Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62013CC0562

    Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 4. September 2014.
    Centre public d'action sociale d'Ottignies-Louvain-La-Neuve gegen Moussa Abdida.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour du travail de Bruxelles - Belgien.
    Vorlage zur Vorabentscheidung - Charta der Grundrechte der Europäischen Union - Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 - Richtlinie 2004/83/EU - Mindestnormen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus - Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz - Art. 15 Buchst. b - Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland - Art. 3 - Günstigere Normen - An einer schweren Krankheit leidender Antragsteller - Nichtverfügbarkeit einer angemessenen Behandlung im Herkunftsland - Richtlinie 2008/115/EU - Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Art. 13 - Gerichtlicher Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung - Art. 14 - Garantien bis zur Rückkehr - Grundbedürfnisse.
    Rechtssache C-562/13.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:2167

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    YVES BOT

    vom 4. September 2014 ( 1 )

    Rechtssache C‑562/13

    Centre public d’action sociale d’Ottignies-Louvain-la-Neuve

    gegen

    Moussa Abdida

    (Vorabentscheidungsersuchen der Cour du travail de Bruxelles [Belgien])

    „Vorabentscheidungsersuchen — Gemeinsames Europäisches Asylsystem — Richtlinie 2003/9/EG — Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten — Richtlinie 2004/83/EG — Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge — Person mit Anspruch auf subsidiären Schutzstatus — Art. 2 Buchst. e — Tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden — Art. 15 Buchst. b — Unmenschliche oder erniedrigende Behandlung — Richtlinie 2005/85/EG — Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft — Richtlinie 2008/115/EG — Gemeinsame Normen und Verfahren zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger — Art. 13 Abs. 2 — Aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs — Art. 14 Abs. 1 — Garantien bis zur Rückkehr — Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Weigerung des Mitgliedstaats, einem schwer kranken Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen zu erteilen, verbunden mit der Aufforderung zum Verlassen des Hoheitsgebiets — Fehlen eines Rechtsbehelfs mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen die Vollstreckung der Abschiebung — Keine Befriedigung anderer als medizinischer Grundbedürfnisse — Gewährung der dringenden medizinischen Hilfe“

    1. 

    Mit diesem Vorabentscheidungsersuchen stellt das vorlegende Gericht Fragen nach den Verfahrensgarantien und den sozialen Vergünstigungen, die ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen, dessen Gesundheitszustand eine medizinische Betreuung erfordert, bis zum Erlass des Urteils über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen und über die Aufforderung zum Verlassen des Hoheitsgebiets gewähren muss.

    2. 

    Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof insbesondere zu untersuchen, ob eine nationale Regelung, die einerseits einen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen die Vollstreckung der Abschiebung ausschließt und andererseits während der gesamten Dauer des streitigen Verfahrens die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Betroffenen auf dringende medizinische Hilfe beschränkt, mit den Richtlinien 2003/9/EG ( 2 ), 2004/83/EG ( 3 ) und 2005/85/EG ( 4 ), die die Grundlage des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bilden, und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ( 5 ) vereinbar ist.

    3. 

    Dieses Vorabentscheidungsersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Centre public d’action sociale d’Ottignies-Louvain-la-Neuve (öffentliches Sozialhilfezentrum, im Folgenden: CPAS) und Herrn Moussa Abdida, einem nigerianischen Staatsangehörigen, der an Aids leidet (im Folgenden: Kläger). Nach Erlass der Entscheidung, mit der der belgische Staat seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen abgelehnt und ihn zum Verlassen des Hoheitsgebiets aufgefordert hatte, wurde ihm seine Meldebescheinigung entzogen, die ihm die kostenlose Befriedigung seiner Grundbedürfnisse ermöglicht hatte. Zudem stand ihm im Zusammenhang mit seiner gegen diese Entscheidung erhobene Nichtigkeitsklage kein Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen die Vollstreckung der Abschiebung zur Verfügung.

    4. 

    Mit dem Vorabentscheidungsersuchen werden im Wesentlichen drei Fragen aufgeworfen.

    5. 

    Erstens: Ist ein Drittstaatsangehöriger, der an einer schweren Krankheit leidet und im Fall seiner Rückführung in sein Herkunftsland wegen Fehlens einer angemessenen medizinischen Behandlung in seinem Land tatsächlich Gefahr läuft, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erleiden, als „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 anzusehen?

    6. 

    Diese Frage ist identisch mit der, die von der Cour constitutionnelle (Verfassungsgericht) in der Rechtssache M’Bodj gestellt wurde, die derzeit beim Gerichtshof anhängig ist und in der ich meine Schlussanträge am 17. Juli 2014 vorgetragen habe ( 6 ).

    7. 

    Zweitens: Muss der Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, durch die ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen abgelehnt und der Betroffene zum Verlassen des Hoheitsgebiets aufgefordert wird, aufgrund der diesem durch die Richtlinien 2003/9, 2004/83 und 2005/85 sowie die Grundrechtecharta gewährten Rechte kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben?

    8. 

    Drittens: Sind die Mitgliedstaaten aufgrund derselben Texte verpflichtet, bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Rückführungsentscheidung andere als medizinische Grundbedürfnisse des Betroffenen zu befriedigen, während das CPAS im vorliegenden Fall die Sozialhilfe auf die Gewährung der dringenden medizinischen Hilfe beschränkt hat?

    9. 

    In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich die Auffassung vertreten, dass keiner der Texte zur Regelung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, d. h. die Richtlinien 2003/9, 2004/83 und 2005/85, auf einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen gemäß Art. 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern anwendbar ist, da eine solche Aufenthaltserlaubnis nicht unter eine subsidiäre Form internationalen Schutzes fällt.

    10. 

    Sodann werde ich die Gründe darlegen, aus denen ich einerseits anhand der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ( 7 ) und andererseits anhand der in der Grundrechtecharta verankerten Grundrechte prüfen werde, ob unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben sind, das Fehlen eines Rechtsbehelfs mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen die Vollstreckung der Abschiebung und der Umstand, dass die Grundbedürfnisse des Betroffenen nicht befriedigt werden, mit den den Migranten in der Europäischen Union zuerkannten Rechten in Einklang stehen.

    11. 

    Insoweit werde ich dem Gerichtshof vorschlagen zu entscheiden, dass das in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 verankerte und in Art. 47 Abs. 1 der Grundrechtecharta bekräftigte Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf das Vorhandensein eines Rechtsbehelfs mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung erfordert, wenn die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung den Betroffenen aufgrund seines Gesundheitszustands möglicherweise der Gefahr einer gegen Art. 4 der Grundrechtecharta verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aussetzt.

    12. 

    Ich werde ferner erläutern, weshalb in dieser Situation der Zweck von Art. 14 der Richtlinie 2008/115 und die Wahrung der Grundrechte, insbesondere der Erfordernisse der Art. 1 bis 4 und 35 der Grundrechtecharta von den Mitgliedstaaten verlangen, während der gesamten Dauer des Verfahrens eine ausreichende Befriedigung der Grundbedürfnisse des Betroffenen sicherzustellen, so dass sein Lebensunterhalt gedeckt und ihm ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird, bei dem seine Gesundheit gewährleistet ist, indem er insbesondere in die Lage versetzt wird, eine Unterkunft zu finden, und indem gegebenenfalls seine spezifischen Bedürfnisse berücksichtigt werden.

    I – Rechtlicher Rahmen

    A – Unionsrecht

    1. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem

    13.

    Das Gemeinsame Europäische Asylsystem ist in drei Texten geregelt, nämlich den Richtlinien 2003/9, 2004/83 und 2005/85.

    a) Richtlinie 2003/9

    14.

    Die Richtlinie 2003/9 legt Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten fest.

    15.

    Nach Art. 3 Abs. 1 gilt die Richtlinie „für alle Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats Asyl beantragen, solange sie als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“.

    16.

    Die Mitgliedstaaten können jedoch nach Art. 3 Abs. 4 „beschließen, diese Richtlinie [auch] auf Verfahren zur Bearbeitung von Ersuchen um andere Formen der Schutzgewährung anzuwenden, die sich nicht aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergeben und die Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen zugutekommen, die nicht als Flüchtlinge gelten“.

    17.

    Die Richtlinie legt in Kapitel II die Mindestbedingungen für die Aufnahme fest, die die Mitgliedstaaten den Asylbewerbern garantieren müssen und die einem Lebensstandard entsprechen müssen, der ihre Gesundheit und ihren Unterhalt gewährleistet.

    18.

    Der Unionsgesetzgeber sieht in den Art. 7 bis 10 und 15 der Richtlinie 2003/9 Garantien vor, die insbesondere den Wohnsitz und die Bewegungsfreiheit der Asylbewerber, die Wahrung der Einheit der Familie, die medizinischen Untersuchungen und die Gesundheitsversorgung sowie die Grundschulerziehung und weiterführende Bildung Minderjähriger betreffen.

    19.

    Kapitel IV, namentlich die Art. 17 bis 20, der Richtlinie 2003/9, enthält besondere Bestimmungen über besonders schutzbedürftige Personen.

    b) Richtlinie 2004/83

    20.

    Ziel der Richtlinie 2004/83 ist die Festlegung von für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Kriterien betreffend die materiellen Voraussetzungen, die Drittstaatsangehörige für die Gewährung internationalen Schutzes erfüllen müssen ( 8 ), sowie des Inhalts dieses Schutzes ( 9 ). In diesem Rahmen bezeichnet diese Richtlinie in Art. 2 Buchst. c und e die Personen, die Flüchtlinge sein und Anspruch auf subsidiären Schutz haben können, legt in den Kapiteln II, III und V die materiellen Voraussetzungen fest, die diese erfüllen müssen, und bestimmt in Kapitel VII die mit jedem Status verbundenen Rechte.

    21.

    Im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ergänzt der subsidiäre Schutz die Vorschriften über den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention ( 10 ).

    22.

    Nach Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 handelt es sich dabei um internationalen Schutz für „einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland … tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikels 15 zu erleiden, … und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will“.

    23.

    Nach Art. 18 dieser Richtlinie erkennen die Mitgliedstaaten „einem Drittstaatsangehörigen …, der die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllt, den subsidiären Schutzstatus zu“.

    24.

    Kapitel II dieser Richtlinie betrifft die „Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz“. Art. 6 („Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann“) lautet:

    „Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von

    a)

    dem Staat;

    b)

    Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen;

    c)

    nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.“

    25.

    Kapitel V der Richtlinie 2004/83 regelt die „Voraussetzungen für den Anspruch auf subsidiären Schutz“. Art. 15 definiert den Begriff „ernsthafter Schaden“ wie folgt:

    „Als ernsthafter Schaden gilt:

    a)

    die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder

    b)

    Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder

    c)

    eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts.“

    26.

    Im Rahmen des Kapitels VII dieser Richtlinie betreffend den „Inhalt des internationalen Schutzes“ bestimmt der Unionsgesetzgeber außerdem in den Art. 28 und 29, dass die Zuerkennung internationalen Schutzes, gleich ob es sich um den Flüchtlingsstatus oder den subsidiären Schutzstatus handelt, von den Mitgliedstaaten verlangt, dem Betroffenen die gleiche Sozialhilfe und den gleichen Zugang zu medizinischer Versorgung wie Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats zu gewähren. Gleichwohl können die Mitgliedstaaten eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Status vornehmen, da es ihnen nach diesen Bestimmungen gestattet ist, die Sozialhilfe für Personen mit subsidiärem Schutzstatus auf Kernleistungen zu beschränken ( 11 ).

    27.

    Schließlich ist festzuhalten, dass die Richtlinie 2004/83 Mindeststandards festlegt. Nach dem achten Erwägungsgrund und nach Art. 3 der Richtlinie bleibt es den Mitgliedstaaten freigestellt, günstigere Normen zur Entscheidung der Frage, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, zu erlassen oder beizubehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind.

