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Document 62013CJ0038

Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 13. März 2014.
Małgorzata Nierodzik gegen Samodzielny Publiczny Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej im. dr Stanisława Deresza w Choroszczy.
Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy w Białymstoku.
Vorabentscheidungsersuchen – Sozialpolitik – Richtlinie 1999/70/EG − EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge – Paragraf 4 − Begriff ‚Beschäftigungsbedingungen‘ − Kündigungsfrist eines befristeten Arbeitsvertrags – Ungleichbehandlung gegenüber Dauerbeschäftigten.
Rechtssache C‑38/13.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:152

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

13. März 2014 ( *1 )

„Vorabentscheidungsersuchen — Sozialpolitik — Richtlinie 1999/70/EG — EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge — Paragraf 4 — Begriff ‚Beschäftigungsbedingungen‘ — Kündigungsfrist eines befristeten Arbeitsvertrags — Ungleichbehandlung gegenüber Dauerbeschäftigten“

In der Rechtssache C‑38/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy w Białymstoku (Polen) mit Entscheidung vom 14. Januar 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Januar 2013, in dem Verfahren

Małgorzata Nierodzik

gegen

Samodzielny Publiczny Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej im. dr Stanisława Deresza w Choroszczy

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. G. Fernlund, des Richters A. Ó Caoimh (Berichterstatter) und der Richterin C. Toader,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Owsiany-Hornung und D. Martin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Paragrafen 1 und 4 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. L 175, S. 43) sowie des Art. 1 dieser Richtlinie.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Nierodzik, Hilfskrankenpflegerin, und ihrem früheren Arbeitgeber, dem Samodzielny Publiczny Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej im. dr Stanisława Deresza w Choroszczy (selbständige öffentliche psychiatrische Dr. Stanisław Deresz-Klinik in Choroszcz) (im Folgenden: Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej) wegen der Kündigung des befristeten Arbeitsvertrags, der zwischen ihnen bestanden hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/70, die auf Art. 139 Abs. 2 EG gestützt ist, geht hervor, dass die Unterzeichnerparteien der Rahmenvereinbarung mit deren Abschluss die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung verbessern und einen Rahmen schaffen wollten, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse verhindert.

4

Nach Art. 1 der Richtlinie 1999/70 soll mit dieser Richtlinie „die zwischen den allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen (EGB, UNICE und CEEP) geschlossene Rahmenvereinbarung …, die im Anhang enthalten ist, durchgeführt werden“.

5

Der dritte Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung lautet:

„Die Vereinbarung legt die allgemeinen Grundsätze und Mindestvorschriften für befristete Arbeitsverträge in der Erkenntnis nieder, dass bei ihrer genauen Anwendung die besonderen Gegebenheiten der jeweiligen nationalen, sektoralen und saisonalen Situation berücksichtigt werden müssen. Sie macht den Willen der Sozialpartner deutlich, einen allgemeinen Rahmen zu schaffen, der durch den Schutz vor Diskriminierung die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern in befristeten Arbeitsverhältnissen sichert und die Inanspruchnahme befristeter Arbeitsverträge auf einer für Arbeitgeber und Arbeitnehmer akzeptablen Grundlage ermöglicht.“

6

Gemäß Paragraf 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung soll diese „durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse verbessern“.

7

Paragraf 2 („Anwendungsbereich“) Nr. 1 der Rahmenvereinbarung lautet:

„Diese Vereinbarung gilt für befristet beschäftigte Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis gemäß der gesetzlich, tarifvertraglich oder nach den Gepflogenheiten in jedem Mitgliedstaat geltenden Definition.“

8

Paragraf 3 („Definitionen“) der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„Im Sinne dieser Vereinbarung ist:

1.

‚befristet beschäftigter Arbeitnehmer‘ eine Person mit einem direkt zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag oder -verhältnis, dessen Ende durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt wird.

2.

‚vergleichbarer Dauerbeschäftigter‘ ein Arbeitnehmer desselben Betriebs mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag oder -verhältnis, der in der gleichen oder einer ähnlichen Arbeit/Beschäftigung tätig ist, wobei auch die Qualifikationen/Fertigkeiten angemessen zu berücksichtigen sind.

