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Document 62012CJ0262

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 19. Dezember 2013.
Association Vent De Colère! Fédération nationale u. a. gegen Ministre de l’Écologie, du Développement durable, des Transports et du Logement und Ministre de l’Économie, des Finances et de l’Industrie.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Frankreich).
Vorabentscheidungsersuchen – Staatliche Beihilfe – Begriff der ‚staatlichen Maßnahme oder Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel‘ – Strom aus Windkraftanlagen – Abnahmepflicht zu einem Preis über dem Marktpreis – Vollständiger Ausgleich – Von den Stromendverbrauchern geschuldete Abgaben.
Rechtssache C‑262/12.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:851

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

19. Dezember 2013 ( *1 )

„Vorabentscheidungsersuchen — Staatliche Beihilfe — Begriff der ‚staatlichen Maßnahme oder Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel‘ — Strom aus Windkraftanlagen — Abnahmepflicht zu einem Preis über dem Marktpreis — Vollständiger Ausgleich — Von den Stromendverbrauchern geschuldete Abgaben“

In der Rechtssache C‑262/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Frankreich) mit Entscheidung vom 15. Mai 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Mai 2012, in dem Verfahren

Association Vent De Colère! Fédération nationale,

Alain Bruguier,

Jean-Pierre Le Gorgeu,

Marie-Christine Piot,

Eric Errec,

Didier Wirth,

Daniel Steinbach,

Sabine Servan-Schreiber,

Philippe Rusch,

Pierre Recher,

Jean-Louis Moret,

Didier Jocteur Monrozier

gegen

Ministre de l’Écologie, du Développement durable, des Transports et du Logement,

Ministre de l’Économie, des Finances et de l’Industrie

Beteiligter:

Syndicat des énergies renouvelables

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), G. Arestis, J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. April 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Association Vent De Colère! Fédération nationale, vertreten durch A. Marlange und M. Le Berre, avocats,

des Syndicat des énergies renouvelables, vertreten durch F. Thiriez und T. Lyon-Caen, avocats,

der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, J. Gstalter und J. Rossi als Bevollmächtigte,

der griechischen Regierung, vertreten durch I. Pouli und K. Boskovits als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Maxian Rusche, É. Gippini Fournier, K. Herrmann und P. Němečková als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 2013

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 87 Abs. 1 EG (jetzt Art. 107 Abs. 1 AEUV).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage der Association Vent De Colère! Fédération nationale sowie elf natürlicher Personen gegen die Verordnung des Ministre de l’Écologie, de l’Énergie, du Développement durable et de l’Aménagement du territoire (Minister für Ökologie, Energie, nachhaltige Entwicklung und Raumordnung) vom 17. November 2008 zur Festlegung der Abnahmebedingungen für Strom aus Windkraftanlagen (JORF vom 13. Dezember 2008, S. 19032) und eine Verordnung der Ministre de l’Économie, de l’Industrie et de l’Emploi (Ministerin für Wirtschaft, Industrie und Arbeit) vom 23. Dezember 2008 zur Ergänzung der Verordnung vom 17. November 2008 (JORF vom 28. Dezember 2008, S. 20310) (im Folgenden: streitige Verordnungen).

Rechtlicher Rahmen

Französisches Recht

3

Art. 5 der Loi no 2000‑108 du 10 février 2000 relative à la modernisation et au développement du service public de l’électricité (Gesetz Nr. 2000‑108 vom 10. Februar 2000 über die Modernisierung und Weiterentwicklung der öffentlichen Stromversorgung, JORF vom 11. Februar 2000, S. 2143) in der durch die Loi no 2006‑1537 du 7 décembre 2006 relative au secteur de l’énergie (Gesetz Nr. 2006‑1537 vom 7. Dezember 2006 betreffend den Energiesektor, JORF vom 8. Dezember 2006, S. 18531) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 2000‑108) bestimmt:

„I.