    28.

    Der Unionsgesetzgeber hat jedoch im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 klargestellt, dass „[d]iejenigen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten verbleiben dürfen, nicht weil sie internationalen Schutz benötigen, sondern aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, … nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie [fallen]“.

    c) Richtlinie 2005/85

    29.

    Die Richtlinie 2005/85 enthält die Rechtsvorschriften über das Verfahren bei der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz. In Art. 1 legt sie für alle Mitgliedstaaten gemeinsame Mindestnormen für das Verfahren der Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft fest. In den Kapiteln II und III regelt sie die verfahrensmäßigen Rechte und Pflichten des Antragstellers und des Mitgliedstaats im Hinblick auf die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz.

    30.

    Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie wird in ihrem Art. 3 wie folgt definiert:

    „(1)   Diese Richtlinie gilt für alle Asylanträge, die im Hoheitsgebiet – einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen – der Mitgliedstaaten gestellt werden, sowie für die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft.

    (3)   Wenn Mitgliedstaaten ein Verfahren anwenden oder einführen, nach dem Asylanträge sowohl als Anträge aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention als auch als Anträge auf Gewährung anderer Formen internationalen Schutzes, der unter den in Artikel 15 der Richtlinie [2004/83] definierten Umständen gewährt wird, geprüft werden, wenden sie die vorliegende Richtlinie während des gesamten Verfahrens an.

    (4)   Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Richtlinie bei Verfahren anzuwenden, mit denen über Anträge auf Gewährung irgendeiner Form des internationalen Schutzes entschieden wird.“

    31.

    Art. 39 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“) der Richtlinie bestimmt:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Asylbewerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht oder Tribunal haben gegen

    a)

    eine Entscheidung über ihren Asylantrag …

    (3)   Die Mitgliedstaaten legen im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen gegebenenfalls Vorschriften fest im Zusammenhang mit

    a)

    der Frage, ob der Rechtsbehelf nach Absatz 1 zur Folge hat, dass Antragsteller sich bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen,

    b)

    der Möglichkeit eines Rechtsmittels oder von Sicherungsmaßnahmen, wenn der Rechtsbehelf nach Absatz 1 nicht zur Folge hat, dass sich Antragsteller bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen. Die Mitgliedstaaten können auch ein von Amts wegen eingeleitetes Rechtsbehelfsverfahren vorsehen …“

    2. Die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger

    32.

    Die Vorschriften über die Abschiebung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger finden sich in der Richtlinie 2008/115.

    33.

    Nach Art. 2 der Richtlinie findet diese auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige Anwendung.

    34.

    Sie bezweckt die Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik, die auf gemeinsamen Normen beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden ( 12 ).

    35.

    Unter diesem Blickwinkel gewährt Art. 13 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/115 dem Betroffenen Verfahrensgarantien im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die Rückkehrentscheidung.

    36.

    Diese Bestimmung lautet:

    „(1)

    Die betreffenden Drittstaatsangehörigen haben das Recht, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr … einzulegen …

    (2)

    Die in Absatz 1 genannte Behörde oder dieses Gremium ist befugt, Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr … zu überprüfen, und hat auch die Möglichkeit, ihre Vollstreckung einstweilig auszusetzen, sofern eine einstweilige Aussetzung nicht bereits im Rahmen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften anwendbar ist.“

    37.

    Art. 14 der Richtlinie 2008/115 regelt die wirtschaftlichen und sozialen Rechte des Migranten bis zu seiner Abschiebung.

    38.

    Art. 14 Abs. 1 lautet wie folgt:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten stellen außer in Fällen nach Artikel 16 und 17 sicher, dass innerhalb der nach Artikel 7 für die freiwillige Ausreise gewährten Frist und der Fristen, während derer die Vollstreckung einer Abschiebung nach Artikel 9 aufgeschoben ist, die folgenden Grundsätze in Bezug auf Drittstaatsangehörige soweit wie möglich beachtet werden:

    a)

    Aufrechterhaltung der Familieneinheit mit den in demselben Hoheitsgebiet aufhältigen Familienangehörigen;

    b)

    Gewährung medizinischer Notfallversorgung und unbedingt erforderlicher Behandlung von Krankheiten;

    c)

    Gewährleistung des Zugangs zum Grundbildungssystem für Minderjährige je nach Länge ihres Aufenthalts;

    d)

    Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen.“

    B – Belgisches Recht

    1. Das Gesetz vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern

    39.

    Das Gesetz vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern ( 13 ) dient der Umsetzung der Richtlinie 2004/83 in die belgische Rechtsordnung.

    a) Die materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen

    40.

    Art. 9ter dieses Gesetzes legt die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen fest. Sein Abs. 1 lautet:

    „Ein Ausländer, der sich in Belgien aufhält, seine Identität gemäß § 2 nachweist und so sehr an einer Krankheit leidet, dass sie eine tatsächliche Gefahr für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit oder eine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung darstellt, wenn in seinem Herkunftsland oder dem Land, in dem er sich aufhält, keine angemessene Behandlung vorhanden ist, kann beim Minister beziehungsweise seinem Beauftragten beantragen, dass ihm der Aufenthalt im Königreich erlaubt wird.

    Der Antrag muss per Einschreiben beim Minister beziehungsweise seinen Beauftragten eingereicht werden und die Adresse des tatsächlichen Wohnortes des Ausländers in Belgien enthalten.

    Mit dem Antrag übermittelt der Ausländer alle nützlichen Auskünfte neueren Datums zu seiner Krankheit sowie zu den Möglichkeiten und der Zugänglichkeit einer angemessenen Behandlung in seinem Herkunftsland oder dem Land, in dem er sich aufhält.

    Er übermittelt ein vom König in einem im Ministerrat beratenen Erlass vorgesehenes ärztliches Standardattest. Dieses ärztliche Attest, das bei Einreichung des Antrags nicht älter als drei Monate sein darf, gibt Auskunft über die Krankheit, ihren Schweregrad und die als notwendig erachtete Behandlung.

    Die Beurteilung der in Abs. 1 erwähnten Gefahr, der Behandlungsmöglichkeiten, ihrer Zugänglichkeit im Herkunftsland des Betroffenen oder dem Land, in dem er sich aufhält, und der Krankheit, ihrem Schweregrad und der als notwendig erachteten Behandlung, die im ärztlichen Attest angegeben werden, wird von einem beamteten Arzt oder von einem vom Minister beziehungsweise von seinem Beauftragten bestimmten Arzt vorgenommen, der diesbezüglich ein Gutachten abgibt. Er kann falls erforderlich den Ausländer untersuchen und bei Gutachtern ein zusätzliches Gutachten einholen.

    …“

    41.

    Wenn die Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen erteilt wird, stellen die zuständigen staatlichen Behörden dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel für ein Jahr aus, der allerdings verlängert werden kann. Damit hat er Anspruch auf Sozialhilfe, die vom CPAS gezahlt wird. Dieses kann, wenn er bedürftig ist, seine Beiträge zu einer Kranken- und Invaliditätsversicherung sowie seine Heilbehandlungskosten übernehmen. Nach fünf Jahren kann der Betroffene einen unbefristeten Aufenthaltstitel erhalten, der ihm dieselben Rechte verleiht, wie sie belgischen Staatsangehörigen zustehen.

    42.

    Wenn die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wird, fordern die zuständigen staatlichen Behörden den Betroffenen zum Verlassen des Hoheitsgebiets auf, und sein Aufenthalt im belgischen Hoheitsgebiet wird illegal. Die Sozialhilfe beschränkt sich dann auf dringende medizinische Hilfe. Nach der Rechtsprechung der Cour constitutionnelle muss diese sowohl vorbeugende als auch heilende medizinische Leistungen umfassen, damit Personen, die an einer schweren Krankheit leiden, nicht einer Gefahr für ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit ausgesetzt sind ( 14 ).

    43.

    Der Betroffene kann gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis Nichtigkeitsklage beim Conseil du contentieux des étrangers (Rat für Ausländerstreitsachen) erheben. Diese Klage hat hinsichtlich der Vollstreckung der Abschiebung keine aufschiebende Wirkung.

    44.

    Nach Art. 39/82 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 kann zusammen mit dieser Klage ein Antrag auf Aussetzung der Maßnahme gestellt werden. Dieser kann im ordentlichen Verfahren oder im Verfahren äußerster Dringlichkeit eingereicht werden. Im letzteren Fall wird die Vollstreckung der Maßnahme ausgesetzt.

    45.

    Diese Bestimmung lautet:

    „§ 1

    Wenn ein Akt einer Verwaltungsbehörde aufgrund von Artikel 39/2 für nichtig erklärt werden kann, ist nur der Rat für die Aussetzung seiner Ausführung zuständig.

    Die Aussetzung wird nach Anhörung oder ordnungsgemäßer Vorladung der Parteien durch einen mit Gründen versehenen Beschluss des Präsidenten der befassten Kammer oder des von diesem bestimmten Richters für Ausländerstreitsachen angeordnet.

    In Fällen äußerster Dringlichkeit kann die Aussetzung vorläufig – ohne Anhörung der Parteien oder bestimmter Parteien – angeordnet werden.

    Die antragstellende Partei muss, wenn sie die Aussetzung der Ausführung beantragt, entweder eine Aussetzung in äußerster Dringlichkeit oder eine gewöhnliche Aussetzung wählen. Zur Vermeidung der Unzulässigkeit darf sie weder gleichzeitig noch nacheinander Absatz 3 ein erneutes Mal anwenden oder in dem in § 3 erwähnten Antrag die Aussetzung ein erneutes Mal beantragen.

    In Abweichung von Absatz 4 und unbeschadet von § 3 hindert die Ablehnung des Aussetzungsantrags im Verfahren der äußersten Dringlichkeit die antragstellende Partei nicht daran, später einen Aussetzungsantrag gemäß dem gewöhnlichen Verfahren einzureichen, wenn dieser Aussetzungsantrag in äußerster Dringlichkeit abgelehnt worden ist, weil die äußerste Dringlichkeit nicht ausreichend nachgewiesen wurde.

    § 2

    Die Aussetzung der Ausführung kann nur angeordnet werden, wenn triftige Gründe, die die Aussetzung des angefochtenen Akts rechtfertigen können, vorgebracht werden, und unter der Voraussetzung, dass die unmittelbare Ausführung des Akts einen gravierenden und schwer wiedergutzumachenden Schaden verursachen kann.

    § 3

    Außer in Fällen äußerster Dringlichkeit müssen der Aussetzungsantrag und die Nichtigkeitsklage in ein und demselben Akt eingereicht werden.

    In der Überschrift des Antrags muss angegeben werden, dass entweder eine Nichtigkeitsklage oder ein Aussetzungsantrag und eine Nichtigkeitsklage eingereicht werden. Wenn diese Formalität nicht erfüllt ist, wird davon ausgegangen, dass der Antrag nur eine Nichtigkeitsklage beinhaltet.

    Wenn die Nichtigkeitsklage eingereicht ist, ist ein später eingereichter Aussetzungsantrag nicht zulässig, unbeschadet der dem Antragsteller offenstehenden Möglichkeit, wie oben erwähnt eine neue Nichtigkeitsklage einzureichen, der ein Aussetzungsantrag beigefügt ist, sofern die Beschwerdefrist noch nicht abgelaufen ist.

    § 4

    Ist der Ausländer Gegenstand einer Entfernungs- oder Abweisungsmaßnahme, deren Ausführung unmittelbar bevorsteht, und hat er noch keinen Aussetzungsantrag eingereicht, kann er in äußerster Dringlichkeit die Aussetzung dieses Beschlusses beantragen. … [W]enn die Aussetzung nicht gewährt wird, ist die Zwangsvollstreckung der Maßnahme wieder möglich.“

    46.

