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Document 62013CJ0365
Judgment of the Court (Ninth Chamber), 30 April 2014.#Ordre des architectes v État belge.#Request for a preliminary ruling from the Conseil d’État (Belgium).#Reference for a preliminary ruling — Directive 2005/36/EC — Articles 21 and 49 — Recognition of professional qualifications — Access to the profession of architect — Exemption from professional traineeship.#Case C‑365/13.
Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 30. April 2014.
Ordre des architectes gegen État belge.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Belgien).
Vorabentscheidungsersuchen – Richtlinie 2005/36/EG – Art. 21 und 49 – Anerkennung von Berufsqualifikationen – Zugang zum Architektenberuf – Befreiung vom Praktikum.
Rechtssache C‑365/13.
Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 30. April 2014.
Ordre des architectes gegen État belge.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Belgien).
Vorabentscheidungsersuchen – Richtlinie 2005/36/EG – Art. 21 und 49 – Anerkennung von Berufsqualifikationen – Zugang zum Architektenberuf – Befreiung vom Praktikum.
Rechtssache C‑365/13.
Court reports – general
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:280
*A9* Conseil d'État, section du contentieux administratif, arrêt nº 224.009 du 20/06/2013 (200.279/XV-1527)
- JURIFAST
*P1* Conseil d'État, section du contentieux administratif, arrêt du 10/11/2015 (nº 232.886)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)
30. April 2014 ( *1 )
„Vorabentscheidungsersuchen — Richtlinie 2005/36/EG — Art. 21 und 49 — Anerkennung von Berufsqualifikationen — Zugang zum Architektenberuf — Befreiung vom Praktikum“
In der Rechtssache C‑365/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Belgien) mit Entscheidung vom 20. Juni 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 2013, in dem Verfahren
Ordre des architectes
gegen
État belge
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan, des Richters J. Malenovský und der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
— |
des Ordre des architectes, vertreten durch J. van Ypersele, avocat, |
— |
der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte, |
— |
der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte, |
— |
der spanischen Regierung, vertreten durch M. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte, |
— |
der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F. Gloaguen als Bevollmächtigte, |
— |
der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und H. Støvlbæk als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 21 und 49 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255, S. 22, mit Berichtigung in ABl. 2008, L 93, S. 28) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 279/2009 der Kommission vom 6. April 2009 (ABl. L 93, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2005/36). |
2 |
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ordre des architectes (Architektenkammer) und dem belgischen Staat wegen der nach belgischem Recht für Angehörige anderer Mitgliedstaaten als des Königreichs Belgien vorgesehenen Befreiung vom Architekturpraktikum. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 |
Die Richtlinie 2005/36 hat die Richtlinie 85/384/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise auf dem Gebiet der Architektur und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (ABl. L 223, S. 15) aufgehoben. |
4 |
Im 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 heißt es: „Die Freizügigkeit und die gegenseitige Anerkennung der Ausbildungsnachweise der … Architekten sollte sich auf den Grundsatz der automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise im Zuge der Koordinierung der Mindestanforderungen an die Ausbildung stützen. … Dieses System sollte durch eine Reihe erworbener Rechte ergänzt werden, auf die sich qualifizierte Berufsangehörige unter bestimmten Voraussetzungen berufen können.“ |
5 |
Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2005/36 bestimmt: „Diese Richtlinie legt die Vorschriften fest, nach denen ein Mitgliedstaat, der den Zugang zu einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung in seinem Hoheitsgebiet an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen knüpft (im Folgenden ‚Aufnahmemitgliedstaat‘ genannt), für den Zugang zu diesem Beruf und dessen Ausübung die in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten (im Folgenden ‚Herkunftsmitgliedstaat‘ genannt) erworbenen Berufsqualifikationen anerkennt, die ihren Inhaber berechtigen, dort denselben Beruf auszuüben.“ |
6 |
Art. 4 Abs. 1 der genannten Richtlinie lautet: „Die Anerkennung der Berufsqualifikationen durch den Aufnahmemitgliedstaat ermöglicht der begünstigten Person, in diesem Mitgliedstaat denselben Beruf wie den, für den sie in ihrem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen und unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben.“ |
7 |
Art. 21 („Grundsatz der automatischen Anerkennung“) Abs. 1 und 5 dieser Richtlinie sieht vor: „(1) Jeder Mitgliedstaat erkennt die in [Anhang V Nummer 5.7.1] aufgeführten Ausbildungsnachweise an, die die Mindestanforderungen für die Ausbildung nach [Artikel 46] erfüllen und die Aufnahme der beruflichen Tätigkeiten des … Architekten gestatten, und verleiht diesen Nachweisen in Bezug auf die Aufnahme und Ausübung der beruflichen Tätigkeiten in seinem Hoheitsgebiet dieselbe Wirkung wie den von ihm ausgestellten Ausbildungsnachweisen. Diese Ausbildungsnachweise müssen von den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten ausgestellt und gegebenenfalls mit den Bescheinigungen versehen sein, die in [Anhang V Nummer 5.7.1] aufgeführt sind. Die Bestimmungen der Unterabsätze 1 und 2 gelten unbeschadet der erworbenen Rechte nach … [Artikel 49]. … (5) Die in Anhang V Nummer 5.7.1 aufgeführten Ausbildungsnachweise des Architekten, die Gegenstand einer automatischen Anerkennung nach Absatz 1 sind, schließen eine Ausbildung ab, die frühestens in dem in diesem Anhang genannten akademischen Bezugsjahr begonnen hat.“ |
8 |
Art. 46 („Ausbildung der Architekten“) Abs. 1 der Richtlinie 2005/36 bestimmt: „(1) Die Gesamtdauer der Ausbildung des Architekten umfasst mindestens entweder vier Studienjahre auf Vollzeitbasis oder sechs Studienjahre, die zumindest drei Jahre Vollzeitstudium an einer Hochschule oder einer vergleichbaren Bildungseinrichtung umfassen. Diese Ausbildung muss mit einer Prüfung auf Hochschulniveau erfolgreich abgeschlossen werden. Die Ausbildung muss durch einen Unterricht auf Hochschulniveau erfolgen, der hauptsächlich auf Architektur ausgerichtet ist; sie muss ferner die theoretischen und praktischen Aspekte der Architekturausbildung in ausgewogener Form berücksichtigen und den Erwerb der folgenden Kenntnisse und Fähigkeiten gewährleisten: …“ |
9 |
Art. 49 („Erworbene Rechte von Architekten“) der Richtlinie 2005/36 lautet: „(1) Jeder Mitgliedstaat erkennt die in Anhang VI aufgeführten Ausbildungsnachweise des Architekten an, die die anderen Mitgliedstaaten ausgestellt haben und die eine Ausbildung abschließen, die spätestens im akademischen Bezugsjahr begann, das in diesem Anhang angegeben ist, selbst wenn sie den Mindestanforderungen von Artikel 46 nicht genügen, und verleiht ihnen in seinem Hoheitsgebiet dieselbe Wirkung wie den Ausbildungsnachweisen, mit denen er selbst die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Architekten ermöglicht. … (2) Jeder Mitgliedstaat erkennt unbeschadet des Absatzes 1 folgende Ausbildungsnachweise an und verleiht ihnen im Hinblick auf die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Architekten in seinem Hoheitsgebiet dieselbe Wirkung wie den von ihm selbst ausgestellten Ausbildungsnachweisen: Bescheinigungen, die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten von denjenigen Mitgliedstaaten ausgestellt wurden, in denen die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Architekten … reglementiert war … … Die in Unterabsatz 1 genannten Bescheinigungen bestätigen, dass ihr Inhaber … die Berechtigung erhielt, die Berufsbezeichnung ‚Architekt‘ zu führen und dass er die entsprechend reglementierten Tätigkeiten während der letzten fünf Jahre vor Ausstellung der Bescheinigung mindestens drei Jahre lang ununterbrochen tatsächlich ausgeübt hat.“ |
