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Document 62012CC0427

    Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 19. Dezember 2013.
    Europäische Kommission gegen Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union.
    Nichtigkeitsklage - Wahl der Rechtsgrundlage - Art. 290 AEUV und 291 AEUV - Delegierter Rechtsakt und Durchführungsrechtsakt - Verordnung (EU) Nr. 528/2012 - Art. 80 Abs. 1 - Biozidprodukte - Europäische Agentur für chemische Stoffe - Festsetzung der Gebühren durch die Kommission.
    Rechtssache C-427/12.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:871

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    PEDRO CRUZ VILLALÓN

    vom 19. Dezember 2013 ( 1 )

    Rechtssache C‑427/12

    Europäische Kommission

    gegen

    Europäisches Parlament

    Rat der Europäischen Union

    (Nichtigkeitsklage der Kommission)

    „Nichtigkeitsklage — Auslegung der Art. 290 AEUV und 291 AEUV — Delegierter Rechtsakt — Durchführungsrechtsakt — Umfang der Kontrolle — Verordnung (EU) Nr. 528/2012 — Biozidprodukte — Einführung von Gebühren und Abgaben — Europäische Chemikalienagentur“

    1. 

    Die Nichtigkeitsklage, die die Kommission im vorliegenden Fall gegen das Europäische Parlament und den Rat wegen falscher Anwendung des Art. 291 Abs. 2 AEUV erhebt – indem sie in Art. 80 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 ( 2 ) den Erlass einer „Durchführungsverordnung“ durch die Kommission vorgesehen haben – gibt dem Gerichtshof erstmals Gelegenheit, zu Sinn und Zweck sowie zur Tragweite der in Art. 290 AEUV vorgesehenen „delegierten“ Rechtsakte Stellung zu nehmen ( 3 ). Zu berücksichtigen ist, dass der einzige Nichtigkeitsgrund der Kommission auf ein ihrer Meinung nach falsches Verständnis des jeweiligen Anwendungsbereichs von Art. 290 AEUV und Art. 291 Abs. 2 AEUV durch den Rat und das Parlament gestützt wird.

    2. 

    Es kann dahingestellt bleiben, ob, wie der Rat geltend macht, die Frage, die sich im vorliegenden Rechtsstreit stellt, „den Kernbereich bestimmter grundsätzlicher Fragen, die sich aufgrund der europäischen Integration stellen, berührt“ ( 4 ). In jedem Fall ist klar, dass der Vertrag von Lissabon die Tür zu etwas öffnet, das als eine neue Form der Gesetzgebung auf der Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Parlament und Rat auf der einen und der Kommission auf der anderen Seite bezeichnet werden kann. Schon deshalb ist das Problem, das uns die Kommission vorlegt, sehr sensibel.

    3. 

    Es ist offenkundig, dass diese erstmalige Gelegenheit, die sich dem Gerichtshof bietet, um zu dieser im Hinblick auf die Regelung der Rechtsakte der Union bedeutenden Materie Stellung zu nehmen, weder die letzte sein noch sein können wird. Zwar wird diese Gelegenheit, bei der es sich buchstäblich um die Einleitung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 290 AEUV handelt, bedeutsam sein, doch ist leicht nachvollziehbar, dass der Gerichtshof im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits nicht alles hierzu sagen können wird. Es gibt hierfür einen elementaren Grund: Aufgrund der Umstände des vorliegenden Rechtsstreits ist es nicht erforderlich, dass der Gerichtshof Antwort auf sämtliche Probleme gibt, zu denen diese Bestimmung Anlass geben kann. Nach diesem Hinweis haben die Verfahrensbeteiligten recht, wenn sie ausführen, der Gerichtshof habe hier Gelegenheit, damit zu beginnen, Sinn und Zweck dieser Vertragsbestimmung zu beleuchten und dadurch auch dazu beizutragen, Konfliktsituationen zwischen den Organen teilweise vorzubeugen.

    4. 

    Das Ergebnis dieser Schlussanträge vorwegschickend bin ich der Ansicht, dass während dieses anfänglichen Zeitraums der Geltung insbesondere der „delegierten“ Rechtsakte die wesentliche Herausforderung darin besteht, ein bestimmtes Niveau an Rechtmäßigkeitskontrolle im Hinblick auf die Wahlmöglichkeiten zu gewährleisten, die der Unionsgesetzgeber hat, wenn er die Aufgabe, den Inhalt eines Gesetzgebungsakts zu ergänzen oder zu ändern oder „Durchführungsrechtsakte“ zu erlassen, auf die Kommission überträgt.

    5. 

    Ich werde zunächst die Einrede der Unzulässigkeit zurückweisen und dann meine Antwort in zwei Teile gliedern. Im ersten Teil werde ich ein Verständnis sowohl der „delegierten“ Rechtsakte als auch der „Durchführungsrechtsakte“ und sodann eine mögliche Abgrenzung zwischen beiden vorschlagen. Im zweiten werde ich mich auf den spezifischen Gegenstand des Rechtsstreits konzentrieren, also die Gültigkeit von Art. 80 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012, soweit die Kommission durch ihn ermächtigt wird, nach Maßgabe von Art. 291 Abs. 2 AEUV eine Durchführungsverordnung zu erlassen.

    I – Rechtlicher Rahmen

    6.

    Die wenigen Bestimmungen, die dieser Rechtsstreit betrifft – letztendlich die Art. 290 AEUV und 291 AEUV und Art. 80 der Verordnung Nr. 528/2012 – werden im Rahmen meiner Ausführungen nach und nach wiedergegeben.

    II – Die Nichtigkeitsklage

    7.

    Die Kommission erhebt Nichtigkeitsklage gegen Art. 80 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012. Sie ist der Ansicht, die Vorschrift sei ungültig, da sie bestimme, dass die in ihr genannten Maßnahmen durch einen Durchführungsrechtsakt zu erlassen seien (Art. 291 AEUV), während sie zutreffenderweise durch einen delegierten Rechtsakt erlassen werden müssten (Art. 290 AEUV).

    8.

    Unbeschadet dessen, dass ich im Rahmen meiner Ausführungen zu den verschiedenen Problemen, die dieser Rechtsstreit aufwirft, die unterschiedlichen Argumente der Kommission darstellen werde, ist bereits jetzt festzuhalten, dass sie der Ansicht ist, dass die Rechtsprechung zur Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Union sinngemäß auf die Wahl zwischen Art. 291 AEUV (der eine reine Durchführungszuständigkeit begründet) und Art. 290 AEUV (der der Kommission eine „quasi gesetzgeberische“ Befugnis einräumt) anzuwenden sei. Ihrer Ansicht nach sind beide Bestimmungen streng voneinander getrennt, ohne dass „Grauzonen“ bestünden, in denen der Gesetzgeber einen Ermessensspielraum hätte.

    9.

    Die Kommission vertritt die Ansicht, entscheidend sei der Sinn, der dem Gedanken der „Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes“ zuzumessen sei. Man könne nicht mit einer restriktiven Konzeption arbeiten, denn die Rechtsakte zur Vervollständigung des Inhalts eines Gesetzgebungsakts müssten über den Grad an demokratischer Legitimation verfügen, den nur das Gesetzgebungsverfahren vermitteln könne, und die Art. 290 AEUV für die „delegierten Rechtsakte“ über die dort geregelten Kontrollen gewährleiste.

    10.

    Hinsichtlich der angefochtenen Bestimmung vertritt die Kommission die Auffassung, die Einführung eines kohärenten und vollständigen Gebührensystems zur Finanzierung der Agentur setze die Vervollständigung nicht wesentlicher Elemente der Verordnung Nr. 528/2012 voraus. Sie müsse daher Gegenstand einer Übertragung aufgrund von Art. 290 AEUV sein.

    11.

    Infolgedessen beantragt die Kommission, Art. 80 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012 unter Aufrechterhaltung seiner Wirkungen bis zum Inkrafttreten der Bestimmung, durch die er ersetzt wird, für nichtig zu erklären und das Europäische Parlament und den Rat zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Subsidiär und für den Fall, dass der Gerichtshof zu dem Ergebnis kommt, dass ihre Klage auf teilweise Nichtigerklärung unzulässig ist, beantragt die Kommission, die Verordnung Nr. 528/2012 unter Aufrechterhaltung ihrer Wirkungen insgesamt für nichtig zu erklären.

    III – Das Verfahren vor dem Gerichtshof

    12.

    Neben dem Europäischen Parlament und dem Rat haben sich das Königreich Dänemark, die Republik Finnland, die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, das Vereinigte Königreich und die Tschechische Republik am Verfahren beteiligt.

    13.

    Der Rat rügt, unterstützt durch das Königreich der Niederlande und das Vereinigte Königreich, die Unzulässigkeit der Klage, da Art. 80 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012 im Hinblick auf die übrigen Bestimmungen der Verordnung nicht den erforderlichen Grad an Eigenständigkeit aufweise, der für eine gesonderte Beurteilung erforderlich sei, denn die Zahlung der Gebühren und Abgaben sei Voraussetzung für das Tätigwerden der Agentur im Verfahren über die Genehmigung eines Biozidprodukts. Das Europäische Parlament, die Kommission und die Republik Finnland sind hingegen der Ansicht, die Nichtigerklärung der angefochtenen Bestimmung führe nicht zu einer substanziellen Änderung der Verordnung Nr. 528/2012, und die Klage sei infolgedessen zulässig.

    14.

    In der Sache und in Bezug auf die allgemeinen Erwägungen der Kommission bestreitet ein guter Teil der Beteiligten eine Hierarchie zwischen Art. 290 AEUV und Art. 291 AEUV, denn der Gesetzgeber könne sich für den einen oder den anderen Weg entscheiden, und beide führten zu Rechtsakten mit Verordnungscharakter. Darüber hinaus existiere eine „Grauzone“, so dass die abstrakte Abgrenzung der jeweiligen Bereiche der beiden Bestimmungen schwierig sei und es im Einzelfall auf den Grad der Detailliertheit des Gesetzgebungsakts ankomme, der ein Tätigwerden der Kommission erforderlich mache (sei es, um ihn zu „ergänzen“, sei es, um ihn „durchzuführen“; je nachdem, ob dieser Grad geringer oder größer sei). Schließlich stellen sie die weite Betrachtungsweise des Begriffs der „Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes“ in Frage, durch die Art. 291 AEUV inhaltsleer werde.