    Nach Art. 39/84 ist allein der Rat für Ausländerstreitsachen dafür zuständig, alle zur Wahrung der Interessen der Verfahrensbeteiligten oder der Personen, die ein Interesse am Ausgang des Verfahrens haben, erforderlichen Maßnahmen anzuordnen. Dies gilt nicht für Maßnahmen, die bürgerliche Rechte betreffen.

    47.

    Art. 39/85 des genannten Gesetzes regelt die Prüfung der im Verfahren äußerster Dringlichkeit beantragten vorläufigen Maßnahmen wie folgt:

    „Ist der Ausländer Gegenstand einer Entfernungs- oder Abweisungsmaßnahme, deren Ausführung unmittelbar bevorsteht, kann er, wenn er bereits einen Antrag zur Aussetzung dieser Maßnahme eingereicht hat und der Rat noch nicht über diesen Antrag befunden hat, beantragen, dass der Rat seinen Aussetzungsantrag im Wege vorläufiger Maßnahmen im Sinne von Artikel 39/84 in bestmöglicher Frist untersucht.

    Der Antrag auf Anordnung vorläufiger Maßnahmen und der Aussetzungsantrag werden … zusammen untersucht …

    Nach Empfang des Antrags auf Anordnung vorläufiger Maßnahmen kann die Zwangsvollstreckung der Entfernungs- oder Abweisungsmaßnahme nicht vorgenommen werden, bis der Rat über den Antrag befunden oder den Antrag abgewiesen hat. Wenn … die Aussetzung nicht gewährt wird, ist die Zwangsvollstreckung der Maßnahme wieder möglich.

    …“

    48.

    Sowohl bei Stellung eines Aussetzungsantrags im Verfahren äußerster Dringlichkeit als auch eines Antrags auf Erlass vorläufiger Maßnahmen im Verfahren äußerster Dringlichkeit muss der Betroffene das unmittelbare Bevorstehen eines ernsthaften Schadens und insbesondere das Vorliegen einer Zwangsmaßnahme, durch die er gezwungen werden soll, das belgische Hoheitsgebiet zu verlassen, dartun.

    b) Die Vorschriften über den subsidiären Schutzstatus

    49.

    Art. 48/4 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 legt die Voraussetzungen für den Anspruch auf den subsidiären Schutzstatus fest ( 15 ). Er setzt die Art. 2 Buchst. e, 15 und 17 der Richtlinie 2004/83 um und lautet wie folgt:

    „§ 1   Der subsidiäre Schutzstatus wird einem Ausländer zuerkannt, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt und nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 9ter fällt, für den aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne von § 2 zu erleiden, und der unter Berücksichtigung der Gefahr den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will, sofern er nicht von den in Artikel 55/4 erwähnten Ausschlussklauseln betroffen ist.

    § 2   Als ernsthafter Schaden gilt:

    a)

    die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder

    b)

    Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder

    c)

    eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.“

    50.

    Wenn der Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wird, kann der Betroffene Klage beim Rat für Ausländerstreitsachen erheben. Diese hat nach Art. 39/70 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 aufschiebende Wirkung: Vorbehaltlich der Zustimmung des Betreffenden kann während der Frist für die Einreichung einer Beschwerde und während der Prüfung dieser Beschwerde gegenüber dem Ausländer keine Maßnahme zur Entfernung oder Abweisung aus dem Staatsgebiet unter Zwang ausgeführt werden. Im Übrigen behält er den Anspruch auf die vom CPAS gewährte Sozialhilfe. Diese deckt alle Grundbedürfnisse des Betroffenen, d. h. die medizinische Versorgung, die Sozialhilfe, die Wohnung, die Ernährung sowie die Bildung der Kinder.

    2. Das Grundlagengesetz über die öffentlichen Sozialhilfezentren vom 8. Juli 1976

    51.

    Das Grundlagengesetz über die öffentlichen Sozialhilfezentren vom 8. Juli 1976 bestimmt in Art. 1, dass jeder Bürger einen Anspruch auf Sozialhilfe hat, damit er ein menschenwürdiges Leben führen kann.

    52.

    Nach Art. 57 dieses Gesetzes hat das CPAS die Aufgabe, Personen und Familien die Unterstützung zu gewährleisten, die die Gemeinschaft ihnen schuldig ist. Es gewährt nicht nur lindernde oder heilende, sondern auch vorbeugende Unterstützung. Diese Unterstützung kann materieller, sozialer, medizinischer oder psychologischer Art sein.

    53.

    Art. 57 § 2 Abs. 1 des Gesetzes enthält allerdings eine Ausnahme von diesem Grundsatz, denn er gestattet es dem CPAS, seine Tätigkeit bei Ausländern, die sich illegal im Hoheitsgebiet aufhalten, auf dringende medizinische Hilfe zu beschränken.

    54.

    Im Königlichen Erlass vom 12. Dezember 1996 über die dringende medizinische Hilfe, die öffentliche Sozialhilfezentren Ausländern gewähren, die sich illegal im Königreich aufhalten ( 16 ), wird bestimmt, dass die in Art. 57 § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 8. Juli 1976 erwähnte dringende medizinische Hilfe Hilfeleistungen betrifft, die ausschließlich medizinischer Natur sind und deren Dringlichkeit durch ein ärztliches Attest bescheinigt wird. Diese Hilfeleistungen dürfen weder eine finanzielle Hilfe noch eine Wohnung noch eine andere Sozialhilfe in Form von Naturalien sein.

    II – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

    55.

    Der Kläger stellte am 15. April 2009 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen nach Art. 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980. Dieser Antrag wurde am 4. Dezember 2009 für zulässig erklärt, und dem Kläger wurde somit vom CPAS Sozialhilfe gewährt.

    56.

    Die zuständigen nationalen Behörden lehnten den Antrag jedoch am 6. Juni 2011 mit der Begründung ab, dass das Herkunftsland des Klägers über eine ausreichende medizinische Infrastruktur zur Behandlung von Aidskranken verfüge. Diese Entscheidung, die mit der Aufforderung zum Verlassen des Hoheitsgebiets verbunden war, wurde dem Kläger am 29. Juni 2011 mit dem Hinweis darauf zugestellt, dass eine Nichtigkeitsklage und ein Antrag auf Aussetzung keine Aussetzung der Vollstreckung der Maßnahme bewirkten.

    57.

    Am 7. Juli 2011 erhob der Kläger gegen diese Entscheidung Klage beim Rat für Ausländerstreitsachen. Am 13. Juli 2011 stellte das CPAS die Zahlung der dem Kläger bis dahin gewährten Sozialhilfe ein und weigerte sich, ihm die dringende medizinische Hilfe zu gewähren. Am 27. Juli 2011 überprüfte es jedoch diese Entscheidung und gewährte dem Kläger diese Hilfe.

    58.

    Dieser erhob am 5. August 2011 Klage gegen die Entscheidung des CPAS beim Tribunal de travail (Arbeitsgericht) Nivelles. Mit Urteil vom 9. September 2011 verurteilte dieses das CPAS, eine dem Eingliederungseinkommen zum Satz für Alleinstehende entsprechende Sozialhilfe zu zahlen. Es befand u. a., dass es sich bei dem Recht auf Sozialhilfe um eine unerlässliche Voraussetzung für die wirksame Ausübung eines Rechtsbehelfs handele und dass die Sozialhilfe für den Kläger daher bis zu einer Entscheidung über die gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erhobene Klage aufrechterhalten werden müsse.

    59.

    Am 7. Oktober 2011 legte das CPAS gegen dieses Urteil Berufung bei der Cour du travail de Bruxelles (Arbeitsgerichtshof Brüssel) ein.

    60.

    Diese hat festgestellt, dass der Kläger nach belgischem Recht über keinen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung gegen die Vollstreckung der Abschiebungsanordnung verfüge und dass er bis zur Entscheidung über diesen Rechtsbehelf keine andere Sozialhilfe als die dringende medizinische Hilfe beanspruchen könne. Sie hat ferner darauf hingewiesen, dass eine Ungleichbehandlung bestehe zwischen dem Kläger, der unter Berufung auf Art. 48/4 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 den subsidiären Schutzstatus begehre, und einer Person, die gestützt auf Art. 9ter dieses Gesetzes eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen beantrage. Die Cour constitutionnelle habe diese Ungleichbehandlung allerdings für gerechtfertigt erklärt.

    61.

    Deshalb hat die Cour du travail de Bruxelles das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Sind die Richtlinien 2004/83, 2005/85 und 2003/9 so auszulegen, dass sie einen Mitgliedstaat, der vorsieht, dass ein Ausländer, der „so sehr an einer Krankheit leidet, dass sie eine tatsächliche Gefahr für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit oder eine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung darstellt, wenn in seinem Herkunftsland … keine angemessene Behandlung vorhanden ist“, Anspruch auf subsidiären Schutz im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83 hat, verpflichten,

    einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung gegen die behördliche Entscheidung vorzusehen, mit der die Aufenthaltserlaubnis und/oder der subsidiäre Schutz abgelehnt und das Verlassen des Staatsgebiets angeordnet wird,

    bis zu einer Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen diese behördliche Entscheidung andere als medizinische Grundbedürfnisse des Rechtsbehelfsführers im Rahmen seiner Sozialhilfe- oder Aufnahmeregelung zu befriedigen?

    2.

    Falls dies verneint werden sollte: Verpflichtet die Grundrechtecharta und insbesondere ihre Art. 1 bis 3 (Würde des Menschen, Recht auf Leben und Unversehrtheit), ihr Art. 4 (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung), ihr Art. 19 Abs. 2 (Recht, nicht in einen Staat abgeschoben zu werden, in dem das ernsthafte Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht), ihre Art. 20 und 21 (Grundsätze der Gleichheit und Nichtdiskriminierung gegenüber anderen Personengruppen, die subsidiären Schutz beantragen) und/oder ihr Art. 47 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) den Mitgliedstaat, der die Richtlinien 2004/83, 2005/85 und 2003/9 umsetzt, einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung und die Befriedigung der oben in Frage 1 aufgeführten Grundbedürfnisse vorzusehen?

    62.

    Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die belgische und die französische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben Erklärungen eingereicht.

    III – Würdigung

    A – Erste Frage

    63.

    Die erste Frage des vorlegenden Gerichts betrifft die Verfahrensgarantien und die sozialen Vergünstigungen, die ein Mitgliedstaat im Verfahren der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gewähren muss.

    64.

    Wie die belgische und die französische Regierung sowie die Kommission in ihren Erklärungen dargelegt haben, beruht diese Frage auf dem Postulat, dass eine einem Drittstaatsangehörigen gemäß Art. 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 aufgrund seines Gesundheitszustands erteilte Aufenthaltserlaubnis eine subsidiäre Form des internationalen Schutzes im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 darstellt.

    65.

    Dieses Postulat halte ich jedoch aus den Gründen, die ich in den Nrn. 40 bis 70 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Bodj dargelegt habe und die ich hier in großen Linien wiedergebe, für falsch ( 17 ).

    66.

    Meines Erachtens ist nämlich ein Drittstaatsangehöriger, der an einer schweren Krankheit leidet und im Fall seiner Rückführung in sein Herkunftsland wegen Fehlens einer angemessenen medizinischen Behandlung in seinem Land tatsächlich Gefahr läuft, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erleiden, nicht als „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 anzusehen. Auch wenn ein Leiden aufgrund einer Krankheit unter besonderen Umständen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen kann, ist eines der wesentlichen Kriterien für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht erfüllt, nämlich die Identifizierung eines Akteurs, von dem der Schaden ausgeht und vor dem der Betroffene geschützt werden muss.

    67.