Belgisches Recht
10 |
Art. 1 der Loi sur la protection du titre et de la profession d’architecte (Gesetz über den Schutz des Architektentitels und ‑berufs) vom 20. Februar 1939 (Moniteur belge vom 25. März 1939, S. 1942) in der durch das Gesetz vom 21. November 2008 zur Umsetzung der Richtlinien 2005/36/EG und 2006/100/EG und zur Änderung des Gesetzes vom 20. Februar 1939 über den Schutz des Architektentitels und ‑berufs sowie des Gesetzes vom 26. Juni 1963 über die Errichtung einer Architektenkammer (Moniteur belge vom 11. Februar 2009, S. 11596) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 20. Februar 1939) bestimmt: „§ 1 Niemand darf den Architektentitel führen …, wenn er nicht Inhaber eines Diploms ist, mit dem bescheinigt wird, dass er die für die Erlangung dieses Diploms erforderlichen Prüfungen bestanden hat. § 2 Unbeschadet der §§ 1 und 4 sowie der Artikel 7 und 12 des vorliegenden Gesetzes dürfen Belgier und Staatsangehörige der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft oder eines anderen Staates, der Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum [vom 2. Mai 1992, ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen] ist, in Belgien den Architektentitel führen …, wenn sie Inhaber eines Diploms, eines Prüfungszeugnisses oder eines sonstigen Befähigungsnachweises im Sinne von Anhang 1, b dieses Gesetzes in der gemäß Art. 21 Abs. 7 Unterabs. 2 der [Richtlinie 2005/36] im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten aktualisierten Fassung sind. Diese Aktualisierungen werden in Form einer amtlichen Mitteilung im Moniteur belge vollständig veröffentlicht. § 2/1 Der belgische Staat erkennt die in Anhang 2, a aufgeführten, in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Nachweise einer abgeschlossenen Architektenausbildung an, die spätestens in dem in diesem Anhang angegebenen akademischen Bezugsjahr begonnen hat, selbst wenn diese Nachweise nicht den in Anhang 1, a genannten Mindestanforderungen entsprechen. Der belgische Staat verleiht diesen Nachweisen in seinem Hoheitsgebiet hinsichtlich der Aufnahme und Ausübung von beruflichen Tätigkeiten eines Architekten dieselbe Wirkung wie den von ihm selbst ausgestellten Nachweisen einer Architektenausbildung. … § 2/2 Unbeschadet des § 2/1 werden Bescheinigungen anerkannt, die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten von denjenigen Mitgliedstaaten ausgestellt wurden, in denen die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Architekten an den nachstehenden Stichtagen reglementiert war: … Die in Unterabsatz 1 genannten Bescheinigungen bestätigen, dass ihr Inhaber spätestens am betreffenden Stichtag die Berechtigung erhielt, die Berufsbezeichnung ‚Architekt‘ zu führen und dass er die entsprechend reglementierten Tätigkeiten während der letzten fünf Jahre vor Ausstellung der Bescheinigung mindestens drei Jahre lang ununterbrochen tatsächlich ausgeübt hat. …“ |
11 |
Art. 50 Abs. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1963 über die Errichtung einer Architektenkammer (Moniteur belge vom 5. Juli 1963, S. 6945) in der durch das Gesetz vom 22. Dezember 2009 zur Anpassung bestimmter Vorschriften an die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Moniteur belge vom 29. Dezember 2009, S. 82151) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 26. Juni 1963) bestimmt: „Die Aufnahme in das Verzeichnis der Kammer kann nur beantragen, wer ein zweijähriges Praktikum bei einer Person absolviert hat, die seit mindestens zehn Jahren im Verzeichnis eingetragen ist.“ |
12 |
Art. 52 Buchst. a des Gesetzes vom 26. Juni 1963 lautet: „Die Räte der Kammer befreien gemäß den vom König festgelegten Bedingungen ganz oder teilweise vom Praktikum