    15.

    Zum Inhalt der angefochtenen Bestimmung vertreten sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat und sämtliche beteiligten Mitgliedstaaten die Ansicht, die durch Art. 80 der Verordnung Nr. 528/2012 eingeführte Regelung sei detailliert genug, so dass ein Übertragungsrechtsakt unnötig und ein reiner Durchführungsrechtsakt auf der Grundlage von Art. 291 AEUV ausreichend sei.

    16.

    Das Europäische Parlament und der Rat beantragen, die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Hilfsweise und für den Fall, dass der Klage stattgegeben wird, beantragt das Europäische Parlament, die Wirkungen der für nichtig erklärten Bestimmung und sämtliche in ihrer Anwendung erlassenen Rechtsakte bis zum Inkrafttreten einer Vorschrift, die sie ersetzt, aufrechtzuerhalten.

    IV – Würdigung

    A – Zur Zulässigkeit der Klage

    17.

    Der Rat, unterstützt durch die Niederlande und das Vereinigte Königreich, hat Zweifel an der Zulässigkeit der Klage geäußert, da die angefochtene Bestimmung im Kontext der Verordnung Nr. 528/2012 nicht eigenständig genug sei, um für sich allein Gegenstand einer Klage sein zu können.

    18.

    Meiner Ansicht nach ist die Klage nicht unzulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs „ist die teilweise Nichtigerklärung eines Unionsrechtsakts nur möglich, soweit sich die Teile, deren Nichtigerklärung beantragt wird, vom Rest des Rechtsakts trennen lassen“ ( 5 ), und er hat auch wiederholt entschieden „dass dieses Erfordernis der Abtrennbarkeit nicht erfüllt ist, wenn die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsakts zur Folge hätte, dass der Wesensgehalt dieses Aktes verändert würde“ ( 6 ).

    19.

    Im vorliegenden Fall lässt sich die angefochtene Bestimmung ohne Weiteres vom Rest der Verordnung Nr. 528/2012 trennen. Tatsächlich beschränkt sich Art. 80 Abs. 1 der zitierten Verordnung darauf, spezifisch der Kommission die Zuständigkeit zu übertragen, die erforderlich ist, um eine Durchführungsverordnung zu erlassen, in der die an die Agentur zu entrichtenden Gebühren und Abgaben sowie die Zahlungsbedingungen festgelegt werden. Diese Durchführungsverordnung ist zweifelsohne ein wichtiger Bestandteil im Gesamtzusammenhang der Verordnung Nr. 528/2012, die die Einführung von Harmonisierungsbestimmungen für die Bereitstellung von Biozidprodukten auf dem Markt und ihre Verwendung zum Gegenstand hat, aber sie ist nicht entscheidend für die Integrität ihres Gegenstands.

    20.

    Ich möchte eine allgemeine Bemerkung voranstellen. Zwar wird im vorliegenden Rechtsstreit direkt in Frage gestellt, ob der Unionsgesetzgeber die Bestimmung des Art. 291 Abs. 2 AEUV beachtet hat, doch hat die Diskussion zwischen den Beteiligten deutlich gemacht, dass sich der Schwerpunkt hin zu Art. 290 AEUV als zutreffender gesetzlicher Grundlage „verlagert“, wenn – so versteht sich – der Gesetzgeber sich nicht dafür entscheidet, den Gegenstand des Rechtsstreits selbst zu regeln. Angesichts dessen darf es nicht überraschen, dass auch bei meiner Prüfung des Problems eine gewisse „Verlagerung“ des Schwerpunkts stattfindet.

    B – Zur Begründetheit

    1. Zu den delegierten Rechtsakten, den Durchführungsrechtsakten und der Möglichkeit einer Abgrenzung zwischen beiden

    a) Die „delegierten Rechtsakte“

    i) Der Wortlaut von Art. 290 AEUV

    21.

    Es gibt Gelegenheiten, bei denen es unvermeidlich ist, dass sich die Aufmerksamkeit vorrangig auf die grammatische oder Wortauslegung richtet. Mit anderen Worten: Es gibt Fälle, in denen es ratsam ist, sich zuallererst dem zuzuwenden, was die Bestimmung „sagt“, und zu versuchen, für einen Moment alles zu vergessen, was über ihre Geschichte bekannt ist. Ich bin der Ansicht, dass diese Überlegung besonders angezeigt ist, wenn sich der Auslegende mit der in Art. 290 AEUV vorgesehenen neuen Rechtsfigur der delegierten Rechtsakte befassen muss, für die es bis jetzt vom äußeren Erscheinungsbild abgesehen im System der Rechtsakte der Union keine Entsprechung gibt. Und tatsächlich verursacht alles, was um ihre Entstehung herum geschah, zu viel „Lärm“. Auch diese „Interferenzen“ werden zu beachten sein, aber es muss zumindest einen Augenblick geben, in dem man die Bestimmung ganz einfach „sprechen lässt“.

    22.

    Artikel 290 AEUV lautet wörtlich:

    „(1)   In Gesetzgebungsakten kann der Kommission die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen.

    In den betreffenden Gesetzgebungsakten werden Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt. Die wesentlichen Aspekte eines Bereichs sind dem Gesetzgebungsakt vorbehalten und eine Befugnisübertragung ist für sie deshalb ausgeschlossen.

    (2)   Die Bedingungen, unter denen die Übertragung erfolgt, werden in Gesetzgebungsakten ausdrücklich festgelegt, wobei folgende Möglichkeiten bestehen:

    a)

    Das Europäische Parlament oder der Rat kann beschließen, die Übertragung zu widerrufen.

    b)

    Der delegierte Rechtsakt kann nur in Kraft treten, wenn das Europäische Parlament oder der Rat innerhalb der im Gesetzgebungsakt festgelegten Frist keine Einwände erhebt.

    Für die Zwecke der Buchstaben a und b beschließt das Europäische Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder und der Rat mit qualifizierter Mehrheit.

    (3)   In den Titel der delegierten Rechtsakte wird das Wort ‚delegiert‘ eingefügt.“

    23.

    Anhand des Wortlauts dieser Bestimmung und für die Zwecke, die hier von Bedeutung sind, lässt sich zusammenfassend feststellen, dass der „delegierte“ Rechtsakt – so seine Bezeichnung – ein „Rechtsakt ohne Gesetzescharakter“ der Kommission – und nur der Kommission – mit allgemeiner Geltung ist, mit dem sie eine Bestimmung anwendet, die in einem „Gesetzgebungsakt“ enthalten ist, in dem ihr die „Befugnis“ übertragen wurde, zu „regeln“, indem sie „nicht wesentliche Vorschriften“ des Gesetzgebungsakts ergänzt oder ändert, mithin unter dem „Vorbehalt“ der „wesentlichen Aspekte“ des betroffenen Bereichs und nach ausdrücklicher Festlegung der Ziele, des Inhalts, des Geltungsbereichs und der Dauer der „Befugnisübertragung“. Ich lasse bewusst alles beiseite, was die in Art. 290 Abs. 2 AEUV vorgesehenen „Bedingungen“ betrifft, da es für die Entscheidung über den Rechtsstreit nicht entscheidend ist. Im Folgenden sind ganz einfach die folgenden Punkte hervorzuheben, mit dem Hinweis, dass der Reihenfolge, in der ich auf sie eingehe, keine größere Bedeutung zukommt.

    24.

    Erstens handelt es sich um eine Art von Unionsrechtsakten, die sich formell von den sonstigen das Normensystem der Union bildenden Akten unterscheidet. Ihre Bezeichnung lautet „delegierter“ Rechtsakt ( 7 ). Ich bin in diesem Sinne der Meinung, dass bereits diese erläuternde Bezeichnung des jeweiligen Unionsrechtsakts aussagekräftig genug ist, um von einem Unionsrechtsakt sprechen zu können, der sich formell von den restlichen unterscheidet, da mit ihr eine Gesamtheit von spezifischen Merkmalen desselben zum Ausdruck kommt. Das Parlament hat in seiner Klagebeantwortung ausgeführt ( 8 ), dass die Art. 290 AEUV und 291 AEUV „zu den wichtigsten Neuerungen gehören, die der Vertrag von Lissabon zur Normenarchitektur der Union beigetragen hat“.

    25.

    Zweitens handelt es sich ausschließlich und ausschließend um einen Rechtsakt „der“ Kommission, unabhängig von den „Bedingungen“ und Vorbehalten, die Abs. 2 der Vorschrift enthält. Es ist letztendlich die Kommission, und nur die Kommission, die diese Aufgabe und diese Verantwortung übernimmt.

    26.

    Drittens handelt es sich um einen Rechtsakt mit Regelungsgehalt („mit allgemeiner Geltung“), der auf die „Regelung“ eines bestimmten „Bereichs“ gerichtet ist. Art. 290 AEUV ist daher unabhängig vom handelnden Subjekt im Bereich einer im Wesentlichen gesetzgeberischen, regelnden Tätigkeit angesiedelt, die noch vom späteren Stadium der Durchführung getrennt ist.

    27.

    Viertens handelt es sich um einen Rechtsakt ohne Gesetzgebungscharakter, was sowohl auf eine reine Evidenz anspielen kann, d. h., dass es sich um keinen im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassenen Rechtsakt handelt, aber auch besagen kann, dass es sich um einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung handelt, der – hierarchisch – unterhalb des Gesetzgebungsakts angesiedelt ist.

    28.

    Wenn fünftens der Rechtsakt als „übertragen“ bezeichnet wird, liegt das daran, dass er notwendig auf eine im Wesentlichen freigestellte „Befugnisübertragung“ zurückgeht, die in einem Gesetzgebungsakt als Übertragungsakt enthalten ist, und es stellt sich gegebenenfalls erneut die Frage nach der Rechtsnatur dieser „Befugnisse“. Es wird „übertragen“, sobald darauf verzichtet wird, „gesetzgeberisch tätig zu werden“, aber es ist bereits erheblich zweifelhafter, ob es sich bei der Aufgabe, die übertragen wird, um „Gesetzgebung“ handelt. Es ist wesentlich angebrachter, allgemein von „Regeln“ zu sprechen.