    Deshalb stellt eine auf Art. 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 gestützte Aufenthaltserlaubnis keine subsidiäre Form internationalen Schutzes dar und fällt nicht in den Anwendungsbereich der Texte über das Gemeinsame Europäische Asylsystem.

    68.

    Es darf nicht aus den Augen verloren werden, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem auf der Notwendigkeit beruht, Einzelnen, die befürchten, in ihrem Herkunftsland aufgrund ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer politischen Ansichten oder ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt zu werden oder der Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt zu sein, einen Schutz zu sichern, den dieses Land nicht oder nicht mehr garantieren kann, weil es bewusst zu solchen Handlungen beiträgt oder sich in Auflösung befindet.

    69.

    Die Regelung über die Zuerkennung eines internationalen Schutzes durch einen Mitgliedstaat, gleich ob es sich um den Flüchtlingsstatus oder den subsidiären Schutzstatus handelt, verfolgt somit ein besonderes Ziel und führt einen spezifischen Schutzmechanismus ( 18 ) unter Zusammenführung zweier wesentlicher Elemente ein. Das erste Element besteht im Vorliegen einer Gefahr von Verfolgungen oder ernsthaften Schäden, die der Antragsteller bei Rückkehr in sein Herkunftsland erleiden würde. Das zweite Element besteht darin, dass dieses Land unmittelbar oder mittelbar für diese Gefahr verantwortlich ist. Der Anspruch auf den Flüchtlingsstatus oder den subsidiären Schutzstatus ist somit auf die Fälle beschränkt, in denen die staatlichen Stellen des Herkunftslands sich nicht für die Gewährung dieses Schutzes einsetzen, weil sie die Verfolgungen entweder selbst verursachen oder die Verfolgungen durch Milizen oder andere private Gruppen fördern oder tolerieren.

    70.

    Diese beiden Elemente sind für die Zuerkennung des internationalen Schutzes entscheidend, weil sie den Grund für die Angst des Einzelnen bilden und die Unmöglichkeit oder seine Weigerung erklären, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen.

    71.

    Bezüglich des subsidiären Schutzes ergeben sich diese beiden Merkmale eindeutig aus dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83. Der Unionsgesetzgeber stellt nämlich unmissverständlich klar, dass eine „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutzstatus“ nicht nur tatsächlich Gefahr laufen muss, im Fall einer Rückführung in ihr Herkunftsland einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie zu erleiden, sondern auch den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will.

    72.

    Außerdem definiert dieser Artikel den Begriff „ernsthafter Schaden“ als Handlungen oder Umstände, für die die Behörden des Herkunftslands unmittelbar oder mittelbar verantwortlich sind.

    73.

    Art. 15 der Richtlinie 2004/83 ist nämlich in Verbindung mit deren Art. 6 zu lesen.

    74.

    Art. 15 dieser Richtlinie definiert drei Arten von ernsthaften Schäden, unter denen in Buchst. b eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Antragstellers in seinem Herkunftsland genannt wird. Der Gesetzgeber definiert hier das materielle Element des ernsthaften Schadens. Dies ist die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers in seinem Herkunftsland sowie eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts. Diese Handlungen setzen als solche die entschiedene Absicht eines Akteurs voraus, körperliches oder psychisches Leid von besonderer Intensität zuzufügen.

    75.

    Art. 6 dieser Richtlinie definiert das persönliche Element, indem er die „Akteure, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann“, bezeichnet. Der Gesetzgeber schränkt damit den Bereich der in Art. 15 der Richtlinie 2004/83 aufgeführten Schäden ausdrücklich auf solche Schäden ein, die entweder vom Staat oder von Parteien oder Organisationen, die diesen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrschen, oder von nicht staatlichen Akteuren ausgehen, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Staat oder die Parteien oder Organisationen, die ihn beherrschen, nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten.

    76.

    Für den Anspruch einer Person auf subsidiären Schutz ist es somit nicht ausreichend, nachzuweisen, dass diese Person Gefahr liefe, bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sondern es muss nachgewiesen werden, dass diese Gefahr in Faktoren begründet liegt, die unmittelbar oder mittelbar von den staatlichen Stellen dieses Landes zu verantworten sind, entweder weil die Bedrohungen des Antragstellers von den staatlichen Stellen des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, ausgehen oder von ihnen geduldet werden, oder weil die Bedrohungen von unabhängigen Gruppen ausgehen und die staatlichen Stellen seines Herkunftslands nicht in der Lage oder nicht willens sind, ihre Staatsangehörigen hiervor wirksam zu schützen.

    77.

    Die französische Regierung hat in ihren Erklärungen darauf hingewiesen, dass im Fall einer Person, deren Gesundheitszustand eine medizinische Betreuung erfordert und die in ihrem Herkunftsland keine angemessene Behandlung erhalten könnte, die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, die sie im Fall einer Rückkehr in dieses Land Gefahr läuft zu erleiden, nicht auf einer vorsätzlichen Handlung oder Unterlassung staatlicher Stellen oder vom Staat unabhängiger Einrichtungen beruht. Man könnte auch sagen, dass in einem solchen Fall eines der wesentlichen Kriterien für die Anerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 6 der Richtlinie 2004/83 zwangsläufig fehlt, nämlich die unmittelbare oder mittelbare Verantwortung der staatlichen Stellen des Herkunftslands für die Verursachung des ernsthaften Schadens, vor denen der Antragsteller zu schützen ist.

    78.

    In einer solchen Situation dient der von einem Mitgliedstaat angebotene Schutz nicht dem Bedürfnis nach internationalem Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. a dieser Richtlinie und fällt somit nicht unter das Gemeinsame Europäische Asylsystem.

    79.

    Nach dem Wortlaut des letzten Satzteils von Art. 2 Buchst. g der Richtlinie ( 19 ) handelt es sich um eine „andere … Form des Schutzes“ außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie. Dieser Schutz wird aus anderen Gründen gewährt, nämlich aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, im Einklang mit Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ( 20 ) sowie mit den Art. 4 und 19 Abs. 2 der Grundrechtecharta. Im letztgenannten Fall kann die Vollstreckung der Entscheidung über die Ausweisung des Antragstellers durch den Aufnahmemitgliedstaat in Verbindung mit dem Fehlen angemessener medizinischer Ressourcen im Herkunftsland eine unmenschliche Behandlung darstellen.

    80.

    Der Unionsgesetzgeber war also offensichtlich bestrebt, die Fälle, in denen humanitäre Gründe zum Tragen kommen, vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/83 auszuschließen.

    81.

    Im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 stellt er nämlich ausdrücklich klar, dass „diejenigen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten verbleiben dürfen, nicht weil sie internationalen Schutz benötigen, sondern aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, … nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie [fallen]“ ( 21 ).

    82.

    Darüber hinaus lohnt ein Blick auf die vorbereitenden Arbeiten zur Richtlinie 2004/83 hinsichtlich der Redaktion von Art. 15 Buchst. b ( 22 ), in denen der Unionsgesetzgeber klarstellt:

    „Würde Buchst. b die gesamte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte[ ( 23 )] zu Art. 3 EMRK einbeziehen, müssten auch die Rechtssachen einbezogen werden, die ausschließlich auf humanitären Gründen beruhen wie die Rechtssache D/Vereinigtes Königreich (1987), auch bekannt als Rechtssache Saint-Kitts[ ( 24 )].

    Zwar wurden in der Rechtssache Saint-Kitts das Fehlen eines entwickelten Gesundheitssystems sowie das Fehlen eines Umfelds als solche nicht als Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung betrachtet, wohl aber die Ausweisung in dieses Land, die eine Bedrohung des Lebens der betreffenden Person darstellen würde.

    Um zu vermeiden, dass die Rechtssachen, die auf humanitären Gründen beruhen, unter die subsidiäre Schutzregelung fallen, was nie mit der vorliegenden Richtlinie bezweckt war, schlägt der Vorsitz demzufolge vor, den Anwendungsbereich des Buchst. b dadurch einzugrenzen, dass im Herkunftsland eine tatsächliche Gefahr einer Folter oder Strafe oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bestehen muss“ ( 25 ).

    83.

    Obwohl Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83, wie der Gerichtshof im Urteil Elgafaji ( 26 ) ausgeführt hat, „im Wesentlichen Art. 3 EMRK entspricht“ ( 27 ), hat der Unionsgesetzgeber den Anwendungsbereich trotzdem auf Handlungen begrenzt, die „einem Antragsteller in seinem Herkunftsland“ ( 28 ) zugefügt werden, was die unmittelbare oder mittelbare Verantwortlichkeit der Behörden dieses Landes voraussetzt. Die internationale Schutzregelung und insbesondere der subsidiäre Schutzstatus schaffen somit sehr wohl einen gewollt eigenständigen und spezifischen Schutzmechanismus ( 29 ), der sich von den Pflichten der Vertragsstaaten nach Art. 3 EMRK unterscheidet.

    84.

    Angesichts dieser Umstände bin ich deshalb der Meinung, dass ein Drittstaatsangehöriger, der an einer schweren Krankheit leidet und im Fall seiner Rückführung in sein Herkunftsland wegen Fehlens einer angemessenen medizinischen Behandlung in seinem Land tatsächlich Gefahr läuft, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erleiden, nicht als „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutzstatus“ im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 anzusehen ist.

    85.

    Folglich fällt ein auf Art. 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 gestützter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/83.

    86.

    Er fällt auch nicht unter die beiden anderen Texte, die die Grundlage des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bilden, nämlich die Richtlinien 2003/9 und 2005/85.

    87.

    Die materiellen Aufnahmebedingungen, die der Unionsgesetzgeber in der Richtlinie 2003/9 aufgestellt hat, gelten nämlich, wie sich aus Art. 3 dieser Richtlinie ergibt, für Asylbewerber oder, wenn der Mitgliedstaat dies beschlossen hat, für Personen, die um andere Formen der Schutzgewährung ersucht haben.

    88.

    Desgleichen betreffen die Verfahrensgarantien, die der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Richtlinie 2005/85 vorgesehen hat, nach Art. 3 dieser Richtlinie Asylanträge und Entscheidungen über die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und, wenn der Mitgliedstaat dies beschlossen hat, alle anderen Anträge auf Gewährung anderer Formen internationalen Schutzes.

    89.

    Aus den Akten ergibt sich jedoch, dass das Königreich Belgien nicht beabsichtigte, die Anwendung dieser Texte auf Personen zu erstrecken, die einen Antrag nach Art. 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 stellen.

    90.

    Deshalb bin ich der Auffassung, dass die vom Unionsgesetzgeber in den Richtlinien 2003/9, 2004/83 und 2005/85 vorgesehenen Verfahrensgarantien und sozialen Vergünstigungen auf eine Situation wie die, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, nicht anwendbar sind.

    91.

    Aus diesen Gründen sind die Richtlinien 2003/9, 2004/83 und 2005/85 somit meines Erachtens dahin auszulegen, dass die in diesem Rahmen vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Verfahrensgarantien und sozialen Vergünstigungen auf einen gemäß Art. 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 gestützten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen nicht anwendbar sind.

    B – Zweite Frage

    92.

    Mit seiner zweiten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof zu prüfen, ob eine nationale Regelung, die einerseits keinen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen die Entscheidung über die Abschiebung vorsieht, wenn es sich um die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen handelt, und die andererseits die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Betroffenen während des gesamten streitigen Verfahrens auf dringende medizinische Hilfe beschränkt, mit den in der Grundrechtecharta verankerten Grundrechten und den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den Richtlinien 2003/9, 2004/83 und 2005/85 vereinbar ist.

    1. Vorbemerkungen

    93.

    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die dem Gerichtshof vom vorlegenden Gericht gestellte Frage die Berücksichtigung anderer als der in der Vorlageentscheidung ausdrücklich genannter Rechtsvorschriften erfordert ( 30 ).

    94.