Ist in demselben Betrieb kein vergleichbarer Dauerbeschäftigter vorhanden, erfolgt der Vergleich anhand des anwendbaren Tarifvertrags oder in Ermangelung eines solchen gemäß den einzelstaatlichen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen oder Gepflogenheiten.“

9

Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) Nr. 1 der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„Befristet beschäftige Arbeitnehmer dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil für sie ein befristeter Arbeitsvertrag oder ein befristetes Arbeitsverhältnis gilt, gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.“

Polnisches Recht

10

Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt sich, dass ein für eine Probezeit oder unbefristet geschlossener Arbeitsvertrag gemäß Art. 32 § 1 des Arbeitsgesetzbuchs (Kodeks pracy) vom 26. Juni 1974 (Dz. U. 1998, Nr. 21, Pos. 94, im Folgenden: Arbeitsgesetzbuch) von beiden Seiten unter Einhaltung einer Frist gekündigt werden kann. Der Arbeitsvertrag endet gemäß Art. 32 § 2 des Arbeitsgesetzbuchs mit Ablauf der Kündigungsfrist.

11

Art. 33 des Arbeitsgesetzbuchs betrifft die Kündigungsfrist für befristete Arbeitsverträge und lautet:

„Wird ein befristeter Arbeitsvertrag für eine Dauer von mehr als sechs Monaten geschlossen, können die Parteien die Möglichkeit vorsehen, ihn unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen vorzeitig zu kündigen.“

12

Gemäß Art. 36 § 1 des Arbeitsgesetzbuchs richtet sich „[d]ie Frist für die Kündigung eines unbefristeten Arbeitsvertrags ... nach der Beschäftigungsdauer bei dem betreffenden Arbeitgeber und beträgt

1.

zwei Wochen, wenn der Arbeitnehmer weniger als sechs Monate lang beschäftigt war;

2.

einen Monat, wenn der Arbeitnehmer mindestens sechs Monate lang beschäftigt war;

3.

drei Monate, wenn der Arbeitnehmer mindestens drei Jahre lang beschäftigt war“.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

13

Frau Nierodzik war beim Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej vom 12. Mai 1986 bis zum 15. Februar 2010 beschäftigt. Während des größten Teils dieser Zeit bestand zwischen den Parteien ein unbefristeter Arbeitsvertrag. Auf Wunsch der Klägerin des Ausgangsverfahrens, die frühzeitig in Rente gehen wollte, beendeten sie diesen Vertrag am 15. Februar 2010 im gegenseitigen Einvernehmen.

14

Danach schloss der Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej mit Frau Nierodzik für die Zeit vom 16. Februar 2010 bis zum 3. Februar 2015 einen befristeten Teilzeitvertrag. Dieser Vertrag sah vor, dass der Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej den Vertrag ohne Angabe von Gründen mit einer Frist von zwei Wochen kündigen konnte.

15

Am 3. April 2012 kündigte der Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej Frau Nierodzik den genannten Vertrag mit dem Hinweis, dass dieser mit Ablauf der zweiwöchigen Kündigungsfrist, d. h. am 21. April 2012, ende.

16

Da Frau Nierodzik der Ansicht war, dass der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags für einen Zeitraum von mehreren Jahren rechtswidrig und auf die Umgehung der nationalen Rechtsvorschriften ausgerichtet gewesen sei und sie der Rechte habe berauben sollen, die ihr bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag zugestanden hätten, erhob sie beim Sąd Rejonowy w Białymstoku Klage gegen den Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej. Sie begehrt, den befristeten Arbeitsvertrag als unbefristeten Vertrag einzustufen und demzufolge festzustellen, dass ihr gegenüber eine Kündigungsfrist von drei Monaten hätte beachtet werden müssen.