    29.

    Sechstens ermöglicht die Übertragung sowohl die „Änderung“ als auch die „Ergänzung“„bestimmter“ Vorschriften des Gesetzgebungsakts. Ändern und ergänzen sind zwei offensichtlich unterschiedliche Arten der Einwirkung auf einen bestimmten normativen Akt ( 9 ), von denen hier fast ausschließlich Erstere von Interesse sein wird. Jedenfalls ist die Übertragung nicht allgemein. Im Gegenteil, sowohl das, was der übertragene Rechtsakt ergänzen, als auch das, was er ändern kann, muss im Gesetzgebungsakt „bestimmt“ sein. Im Gesetzgebungsakt muss daher spezifiziert sein, inwieweit er selbst der „Ergänzung“ bedarf, sowie das, was die Kommission gegebenenfalls ändern darf.

    30.

    Siebtens sind die „wesentlichen Aspekte eines Bereichs“ dem Gesetzgebungsakt „vorbehalten“, was notwendig zur Folge hat, dass der übertragene Rechtsakt – sei es durch Ergänzung, sei es durch Änderung – nur „nicht wesentliche Aspekte“ des Gesetzgebungsakts regeln kann ( 10 ). Das „Wesentliche“ bildet daher einen absoluten materiellen Vorbehalt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Vorbehalt des Gesetzgebungsakts auf das reduziert wird, was Art. 290 AEUV regelt; hierauf wird noch zurückzukommen sein. Die Vorschrift definiert ausschließlich den Vorbehalt des „nicht übertragbaren“ Gesetzgebungsakts („das Wesentliche“), im Gegensatz zu einem anderen Vorbehalt, den der Gesetzgeber selbst aufheben kann („das nicht Wesentliche“). Eine andere Frage, die sich bei dieser Gelegenheit aber nicht stellt, ist, ob dieses Verständnis des „nicht Übertragbaren“, reduziert auf „das Wesentliche“, über den Wortlaut der Bestimmung hinaus für sämtliche Regelungsbereiche gilt.

    31.

    Im übertragenden Gesetzgebungsakt werden schließlich „Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt“. Aufgrund dieses Mandats wird das gesetzgeberische Handeln der Kommission zu einer stark geregelten Tätigkeit, was es dem Gesetzgebungsakt – um nicht zu sagen, den an seiner Entstehung Beteiligten – ermöglicht, das Ermessen der Kommission beträchtlich einzuschränken. Alles, was den Gesetzgeber „im Wesentlichen“ bei der Regulierung eines Bereichs interessiert, kann durch die ausdrückliche Regelung der Ziele, des Inhalts und des Geltungsbereichs, die für den delegierten Rechtsakt gelten, gesteuert werden.

    32.

    Nach dieser Zusammenfassung kann auf die Geschichte eingegangen werden, vor allem, um den Grad der Neuerung, die der Vertrag von Lissabon in diesem Bereich beigesteuert hat, zu beurteilen ( 11 ). Dass Art. I‑36 des gescheiterten Verfassungsvertrags der Vorgänger von Art. 290 AEUV ist, wird von niemandem bestritten. Allerdings besteht der grundlegende Unterschied darin, dass die damaligen „delegierten Verordnungen“ auf „Gesetze“ zur Übertragung zurückgingen ( 12 ). Fraglich ist, ob in Anbetracht dessen, dass es sich um einen gescheiterten Vorgänger handelt, hieraus größere Konsequenzen zu ziehen sind.

    33.

    Aus der Perspektive des Standes der Dinge vor „Lissabon“ ist auf die vom Rat vertretene These einzugehen ( 13 ), nach der „die durch Art. 290 geschaffene Befugnis in der Rechtsordnung der Union nicht neu ist“, so dass „die Neuerung durch Art. 290 AEUV nicht in seiner Rechtsnatur besteht, sondern in den dort vorgesehenen Durchführungsmodalitäten“. Unmittelbar im Anschluss stellt er klar, dass „das, was in den Art. 290 und 291 in ihrer Gesamtheit vorgesehen ist, nichts anderes ist als das, was früher in Art. 202 des EG-Vertrags zusammengefasst war“.

    34.

    Ich bin der Ansicht, dass ein derartiger Ansatz, bei dem eine Bestimmung des Vertrags von Lissabon, die als solche im Primärrecht der Union keine Entsprechung findet, im Licht dessen beurteilt wird, was zuvor in gewisser Weise Übung war und mehr oder weniger in Art. 202 EGV eine Stütze fand, zu einer falschen Schlussfolgerung führt. Dies gilt auch für das übergangsweise eingeführte „Regelungsverfahren mit Kontrolle“ als möglicher Schlüssel für die Auslegung der „delegierten“ Rechtsakte ( 14 ). Insoweit reicht der Hinweis, dass der Inhalt von Art. 290 AEUV – und dies lässt sich besser verstehen, nachdem wir uns mit den „Durchführungsrechtsakten“ befasst haben – nicht als Derivat einer Notwendigkeit, einheitliche Bedingungen für die Durchführung zu erlassen, in Art. 291 AEUV aufgenommen wurde, sondern zwecks Fortführung der Gesetzgebungstätigkeit im materiellen Sinne.

    ii) Ein Vorschlag zum Verständnis der delegierten Rechtsakte

    35.

    Im Folgenden werde ich zuerst einen Vorschlag zur Ermittlung von Sinn und Zweck der „delegierten“ Rechtsakte und dann einen Vorschlag zu ihrer Kategorisierung unterbreiten, der vom öffentlichen Recht der Mitgliedstaaten inspiriert ist.

    36.

    Die „übertragenen“ Rechtsakte geben dem Unionsgesetzgeber und der Kommission die Möglichkeit einer Zusammenarbeit bei der Gesetzgebung, bei der der Gesetzgeber sich grundsätzlich darauf beschränken kann, die wesentlichen Aspekte eines Bereichs zu regeln und der Kommission die restliche Gesetzgebung zu übertragen, wobei er ihren Ermessensspielraum durch die Begriffe, auf die bereits Bezug genommen wurde, eng beschränkt.

    37.

    Hierbei handelt es sich meiner Meinung nach um den grundlegenden Sinn und Zweck der „delegierten“ Rechtsakte, ein Sinn und Zweck bzw. eine Daseinsberechtigung, der bzw. die hinreichend ausgeprägt ist, um zu vermeiden, dass ihr Anwendungsbereich leicht mit anderen Formen gesetzgeberischer Tätigkeit der Kommission verwechselt werden kann, insbesondere der im unmittelbar darauf folgenden Art. 291 Abs. 2 AEUV geregelten, auf den ich sogleich eingehen werde.

    38.

    Beim Versuch, diese „delegierten“ Rechtsakte zu kategorisieren, bei denen es sich nicht um „Gesetzgebungsakte“, aber auch nicht um „Durchführungsrechtsakte“ handelt und die es ermöglichen, einen „Gesetzgebungsakt“ sowohl zu ergänzen als auch zu ändern, halte ich es für angebracht, auf die Rechtsvergleichung zurückzugreifen, genauer auf das öffentliche Recht der Mitgliedstaaten, und insbesondere zu berücksichtigen, dass es um das Verständnis einer Rechtsfigur geht, deren Funktionalität in ihren Verfassungsordnungen eine unbestreitbare Entsprechung findet und auf eine gefestigte Überlieferung zurückgeht. So einzigartig das System der Rechtsakte der Union aufgrund seiner Natur und seiner Geschichte auch geworden ist ( 15 ), drängt es sich in Zeiten, wie es zweifellos die jetzigen sind, in denen die Union sich an den normativen Kategorien der Mitgliedstaaten orientiert ( 16 ), geradezu auf, sich umzusehen, unabhängig davon, dass das Ergebnis nicht garantiert ist.

    39.

    Darüber hinaus ist klar, dass ihre Einordnung als „quasilegislative Befugnisse“ ( 17 ) oder sogar als „tertium genus“, also angesiedelt zwischen Gesetzgebungsakten und Durchführungsrechtsakten mit allgemeiner Geltung, die ebenfalls der Kommission übertragen wurden und auf die noch nicht eingegangen wurde, nicht sehr weit führen kann.

    40.

    Wenn die Übertragung legislativer Zuständigkeiten nur im materiellen Sinn des Ausdrucks erfolgt und es zu keiner Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen im eigentlichen Sinn des Wortes kommt, könnte man sich andererseits mit Recht die Frage stellen, ob die sogenannte „Übertragung“, da es sich um „Rechtsakte ohne Gesetzescharakter“ handelt, nicht wiederum im Grunde den Charakter einer „Ermächtigung“ hat. Wenn aufgrund von Art. 290 AEUV von einer „Übertragung“ gesprochen werden muss, könnte man sich auch darauf einigen, dass es sich um eine „uneigentliche“ Übertragung handelt.

    41.

    Im Rahmen dieser Überlegung könnte die in Art. 290 AEUV vorgesehene Übertragung von Befugnissen als Fall einer „Delegalisierung“ verstanden werden. In der Tat fehlt es nicht an Mitgliedstaaten, in denen von „Delegalisierung“ (in Ermangelung eines angemessenen Ausdrucks) gesprochen wird, wenn sich der Gesetzgeber im Wege des einen oder anderen Verfahrens dafür entscheidet, einen Teil der gesetzlichen Regelung einer Materie – unter gewissen Bedingungen und unter dem Vorbehalt spezifischer Materien – an die Exekutive „abzutreten“. Die dergestalt vorübergehend aus dem Bereich der Gesetze „verwiesene“ Materie ist nicht mehr Gesetz, so sehr sie es aus materieller Sicht auch sein müsste ( 18 ).

    42.