Die Belastungen, die den öffentlich-rechtlichen Aufgaben der Stromversorger zuzurechnen sind, werden vollständig ausgeglichen. Dazu gehören

a)

bei der Stromerzeugung:

1.

die sich gegebenenfalls aus der Durchführung der Art. 8 und 10 ergebenden Mehrkosten, die sich die Électricité de France [SA (EDF), im Folgenden: Électricité de France] oder gegebenenfalls die betroffenen in Art. 23 der Loi no. 46-628 du 8 avril 1946 sur la nationalisation de l’électricité et du gaz [Gesetz Nr. 46-628 vom 8. April 1946 über die Verstaatlichung des Strom- und Gassektors, JORF vom 9. April 1946, S. 2651] genannten nicht verstaatlichten Versorger erspart haben. Die ersparten Aufwendungen werden im Verhältnis zu den Strommarktpreisen oder – im Fall der nicht verstaatlichten Versorger – im Verhältnis zu den in Art. 4 genannten Abgabetarifen entsprechend dem Anteil des zu diesen Tarifen erworbenen Stroms an ihrer Gesamtversorgung abzüglich der nach den Art. 8 und 10 erworbenen Mengen berechnet. Dieselben Werte für ersparte Aufwendungen werden der Bestimmung der ausgeglichenen Mehrkosten zugrunde gelegt, wenn die betreffenden Anlagen von Électricité de France oder einem nicht verstaatlichten Versorger betrieben werden. Betrifft der Vertrag den Erwerb von Strom, der von einer Anlage in einem nicht an den kontinentalen Städteverbund angeschlossenen Gebiet erzeugt wurde, werden die Mehrkosten im Verhältnis zu dem Anteil an der Stromerzeugung nach den regulierten Abnahmetarifen für Strom berechnet;

Diese Belastungen werden auf der Grundlage einer angemessenen Buchführung der Versorger, die die Belastungen zu tragen haben, berechnet. Diese Buchführung nach von der Commission de régulation de l’énergie [Regulierungskommission für Energie] festgelegten Regeln wird auf Kosten der Versorger durch ihre Rechnungsprüfer oder – im Fall von Regiebetrieben – durch ihren öffentlichen Rechnungsführer kontrolliert. … Der Minister für Energie setzt die Höhe der Belastungen jährlich auf Vorschlag der Commission de régulation de l’énergie fest.

Der Ausgleich für diese Belastungen zugunsten der Versorger, die sie zu tragen haben, wird durch von den im Inland wohnhaften Stromendverbrauchern geschuldete Abgaben geleistet.

Die Höhe dieser Abgaben wird anteilig zum Stromverbrauch berechnet. …

Die Höhe der von den Endverbrauchern im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 für jede Verbrauchsstätte geschuldeten Abgabe darf 500000 Euro nicht überschreiten. Dieselbe Höchstgrenze gilt für die von Unternehmen im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 geschuldete Abgabe für im Inland verbrauchten Fahrstrom und für die von Unternehmen im Sinne von Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 4 geschuldete Abgabe für auf der Abnehmerseite verbrauchten Strom aus einem Stromverbundnetz.

Die Höhe der für jede Kilowattstunde geltenden Abgabe wird so berechnet, dass die Abgaben alle Belastungen im Sinne der Buchst. a und b sowie die nachstehend angeführten Verwaltungskosten bei der Caisse des dépôts et consignations [Kasse für die Hinterlegung und Verwaltung öffentlicher Gelder] und den Haushalt des Médiateur national de l’énergie [nationale Schlichtungsstelle für Energie] decken. Der Minister für Energie setzt diesen Betrag auf Vorschlag der Commission de régulation de l’énergie jährlich durch Verordnung fest. Die Höhe des für ein bestimmtes Jahr festgesetzten jährlichen Beitrags gilt auch für die Folgejahre, wenn für das entsprechende Jahr keine neue Verordnung in Kraft getreten ist.