17

Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften mit der Rahmenvereinbarung, da die Anwendung dieser Vorschriften zu einer Ungleichbehandlung von Dauerarbeitnehmern und befristet beschäftigten Arbeitnehmern führe. Es hebt hervor, wer einen befristeten Arbeitsvertrag für eine Dauer von mehr als sechs Monaten schließe, könne darin gemäß Art. 33 des Arbeitsgesetzbuchs eine Kündigungsfrist von zwei Wochen festlegen, während sich die Kündigungsfrist bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag gemäß Art. 36 § 1 des Arbeitsgesetzbuchs je nach der Betriebszugehörigkeitsdauer des betroffenen Arbeitnehmers auf zwei Wochen bis zu drei Monaten belaufe.

18

Unter diesen Umständen hat der Sąd Rejonowy w Białymstoku beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 1 der Richtlinie 1999/70, Paragraf 1 der Rahmenvereinbarung, Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung und das allgemeine unionsrechtliche Verbot einer Diskriminierung aufgrund der Art des Arbeitsvertrags dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die bei befristeten Arbeitsverträgen mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten für die Bestimmung der Dauer der Kündigungsfrist andere, aus Sicht der mit solchen Verträgen beschäftigten Arbeitnehmer weniger vorteilhafte Regeln als bei unbefristeten Arbeitsverträgen vorsieht, und stehen sie konkret einer Regelung des nationalen Rechts (Art. 33 des Arbeitsgesetzbuchs) entgegen, nach der für die Kündigung eines befristeten Arbeitsvertrags mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten eine feste, von der Betriebszugehörigkeitsdauer des Arbeitnehmers unabhängige zweiwöchige Kündigungsfrist gilt, während bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag die Dauer der Kündigungsfrist von der Betriebszugehörigkeitsdauer des Arbeitnehmers abhängt und zwei Wochen bis drei Monate betragen kann (Art. 36 § 1 des Arbeitsgesetzbuchs)?

Zur Vorlagefrage

19

Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung in Verbindung mit Art. 1 der Richtlinie 1999/70 und Paragraf 1 der Rahmenvereinbarung sowie dem Diskriminierungsverbot dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für die Kündigung von befristeten Arbeitsverträgen mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten die Möglichkeit vorsieht, eine feste, von der Betriebszugehörigkeitsdauer des betroffenen Arbeitnehmers unabhängige zweiwöchige Kündigungsfrist anzuwenden, während bei unbefristeten Arbeitsverträgen die Dauer der Kündigungsfrist von der Betriebszugehörigkeitsdauer des betroffenen Arbeitnehmers abhängt und zwei Wochen bis drei Monate betragen kann.

20

Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verbietet es, befristet beschäftigte Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Beschäftigungsbedingungen gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nur deswegen schlechter zu behandeln, weil für sie ein befristeter Arbeitsvertrag gilt, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

21

Deshalb ist vorab festzustellen, ob die Dauer der Kündigungsfrist eines befristeten Arbeitsvertrags unter den Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne der genannten Vorschrift fällt.

22

Eines der Ziele der Rahmenvereinbarung besteht gemäß ihrem Paragrafen 1 Buchst. a darin, durch die Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse zu verbessern. Außerdem heißt es im dritten Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung, dass diese „den Willen der Sozialpartner deutlich [macht], einen allgemeinen Rahmen zu schaffen, der durch den Schutz vor Diskriminierung die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern in befristeten Arbeitsverhältnissen sichert“. Im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/70 wird zu diesem Zweck festgestellt, dass die Rahmenvereinbarung insbesondere die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse durch die Festlegung von Mindestvorschriften verbessern soll, die geeignet sind, die Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zu gewährleisten (Urteil vom 22. Dezember 2010, Gavieiro Gavieiro und Iglesias Torres, C-444/09 und C-456/09, Slg. 2010, I-14031, Rn. 47).

23

Die Rahmenvereinbarung, insbesondere ihr Paragraf 4, bezweckt, diesen Grundsatz auf befristet beschäftigte Arbeitnehmer anzuwenden, um zu verhindern, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis von einem Arbeitgeber benutzt wird, um diesen Arbeitnehmern Rechte vorzuenthalten, die Dauerbeschäftigten zuerkannt werden (Urteile vom 13. September 2007, Del Cerro Alonso, C-307/05, Slg. 2007, I-7109, Rn. 37, und Gavieiro Gavieiro und Iglesias Torres, Rn. 48).

