei seiner Prüfung der Gültigkeit der Grundverordnung im Hinblick auf die Grundrechte einen Rechtsfehler begangen haben soll, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen könnte.

48

Folglich ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

Zum zweiten und zum dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes

Vorbringen der Parteien

49

Mit dem zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es entschieden habe, dass das Eigentumsrecht nicht auf den Schutz bloßer kaufmännischer Interessen ausgedehnt werden könne. Das Verbot der Vermarktung von Robbenerzeugnissen in der Union beeinträchtige ihr Recht, diese Erzeugnisse kommerziell zu verwerten. Der Gerichtshof habe insoweit bereits entschieden, dass das Verbot, Nahrungsergänzungsmittel in der Union zu vermarkten und in Verkehr zu bringen, die freie Berufsausübung der Hersteller dieser Erzeugnisse beschränken könne. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, u. a. im Urteil Malik/Vereinigtes Königreich (EGMR, Nr. 23780/08, 13. März 2012), stellten die mit dem Unternehmen verbundenen wirtschaftlichen Interessen aber „Eigentum“ im Sinne von Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK dar und unterfielen daher dem Schutz des Eigentumsrechts.

50

Mit dem dritten Teil dieses Rechtsmittelgrundes werfen die Rechtsmittelführer dem Gericht vor, es habe in Rn. 112 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die EVNRIV nicht verbindlich sei, und nicht geprüft, ob die Unionsorgane vor dem Erlass der Grundverordnung die vorherige Zustimmung der Rechtsmittelführer gemäß Art. 19 dieser Erklärung erhalten hätten. Auch wenn diese Erklärung als solche nicht rechtsverbindlich sei, habe die Union im 14. Erwägungsgrund der Grundverordnung die Verpflichtung anerkannt, die Bestimmungen der EVNRIV nach Treu und Glauben zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dürfe die Union aber nicht von den Regeln abweichen, die sie in Anwendung dieser Erklärung aufgestellt habe (Urteil NTN Toyo Bearing u. a./Rat, 113/77, EU:C:1979:91, Rn. 21). Außerdem gehe aus einer im Jahr 2012 veröffentlichten Entschließung der International Law Association hervor, dass Art. 19 EVNRIV eine von der Union bei der Ausübung ihrer Befugnisse zu beachtende Regel des Völkergewohnheitsrechts enthalte.

51

Das Parlament hält den dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes insgesamt für unzulässig, da die Rechtsmittelführer den Rechtsfehler des Gerichts nicht hinreichend genau im Sinne von Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bezeichneten. Insbesondere ermögliche das Rechtsmittel es nicht, zu bestimmen, ob die Rechtsmittelführer die Prüfung oder das Fehlen einer Prüfung der vor dem Gericht geltend gemachten Klagegründe rügten und aus welchen Gründen Art. 19 EVNRIV verbindlich sein solle. Nach Ansicht der Kommission und des Parlaments sind der zweite und der dritte Teil dieses Rechtsmittelgrundes zumindest teilweise unzulässig, da die Rechtsmittelführer vor dem Gericht weder eine etwaige Verletzung der unternehmerischen Freiheit noch einen Verstoß gegen eine Regel des Völkergewohnheitsrechts gerügt hätten.

52

Die Kommission, das Parlament und der Rat sind der Ansicht, dass der zweite und der dritte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes jedenfalls unbegründet seien.

Würdigung durch den Gerichtshof

– Zur Zulässigkeit des zweiten und des dritten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes

53

Zu der vom Parlament erhobenen Einrede der Unzulässigkeit des gesamten dritten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes ist darauf hinzuweisen, dass aus Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs sowie den Art. 168 Abs. 1 Buchst. d und 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung hervorgeht, dass ein Rechtsmittel die beanstandeten Punkte der Begründung des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muss; andernfalls ist das Rechtsmittel oder der betreffende Rechtsmittelgrund unzulässig (vgl. in diesem Sinne Urteile Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 43, und Ezz u. a./Rat, C‑220/14 P, EU:C:2015:147, Rn. 111 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54

Im vorliegenden Fall richtet sich der dritte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes gegen einen ganz bestimmten Punkt des angefochtenen Urteils. Insoweit liegt der geltend gemachte Rechtsfehler nach Ansicht der Rechtsmittelführer in der Verkennung der Verbindlichkeit des Erfordernisses der in Art. 19 EVNRIV angeführten Zustimmung, die sich sowohl aus dem 14. Erwägungsgrund der Grundverordnung als auch aus einer Regel des Völkergewohnheitsrechts ergebe.

55

Unter diesen Umständen ist die den gesamten dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes betreffende Einrede des Parlaments zurückzuweisen.

56

In Bezug auf die von der Kommission und vom Parlament erhobenen Einreden der teilweisen Unzulässigkeit geht aus den Akten hervor, dass die Rechtsmittelführer vor dem Gericht weder eine Verletzung der in Art. 16 der Charta niedergelegten unternehmerischen Freiheit noch einen Verstoß gegen eine sich aus Art. 19 EVNRIV ergebende Regel des Völkergewohnheitsrechts gerügt haben.

57

Nach ständiger Rechtsprechung würde einer Partei, wenn sie vor dem Gerichtshof erstmals ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringen könnte, das sie vor dem Gericht nicht vorgebracht hat, letztlich gestattet, den Gerichtshof, dessen Zuständigkeit bei Rechtsmitteln begrenzt ist, mit einem weiter reichenden Rechtsstreit als dem zu befassen, über den das Gericht zu entscheiden hatte (Urteil Nexans und Nexans France/Kommission, C‑37/13 P, EU:C:2014:2030, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Daher ist der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes als unzulässig zurückzuweisen, soweit er sich auf die unternehmerische Freiheit bezieht, und der dritte Teil dieses Rechtsmittelgrundes ist als unzulässig zurückzuweisen, soweit er sich auf einen Verstoß gegen eine Regel des Völkergewohnheitsrechts bezieht.