|
13 |
Art. 1 des Königlichen Erlasses vom 23. März 2011 über die Befreiung vom Architekturpraktikum (Moniteur Belge vom 11. April 2011, S. 23207, im Folgenden: Königlicher Erlass vom 23. März 2011) bestimmt: „Die Räte der Architektenkammer befreien von dem nach Artikel 50 des Gesetzes vom 26. Juni 1963 über die Errichtung einer Architektenkammer vorgesehenen Praktikum Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft oder eines [EWR-Vertragsstaats], die Inhaber eines Diploms, eines Prüfungszeugnisses oder eines sonstigen Befähigungsnachweises im Sinne von Artikel 1 § 2/2 und der Anhänge 1, b und 2, a und 2, b des Gesetzes über den Schutz des Architektentitels und ‑berufs sind. Absatz 1 gilt nicht für Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstige Befähigungsnachweise, die von einer in den Anlagen 1, b und 2, a des genannten Gesetzes vom 20. Februar 1939 aufgeführten belgischen Stelle ausgestellt worden sind.“ |
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
14 |
Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung des Königlichen Erlasses vom 23. März 2011, die die Architektenkammer mit Klageschrift vom 25. Mai 2011 beim Conseil d’État erhoben hat. |
15 |
Die Architektenkammer macht mit dieser Klage einen Verstoß gegen die Art. 50 und 52a des Gesetzes vom 26. Juni 1963 geltend. Der genannte Königliche Erlass sehe nämlich für alle Staatsangehörigen eines EWR-Vertragsstaats oder eines anderen EWG-Mitgliedstaats als des Königreichs Belgien eine Befreiung von der Pflicht zur Absolvierung eines Praktikums vor, sofern diese Staatsangehörigen Inhaber eines Diploms, eines Prüfungszeugnisses oder eines sonstigen Befähigungsnachweises im Sinne von Art. 1 § 2/2 und der Anhänge 1, b sowie 2, a und 2, b des Gesetzes vom 20. Februar 1939 seien. Er mache diese Befreiung jedoch nicht von Bedingungen abhängig, die sicherstellen könnten, dass der betroffene Staatsangehörige im Ausland dem Praktikum gleichwertige Leistungen erbracht habe. Dieser Königliche Erlass sehe also ein System der allgemeinen Befreiung aufgrund der in ihm aufgeführten Qualifikationen vor und mache die Befreiung nicht davon abhängig, ob das Herkunftsland dem Inhaber dieser Qualifikationen den Zugang zum Beruf des Architekten eröffne oder nicht. Außerdem seien die Anhänge V und VI der Richtlinie 2005/36 nicht ordnungsgemäß ins belgische Recht, d. h. in die Anhänge 1, b und 2, a des Gesetzes vom 20. Februar 1939 umgesetzt worden. Inhaber eines Architektendiploms, die nicht die zusätzliche Bescheinigung besäßen, die ihnen erlaube, in ihrem Herkunftsmitgliedstaat den Beruf eines Architekten aufzunehmen, könnten diesen Beruf in Belgien aufnehmen, ohne dass die Architektenkammer von ihnen die Ableistung eines Praktikums verlangen könne, da der Königliche Erlass vom 23. März 2011 sie hiervon befreie. |
16 |
Das vorlegende Gericht hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass der Verweis im Königlichen Erlass vom 23. März 2011 auf die in den Anhängen 1, b und 2, a des Gesetzes vom 20. Februar 1939 aufgeführten Nachweise keine Mindestberufserfahrung gewährleiste, da in diesen Anhängen Ausbildungsnachweise aufgeführt würden, aber keine zusätzliche Bescheinigung über die tatsächliche Ausübung der Tätigkeiten eines Architekten verlangt werde. Aus diesem Königlichen Erlass ergebe sich nicht, dass die Inhaber der darin erwähnten Befähigungsnachweise nur dann von einem Praktikum befreit seien, wenn sie voll qualifizierte Berufsangehörige seien. Deshalb verstoße der genannte Königliche Erlass gegen Art. 52 Abs. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1963, wonach diese Befreiung nur den betreffenden Staatsangehörigen gewährt werden dürfe, die im Ausland dem Praktikum gleichwertige Leistungen erbracht hätten, was durch den bloßen Besitz des Befähigungsnachweises nicht hinreichend belegt sei. Es müsse jedoch geprüft werden, ob Art. 52 Abs. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1963 mit den Art. 21 Abs. 1 und 49 der Richtlinie 2005/36 vereinbar sei. |