Die Abgaben der zugelassenen Endverbraucher, die von ihren Rechten aus Art. 22 Abs. 3 Gebrauch gemacht haben und über das öffentliche Transportnetz oder ein öffentliches Vertriebsnetz versorgt werden, zieht der Versorger, der für die Verwaltung des Netzes, an das diese Verbraucher angeschlossen sind, zuständig ist, in Form einer auf den Netznutzungstarif erhobenen Zusatzabgabe ein. … Die tatsächlich eingezogenen Abgaben werden durch die Caisse des dépôts et consignations an die Versorger weitergeleitet, die die Kosten der Gemeinwohlleistung tragen.

… Die Caisse des dépôts et consignations leitet die eingezogenen Beträge vierteljährlich an die Versorger weiter, die die Belastungen im Sinne der Nrn. 1 und 2 der Buchst. a und b tragen. Sie zahlt dem Médiateur national de l’énergie am 1. Januar jeden Jahres einen seinem Haushalt entsprechenden Betrag aus.

Die Caisse des dépôts et consignations weist diese verschiedenen Vorgänge in einem Sonderkonto aus. Die ihr entstandenen Verwaltungskosten werden jährlich von den Ministern für Wirtschaft und für Energie festgestellt.

Unbeschadet der Sanktionen des Art. 41, die Anwendung finden, wenn die Abgabe binnen einer Frist von zwei Monaten ab dem Fälligkeitsdatum nicht oder nicht vollständig gezahlt wird, richtet die Commission de régulation de l’énergie eine schriftliche Mahnung an den Abgabenschuldner und erhebt eine Mahngebühr in Höhe von 10 % des geschuldeten Betrags.

Entspricht der Betrag der eingenommenen Abgaben nicht der Höhe der für das Jahr festgestellten Belastungen, erfolgt im Folgejahr ein Ausgleich über die für dieses Jahr geschuldeten Belastungen. Werden die geschuldeten Beträge im Laufe des Jahres nicht eingenommen, werden sie auf die für das Folgejahr geschuldeten Belastungen aufgeschlagen.

Die Commission de régulation de l’énergie beurteilt in ihrem Jahresbericht das Funktionieren der die Kosten der öffentlichen Stromversorgung betreffenden Bestimmungen dieses Abs. 1.

III.

Zahlt ein Abgabenpflichtiger die Abgaben nach Abs. 1 nicht … verhängt der Minister für Energie unter den Voraussetzungen des Art. 41 eine verwaltungsrechtliche Sanktion.

IV.

Die Durchführungsbestimmungen für diesen Artikel werden durch Dekret mit Anhörung des Conseil d’État festgelegt.“

4

Art. 10 des Gesetzes Nr. 2000-108 bestimmt:

„Vorbehaltlich der Erfordernisse eines reibungslosen Funktionierens der Netze haben Électricité de France und – im Rahmen ihres gesetzlichen Zwecks und soweit die Produktionsanlagen an die von ihnen betriebenen öffentlichen Netze angeschlossen sind – die nicht verstaatlichten Versorger im Sinne von Art. 23 des Gesetzes Nr. 46-628 vom 8. April 1946 … auf Verlangen der betreffenden Erzeuger einen Vertrag über die Abnahme von Strom zu schließen, der im Inland erzeugt wird von:

2.

den Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, ausgenommen Windkraftanlagen in Gebieten, die im kontinentalen Städteverbund vernetzt sind, oder mit denen energieeffiziente, leistungsfähige Techniken wie die Kraft-Wärme-Kopplung umgesetzt werden. Ein Dekret mit Anhörung des Conseil d’État legt die Grenzen der betriebsbereiten Leistung der Erzeugungsanlagen fest, die durch die Abnahmeverpflichtung begünstigt werden können. Diese Grenzen dürfen 12 Megawatt nicht überschreiten und werden für jeden Anlagentyp auf einem Anlagengelände festgelegt, der durch die Abnahmepflicht begünstigt werden kann. …

3.