    Gewiss entsteht diese Vorstellung in einem Regelungskontext, in dem der Grundsatz der Normenhierarchie unstreitig gilt. Im vorliegenden Fall allerdings könnte man, worauf bereits hingewiesen wurde, auch die Ansicht vertreten, dass sich der Begriff „Rechtsakt ohne Gesetzgebungscharakter“ darauf beschränkt, das Offensichtliche zu bezeichnen, dass in diesem Fall das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nicht eingehalten wurde und auch nicht eingehalten werden wird. Selbst mit dieser beschränkten Tragweite glaube ich, dass der Begriff ausdrucksstark genug ist, um ihn sinngemäß auf das anwenden zu können, was bei der Anwendung des Art. 290 AEUV geschieht.

    43.

    Insbesondere in den Fällen, in denen der Gesetzgebungsakt seine eigene Änderung durch den „delegierten Rechtsakt“ zulässt, muss er sich auf Aspekte beziehen, die zum einen nicht wesentlich und zum anderen in ausdrücklich bezeichneten Bestimmungen enthalten sind. Unter diesen Voraussetzungen fehlt es diesen Bestimmungen ausnahmsweise an der so genannten „Passivkraft“, die dem Rang des Gesetzgebungsakts selbst innewohnt; d. h., sie können durch einen „Rechtsakt ohne Gesetzgebungscharakter“, wie Art. 290 AEUV den „delegierten Rechtsakt“ definiert, aufgehoben werden.

    2. Die Durchführungsrechtsakte

    44.

    Bei den Durchführungsrechtsakten mit allgemeiner Geltung im Sinne von Art. 291 Abs. 2 AEUV muss wiederum mit einer Lektüre begonnen werden, die so weit wie möglich von jeglichem Vorverständnis losgelöst ist.

    i) Der Wortlaut von Art. 291 Abs. 2 AEUV

    45.

    Art. 291 AEUV hat folgenden Wortlaut:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten ergreifen alle zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht.

    (2)   Bedarf es einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union, so werden mit diesen Rechtsakten der Kommission oder, in entsprechend begründeten Sonderfällen und in den in den Artikeln 24 und 26 des Vertrags über die Europäische Union vorgesehenen Fällen, dem Rat Durchführungsbefugnisse übertragen.

    (3)   Für die Zwecke des Absatzes 2 legen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen im Voraus allgemeine Regeln und Grundsätze fest, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren.

    (4)   In den Titel der Durchführungsrechtsakte wird der Wortteil ‚Durchführungs-‘ eingefügt.“

    46.

    Erstens, um mit Letzterem zu beginnen, ermöglicht der Wortteil „Durchführungs-“ die formelle Unterscheidung von Rechtsakten der Kommission, die auf der Grundlage dieser Bestimmung erlassen wurden, von delegierten Rechtsakten, die ebenfalls von der Kommission, aber auf der Grundlage der in Art. 290 AEUV geregelten Befugnisübertragung erlassen werden.

    47.

    Zweitens verlassen wir mit Art. 291 das Stadium der „Regelung“ im Sinne von Art. 290 und begeben uns in einen anderen funktionellen Bereich, den der Durchführung und, konkreter, der Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union. Mit anderen Worten: In der Systematik des Vertrags beginnt die Durchführung hier, in diesem Art. 291 AEUV.

    48.

    Drittens werden in ähnlicher Weise wie bei Art. 290 AEUV Regulierungsbefugnisse auf die Kommission übertragen werden, die prima facie in den Bereich der Gesetzgebungsakte fallen, hier der Kommission Befugnisse für den Erlass von Durchführungsrechtsakten übertragen, da es der Schaffung „einheitliche[r] Bedingungen für die Anwendung“ in der gesamten Union bedarf. Tatsächlich stehen die Durchführungsbefugnisse naturgemäß und vorrangig den Mitgliedstaaten zu. Die Union kann sie nur subsidiär (aufgrund von Art. 5 Abs. 1 EUV) wahrnehmen und in ihrem Rahmen die Kommission, die „nach Maßgabe der Verträge Koordinierungs-, Exekutiv- und Verwaltungsfunktionen [ausübt]“ (Art. 17 Abs. 1 EUV) ( 19 ).

    49.

    Art. 291 Abs. 2 AEUV ist daher vor allem eine Vorschrift, mit der die Union ermächtigt wird, (subsidiär) durch die Kommission eine Zuständigkeit wahrzunehmen, die den Mitgliedstaaten zusteht.

    50.

    Im Unterschied zu Art. 290 AEUV ist der Auslöser für diese Ermächtigung nicht der bloße Wille des Gesetzgebers, sondern das Vorliegen eines objektiven Grundes: die Notwendigkeit, dass die verbindlichen Rechtsakte der Union einheitlich durchgeführt werden. Aufgrund dieser Notwendigkeit ist es möglich, dass die Organe subsidiär Durchführungsmaßnahmen treffen, die grundsätzlich den Mitgliedstaaten obliegen.

    51.

    Schlussendlich unterliegen die Durchführungsrechtsakte gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV der Kontrolle durch die Mitgliedstaaten im Wege des in der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 ( 20 ) geregelten Verfahrens, durch die das traditionelle, als „Komitologie“ bezeichnete Verfahren vereinfacht wird. Im Gegensatz zur Kontrollregelung des Art. 290 AEUV können die in Art. 291 AEUV vorgesehenen Kontrollen nicht frei im „verbindlichen Rechtsakt“ (Basisrechtsakt) geregelt werden. Stattdessen werden durch Art. 291 Abs. 3 AEUV das Europäische Parlament und der Rat dazu verpflichtet, „allgemeine Regeln und Grundsätze [festzulegen], nach denen die Mitgliedstaaten … kontrollieren“ ( 21 ). Jeder konkrete Basisrechtsakt muss wiederum vorsehen, welches der zuvor vom Europäischen Parlament und dem Rat geregelten Kontrollverfahren in seinem Fall anzuwenden ist ( 22 ).

    ii) Sinn und Reichweite der Durchführungsrechtsakte

    52.

    Die „Durchführungsrechtsakte“ im Sinne von Art. 291 AEUV ermöglichen es der Kommission, wenn es einheitlicher Bedingungen für die Durchführung bedarf und unter Abweichung vom Grundsatz, nach dem die Durchführung Sache der Mitgliedstaaten ist, das Unionsrecht selbst durchzuführen.

    53.

    Vor diesem Hintergrund kann der Sinn und Zweck dieser „Durchführungsrechtsakte“ kaum mit dem der ebenfalls von der Kommission erlassenen und weiter oben besprochenen „delegierten“ Rechtsakte verwechselt werden, dem der Gedanke der Zusammenarbeit zwischen der Union und der Kommission bei der Gesetzgebung im materiellen Wortsinn zugrunde liegt.

    54.

    Ihre Kategorisierung wirft weniger Probleme auf. Es liegt in der Natur der Dinge, dass es immer einen Rest an Normierung gibt, der der Durchführung im engen Sinn unmittelbar vorangeht, die nach den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten in einigen Fällen als der Exekutive selbst innewohnend betrachtet und gelegentlich als eigentliche Regelungsbefugnis angesehen wird, während sie in anderen Fällen die ausdrückliche Ermächtigung durch den Gesetzgeber voraussetzt. Im Kontext der Union, der durch den Grundsatz der Einzelermächtigung gekennzeichnet ist, ist Letzteres der Fall.

    3. Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte

    55.

    Nachdem auf den jeweiligen Sinn und Zweck der normativen Kategorien in den Art. 290 AEUV und 291 AEUV eingegangen wurde, ist nun auf ihre jeweilige Wechselwirkung einzugehen. An diesem Punkt wende ich mich zuerst einigen Aspekten des Verhältnisses zu, in dem die „delegierten Rechtsakte“ und die „Durchführungsrechtsakte“ stehen, um mich dann nacheinander mit den Möglichkeiten einer Abgrenzung zwischen beiden zu befassen.

    i) Zum Verhältnis zwischen delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten

    56.

    Bevor ich mich der Materie zuwende, halte ich eine einleitende Anmerkung für erforderlich. Die an diesem Verfahren Beteiligten haben den Grundsatz der Hierarchie auf das Schlachtfeld dieses Prozesses geworfen ( 23 ) und streiten letztendlich darum, ob eine Hierarchie zwischen den Gesetzgebungsakten und den delegierten Rechtsakten oder zwischen diesen und den Durchführungsrechtsakten besteht. Selbstverständlich gibt es dazu viel zu sagen, aber es ist eher zweifelhaft, ob in diese Diskussion eingetreten werden muss, um – und sei es abstrakt – über die Klage der Kommission entscheiden zu können. Etwas anderes ist es, ob aus dem von mir vorgeschlagenen Verständnis der verschiedenen Rechtsakte Konsequenzen zugunsten einer bestimmten These gezogen werden können. Ich teile letztlich die Ansicht Finnlands in dem Sinne, dass es sich um eine für die Zwecke dieses Verfahrens unnötige Diskussion handelt.

    57.

    Andererseits darf meiner Auffassung nach nicht aus den Augen verloren werden, dass die Unterscheidung zwischen delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten letztendlich nicht allein vom Unterschied zwischen Gesetzgebung (selbst wenn sie übertragen wurde) und Durchführung abhängt, sondern auch von der Tatsache, dass die delegierten Rechtsakte das Ergebnis einer eigenen normativen Kompetenz der Union sind, die Durchführungsakte hingegen das Ergebnis der (subsidiären) Wahrnehmung einer vornehmlich den Mitgliedstaaten zustehenden Zuständigkeit durch die Kommission (oder den Rat) ( 24 ).

    58.

    Mit anderen Worten: Der tiefere Grund für die Unterscheidung zwischen den Art. 290 AEUV und 291 AEUV liegt nicht so sehr (bzw. nicht nur) in der Notwendigkeit einer Grenzziehung zwischen Gesetzgebung und Durchführung als aufeinanderfolgenden Abschnitten des Normsetzungsverfahrens der Union, sondern eher im Willen, die Grenzen zwischen den jeweiligen Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedstaaten klarzustellen.

    59.