– Zur Begründetheit des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes

59

Die Rechtsmittelführer tragen im Wesentlichen vor, dass die Grundverordnung ihr Eigentumsrecht verletze, da das Verbot der Vermarktung von Robbenerzeugnissen ihr Recht beeinträchtige, diese Erzeugnisse in der Union kommerziell zu verwerten.

60

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich der Schutz des durch Art. 17 der Charta gewährten Eigentumsrechts nicht auf bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten bezieht, deren Ungewissheit zum Wesen der wirtschaftlichen Tätigkeiten gehört, sondern auf vermögenswerte Rechte, aus denen sich im Hinblick auf die Rechtsordnung eine gesicherte Rechtsposition ergibt, die eine selbständige Ausübung dieser Rechte durch und zugunsten ihres Inhabers ermöglicht (vgl. Urteil Sky Österreich, C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Desgleichen geht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu dem nach Art. 52 Abs. 3 der Charta zu berücksichtigenden Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK hervor, dass künftige Einnahmen nur dann als unter den Schutz dieser Vorschrift fallendes „Eigentum“ angesehen werden können, wenn sie bereits erzielt wurden, wenn sie Gegenstand einer einredefreien Forderung waren oder wenn besondere Umstände vorliegen, die beim Betroffenen ein berechtigtes Vertrauen darauf begründen konnten, einen Vermögenswert zu erhalten (vgl. u. a. EGMR, Anheuser-Busch/Portugal, Nr. 73049/01, 11. Januar 2007, §§ 64 und 65, sowie Malik/Vereinigtes Königreich, § 93).

62

Die Rechtsmittelführer haben sich vor den Unionsgerichten aber lediglich auf die bloße Möglichkeit berufen, Robbenerzeugnisse in der Union zu vermarkten, ohne derartige Umstände darzulegen.

63

Der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes ist daher als teils unzulässig und teils unbegründet zurückzuweisen.

– Zur Begründetheit des dritten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes

64

In Bezug auf Art. 19 EVNRIV genügt in Anbetracht dessen, dass dieser Vorschrift als solcher, wie die Rechtsmittelführer anerkennen, keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, die Feststellung, dass auch der 14. Erwägungsgrund der Grundverordnung dieser in der genannten Vorschrift angeführten Pflicht zur Verständigung und Kooperation, um die Zustimmung der Inuit-Gemeinschaften zu erhalten, keine verbindliche Wirkung verleiht.

65

Nach dem Wortlaut dieses Erwägungsgrundes sollte nämlich, damit die grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Interessen von Inuit-Gemeinschaften, die Robben für ihren Lebensunterhalt jagen, nicht beeinträchtigt werden, das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen aus einer Jagd, die von diesen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt, erlaubt sein.

66

Da eine solche Erlaubnis in Art. 3 Abs. 1 der Grundverordnung vorgesehen ist, wird mit der Bezugnahme im 14. Erwägungsgrund auf die Anerkennung dieser Jagd durch die EVNRIV als fester Bestandteil der Kultur und der Identität der Angehörigen der Inuit-Gemeinschaften ersichtlich nur diese Ausnahme von dem aus der Verordnung resultierenden Verbot des Inverkehrbringens von Robbenerzeugnissen begründet.

67

Hingegen lässt sich aus dem Wortlaut des 14. Erwägungsgrundes der Verordnung keine rechtsverbindliche Verpflichtung ableiten, Art. 19 EVNRIV zu genügen, der im Übrigen in diesem Erwägungsgrund nicht erwähnt wird.

68

Der dritte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes ist daher als teils unzulässig und teils unbegründet zurückzuweisen.

69

Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt als teils unzulässig und teils unbegründet zurückzuweisen.

Kosten

70

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist.

71

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der gemäß deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Hat eine erstinstanzliche Streithilfepartei, die das Rechtsmittel nicht selbst eingelegt hat, am Verfahren vor dem Gerichtshof teilgenommen, kann der Gerichtshof ihr nach Art. 184 Abs. 4 ihre eigenen Kosten auferlegen. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 ebenfalls auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

72

Da die Kommission die Verurteilung der Rechtsmittelführer beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen neben ihren eigenen Kosten die der Kommission entstandenen Kosten aufzuerlegen.

73

Das Parlament und der Rat tragen als Streithelfer vor dem Gericht ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Inuit Tapiriit Kanatami, die Nattivak Hunters’ and Trappers’ Organisation, die Pangnirtung Hunters’ and Trappers’ Organisation, Herr Jaypootie Moesesie, Herr Allen Kooneeliusie, Herr Toomasie Newkingnak, Herr David Kuptana, Frau Karliin Aariak, die Canadian Seal Marketing Group, die Ta Ma Su Seal Products Inc., das Fur Institute of Canada, die NuTan Furs Inc., die GC Rieber Skinn AS, der Inuit Circumpolar Council Greenland (ICC-Greenland), Herr Johannes Egede, die Kalaallit Nunaanni Aalisartut Piniartullu Kattuffiat (KNAPK), William E. Scott & Son, die Association des chasseurs de phoques des Îles-de-la-Madeleine, die Hatem Yavuz Deri Sanayi iç Ve Diş Ticaret Ltd Şirketi und die Northeast Coast Sealers’ Co-Operative Society Ltd tragen neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.

 

3.

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

Top