Windkraftanlagen zur Stromerzeugung, die in einem nach den Bedingungen des Art. 10-1 festgelegten Gebiet für den Ausbau der Windenergienutzung liegen;

… Ein Dekret legt die den durch die Abnahmepflicht begünstigten Erzeugern obliegenden Verpflichtungen sowie die Voraussetzungen fest, unter denen die Minister für Wirtschaft und für Energie auf Vorschlag der Commission de régulation de l’énergie die Abnahmebedingungen für die so erzeugte Energie festsetzen. Sofern die Verträge zur Abnahmepflicht, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Loi no 2004-803 du 9 août 2004 relative au service public de l’électricité et du gaz et aux entreprises électriques et gazières (Gesetz Nr. 2004‑803 vom 9. August 2004 über die öffentliche Strom- und Gasversorgung und die Strom- und Gasunternehmen) in Kraft waren, aufrechterhalten werden, können die Anlagen, die nach diesem Artikel oder nach Art. 50 dieses Gesetzes durch die Abnahmepflicht begünstigt sind, nur einmal aus einem Vertrag zur Abnahmepflicht begünstigt werden.

Die etwaigen Mehrkosten der von Électricité de France oder den nicht verstaatlichten Versorgern betriebenen Stromerzeugungsanlagen, die unter diesen Artikel fallen, werden unter den in Art. 5 Abs. 1 vorgesehenen Voraussetzungen ausgeglichen.

Die hieraus eventuell entstehenden Mehrkosten werden unter den in Art. 5 Abs. 1 vorgesehenen Voraussetzungen ausgeglichen.

…“

5

Art. 8 Nr. 2 des Décret no 2001‑410 du 10 mai 2001, relatif aux conditions d’achat de l’électricité produite par des producteurs bénéficiant de l’obligation d’achat (Dekret Nr. 2001‑410 vom 10. Mai 2001 über die Abnahmebedingungen für Strom von aus der Abnahmepflicht begünstigten Erzeugern, JORF vom 12. Mai 2001, S. 7543) lautet in seiner geänderten Fassung:

„Für Strom von Erzeugern, die durch die Abnahmepflicht nach Art. 10 des Gesetzes vom 10. Februar 2000 … begünstigt werden, werden die Abnahmebedingungen nach Stellungnahme des Conseil supérieur de l’électricité et du gaz [Oberster Rat für Elektrizität und Gas] und der Commission de régulation de l’électricité durch Verordnung der Minister für Wirtschaft und für Energie festgesetzt. … Diese Abnahmebedingungen regeln u. a.

2o

die Abnahmetarife für Strom.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

6

Mit den streitigen Verordnungen haben der Minister für Ökologie, Energie, nachhaltige Entwicklung und Raumordnung und die Ministerin für Wirtschaft, Industrie und Arbeit die Abnahmebedingungen für Strom aus Windkraftanlagen festgelegt.

7

Diese Verordnungen wurden von der Association Vent de Colère! Fédération nationale und elf weiteren Klägern mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Conseil d’État angefochten.

8

Sie machten u. a. geltend, dass es sich bei den Verordnungen um staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV handele.

9

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts stellt die Abnahme von Strom aus Windkraftanlagen zu einem Preis über seinem Marktwert einen Vorteil dar, der den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und Auswirkung auf den Wettbewerb haben kann.

10

Zum Kriterium der staatlichen Maßnahme oder der Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel weist der Conseil d’État darauf hin, dass er in einer Entscheidung vom 21. Mai 2003 das Urteil vom 13. März 2001, PreussenElektra (C-379/98, Slg. 2001, I-2099), angewandt und festgestellt habe, dass die finanzielle Belastung durch die Abnahmepflicht, aus der die Windkraftanlagen begünstigt seien, zwischen einer Reihe von Unternehmen aufgeteilt werde, ohne dass öffentliche Mittel unmittelbar oder mittelbar zur Finanzierung der Beihilfe eingesetzt würden, und dass daher nach seiner Auffassung der frühere Mechanismus der Abnahme von Strom aus Windkraftanlagen keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG darstelle.