    Im Bereich der Union stellt sich die Frage nach der normativen Wirkung eindeutig im Fall des Art. 290 AEUV, in dem es darum geht, auf ein Organ die Ausübung von Befugnissen anderer Organe der Union zu übertragen. Bei Art. 291 AEUV muss für die Feststellung, ob die Kommission (oder der Rat) sich darauf beschränkt haben, verbindliche Rechtsakte der Union „durchzuführen“, ebenfalls mit dem Kriterium der normativen Wirkung gearbeitet werden. Es stellt sich aber immer eine Vorfrage, nämlich ob die Durchführung der Union oder den Mitgliedstaaten obliegt, was immer von einem objektiven Umstand abhängt, der für die Organe der Union nicht disponibel ist: dass es für die Durchführung einheitlicher Bedingungen bedarf. Zur Frage nach der Abgrenzung Allgemeinheit/Konkretheit, die für die Übertragung und die gesetzgeberische Ermächtigung typisch ist, kommt die Frage nach der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten hinzu.

    60.

    Die Wirkungen der Übertragung nach Art. 290 AEUV erschöpfen sich in der Ermächtigung der Kommission zum Erlass von Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter über eine Materie, die ursprünglich nur Gesetzgebungsakten zugänglich war; dadurch wird aber die Zuständigkeit der Union gegenüber den Mitgliedstaaten nicht berührt. Dies bedeutet, dass mit der Übertragung nicht für jede Regelungsbefugnis der Weg frei gemacht wird, sondern nur für „die der Kommission“. Mit anderen Worten: Über die Übertragung wird immer innerhalb der Zuständigkeiten der Union entschieden, und sie berührt nicht die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten.

    61.

    Außerdem stellt Art. 290 AEUV keine Grundlage für eine Vorschrift dar, die die unmittelbare Durchführung einer Vorschrift ermöglicht, sondern nur für eine Bestimmung, mit der das Gesetzgebungsverfahren perfektioniert und abgeschlossen wird, so sehr einige Aspekte der diesem Verfahren unterliegenden Materie auch Gegenstand einer Deregulierung gewesen sein mögen. Die in Rede stehende Vorschrift begründet keine Befugnis zur Durchführung, sondern zum Abschluss der Gesetzgebung unter Anwendung der Regelungsbefugnis. Folglich kann die Durchführung im Sinne von Art. 291 AEUV noch nicht erfolgen, da diese erst machbar ist, wenn im vollen Umfang dieses Konzepts „Gesetze erlassen“ worden sind.

    62.

    Die Intervention der Kommission muss sich auf eine Materie beziehen, die, wenn keine Übertragung erfolgt wäre, Gesetzgebungscharakter hätte und damit Gegenstand einer Regulierung wäre, die sich durch die Allgemeinheit und Abstraktheit auszeichnet, die die Rechtsetzungsbefugnis charakterisieren. Mit der Übertragung wird die Kommission ermächtigt, derartige Bestimmungen zu erlassen und sich damit im Rahmen eines Ermessensspielraums zu entfalten, den sie bei der Wahrnehmung der Exekutivaufgaben nicht hat. Daher beruht der grundsätzliche Unterschied zwischen den Befugnissen, die die Kommission im Fall einer Übertragung durch den Gesetzgeber (Art. 290 AEUV) und der Befugnis, die ihr im Fall der Durchführung nach Art. 291 Abs. 2 AEUV eingeräumt wird, letztlich auf der Tatsache, dass die Übertragung einen Ermessensspielraum zulässt, der bei der Durchführung keine Entsprechung findet. Der Gesetzgeber überträgt letztendlich auf die Kommission die Möglichkeit, über Aspekte zu entscheiden, über die er grundsätzlich selbst entscheiden müsste, da die Durchführung nach Art. 291 AEUV gesetzliche Bestimmungen betrifft, deren Inhalt der Gesetzgeber in materieller Hinsicht definiert hat.

    63.

    Aufgrund dieses Unterschieds bezieht sich Art. 291 Abs. 2 AEUV unmittelbar auf die Wahrnehmung von Durchführungsbefugnissen, deren Konzept unstreitig alles ausschließt, was nicht für die konkrete Anwendung einer bereits definierten und fertiggestellten Norm erforderlich ist. Art. 290 AEUV wiederum sieht die Eingrenzung der Ziele, die mit der Übertragung verfolgt werden sollen, sowie ihren Inhalt und ihren Geltungsbereich vor. Daran wird deutlich, dass von der Kommission etwas mehr erwartet wird als die reine Durchführung einer Bestimmung, in der all diese Probleme bereits gelöst sind. Dieses „etwas mehr“ bringt meiner Ansicht nach einen Spielraum für „Kreativität“ oder „Strenge“ bei der Rechtsetzung mit sich, der bei einer reinen Durchführung unmöglich ist.

    ii) Die Abgrenzung zwischen den jeweiligen Bereichen der in den Art. 290 AEUV und 291 AEUV geregelten gesetzgeberischen Tätigkeit

    64.

    Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen sollte man eine Auslegung wagen, die eine Regel für die Feststellung an die Hand gibt, ob ein konkretes gesetzgeberisches Handeln nur infolge einer Übertragung erfolgen kann oder es im Gegenteil eher der Kategorie der Durchführung zuzuordnen ist.

    65.

    Die Kommission hat der „Rechtsnatur der Befugnis, die der Gesetzgeber übertragen will“, eine besondere Bedeutung zugemessen und hält Kriterien wie „Detailliertheit“, Schaffung von Rechten und Pflichten oder „Ermessensspielraum“ für ungeeignet ( 25 ), da sich ihre jeweiligen Bereiche „gegenseitig ausschließen“ ( 26 ).

    66.

    Der Rat konzentriert sich hingegen auf das Bestehen neuer substanzieller Regeln, neuer Rechte und Pflichten, und unterstreicht die Notwendigkeit, den „normativen Inhalt“ zu prüfen. Es gebe eine schwer zu definierende Grauzone. Das Parlament schließlich nimmt Bezug auf die Detailliertheit, die Rechte und Pflichten sowie den Ermessensspielraum ( 27 ).

    67.

    Eine grundsätzliche Klarstellung: Es wurde in diesem Verfahren viel darüber diskutiert, ob von einer „Grauzone“ an der Grenze zwischen den delegierten Rechtsakten und den Durchführungsrechtsakten gesprochen werden kann, oder ob im Gegenteil beide aufgrund einer deutlichen Trennlinie klar abgetrennten Bereichen zuzuordnen sind und ihre Inhalte sich gegenseitig ausschließen. Nach der These der Kommission kann bereits begrifflich in einer sich gegenseitig ausschließenden Art und Weise das, was Gegenstand des delegierten Rechtsakts ist, nicht Gegenstand des Durchführungsrechtsakts sein, und umgekehrt. Nach der entgegengesetzten These kann die Ermächtigung der Kommission sowohl dem Zweck geschuldet sein, den Gesetzgeber von der nicht wesentlichen gesetzgeberischen Tätigkeit zu entlasten als auch, ihr Rechtsakte von allgemeiner Geltung zu übertragen, die für die Durchführung im eigentlichen Sinn unverzichtbar sind.

    68.

    Ich bin wiederum der Ansicht, dass es nicht unumgänglich ist, an diesem Punkt Partei zu ergreifen, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der eine wie der andere Standpunkt grundsätzlich begründet sein könnte. Und viel hängt schlussendlich vom Vorverständnis ab, das der eine oder andere von den beiden Rechtsinstituten hat.

    69.

    Auf der anderen Seite ist der Gemeinplatz der „Grauzone“ gelegentlich eingefärbt mit Erwägungen zur „Tiefe der Kontrolle“, die der Gerichtshof in dieser Materie ausüben kann, in Erscheinung getreten ( 28 ). Ich glaube, dass dies tatsächlich der zutreffende Ansatz ist. Denn die Frage darf nicht sein, ob eine bestimmte Norm „ontologisch“ und ohne dass eine Diskussion möglich wäre, entweder dem Bereich von Art. 290 AEUV oder dem des Art. 291 AEUV zugeordnet werden muss, sondern eher, ob der Gerichtshof bis ins letzte Detail sämtliche vom Gesetzgeber gewählten Optionen überprüfen kann ( 29 ).

    70.

    Bevor ich fortfahre, halte ich es für wichtig, festzuhalten, dass die Kommission recht hat, wenn sie vom Gerichtshof einen gewissen Grad an Justiziabilität der Wahlmöglichkeiten des Gesetzgebers, der sich vor die hier in Rede stehende Alternative gestellt sieht, verlangt. Dies gilt insbesondere in einer Situation wie dieser, in der eine Änderung des Primärrechts erfolgt ist und in der die Wahrscheinlichkeit, dass „wie früher“ verfahren wird – in diesem Fall durch den Gesetzgeber – nicht ausgeschlossen werden kann. Aber eine Sache ist die Bestätigung des Grundsatzes und eine andere seine Tragweite.

    71.

    In der Tat wäre es einfach, sich darauf zu einigen, dass die „Beteiligung“ des Gerichtshofs bei der Wahrung der Grenze zwischen „dem Wesentlichen“ (der nicht übertragbaren Gesetzgebung) und „dem nicht Wesentlichen“ (der übertragbaren Gesetzgebung) naturgemäß beschränkt ist: Die Beurteilung des Gerichtshofs kann jedenfalls nicht die des Gesetzgebers ersetzen. Auf ähnliche Weise muss auch die „Beteiligung“ des Gerichtshofs bei der Wahrung dieser Grenze zwischen dem, was – um mich des vom Vertreter der französischen Regierung verwendeten Ausdrucks zu bedienen – als „das Substanzielle“ (jedenfalls nicht Wesentliche) eingestuft werden kann, also dem, was spezifisch Art. 290 AEUV zuzuordnen ist, und dem, was ich mir im Gegensatz und im Bewusstsein seiner nicht gesicherten Zweckmäßigkeit als „das Nebensächliche“ zu bezeichnen gestatte, was also Art. 291 Abs. 2 AEUV zuzuordnen wäre, eingeschränkt sein. Sicherlich ist diese andere Grenze nicht in einem continuum angesiedelt, das dem Vorhergehenden ähnelt, da es sich in diesem Fall um unterschiedliche Funktionalitäten handelt. Doch sind auch in diesem Fall die Möglichkeiten einer Kontrolle der vom Gesetzgeber angesichts dieser Alternative gewählten Optionen beschränkt.