24

In Anbetracht der mit der Rahmenvereinbarung verfolgten Ziele muss ihr Paragraf 4 nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs als Ausdruck eines Grundsatzes des Sozialrechts der Union verstanden werden, der nicht restriktiv ausgelegt werden darf (vgl. in diesem Sinne Urteile Del Cerro Alonso, Rn. 38, und vom 15. April 2008, Impact, C-268/06, Slg. 2008, I-2483, Rn. 114).

25

Der Gerichtshof hat entschieden, dass für die Bestimmung, ob eine Maßnahme zu den „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne des genannten Paragrafen 4 gehört, gerade das Kriterium der Beschäftigung entscheidend ist, d. h. das zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber begründete Arbeitsverhältnis (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Carratù, C‑361/12, Rn. 35).

26

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass unter den Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung eine Dreijahresdienstalterszulage (vgl. in diesem Sinne Urteile Del Cerro Alonso, Rn. 47, Gavieiro Gavieiro und Iglesias Torres, Rn. 50 bis 58, sowie Beschluss vom 18. März 2011, Montoya Medina, C‑273/10, Rn. 32 bis 34) und die Entschädigung fallen, die ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aufgrund der rechtswidrigen Aufnahme einer Befristungsklausel in seinen Arbeitsvertrag zu zahlen hat (Urteil Carratù, Rn. 38).

27

Im vorliegenden Fall bezieht sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung auf die Bedingungen für die Kündigung eines befristeten Arbeitsvertrags. Eine Auslegung von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung, nach der diese Kündigungsbedingungen von der Definition des Begriffs „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne dieser Vorschrift nicht erfasst würden, liefe darauf hinaus, den Geltungsbereich des befristet beschäftigten Arbeitnehmern gewährten Schutzes vor Diskriminierungen entgegen dem Ziel dieser Vorschrift einzuschränken.

28

Außerdem findet sich der Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ auch in der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16) sowie in der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. L 204, S. 23). Dabei ist festzustellen, dass nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 und Art. 14 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/54 die Beschäftigungsbedingungen u. a. die Entlassungsbedingungen umfassen. Bei der Rahmenvereinbarung ist die Tragweite des Begriffs „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dementsprechend ähnlich.

29

Aufgrund dieser Erwägungen fällt die Kündigungsfrist von befristeten Arbeitsverträgen unter den Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung.

30

Hinsichtlich der Anwendung dieser Vorschrift ist erstens zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situationen von befristet beschäftigten Arbeitnehmern und Dauerbeschäftigten miteinander vergleichbar sind.

31

Um dazu festzustellen, ob die betroffenen Personen die gleiche oder eine ähnliche Arbeit im Sinne der Rahmenvereinbarung verrichten, ist nach den Paragrafen 3 Nr. 2 und 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung zu prüfen, ob sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können (Urteil vom 18. Oktober 2012, Valenza u. a., C‑302/11 bis C‑305/11, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob sich die Klägerin des Ausgangsverfahrens, als sie ihre Aufgaben beim Psychiatryczny Zakład Opieki Zdrowotnej im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags wahrnahm, in einer vergleichbaren Situation wie die bei demselben Arbeitgeber in demselben Zeitraum unbefristet angestellten Arbeitnehmer befand (vgl. entsprechend Urteil Valenza u. a., Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Sollte das vorlegende Gericht feststellen, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens eine ähnliche oder die gleiche Arbeit wie ein Dauerbeschäftigter wahrnahm, so ist davon auszugehen, dass sie sich in einer vergleichbaren Situation wie die Dauerbeschäftigten befand. In diesem Zusammenhang kann der Umstand, dass die Klägerin vorher auf derselben Stelle mit einem unbefristeten Vertrag beschäftigt war, ein Hinweis darauf sein, dass ihre Situation als befristet angestellte Arbeitnehmerin mit der Situation eines Dauerbeschäftigten vergleichbar war.