11

Dieser Mechanismus wurde jedoch durch die Loi no 2003‑8 du 3 janvier 2003, relative aux marchés du gaz et de l’électricité et au service public de l’énergie (Gesetz Nr. 2003‑8 vom 3. Januar 2003 über die Gas- und Strommärkte und die öffentliche Energieversorgung, JORF vom 4. Januar 2003, S. 265) geändert. Früher wurden die sich aus der Abnahmepflicht von Électricité de France und den nicht verstaatlichten Versorgern ergebenden Mehrkosten vollständig durch einen öffentlichen Fonds der Energieerzeugung ausgeglichen, der aus Abgaben der im Gesetz genannten Erzeuger, Versorger und Lieferanten gespeist wurde. Nun werden diese Mehrkosten durch die Abgaben der im Inland wohnhaften Stromendverbraucher ausgeglichen. Die Höhe der Abgaben wird anteilig zum Stromverbrauch berechnet und auf Vorschlag der Commission de régulation de l’énergie vom Minister für Energie festgesetzt.

12

Der Conseil d’État weist auch darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 17. Juli 2008, Essent Netwerk Noord u. a (C-206/06, Slg. 2008, I-5497), zunächst festgestellt habe, dass in der Rechtssache, in der das Urteil PreussenElektra ergangen sei, die fraglichen Unternehmen nicht vom Staat mit der Verwaltung staatlicher Mittel beauftragt worden seien. Dann habe der Gerichtshof ausgeführt, dass eine Finanzierung durch einen den Stromkunden vom Staat auferlegten Tarifaufschlag, bei dem es sich um eine Abgabe handele und die Mittel außerdem unter der Kontrolle des Staates stünden, als eine staatliche Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel anzusehen sei.

13

Unter diesen Voraussetzungen hat der Conseil d’État beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist angesichts der sich aus dem Gesetz Nr. 2003‑8 ergebenden Änderung der Art, wie der vollständige Ausgleich der der Électricité de France und den nicht verstaatlichten Versorgern im Sinne von Art. 23 des Gesetzes Nr. 46‑628 auferlegten Mehrkosten aufgrund der Abnahmepflicht für Strom aus Windkraftanlagen zu einem Preis über dem Marktpreis dieses Stroms finanziert wird, dieser Mechanismus nunmehr als eine staatliche Maßnahme bzw. Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel im Sinne und zur Anwendung der Bestimmungen des Art. 107 AEUV anzusehen?

Zur Vorlagefrage

14

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mechanismus, mit dem die Mehrkosten, die Unternehmen durch eine Abnahmepflicht für Strom aus Windkraftanlagen zu einem Preis über dem Marktpreis entstehen, vollständig ausgeglichen werden und dessen Finanzierung von den Endverbrauchern getragen wird – so wie der Mechanismus aus dem Gesetz Nr. 2000‑108 –, als staatliche Maßnahme oder als Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen ist.

15

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass für die Einstufung als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vier Voraussetzungen erfüllt sein müssen: Es muss sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln, diese Maßnahme muss geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, dem Begünstigten muss durch sie ein Vorteil gewährt werden und sie muss den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. März 1993, Sloman Neptun, C-72/91 und C-73/91, Slg. 1993, I-887, Randnr. 18, sowie vom 30. Mai 2013, Doux Élevage und Coopérative agricole UKL‑ARREE, C‑677/11, Randnr. 25). Die vorliegende Frage betrifft aber nur die erste dieser Voraussetzungen.

16

Damit Vergünstigungen als Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden können, müssen sie zum einen unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden und zum anderen dem Staat zuzurechnen sein (vgl. Urteile vom 16. Mai 2002, Frankreich/Kommission, C-482/99, Slg. 2002, I-4397, Randnr. 24, sowie Doux Élevage und Coopérative agricole UKL‑ARREE, Randnr. 27).

17

Was zunächst die Voraussetzung betreffend die Zurechenbarkeit der Maßnahme betrifft, ist zu prüfen, ob angenommen werden kann, dass die öffentlichen Stellen am Erlass dieser Maßnahmen beteiligt waren (vgl. in diesem Sinne Urteil Frankreich/Kommission, Randnr. 52).