    Tatsächlich stützt die Cour du travail de Bruxelles diese zweite Frage auf die Rechte und Verfahrensgarantien, die Personen, die um internationalen Schutz ersuchen, durch die Richtlinien 2003/9, 2004/83 und 2005/85 und die Grundrechtecharta gewährt werden, insbesondere durch deren Art. 1 bis 4, die den Grundsatz der Menschenwürde und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Recht, nicht unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden, garantieren, Art. 19 Abs. 2, der den Grundsatz der Nichtzurückweisung enthält, die Art. 20 und 21, die die Grundsätze der Gleichheit und der Nichtdiskriminierung normieren, und schließlich Art. 47, der das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf garantiert.

    95.

    Aus den dargelegten Gründen sind jedoch die Texte, die die Grundlage des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bilden, auf eine Situation wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, nicht anwendbar. Folglich ist die uns vom vorlegenden Gericht gestellte Frage nicht anhand der Richtlinien 2003/9, 2004/83 und 2005/85 zu untersuchen.

    96.

    Abzustellen ist vielmehr auf die in der Richtlinie 2008/115 enthaltenen Verfahrensvorschriften, die auf die Rückführung von Drittstaatsangehörigen anwendbar sind, deren Aufenthalt illegal ist. Diese Richtlinie bezweckt nämlich ihren Art. 1 und 13 zufolge die Festlegung gemeinsamer Normen und Verfahren für alle Mitgliedstaaten, insbesondere im Hinblick auf Rechtsbehelfe gegen Rückkehrentscheidungen, und regelt in Kapitel III die Rechte und Verfahrensgarantien, die Drittstaatsangehörigen, deren Aufenthalt illegal ist, in diesem Rahmen gewährt werden müssen.

    97.

    Unstreitig war der Aufenthalt des Klägers während des gesamten Verfahrens vor dem Rat für Ausländerstreitsachen nach Auffassung der zuständigen Behörden illegal. Er fällt sonach in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115, wie er in Art. 2 festgelegt ist.

    98.

    Ferner handelt es sich bei der Entscheidung, mit der die nationalen Behörden den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und gemäß Art. 7 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 seine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet angeordnet haben, meines Erachtens um eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 4 dieser Richtlinie ( 31 ). Denn mit dieser Entscheidung haben die belgischen Behörden den Aufenthalt des Klägers im belgischen Hoheitsgebiet für illegal erklärt und ihm eine Rückkehrverpflichtung auferlegt. Diese Entscheidung ist nichts anderes als die Durchführung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, gegen alle Drittstaatsangehörigen, die sich illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

    99.

    In einer solchen unionsrechtlich geregelten Situation sind die Mitgliedstaaten demnach gemäß Art. 51 Abs. 1 der Grundrechtecharta verpflichtet, die vom Unionsrecht garantierten Grundrechte zu achten. Wie der Gerichtshof in den Urteilen Åkerberg Fransson ( 32 ) und Pfleger u. a. ( 33 ) ausgeführt hat, umfasst die Anwendbarkeit des Unionsrechts in diesen Fällen die Anwendbarkeit der durch die Grundrechtecharta garantierten Grundrechte.

    100.

    Somit ist anhand der Bestimmungen der Richtlinie 2008/115 und der in der Grundrechtecharta verankerten Grundrechte zu prüfen, ob unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben sind, das Fehlen eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung gegen die Vollstreckung der Abschiebung und die Ablehnung der Befriedigung anderer als der medizinischen Grundbedürfnisse des Betroffenen die Rechte wahren, die diesem in der Union zustehen.

    2. Meine Auslegung

    a) Zum Vorliegen eines Rechtsbehelfs mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung

    101.

    Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 („Rechtsbehelfe“) verleiht den betroffenen Drittstaatsangehörigen das Recht, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr einzulegen.

    102.

    Nach Art. 13 Abs. 2 haben die zuständigen nationalen Behörden die Möglichkeit, die Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung einstweilig auszusetzen. Diese Entscheidung bewirkt gemäß Art. 9 dieser Richtlinie den Aufschub der Abschiebung.

    103.

    Wie ausdrücklich festgestellt werden muss, zwingt diese Bestimmung die Mitgliedstaaten im Gegensatz zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission nicht, dem Rechtsbehelf gegen eine Rückkehrentscheidung aufschiebende Wirkung zu verleihen ( 34 ), sondern räumt ihnen lediglich die Befugnis dazu ein.

    104.

    Meines Erachtens erfordern jedoch unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben sind, der Zweck der Richtlinie 2008/115 sowie die Wahrung der namentlich in den Art. 1, 2, 3, 4, 19 Abs. 2 und 47 der Grundrechtecharta verankerten Grundrechte, dass der Betroffene über einen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen die Vollstreckung der Abschiebung verfügt.

    105.

    Der Zweck von Art. 13 der Richtlinie 2008/115 ergibt sich nämlich eindeutig aus dem Grundprinzip, auf das der Unionsgesetzgeber in Art. 1 dieser Richtlinie hingewiesen hat, der den betroffenen Personen unter Wahrung der Grundrechte einen wirksamen Schutz ihrer Interessen gewährleistet, namentlich eine Rückführung auf menschenwürdige Weise ( 35 ).

    106.

    Der Zweck dieser Bestimmung kann also nur im Einklang und im Zusammenhang mit den Rechten verstanden werden, die durch die Art. 1 bis 4 der Grundrechtecharta garantiert werden, die die Achtung der Menschenwürde sowie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gewährleisten und eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung verbieten. Sie muss außerdem gemäß dem in Art. 19 Abs. 2 der Grundrechtecharta enthaltenen Grundsatz der Nichtzurückweisung ausgelegt werden. Schließlich muss sie die Beachtung der in den Art. 20 und 21 der Grundrechtecharta verankerten Grundsätze der Gleichheit und Nichtdiskriminierung sicherstellen und das in Art. 47 der Grundrechtecharta gewährte Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf garantieren. Die Verweisung auf die Grundrechte in Art. 1 der Richtlinie 2008/115 umfasst zwangsläufig die Verweisung auf diese Bestimmungen.

    107.

    Folglich können Art. 13 dieser Richtlinie und allgemeiner die Bestimmungen, die speziell die Verfahrensgarantien betreffen, auf die sich die Betroffenen im Rahmen ihres Rechtsbehelfs berufen können, nur dann konkret und im Einklang mit diesen Texten angewandt werden, wenn sie die Achtung dieser Werte gewährleisten.

    108.

    Die Wirksamkeit des in Art. 13 Abs. 1 der genannten Richtlinie bezeichneten und in Art. 47 der Grundrechtecharta vorgesehenen Rechtsbehelfs impliziert meines Erachtens, dass dieser Rechtsbehelf in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung den Betroffenen möglicherweise der Gefahr einer gegen Art. 4 der Grundrechtecharta verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aussetzt, kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben muss.

    109.

    Erstens ist der Mitgliedstaat in einer solchen Situation verpflichtet, den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu beachten, und zwar gemäß den Verpflichtungen, die ihm nach Art. 5 der Richtlinie 2008/115 und Art. 19 Abs. 2 der Grundrechtecharta obliegen. Letzterer bestimmt wie erinnerlich: „Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“ Die Beachtung dieser Bestimmung verlangt somit, dass die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung automatisch so lange ausgesetzt wird, wie die zuständige nationale Behörde ihre Rechtmäßigkeit und das Vorbringen des Betroffenen, dass ihm die Gefahr einer gegen Art. 4 der Grundrechtecharta verstoßenden Behandlung drohe, untersucht.

    110.

    Zweitens hat der EGMR entschieden, dass das in Art. 13 EMRK verankerte Recht auf eine wirksame gerichtliche Beschwerde erfordere, dass ein Ausländer, dessen Ausweisung angeordnet worden sei, über einen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung verfüge, wenn er glaubhaft mache, dass seine Abschiebung ihn der Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aussetzen würde ( 36 ). Nach Auffassung des EGMR ist die Vollstreckung der Abschiebung, deren Rechtmäßigkeit bestritten wird, in dieser Situation nämlich geeignet, einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zu bewirken, dessen Eintritt durch die Aussetzung der Vollstreckung verhindert werden muss. Seiner Meinung nach macht ein Ausländer, der an einer schweren Krankheit leidet und in seinem Herkunftsland nicht behandelt werden kann, eine solche Gefahr glaubhaft. Im Übrigen erfordere die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs auch seine sachgerechte und zügige Bearbeitung ( 37 ).

    111.

    Aufgrund dieser Rechtsprechung wurde das Königreich Belgien mit Urteil vom 27. Februar 2014 verurteilt ( 38 ). Die fragliche Rechtssache betraf eine nigerianische Staatsangehörige, gegen die die Behörden eine Abschiebungsanordnung erlassen hatten. Sie machte geltend, ihre Abschiebung in ihr Herkunftsland setze sie Behandlungen aus, die gegen Art. 3 EMRK verstießen, und rügte das Fehlen einer wirksamen Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK.

    112.

    Der EGMR hat nach Prüfung der anwendbaren Verfahrensvorschriften entschieden, dass die Rechtsbehelfe, die gegen eine Abschiebungsanordnung gegeben waren, die nach der Ablehnung eines auf Art. 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 gestützten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erlassen wurde, nicht ausreichten, um die Beachtung von Art. 13 in Verbindung mit Art. 3 EMRK sicherzustellen.

    113.

    Der EGMR hat zunächst festgestellt, dass der nach dem anwendbaren nationalen Recht gegebene Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Vollstreckung der Abschiebung besitze ( 39 ).

    114.

    Er hat sich sodann den in den Art. 39/82 und 39/85 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 geregelten besonderen Verfahren für die Aussetzung der Vollstreckung der Abschiebung zugewandt.

    115.

    Die erste Kombination von Rechtsbehelfen bestehe darin, das der Betroffene innerhalb einer Frist von 30 Tagen ab Zustellung der Entscheidung eine Nichtigkeitsklage verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung im normalen Verfahren erheben und in dem Moment, in dem eine Zwangsmaßnahme gegen ihn ergriffen werde, einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen im Verfahren äußerster Dringlichkeit stellen müsse. Die zweite Kombination bestehe darin, dass er einen Antrag auf Aussetzung im Verfahren äußerster Dringlichkeit stellen müsse, was das Vorliegen einer Zwangsmaßnahme gegen ihn voraussetze ( 40 ).

    116.

    Der EGMR hat diese Verfahren für „schwer durchführbar“ und „zu komplex“ befunden, um die in Art. 13 in Verbindung mit Art. 3 EMRK aufgestellten Voraussetzungen der Verfügbarkeit und der Zugänglichkeit zu erfüllen ( 41 ).

    117.

    Er hat zunächst darauf hingewiesen, dass diese Regelung den Betroffenen, der abgeschoben werden solle und geltend mache, dass die Aussetzung der Vollstreckung dieser Maßnahme dringlich sei, zwinge, vorsorglich einen Antrag auf Aussetzung im normalen Verfahren zu stellen. Dieser Rechtsbehelf, der keine aufschiebende Wirkung habe, müsse demnach allein zu dem Zweck eingelegt werden, das Recht des Betroffenen zu wahren, im Dringlichkeitsverfahren handeln zu können, wenn die wirkliche Dringlichkeit in Form einer Zwangsmaßnahme eintrete. Wenn der Betroffene diesen vorsorglichen Rechtsbehelf nicht zu Beginn des Verfahrens eingelegt habe und die Dringlichkeit in der Folgezeit eintrete, habe er definitiv keine Möglichkeit mehr, die Aussetzung der Abschiebungsmaßnahme zu beantragen ( 42 ). Im Hinblick auf die Vorschriften über die im Verfahren äußerster Dringlichkeit gestellten Aussetzungsanträge hat der EGMR hinzugefügt, dass sie „die Betroffenen, die sich bereits in einer schutzbedürftigen Situation befinden, dazu zwingen, im Moment der zwangsweisen Vollstreckung der Maßnahme in extremis tätig zu werden“ ( 43 ).