17 |
Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Sind die Art. 21 und 49 der Richtlinie 2005/36 dahin auszulegen, dass sie dadurch, dass sie jeden Mitgliedstaat dazu verpflichten, den in ihnen aufgeführten Nachweisen in Bezug auf die Aufnahme und Ausübung der beruflichen Tätigkeiten dieselbe Wirkung wie den von ihm ausgestellten Ausbildungsnachweisen zuzuerkennen, es einem Mitgliedstaat verbieten, von dem Inhaber eines Nachweises für die Ausbildung zum Architekten im Sinne von Art. 46 der genannten Richtlinie oder eines Nachweises im Sinne von deren Art. 49 Abs. 1 als zusätzliche Voraussetzung ein Berufspraktikum oder Berufserfahrung zu verlangen, die denjenigen entsprechen, die von den Inhabern von im Inland ausgestellten Architektendiplomen nach deren Erlangung verlangt werden? |
Zur Vorlagefrage
18 |
Die Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Art. 21 und 49 der Richtlinie 2005/36 in ihrer im Ausgangsverfahren geltenden Fassung dahin auszulegen sind, dass sie dem Aufnahmemitgliedstaat verwehren, für die Erlaubnis zur Ausübung des Architektenberufs vom Inhaber einer im Herkunftsmitgliedstaat erlangten Berufsqualifikation die Absolvierung eines Praktikums oder den Nachweis zu verlangen, dass er eine dem gleichwertige Berufserfahrung besitzt. |
19 |
Diese Richtlinie sieht für den Zugang zu einer Reihe von reglementierten Berufen die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen vor. Gemäß ihren Art. 1 und 4 Abs. 1 besteht das Ziel der gegenseitigen Anerkennung hauptsächlich darin, dem Inhaber einer Berufsqualifikation, die ihm in seinem Herkunftsmitgliedstaat die Aufnahme eines reglementierten Berufs erlaubt, zu ermöglichen, im Aufnahmemitgliedstaat denselben Beruf wie den, für den er in seinem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen und unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer auszuüben. |
20 |
Insbesondere sieht diese Richtlinie, wie sich aus ihrem 19. Erwägungsgrund ergibt, für den Architektenberuf im Zuge der Koordinierung der Mindestanforderungen an die Ausbildung ein System der automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise vor. |
21 |
Gemäß der Rechtsprechung zur Richtlinie 85/384, welche durch die Richtlinie 2005/36 aufgehoben wurde, ist es einem Mitgliedstaat durch ein derartiges System der automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise verwehrt, die Anerkennung von Berufsqualifikationen, die die in der Unionsregelung vorgesehenen Eignungsbedingungen erfüllen, von zusätzlichen Anforderungen abhängig zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Portugal, C‑43/06, EU:C:2007:300, Rn. 27 und 28, sowie Ordine degli Ingegneri di Verona e Provincia u. a., C‑111/12, EU:C:2013:100, Rn. 43 und 44). |
22 |
Diese Überlegung gilt auch für die Richtlinie 2005/36. In diesem Zusammenhang ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Wortlaut dieser Richtlinie unmissverständlich ist. So sieht ihr Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 hinsichtlich der Aufnahme des Architektenberufs vor, dass die Mitgliedstaaten die in Anhang V unter Nr. 5.7.1 der Richtlinie aufgeführten Ausbildungsnachweise anerkennen, indem sie diesen im Hinblick auf die Aufnahme des Architektenberufs dieselbe Wirkung wie den von ihnen ausgestellten Ausbildungsnachweisen verleihen. Diese Nachweise müssen gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2005/36 von den zuständigen Stellen ausgestellt worden und gegebenenfalls mit zusätzlichen Bescheinigungen versehen sein. Anhang V Nr. 5.7.1 dieser Richtlinie nennt für jeden Mitgliedstaat die Ausbildungsnachweise, die zu deren Ausstellung befugten Stellen und die zusätzlichen Bescheinigungen, die die Aufnahme des Architektenberufs erlauben. Die genannten Nachweise und Bescheinigungen entsprechen den Mindestanforderungen an die Ausbildung eines Architekten im Sinne von Art. 46 der genannten Richtlinie. |
23 |
Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36 wird ergänzt durch deren Art. 49. Aus dessen Abs. 1 ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten die in Anhang VI der Richtlinie aufgeführten Ausbildungsnachweise anerkennen, die nach Abschluss einer Ausbildung ausgestellt wurden, die spätestens im akademischen Bezugsjahr begann, das in diesem Anhang angegeben ist, selbst wenn sie den Mindestanforderungen von Art. 46 derselben Richtlinie nicht genügen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, hinsichtlich der Aufnahme des Architektenberufs den genannten Ausbildungsnachweisen dieselbe Wirkung zu verleihen wie den von ihnen selbst ausgestellten Ausbildungsnachweisen. |
24 |
Daraus folgt, dass das von den Art. 21, 46 und 49 der Richtlinie 2005/36 vorgesehene System der automatischen Anerkennung der Berufsqualifikationen den Mitgliedstaaten keinen Ermessensspielraum lässt. Ist daher ein Angehöriger eines Mitgliedstaats Inhaber eines der in Anhang V unter Nr. 5.7.1 oder in Anhang VI der Richtlinie aufgeführten Ausbildungsnachweise und der dort genannten zusätzlichen Bescheinigungen, muss er den Architektenberuf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben können, ohne dass Letzterer von ihm verlangen kann, zusätzliche Berufsqualifikationen zu erlangen oder den Nachweis für deren Erlangung zu erbringen. |
25 |
Zweitens ist der sich aus Rn. 21 des vorliegenden Urteils ergebende Ausschluss zusätzlicher Anforderungen im Zusammenhang mit der genannten Richtlinie insbesondere deshalb geboten, weil sie in Bezug auf den Beruf des Architekten gegenüber der Richtlinie 85/384 den automatischen Charakter der Anerkennung von Berufsqualifikationen hervorhebt. Art. 23 Abs. 1 der letztgenannten Richtlinie sah nämlich die Möglichkeit vor, dass ein Mitgliedstaat den Inhabern von in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Ausbildungsnachweisen die Bedingung eines zusätzlichen Praktikums auferlegt, obwohl die genannten Ausbildungsnachweise gegenseitig anerkannt waren. Mit der Richtlinie 2005/36 wurde diese Möglichkeit beseitigt, ohne die Vorschriften über die gegenseitige Anerkennung, die Gegenstand der in Rn. 21 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung waren, grundsätzlich zu ändern. |
26 |
Die Grundsätze, die dem System der in der Richtlinie 2005/36 vorgesehenen automatischen Anerkennung der Qualifikationen für den Architektenberuf zugrunde liegen, sind zwar in den Art. 21, 46 und 49 dieser Richtlinie festgelegt, doch beruht die Durchführung dieses Systems, wie sich aus den Rn. 22 und 23 des vorliegenden Urteils ergibt, auf den Anhängen V und VI der Richtlinie. Das reibungslose Funktionieren des von der Richtlinie vorgesehenen Systems der automatischen Anerkennung setzt daher die ordnungsgemäße Umsetzung nicht nur der Art. 21, 46 und 49, sondern auch der Anhänge V und VI der Richtlinie 2005/36 durch die Mitgliedstaaten voraus. |
27 |
Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass die Art. 21 und 49 der Richtlinie 2005/36 dahin auszulegen sind, dass sie dem Aufnahmemitgliedstaat verwehren, für die Erlaubnis zur Ausübung des Architektenberufs vom Inhaber einer im Herkunftsmitgliedstaat erlangten Berufsqualifikation im Sinne von Anhang V Nr. 5.7.1 oder VI dieser Richtlinie die Absolvierung eines Praktikums oder den Nachweis zu verlangen, dass er eine dem gleichwertige Berufserfahrung besitzt. |
Kosten
28 |
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt: |
Die Art. 21 und 49 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in der durch die Verordnung (EG) Nr. 279/2009 der Kommission vom 6. April 2009 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie dem Aufnahmemitgliedstaat verwehren, für die Erlaubnis zur Ausübung des Architektenberufs vom Inhaber einer im Herkunftsmitgliedstaat erlangten Berufsqualifikation im Sinne von Anhang V Nr. 5.7.1 oder VI dieser Richtlinie die Absolvierung eines Praktikums oder den Nachweis zu verlangen, dass er eine dem gleichwertige Berufserfahrung besitzt. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.