18

Insoweit ist festzustellen, dass der im Ausgangsverfahren fragliche Ausgleichsmechanismus durch das Gesetz Nr. 2000‑108 eingeführt wurde und daher dem Staat zurechenbar ist.

19

Zweitens ist betreffend die Voraussetzung der unmittelbaren oder mittelbaren Gewährung des Vorteils aus staatlichen Mitteln daran zu erinnern, dass Maßnahmen, bei denen keine staatlichen Mittel übertragen werden, unter den Begriff der Beihilfe fallen können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. März 1994, Banco Exterior de España, C-387/92, Slg. 1994, I-877, Randnr. 14, und vom 19. Mai 1999, Italien/Kommission, C-6/97, Slg. 1999, I-2981, Randnr. 16).

20

Durch den Begriff der Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel sollen nämlich nicht nur unmittelbar vom Staat gewährte Vorteile, sondern auch Vorteile einbezogen werden, die durch von ihm zur Durchführung der Beihilferegelung errichtete oder damit beauftragte öffentliche oder private Einrichtungen gewährt werden (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 22. März 1977, Steinike und Weinlig, 78/76, Slg. 1977, 595, Randnr. 21, Sloman Neptun, Randnr. 19, sowie Doux Élevage und Coopérative agricole UKL‑ARREE, Randnr. 26).

21

Weiter hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 107 Abs. 1 AEUV sämtliche Geldmittel erfasst, die die öffentlichen Stellen tatsächlich zur Unterstützung der Unternehmen verwenden können, ohne dass es darauf ankommt, dass diese Mittel dauerhaft zum Vermögen des Staates gehören. Auch wenn die der fraglichen Maßnahme entsprechenden Beträge nicht auf Dauer dem Staat gehören, genügt folglich der Umstand, dass sie ständig unter staatlicher Kontrolle und somit den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen, damit sie als staatliche Mittel qualifiziert werden können (vgl. Urteile Frankreich/Kommission, Randnr. 37, Essent Netwerk Noord u. a., Randnr. 70, sowie Doux Élevage und Coopérative agricole UKL‑ARREE, Randnr. 35).

22

Aus den dem Gerichtshof übermittelten Akten geht hervor, dass im Ausgangsverfahren die Beträge zum Ausgleich der sich aus der Abnahmepflicht der Unternehmen ergebenden Mehrkosten von allen in Frankreich wohnhaften Stromendverbrauchern erhoben und der Caisse des dépôts et consignations anvertraut werden.

23

Nach den im Ausgangsverfahren anwendbaren französischen Rechtsvorschriften setzt der Minister für Energie die Höhe der jedem Stromendverbraucher auferlegten Belastungen jährlich auf Vorschlag der Commission de régulation de l’énergie fest. Gibt es keine Ministerialverordnung, erhöht sich die Abgabe jedes Jahr automatisch.

24

Außerdem sieht Art. 5 des Gesetzes Nr. 2000‑108 für den Fall, dass ein Verbraucher die Abgabe nicht zahlt, eine verwaltungsrechtliche Sanktion vor.

25

Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, können Fonds, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats durch Zwangsbeiträge gespeist und gemäß diesen Rechtsvorschriften verwaltet und verteilt werden, als staatliche Mittel im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV betrachtet werden, selbst wenn ihre Verwaltung nichtstaatlichen Organen anvertraut ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juli 1974, Italien/Kommission, 173/73, Slg. 1974, 709, Randnr. 35).

26

Schließlich wurde in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass durch das Gesetz Nr. 2000‑108 der Grundsatz der vollständigen Deckung der Abnahmepflicht durch den französischen Staat eingeführt worden sei, wonach dieser seinen bisherigen Verpflichtungen nachkommen und die den Unternehmen auferlegten Mehrkosten vollständig übernehmen müsse, falls sich die von den Stromendverbrauchern erhobenen Abgaben als unzureichend erweisen sollten.