    118.

    Aufgrund dieser Feststellungen ist der EGMR zu dem Ergebnis gekommen, dass die Betroffene nicht über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügt habe, da der gegebene Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung besitze und keine wirksame Prüfung der geltend gemachten Verletzung von Art. 3 EMRK ermögliche ( 44 ).

    119.

    In der vorliegenden Rechtssache hat die belgische Regierung insbesondere in ihren Erklärungen in der mündlichen Verhandlung ein Verfahren beschrieben, das mir in der Tat angesichts der Dringlichkeit und des Ernstes der Situation schwer durchführbar und für die Migranten, für die es bestimmt ist, kaum zugänglich erscheint ( 45 ). Die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs muss nämlich in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung des Kontexts, in dem dieser eingelegt wurde, beurteilt werden. Dabei sind der psychische Stress, in dem sich die Migranten möglicherweise befinden, und der Umstand zu berücksichtigen, dass sie womöglich sprachliche Schwierigkeiten haben, z. B. in Erfahrung zu bringen, welche Verfahren sie unmittelbar vor ihrer Abschiebung aus dem Hoheitsgebiet einleiten müssen, wobei viele von ihnen nicht die Mittel besitzen, um in diesem Stadium rechtlichen Beistand einzuholen.

    120.

    In der mündlichen Verhandlung hat die belgische Regierung das Fehlen eines Rechtsbehelfs mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung damit verteidigt, dass in der Praxis die Erhebung einer Nichtigkeitsklage beim Rat für Ausländerstreitsachen zur tatsächlichen Aussetzung der Vollstreckung der Abschiebungsanordnung führe, da die belgischen Behörden den illegalen Aufenthalt des Betroffenen im Hoheitsgebiet während der Dauer des Verfahrens duldeten.

    121.

    Zwar entspricht diese Situation in der Praxis derjenigen, in der der Rechtsbehelf ausdrücklich aufschiebende Wirkung für die Vollstreckung der Abschiebung hat; sie ist jedoch mit zahlreichen Nachteilen verbunden.

    122.

    Erstens ist der Betroffene trotz dieser tatsächlichen Aussetzung nicht offiziell vor einer zwangsweisen Abschiebung geschützt, da dieser Schutz nach Art. 74/14 §§ 1 und 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 nur während der für die freiwillige Ausreise geltenden Frist von 30 Tagen gewährt wird. Diese Frist ist jedoch schnell verstrichen, und nach ihrem Ablauf können die zuständigen nationalen Behörden die Abschiebungsanordnung jederzeit offiziell vollstrecken. Dies führt zu einem schwerwiegenden Problem, insbesondere in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung den Betroffenen möglicherweise der Gefahr einer gegen Art. 4 der Grundrechtecharta verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aussetzt.

    123.

    Zweitens kann trotz der faktischen Duldung durch die Behörden gegen den Betroffenen eine Strafe wegen illegalen Aufenthalts im Hoheitsgebiet verhängt werden. Er ist also vor einer eventuellen Festnahme nicht offiziell geschützt.

    124.

    Drittens ist diese halboffizielle Aussetzung der Abschiebung nicht mit den entsprechenden Rechten, insbesondere den wirtschaftlichen und sozialen Garantien verbunden, die der Gesetzgeber in Art. 14 der Richtlinie 2008/115 Drittstaatsangehörigen gewährt, deren Aufenthalt illegal ist, deren Abschiebung jedoch offiziell aufgeschoben wurde. Dies führt zu einem weiteren Problem, namentlich in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Abschiebungsmaßnahme eine schwer kranke Person betrifft, der wie jedem anderen Drittstaatsangehörigen, dessen Abschiebung offiziell ausgesetzt wurde, die Befriedigung der durch ihren Gesundheitszustand bedingten besonderen Bedürfnisse gewährt werden müsste.

    125.

    Viertens können wir nicht über die besonders lange Dauer des vorliegenden Verfahrens hinwegsehen, das am 7. Juli 2011 eingeleitet wurde. Abgesehen von den mit der Ungewissheit der Rechtsstellung des Betroffenen verbundenen Nachteilen, seiner äußerst prekären materiellen Lage und der schweren Vorwürfe, die er vor dem Gericht erhoben hat, können wir uns fragen, ob ein solches Verfahren unter Berücksichtigung seiner Dauer sachgerecht ist und alle Garantien gewährt, die mit der Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs verbunden sein müssen.

    126.

    Angesichts dieser Gegebenheiten habe ich das Gefühl, dass der Betroffene in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung ihn möglicherweise der Gefahr einer gegen Art. 4 der Grundrechtecharta verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aussetzt, nicht in den Genuss der ihm nach dieser Charta zustehenden Rechte kommt, insbesondere des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

    127.

    Aufgrund aller dieser Erwägungen bin ich der Meinung, dass Art. 13 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Verfahrensvorschrift entgegensteht, die einen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung ausschließt, wenn dieser Rechtsbehelf gegen eine Rückkehrentscheidung eingelegt wird, deren Vollstreckung den Betroffenen aufgrund seines Gesundheitszustands möglicherweise der Gefahr einer gegen Art. 4 der Grundrechtecharta verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aussetzt.

    b) Die Befriedigung anderer als der medizinischen Grundbedürfnisse des Betroffenen

    128.

    Art. 14 der Richtlinie 2008/115 nennt in Verbindung mit dem zwölften Erwägungsgrund dieser Richtlinie die wirtschaftlichen und sozialen Garantien, die von „Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber noch nicht abgeschoben werden können“, „bis zur Rückkehr“ in Anspruch genommen werden können. So müssen die Mitgliedstaaten innerhalb der für die freiwillige Ausreise gewährten Frist und der Fristen, während derer die Vollstreckung der Abschiebung aufgeschoben ist, die Familieneinheit aufrechterhalten und die medizinische Notfallversorgung und unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten gewährleisten. Sie müssen ferner den Zugang zum Grundbildungssystem für Minderjährige gewährleisten und die spezifischen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen berücksichtigen. Diese Bestimmung ist das Pendant zu Art. 5 der Richtlinie 2008/115, der fordert, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie die medizinische, familiäre und soziale Situation des Betroffenen und insbesondere seinen Gesundheitszustand in gebührender Weise berücksichtigen müssen.

    129.

    Zwar hat der Unionsgesetzgeber im zwölften Erwägungsgrund dieser Richtlinie seine Absicht zum Ausdruck gebracht, die Situation dieser Migranten zu regeln. Dieses Ziel ist jedoch meiner Meinung nach nur teilweise erreicht worden, und zwar aus folgenden Gründen.

    130.

    Erstens fällt der Kläger schon nach dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 nicht unter diese Bestimmung und hat somit keinen Anspruch auf die dort aufgeführten Garantien, denn die ihm für die freiwillige Ausreise gewährte Frist von 30 Tagen ist abgelaufen, und die gegen ihn erlassene Abschiebungsmaßnahme wurde nicht offiziell aufgeschoben.

    131.

    Dieser Text gewährt somit in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Abschiebung des Betroffenen während des streitigen Verfahrens de facto ausgesetzt wurde, keine ausdrücklichen Garantien ( 46 ).

    132.

    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Garantien, die der Unionsgesetzgeber in dieser Bestimmung vorgesehen hat, nicht alle Rechte abdecken, insbesondere nicht die Rechte, die mir als die wesentlichsten erscheinen, wenn der Betroffene nicht unbedingt mehr über Einnahmequellen verfügt und aus dem Hoheitsgebiet abgeschoben werden soll, nämlich die Möglichkeit, sich zu ernähren, sich zu kleiden und eine Unterkunft zu finden.

    133.

    Zwar sollen die Familieneinheit aufrechterhalten, die Grundbildung für Minderjährige gewährleistet, die medizinische Notfallversorgung und die „unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten“ gewährt sowie die spezifischen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen berücksichtigt werden; Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie verpflichtet die Staaten jedoch nicht ausdrücklich, andere als die medizinischen Grundbedürfnisse des Betroffenen zu befriedigen.

    134.

    Die Richtlinie 2008/115 enthält somit keine und sei es auch nur minimale Harmonisierung der Bestimmungen über die Befriedigung der Grundbedürfnisse dieser Migranten durch die Mitgliedstaaten. Sie unterscheidet sich damit ganz deutlich von der Richtlinie 2003/9, in der der Unionsgesetzgeber die Mitgliedstaaten ausdrücklich verpflichten wollte, Asylbewerbern bis zu einer Entscheidung Mindestaufnahmebedingungen einschließlich der Befriedigung aller ihrer elementarsten Bedürfnisse zu gewähren.

    135.

    Diese Feststellung ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des zwölften Erwägungsgrundes der Richtlinie 2008/115. Dort präzisiert der Unionsgesetzgeber, dass „[d]ie Festlegungen hinsichtlich der Sicherung des Existenzminimums [der Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber noch nicht abgeschoben werden können] … nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften getroffen werden [sollten]“ ( 47 ). Die Verwendung des Konditional und insbesondere die Wahl des Wortes „Festlegungen“ zeigen klar den Willen des Unionsgesetzgebers, den Mitgliedstaaten einen weiten Wertungsspielraum hinsichtlich der Art der Bedürfnisse, die sie befriedigen wollen, einzuräumen (obwohl sich die Definition der Grundbedürfnisse doch meines Erachtens von selbst ergibt). Auch erwähnt der Unionsgesetzgeber die Befriedigung dieser Bedürfnisse im übrigen Text dieser Richtlinie nicht mehr.

    136.

    Diese Formulierung unterscheidet sich von der, die in dem Richtlinienvorschlag der Kommission enthalten war, in dem sich diese für eine Angleichung der den Migranten, deren Aufenthalt illegal ist, zu gewährenden Garantien an die in der Richtlinie 2003/9 vorgesehenen Garantien eingesetzt hatte.

    137.

    Der achte Erwägungsgrund des Richtlinienvorschlags lautete wie folgt:

    „Eine Regelung erfordert ferner die Situation von Personen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber (noch) nicht abgeschoben werden können. Für die auf diesen Personenkreis anwendbaren Aufenthaltsbedingungen sollten unter Bezug auf die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten Mindeststandards eingeführt werden“ ( 48 ).

    138.

    So hatte die Kommission in Art. 13 des Richtlinienvorschlags („Garantien bis zur Rückkehr“) ausdrücklich auf die Kapitel II und IV der Richtlinie 2003/9 Bezug genommen, die in sehr viel konkreteren und genaueren Formulierungen die materiellen Aufnahmebedingungen regeln, die die Mitgliedstaaten den Asylbewerbern bis zu einer Entscheidung gewähren müssen, um ihnen einen menschenwürdigen und angemessenen Lebensstandard und vergleichbare Lebensbedingungen in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten ( 49 ). Diese Bestimmung lautete:

    „Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Aufenthaltsbedingungen für Drittstaatsangehörige, bei denen die Vollstreckung einer Rückführungsentscheidung vertagt worden ist oder die aus den in Artikel 8 dieser Richtlinie genannten Gründen nicht abgeschoben werden können, nicht weniger günstig sind als die Bedingungen gemäß Artikel 7 bis 10, Artikel 15 und Artikel 17 bis 20 der Richtlinie 2003/9/EG“ ( 50 ).

    139.

    In den Verhandlungen wurden diese Formulierungsvorschläge, namentlich jede ausdrückliche Bezugnahme auf die in der Richtlinie 2003/9 für Asylbewerber vorgesehene Regelung, aufgegeben. Zwar wurden einige der in der Richtlinie 2003/9 vorgesehenen Garantien teilweise in den neuen Art. 14 der Richtlinie 2008/115 übernommen, es fehlen aber grundlegende Elemente, insbesondere die Gewährleistung eines menschenwürdigen und angemessenen Lebensstandards.