    72.

    Ähnlich wie Generalanwalt Jääskinen ausgeführt hat ( 30 ), schließt das Bestehen eines dem Unionsrichter in gewisser Weise verschlossenen Bereichs nicht aus, dass der Gerichtshof eine wirksame, an ihre Charakteristika angepasste gerichtliche Kontrolle der „Art und Weise der Wahrnehmung“ der Alternative delegierte Rechtsakte/Durchführungsrechtsakte durch den Gesetzgeber ausübt – ganz im Gegenteil.

    73.

    Vor diesem Hintergrund ist vor allem anzumerken, dass die jeweiligen Bestimmungen einen Sinn und Zweck haben, der, wie wir gesehen haben, unterschiedlich genug ist, um sich bei der Abgrenzung der jeweiligen Anwendungsbereiche auf eine teleologische Auslegung stützen zu können. Meiner Ansicht nach eignet sich eine Abgrenzung auf der Grundlage der Daseinsberechtigung und des Zwecks, dem die beiden Vertragsbestimmungen gehorchen, mit Abstand am besten, da sie Lösungen ermöglicht, die dem Geist des durch die Art. 290 AEUV und 291 AEUV geschaffenen Systems entsprechen.

    74.

    Dem sollte hinzugefügt werden, dass, statt sich auf die Prüfung einer isolierten Bestimmung des delegierenden Gesetzgebungsakts zu beschränken, es auch wichtig ist, den Gesetzgebungsakt insgesamt zu prüfen, um zu erfahren, in welcher relativen Stellung im System dieses Gesetzgebungsakts eine bestimmte Option zugunsten der Figur des „Durchführungsakts“ in dieser Gesamtheit enthalten ist, insbesondere durch einen Vergleich mit dem etwaigen Rückgriff auf die delegierten Rechtsakte.

    75.

    Großer Nachdruck wurde auch auf das Kriterium des „Politischen“ als möglicher allgemeiner Kategorie gelegt, die geeignet ist, den Gesetzgeber bei der Beurteilung seiner Wahlmöglichkeiten in dieser Materie zu leiten. Und es trifft zu, dass der Gerichtshof sich des Gedankens der „grundsätzlichen Ausrichtungen der Gemeinschaftspolitik“ als Bezugspunkt bei der Abgrenzung der Durchführungsbefugnisse bedient hat ( 31 ). Ich glaube aber, dass eine Gegenüberstellung des „Politischen“ und gegebenenfalls des „Technischen“ zur Abgrenzung beider Arten von Rechtsakten nur bedingt geeignet ist. Denn im Fall des Art. 290 AEUV führt die Summe der Anforderungen an die Genauigkeit der „Ziele“, des „Geltungsbereichs“ und des „Inhalts“, die im Hinblick auf den delegierten Rechtsakt im Gesetzgebungsakt festgelegt werden müssen, dazu, dass der Aspekt des „Politischen“ fast erschöpfend in diesem Rechtsakt enthalten ist. Mit anderen Worten: Art. 290 AEUV gibt der Übertragung einen hinreichend deutlichen Rahmen, so dass praktisch kein Bereich verbleibt, in dem wirklich Verantwortung übernommen werden kann. Die „nicht wesentlichen Aspekte“, auf die sich der delegierte Rechtsakt beschränken muss, sind die, bei denen es ausgeschlossen ist, auf die grundlegenden Optionen, die der Gesetzgeber verantwortlich gewählt hat, zurückzukommen. Zusammengefasst kann im Bereich des „nicht Wesentlichen“ der Spielraum für Entscheidungen, die eine tatsächliche gesetzgeberische Verantwortung implizieren, aufgrund der Bedingungen, unter denen die Übertragung erfolgt, spürbar eingeschränkt sein.

    76.

    Unbestreitbar ist allerdings der weite „Ermessensspielraum“, der der Kommission bei der Vervollständigung der Regelung des betroffenen Bereichs im Wege des Art. 290 AEUV verbleibt. Einen bestimmten „politischen Gehalt“ bei sämtlichen gesetzgeberischen Entscheidungen, die dem delegierten Rechtsakt vorbehalten sind, zu verlangen, könnte meiner Meinung nach aber zu einem Ungleichgewicht im Verhältnis zwischen delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten führen, das zulasten Ersterer geht.

    77.

    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass man im aktuellen Szenarium nach Lissabon die Vorstellung von einem auf „das Wesentliche“ beschränkten Gesetzesvorbehalt, wie ihn die Rechtsprechung des Gerichtshofs verstand ( 32 ), vergessen muss. Seit der Einführung von Art. 290 AEUV ist die Vorstellung ausgeschlossen, dass ab dem Zeitpunkt, zu dem der Gesetzgeber die Regelung des Wesentlichen abgeschlossen hat, zwischen dem delegierten Rechtsakt und dem Durchführungsrechtsakt eine freie Wahl in Betracht kommt. Diese Annahme würde die praktische Wirksamkeit der Aufnahme der delegierten Rechtsakte ins Primärrecht gefährden, denn es bestünde, worauf die Kommission hinweist ( 33 ), sonst die Gefahr, dass von den „delegierten Rechtsakten“ nichts anderes übrigbliebe als eine gescheiterte Kategorie, die schon bei ihrem Entstehen überflüssig war.

    78.

    Schließlich, und weil alles, was die Ziele betrifft, unvermeidlich ein Element der Subjektivität aufweist, kann und muss der Wortlaut der Erwägungsgründe des übertragenden Gesetzgebungsakts von besonderem Nutzen sein. Sie sind in der Tat das beste Vehikel, um zu übermitteln, welchen Zweck der Gesetzgeber verfolgt hat, sei es der Wille, die Gesetzgebungstätigkeit zu unterbrechen, nachdem die Grenze des „Wesentlichen“ erreicht oder abgedeckt ist, sei es, der Kommission oder gegebenenfalls dem Rat die Befugnis zu übertragen, Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zu erlassen, die unmittelbar an die Erfordernisse im Stadium der Durchführung anknüpfen.

    79.

    Nach diesen Ausführungen, die sicherlich allgemein und weitgehend abstrakt sind, können wir uns meiner Ansicht nach der konkreten Bestimmung zuwenden, die diesem Rechtsstreit zugrunde liegt – Art. 80 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012 –, soweit sie der Kommission konkret den Erlass einer „Durchführungsverordnung“ hinsichtlich bestimmter spezifischer Aspekte der Verordnung überträgt.

    4. Zur Frage, ob der Kommission durch die angefochtene Bestimmung die Befugnis zum Erlass einer Durchführungsverordnung übertragen werden konnte

    80.

    Wiederum ist einleitend der Wortlaut der Bestimmung, mit der wir befasst sind, wiederzugeben. Durch Art. 80 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012 wird die Kommission zum Erlass einer Durchführungsverordnung verpflichtet, in der folgende Aspekte zu regeln sind:

    „a)

    die an die Agentur zu entrichtenden Gebühren, einschließlich einer Jahresgebühr für Produkte, für die nach Kapitel VIII eine Unionszulassung erteilt wird, und eine Gebühr für Anträge auf gegenseitige Anerkennung gemäß Kapitel VII;

    b)

    Vorschriften, in denen die Bedingungen für Gebührenermäßigungen, Gebührenerstattungen und die Kostenerstattung für das Mitglied des Ausschusses für Biozidprodukte, das als Berichterstatter fungiert, festgelegt sind, und

    c)

    die Zahlungsbedingungen.“

    81.

    Dieser Absatz stellt klar, dass die Verordnung nur im Hinblick auf die an die Agentur zu entrichtenden Gebühren Anwendung findet, deren Höhe „so festgesetzt [wird], dass sichergestellt ist, dass die Einnahmen aus den Gebühren zusammen mit den übrigen Einnahmequellen der Agentur nach dieser Verordnung die Kosten der erbrachten Dienstleistungen decken können. Die anfallenden Gebühren werden von der Agentur veröffentlicht“.

    82.

    Zu diesen Vorgaben kommen weitere hinzu, die in Art. 80 Abs. 3 in Form von Grundsätzen formuliert sind:

    „a)

    Die Höhe der Gebühren wird so festgesetzt, dass sichergestellt ist, dass die Einnahmen aus den Gebühren grundsätzlich ausreichen, um die Kosten der erbrachten Dienstleistungen zu decken, und sie den zur Deckung dieser Kosten erforderlichen Betrag nicht überschreiten;

    b)

    die Gebühr wird teilweise erstattet, wenn der Antragsteller die verlangten Daten nicht fristgerecht übermittelt;

    c)

    den besonderen Bedürfnissen von KMU wird gegebenenfalls Rechnung getragen, einschließlich der Möglichkeit, die Zahlungen auf mehrere Raten und Schritte aufzuteilen;

    d)

    Struktur und Höhe der Gebühren berücksichtigen, ob Dateien gemeinsam oder getrennt übermittelt wurden;

    e)

    unter hinreichend begründeten Umständen kann, sofern die Agentur oder die zuständige Behörde damit einverstanden ist, ganz oder teilweise auf die Gebühr verzichtet werden, und

    f)

    die Fristen für die Entrichtung der Gebühren sind unter gebührender Berücksichtigung der Fristen für die in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren festzulegen.“

    83.

    Die Kommission führt aus ( 34 ), in der Durchführungsverordnung solle ein vollständiges und zusammenhängendes System der an die Agentur zu entrichtenden Gebühren geregelt werden, eine zusammenhängende Gesamtheit von Vorschriften und Kriterien, ein umfassendes und zusammenhängendes System. Dies bedeute, ausgehend von den vom Gesetzgeber festgelegten Grundsätzen „nicht wesentliche Aspekte“ der Verordnung Nr. 528/2012 zu ergänzen, und müsse daher Gegenstand einer Übertragung auf der Grundlage von Art. 290 AEUV sein.

    84.

    Das Parlament und der Rat hingegen relativieren die Bedeutung der von der Kommission angeführten Grundsätze und bringen vor, das durch Art. 80 der Verordnung Nr. 528/2012 eingeführte System sei so detailliert, dass es keines Übertragungsrechtsakts bedürfe und ein reiner Durchführungsrechtsakt gemäß Art. 291 AEUV ausreiche.