27

So geht aus den Randnrn. 20, 25 und 26 des vorliegenden Urteils hervor, dass der von der französischen Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Umstand, die der Abnahmepflicht unterliegenden Unternehmen behielten die von den Endverbrauchern erhobenen Abgaben, soweit ihre eigenen Mehrkosten sonst nicht gedeckt würden, so dass ein Teil der Mittel nicht über die Caisse des dépôts et consignations kanalisiert würde, nicht ausreicht, um das Vorliegen einer Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel auszuschließen.

28

Jedenfalls ist in Bezug auf die Mittel, die über die Caisse des dépôts et consignations geleitet werden, festzustellen, dass diese die eingezogenen Beträge gemäß dem Gesetz Nr. 2000‑108 auf einem Sonderkonto zentral zusammenfasst, bevor sie sie an die betreffenden Versorger überträgt, und somit bei der Verwaltung dieser Mittel als zwischengeschaltete Stelle tätig wird.

29

Die Caisse des dépôts et consignations ist eine durch die Loi sur les finances de 1816 (Gesetz über die Finanzen von 1816) errichtete juristische Person des öffentlichen Rechts. Ihr Generaldirektor, der das Exekutivorgan ist, wird im Conseil des ministres (Ministerrat) vom Präsidenten der Republik ernannt. Ihr Überwachungsausschuss sowie die in diesem gebildeten besonderen Ausschüsse sind mit Personen besetzt, die von der Assemblée Nationale (Nationalversammlung), dem Senat und anderen öffentlichen Einrichtungen ernannt werden. Der Überwachungsausschuss benennt aus seinen Reihen einen Präsidenten. In der Praxis ist dies ein Mitglied der Assemblée nationale oder des Senats.

30

Diese vom französischen Staat beauftragte öffentliche Einrichtung erbringt Verwaltungs-, Rechnungsführungs- und Buchführungsleistungen für Rechnung der Commission de régulation de l’énergie, einer unabhängigen Verwaltungsbehörde, der es obliegt, das reibungslose Funktionieren des Strom- und Gasmarkts in Frankreich zu überwachen. Die Caisse des dépôts et consignations stellt auch den Zahlungsverzug und den Zahlungsausfall von Endverbrauchern fest und unterrichtet den Überwachungsausschuss hiervon.

31

Außerdem kann diese öffentliche Einrichtung die von den Endverbrauchern erhobenen Abgaben anlegen, wobei mit diesen Anlagen erwirtschaftete Erträge jährlich vom Betrag der für das Folgejahr erhobenen Abgaben abgezogen werde.

32

Im Übrigen erwirtschaftet sie keinen Gewinn aus dieser Tätigkeit, und ihre Verwaltungskosten werden auf die von den Stromendverbrauchern erhobenen Abgaben angerechnet.

33

Demnach bleiben die derart von der Caisse des dépôts et consignations verwalteten Beträge unter staatlicher Kontrolle.

34

Aufgrund aller dieser Aspekte kann die vorliegende Rechtssache von der unterschieden werden, in der das Urteil PreussenElektra ergangen ist, mit dem festgestellt wurde, dass es nicht als aus staatlichen Mitteln finanzierte Maßnahme angesehen werden kann, wenn private Stromversorgungsunternehmen zur Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu festgelegten Mindestpreisen verpflichtet werden, da dies nicht zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Übertragung staatlicher Mittel auf die Unternehmen führt, die diesen Strom erzeugen (vgl. in diesem Sinne Urteil PreussenElektra, Randnr. 59).

35

Wie der Gerichtshof bereits in Randnr. 74 des Urteils Essent Netwerk Noord u. a. festgestellt hat, wurden die privaten Unternehmen in der Rechtssache, die zum Urteil PreussenElektra geführt hat, nämlich nicht vom Mitgliedstaat mit der Verwaltung staatlicher Mittel beauftragt, sondern zur Abnahme unter Einsatz ihrer eigenen finanziellen Mittel verpflichtet.