    140.

    Schließlich und endlich ist Art. 14 der Richtlinie 2008/115 so formuliert, dass es schwerfällt, den Umfang, die Form und das Mindestniveau der dem Betroffenen zu gewährenden Leistungen zu beurteilen.

    141.

    Er regelt nämlich nicht, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten zu ergreifen haben, um die Aufrechterhaltung der Familieneinheit zu gewährleisten, und auf welche Art die spezifischen Bedürfnisse der schutzbedürftigsten Personen zu befriedigen sind. Desgleichen sind bestimmte Formulierungen wie etwa „unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten“ so weit gefasst, dass sie verschieden ausgelegt werden und in den verschiedenen Mitgliedstaaten eine ganz unterschiedliche Bedeutung erlangen können.

    142.

    Angesichts dieser Gegebenheiten kann entgegen dem vom Unionsgesetzgeber im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 proklamierten Ziel die Situation dieser „Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber noch nicht abgeschoben werden können“, nicht als „geregelt“ angesehen werden.

    143.

    Übrigens hat das Parlament in seinem Vorschlag für eine Entschließung über den Abbau gesundheitlicher Ungleichheit in der Europäischen Union ( 51 ) festgestellt, dass der durch Art. 35 der Grundrechtecharta garantierte gleichberechtigte Zugang zur Gesundheitsversorgung für Migranten ohne Ausweispapiere weder in der Praxis noch rechtlich gewährleistet sei. Deshalb hat es die Mitgliedstaaten aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Migranten ohne Ausweispapiere ein Recht auf gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben und ihnen dieser gewährt wird, und zu prüfen, inwieweit eine Unterstützung der Gesundheitsleistungen für illegal aufhältige Migranten möglich ist, indem sie auf der Grundlage gemeinsamer Prinzipien eine Definition dessen zur Verfügung stellen, was die Grundelemente einer Gesundheitsfürsorge gemäß den Definitionen in ihrem nationalen Recht sind.

    144.

    Die vorliegende Rechtssache enthüllt jenseits der Feststellung des Parlaments eine andere Wirklichkeit, nämlich die konkrete rechtliche und materielle Situation der Migranten bis zu ihrer Abschiebung.

    145.

    Wie sorgt der Kläger, der sich in einem kritischen Gesundheitszustand befindet, seit Erhebung seiner Klage beim Rat für Ausländerstreitsachen am 7. Juli 2011, das heißt seit drei Jahren, konkret für seinen allernötigsten Unterhalt?

    146.

    Er hält sich seit dem 29. Juni 2011, dem Zeitpunkt, zu dem die Behörden ihm seine Verpflichtung zum Verlassen des Hoheitsgebiets bekannt gegeben und ihn im Ausländerregister gestrichen haben, illegal im belgischen Hoheitsgebiet auf. Gleichwohl wird seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet de facto von den Behörden geduldet, bis diese über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung entschieden haben. Dieses Verfahren dauert jedoch, wie wir gesehen haben, lange, und viele Monate, ja sogar mehrere Jahre lebt der Betroffene nicht nur in der Ungewissheit seiner eventuellen Abschiebung, sondern ist auch nicht vor einer eventuellen Festnahme geschützt, da der illegale Aufenthalt strafbar ist.

    147.

    Dieser Status bestimmt natürlich die ihm offenstehenden Möglichkeiten eines Zugangs zu einer Beschäftigung, zu einer Unterkunft sowie zu sozialen und medizinischen Leistungen, die so gut wie inexistent sind. Der Kläger ist vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen, so dass er über keinerlei Einkünfte zur Befriedigung seiner Bedürfnisse verfügt, d. h. um sich zu ernähren, sich zu kleiden und eine Unterkunft zu finden. Er hat mit Sicherheit erhebliche Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, zumal die Vermietung einer Wohnung an einen Migranten, der sich illegal im Land aufhält, untersagt sein kann. Außerdem hat er nur einen begrenzten Anspruch auf Sozialhilfe, da diese nach den anwendbaren nationalen Vorschriften auf die Gewährung dringender medizinischer Hilfe beschränkt ist.

    148.

    Diese tatsächliche Lage stößt den Betroffenen ganz offensichtlich in die Armut und berührt unmittelbar die Achtung seiner Grundrechte. Der EGMR hat übrigens in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass unzureichende Einkünfte unter besonderen Umständen zu einer Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit der Person und zur Gefahr einer gegen die Art. 2 und 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen können ( 52 ).

    149.

    Schon aufgrund des Wortlauts von Art. 14 der Richtlinie 2008/115 halte ich es für unlogisch, die Mitgliedstaaten zur Gewährung dringender medizinischer Hilfe zu verpflichten, während unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben sind, die elementarsten Bedürfnisse des Betroffenen nicht befriedigt sind. Ebenso ist es meines Erachtens unlogisch, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, die Aufrechterhaltung der Familieneinheit oder auch die Grundbildung der Kinder zu gewährleisten, ohne dass dies die Verpflichtung umfasst, diesen Personen ihren Lebensunterhalt und menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewähren.

    150.

    Es ist auch nicht gerecht und billig, einen Drittstaatsangehörigen, dessen Aufenthalt im Hoheitsgebiet während der Prüfung seines Rechtsbehelfs faktisch geduldet wird, ungünstiger zu behandeln als den, der gemäß Art. 15 der Richtlinie 2008/115 in Haft genommen worden ist. Zwar wird dieser Letztere aufgrund seines eigenen Verhaltens tatsächlich seiner Freiheit beraubt, er wird jedoch in einer speziellen Hafteinrichtung untergebracht, wo im Prinzip sein Existenzminimum einschließlich Rechtsberatung, Sozialleistungen und medizinischer Versorgung gesichert ist, und dies für einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse ist jedoch in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der der Betroffene ebenfalls abgeschoben werden soll, eindeutig nicht sichergestellt.

    151.

    Ferner halte ich es für unlogisch, von den Mitgliedstaaten zu verlangen, dass sie die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs sicherstellen und insbesondere einen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen die Abschiebungsanordnung vorsehen, wenn der Migrant bis zur Entscheidung des Gerichts nicht über eine menschenwürdige Ernährung, Unterkunft und Bekleidung verfügt.

    152.

    Schließlich sollten wir nicht aus den Augen verlieren, dass die Marginalisierung der Migranten verstärkt wird, wenn ihre elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger, der abgeschoben werden soll, während eines so langen Zeitraums nach Einlegung seines Rechtsbehelfs seine elementarsten Bedürfnisse nicht decken kann, verleitet ihn möglicherweise dazu, das Hoheitsgebiet des Aufnahmestaats zu verlassen und sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dadurch die sekundären Flüchtlingsbewegungen von Migranten, deren Aufenthalt illegal ist, und folglich die heimliche Einwanderung innerhalb der Grenzen der Union noch zu verstärken. Diese Situation kann ihn auch veranlassen, nicht in die Illegalität oder in den Untergrund zu gehen – dort befindet er sich schon – sondern in die Kriminalität, und dies, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Konsequenzen sind wirklich sehr weit entfernt von dem vom Unionsgesetzgeber im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 proklamierten Ziel, wonach „[e]ine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik … mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden [muss]“ ( 53 ).

    153.

    Eine Anwendung der Richtlinie 2008/115, die zu derart unlogischen und unsinnigen Konsequenzen führt, ermöglicht es ganz eindeutig nicht, ihre praktische Wirksamkeit zu gewährleisten.

    154.

    Der Umfang der in Art. 14 der Richtlinie 2008/115 genannten Garantien ist deshalb anhand des Ziels dieser Richtlinie auszulegen, das, wie wir gesehen haben, darin besteht, klare und faire Vorschriften für eine Rückkehrpolitik vorzusehen, die nicht nur wirksam ist, sondern es auch ermöglicht, im Einklang mit dem vom Gesetzgeber in Art. 1 der Richtlinie zum Ausdruck gebrachten Grundprinzip die Achtung der in der Grundrechtecharta verankerten Werte sicherzustellen.

    155.

    Die Achtung der Menschenwürde und des Rechts auf Leben, Unversehrtheit und Gesundheit, die in den Art. 1, 2, 3 und 35 der Grundrechtecharta verankert sind ( 54 ), aber auch das in Art. 4 dieser Charta enthaltene Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung stehen meines Erachtens einer Regelung entgegen, nach der in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens ein sich illegal im Land aufhaltender Drittstaatsangehöriger, dessen Abschiebung de facto aufgeschoben wurde, während der Prüfung seines Rechtsbehelfs keinen Anspruch auf Deckung seiner Grundbedürfnisse hat.

    156.

    Die Befriedigung der elementarsten Bedürfnisse ist nach meiner Überzeugung ein grundlegendes Recht, das nicht vom Rechtsstatus des Betroffenen abhängig gemacht werden kann.

    157.

    Auch wenn der Umfang der Befriedigung dieser Bedürfnisse unter Berücksichtigung des den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie 2008/115 eingeräumten Wertungsspielraums von jedem Mitgliedstaat festzulegen ist, muss sie für den Lebensunterhalt des Betroffenen ausreichen, so dass ihm ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird, bei dem seine Gesundheit gewährleistet ist, indem er namentlich in die Lage versetzt wird, eine Unterkunft zu finden, und indem gegebenenfalls seine besonderen Bedürfnisse berücksichtigt werden ( 55 ).

    158.

    Aus diesen Gründen ist Art. 14 der Richtlinie 2008/115 meiner Auffassung nach dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Befriedigung der Grundbedürfnisse von Drittstaatsangehörigen, die sich illegal im Land aufhalten und einen Rechtsbehelf gegen die Rückkehrentscheidung eingelegt haben, auf dringende medizinische Hilfe beschränkt. In dieser Situation ist der Mitgliedstaat verpflichtet, während der gesamten Dauer des Verfahrens eine ausreichende Befriedigung der Grundbedürfnisse des Betroffenen sicherzustellen, so dass sein Lebensunterhalt gedeckt und ihm ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird, bei dem seine Gesundheit gewährleistet ist, indem er insbesondere in die Lage versetzt wird, eine Unterkunft zu finden, und indem gegebenenfalls seine besonderen Bedürfnisse berücksichtigt werden.

    IV – Ergebnis

    159.

    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen der Cour du travail de Bruxelles wie folgt zu beantworten:

    1.

    Die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten, die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft sind dahin auszulegen, dass die in diesem Rahmen vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Verfahrensgarantien und sozialen Vergünstigungen auf einen gemäß Art. 9ter des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern gestützten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen nicht anwendbar sind.

    2.

    Art. 13 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Verfahrensvorschrift entgegensteht, die einen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung ausschließt, wenn dieser Rechtsbehelf gegen eine Rückkehrentscheidung eingelegt wird, deren Vollstreckung den Betroffenen aufgrund seines Gesundheitszustands möglicherweise der Gefahr einer gegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aussetzt.

    3.

    Art. 14 der Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Befriedigung der Grundbedürfnisse von Drittstaatsangehörigen, die sich illegal im Land aufhalten und einen Rechtsbehelf gegen die Rückkehrentscheidung eingelegt haben, auf dringende medizinische Hilfe beschränkt. In dieser Situation ist der Mitgliedstaat verpflichtet, während der gesamten Dauer des Verfahrens eine ausreichende Befriedigung der Grundbedürfnisse des Betroffenen sicherzustellen, so dass sein Lebensunterhalt gedeckt und ihm ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird, bei dem seine Gesundheit gewährleistet ist, indem er insbesondere in die Lage versetzt wird, eine Unterkunft zu finden, und indem gegebenenfalls seine besonderen Bedürfnisse berücksichtigt werden.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Richtlinie des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31, S. 18). An die Stelle dieser Richtlinie ist die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180, S. 96) getreten.