    85.

    Bevor ich fortfahre, möchte ich etwas festhalten, dem ich weiter oben eine gewisse Bedeutung eingeräumt habe, nämlich dass es sinnvoll ist, sich nicht auf die Problematik einer isolierten Bestimmung des in Rede stehenden Gesetzgebungsakts zu beschränken, sondern auch der Bestimmung in ihrem Gesamtzusammenhang Bedeutung beizumessen, insbesondere im Hinblick auf die Wahlmöglichkeiten, die sie hinsichtlich des Rückgriffs auf die delegierten Rechtsakte bzw. die Durchführungsrechtsakte mit allgemeiner Geltung vorsieht. Insoweit ist anzumerken, dass in Art. 83 Abs. 5 der Verordnung Nr. 528/2012 vom delegierten Rechtsakt ein hinreichend weiter Gebrauch gemacht wird, um die Gefahr, dass der Gesetzgeber diese neue Modalität der Regelung eines bestimmten Bereichs unbeachtet lässt, – auf die ich aufmerksam gemacht habe – auszuschließen ( 35 ). Trotz dieser Feststellung muss die Prüfung der Bestimmung, mit der wir spezifisch befasst sind, natürlich fortgesetzt werden, unabhängig davon, dass die zitierte Regelung der delegierten Rechtsakte in der Verordnung meiner Ansicht nach nicht unerwähnt bleiben darf.

    86.

    Die Frage besteht nunmehr darin, ob Art. 80 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012 vernünftigerweise als Ausdruck des Willens des Gesetzgebers betrachtet werden kann, eine Regelung zu treffen, die noch der Durchführung bedarf, oder ob vielmehr vernünftigerweise angenommen werden kann, dass wir uns bereits im Stadium der Durchführung befinden und es unerlässlich ist, vor der eigentlichen Durchführung Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zu erlassen. An dieser Stelle ist es sicher nicht unangebracht, anzumerken, dass eine Materie, bei der ein derartiger Änderungsbedarf besteht wie bei den Gebühren, unabhängig von den Präzisierungen, die weiter unten erfolgen, eher diesem Stadium zuzuordnen ist.

    87.

    Hiernach reicht es, zu prüfen, ob sich zu Recht die Ansicht vertreten lässt, dass wir uns im vorliegenden Fall bereits im Bereich der Durchführung ‐ mit den unvermeidbaren Elementen der endgültigen Konkretisierung bzw. Festlegung ‐ befinden oder vielmehr noch in einem Stadium, in dem die noch ausstehende gesetzgeberische Tätigkeit in den Grenzen eines Ermessensspielraums stattfindet, den die Kommission allein mit der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse nicht ausfüllen kann.

    88.

    Die Tragweite der der Kommission übertragenen Rechtsetzungsbefugnis ist im Licht der vom Gesetzgeber in Art. 80 Abs. 3 der Verordnung Nr. 528/2012 aufgestellten Grundsätze zu beurteilen, denn davon, in welchem Umfang sie geeignet ist, den Ermessensspielraum der Kommission zu verringern, wenn diese der Bestimmung Inhalt verleiht, die das Ergebnis der Wahrnehmung dieser Befugnis ist, hängt es ab, ob es sich um eine reine Durchführungsbefugnis oder noch um die Ausübung einer Rechtsetzungsbefugnis handelt.

    89.

    Meiner Ansicht nach lassen die in Art. 80 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 528/2012 geregelten Voraussetzungen keinen Raum für die Ausübung einer gesetzgeberischen Tätigkeit, der über das hinausgeht, was vernünftigerweise auf das Stadium der Durchführung verwiesen werden kann, sei es an die Mitgliedstaaten, sei es an die Kommission.

    90.

    Die Vorschrift bestimmt zweimal, dass sichergestellt werden soll, dass die Kosten der von der Agentur erbrachten Dienstleistungen gedeckt sind, und bei einer Gelegenheit (Abs. 3 Buchst. a) wird klargestellt, dass die Gebühren „den zur Deckung dieser Kosten erforderlichen Betrag nicht überschreiten“ dürfen. Unter diesen Umständen ist es meiner Meinung nach klar, dass die Festsetzung der Höhe der Gebühren nicht aufs Geratewohl einer politischen Entscheidung überlassen werden soll, sondern sich auf eine technische Frage reduziert. Denn die politische Dimension der Einrichtung eines Gebührensystems hat der Gesetzgeber bereits selbst erschöpft, als er erstens beschloss, dass es Gebühren geben wird, und zweitens, dass sie nur dazu dienen sollen, die Kosten der Dienstleistung zu decken, ohne dass mit ihnen zur Erreichung anderer Ziele beigetragen werden soll oder sie in einer Höhe festgesetzt werden können, die aufgrund ihres Verhältnisses zu den Kosten der von der Agentur erbrachten Dienstleistung zu Überschüssen führen kann.

    91.

    Nach dieser Feststellung sollte auf den in Art. 80 Abs. 3 Buchst. e niedergelegten „Grundsatz“ eingegangen werden, der der Kommission zufolge eine politische Dimension impliziert. Dies käme der Feststellung gleich, dass der Kommission ein zu weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Sicherlich wird der Kommission dadurch, dass ihr die Festlegung der Fälle übertragen wird, in denen eine vollständige oder teilweise Befreiung von der Gebühr in Betracht kommt, die Ausgestaltung eines in jeder Finanzierungsregelung besonders sensiblen Aspekts übertragen. Die Festlegung des Kreises der zur Zahlung einer Gebühr Verpflichteten wird in der Tat historisch dem Bereich des „Politischen“ zugeordnet und weist eine enge Verbindung zwischen Repräsentation und Abgabenerhebung auf, so dass sie grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muss.

    92.

    Allerdings kann im Zusammenhang mit der in Rede stehenden Vorschrift nicht von einer Ermächtigung der Kommission gesprochen werden, den Kreis der möglicherweise von einer Befreiung Begünstigten frei festzulegen. Art. 80 Abs. 3 Buchst. e gestattet einen vollständigen oder teilweisen Verzicht nur „unter hinreichend begründeten Umständen“ und verlangt darüber hinaus, dass „die Agentur oder die zuständige Behörde damit einverstanden ist“. Unter diesen Umständen wurde die grundlegende politische Dimension der Entscheidung wiederum unmittelbar vom Gesetzgeber festgelegt. Die Kommission kann nicht entscheiden, ob ein Verzicht in Betracht kommt und ob er ganz oder teilweise erfolgen kann. Nachdem der Gesetzgeber entschieden hat, dass ein Verzicht möglich ist, kann die Kommission in der Durchführungsverordnung nur festlegen, dass diejenigen, die eine Befreiung in Anspruch nehmen wollen, dies rechtfertigen müssen, und dass die Agentur oder die zuständige Behörde über ihre Gewährung oder Ablehnung entscheiden. Die Tätigkeit der Kommission reduziert sich mithin darauf, in der künftigen Durchführungsverordnung Voraussetzungen für die Befreiung festzulegen, die tatsächlich bereits vom Gesetzgeber in der Verordnung Nr. 528/2012 aufgestellt wurden: Rechtfertigung des Antrags und Einverständnis der Agentur oder der zuständigen Behörde. Unter diesen Voraussetzungen bin ich der Ansicht, dass die Bestimmung Art. 291 Abs. 2 AEUV nicht in einer Art und Weise umsetzt, die für rechtswidrig erklärt werden kann.

    93.

    Bezüglich der restlichen in Art. 80 Abs. 3 genannten Grundsätze bin ich der Ansicht, dass sie den Ermessensspielraum der Kommission hinreichend eingrenzen, denn sie gehen so weit, dass vorgeschrieben wird, dass „die Gebühr … teilweise erstattet [wird], wenn der Antragsteller die verlangten Daten nicht fristgerecht übermittelt“ (Buchst. b), dass „den besonderen Bedürfnissen von KMU … gegebenenfalls Rechnung getragen [wird], einschließlich der Möglichkeit, die Zahlungen auf mehrere Raten und Schritte aufzuteilen“ (Buchst. c), oder „die Fristen für die Entrichtung der Gebühren … unter gebührender Berücksichtigung der Fristen für die in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren festzulegen“ sind (Buchst. f). Zusammenfassend verbleibt meiner Meinung nach keinerlei Raum für die Wahrnehmung einer Entscheidungsbefugnis, in deren Rahmen ein Ermessensspielraum besteht, der eine Einordnung in den Kontext von Art. 291 Abs. 2 AEUV nicht zulässt.

    94.

    Art. 80 Abs. 2 der Verordnung Nr. 528/2012 erlegt den Mitgliedstaaten wiederum die Verpflichtung auf, unmittelbar von den Antragstellern Gebühren für Dienstleistungen zu erheben, die sie „im Hinblick auf die in dieser Verordnung festgelegten Verfahren erbringen“. Zu diesem Zweck bestimmt Abs. 2 Unterabs. 2, dass „[d]ie Kommission … ausgehend von den in Absatz 3 genannten Grundsätzen Leitlinien für eine harmonisierte Gebührenstruktur [erlässt]“. Daraus ließe sich schließen, dass von der Kommission erwartet wird, dass sie für die Mitgliedstaaten die Bedingungen skizziert und konkretisiert, die für die Union in Abs. 3 geregelt sind. Wenn dies der Fall wäre, würde damit zugestanden, dass in diesem Abs. 3 noch Raum verbleibt für den Erlass von Entscheidungen, für die ein gewisser Ermessensspielraum verbleibt. Dies meine ich nicht.

    95.