36

Daher waren die fraglichen Gelder nicht als staatliche Mittel anzusehen, weil sie zu keinem Zeitpunkt unter staatlicher Kontrolle standen und kein Mechanismus wie der im Ausgangsverfahren fragliche bestand, der vom Mitgliedstaat zum Ausgleich der sich aus dieser Abnahmepflicht ergebenden Mehrkosten geschaffen und geregelt wurde und mit dem der Staat diesen privaten Versorgern die vollständige Deckung ihrer Mehrkosten garantierte.

37

Somit ist Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass ein Mechanismus, mit dem die Mehrkosten, die Unternehmen durch eine Abnahmepflicht für Strom aus Windkraftanlagen zu einem Preis über dem Marktpreis entstehen, vollständig ausgeglichen werden und dessen Finanzierung von allen im Inland wohnhaften Stromendverbrauchern getragen wird – so wie der Mechanismus aus dem Gesetz Nr. 2000‑108 – eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel darstellt.

Zur zeitlichen Beschränkung der Wirkungen des Urteils

38

Hilfsweise, für den Fall, dass der Gerichtshof der Auffassung sein sollte, dass eine Finanzierung wie die im Ausgangsverfahren fragliche eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel darstellt, beantragt die französische Regierung, die Wirkungen des Urteils zeitlich zu beschränken.

39

Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht wird, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen (vgl. u. a. Urteile vom 2. Februar 1988, Blaizot u. a., 24/86, Slg. 1988, 379, Randnr. 27, vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka, C-402/03, Slg. 2006, I-199, Randnr. 50, sowie vom 21. März 2013, RWE Vertrieb, C‑92/11, Randnr. 58).

40

Der Gerichtshof kann sich nur ganz ausnahmsweise aufgrund des der Unionsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit veranlasst sehen, mit Wirkung für alle Betroffenen die Möglichkeit zu beschränken, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen. Für die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung müssen zwei grundlegende Kriterien erfüllt sein, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (vgl. u. a. Urteile Skov und Bilka, Randnr. 51, sowie RWE Vertrieb, Randnr. 59).

41

Für das Ausgangsverfahren ist erstens in Bezug auf das Kriterium des guten Glaubens der Betroffenen festzustellen, dass der französischen Regierung das in Art. 108 Abs. 3 AEUV geregelte Verbot der Durchführung einer Beihilfemaßnahme und die rechtlichen Folgen der unterbliebenen Mitteilung der fraglichen Maßnahme nicht verborgen bleiben konnten.

42

Zweitens hat der Gerichtshof in Bezug auf die Gefahr schwerwiegender Störungen darauf hingewiesen, dass die finanziellen Folgen, die sich für einen Mitgliedstaat aus einem Vorabentscheidungsurteil ergeben könnten, für sich allein niemals die zeitliche Begrenzung der Wirkungen dieses Urteils gerechtfertigt haben (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 19. Oktober 1995, Richardson, C-137/94, Slg. 1995, I-3407, Randnr. 37 und die angeführte Rechtsprechung).

43

Unter diesen Umständen ist in der vorliegenden Rechtssache eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein auslegendes Urteil auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ausgelegten Vorschrift zurückwirkt, durch nichts gerechtfertigt (vgl. Urteil vom 13. Februar 1996, Bautiaa und Société française maritime, C-197/94 und C-252/94, Slg. 1996, I-505, Randnr. 49 und die angeführte Rechtsprechung).

44

Folglich sind die zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zu begrenzen.

Kosten

45

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein Mechanismus, mit dem die Mehrkosten, die Unternehmen durch eine Abnahmepflicht für Strom aus Windkraftanlagen zu einem Preis über dem Marktpreis entstehen, vollständig ausgeglichen werden und dessen Finanzierung von allen im Inland wohnhaften Stromendverbrauchern getragen wird – so wie der Mechanismus aus dem Gesetz Nr. 2000‑108 vom 10. Februar 2000 über die Modernisierung und Weiterentwicklung der öffentlichen Stromversorgung in der durch das Gesetz Nr. 2006‑1537 vom 7. Dezember 2006 betreffend den Energiesektor geänderten Fassung – eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel darstellt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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