    ( 3 ) Richtlinie des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12, und Berichtigung ABl. 2005, L 204, S. 24).

    ( 4 ) Richtlinie des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326, S. 13).

    ( 5 ) Im Folgenden: Grundrechtecharta.

    ( 6 ) Schlussanträge in der Rechtssache M’Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2113).

    ( 7 ) ABl. L 348, S. 98.

    ( 8 ) Vgl. Art. 1 dieser Richtlinie.

    ( 9 ) Vgl. Schlussanträge in der Rechtssache M. (C‑277/11, EU:C:2012:253, Nr. 19), in der das Urteil M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 72) ergangen ist.

    ( 10 ) Dieses am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen (Vertragssammlung der Vereinten Nationen, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]), trat am 22. April 1954 in Kraft. Es wurde durch das am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 ergänzt.

    ( 11 ) Im Urteil M. (EU:C:2012:744) hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die Natur der Rechte, die mit dem Status als Flüchtling und mit dem subsidiären Schutzstatus verbunden sind, tatsächlich unterschiedlich ist (Rn. 92). Trotzdem ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, mit der die Richtlinie 2004/83 neu gefasst wird, die bestehenden Unterschiede zwischen den Rechten der Flüchtlinge und der Personen, die Anspruch auf subsidiären Schutz haben, hinsichtlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung beseitigt (Art. 30). Im Bereich der Sozialhilfe ist ein solcher Unterschied jedoch nicht beseitigt worden (Art. 29).

    ( 12 ) Vgl. Art. 1 sowie die Erwägungsgründe 2 und 11 dieser Richtlinie.

    ( 13 ) In der Fassung des Gesetzes vom 15. September 2006 (im Folgenden: Gesetz vom 15. Dezember 1980).

    ( 14 ) Vgl. Urteil der Cour constitutionnelle Nr. 43/2013 vom 21. März 2013, Punkt B 13, S. 16.

    ( 15 ) Der subsidiäre Schutzstatus gestattet es dem Anspruchsberechtigten, einen Aufenthaltsschein für die Dauer von einem Jahr zu erhalten, der während fünf Jahren verlängert werden kann. Nach Ablauf eines Zeitraums von fünf Jahren kann dem Betroffenen nach Art. 49/2 Abs. 2 und 3 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 der Aufenthalt für unbestimmte Zeit gestattet werden.

    ( 16 ) Moniteur belge vom 31. Dezember 1996, S. 32518, geändert am 13. Januar 2003 (Moniteur belge vom 17. Januar 2003, S. 1553).

    ( 17 ) Wie ich in den Nrn. 34 bis 37 meiner Schlussanträge in der Rechtssache M’Bodj (EU:C:2014:2113) ausgeführt habe, sind sich die nationalen Behörden nicht darüber einig, ob eine solche Aufenthaltserlaubnis eine Umsetzung von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83 darstellt.

    ( 18 ) Vgl. dazu Urteil Diakité (C‑285/12, EU:C:2014:39).

    ( 19 ) Wie der Gerichtshof im Urteil B und D (C‑57/09 und C‑101/09, EU:C:2010:661) entschieden hat, ist dem letzten Satzteil von Art. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/83 zu entnehmen, dass es der Richtlinie nicht zuwiderläuft, dass eine Person um eine „andere … Form des Schutzes“ außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie ersucht (Rn. 116).

    ( 20 ) Im Folgenden: EMRK. Die Konvention wurde am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet.

    ( 21 ) Die Richtlinie 2004/83 geht ebenso wie das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von dem Grundsatz aus, dass die Aufnahmemitgliedstaaten nach ihrem nationalen Recht einen innerstaatlichen Schutz gewähren können, der Personen, die vom Flüchtlingsstatus nach Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie ausgeschlossen sind, das Recht einräumt, sich im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufzuhalten.

    ( 22 ) Vgl. Note des Vorsitzes des Rates der Europäischen Union an den Strategischen Ausschuss für Einwanderungs-, Grenz- und Asylfragen vom 25. September 2002 (12148/02, S. 6).

    ( 23 ) Im Folgenden: EGMR.

    ( 24 ) EGMR, 2. Mai 1997, Recueil des arrêts et décisions 1997-III. In dieser Rechtssache entschied der EGMR, dass die Vollstreckung der Entscheidung, eine Person, die an Aids leidet, auszuweisen, im Fall der Rückführung in ihr Herkunftsland gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde, da diese der tatsächlichen Gefahr ausgesetzt war, auf besonders schmerzhafte Weise zu sterben. In seinem Urteil berücksichtigte der EGMR, dass der Betroffene sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Krankheit befand und dass der plötzliche Abbruch der im Aufnahmestaat gewährten ärztlichen Versorgung zusammen mit dem Fehlen einer angemessenen Behandlung in seinem Herkunftsstaat und dem Fehlen jedweder Form von moralischer Unterstützung und Sozialhilfe den Tod des Betroffenen beschleunigen und ihn großem körperlichen und psychischem Leiden aussetzen würde (§§ 42, 51 und 54). Daher hat der EGMR erklärt, bei der Anwendung von Art. 3 EMRK hinreichend flexibel vorgehen zu wollen, wenn es um Situationen geht, in denen die Gefahr, dass der Betroffene einer im Bestimmungsland verbotenen Behandlung ausgesetzt ist, auf Umständen beruht, für die die staatlichen Stellen in diesem Land weder unmittelbar noch mittelbar verantwortlich sind oder die einzeln gesehen als solche nicht gegen diesen Artikel verstoßen. In einem solchen Fall können die Vertragsstaaten somit ihre Ausweisungsentscheidung aus als zwingend angesehenen humanitären Gründen nicht vollstrecken, da sie andernfalls für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK verantwortlich wären.

    ( 25 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 26 ) C‑465/07, EU:C:2009:94.

    ( 27 ) Ebd. (Rn. 28).

    ( 28 ) McAdam, J., „The Qualification Directive: An Overview“, The Qualification Directive: Central Themes, Problem Issues, and Implementation in Selected Member States, Wolf Legal Publishers, Nijmegen, 2007, S. 19.

    ( 29 ) Vgl. dazu Urteil Diakité (EU:C:2014:39, Rn. 24).

    ( 30 ) Wie erinnerlich ist es nach ständiger Rechtsprechung Sache des Gerichtshofs, im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Dabei kann er auf unionsrechtliche Vorschriften eingehen, die in den Vorlagefragen nicht angeführt sind, soweit sie zur Prüfung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich sind (vgl. insbesondere Urteil Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, C‑157/10, EU:C:2011:813, Rn. 18 bis 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 31 ) Nach dieser Bestimmung ist eine „Rückkehrentscheidung“„die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird“.

    ( 32 ) C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 21.

    ( 33 ) C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 34.

    ( 34 ) Vgl. Art. 12 Abs. 2 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger KOM(2005) 391 endgültig vom 1. September 2005 (im Folgenden: Richtlinienvorschlag), der wie folgt lautet: „Der Rechtsbehelf hat entweder aufschiebende Wirkung oder gibt dem Drittstaatsangehörigen das Recht, die Aussetzung der Rückführungsentscheidung oder der Abschiebungsanordnung zu beantragen, die dann so lange nicht vollstreckt werden, bis sie entweder bestätigt werden oder nicht mehr Gegenstand eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung sind“ (Hervorhebung nur hier).

    ( 35 ) Vgl. auch Erwägungsgründe 2 und 11 dieser Richtlinie.

    ( 36 ) Vgl. die allgemeinen Grundsätze betreffend die Wirksamkeit der Rechtsbehelfe und die Garantien, die die Vertragsstaaten gemäß Art. 13 in Verbindung mit Art. 3 EMRK bei der Ausweisung eines Ausländers gewähren müssen, zusammengefasst in den Urteilen des EGMR, M. S. S./Belgien und Griechenland, [Große Kammer], Nr. 30696/09, §§ 286 bis 293, EGMR 2011, sowie EGMR, I. M./Frankreich, Nr. 9152/09, §§ 127 bis 135, vom 2. Februar 2012, und EGMR, De Souza Ribeiro/Frankreich, [Große Kammer], Nr. 22689/07, §§ 77 bis 83, EGMR 2012.

    ( 37 ) Vgl. EGMR, I. M./Frankreich, §§ 132 bis 134 und die dort angeführte Rechtsprechung.

    ( 38 ) S. J./Belgien, Nr. 70055/10, vom 27. Februar 2014. Gegen dieses Urteil wurde Rechtsmittel zur Großen Kammer eingelegt.

    ( 39 ) § 95.

    ( 40 ) §§ 96 und 97.

    ( 41 ) § 103.

    ( 42 ) Ebd.

    ( 43 ) § 104.

    ( 44 ) § 106.

    ( 45 ) Ich verweise dazu auf die Wiedergabe der Art. 39/82 bis 39/85 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 in den Nrn. 44 bis 47 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 46 ) Das Europäische Parlament hatte allerdings im Rahmen der vorbereitenden Arbeiten für die Richtlinie einen dahin gehenden Vorschlag gemacht. Vgl. Änderungsantrag 53 zu Art. 13 Abs. 1 im Bericht des Europäischen Parlaments über den Richtlinienvorschlag (A6‑0339/2007).

    ( 47 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 48 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 49 ) Erwägungsgründe 7 und 8 der Richtlinie 2003/9.

    ( 50 ) Hervorhebung nur hier. Ich weise allerdings darauf hin, dass die Kommission nicht ausdrücklich auf die Art. 13 und 14 der Richtlinie 2003/9 Bezug genommen hat, die den Asylbewerbern materielle Aufnahmebedingungen in Form eines angemessenen Lebensstandards und Lebensunterhalts sichern. Art. 13 Abs. 2 dieser Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Aufnahmebedingungen vorzusehen, (materielle oder finanzielle Unterstützung), die „einem Lebensstandard entsprechen, der die Gesundheit und den Lebensunterhalt der Asylbewerber gewährleistet“. Art. 14 bestimmt, dass die Unterbringung, „sofern [sie] als Sachleistung erfolgt, … [gewährt werden sollte in] Unterbringungszentren, die einen angemessenen Standard gewährleisten, [oder in] Privathäusern, Wohnungen, Hotels oder anderen für die Unterbringung von Asylbewerbern geeignete[n] Räumlichkeiten“.

    ( 51 ) Bericht vom 8. Februar 2011 über den Abbau der gesundheitlichen Ungleichheit in der Europäischen Union (2010/2089[INI]), vgl. insbesondere Erwägungsgrund AD und Punkt 5.

    ( 52 ) Vgl. betreffend Art. 2 EMRK die Urteile des EGMR Kutepov und Anikeyenko/Russland, Nr. 68029/01, § 62, vom 25. Oktober 2005, und Huc/Rumänien und Deutschland (Entsch.), Nr. 7269/05, § 59, vom 1. Dezember 2009, sowie betreffend Art. 3 EMRK die Urteile des EGMR Larioshina/Russland (Entsch.), Nr. 56869/00, vom 23. April 2002, und Budina/Russland (Entsch.), Nr. 45603/05, vom 18. Juni 2009.

    ( 53 ) Vierter Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115. Hervorhebung nur hier.

    ( 54 ) Nach dieser Bestimmung hat „[j]ede Person … das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und Durchführung aller Politiken und Maßnahmen der Union wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt“.

    ( 55 ) Ich nehme insoweit Bezug auf das Urteil Saciri u. a. (C‑79/13, EU:C:2014:103), in dem der Gerichtshof zu den materiellen Aufnahmebedingungen der Asylbewerber Stellung genommen hat (vgl. insbesondere Rn. 40).

    Top