34

Für diesen Fall ist festzustellen, dass die Dauer der Kündigungsfrist vor der Auflösung des Arbeitsvertrags der Klägerin des Ausgangsverfahrens ungeachtet ihrer Betriebszugehörigkeitsdauer auf zwei Wochen festgelegt wurde. Hätte sie jedoch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden, so hätte ihr gegenüber unter Berücksichtigung ihrer Betriebszugehörigkeitsdauer eine einmonatige, d. h. eine doppelt so lange Kündigungsfrist gegolten. Das einzige Merkmal, worin sich ihre Situation von der eines Dauerbeschäftigten unterscheiden könnte, scheint in der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses zu liegen, das sie mit ihrem Arbeitgeber verband.

35

Nach alledem stellt die Anwendung unterschiedlich langer Kündigungsfristen eine unterschiedliche Behandlung im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen dar.

36

Zweitens macht die polnische Regierung im Hinblick auf das Vorliegen einer etwaigen sachlichen Rechtfertigung im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung geltend, dass sich befristete Arbeitsverträge von unbefristeten Arbeitsverträgen im Hinblick auf Art und Zweck unterschieden. Der Unterschied zwischen den beiden Arten von Beschäftigungsverhältnissen sei in ihrer Dauer und in der Stabilität der arbeitsrechtlichen Beziehung zu sehen.

37

Was die unterschiedliche Art der genannten Arbeitsverträge angeht, hat der Gerichtshof jedoch bereits festgestellt, dass die Berufung auf die bloße temporäre Natur eines Arbeitsverhältnisses keinen sachlichen Grund darstellen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Valenza, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Eine die Beschäftigungsbedingungen betreffende Ungleichbehandlung zwischen befristet beschäftigten und auf Dauer beschäftigten Arbeitnehmern kann nämlich nicht durch ein Kriterium gerechtfertigt werden, das allgemein und abstrakt auf die Beschäftigungsdauer selbst abstellt. Würde bereits die bloße Befristung eines Arbeitsverhältnisses zur Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung ausreichen, verlören die Ziele der Richtlinie 1999/70 und der Rahmenvereinbarung ihren Sinn. Anstatt die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse zu verbessern und die durch die Richtlinie 1999/70 und die Rahmenvereinbarung angestrebte Gleichbehandlung zu fördern, liefe die Anwendung eines solchen Kriteriums auf die Beibehaltung einer für befristet beschäftigte Arbeitnehmer ungünstigen Situation hinaus (Beschluss vom 9. Februar 2012, Lorenzo Martínez, C‑556/11, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Das Argument der polnischen Regierung, wonach ein befristeter Arbeitsvertrag die Stabilität der arbeitsrechtlichen Beziehung fördere, kann kein sachlicher Grund im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung sein, um eine Ungleichbehandlung wie die im Ausgangsverfahren fragliche zu rechtfertigen.

40

Nach alledem ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, dass Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen ‐ die für die Kündigung von befristeten Arbeitsverträgen mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten die Möglichkeit vorsieht, eine feste, von der Betriebszugehörigkeitsdauer des betroffenen Arbeitnehmers unabhängige zweiwöchige Kündigungsfrist anzuwenden, während bei unbefristeten Arbeitsverträgen die Dauer der Kündigungsfrist von der Betriebszugehörigkeitsdauer des betroffenen Arbeitnehmers abhängt und zwei Wochen bis drei Monate betragen kann ‐ entgegensteht, sofern sich diese beiden Kategorien von Arbeitnehmern in vergleichbaren Situationen befinden.

Kosten

41

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

 

Paragraf 4 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen ‐ die für die Kündigung von befristeten Arbeitsverträgen mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten die Möglichkeit vorsieht, eine feste, von der Betriebszugehörigkeitsdauer des betroffenen Arbeitnehmers unabhängige zweiwöchige Kündigungsfrist anzuwenden, während bei unbefristeten Arbeitsverträgen die Dauer der Kündigungsfrist von der Betriebszugehörigkeitsdauer des betroffenen Arbeitnehmers abhängt und zwei Wochen bis drei Monate betragen kann ‐ entgegensteht, sofern sich diese beiden Kategorien von Arbeitnehmern in vergleichbaren Situationen befinden.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

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