    Meiner Meinung nach wird die Kommission durch Abs. 2 Unterabs. 2 nicht ermächtigt, Grundsätze zu konkretisieren, die aus meiner Sicht bereits spezifisch genug sind, um jede politische Entscheidungsmöglichkeit seitens der Kommission auszuschließen. In Unterabs. 2 geht es darum, dass die Kommission „ausgehend von den in Absatz 3 genannten Grundsätzen“ das Handeln der Mitgliedstaaten dahin ausrichtet, dass die von ihnen festgelegten Gebühren eine „harmonisierte Gebührenstruktur“ aufweisen. Es geht mithin nicht darum, einen Entscheidungsspielraum herauszuarbeiten, den der Gesetzgeber aus den angeführten Gründen bereits definiert hat, als er die in Abs. 3 genannten Grundsätze aufstellte, sondern darum, zu gewährleisten, dass die von den Mitgliedstaaten erhobenen Gebühren eine harmonisierte Gebührenstruktur aufweisen. Dabei stellt die Beachtung dieser Grundsätze die Regel dar, der diese Struktur entsprechen muss.

    96.

    Schließlich bestätigt die Tatsache, dass die Grundsätze des Art. 80 Abs. 3 sowohl für die Kommission als auch für die Mitgliedstaaten bindend sind, dass nach Ansicht des Gesetzgebers das „Stadium“ der Regelung beendet und abgeschlossen war. Daher überzeugt das Argument der Kommission ( 36 ) nicht, die Mitgliedstaaten könnten ihrerseits nach Maßgabe ihrer jeweiligen Rechtsordnung im Rahmen der entsprechenden Regelung gewissermaßen zum Regelungsstadium im formellen Sinn zurückkehren. Entscheidend ist, wie das Parlament ( 37 ) zutreffend ausführt, dass das Regelungsstadium für die Union bereits verstrichen ist.

    97.

    Nach alledem bin ich der Ansicht, dass durch Art. 80 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012 der Erlass einer Durchführungsverordnung mit dem Inhalt und den Voraussetzungen, die in ihm festgelegt sind, rechtmäßig auf der Grundlage von Art. 291 Abs. 2 AEUV auf die Kommission übertragen werden konnte und die Nichtigkeitsklage der Kommission daher abzuweisen ist.

    V – Ergebnis

    98.

    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor,

    1.

    die Klage der Kommission abzuweisen;

    2.

    die Kommission zur Tragung der Kosten zu verurteilen.


    ( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

    ( 2 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. L 167, S. 1).

    ( 3 ) Vgl. aber bereits Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Vereinigtes Königreich/Rat und Parlament (C‑270/12, Nrn. 60 bis 88).

    ( 4 ) Randnr. 1 der Klagebeantwortung.

    ( 5 ) Urteil vom 29. März 2012, Kommission/Polen (C‑504/09 P, Randnr. 98), mit Rechtsprechungsnachweisen.

    ( 6 ) A. a. O., mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen.

    ( 7 ) Der Rechtsakt, mit dem die übertragene Befugnis wahrgenommen wird, muss dieselbe Form haben wie der übertragende Gesetzgebungsakt, den er ergänzt oder ändert, also eine Verordnung, Richtlinie oder Entscheidung (mit allgemeiner Geltung), und immer mit dem Zusatz „delegiert“ versehen sein (Art. 290 Abs. 3 AEUV).

    ( 8 ) Randnr. 1.

    ( 9 ) Vgl. Craig, P., The Lisbon Treaty, New York, 2010, S. 276.

    ( 10 ) Der Verweis auf das Wesentliche erfolgte bereits im Urteil vom 17. September 1970, Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel/ Köster (25/70, Slg. 1970, 1161), und erneut im Urteil vom 27. Oktober 1992, Deutschland/Kommission (C-240/90, Slg. 1992, I-5383).

    ( 11 ) Zur Entstehungsgeschichte der „delegierten Verordnungen“ im Europäischen Konvent, Garzón Clariana, G., „Les actes délégués dans le système du droit de l’Union Européenne“, ERA-Forum, Bd. 12 (2011), Beilage 1, S. 105 (106 bis 112).

    ( 12 ) Zum Fortgang nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags bis zum Vertrag von Lissabon, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Vereinigtes Königreich/Rat und Parlament, zitiert in Fn. 3, Nr. 75, mit Literaturnachweisen.

    ( 13 ) Randnr. 28 seiner Klagebeantwortung.

    ( 14 ) In Art. 5a des Beschlusses 2006/512/EG des Rates vom 17. Juli 2006 zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L 200, S. 11) vorgesehenes Verfahren („Komitologiebeschluss“).

    ( 15 ) Hierzu z. B. Bast, J., „Legal Instruments and Judicial Protection“, in: von Bogdandy, A., und Bast, J. (Hrsg.), Principles of European Constitutional Law, 2. Aufl., München-Portland, 2010, S. 345 bis 397.

    ( 16 ) Siehe den Schlussbericht der Gruppe IX über Vereinfachung vom 29. November 2002, CONV 424/02, WG IX 13.

    ( 17 ) Diesen Ausdruck verwendet die Kommission in Randnr. 63 ihrer Klageschrift, worauf der Rat in Randnr. 42 seiner Klagebeantwortung erwidert.

    ( 18 ) Zur „Delegalisierung“ in einem nationalen Verfassungssystem, vgl. z. B. De Otto, I., Derecho Constitucional. Sistema de fuentes, Barcelona 1987, S. 226 bis 228.

    ( 19 ) Zu den Schwierigkeiten bei der Feststellung der Exekutivaufgaben in der Union, Reitling, D., „L’identification de la fonction exécutive dans l’Union“, in: Duthiel de la Rochère, J. (Hrsg.), L’exécution du Droit de l’Union, entre mécanismes communitaires et Droits nationaux, Brüssel, 2009, S. 27 bis 51. Zur Verteilung der Durchführungsbefugnisse in der Union, Fuentetaja Pastor, J. Á., „Actos delegados, actos de ejecución y distribución de competencias ejecutivas en la Unión Europea“, in Revista Española de Derecho Administrativo, Nr. 149, 2011, S. 55 (57 bis 63).

    ( 20 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. L 55, S. 13). Diese Verordnung wurde aufgrund des hierzu in Art. 291 Abs. 3 AEUV niedergelegten Mandats erlassen, wonach für die Zwecke des Art. 291 Abs. 2 AEUV „das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen im Voraus allgemeine Regeln und Grundsätze [festlegen], nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren“.

    ( 21 ) Diese Normen und Grundsätze sind in der bereits angeführten Verordnung Nr. 182/2011 niedergelegt.

    ( 22 ) In der Verordnung Nr. 182/2011 sind zwei Kontrollverfahren vorgesehen: das Beratungsverfahren (Art. 4) und das wesentlich umfangreichere Prüfverfahren (Art. 5). Auf die angefochtene Verordnung ist gemäß Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 528/2012 das Prüfverfahren anwendbar.

    ( 23 ) Randnrn. 4, 57, 63, 64, 71, 75 und 91 der Klage der Kommission, Randnr. 41 der Klagebeantwortung des Rates, Randnrn. 27 und 28 des Streithilfeschriftsatzes der Niederlande sowie Randnrn. 20 bis 22 des Streithilfeschriftsatzes Frankreichs.

    ( 24 ) Es ist ein unbestrittener Grundsatz, dass die materielle Durchführung der Vorschriften der Union normalerweise Sache der Mitgliedstaaten ist (statt aller, Jacqué, J. P., Droit institutionnel de l’Union européenne, 6. Aufl., Paris 2010, Randnrn. 581 bis 584). Die nationale Inhaberschaft der Durchführungsbefugnis findet ihren grundlegenden normativen Ausdruck in Art. 4 Abs. 3 EUV, nach dem „[d]ie Mitgliedstaaten … alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen [ergreifen], die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben“.

    ( 25 ) Randnr. 15 ihrer Erwiderung.

    ( 26 ) Randnrn. 65 ff. der Klageschrift.

    ( 27 ) Randnr. 26 seiner Gegenerwiderung.

    ( 28 ) Das Vereinigte Königreich nimmt in den Randnrn. 41 bis 45 seines Streithilfeschriftsatzes auf die Notwendigkeit Bezug, auf multifaktorielle Beurteilungen abzustellen, während Dänemark (Randnrn. 15 und 28 seines Streithilfeschriftsatzes) objektive Kriterien anspricht, die einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen können, allerdings mit einem Ermessensspielraum. Dieser Einschätzung widerspricht die Kommission in Randnr. 36 ihrer Stellungnahme zu den Streithilfeschriftsätzen.

    ( 29 ) Vgl. hierzu Ritleng, D., Le contrôle de la légalité des actes communautaires par la Cour de Justice et le Tribunal de Première Instance des Communautés Européennes, unveröffentlichte Dissertation, Straßburg 1998, S. 376 bis 382.

    ( 30 ) Nr. 78 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Vereinigtes Königreich/Rat und Parlament, zitiert in Fn. 3.

    ( 31 ) Schon früh hat der Gerichtshof auf die Bedeutung des Kriteriums der Verantwortlichkeit als Regel zur Feststellung der Rechtmäßigkeit einer Übertragung von Befugnissen nach Maßgabe der Natur und des Umfangs einer übertragenen Befugnis aufmerksam gemacht. So führt er im Urteil vom 13. Juni 1958, Meroni (9/56, Slg. 1958, 11, 43), aus, dass „eine Übertragung von Befugnissen sich sehr verschieden auswirken kann[, je nachdem, ob] es sich dabei um genau umgrenzte Ausführungsbefugnisse [handelt]“. Eine Zusammenfassung der insoweit ergangenen Rechtsprechung findet sich in den Nrn. 26 bis 29 der Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Parlament/Rat, C‑355/10.

    ( 32 ) Siehe Fn. 31.

    ( 33 ) Randnr. 12 ihrer Erwiderung.

    ( 34 ) Randnrn. 46, 83 und 85 ihrer Klage.

    ( 35 ) In Art. 83 Abs. 5 werden die Bestimmngen der Verordnung Nr. 528/2012 genannt, die eine Übertragung vorsehen: Art. 3 Abs. 4, Art. 5 Abs. 3, Art. 6 Abs. 4, Art. 21 Abs. 3, Art. 23 Abs. 5, Art. 28 Abs. 1 und 3, Art. 40, Art. 56 Abs. 4, Art. 71 Abs.9, Art. 85 und Art. 89 Abs. 1.

    ( 36 ) Randnr. 39 ihrer Erwiderung.

    ( 37 ) Randnrn. 22 und 23 seiner Gegenerwiderung.

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